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Norbert Hoersters Tierethik
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AgentProvocateur
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Anmeldungsdatum: 09.01.2005
Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1283612) Verfasst am: 06.05.2009, 20:30    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Es ging mir aber erst mal nur um den Hinweis, dass diese beide Argumentationen nicht folgerichtig sind:
step hat folgendes geschrieben:
Wir haben ja schon in vielen anderen threads herausgefunden, daß für die meisten Menschen in der Tat das Recht auf Leben gar nichts mit Zukunftsbewusstsein zu tun hat, was man eben daran sieht, daß sie es auch für nicht bewußte Menschen fordern, [...]

Na gut. Ich bleibe jedoch bei der Aussage, mit "nicht primär" statt "gar nicht".

Okay. Das ist was anderes.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... nur mit Menschen kann ich in einer Gesellschaft leben, nur mit Menschen kann ich einen Diskurs führen, nur mit Menschen kann ich mich über Rechte verständigen, usw. usf.

a) Genauer wäre: "Nur mit bewußten, kulturell hinreichend ähnlichen Wesen kann ich ...". b) Sehe ich das richtig, daß für Dich Diskursfähigkeit eine notwendige (?) Voraussetzung für die Zuerkennung typischer Menschenrechte ist?

a) Nein, s.u.
b) Ja. (Allerdings meine ich nicht "aktuelle Diskursfähigkeit mit mir", sondern "grundsätzliche Diskursfähigkeit mit anderen Diskursfähigen".)

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich möchte auch mal leise bezweifeln, ob es überhaupt etwas gibt, das auf "alle Individuen der Kategorie X zu allen Zeiten zutrifft" und ob so etwas eine notwendige Voraussetzung für irgendwas sein muss.

Da stimme ich Dir zu. Aber gerade bei der pauschalen Rechtezuweisung über das (biologische) Menschsein wird dieser Fehler mE begangen.

Finde ich nicht. Hat nämlich a) nicht unbedingt etwas mit dem biologischen Menschsein zu tun, sondern mit den (verallgemeinerten) Fähigkeiten (speziesunabhängig) und b) mit dem Problem, eine Grenze zu finden, um diese Fähigkeiten einem konkreten Individuum zuzusprechen / abzusprechen.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Dieses "grundsätzliche" rekurriert bei näherer Analyse dann meist doch wieder auf das Genetische - deshalb bin ich so neugierig auf bessere Begründungen.
Nö, das sehe ich auch nicht so. Wenn hier mal eine außerirdische Spezies mit ähnlichen Fähigkeiten wie wir landet, (aber mit ganz anderen Genen), sehe ich kein grundsätzliches Problem, diese Spezies in die menschliche Gesellschaft zu integrieren (so man mit ihnen auskommen kann).

Und wenn sie zwar die Fähigkeiten haben, aber zu fremd für eine Integration sind?

Probleme gäbe es wohl dann, wenn es zu unterschiedliche Bedürfnisse / Interessen / Denkweisen gäbe. Es muss also irgendwie eine gemeinsame Gesprächsbasis geben, man muss Kompromisse finden können, um eventuelle Unterschiede auf einen Nenner bringen zu können. Wenn dieser Kompromiss nicht möglich wäre, dann könnte es wohl kaum eine gemeinsame Gesellschaft geben können. (Zum Beispiel könnte ich mir mit den Borg keine gemeinsame Gesellschaft vorstellen.)

Aber das hat mMn nicht unbedingt etwas mit Kultur zu tun, auch nicht mit dem Aussehen, den Erfahrungen, den Gewohnheiten usw. Nur mit gemeinsam findbaren (logischen / vernünftigen, wie auch immer) Grundlagen / Einigungsmöglichkeiten.
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
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Beitrag(#1283672) Verfasst am: 06.05.2009, 21:25    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... "grundsätzliche Diskursfähigkeit mit anderen Diskursfähigen" ... und ... mit dem Problem, eine Grenze zu finden, um diese Fähigkeiten einem konkreten Individuum zuzusprechen / abzusprechen.

OK. Und daraus ergeben sich folgende Probleme:
- was bedeutet "grundsätzlich diskursfähig" - auch irreversibles Koma, geistig Schwerstbehinderte, Embryonen, Menschenaffen, Delfine?
- die (zugegeben notwendige) Grenzziehung sollte nicht zu sehr der Logik widersprechen. Genau daher kommt ja das Unbehagen bei der Vorstellung, Homo-Sapiens-Embryonen seien schützenswerter als leidensfähige Tiere.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Und wenn sie zwar die Fähigkeiten haben, aber zu fremd für eine Integration sind?
Probleme gäbe es wohl dann, wenn es zu unterschiedliche Bedürfnisse / Interessen / Denkweisen gäbe. Es muss also irgendwie eine gemeinsame Gesprächsbasis geben, man muss Kompromisse finden können, um eventuelle Unterschiede auf einen Nenner bringen zu können. Wenn dieser Kompromiss nicht möglich wäre, dann könnte es wohl kaum eine gemeinsame Gesellschaft geben können. (Zum Beispiel könnte ich mir mit den Borg keine gemeinsame Gesellschaft vorstellen.)

Aber das hat mMn nicht unbedingt etwas mit Kultur zu tun, auch nicht mit dem Aussehen, den Erfahrungen, den Gewohnheiten usw. Nur mit gemeinsam findbaren (logischen / vernünftigen, wie auch immer) Grundlagen / Einigungsmöglichkeiten.

Natürlich, man kann nur in einer Gesellschaft leben, wenn man Interessenkonsens findet. Aber die Frage war eher, welche Rechte man denen zumißt, auch wenn sie nicht mit uns in einer gemeinsam definierten Gesellschaft leben können. Dürfte man sie etwa essen oder versklaven?
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Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Zumsel
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Beitrag(#1283988) Verfasst am: 07.05.2009, 11:14    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Sehe ich ebenso. Dann eignet sich jedoch der Hinweis auf die "grundsätzliche" Interessensfähigkeit nicht als Begründung für die Exklusivität der Rechtezuweisung, oder?


Nun ja, man könnte es schon an der Fähigkeit zur Abstraktion und zum längerfristigen Planen festmachen. Denn nur wer diese Fähigkeit hat, kann auch über seine Interessen und über sein Verhalten reflektieren. Wer dagegen nie irgendwelche Rechte einfordern kann und auch nicht in der Lage ist, die Rechte anderer zu achten oder zu mißachten, ist eben nun einmal nicht "vertragsfähig" und damit völlig von den Interessen oder dem Mitgefühl anderer abhänhig. Dass das bei nicht vertragsfähige Menschen tlw. anders ist, kann gute Gründe haben. Zum Beispiel den, dass zum Pflegefall jeder werden kann. Zum Schwein dagegen, sofern man sich von der Insel Aiaia fernhält, niemand.
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step
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Beitrag(#1284238) Verfasst am: 07.05.2009, 18:18    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Sehe ich ebenso. Dann eignet sich jedoch der Hinweis auf die "grundsätzliche" Interessensfähigkeit nicht als Begründung für die Exklusivität der Rechtezuweisung, oder?
Nun ja, man könnte es schon an der Fähigkeit zur Abstraktion und zum längerfristigen Planen festmachen. Denn nur wer diese Fähigkeit hat, kann auch über seine Interessen und über sein Verhalten reflektieren. Wer dagegen nie irgendwelche Rechte einfordern kann und auch nicht in der Lage ist, die Rechte anderer zu achten oder zu mißachten, ist eben nun einmal nicht "vertragsfähig" und damit völlig von den Interessen oder dem Mitgefühl anderer abhänhig. Dass das bei nicht vertragsfähige Menschen tlw. anders ist, kann gute Gründe haben. Zum Beispiel den, dass zum Pflegefall jeder werden kann. Zum Schwein dagegen, sofern man sich von der Insel Aiaia fernhält, niemand.

Und zum Embryo oder Neugeborenen kann auch niemand werden, oder?
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Zumsel
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Beiträge: 4667

Beitrag(#1284618) Verfasst am: 08.05.2009, 11:08    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Sehe ich ebenso. Dann eignet sich jedoch der Hinweis auf die "grundsätzliche" Interessensfähigkeit nicht als Begründung für die Exklusivität der Rechtezuweisung, oder?
Nun ja, man könnte es schon an der Fähigkeit zur Abstraktion und zum längerfristigen Planen festmachen. Denn nur wer diese Fähigkeit hat, kann auch über seine Interessen und über sein Verhalten reflektieren. Wer dagegen nie irgendwelche Rechte einfordern kann und auch nicht in der Lage ist, die Rechte anderer zu achten oder zu mißachten, ist eben nun einmal nicht "vertragsfähig" und damit völlig von den Interessen oder dem Mitgefühl anderer abhänhig. Dass das bei nicht vertragsfähige Menschen tlw. anders ist, kann gute Gründe haben. Zum Beispiel den, dass zum Pflegefall jeder werden kann. Zum Schwein dagegen, sofern man sich von der Insel Aiaia fernhält, niemand.

Und zum Embryo oder Neugeborenen kann auch niemand werden, oder?


Natürlich nicht. Allerdings könnte es für eine Gesellschaft u.U. gute Gründe geben, den Wert von Neu- oder gar Ungeborenen sehr hoch einzustufen. Auch solche, die über ein instinktives Schutz- und Führsorgeverhalten hinausgehen. Womit ich nicht sagen will, dass ICH den Schutz von Ungeborenen sehr wichtig finde.
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step
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Beitrag(#1284734) Verfasst am: 08.05.2009, 15:26    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Sehe ich ebenso. Dann eignet sich jedoch der Hinweis auf die "grundsätzliche" Interessensfähigkeit nicht als Begründung für die Exklusivität der Rechtezuweisung, oder?
Nun ja, man könnte es schon an der Fähigkeit zur Abstraktion und zum längerfristigen Planen festmachen. Denn nur wer diese Fähigkeit hat, kann auch über seine Interessen und über sein Verhalten reflektieren. Wer dagegen nie irgendwelche Rechte einfordern kann und auch nicht in der Lage ist, die Rechte anderer zu achten oder zu mißachten, ist eben nun einmal nicht "vertragsfähig" und damit völlig von den Interessen oder dem Mitgefühl anderer abhänhig. Dass das bei nicht vertragsfähige Menschen tlw. anders ist, kann gute Gründe haben. Zum Beispiel den, dass zum Pflegefall jeder werden kann. Zum Schwein dagegen, sofern man sich von der Insel Aiaia fernhält, niemand.
Und zum Embryo oder Neugeborenen kann auch niemand werden, oder?
Natürlich nicht. Allerdings könnte es für eine Gesellschaft u.U. gute Gründe geben, den Wert von Neu- oder gar Ungeborenen sehr hoch einzustufen. Auch solche, die über ein instinktives Schutz- und Führsorgeverhalten hinausgehen. Womit ich nicht sagen will, dass ICH den Schutz von Ungeborenen sehr wichtig finde.

Eben, darum ging es mir: Es ist offensichtlich nicht primär die "grundsätzliche Interessensfähigkeit", mit der - auf bohrenderes Nachfragen - die Zuweisung weitgehender Rechte erfolgt, sondern ein Sammelsurium verschiedener, teils unbekannter oder unbewußter Kategorisierungen, Absichten und Annahmen, teilweise auch falscher Annahmen.

Natürlich kann man es dabei belassen, aber besonders rational kann man damit nunmal nicht gegen Tierrechte argumentieren.
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zelig
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Beitrag(#1284800) Verfasst am: 08.05.2009, 17:02    Titel: Antworten mit Zitat

Ich sehe hier auch das Problem, daß nicht immer erkennbar ist, welche Logik einer Argumentation unterlegt ist. Beispielsweise verteidigt meine Argumentation zunächst mal konsensuelle Menschenrechte unseres Kulturkreises (die ja primär nicht das Ergebnis eines rationalen Diskurses sind, sondern aus einem langen historischem Kampf um ein bestimmtes Menschenbild entstanden sind) gegen die Gefahr der Entwertung.
Und das wieder bedeutet nicht, daß es Tieren nach einer speziesistischen Ethik zwangsläufig schlechter geht, wenn, wie ich es mir vorstele, dem Menschen eine Fürsorgepflicht gegenüber dem Tier aufgetragen wird, ohne dem Tier selber Rechte einzuräumen.
Ich zweifle auch an, ob eine Ethik, die sich nur auf die Ratio stützt, überhaupt dazu geeignet wäre, Verhältnisse zu schaffen, die wir für wünschenwert halten.
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step
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Beitrag(#1284820) Verfasst am: 08.05.2009, 17:18    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
Ich zweifle auch an, ob eine Ethik, die sich nur auf die Ratio stützt, überhaupt dazu geeignet wäre, Verhältnisse zu schaffen, die wir für wünschenwert halten.

Das mag schon sein. Offensichtlich war aber bisher eine Ethik, die sich nicht auf die Ratio stützt, ebenfalls nicht besonders gut geeignet, Verhältnisse zu schaffen, die wir für wünschenwert halten.

Und wenn wir nicht verlangen, daß Werteabwägungen rational hinterfragt und Wertesysteme logisch einigermaßen konsistent sind, dann wird natürlich eine Diskussion über Ethik generell so gut wie unmöglich.

Und schließlich bliebe mir immer noch das Gebiet der Entmystifizierung ethischer Mechanismen, auch wenn dies keine normative, sondern nur deskriptive Kraft hätte.
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AgentProvocateur
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Beitrag(#1284825) Verfasst am: 08.05.2009, 17:20    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Eben, darum ging es mir: Es ist offensichtlich nicht primär die "grundsätzliche Interessensfähigkeit", mit der - auf bohrenderes Nachfragen - die Zuweisung weitgehender Rechte erfolgt, sondern ein Sammelsurium verschiedener, teils unbekannter oder unbewußter Kategorisierungen, Absichten und Annahmen, teilweise auch falscher Annahmen.

Natürlich kann man es dabei belassen, aber besonders rational kann man damit nunmal nicht gegen Tierrechte argumentieren.

Sorry, aber ist mir völlig unklar, auf was Du eigentlich hinaus willst.

Erst mal eine Anmerkung: der Titel dieses Threads "Norbert Hoersters Tierethik" ist missverständlich, denn in dem Link im ersten Beitrag behandelt Hoerster nur Argumente für und gegen ein Tötungsverbot, nicht eine allgemeine Tierethik oder allgemeine Tierrechte.

Ich mag Hoerster übrigens nicht so besonders, weil ich finde, dass er ziemlich schlampig argumentiert.

"Grundsätzliche Interessensfähigkeit": ja nun, kann man so als Begriff hin oder her diskutieren.

Viel hilfreicher bei einer solchen Diskussion als die verlinkten Ausführungen von Hoerster finde ich diesen Artikel von Dieter Birnbacher, der utilitaristische Argumente für ein Tötungsverbot ausführlicher behandelt (den Artikel hatten wir ja schon mal):

Birnbacher - Utilitaristische Ethik und Tötungsverbot [Zusammenfassung] hat folgendes geschrieben:
(1) Einen anderen zu töten, bedeutet in der Regel, das Leben eines bewusstseinfähigen Wesens zu verkürzen, das sein Leben nicht dauerhaft als unerträglich empfindet.
(2) der Verlust, den Nahestehende, Abhängige und andere durch den Tod erleiden können
(3) die Angst und Unsicherheit, die eine Tötung (und besonders eine Praxis des Tötens) bei Dritten bewirkt
(4) jede Ausnahme vom Tötungsverbot, die sich - für sich betrachtet - utilitaristisch rechtfertigen lässt, beinhaltet ein Risiko, als Freibrief für weitere, unberechtigte Ausnahmen missverstanden zu werden
(5) die Auswirkungen von Tötungshandlungen auf das Selbstverständnis indirekt betroffener Individuen

Die Punkte 2 bis 5 könnte man nun unter "grundsätzlicher Interessensfähigkeit", "Abstraktionsfähigkeit", "Fähigkeit zur Zukunftsabschätzung", wie immer man das nun nennen will, subsumieren, dann bekommt die Aussage eher einen Sinn, als einfach so für sich genommen.

Diese Argumentation ist nun eine utilitaristische, die man ja nicht unbedingt teilen muss. Aber bei einer solchen utilitaristischen Argumentation spielt das, was wir hier "grundsätzliche Interessensfähigkeit" nennen, offensichtlich eine wesentliche Rolle. Ob man das nun "primär" nennen will oder nicht, ist egal.
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jagy
Herb Derpington III.



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Beitrag(#1284843) Verfasst am: 08.05.2009, 17:38    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:


Erst mal eine Anmerkung: der Titel dieses Threads "Norbert Hoersters Tierethik" ist missverständlich, denn in dem Link im ersten Beitrag behandelt Hoerster nur Argumente für und gegen ein Tötungsverbot, nicht eine allgemeine Tierethik oder allgemeine Tierrechte.


*Räusper* Genaugenommen steht aber im Eingangspost, dass der kurze Aufsatz ja nur ein Beispiel für seine Tierethik ist und als kleiner Ausschnitt aus seiner Tierethik sein soll...
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AgentProvocateur
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Anmeldungsdatum: 09.01.2005
Beiträge: 7851
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Beitrag(#1284870) Verfasst am: 08.05.2009, 17:51    Titel: Antworten mit Zitat

jagy hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Erst mal eine Anmerkung: der Titel dieses Threads "Norbert Hoersters Tierethik" ist missverständlich, denn in dem Link im ersten Beitrag behandelt Hoerster nur Argumente für und gegen ein Tötungsverbot, nicht eine allgemeine Tierethik oder allgemeine Tierrechte.

*Räusper* Genaugenommen steht aber im Eingangspost, dass der kurze Aufsatz ja nur ein Beispiel für seine Tierethik ist und als kleiner Ausschnitt aus seiner Tierethik sein soll...

Meinetwegen. Ich kenne das Buch jedenfalls nicht und kann auch nichts weiter zu Hoersters Tierethik, so sie über den verlinkten Text hinausgeht, sagen. Ich beschränke mich daher auf das Tötungsverbot.
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step
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Beitrag(#1285014) Verfasst am: 08.05.2009, 19:59    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Viel hilfreicher bei einer solchen Diskussion als die verlinkten Ausführungen von Hoerster finde ich diesen Artikel von Dieter Birnbacher, der utilitaristische Argumente für ein Tötungsverbot ausführlicher behandelt (den Artikel hatten wir ja schon mal): ...

Richtig, da ging es um die Äquivalenzdoktrin und den Personenbegriff.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Birnbacher - Utilitaristische Ethik und Tötungsverbot [Zusammenfassung] hat folgendes geschrieben:
(1) Einen anderen zu töten, bedeutet in der Regel, das Leben eines bewusstseinfähigen Wesens zu verkürzen, das sein Leben nicht dauerhaft als unerträglich empfindet.
(2) der Verlust, den Nahestehende, Abhängige und andere durch den Tod erleiden können
(3) die Angst und Unsicherheit, die eine Tötung (und besonders eine Praxis des Tötens) bei Dritten bewirkt
(4) jede Ausnahme vom Tötungsverbot, die sich - für sich betrachtet - utilitaristisch rechtfertigen lässt, beinhaltet ein Risiko, als Freibrief für weitere, unberechtigte Ausnahmen missverstanden zu werden
(5) die Auswirkungen von Tötungshandlungen auf das Selbstverständnis indirekt betroffener Individuen

Die Punkte 2 bis 5 könnte man nun unter "grundsätzlicher Interessensfähigkeit", "Abstraktionsfähigkeit", "Fähigkeit zur Zukunftsabschätzung", wie immer man das nun nennen will, subsumieren, dann bekommt die Aussage eher einen Sinn, als einfach so für sich genommen.

Genau, man muß sie konkretisieren. In diesem Fall ist das geschehen, indem man konkretere Kriterien einführt, z.B.
- direkte Interessen (1)
- Interessen Dritter (2), evtl. (5)
- Verläßlichkeitsdemonstration (3), (4)

Daher finde ich einen solchen, konkret Roß und Reiter (also die verletzten Interessen) nennenden Ansatz schonmal viel besser. Aber ich habe dennoch ein paar Einwände:

- Im Fall irreversibler Komapatienten griffe nur (4), und (4) ist (siehe auch unten) das schwächste Argument.

- Im Fall abgetriebener Embryonen griffe keiner der Punkte, es sei denn man macht Zusatzannahmen, etwa die genannte Äquivalenzdoktrin oder Seelenglaube.

- In Gemeinschaften, die eine klare Abgrenzung nach außen haben, könnten die Punkte (1)-(5) erfüllt werden und dennoch die Tötung von Nicht-Gemeinschaftsmitgliedern erlaubt sein.

- Ein Tötungsverbot für Tiere könnte man analog begründen, da Tiere leidensfähig und vorbewußt sind. Man könnte empathisch argumentieren, daß man Angst haben und Mißbrauch befürchten muß von jemandem, der ein Tier töten kann (2-5).
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AgentProvocateur
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Beitrag(#1285498) Verfasst am: 09.05.2009, 16:02    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Aber ich habe dennoch ein paar Einwände:

- Im Fall irreversibler Komapatienten griffe nur (4), und (4) ist (siehe auch unten) das schwächste Argument.

Zumindest (3) scheint mir in solchen Fällen ebenfalls zu greifen (auch wenn man nur solche Fälle nimmt, in denen (2) keine Rolle spielt). Wieso hältst Du (4) für das schwächste Argument (unten seh' ich nix)?

step hat folgendes geschrieben:
- Im Fall abgetriebener Embryonen griffe keiner der Punkte, es sei denn man macht Zusatzannahmen, etwa die genannte Äquivalenzdoktrin oder Seelenglaube.

Naja, (4) griffe hier eventuell. Dazu und zu (4), (dem Dammbruchargument), wird im verlinkten Artikel noch einiges gesagt.

step hat folgendes geschrieben:
- In Gemeinschaften, die eine klare Abgrenzung nach außen haben, könnten die Punkte (1)-(5) erfüllt werden und dennoch die Tötung von Nicht-Gemeinschaftsmitgliedern erlaubt sein.

Das sehe ich überhaupt nicht so. Die Punkte könnten nur mit dem jeweiligen Zusatz "(gilt aber nur für die Gemeinschaft X)" erfüllt werden. Aber das wäre ja wohl etwas grundlegend anderes, denn man müsste dann zusätzlich begründen können, wieso das jeweilige Argument nur für eine bestimmte Gruppe gelten soll. Und wie eine solche Begründung aussehen könnte, wüsste ich jetzt nicht.

step hat folgendes geschrieben:
- Ein Tötungsverbot für Tiere könnte man analog begründen, da Tiere leidensfähig und vorbewußt sind. Man könnte empathisch argumentieren, daß man Angst haben und Mißbrauch befürchten muß von jemandem, der ein Tier töten kann (2-5).

(5) wäre wohl nicht auf Tiere anwendbar. (2) könnte bei geeigneten Maßnahmen vermieden werden.

Und bei (3) und (4) (bzgl. Verlässlichkeit) könnte man un-empathisch argumentieren, dass das Tötungsverbot gegenüber Menschen anscheinend auch bei einem nicht bestehenden Tötungsverbot von Tieren funktioniert, d.h. eine Angst vor Missbrauch von Metzgern ist AFAIK nicht weit verbreitet.

Letztlich bliebe dann zur Begründung eines Tötungsverbotes von Tieren nur (1).
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step
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Beitrag(#1285676) Verfasst am: 09.05.2009, 20:40    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- Im Fall irreversibler Komapatienten griffe nur (4), und (4) ist (siehe auch unten) das schwächste Argument.
Zumindest (3) scheint mir in solchen Fällen ebenfalls zu greifen (auch wenn man nur solche Fälle nimmt, in denen (2) keine Rolle spielt).

Ich hatte (3) so verstanden, daß die Angst und Unsicherheit Dritter durch Empathie mit möglichem Leiden des zu Tötenden entsteht. Das könnte aber durch Aufklärung vermieden werden.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wieso hältst Du (4) für das schwächste Argument (unten seh' ich nix)?

Weil (4) am ehesten als Argument gegen alles mögliche verwendet werden kann. "Unten" hatte ich als Beispiel Schlachtung von Tieren gebracht, man könnte aber auch an Soldaten denken. Dehnt man das Gebiet von der Tötung auf andere Gebiete aus, ist man schnell von "Dammbuchargument" beim moralischen Fundamentalismus. Beispielweise könnten bestimmte Gedanken Dammbrüche auslösen, oder auch bestimmtes Wissen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- Im Fall abgetriebener Embryonen griffe keiner der Punkte, es sei denn man macht Zusatzannahmen, etwa die genannte Äquivalenzdoktrin oder Seelenglaube.
Naja, (4) griffe hier eventuell. Dazu und zu (4), (dem Dammbruchargument), wird im verlinkten Artikel noch einiges gesagt.

Wieso sollte (4) hier greifen? Man könnte doch eine klare Grenze, z.B. 12. Woche, definieren, mit der Begründung, daß man eine klare und unzweifelhafte Grenze braucht.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- In Gemeinschaften, die eine klare Abgrenzung nach außen haben, könnten die Punkte (1)-(5) erfüllt werden und dennoch die Tötung von Nicht-Gemeinschaftsmitgliedern erlaubt sein.
Das sehe ich überhaupt nicht so. Die Punkte könnten nur mit dem jeweiligen Zusatz "(gilt aber nur für die Gemeinschaft X)" erfüllt werden. Aber das wäre ja wohl etwas grundlegend anderes, denn man müsste dann zusätzlich begründen können, wieso das jeweilige Argument nur für eine bestimmte Gruppe gelten soll. Und wie eine solche Begründung aussehen könnte, wüsste ich jetzt nicht.

Die Punkte gelten meines Erachtens implizit immer erstmal nur für eine Gruppe, nämlich die, die sich diese Ethik gäbe. Es reicht völlig aus, wenn es ein Tötungstabu für Clanmitglieder gibt, da all die indirekten Zwecke auch so erreicht werden, etwa sich sicher zu fühlen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- Ein Tötungsverbot für Tiere könnte man analog begründen, da Tiere leidensfähig und vorbewußt sind. Man könnte empathisch argumentieren, daß man Angst haben und Mißbrauch befürchten muß von jemandem, der ein Tier töten kann (2-5).
(5) wäre wohl nicht auf Tiere anwendbar.

Hmm ... vieleicht habe ich (5) nicht genau verstanden, ich dachte z.B. ähnlich wie bei (2) daran, daß jemand, der einen Hund als Haustier hat, schockiert sein könnte, wenn ein anderer einen Hund schlachtet.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
(2) könnte bei geeigneten Maßnahmen vermieden werden.

Das gilt aber auch für Menschen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und bei (3) und (4) (bzgl. Verlässlichkeit) könnte man un-empathisch argumentieren, dass das Tötungsverbot gegenüber Menschen anscheinend auch bei einem nicht bestehenden Tötungsverbot von Tieren funktioniert, d.h. eine Angst vor Missbrauch von Metzgern ist AFAIK nicht weit verbreitet.

Das ist richtig, aber dieses Argument enthält mE sehr viel de-facto aus unserer Kultur.
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AgentProvocateur
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Beitrag(#1285752) Verfasst am: 09.05.2009, 22:15    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- Im Fall irreversibler Komapatienten griffe nur (4), und (4) ist (siehe auch unten) das schwächste Argument.
Zumindest (3) scheint mir in solchen Fällen ebenfalls zu greifen (auch wenn man nur solche Fälle nimmt, in denen (2) keine Rolle spielt).

Ich hatte (3) so verstanden, daß die Angst und Unsicherheit Dritter durch Empathie mit möglichem Leiden des zu Tötenden entsteht. Das könnte aber durch Aufklärung vermieden werden.

Ich verstehe das anders und zwar als existenzielle Bedrohung für den Einzelnen. Wenn der getötet werden kann, wenn er im Koma liegt, dann werde ich vielleicht auch getötet, wenn ich im Koma liege. Weiß nicht, ob man diese Angst durch den Appell "ist doch egal, ob Du getötet wirst, wenn Du im irreversiblen Koma liegst, weil Du doch dann eh nichts mehr mitbekommst" vermeiden kann. Ich denke ja eher nicht.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wieso hältst Du (4) für das schwächste Argument (unten seh' ich nix)?

Weil (4) am ehesten als Argument gegen alles mögliche verwendet werden kann. "Unten" hatte ich als Beispiel Schlachtung von Tieren gebracht, man könnte aber auch an Soldaten denken. Dehnt man das Gebiet von der Tötung auf andere Gebiete aus, ist man schnell von "Dammbuchargument" beim moralischen Fundamentalismus. Beispielweise könnten bestimmte Gedanken Dammbrüche auslösen, oder auch bestimmtes Wissen.

Es ist schon richtig, dass Dammbruchargumente übertrieben werden können. Darüber sagt Birnbacher auch einiges. Aber das bedeutet nicht, dass sie deswegen grundsätzlich irrelevant wären.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- Im Fall abgetriebener Embryonen griffe keiner der Punkte, es sei denn man macht Zusatzannahmen, etwa die genannte Äquivalenzdoktrin oder Seelenglaube.
Naja, (4) griffe hier eventuell. Dazu und zu (4), (dem Dammbruchargument), wird im verlinkten Artikel noch einiges gesagt.

Wieso sollte (4) hier greifen? Man könnte doch eine klare Grenze, z.B. 12. Woche, definieren, mit der Begründung, daß man eine klare und unzweifelhafte Grenze braucht.

Ok.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- In Gemeinschaften, die eine klare Abgrenzung nach außen haben, könnten die Punkte (1)-(5) erfüllt werden und dennoch die Tötung von Nicht-Gemeinschaftsmitgliedern erlaubt sein.
Das sehe ich überhaupt nicht so. Die Punkte könnten nur mit dem jeweiligen Zusatz "(gilt aber nur für die Gemeinschaft X)" erfüllt werden. Aber das wäre ja wohl etwas grundlegend anderes, denn man müsste dann zusätzlich begründen können, wieso das jeweilige Argument nur für eine bestimmte Gruppe gelten soll. Und wie eine solche Begründung aussehen könnte, wüsste ich jetzt nicht.

Die Punkte gelten meines Erachtens implizit immer erstmal nur für eine Gruppe, nämlich die, die sich diese Ethik gäbe. Es reicht völlig aus, wenn es ein Tötungstabu für Clanmitglieder gibt, da all die indirekten Zwecke auch so erreicht werden, etwa sich sicher zu fühlen.

Natürlich kann man begründungslos ein Tötungstabu etablieren. Aber darum geht es doch hier nicht, es geht doch um eine Begründung. Und obige Argumentation beruht auf gewissen Eigenschaften und Fähigkeiten. Daher kann man sie nicht auf eine Gruppe X beschränken, wenn Gruppe Y dieselben Voraussetzungen erfüllt. Ich sehe jedenfalls kein Argument dafür.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- Ein Tötungsverbot für Tiere könnte man analog begründen, da Tiere leidensfähig und vorbewußt sind. Man könnte empathisch argumentieren, daß man Angst haben und Mißbrauch befürchten muß von jemandem, der ein Tier töten kann (2-5).
(5) wäre wohl nicht auf Tiere anwendbar.

Hmm ... vieleicht habe ich (5) nicht genau verstanden, ich dachte z.B. ähnlich wie bei (2) daran, daß jemand, der einen Hund als Haustier hat, schockiert sein könnte, wenn ein anderer einen Hund schlachtet.

Nein, es ist so gedacht: Angenommen, Wesen mit dem Merkmal A werden aufgrund von A als lebensunwert eingestuft und sollen daher bedenkenlos getötet werden können. Das würde von bereits existierenden selbstbewussten Wesen mit A, die sich mit der Gruppe der Träger von A identifizieren, als Unwerturteil über sich verstanden werden.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
(2) könnte bei geeigneten Maßnahmen vermieden werden.

Das gilt aber auch für Menschen.

Menschen haben ein ganz gutes Kommunikationssystem und Menschen, deren Angehörige /Freunde / Bekannte einfach so verschwinden, können ganz schön hartnäckig sein und auf die Dauer ziemlich nerven. Daher wird das bei Menschen sehr viel schwieriger und zumindest in größerem Maßstab nicht möglich sein. Aber auch bei Einzelfällen ist eher damit zu rechnen, dass es herauskommt.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und bei (3) und (4) (bzgl. Verlässlichkeit) könnte man un-empathisch argumentieren, dass das Tötungsverbot gegenüber Menschen anscheinend auch bei einem nicht bestehenden Tötungsverbot von Tieren funktioniert, d.h. eine Angst vor Missbrauch von Metzgern ist AFAIK nicht weit verbreitet.

Das ist richtig, aber dieses Argument enthält mE sehr viel de-facto aus unserer Kultur.

Du meinst jetzt "die jetzige menschliche Kultur allgemein", richtig?

Inwiefern, mit welcher Grundlage und in welche Richtung sollte unsere Kultur diesbezüglich geändert werden?
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Zumsel
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Beitrag(#1285901) Verfasst am: 10.05.2009, 11:10    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
Ich zweifle auch an, ob eine Ethik, die sich nur auf die Ratio stützt, überhaupt dazu geeignet wäre, Verhältnisse zu schaffen, die wir für wünschenwert halten.


Es kann keine Ethik geben, die sich nur auf die Ratio stützt, da Rationalität für sich genommen kein Wert ist. Und wenn eine Ethik Verhältnisse schafft, die niemand für wüschenswert hält, kann sie auch nicht rational sein, sondern höchstens Pseudorational. Pseudorational meint hier, dass sie zwar bestimmte formale Kriterien erfüllt, die zuvor für "rational" erklärt wurden, diese Kriterien aber offenkundig nicht den Menschen und seine tatsächlichen Bedürfnisse adäquat widerspiegeln. Darum halte ich auch nix vom Utilitarismus. Menschen sind zu komplex und in ihrem Streben von zu vielen, teils einander widerstrebenden Motiven bewegt, als dass sich guten Gewissens konkrete Ziele benennen ließen, an deren Erreichen sich alles Handeln zu orientieren habe. Der Mensch ist nun mal zu einem nicht unbedeutenden Teil irrational. Das kann eine Ethik nicht einfach ignorieren. Hinzu kommt, dass vermeintlich rationale Gründe häufig gar nicht die tatsächliche Ursache bestimmter moralischer Überzeugungen sind, sondern als Begründung für eigene Präferenzen nachträglich erst gesucht wurden.

step hat folgendes geschrieben:
Und schließlich bliebe mir immer noch das Gebiet der Entmystifizierung ethischer Mechanismen, auch wenn dies keine normative, sondern nur deskriptive Kraft hätte.


Indirekt hat das sehr wohl normative Kraft, da die Aufdeckung von Irrtümern Änderungen bedingen kann. In der Tat halte ich das für die einzige Möglichkeit, Ethik rational und wissenschaftlich zu betreiben. Und eine gründliche Beschreibung ist nun wirklich alles andere als eine leichte Aufgabe. Es ist sogar erheblich schwieriger als moralische Prämissen (die meist ohnehin nur eigene Vorurteile widerspiegeln) zu verkünden und sich dazu fragwürdige Begründungen aus den Fingern zu saugen
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step
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Beitrag(#1285978) Verfasst am: 10.05.2009, 13:12    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Und schließlich bliebe mir immer noch das Gebiet der Entmystifizierung ethischer Mechanismen, auch wenn dies keine normative, sondern nur deskriptive Kraft hätte.
Indirekt hat das sehr wohl normative Kraft, da die Aufdeckung von Irrtümern Änderungen bedingen kann. In der Tat halte ich das für die einzige Möglichkeit, Ethik rational und wissenschaftlich zu betreiben. Und eine gründliche Beschreibung ist nun wirklich alles andere als eine leichte Aufgabe. Es ist sogar erheblich schwieriger als moralische Prämissen (die meist ohnehin nur eigene Vorurteile widerspiegeln) zu verkünden und sich dazu fragwürdige Begründungen aus den Fingern zu saugen

Da stimme ich Dir zu.
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Beitrag(#1286042) Verfasst am: 10.05.2009, 14:57    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn der getötet werden kann, wenn er im Koma liegt, dann werde ich vielleicht auch getötet, wenn ich im Koma liege. Weiß nicht, ob man diese Angst durch den Appell "ist doch egal, ob Du getötet wirst, wenn Du im irreversiblen Koma liegst, weil Du doch dann eh nichts mehr mitbekommst" vermeiden kann. Ich denke ja eher nicht.

Ich denke eher schon, weil diese Angst ja auf falschen intuitiven Annahmen über die Kontinuität der Person beruht. Ähnlich wie wenn Kinder Angst vor Gespenstern haben. Daß solche Ängste überwunden werden können, zeigt auch die kulturelle Entwicklung. Ich sehe aber ein, daß dies ein schwieriger Prozeß ist.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Es ist schon richtig, dass Dammbruchargumente übertrieben werden können. Darüber sagt Birnbacher auch einiges. Aber das bedeutet nicht, dass sie deswegen grundsätzlich irrelevant wären.

Richtig, aber das wollte ich auch nicht gesagt haben. Mir ging es eher darum, daß Dammbruchargumente an anderer Stelle auch nicht so zählen und sie immer im Verdacht eines Behelfsarguments stehen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Die Punkte gelten meines Erachtens implizit immer erstmal nur für eine Gruppe, nämlich die, die sich diese Ethik gäbe. Es reicht völlig aus, wenn es ein Tötungstabu für Clanmitglieder gibt, da all die indirekten Zwecke auch so erreicht werden, etwa sich sicher zu fühlen.
... es geht doch um eine Begründung. Und obige Argumentation beruht auf gewissen Eigenschaften und Fähigkeiten. Daher kann man sie nicht auf eine Gruppe X beschränken, wenn Gruppe Y dieselben Voraussetzungen erfüllt. ...

Mein Punkt war, daß die Ziele, die Deine Begründungspunkte enthalten, für die Mitglieder einer Gemeinschaft auch dann erreicht werden können, wenn sie nicht für Außenstehende gelten, auch wenn diese ähnliche Eigenschaften haben und vielleicht sogar ein ähnliches Tötungsverbot.

step hat folgendes geschrieben:
[zu (5)] Angenommen, Wesen mit dem Merkmal A werden aufgrund von A als lebensunwert eingestuft und sollen daher bedenkenlos getötet werden können. Das würde von bereits existierenden selbstbewussten Wesen mit A, die sich mit der Gruppe der Träger von A identifizieren, als Unwerturteil über sich verstanden werden.

Ich nehme an, Du meinst den Fall, daß die Wesen mit A, die getötet werden sollen, keine Personen sind, sondern z.B. Embryonen, oder? Ich würde dagegen einwenden:
- Wäre eine Tötung von Embryonen mit Merkmal A erlaubt (nicht: vorgeschrieben), dokumentieren die poteniellen Eltern damit ein bestimmtes Ziel. Es wäre durchaus möglich, das klar zu trennen von einer Bewertung bereits existierender Personen mit Merkmal A, z.B. über die Punkte (1), (2) oder (3). Ich sehe nicht, warum z.B. ein aus genetischen Gründen Taubstummer es unethisch finden sollte, wenn Eltern versuchen, ein nicht-taubstummes Kind zu bekommen.

- Wenn man indirekten Unwerturteilen eine so hohe ethische Bedeutung beimißt, sollte man vor allem erstmal bei den direkten Unwerturteilen anfangen: Arme, Häßliche, Dumme, Ausländer usw. sind in unserer Gesellschaft de facto weniger wert!

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[in bezug auf Tiere] (2) könnte bei geeigneten Maßnahmen vermieden werden.
Das gilt aber auch für Menschen.
Menschen haben ein ganz gutes Kommunikationssystem und Menschen, deren Angehörige /Freunde / Bekannte einfach so verschwinden, können ganz schön hartnäckig sein und auf die Dauer ziemlich nerven. Daher wird das bei Menschen sehr viel schwieriger und zumindest in größerem Maßstab nicht möglich sein. Aber auch bei Einzelfällen ist eher damit zu rechnen, dass es herauskommt.

Ja, das ist sicher richtig. Man könnte aber immerhin auch bei Menschen vermeiden, daß interessierte Dritte unter der Tötung leiden, indem man deren Interessen explizit berücksichtigt. Z.B. indem man Zwangsabtreibungen verbietet. Der Punkt ist nicht etwa, daß ich gegen ein Tötungsverbot geliebter Angehöriger wäre, sondern daß bezüglich (2) eine Analogie zu den Tieren damit herzustellen wäre, daß man jeweils die Fälle interessierter Dritter ausschließt. Ich gebe zu, daß die beim Menschen häufiger der Fall sind als z.B. in der Fischzucht. Aber mir ging es ja auch nicht darum, Menschen und Tiere dieselben Rechte zuzuweisen, sondern nur, krasse Inkonsistenzen zu hinterfragen, etwa Embryo vs. ausgewachsenes Schlachttier.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und bei (3) und (4) (bzgl. Verlässlichkeit) könnte man un-empathisch argumentieren, dass das Tötungsverbot gegenüber Menschen anscheinend auch bei einem nicht bestehenden Tötungsverbot von Tieren funktioniert, d.h. eine Angst vor Missbrauch von Metzgern ist AFAIK nicht weit verbreitet.
Das ist richtig, aber dieses Argument enthält mE sehr viel de-facto aus unserer Kultur.
Du meinst jetzt "die jetzige menschliche Kultur allgemein", richtig?

Ja, bzw. die vorherrschende zumindest. Wie oben schon angedeutet, könnte ich hier analog argumentieren:

"In einem Kannibalenstamm oder einer kriegerischen Reiterkultur hat das gruppeninterne Tötungsverbot gegenüber Menschen anscheinend auch bei einem nicht bestehenden Tötungsverbot von AUßenstehenden funktioniert, d.h. eine Angst vor Missbrauch von Kriegern war AFAIK nicht weit verbreitet."

Ich will damit sagen, daß mE mehr oder weniger JEDE Ethik funktioniert, wenn sie hinreichend stabil und verbindlich implementiert ist. Wenn Tiere einen niedrigen Wert im Vergleich zu Menschen haben, geschieht es sozusagen automatisch, daß niemand Angst vor Metzgern hat.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Inwiefern, mit welcher Grundlage und in welche Richtung sollte unsere Kultur diesbezüglich geändert werden?

Grundlage sollten Fakten und Interessen sein.

Fakten: Schmerzforschung, Bewußtseinsforschung, Aufklärung über intuitive Fehlschlüsse in bezug auf Personen, Entscheidungen, Seelen usw.
Interessen: Welche Ziele haben wir, individuell und konsent?

Einige Beispiele werden ja immer wieder diskutiert, hier eine ganz subjektive Auswahl:
- Abtreibung bis zur x-ten Woche nicht nur straffrei, sondern legal
- Euthanasie mit Patientenverfügung legal
- Strafe nur präventiv
- Massentierhaltung höherer Tiere verbieten
- ...
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Beitrag(#1286054) Verfasst am: 10.05.2009, 15:16    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Ich zweifle auch an, ob eine Ethik, die sich nur auf die Ratio stützt, überhaupt dazu geeignet wäre, Verhältnisse zu schaffen, die wir für wünschenwert halten.

Das mag schon sein. Offensichtlich war aber bisher eine Ethik, die sich nicht auf die Ratio stützt, ebenfalls nicht besonders gut geeignet, Verhältnisse zu schaffen, die wir für wünschenwert halten.

Das ist richtig.


step hat folgendes geschrieben:

Und wenn wir nicht verlangen, daß Werteabwägungen rational hinterfragt[...]


Hm, das wäre ein Missverständnis, meinen Einwand so zu verstehen.

step hat folgendes geschrieben:
[...] und Wertesysteme logisch einigermaßen konsistent sind[...]

Entscheidend ist wohl das Wörtchen "einigermaßen". Und welchen Stellenwert wir Konsistenz zuweisen.
step hat folgendes geschrieben:
[...]dann wird natürlich eine Diskussion über Ethik generell so gut wie unmöglich.

Das sehe ich wirklich nicht. Meines Erachtens wird eine Diskussion über Ethik erst gehaltvoll, wenn wir ungenannte und vielleicht unerkannte Prämissen aufdecken, die wir nicht schlüssig ableiten können.
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Beitrag(#1286074) Verfasst am: 10.05.2009, 16:03    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
[...] und Wertesysteme logisch einigermaßen konsistent sind[...]
Entscheidend ist wohl das Wörtchen "einigermaßen". Und welchen Stellenwert wir Konsistenz zuweisen.

Ja. Einerseits ist es wohl nicht möglich, völlige Konsistenz herzustellen, ähnlich wie bei Wahlverfahren. Andererseits birgt jede Inkosistenz die Gefahr, alles ableitbar zu machen und wenig überzeugend zu sein. Und schließlich ist Konsistenz natürlich nicht selbst ein Ziel oder Wert, sondern eher eine Randbedingung.

zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
[...]dann wird natürlich eine Diskussion über Ethik generell so gut wie unmöglich.
Das sehe ich wirklich nicht. Meines Erachtens wird eine Diskussion über Ethik erst gehaltvoll, wenn wir ungenannte und vielleicht unerkannte Prämissen aufdecken, die wir nicht schlüssig ableiten können.

Da sehe ich den Widerspruch zu meiner Aussage nicht. Eine Diskussion erfordert eine bestimmte gemeinsame rationale Basis, z.B. verständliche Begriffe und logische Nachvollziehbarkeit. In dem von Dir genannten Fall kann die Diskussion selbstverständlich die Aufdeckung der unreflektierten Prämissen beinhalten. Wenn aber jemand einen ethischen Wert einfach postuliert, ohne ihn mit einem nachvollziehbaren Ziel oder Interesse begründen zu können, ist an dieser Stelle die Diskussion über die Berechtigung dieses Wertes letztlich am Ende.
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Beitrag(#1286088) Verfasst am: 10.05.2009, 16:31    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:

step hat folgendes geschrieben:
Und schließlich bliebe mir immer noch das Gebiet der Entmystifizierung ethischer Mechanismen, auch wenn dies keine normative, sondern nur deskriptive Kraft hätte.


Indirekt hat das sehr wohl normative Kraft, da die Aufdeckung von Irrtümern Änderungen bedingen kann. In der Tat halte ich das für die einzige Möglichkeit, Ethik rational und wissenschaftlich zu betreiben. Und eine gründliche Beschreibung ist nun wirklich alles andere als eine leichte Aufgabe. Es ist sogar erheblich schwieriger als moralische Prämissen (die meist ohnehin nur eigene Vorurteile widerspiegeln) zu verkünden und sich dazu fragwürdige Begründungen aus den Fingern zu saugen


Ja.
Mit folgenden Anmerkungen. Ich verstehe den wissenschaftlichen Anspruch hier nicht, bzw lehne ihn ab, soweit das eine Einschränkung auf Naturwissenschaft bedeuten soll. Ich bin mir aber nicht so ganz sicher, erwähne das abe vorsichtshalber in diesem Umfeld.
Der andere Punkt. Wir müssen zwischen der Verkündung und Offenlegung moralischer Prämissen unterscheiden. Die Offenlegung sollte als unabdingbar für eine Diskussion gelten. Wie mit diesen Prämissen zwischen opponierenden Parteien umgegangen wird, scheint mir gesamtgesellschaft sowohl diskursiv als auch in Praxii von entscheidender Bedeutung zu sein.
Auch sollten wir anerkennen, daß wir, zumindest beim Eintritt in eine Diskusion immer versuchen unsere Vorbehalte zu rationalisieren. Finde ich zunächst mal nicht kritikwürdig, wenn es später dazu kommt, darüber zu reflektieren.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Ich zweifle auch an, ob eine Ethik, die sich nur auf die Ratio stützt, überhaupt dazu geeignet wäre, Verhältnisse zu schaffen, die wir für wünschenwert halten.


Es kann keine Ethik geben, die sich nur auf die Ratio stützt, da Rationalität für sich genommen kein Wert ist. Und wenn eine Ethik Verhältnisse schafft, die niemand für wüschenswert hält, kann sie auch nicht rational sein, sondern höchstens Pseudorational. Pseudorational meint hier, dass sie zwar bestimmte formale Kriterien erfüllt, die zuvor für "rational" erklärt wurden, diese Kriterien aber offenkundig nicht den Menschen und seine tatsächlichen Bedürfnisse adäquat widerspiegeln.

Das halte ich für unzureichend argumentiert, sobald wir in eine Phase treten, in der der Mensch sich selber als biologisch formbares Wesen begreift und sich anschickt, Individuen und damit auch die Gesellschaft durch unterschiedliche Techniken zu formen.
An diesen Punkt der Diskussion sind wir schon manchmal gelangt, und mein Eindruck war, daß sich hier tatsächlich ein Graben auftut. Auf der einen Seite eine Ethik, grob gesagt, die propagiert, ohne ein Menschenbild auszukommen (wie auch? - der Mensch wird zum formbaren Wesen), auf der anderen Seite eine Ethik, die bemüht ist, zunächst prinzipiell allen menschlichen Individuen bestimmte unveräusserbare Fähigkeiten/Rechte zuzuweisen.
Konkret gefragt, wie stünden wir zu einem Gesellschafts-Enwurf, der unterschiedlich kreierte Menschentypen propagiert, beispielsweise sehr kräftige, genügsame aber auch glückliche und zufriedene, deren IQ auf maximal 60 begrenzt wäre?
Dieser, in meinen Augen monströsen Utopie (die sich ja noch viel weiter ausbauen lässt), hat eine Ethik ohne Menschenbild nichts entgegenzusetzen - wenn sie es denn überhaupt will. Ich lasse mich natürlich gerne eines Besseren belehren.
Aber ich könnte niemals eine Ethik, oder einen Gesellschafts-Entwurf, der auf diese Ethik baut, akzeptieren. Und mir ist klar, daß ich das letztlich wohl kaum rational begründen kann. Um diesen Punkt geht mir.
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AgentProvocateur
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Beitrag(#1286109) Verfasst am: 10.05.2009, 16:55    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn der getötet werden kann, wenn er im Koma liegt, dann werde ich vielleicht auch getötet, wenn ich im Koma liege. Weiß nicht, ob man diese Angst durch den Appell "ist doch egal, ob Du getötet wirst, wenn Du im irreversiblen Koma liegst, weil Du doch dann eh nichts mehr mitbekommst" vermeiden kann. Ich denke ja eher nicht.

Ich denke eher schon, weil diese Angst ja auf falschen intuitiven Annahmen über die Kontinuität der Person beruht. Ähnlich wie wenn Kinder Angst vor Gespenstern haben. Daß solche Ängste überwunden werden können, zeigt auch die kulturelle Entwicklung. Ich sehe aber ein, daß dies ein schwieriger Prozeß ist.

Ich denke aber nicht, dass diese Ängste auf falschen intuitiven Annahmen über die Kontinuität der Person beruhen und denke daher auch nicht, dass sie durch Aufklärung wegerklärt werden können. Die Angst vor Gespenstern ist dazu deswegen nicht richtig analog. Es gibt keine Gespenster, aber Menschenbilder, die nicht auf aktuellen Fähigkeiten beruhen, sondern eher eine Gesamtsicht haben, sind nicht per se falsch. Das wäre der Punkt, auf den wir uns erst mal einigen müssten.

step hat folgendes geschrieben:
Mein Punkt war, daß die Ziele, die Deine Begründungspunkte enthalten, für die Mitglieder einer Gemeinschaft auch dann erreicht werden können, wenn sie nicht für Außenstehende gelten, auch wenn diese ähnliche Eigenschaften haben und vielleicht sogar ein ähnliches Tötungsverbot.

Oh, ach so. Du wolltest das aber als Einwand gegen die Argumente von Birnbacher verwenden und der Zusammenhang ist mir nicht klar.

step hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
[zu (5)] Angenommen, Wesen mit dem Merkmal A werden aufgrund von A als lebensunwert eingestuft und sollen daher bedenkenlos getötet werden können. Das würde von bereits existierenden selbstbewussten Wesen mit A, die sich mit der Gruppe der Träger von A identifizieren, als Unwerturteil über sich verstanden werden.

Ich nehme an, Du meinst den Fall, daß die Wesen mit A, die getötet werden sollen, keine Personen sind, sondern z.B. Embryonen, oder?

Jein. Wenn es eine Grenze gibt, bis zu der Abtreibung als generell ethisch unbedenklich angesehen wird, dann sind die Gründe für eine solche Abtreibung wohl unwesentlich.

Das Problem entsteht nur dann, wenn man hinter dieser Grenze Abtreibung zwar als ethisch unzulässig ansieht, jedoch dann als zulässig, wenn Merkmal A vorliegt.

step hat folgendes geschrieben:
Ich sehe nicht, warum z.B. ein aus genetischen Gründen Taubstummer es unethisch finden sollte, wenn Eltern versuchen, ein nicht-taubstummes Kind zu bekommen.

Es ist ja genau umgekehrt: das Unwerturteil entstünde dann, wenn nicht-taubstumme Embryos / Föten ab der Grenze X nicht mehr abgetrieben werden dürften, taubstumme Embryos / Föten aber schon und zwar deswegen, weil sie taubstumm sind / werden.

step hat folgendes geschrieben:
- Wenn man indirekten Unwerturteilen eine so hohe ethische Bedeutung beimißt, sollte man vor allem erstmal bei den direkten Unwerturteilen anfangen: Arme, Häßliche, Dumme, Ausländer usw. sind in unserer Gesellschaft de facto weniger wert!

Das eine schließt ja das andere nicht aus.

step hat folgendes geschrieben:
Der Punkt ist nicht etwa, daß ich gegen ein Tötungsverbot geliebter Angehöriger wäre, sondern daß bezüglich (2) eine Analogie zu den Tieren damit herzustellen wäre, daß man jeweils die Fälle interessierter Dritter ausschließt. Ich gebe zu, daß die beim Menschen häufiger der Fall sind als z.B. in der Fischzucht.

Ist mir jetzt nicht klar. Vielleicht mal ein Beispiel?

step hat folgendes geschrieben:
Aber mir ging es ja auch nicht darum, Menschen und Tiere dieselben Rechte zuzuweisen, sondern nur, krasse Inkonsistenzen zu hinterfragen, etwa Embryo vs. ausgewachsenes Schlachttier.

Eine krasse Inkonsistenz gibt es bei bestimmten Grundannahmen. Aber nicht generell.

step hat folgendes geschrieben:
Wie oben schon angedeutet, könnte ich hier analog argumentieren:

"In einem Kannibalenstamm oder einer kriegerischen Reiterkultur hat das gruppeninterne Tötungsverbot gegenüber Menschen anscheinend auch bei einem nicht bestehenden Tötungsverbot von AUßenstehenden funktioniert, d.h. eine Angst vor Missbrauch von Kriegern war AFAIK nicht weit verbreitet."

Ich will damit sagen, daß mE mehr oder weniger JEDE Ethik funktioniert, wenn sie hinreichend stabil und verbindlich implementiert ist. Wenn Tiere einen niedrigen Wert im Vergleich zu Menschen haben, geschieht es sozusagen automatisch, daß niemand Angst vor Metzgern hat.

Klar funktioniert jede Ethik, wenn sie hinreichend stabil und verbindlich implementiert ist (denn das ist ja nur eine andere Umschreibung für "funktionieren"). Nur ist mir, wie gesagt, nicht klar, worauf Du eigentlich hinauswillst.

Tiere haben in unserer Gesellschaft offensichtlich einen wesentlich niedrigeren Wert als Menschen. Die Frage hier wäre halt, ob das falsch ist und wenn ja, warum.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Inwiefern, mit welcher Grundlage und in welche Richtung sollte unsere Kultur diesbezüglich geändert werden?

Grundlage sollten Fakten und Interessen sein.

Fakten: Schmerzforschung, Bewußtseinsforschung, Aufklärung über intuitive Fehlschlüsse in bezug auf Personen, Entscheidungen, Seelen usw.
Interessen: Welche Ziele haben wir, individuell und konsent?

Einige Beispiele werden ja immer wieder diskutiert, hier eine ganz subjektive Auswahl:
- Abtreibung bis zur x-ten Woche nicht nur straffrei, sondern legal
- Euthanasie mit Patientenverfügung legal
- Strafe nur präventiv
- Massentierhaltung höherer Tiere verbieten
- ...

Mal grundsätzlich gesagt, stimme ich Dir dabei zu, dass es wichtig und richtig ist, Grundlagen der Ethik zu hinterfragen und aufzuzeigen, auch evtl. Fehlschlüsse zu zeigen und diese zu korrigieren.

Nur, ob dahinter mal die echte Wahrheit aufscheint, ob es also letztlich eine logische, rationale einzig richtige Lösung gibt, das bezweifele ich erst mal.

Wir beide zum Beispiel können uns ja noch nicht einmal darauf einigen, was "Personen" und "Entscheidungen" nun in Wirklichkeit sind und wie man sie sehen muss.

Auch bei Deinen Beispielen werden wir wahrscheinlich nicht unbedingt die gleiche Meinung haben.
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Beitrag(#1286122) Verfasst am: 10.05.2009, 17:24    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich denke aber nicht, dass diese Ängste auf falschen intuitiven Annahmen über die Kontinuität der Person beruhen und denke daher auch nicht, dass sie durch Aufklärung wegerklärt werden können. Die Angst vor Gespenstern ist dazu deswegen nicht richtig analog. Es gibt keine Gespenster, aber Menschenbilder, die nicht auf aktuellen Fähigkeiten beruhen, sondern eher eine Gesamtsicht haben, sind nicht per se falsch. Das wäre der Punkt, auf den wir uns erst mal einigen müssten.

Genau. Und da kann die Wissenschaft helfen, zumindest mitelfristig.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Mein Punkt war, daß die Ziele, die Deine Begründungspunkte enthalten, für die Mitglieder einer Gemeinschaft auch dann erreicht werden können, wenn sie nicht für Außenstehende gelten, auch wenn diese ähnliche Eigenschaften haben und vielleicht sogar ein ähnliches Tötungsverbot.
Oh, ach so. Du wolltest das aber als Einwand gegen die Argumente von Birnbacher verwenden und der Zusammenhang ist mir nicht klar.

Naja, der Zusammenhang ist, daß die 5 Punkte nicht begründen, warum das Tötungsverbot auch für Außenstehende gelten soll.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Das Problem entsteht nur dann, wenn man hinter dieser Grenze Abtreibung zwar als ethisch unzulässig ansieht, jedoch dann als zulässig, wenn Merkmal A vorliegt.

Ja, das wäre prinzipiell bedenklich. In dem Fall hat man eben eine schwierige Interessensabwägung. Also ähnlich wie z.B. bei Notwehr oder anderen Interessenskonflikten.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Ich sehe nicht, warum z.B. ein aus genetischen Gründen Taubstummer es unethisch finden sollte, wenn Eltern versuchen, ein nicht-taubstummes Kind zu bekommen.
Es ist ja genau umgekehrt: das Unwerturteil entstünde dann, wenn nicht-taubstumme Embryos / Föten ab der Grenze X nicht mehr abgetrieben werden dürften, taubstumme Embryos / Föten aber schon und zwar deswegen, weil sie taubstumm sind / werden.

Dennoch würde ich von dem Taubstummen erwarten, daß er seine Eigenart als zwar voll akzeptiert, aber nicht auch noch für zukünftige Menschen erwünscht ansieht. Es erschiene mir irgendwie heuchlerisch.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Tiere haben in unserer Gesellschaft offensichtlich einen wesentlich niedrigeren Wert als Menschen. Die Frage hier wäre halt, ob das falsch ist und wenn ja, warum.

Aus meiner Sicht ist es falsch, Tiere zu quälen, nur um sie zu essen, und es ist auch falsch, bestimmten Erscheinungsformen menschlichen Lebens, z.B. Embryonen, an denen kein Interesse Dritter besteht, einen prinzipiell höheren Stellenwert zu geben als ausgewachsenen höheren Tieren. Ich begründe das, wie bekannt, mit Personeneigenschaften, Leidensfähigkeit, Interessenabwägungen und indirekten Argumenten. Birnbachers Liste und auch den Artikel finde ich nicht schlecht, aber auch kein schlagendes Argument gegen die Tierschutzposition.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nur, ob dahinter mal die echte Wahrheit aufscheint, ob es also letztlich eine logische, rationale einzig richtige Lösung gibt, das bezweifele ich erst mal.

So weit würde auch ich nicht gehen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wir beide zum Beispiel können uns ja noch nicht einmal darauf einigen, was "Personen" und "Entscheidungen" nun in Wirklichkeit sind und wie man sie sehen muss.

Aber wir sind uns schon in vielem mehr einig, und haben schon einen viel rationaleren Zugang, als noch vor 100 oder gar 2000 Jahren der Fall.
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Beitrag(#1286192) Verfasst am: 10.05.2009, 20:44    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
Ich verstehe den wissenschaftlichen Anspruch hier nicht, bzw lehne ihn ab, soweit das eine Einschränkung auf Naturwissenschaft bedeuten soll.


Es soll bedeuten, dass es hier wirklich nur um Beschreibung gehen kann. Und zwar eine möglichst umfassende und objektive. Das ist, zumal im Bereich der Ethik, nur schwer zu realisieren. Und selbstverständlich ist es nur mit Biologie nicht getan. Reduktionistische Tendenzen, wie sie etwa in der Soziobiologie zum Ausdruck kommen, sind grobe Verkürzungen, die eher in den Bereich der spekulativen Naturphilosophie denn der Wissenschaft fallen. Natürlich kommt man nicht ohne die Beachtung historischer, kultureller, gesellschaftlicher und auch psychologischer Tatsachen aus. Das macht dieses Thema ja gerade so anspruchsvoll und spannend.

zelig hat folgendes geschrieben:
Die Offenlegung sollte als unabdingbar für eine Diskussion gelten. Wie mit diesen Prämissen zwischen opponierenden Parteien umgegangen wird, scheint mir gesamtgesellschaft sowohl diskursiv als auch in Praxii von entscheidender Bedeutung zu sein.


Das stimmt, für eine fruchtbare Diskussion ist vor allem Ehrlichkeit notwendig.

zelig hat folgendes geschrieben:
Auch sollten wir anerkennen, daß wir, zumindest beim Eintritt in eine Diskusion immer versuchen unsere Vorbehalte zu rationalisieren.


Und genau da beginnen meist schon die Tricksereien. Daher lernt man in vielen ethischen Diskussionen auch mehr über Rabulistik und Verschleierungstaktiken als über Ethik und die tatsächlichen Beweggründe der Disputanten.

zelig hat folgendes geschrieben:
Finde ich zunächst mal nicht kritikwürdig, wenn es später dazu kommt, darüber zu reflektieren.


Wenn die Positionen dann nicht schon zu festgefahren sind.

zelig hat folgendes geschrieben:
An diesen Punkt der Diskussion sind wir schon manchmal gelangt, und mein Eindruck war, daß sich hier tatsächlich ein Graben auftut. Auf der einen Seite eine Ethik, grob gesagt, die propagiert, ohne ein Menschenbild auszukommen (wie auch? - der Mensch wird zum formbaren Wesen), auf der anderen Seite eine Ethik, die bemüht ist, zunächst prinzipiell allen menschlichen Individuen bestimmte unveräusserbare Fähigkeiten/Rechte zuzuweisen.


Wer Individuen "formen" will hat aber ein sehr konkretes Menschenbild, nämlich meist sein eigenes Ideal. Oder wie Nietzsche so schön über den Moralisten spottete: "Er malt sich an die Wand und sagt dazu: Ecce homo." Wer vorgibt, Menschen "verbessern" zu wollen, will sie tatsächlich nur SEINEM Ideal angleichen. Bis zu einem gewissen Grad ist das auch unumgehbar. Denn jeder wird von seiner Umgebung geprägt und übt seinerseits Einfluss auf seine Umgebung aus. Sobald dieser Einfluss aber übermächtig wird und ein bestimmtes Ideal sich anschickt alle übrigen Menschentypen zu vertilgen, sei es durch extremen, moralisierenden Druck, sei es durch eine den Willen der "Feinde" brechende und knechtende Religion oder Ideologie, sei es durch ausgefeilte Indoktrination, sei es durch Zucht und genetische Veränderung, ist die Grenze dessen, was meine Moral, letztlich wohl mein ästhetisches Empfinden, für erträglich hält, überschritten. Besonders wenn, wie oben geschildert, die Angleichung an ein bestimmtes Ideal zur allgemeine Verbesserung stilisiert wird.

zelig hat folgendes geschrieben:
Dieser, in meinen Augen monströsen Utopie (die sich ja noch viel weiter ausbauen lässt), hat eine Ethik ohne Menschenbild nichts entgegenzusetzen - wenn sie es denn überhaupt will. Ich lasse mich natürlich gerne eines Besseren belehren.


Eine gründliche Analyse könnte aber die falschen Prämissen dieser Utopie offen- und vor allem ihre tatsächlichen Motive bloßlegen. Ich glaube, eine wie auch immer geartete Tyrannei eines bestimmten Menschenbildes würde keine Akzeptanz finden. Aber gerade um solche Exzesse zu verhindern, ist es notwendig, die Komplexität der Ethik und menschlichen Verhaltens zu verdeutlichen und ins Bewusstsein zu bringen. Damit man eben nicht vermeintlichen Heilsbringern auf den Leim geht.
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AgentProvocateur
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Anmeldungsdatum: 09.01.2005
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Beitrag(#1286336) Verfasst am: 11.05.2009, 00:43    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Mein Punkt war, daß die Ziele, die Deine Begründungspunkte enthalten, für die Mitglieder einer Gemeinschaft auch dann erreicht werden können, wenn sie nicht für Außenstehende gelten, auch wenn diese ähnliche Eigenschaften haben und vielleicht sogar ein ähnliches Tötungsverbot.

Oh, ach so. Du wolltest das aber als Einwand gegen die Argumente von Birnbacher verwenden und der Zusammenhang ist mir nicht klar.

Naja, der Zusammenhang ist, daß die 5 Punkte nicht begründen, warum das Tötungsverbot auch für Außenstehende gelten soll.

skeptisch Jetzt stehe ich wieder auf dem Schlauch, habe es also wohl doch nicht verstanden. Wenn man die Argumente anerkennt, dann gelten sie doch automatisch auch für Außenstehende mit den gleichen Fähigkeiten / Eigenschaften, die für die Argumente relevant sind. Möchte man Außenstehende ausschließen, dann kann man die Argumente nicht einfach unverändert übernehmen, man muss sie dann modifizieren, also Zusatzannahmen einführen. Es wäre mAn völlig absurd, zu verlangen, man müsse für jede beliebige Gruppe von Individuen extra begründen, warum die Argumente auch für diese Gruppe gelten sollten (solange sich die Gruppe in den für die Argumente relevanten Eigenschaften nicht von einer anderen Gruppe unterscheidet).

Natürlich kann man ein Tötungsverbot nur für die eigene Gruppe fordern und auch etablieren. Aber nicht mit diesen Argumenten, also kann das kein Einwand gegen die Argumente sein.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Tiere haben in unserer Gesellschaft offensichtlich einen wesentlich niedrigeren Wert als Menschen. Die Frage hier wäre halt, ob das falsch ist und wenn ja, warum.

Aus meiner Sicht ist es falsch, Tiere zu quälen, nur um sie zu essen, und es ist auch falsch, bestimmten Erscheinungsformen menschlichen Lebens, z.B. Embryonen, an denen kein Interesse Dritter besteht, einen prinzipiell höheren Stellenwert zu geben als ausgewachsenen höheren Tieren. Ich begründe das, wie bekannt, mit Personeneigenschaften, Leidensfähigkeit, Interessenabwägungen und indirekten Argumenten. Birnbachers Liste und auch den Artikel finde ich nicht schlecht, aber auch kein schlagendes Argument gegen die Tierschutzposition.

Birnbachers Liste ist gar nicht als Argument gegen eine Tierschutzposition gedacht. Es geht dabei nur um das Tötungsverbot.

Zu allgemeineren Überlegungen über Tierethik habe ich diesen Artikel gefunden, auch von Birnbacher. Sehr interessant, finde ich. Ich mag ja Birnbachers Art, zu argumentieren. (Im Gegensatz zu Hoerster, aber allzuviel habe ich noch nicht von dem gelesen, ist also nur ein eher flüchtiger erster Eindruck.)

Ich finde Birnbachers Überlegungen im verlinkten Artikel im Großen und Ganzen ziemlich plausibel, habe also keinen wesentlichen Einwand.

Könnte übrigens mal jemand Hoersters Argumentation, (um die es ja in diesem Thread eigentlich gehen soll), dazu kurz zusammenfassen? jagy? Vielleicht bringt das eine andere Sichtweise, so dass man ein bisschen vergleichen könnte.
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#1286697) Verfasst am: 11.05.2009, 18:59    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Zu allgemeineren Überlegungen über Tierethik habe ich diesen Artikel gefunden, auch von Birnbacher. Sehr interessant, finde ich.

Ich finde Birnbachers Überlegungen im verlinkten Artikel im Großen und Ganzen ziemlich plausibel, habe also keinen wesentlichen Einwand.

Danke für den link. Auch ich stimme Birnbacher in den allermeisten Punkten dieses Artikels zu. (**) Insbesondere seine Kriterien für Tierversuche, die mit Leid einhergehen, und für die Tötung von Tieren (deren Verbot ich genau wie Birnbacher als schwieriger zu begründen ansehe) decken sich im wesentlichen mit meinen und resultieren darin, daß man Tiere artgerecht halten und schmerz- und panikfrei schlachten muß.

In bezug auf die Frage, inwiefern man analoge Kriterien auf alle vergleichbaren Wesensformen anwenden sollte (also die Position zum Speziesismus), scheint mir Birnbacher eine ähnliche Linie wie Singer zu vertreten. Andererseits ist nach seiner von Dir zuvor zusammengefaßten Position zum menschlichen Tötungsverbot nicht klar, wie stark er diverse indirekte Effekte wichtet. Vielleicht sollte ich den anderen Artikel doch mal lesen.

(**) Auf die Schnelle konnte ich nur einen einzigen Kritikpunkt finden, und zwar teile ich seine Meinung nicht, das "quantitätsethische Argument" sei plausibel.
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Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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