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Moralisches Handeln
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Zumsel
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Anmeldungsdatum: 08.03.2005
Beiträge: 4667

Beitrag(#1321200) Verfasst am: 03.07.2009, 11:50    Titel: Antworten mit Zitat

NOCQUAE hat folgendes geschrieben:
Aber: die Tatsache, dass ich mir in den meisten Fällen nicht darüber bewußt bin, warum ich moralisch handle, heißt nicht, dass es keine Gründe dafür gibt. Und das Argument des moralisch-Handelns-als-Selbstzweck läuft letztlich darauf Hinaus, dass es keine Gründe für dieses Handeln gäbe,...


Diese Vorstellung hat ihren Ursprung, wie auch das Konzept absoluter Erkenntnis, in der Idee des "reinen Geistes". Man nimmt, gewollt oder nicht, einen Primat des Geistes bzw. der Vernunft an. Woher kommt das? Nun, Erkenntnis ist ihrer Natur gemäß geistig. Vollkommen kann sie demnach nur sein, wenn sie von allem nichtgeistigen gereinigt ist. Und so, folgert man, kann auch Moral nur vollkommen sein, wenn sie von jedem ordinären Motiv gereinigt ist. Häufig bekommt man auf Nachfrage auch zu hören, dass das einzig wahre moralische Handlungsmotiv Mitleid sein könne. Wömöglich weil im Handeln aus Mitleid kein unmittelbar erkennbarer Zweck für den Handelnden liegt und die Handlung daher dem Ideal der "Reinheit" noch am denkbar nächsten kommt.

Ieldra hat folgendes geschrieben:
Die Frage ist also: gibt es so etwas wie emergente Autonomie? Wenn ja, dann stimmt unser intuitives Freiheitsempfinden zumindest teilweise mit der Wirklichkeit überein, anderenfalls ist es eine Illusion, und mit ihm unser komplettes Selbstbild als wenigstens teilweise autonome Individuen.


Existiert dieses Selbstbild in dieser Form überhaupt? Es bei jedem Einzelnen ins Wanken zu bringen, ist jedenfalls nicht sonderlich schwierig. Man muss ihn nur immerfort mit "Warum"-Fragen quälen. Irgendwann wird das zwangsläufig bei Erklärungsansätzen enden, die vollständig außerhalb seiner selbst liegen. Dazu brauchts weder tiefergehende Reflektionen über Determinismus und Zufälligkeit, noch Kenntnisse über biochemische Vorgänge im Gehirn. Genausowenig wie es beispielsweise fundierter Kenntnisse über den Aufbau eines technischen Gerätes bedarf um zu erkennen, dass es (das Gerät) nicht Schuld ist, wenn es mal wieder "rumspinnt". Trotzdem entlädt sich die Wut häufig erst mal gegen das Gerät, weil es eben das einzig greifbare, zumindest aber das erstbeste Objekt ist, mit dem man die mißliche Lage identifizieren und auf das man seine Wut projizieren kann. Im Prinzip auf ähnliche Weise entlädt sich die Wut über ein erlittenes Unglück gegen den "Täter" (falls vorhanden). Und da man diese Wut "geheiligt" sehen möchte, baut man ein metaphysisches Konstrukt der "Freiheit" drumherum.

Damit möchte ich übrigens nicht gesagt habe, dass JEDES Freiheitskonzept zu verwerfen sei. Nur glaube ich, dass man den Ursprung solcher Vorstellungen nicht so ohne weiteres in der "menschlichen Natur" finden wird und ohne dabei gesellschaftliche und kulturelle Zusammenhänge zu bedenken.
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
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Beitrag(#1321377) Verfasst am: 03.07.2009, 15:58    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
Die Unterscheidung zw wesentlich und unwesentlich scheint mir etwas hm.. anthropozentrisch zu sein.

Unwesentlich in dem Sinne, daß aktuelle Haundlungsentscheidungen davon nicht signifikant abhängen. Denn hier ging es ja genau darum und nicht um den Urknall oder so. Das hat mit anthropozentrisch mE nichts zu tun.
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Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#1321382) Verfasst am: 03.07.2009, 16:04    Titel: Antworten mit Zitat

Ieldra hat folgendes geschrieben:
Ich kann nicht ausschließen, dass aus der Kombination von Determiniertheit und Zufälligkeit, die wir auf der biochemischen Ebene finden, nicht qualitativ andere Eigenschaften entstehen.

Ich kann ausschließen, daß in einer Wiederholung derselben Situation signifikant oft eine abweichende Entscheidung getroffen wird. Und zwar egal was für emergente Eigenschaften entstehen mögen oder wie Bewußtsein funktioniert.

Ieldra hat folgendes geschrieben:
Die Frage ist also: gibt es so etwas wie emergente Autonomie? Wenn ja, dann stimmt unser intuitives Freiheitsempfinden zumindest teilweise mit der Wirklichkeit überein, anderenfalls ist es eine Illusion, und mit ihm unser komplettes Selbstbild als wenigstens teilweise autonome Individuen. Ich meine, das sollten wir nicht leichtfertig wegwerfen.

Ja, das Dilemma besteht also vor allem dann, wenn man an dem intuitiven Selbstbild hängt.
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Ascanius
abnorm



Anmeldungsdatum: 14.06.2005
Beiträge: 375
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1321831) Verfasst am: 04.07.2009, 08:08    Titel: Antworten mit Zitat

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Du magst nach Herzenslust leugnen und ignorieren: die Gültigkeit logischer Schlüsse bleibt davon unberührt.


Ich habe keine Ahnung was ich nach deiner Meinung leugnen soll. Der Kommentar ist so unverständlich. Auch kann ich nur sagen, dass wir völlig darin übereinstimmen, das die Gültigkeit logischer Schlüsse von persönlichen Ansichten unberührt bleibt, sondern ausschließlich von der Korrektheit der Prämissen und der Durchführung logischer Operationen abhängig ist.

Welche deiner Aussagen willst du so charakterisieren?


"Entweder, man befolgt das, was man für den Willen "Gottes" hält, oder aber nicht. Entweder, man handelt ethisch motiviert, oder aber nicht."

"Religion und Ethik schließen einander aus, denn eine Handlung kann nur entweder religiös oder ethisch motiviert sein."

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
ballancer hat folgendes geschrieben:
Was zählt ist die Tat. Ob da Instinkt, ethische Reflektion, Selbstlosigkeit, Erziehung oder Tradition desn Ausschlag gab ist für mich sekundär. Wenn das Ergebnis gut ist, dann ist es auch moralisch.


To-tal falsch! Ich zitiere aus meinem Amazon-Kommentar zu Singers Praktischer Ethik:

"Singer gesteht religiösen Ethiken zu viel zu, indem er verkennt, daß nicht nur das Ergebnis, sondern immer auch die Motivation in die moralische Bewertung einer Handlung mit einbezogen werden muß. Ein Verzicht darauf hätte die absurde und auch für die ethische Didaktik katastrophale Folge, daß man einen Mordanschlag für moralisch gut halten müßte, nur weil er mißlungen ist und z.B. einem Blinden das Augenlicht wiedergegeben hat. Dasselbe gilt für Handlungen aus Gehorsam, die dadurch gekennzeichnet sind, daß ihnen eben keine moralischen Erwägungen zugrundeliegen."


Zum ersten kann eine Ansicht zur Bewertung der Moral nur dann falsch sein, wenn die Darstellung nicht dem Denken entspricht.


Was genau willst Du damit sagen?

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ferner kannst du nicht voraussetzen, dass man sich auf Ansichten von dir bezieht, die du irgend wann einmal geäußert haben magst, sondern erst, wenn du diese hier bringst.


Habe ich ja: "Nur ethisch motivierte Handlungen sind (mehr oder weniger erfolgreicherweise) moralisch." Durch Nachdenken hättest Du auch selbst auf untermauernde Beispiele für diese Aussage kommen können, aber einfach erstmal widersprechen ist natürlich bequemer.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Und dazu ist dein Beispiel ungeeignet. Denn die Tat selber war ein Mordanschlag als Ergebnis.


Nein, das Ergebnis des Mordanschlages war wiedergewonnenes Augenlicht (überhaupt: wie kann etwas sein eigenes Ergebnis sein???)!

ballancer hat folgendes geschrieben:
Und dieser kann unmittelbar, unabhängig vom weiteren Ergebnis und Folgeketten moralisch beurteilt werden.


Nö. Angenommen, der "Mörder" hätte eigentlich auf jemanden gezielt, der gerade versucht, eine alte Dame totzuknüppeln. Die Handlung wäre dieselbe, das Ergebnis wäre dasselbe, aber alles müßte vollkommen anders bewertet werden. Es ist schockierend, daß Du solche Erklärungen nötig zu haben scheinst!

ballancer hat folgendes geschrieben:
Sie unterscheidet sich damit grundlegend von Motiven, die aus einer Gemegelage kaum seriös beurteilt werden können.


Beispiele?

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
"Der moralische Wert einer Handlung besteht ... wesentlich in ihrer Ausgewogenheit:

1. Folgt sie aus dem Prinzip des Gehorsams, ist sie anti-moralisch. Dieselbe Handlung kann - je nach Motivation - moralisch gut oder antimoralisch sein.

2. Fehlt die Berücksichtigung der Bedürfnisse und Interessen mindestens eines der direkt oder indirekt betroffenen empfindungsfähigen Wesen, ist sie un-moralisch. Dieselbe Handlung kann - je nach Motivation - moralisch gut oder unmoralisch sein.


Hier haben wir eben völlig unterschiedliche Beurteilungen. Aus dem Faktum das zwei Menschen widersprüchliche Ansichten vertreten, lässt sich kein objektives richtig oder falsch ableiten.


Es geht nicht um unterschiedliche "Beurteilungen" und "Ansichten" sondern um logische Widersprüche. Die kannst Du nur auflösen, indem Du die Begriffe "Gehorsam" oder "irgendein Antrieb" und "ethische Motivation" synonym setzt - ein rein semantisches Manöver, das nirgendwohin führt.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Persönlich halte ich deine Ansicht für falsch, denn der Intellekt kann fehlerhaft arbeiten.


Zum Denken stehen uns leider nichts Anderes als unsere neuronalen Systeme zur Verfügung. Erfreulicherweise sind sie enorm plastisch, und das ist unsere Chance.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Er kann sich mit falschen Argumenten zu verkehrten Prämissen auch nur minderwertige Ergebnisse liefern. Er kann sich massiv selbst betrügen, um eigene Interessen zu kaschieren und vieles mehr.


Genau deswegen muß sich jedes moralische Subjekt fortwährend vor sich selbst und ggf. auch vor Anderen rechtfertigen. Fehler sollten Lernprozesse und Korrekturen nach sich ziehen, während Erfolge als Vorbild dienen können: Nur ethisch motivierte Handlungen sind moralisch, und nur moralische Handlungen können Vorbildcharakter haben. Die moralische Qualität und der Vorbildcharakter einer Handlung ist - entsprechend meiner ersten Äußerung in diesem Thread - nur über die Frage nach ihrem Warum zu ermitteln.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Darum ist der Wert der Reflektion nur dann positiv, wenn er auch ein positiv zu bewertende Ergebnis hat.


Woran erkennt man den "positiven" Wert einer Reflexion, bzw. ein "positiv" zu bewertendes Ergebnis? Warum sollte es keine "positiven" Reflexionen mit "negativen" Resultaten geben (und umgekehrt)?

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
3. Werden die Bedürfnisse und Interessen mindestens eines der direkt oder indirekt betroffenen empfindungsfähigen Wesen unangemessen gewichtet, ist eine Handlung moralisch fehlerhaft."


Auch dieses Kriterium ist ungeeignet, denn in der Regel bestehen Interessenkonflikte, die nicht leicht auflösbar sind.


Na und? Die Lösung von Interessenkonflikten aller Art gehört zu den Kernaufgaben der Ethik - bitte aufwachen!!!

ballancer hat folgendes geschrieben:
Die Einschätzung über Angemessenheit ist also gegenstand des persönlichen Urteils, dass nicht objektivierbar ist.


Was willst Du damit aussagen? Persönliche Urteile sind begründbar, und Begründungen treffen zu oder nicht. Auch "Angemessenheit" ist also prüfbar und nicht vollkommen beliebig.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Beispiele: Spätabtreibungen, Wachkoma-Patienten, demente Menschen, Schweine, Hühner ... gelten sie als empfindungsfähigen Wesen, deren Interessen berücksichtigt werden müssen? In welcher Priorität?


Das kommt auf die konkreten Umstände an und natürlich darauf, ob die betroffenen Wesen überhaupt Interessen haben, unter deren Mißachtung sie leiden würden.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Warum sollte die Empfindungsfähigkeit ein Kriterium sein.


Ganz einfach: weil die Weigerung, Leidensfähigkeit als notwendiges und hinreichendes Merkmal moralischer Objekthaftigkeit anzuerkennen, absurde bis monströse Implikationen hat. Selbstverständlich darfst Du gern einen Alternativvorschlag unterbreiten und die systematischen Grundzüge einer gänzlich anderen Ethik (?) skizzieren.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Faktisch ist vielmehr nur belegt, dass die eigene Empfindungsfähigkeit das Verhalten beeinflusst.


Stimmt, aber wogegen willst Du mit dieser Aussage argumentieren?

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
"Was ist Ethik, bzw. wozu soll sie dienen und warum? Welches sind demzufolge ihre Referenzobjekte? Bitte vorsichtshalber um äußerste begrifflich-logische Genauigkeit!"


Meine Ansicht:

1. Es gibt ein absolutes Gut und Böse,


Definiere die Begriffe "Gut" und "Böse" und bestimme den ontologischen Status ihrer Bezugsobjekte! (Gibt es eigentlich auch ein "relatives" Gut und Böse?)

ballancer hat folgendes geschrieben:
aber dies vermögen wir nur aus subjektiver Perspektive


Was bedeutet "subjektive Perspektive"?

ballancer hat folgendes geschrieben:
und unter dem Vorbehalt des Irrtums und der Lüge zu erkennen.


Ja und? Das liegt nun mal in der Natur von Erkenntnissen und ihren symbolischen Repräsentationen. Allerdings können wir aus Irrtümern und Lügen lernen, sobald wir sie als solche identifiziert haben.

ballancer hat folgendes geschrieben:
2. Gutes Verhalten hat seinen Wert an sich


Was ist "gutes Verhalten"?

ballancer hat folgendes geschrieben:
und wird durch seine Übereinstimmung mit dem Guten zum moralischen Handeln.


M.a.W.: Moralisches Handeln ist gutes Verhalten, das mit dem Guten übereinstimmt - am besten, Du nimmst rasch Deine Medikamente und versuchst es dann noch einmal.

ballancer hat folgendes geschrieben:
die Motivation ist zweitrangig, und kann auch höchst unterschiedlich sein.


Aha. Ein Mann ist gewaltsam zu Tode gekommen. Die Täterin wird kurz darauf gefaßt. Stimmt ihre Handlung mit "dem Guten" oder "dem Bösen" überein? Warum? Wie erkennt man das?

ballancer hat folgendes geschrieben:
3. Gesellschaftlich ist moralisches Handeln immer als Übereinstimmung mit den (jeweils) gültigen moralischen Werten zu verstehen.


Was sind "moralische Werte"?

ballancer hat folgendes geschrieben:
Allerdings ist die Gültigkeit konkreter Werte oftmals umstritten.


Wie prüft man die "Gültigkeit" konkreter "Werte"?

ballancer hat folgendes geschrieben:
4 Ethik nutzt die Mittel der Vernunft,


Was bezeichnest Du als "Vernunft"?

ballancer hat folgendes geschrieben:
um durch Reflektion der Werte diese zu überprüfen und dadurch eine qualitative Verbesserung des Wertesystems und der daraus abgeleiteten Handlungen zu erwirken.


Nach welchen Gesichtspunkten reflektiert und prüft man "Werte", und was macht eine "qualitative Verbesserungen des Wertesystems" aus? Worin besteht die Systemizität von Wertesystemen?

ballancer hat folgendes geschrieben:
5. Ethik bezieht sich immer auf eine Letztbegründung!


Was bezeichnest Du als "Letztbegründung" (im Unterschied zu "Begründung"?).

ballancer hat folgendes geschrieben:
Denn selbst wenn man diese als relativ darstellt und sich von einer Objektivität distanziert,


Da "relativ" das Gegenteil von "absolut" und "Objektivität" das Gegenteil von "Subjektivität" ist, verstehe ich nicht, was Du sagen willst.

ballancer hat folgendes geschrieben:
dann ist die Ablehnung des Objektiven an dieser Stelle eine Letztbegründung, die sich funktional nicht von einer objektiven Letztbegründung unterscheidet.


Leider hast Du meine Fragen nicht beantwortet, und auch von begrifflich-logischer Genauigkeit ist weit und breit nichts zu erkennen. Also noch einmal: Was ist Ethik, bzw. wozu soll sie dienen und warum? Welches sind demzufolge ihre Referenzobjekte? Solange Du ungeklärte Begriffe zu unverständlichen Aussagen verquirlst, muß ich annehmen, daß Du keine Ahnung hast, wovon Du redest.
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Ascanius
abnorm



Anmeldungsdatum: 14.06.2005
Beiträge: 375
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Beitrag(#1321835) Verfasst am: 04.07.2009, 08:12    Titel: Antworten mit Zitat

@ Zumsel:

Aus Deinem Beitrag scheint ablesbar zu sein, daß Du mit den Strukturen utilitaristischer Ethiken noch nicht recht vertraut bist. Um unseren Austausch nicht unnötig zerfleddern zu lassen, will ich mich um Kondensation bemühen.

Es ist der philosophischen Klarheit nicht zuträglich, den ethisch bedeutsamen Unterschied zwischen Befehlen/Geboten/Gesetzen und wohlbegründeten Selbstverpflichtungen mit dem Begriff "Imperativ" zu verwischen.

Anderen (z.B einem "Gott") gefallen zu wollen, um Vorteile davon zu haben (z.B. der "Hölle" zu entgehen), ist ein egoistisches Motiv, denn der Handelnde versäumt es, seine Bedürfnisse und Interessen (B&I) mit jenen der Betroffenen seines Tuns unter egalitärer Berücksichtigung von Vorhandensein und Ausprägung ethisch relevanter Eigenschaften (erE) zum Zwecke der Vorbeugung, Linderung und Beseitigung von Leid abzuwägen. Egoismus aber ist die Minimalform faschistischen Denkens und Handelns, das essenziell darin besteht, gleichartige (insbesondere ethisch relevante) Eigenschaften unterschiedlicher Lebewesen nach Belieben zu mißachten oder vorsätzlich unangemessen zu gewichten.

Der Utilitarismus setzt eine wissenschaftskompatible (also rationalistisch-antireligiöse) Metaphysik voraus. Nur, wer hinreichend zutreffendes Wissen über die Welt besitzt, kann sie zielgenau und zum Wohle aller moralischen Objekte verändern. Ein entwickeltes moralisches Subjekt ist also auch wissenschaftlich-philosophisch gebildet.

In der Tat gehe ich davon aus, daß nicht gezwungenermaßen leiden zu wollen ein Hauptantrieb aller leidensfähigen Wesen und der einzig erfolgversprechende Angelpunkt eines ethischen Konsenses ist. Wie sollte es überhaupt eine Ethik ohne diesen Konsens geben können? Nötigenfalls muß er eben durch moralphilosophische Bildung hergestellt werden, die ohnehin baldestmöglich die traditionelle irrationalistische Massenverdummung ersetzen sollte.

Selbstverständlich kann man Defekte diagnostizieren, ohne "Vollkommenheit" (?) auch nur für möglich zu halten! So finden sich in traditionellen Ethiken unprüfbare und logisch oder empirisch falsche Aussagen, absurde Forderungen mit katastrophalen Implikationen und faschistische Denkmuster. All das gilt es in einer funktionalen Ethik zu vermeiden. Die ersten Schritte dorthin sind klare Begriffsdefinitionen und Zweckbestimmungen, also: Her mit Deinen Ideen, wenn Du welche hast!
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ballancer
... leidet an dianoia ...



Anmeldungsdatum: 27.05.2007
Beiträge: 4767

Beitrag(#1322941) Verfasst am: 05.07.2009, 19:25    Titel: Antworten mit Zitat

Ascanius hat folgendes geschrieben:
ballancer hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
Du magst nach Herzenslust leugnen und ignorieren: die Gültigkeit logischer Schlüsse bleibt davon unberührt.


Ich habe keine Ahnung was ich nach deiner Meinung leugnen soll. Der Kommentar ist so unverständlich. Auch kann ich nur sagen, dass wir völlig darin übereinstimmen, das die Gültigkeit logischer Schlüsse von persönlichen Ansichten unberührt bleibt, sondern ausschließlich von der Korrektheit der Prämissen und der Durchführung logischer Operationen abhängig ist.

Welche deiner Aussagen willst du so charakterisieren?


"Entweder, man befolgt das, was man für den Willen "Gottes" hält, oder aber nicht. Entweder, man handelt ethisch motiviert, oder aber nicht."


Du wiederholst leere Aussagen, die nicht den geforderten Bedingungen entsprechen. Denn wie ist das definiert, was 'man' für den Willen Gottes hält? Ist dieses 'man' eine unspezifizierte Menge oder jeweils die individuelle Person, die die Regeln selbst bestimmt? Und warum hält 'man' das eine oder andere für den Willen Gottes? Als überlegung einer philosophsichen Reflektion? Einer meditativen Erkenntniss? Ein Offenbarungserlebnei? Ein unkritische Übernahme externer Vorgaben / Gehirnwäsche? Ein externe Projektion interner Wertvorstellungen?

Da all diese Deutungen fraglos möglich sind, sich aber erheblich widersprechen, sagt deine Aussage nichts und genügt als Leeraussage keiner Anforderung der Logik.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
"Religion und Ethik schließen einander aus, denn eine Handlung kann nur entweder religiös oder ethisch motiviert sein."


Das ist keine logische Aussage, sondern der Versuch, einer definitorischen Abgrenzung, die in der Philosophie als Extremmeinung eher skurril wirkt. Definitionen können geeignet sein, eine Verständigung zu erreichen oder auch nicht. Hier liegt eine Redefinitionsversuch von Begriffen vor, der m.E. nicht konsenzfähig ist.

Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
ballancer hat folgendes geschrieben:
Was zählt ist die Tat. Ob da Instinkt, ethische Reflektion, Selbstlosigkeit, Erziehung oder Tradition den Ausschlag gab ist für mich sekundär. Wenn das Ergebnis gut ist, dann ist es auch moralisch.


To-tal falsch! Ich zitiere aus meinem Amazon-Kommentar zu Singers Praktischer Ethik:

"Singer gesteht religiösen Ethiken zu viel zu, indem er verkennt, daß nicht nur das Ergebnis, sondern immer auch die Motivation in die moralische Bewertung einer Handlung mit einbezogen werden muß. Ein Verzicht darauf hätte die absurde und auch für die ethische Didaktik katastrophale Folge, daß man einen Mordanschlag für moralisch gut halten müßte, nur weil er mißlungen ist und z.B. einem Blinden das Augenlicht wiedergegeben hat. Dasselbe gilt für Handlungen aus Gehorsam, die dadurch gekennzeichnet sind, daß ihnen eben keine moralischen Erwägungen zugrundeliegen."


Zum ersten kann eine Ansicht zur Bewertung der Moral nur dann falsch sein, wenn die Darstellung nicht dem Denken entspricht.


Was genau willst Du damit sagen?


Richtig und falsch sind Begriffe, die die Darstellung eines Sachverhalts oder eine Schlussfolgerung bewerten. Was könnte sonst falsch sein? Eine Meinung?

Hier habe ich aber einen Bewertungsansatz geliefert, nämlich dass die Begründung eben nicht für die Bewertung der Tat liefert sondern die Wirkung. Dieser Ansatz beruht auf einem Urteil, die meinem Ethischen denken zugrunde liegt. Dieses kann weder falsch noch richtig sein, es sei denn, meine Darstellung entspräche nicht meinem Denken.

Bestenfalls könnte man meinem Urteil das Attribut 'falsch' dann zuweisen, wenn ich jenes wahrheitswidrig als einen gesellschaftlichen Konsens darstellte. Allerdings gibt es keinen entgegenstehenden Konsens, und zweitens habe ich auf einen solchen auch nicht Bezug genommen.

Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ferner kannst du nicht voraussetzen, dass man sich auf Ansichten von dir bezieht, die du irgend wann einmal geäußert haben magst, sondern erst, wenn du diese hier bringst.


Habe ich ja: "Nur ethisch motivierte Handlungen sind (mehr oder weniger erfolgreicherweise) moralisch." Durch Nachdenken hättest Du auch selbst auf untermauernde Beispiele für diese Aussage kommen können, aber einfach erstmal widersprechen ist natürlich bequemer.


Ich habe der Aussage widersprochen, weil ich sie für gefährlich halte. Du willst dem Denken und damit der Sophisterei ein Primat zuweisen, dass sie in der Ethik aller bedeutenden Stömungen der Geistesgeschichte nicht hat.

Im Besonderen ist das Konzept inkonsistent, da es kein logisch zwingendes ethisches Grundprinzip gibt. Dadurch kann jede Überlegung, die sich auf eine gegebenenfalls unkritisch adaptierte Prämisse bezieht, als moralsich deklariert werden. Damit wird plötzlich der Holocaust zu einer moralisch darstellbaren Tat. Geschockt

Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Und dazu ist dein Beispiel ungeeignet. Denn die Tat selber war ein Mordanschlag als Ergebnis.


Nein, das Ergebnis des Mordanschlages war wiedergewonnenes Augenlicht (überhaupt: wie kann etwas sein eigenes Ergebnis sein???)!


Die These Ereignisse in beliebig langen Kontext von Ereignissketten zu verstehen, um diese dann zu bewerten, ist m.E. unethisch. Denn somit kann man im einfachsten Fall von einer Rechtfertigung der Maxime sprechen: 'Der Zweck heiligt die Mittel' ... was ich für unethisch halte.

Eine Beurteilung einer Tat muss sich im Kontext der Intention bewegen, gegebenenfalls einer zumutbaren Wirkungsanalyse. Wenn also jemand besagte Explosion mit dem Ziel des Wiedergewinns der Sehkraft intendiert hat, aber andere (negative) Wirkungen obwohl erkennbar ignorierte, kann auch im Erfolgsfall mit der gerade genannten Problemstellung konfrontiert sein.

Da aber die von dir genannte Wirkung nicht beabsichtigt war, hat diese Explosion keinen Beitrag zur Moralität geleistet.

Anders dagegen Gott: Wenn dem, der allwissend ist, Ereignisse auslöst, die auch negativen Charakter haben können, aber letztlich zu einem guten Ergebnis führt, wäre das so ausgelöste Ereignis ggf. moralisch positiv zu diskutieren. Denn hier liegt eine völlig andere ethische Entscheidungsgrundlage vor als bei begrenzt erkennenden Menschen.


Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Und dieser kann unmittelbar, unabhängig vom weiteren Ergebnis und Folgeketten moralisch beurteilt werden.


Nö. Angenommen, der "Mörder" hätte eigentlich auf jemanden gezielt, der gerade versucht, eine alte Dame totzuknüppeln. Die Handlung wäre dieselbe, das Ergebnis wäre dasselbe, aber alles müßte vollkommen anders bewertet werden. Es ist schockierend, daß Du solche Erklärungen nötig zu haben scheinst!


In dem Falle wäre der Mörder kein Mord, weil ihm die Mordmerkmale fehlen, sondern je nach detaillierter Ausprägung moralische Nothilfe oder unmoralischer Totschlag. Die Beurteilung einer Tat steht in engem Zusammenhang mit der Intention, nicht aber mit unerwarteten Nebenwirkungen.

Was also schockiert dich?

Mich aber schockiert, dass du Handlung und Ergebnis als gleich beurteilst zu einem kaltblütigen Mord, der zur eigenen Vorteilnahme verübt wurde.,

... Fortsetzung folgt
_________________
1.Thessalonicher 5,21 "Prüft aber alles und das Gute behaltet."
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der kleine Fritz
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Anmeldungsdatum: 24.06.2005
Beiträge: 2183
Wohnort: Planet Erde

Beitrag(#1322958) Verfasst am: 05.07.2009, 19:51    Titel: Antworten mit Zitat

ballancer hat folgendes geschrieben:
.. Fortsetzung folgt


Allmächtiger Vater im Himmel, wenn es dich wirklich gibt, kannst du das nicht verhindern ... das wäre ein wahres Zeichen deiner Liebe und deines Mitgefühls für deine Geschöpfe!
Smilie Smilie Smilie
_________________
und Gott bleibt stumm....
um so eifriger schwatzen seine selbsternannten Missionare.
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Evilbert
auf eigenen Wunsch deaktiviert



Anmeldungsdatum: 16.09.2003
Beiträge: 42408

Beitrag(#1322960) Verfasst am: 05.07.2009, 19:52    Titel: Antworten mit Zitat

der kleine Fritz hat folgendes geschrieben:
ballancer hat folgendes geschrieben:
.. Fortsetzung folgt


Allmächtiger Vater im Himmel, wenn es dich wirklich gibt, kannst du das nicht verhindern ... das wäre ein wahres Zeichen deiner Liebe und deines Mitgefühls für deine Geschöpfe!
Smilie Smilie Smilie


Cliffhanger sind doch immer was feines.
Man kann dann in der Regel erwarten, dass die Serie abgesetzt wird. Teufel

edit: selbst das Erfolgswerk"Das Testament" hat es nur auf einen sehr umstrittenen 3. Teil gebracht.
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Zumsel
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Anmeldungsdatum: 08.03.2005
Beiträge: 4667

Beitrag(#1323247) Verfasst am: 06.07.2009, 11:07    Titel: Antworten mit Zitat

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Aus Deinem Beitrag scheint ablesbar zu sein, daß Du mit den Strukturen utilitaristischer Ethiken noch nicht recht vertraut bist. Um unseren Austausch nicht unnötig zerfleddern zu lassen, will ich mich um Kondensation bemühen.

Nur keine falsche Bescheidenheit.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Es ist der philosophischen Klarheit nicht zuträglich, den ethisch bedeutsamen Unterschied zwischen Befehlen/Geboten/Gesetzen und wohlbegründeten Selbstverpflichtungen mit dem Begriff "Imperativ" zu verwischen.


Es steht dir selbstverständlich frei, Begriffe so zu verwenden, wie du es für sinnvoll erachtes. Nur solltest du nicht davon ausgehen, dass jeder deine Definitionen teilt und von vorneherein mit ihnen vertraut ist. "Deine" Philosophie ist nicht das Maß der Dinge, es gibt auch andere Leute die sich Gedanken machen. Wenn du also einen Definitionsvorschlag für diese Diskussion zu machen gedenkst: nur zu. Aber unterlass diesese schulmeisterlichen Belehrungen. Damit offenbarst du letztlich nur deine eigene Ignoranz und auch Ahnungslosigkeit bezüglich anderer Philosophien.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Der Utilitarismus setzt eine wissenschaftskompatible (also rationalistisch-antireligiöse) Metaphysik voraus.


Das bestreite ich. Ich halte den Utilitarismus (wie die meisten "Begründungen" einer Moral) eher für einen plumpen Versuch, eigenen Vorurteilen den Anschein von Objektivität zu geben.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Nur, wer hinreichend zutreffendes Wissen über die Welt besitzt, kann sie zielgenau und zum Wohle aller moralischen Objekte verändern.


Bis zum Komma liest sich der Satz gar nicht mal schlecht. Aber dann diese verwegene Voraussetzung, dass es ein Bedürfnis gäbe, die Welt zum Wohle "aller moralischen Objekte" (was immer das heißen mag) zu verändern. Ich wiederhole meine Frage abermals: Was soll den Einzelnen zu derartigem Handeln motivieren? Warum drückst du dich so vor einer Antwort? Ist es die Angst, sich als Idealist zu outen?

Ascanius hat folgendes geschrieben:
In der Tat gehe ich davon aus, daß nicht gezwungenermaßen leiden zu wollen ein Hauptantrieb aller leidensfähigen Wesen und der einzig erfolgversprechende Angelpunkt eines ethischen Konsenses ist. Wie sollte es überhaupt eine Ethik ohne diesen Konsens geben können?


Leben bedeutet (auch) Leiden. Die effektivste Variante der Leidminimierung wäre eine möglichst rasche Vernichtung alles Lebens. Menschen leben nicht, um nicht Leiden zu müssen. Das Leben wird verkannt, wenn es auf diesen Aspekt reduziert wird. Ethik ist die Lehre vom "richtigen" Leben. In diesem Sinne wird eine Ethik umso besser, je mehr Aspekte des Lebens sie berücksichtigt. Bei einer Ethik der reinen Leidminimierung werden sämtliche anderen Aspekte zugunsten dieses Einen geopfert. In vielen utilitaristischen Modellen wird daher auch als oberstes Ziel nicht Leidminimierung genannt sondern Glücksmaximierung. Aber genau da treten die Probleme des utilitaristisches Ansatzes offen zu Tage. "Glück" ist ein dermaßen allgemeiner Begriff, das fast alles darunter verstanden werden kann. Ganz abgesehen davon, dass man gepflegt daran zweifeln darf, dass es wirklich "Glück" ist, wonach der Mensch strebt.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Selbstverständlich kann man Defekte diagnostizieren, ohne "Vollkommenheit" (?) auch nur für möglich zu halten!


Man muss aber eine Vorstellung von "Vollkommenheit" haben.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Die ersten Schritte dorthin sind klare Begriffsdefinitionen und Zweckbestimmungen, also: Her mit Deinen Ideen, wenn Du welche hast!


Die ersten Schritte sind m.E. eine umfassende Beschreibung der Entstehung und Ausformung ethischer Phänomene. Desweiteren eine gründliche Reflektion des eigenen Wollens und seiner Ursachen sowie eine Analyse der Konsequenzen des eigenen Handelns und des Handelns gemäß der bestehenden Moral. Eine "vernünftige" Ethik würde sich daraus von selbst ergeben. Der Mensch handelt dann einfach seinem Willens und seiner Bedürfnisse gemäß. Ethischer Handlungsvorschriften bedarf es ja nur, weil wir uns nicht zu jedem Zeitpunkt aller unserer Bedürfnisse und der Folgen unseres Handels bewusst sind und daher gewissermaßen abstrakte Ermahnungen benötigen, die sicherstellen, dass auch Bedürfnisse berücksichtigt werden, die im Augenblick der Tat nicht unmittelbar im Bewusstsein sind. Sie sorgen dafür, dass ein Gemeinwesen in einem halbwegs stabilen Zustand bleibt. Traditionell funktioniert das über Dogmen. Das Hauptproblem dabei ist, dass immer nur Teilaspekte berücksichtigt werden und auf Veränderungen nur gemächlich reagiert wird. Eine nichtdogmatische Ethik kann nur bei einem ausgesprochen hohen Maß an Bewusstheit funktionieren. Und selbst in diesem Falle wäre ich mir nicht sicher, da ich keine Wette darauf abschließen würde, dass der Mensch ein solch durch und durch rationales Wesen ist und igm ein entsprechend hoher Grad an Bewusstheit zuträglich wäre. Die Setzung konkreter Ziele (wie z.B. Leidminimierung) allerdings, ist keine Alternative, sondern bloß ein neues Dogma, eine andere Form der Vereinfachung.
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ballancer
... leidet an dianoia ...



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Beitrag(#1323575) Verfasst am: 06.07.2009, 20:56    Titel: Antworten mit Zitat

Sodenn zur angekündigten Fortsetzung:

Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Und dazu ist dein Beispiel ungeeignet. Denn die Tat selber war ein Mordanschlag als Ergebnis. Und dieser kann unmittelbar, unabhängig vom weiteren Ergebnis und Folgeketten moralisch beurteilt werden. Sie unterscheidet sich damit grundlegend von Motiven, die aus einer Gemegelage kaum seriös beurteilt werden können.


Beispiele?


Zitation erweitert. Es geht eben gerade nicht um das Ansammeln von Beispielen, die alles und nichts sagen, sondern die analytische Durchdringung der ethischen Problematik. Der von mir vorgeschlagene Bezugsrahmen eines moralischen Urteiles konzentriert sich auf die Tat und die unmittelbare Motivation, nicht eine beliebig lange Kette von Ereignissen vor und nach der Tat.

Weder rechtfertigen intendierte 'gute' Ergebnisse eine Handlung (Der Zweck heiligt die Mittel), noch gar die nicht-intendierte gute Wirkung.

Die Motivation, die allerdings in enger Tatverbindung steht, ist theoretisch ein relevantes Merkmal des moralischen Urteils. Dieses steht allerdings unter diversen erkenntnistheoretischen Problemen. Denn die Motivation eines Dritten kann oft eher nur erraten denn erkannt werden. Auch sind Darstellungen des Handelnden gegebenenfalls unter dem Verdacht der Lüge und der Selbsttäuschung zu sehen.

Ein Mensch täuscht sich bekannter weise oft selbst, indem er Taten rationalisiert und vor sich selber rechtfertigt. Darum ist der Versuch, die Gründe für eine vollzogene Tat zu ermitteln selbst für den Betroffenen nicht selbstverständlich. Ich glaube wohl, dass eine aufrichte Reflektion zu tiefgreifenden Erkenntnissen führen kann, aber eben nicht immer und auch nicht sicher.


Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
"Der moralische Wert einer Handlung besteht ... wesentlich in ihrer Ausgewogenheit:

1. Folgt sie aus dem Prinzip des Gehorsams, ist sie anti-moralisch. Dieselbe Handlung kann - je nach Motivation - moralisch gut oder antimoralisch sein.

2. Fehlt die Berücksichtigung der Bedürfnisse und Interessen mindestens eines der direkt oder indirekt betroffenen empfindungsfähigen Wesen, ist sie un-moralisch. Dieselbe Handlung kann - je nach Motivation - moralisch gut oder unmoralisch sein.


Hier haben wir eben völlig unterschiedliche Beurteilungen. Aus dem Faktum das zwei Menschen widersprüchliche Ansichten vertreten, lässt sich kein objektives richtig oder falsch ableiten.


Es geht nicht um unterschiedliche "Beurteilungen" und "Ansichten" sondern um logische Widersprüche. Die kannst Du nur auflösen, indem Du die Begriffe "Gehorsam" oder "irgendein Antrieb" und "ethische Motivation" synonym setzt - ein rein semantisches Manöver, das nirgendwohin führt.


Du verschleierst das Problem. Denn indem du den Wert des Gehorsams pauschal negativ bewertest, setzt du Werte in einer Weise, die eben keinen Konsens hat. Solange du deine private Ethik damit meinst, kann man inhaltlich dies durchaus diskutieren ... und auch andere Ansichten vertreten. Allerdings scheinst du mit deinem Verweis auf die Logik eben nicht die Transparenz deiner Werte zur Diskussion zu stellen, sondern versuchst die normative Setzung deiner Werte, gerade entgegen der bereits formulierten Setzung Anderer.

Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Aus dem Faktum das zwei Menschen widersprüchliche Ansichten vertreten, lässt sich kein objektives richtig oder falsch ableiten. Persönlich halte ich deine Ansicht für falsch, denn der Intellekt kann fehlerhaft arbeiten.


Zum Denken stehen uns leider nichts Anderes als unsere neuronalen Systeme zur Verfügung. Erfreulicherweise sind sie enorm plastisch, und das ist unsere Chance.


Unstrittig ist der positive Wert der Vernunft. Mit Hilfe des Denkens können wir allenthalben Fortschritte erzielen. Auch unsere Erkenntnis, dass Erkenntnis grundsätzlich begrenzt und fehlerbehaftet ist (Fallibilismus). Gerade das muss uns aber vor falscher Selbstsicherheit bewahren, Ansichten als absolut zu setzen. Das Beste, was wir an Sicherheit vertreten können, ist die Überzeugung, dass sich etwas so verhält, wie es jeweils die Person einschätzt. Manche nennen dies 'Glauben'.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
ballancer hat folgendes geschrieben:
Er kann sich mit falschen Argumenten zu verkehrten Prämissen auch nur minderwertige Ergebnisse liefern. Er kann sich massiv selbst betrügen, um eigene Interessen zu kaschieren und vieles mehr.


Genau deswegen muß sich jedes moralische Subjekt fortwährend vor sich selbst und ggf. auch vor Anderen rechtfertigen. Fehler sollten Lernprozesse und Korrekturen nach sich ziehen, während Erfolge als Vorbild dienen können: Nur ethisch motivierte Handlungen sind moralisch, und nur moralische Handlungen können Vorbildcharakter haben. Die moralische Qualität und der Vorbildcharakter einer Handlung ist - entsprechend meiner ersten Äußerung in diesem Thread - nur über die Frage nach ihrem Warum zu ermitteln.


Dem Satz an sich könnte ich zustimmen. Jedoch füllen wir ihn mit unterschiedlichen Inhalten und Werten, was sich in unserem Dissens ausdrückt. Denn für mich ist auch der wenig reflektive Wunsch, gut sein zu wollen, und sie Bereitschaft, als gut adaptierte Regeln dann als ethisch hochwertig zu beurteilen, wenn es keine klaren Gründe gibt, jene Regeln als unmoralisch zu disqualifizieren.

Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Darum ist der Wert der Reflektion nur dann positiv, wenn er auch ein positiv zu bewertende Ergebnis hat.


Woran erkennt man den "positiven" Wert einer Reflexion, bzw. ein "positiv" zu bewertendes Ergebnis? Warum sollte es keine "positiven" Reflexionen mit "negativen" Resultaten geben (und umgekehrt)?


Auch das habe ich bereits erläutert. Denn die Tat selber lässt sich etisch beurteilen. So ist ein Mord ethisch eben ein Widerspruch in die Rechte Dritter, und zwar nach fast allen ethischen Systemen. Konfliktpotential ensteht bei dem Dilemma das Tyrannenmordes. Hier besteht keine klare Antwort, die generell einen Mord an einem Tyrannen rechtfertigt, aber auch nicht die Verurteilung, die der Mörder des Tyrannen verdiene.

Das Aufstellen moralischer Dilemmata ergibt oft eine Klärung eigenen Denkens, Fühlens und Urteilens, aber nicht eine feststehende allgemeingültige ethische Klärung.

Eine Reflektion, die auch eloquent sein mag, letztlich aber nur der Rechtfertigung einer bösen Tat dient, ist darum eben nicht positiv, sondern ihrerseits moralisch verwerflich, also schlicht 'negativ' zu beurteilen.

Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
3. Werden die Bedürfnisse und Interessen mindestens eines der direkt oder indirekt betroffenen empfindungsfähigen Wesen unangemessen gewichtet, ist eine Handlung moralisch fehlerhaft."


Auch dieses Kriterium ist ungeeignet, denn in der Regel bestehen Interessenkonflikte, die nicht leicht auflösbar sind.


Na und? Die Lösung von Interessenkonflikten aller Art gehört zu den Kernaufgaben der Ethik - bitte aufwachen!!!


Was sollte eine derartige Kommunikationsform? Die eben bestehende Darstellung der Interessenkonflikte, die du selbst als Kernaufgabe verstehst, lässt sich eben nicht versteckt hinter Begriffen wie 'unangemessen' verstecken. Denn sonst sind diese Terme lediglich hohle Phrasen.

Immerhin setzt du diese Sätze ohne nähere Erklärung, aber mit dem Verweis: "Bitte vorsichtshalber um äußerste begrifflich-logische Genauigkeit!" Ich meine, die Inkonsistenz ist offensichtlich. Ausrufezeichen

Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Die Einschätzung über Angemessenheit ist also Gegenstand des persönlichen Urteils, dass nicht objektivierbar ist.


Was willst Du damit aussagen? Persönliche Urteile sind begründbar, und Begründungen treffen zu oder nicht. Auch "Angemessenheit" ist also prüfbar und nicht vollkommen beliebig.


Es ist nicht meine Auffassung, dass persönliche Urteile beliebig, oder gar 'vollkommen beliebig' seien. Diese lassen sich oftmals allerdings auf Grundüberzeugungen zurückführen, die letztlich irrational sind.

Und auch hier zur Klärung: 'irrational' ungleich 'beliebig', denn irrational heißt lediglich, dass die Quelle der Aussage nicht die Ratio ist. Da aber die Ratio nicht die einzige Erkenntnisquelle ist, ist alles, was nicht Ratio ist, damit auch noch nicht beliebig.

Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Beispiele: Spätabtreibungen, Wachkoma-Patienten, demente Menschen, Schweine, Hühner ... gelten sie als empfindungsfähigen Wesen, deren Interessen berücksichtigt werden müssen? In welcher Priorität?


Das kommt auf die konkreten Umstände an und natürlich darauf, ob die betroffenen Wesen überhaupt Interessen haben, unter deren Mißachtung sie leiden würden.


Genau! Hier sind wir nämlich am Punkt der Konkretisierung der Werte. Und dort wird es spannend. Ohne eine genauere Festlegung lässt sich sicher leichter ein Konsens erreichen, bleibt aber meist substanzlos. Eine Diskussion um Werte im Detail zeigt eher, was den Menschen bewegt und hilft in der Reflektion der eigenen Positionsbestimmung.


Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Warum sollte die Empfindungsfähigkeit ein Kriterium sein.


Ganz einfach: weil die Weigerung, Leidensfähigkeit als notwendiges und hinreichendes Merkmal moralischer Objekthaftigkeit anzuerkennen, absurde bis monströse Implikationen hat. Selbstverständlich darfst Du gern einen Alternativvorschlag unterbreiten und die systematischen Grundzüge einer gänzlich anderen Ethik (?) skizzieren.


Andere Ethik als was? Ich habe auf die Notwendigkeit der Identifikation der Werte hingewiesen. Dein Vorschlag, die Leidensfähigkeit als wichtiges, oder gar zentrales Kriterium zu etablieren, habe ich kritisch kommentiert.

Persönlich halte ich die Empfindungsfähigkeit auch für ein wichtiges Kriterium. Aber warum? Weil es eben so ist? Das kann nicht sein, denn es gibt nichts außer der Wert-Setzung, die diesem Wert etwas besonderes verleihen würde. Das zeigt sich vor allem in den Grenzbereichen:

- Die Empfindungsfähigkeit von Wachkoma-Patienten wird in der Regel als nicht gegeben angesehen, was sich manchmal aber als falsch erweist.

- Betäubte Menschen sind nicht mehr empfindungsfähig. Gilt dann die Schutzfunktion nicht mehr.

- Kritisch ist auch die Beurteilung von Dementen: Welche Empfindungen haben sie?

- Bei Tieren bis hin zum Wurm, zur Pflanze oder zum Einzeller: Die Reaktionen ähneln manchmal dem, was wir als Schmerzempfindung wahrnehmen ... aber die Organismen verfügen nicht über ein neuronales System. Woran definieren wir also Empfindungsfähigkeit? Ist ein höheres Säugetier Voraussetzung? Amphibien oder Vögel sind ausgeschlossen? Was ist mit möglichen künstlichen Lebensformen (A.I.) - sind diese auch empfindungsfähig?

Wir erkennen: Ein so scheinbar klarer Begriff wie 'Empfindung' entpuppt sich bei näherer Betrachtung als schwierig und kaum abgrenzbar. Wenn wir aber kein klare Abgrenzung haben, wie kann er dann Kriterium sein?

Was sind andere Kriterien, die sich mit diesem gegebenenfalls überschneiden, aber anders abgrenzen, z.B. mit 'menschlich' anstelle von 'empfindungsfähig', oder 'lebendig' (A. Schweitzer) oder ...

Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Faktisch ist vielmehr nur belegt, dass die eigene Empfindungsfähigkeit das Verhalten beeinflusst.


Stimmt, aber wogegen willst Du mit dieser Aussage argumentieren?


Eben dass der Begriff ohne nähere Bestimmung zu nichts taugt, außer Container für ungenannte Vorstellungen zu sein.

Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ascanius hat folgendes geschrieben:
"Was ist Ethik, bzw. wozu soll sie dienen und warum? Welches sind demzufolge ihre Referenzobjekte? Bitte vorsichtshalber um äußerste begrifflich-logische Genauigkeit!"


Meine Ansicht:

1. Es gibt ein absolutes Gut und Böse,


Definiere die Begriffe "Gut" und "Böse" und bestimme den ontologischen Status ihrer Bezugsobjekte! (Gibt es eigentlich auch ein "relatives" Gut und Böse?)


Das ist ein großes Thema, dass hier nicht erschöpfend behandelt werden kann. Nur soviel in der Kurzfassung: Gut und Böse sind Symbole der moralischen Bewertung. Nach meinem Dafürhalten besteht eine Grundfähigkeit des Menschen, Gut und Böse zu unterscheiden.

Heute kreist die Diskussion oft um die Frage, ob dieses persönliche Urteil zwischen Gut und Böse, also relativ zum Beurteilenden stehenden, einen übergeordneten Charakter, also ein absoluten Bezugspunkt habe. Hat es das nicht, kann man letztlich beliebiges als Gut und Böse behaupten, denn dieses Urteil läge nur im Auge des Betrachters. Ich vertrete die Position, dass es zur Grundbefindlichkeit der Welt gehört, dass es absolut Gutes und Böses gibt, nur haben wir die Schwierigkeit, diese sicher zu erkennen.

Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
aber dies vermögen wir nur aus subjektiver Perspektive


Was bedeutet "subjektive Perspektive"?


Unsere Sicht ist auf die des Betrachters beschränkt. Wir vermögen uns nicht so weit aus dieser Position zu entfernen, dass wir eine unbeschränkte Objektivität beanspruchen können.

Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
und unter dem Vorbehalt des Irrtums und der Lüge zu erkennen.


Ja und? Das liegt nun mal in der Natur von Erkenntnissen und ihren symbolischen Repräsentationen. Allerdings können wir aus Irrtümern und Lügen lernen, sobald wir sie als solche identifiziert haben.


Eben! Und da wir eben keinen zwingend festen Grund unter den Füßen haben, sind alle Aussagen nur unter dem Vorbehalt des Irrtums möglich. Dies schränkt den Gültigkeitsbereich unserer Ansprüche erheblich ein und wirft uns auf unsere Rolle des Überzeugt-Seienden, Fragenden, Irrenden und wankende moralische Instanz zurück.

Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
2. Gutes Verhalten hat seinen Wert an sich


Was ist "gutes Verhalten"?


Die Frage ist viel mehr: Was erkenne ich als gutes Verhalten? Da ja die Erkenntnis von Gut und Böse unter dem Vorbehalt des Irrtums steht, ich aber gleichsam von dieser Grundfähigkeit der Unterscheidung ausgehe, ist gerade die Erkenntnis und Bewertung der moralische Akt, die dem Handeln voraus geht.

Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
und wird durch seine Übereinstimmung mit dem Guten zum moralischen Handeln.


M.a.W.: Moralisches Handeln ist gutes Verhalten, das mit dem Guten übereinstimmt - am besten, Du nimmst rasch Deine Medikamente und versuchst es dann noch einmal.


Mit diesen Fragen vermittelst du den Eindruck, dass die vorangegangen Fragen deinerseits wohl kaum ernst gemeint waren. Anstelle mit den anscheinend vertretenen, hier aber ungenannten Ansichten, zu argumentieren, versuchst du, die Inhalte lächerlich zu machen.

Hältst du es für moralisch vertretbar, mit aggressiver Sophisterei lediglich zu dokumentieren, dass weder Form noch Inhalt der Diskussion gerecht werden? Denn gerade der Rückbezug auf die Wurzel moralischen Handelns und rein rhetorisches Infrage-stellen ist m.E. nicht zielführend im Sinne einer Verständigung und des Erkenntnisgewinnes, sondern eher der Versuch, seine eigene unreflektierte Position zu propagieren.

Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
die Motivation ist zweitrangig, und kann auch höchst unterschiedlich sein.


Aha. Ein Mann ist gewaltsam zu Tode gekommen. Die Täterin wird kurz darauf gefaßt. Stimmt ihre Handlung mit "dem Guten" oder "dem Bösen" überein? Warum? Wie erkennt man das?


Zweitrangig heißt nicht unwichtig. Zunächst steht da die Tat. Die Feststellung der Umstände und der Motivation ist als zweites der Versuch zu verstehen, und zu einem sachgerechten Urteil zu kommen.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
ballancer hat folgendes geschrieben:

3. Gesellschaftlich ist moralisches Handeln immer als Übereinstimmung mit den (jeweils) gültigen moralischen Werten zu verstehen. Allerdings ist die Gültigkeit konkreter Werte oftmals umstritten.


Wie prüft man die "Gültigkeit" konkreter "Werte"?


Werte sind das, was als bedeutsam und wichtig erachtet wird. Moralisch werden die Werte, wenn ihnen ein Urteil im Spektrum zwischen Gut und Böse zugeordnet wird. Die Gültigkeit moralischer Werte berüht auf einem angenommenen oder bestätigten Konsens der Werte innerhalb einer hinreichend relevanten Gruppe, zumeist als Gesellschaft eines Landes gemeint. Diese konstituieren sich zum einen durch kodifizierte Regeln, also Gesetze (GG, StGB uvm.) als auch durch häufige Referenz (Goldene Regel) oder Propagierung in Massenmedien (Zeitungen, Fernsehen, Internet).

Die Konkretisierung der besagten Werte in einer begrifflichen Festlegung gestaltet sich oft schwieriger, denn alle Werte, die es bei unscharfer Formulierung durchaus zum Konsens schaffen - z.B. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - werden in der konkreten und umsetzbaren Fassung oft zum diskursiven Problemfall. Und genau dass sagte die zitierte Kurzfassung.

Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
4 Ethik nutzt die Mittel der Vernunft,


Was bezeichnest Du als "Vernunft"?


Können wir Kant als bekannt voraussetzen? siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Vernunft

Zitat:
Mit Vernunft als philosophischem Fachbegriff wird die Fähigkeit des menschlichen Geistes bezeichnet, von einzelnen Beobachtungen und Erfahrungen auf universelle Zusammenhänge in der Welt zu schließen, deren Bedeutung zu erkennen und danach zu handeln – insbesondere auch im Hinblick auf die eigene Lebenssituation (vgl. Nous). Die Vernunft ist das oberste Erkenntnisvermögen, das den Verstand kontrolliert und diesem Grenzen setzt bzw. dessen Beschränkungen erkennt. Sie ist damit das wichtigste Mittel der geistigen Reflexion und das wichtigste Werkzeug der Philosophie.


Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
um durch Reflektion der Werte diese zu überprüfen und dadurch eine qualitative Verbesserung des Wertesystems und der daraus abgeleiteten Handlungen zu erwirken.


Nach welchen Gesichtspunkten reflektiert und prüft man "Werte", und was macht eine "qualitative Verbesserungen des Wertesystems" aus? Worin besteht die Systemizität von Wertesystemen?


Konsitenzforderung! Wenn Werte intuitiv gesetzt werden, geraten sie in der Regel in Konflikt mit anderen Werten. Darum ist die Bestimmung des Verhältnisses der Werte zueinander auch die Konstitution eines Wertesystems. Und die Vernunft fordert, dass dieses Widerspruchsfrei, also konsistent sei.

Der Komplexität der Lebensrealität ist allerdings geschuldet, dass völlige Konsistenz kaum erreichbar erscheint.Qualitätsverbesserungen beziehen sich also auf zwei Ebenen:

a. Strukturale Qualität: Konsistente Berücksichtigung von immer mehr Fakten.

b. Inhaltliche Qualität: Im Fortschritt des Erkennens von Gut und Böse ist eine Steigerung der Erkenntnisqualität zu erwarten.

Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
5. Ethik bezieht sich immer auf eine Letztbegründung!


Was bezeichnest Du als "Letztbegründung" (im Unterschied zu "Begründung"?).


Eine Letztbegründung ist die Begründung, die sich nicht weiter vernünftig herleiten lässt. Sie ist darum letztlich irrational. Rationalität kann keine letzte Begründung für sich selbst liefern, denn auch die Begründung, dass alles rational sein solle, ist eine irrationale Forderung. Denn diese kann nicht rational hergeleitet werden.

Ascanius hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Denn selbst wenn man diese als relativ darstellt und sich von einer Objektivität distanziert, dann ist die Ablehnung des Objektiven an dieser Stelle eine Letztbegründung, die sich funktional nicht von einer objektiven Letztbegründung unterscheidet.


Da "relativ" das Gegenteil von "absolut" und "Objektivität" das Gegenteil von "Subjektivität" ist, verstehe ich nicht, was Du sagen willst.


Ich habe den Eindruck, dass es nicht im Mangel der Fähigkeit liegt, zu verstehen, sondern im Willen zu verstehen. Hier handelt es sich um ein schlicht logisches Problem. Denn wenn alles relativ sei, gäbe es nichts Objektives, also auch keine Logik, und jeder Anspruch der Objektivität wäre nichtig.

Kann aber Objektivität grundsätzlich existieren, und ist lediglich die Erkenntnis subjektiv, die sich aber auf objektive Sachverhalte bezieht, dann kann die subjektive Erkenntnis mehr oder minder zutreffend sein und stellt darum inhaltlich keinen notwendigen Gegensatz zum Objektiven dar.

Bleiben wir also bei der Ansicht, alles sei subjektiv und es gäbe keine Objektivität. Dann aber ist auch dieser Satz subjektiv und nicht mehr oder weniger wahr wie der Satz, dass es das Objektive gäbe. Denn ansonsten würde er ja objektive Gültigkeit beanspruchen und damit inkonsistent zu sich selber sein. Er stellt somit eine subjektive Letztbegründung dar. Wenn der Satz somit nur subjektiv gültig ist, braucht absolut kein Dritter ihn ernst zu nehmen, sondern stellt lediglich ein Bekenntnis dessen dar, der ihn behauptet. Und es ist jedem freigestellt, ihn ernst zu nehmen. ... Ich nehme ihn nicht ernst. zwinkern

Ascanius hat folgendes geschrieben:

Leider hast Du meine Fragen nicht beantwortet, und auch von begrifflich-logischer Genauigkeit ist weit und breit nichts zu erkennen. Also noch einmal: Was ist Ethik, bzw. wozu soll sie dienen und warum?


Ich habe nicht den Eindruck, als ob es dir um Verständnis meiner Position gelegen ist, oder ob es dir um eine Klärung der Sachfragen ginge, sondern eher, dass du eine rein rhetorische Figur der Ignoranz kultivieren willst. Denn zum einen bin ich detailliert auf deine Fragen eingegangen und habe mich auch in diesem Posting um genau die sorgfältige Beantwortung der Fragen bemüht. Wenn du diese in dieser Form nicht zu verstehen meinst, dann wäre zu prüfen, welcher objektive Sachverhalt hier vorliegt.

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Welches sind demzufolge ihre Referenzobjekte? Solange Du ungeklärte Begriffe zu unverständlichen Aussagen verquirlst, muß ich annehmen, daß Du keine Ahnung hast, wovon Du redest.


Es wäre sicher hilfreich, wenn du mit gutem Beispiel vorangehst und zeigst, was du mit begrifflicher Klarheit meinst. Denn deine Beiträge benutzen fast ausnahmslos ungewöhnliche Redefinitionen bekannter Terme, oder aber zumeist völlig unklare Begriffe, die in nichtssagendem Kontext vorgetragen werden. An vielen Stellen habe ich genau dies gezeigt.

Immerhin könntest du dann - bei gegebener begrifflichen Klarheit - nach deinen eigenen Kriterien zeigen, dass du weißt wovon du redest.
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ballancer
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Beitrag(#1323593) Verfasst am: 06.07.2009, 21:10    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:

Ascanius hat folgendes geschrieben:
In der Tat gehe ich davon aus, daß nicht gezwungenermaßen leiden zu wollen ein Hauptantrieb aller leidensfähigen Wesen und der einzig erfolgversprechende Angelpunkt eines ethischen Konsenses ist. Wie sollte es überhaupt eine Ethik ohne diesen Konsens geben können?


Leben bedeutet (auch) Leiden. Die effektivste Variante der Leidminimierung wäre eine möglichst rasche Vernichtung alles Lebens. Menschen leben nicht, um nicht Leiden zu müssen. Das Leben wird verkannt, wenn es auf diesen Aspekt reduziert wird. Ethik ist die Lehre vom "richtigen" Leben. In diesem Sinne wird eine Ethik umso besser, je mehr Aspekte des Lebens sie berücksichtigt. Bei einer Ethik der reinen Leidminimierung werden sämtliche anderen Aspekte zugunsten dieses Einen geopfert. In vielen utilitaristischen Modellen wird daher auch als oberstes Ziel nicht Leidminimierung genannt sondern Glücksmaximierung. Aber genau da treten die Probleme des utilitaristisches Ansatzes offen zu Tage. "Glück" ist ein dermaßen allgemeiner Begriff, das fast alles darunter verstanden werden kann. Ganz abgesehen davon, dass man gepflegt daran zweifeln darf, dass es wirklich "Glück" ist, wonach der Mensch strebt.


Eben! du bringst es sehr gut auf den Punkt. Applaus.

Dass aber gerade die rationale Herleitung der Moral versagt, erscheint vielen ein Faktum zu sein, dass sie mit einer schier unglaublichen Vehemenz zu bekämpfen versuchen.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

Ascanius hat folgendes geschrieben:
Die ersten Schritte dorthin sind klare Begriffsdefinitionen und Zweckbestimmungen, also: Her mit Deinen Ideen, wenn Du welche hast!


Die ersten Schritte sind m.E. eine umfassende Beschreibung der Entstehung und Ausformung ethischer Phänomene. Desweiteren eine gründliche Reflektion des eigenen Wollens und seiner Ursachen sowie eine Analyse der Konsequenzen des eigenen Handelns und des Handelns gemäß der bestehenden Moral. Eine "vernünftige" Ethik würde sich daraus von selbst ergeben. Der Mensch handelt dann einfach seinem Willens und seiner Bedürfnisse gemäß.


Habe ich dich richtig verstanden? Propagierst du hier, dass richtiges Verhalten lediglich die Umsetzung des eigenen Willens gemäß sei? Dann wäre der selbstlos handelnde, der sich für Dritte einsetzt nicht mehr oder weniger moralisch wie der Verbrecher der sich an Macht und dem Leiden anderer ergötzt.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Ethischer Handlungsvorschriften bedarf es ja nur, weil wir uns nicht zu jedem Zeitpunkt aller unserer Bedürfnisse und der Folgen unseres Handels bewusst sind und daher gewissermaßen abstrakte Ermahnungen benötigen, die sicherstellen, dass auch Bedürfnisse berücksichtigt werden, die im Augenblick der Tat nicht unmittelbar im Bewusstsein sind. Sie sorgen dafür, dass ein Gemeinwesen in einem halbwegs stabilen Zustand bleibt.


Damit unterstellst du, dass es ein Bedürfnis nach Gemeinwohl überhaupt generell und in allen Anderen gibt. Dürfte schwer sein, dies empirisch zu belegen.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Traditionell funktioniert das über Dogmen. Das Hauptproblem dabei ist, dass immer nur Teilaspekte berücksichtigt werden und auf Veränderungen nur gemächlich reagiert wird. Eine nichtdogmatische Ethik kann nur bei einem ausgesprochen hohen Maß an Bewusstheit funktionieren. Und selbst in diesem Falle wäre ich mir nicht sicher, da ich keine Wette darauf abschließen würde, dass der Mensch ein solch durch und durch rationales Wesen ist und igm ein entsprechend hoher Grad an Bewusstheit zuträglich wäre. Die Setzung konkreter Ziele (wie z.B. Leidminimierung) allerdings, ist keine Alternative, sondern bloß ein neues Dogma, eine andere Form der Vereinfachung.


Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, was du unter einer nichtdogmatische Ethik verstehst. Allein die Vorstellung, dass grundsätzlich jeder ein Interesse am Gemeinwohl habe, ist mir ein sympathisches Dogma, dass ich selber aber nicht so recht zu glauben vermag.
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Zumsel
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Beitrag(#1323983) Verfasst am: 07.07.2009, 10:19    Titel: Antworten mit Zitat

ballancer hat folgendes geschrieben:
Habe ich dich richtig verstanden? Propagierst du hier, dass richtiges Verhalten lediglich die Umsetzung des eigenen Willens gemäß sei? Dann wäre der selbstlos handelnde, der sich für Dritte einsetzt nicht mehr oder weniger moralisch wie der Verbrecher der sich an Macht und dem Leiden anderer ergötzt.


Wenn sich letzteres als "stärker" erweisen sollte, wäre dem tatsächlich so. Aber allein die Tatsache, dass es als moralisch extrem verwerflich gilt, deutet ja auf etwas anderes hin.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Damit unterstellst du, dass es ein Bedürfnis nach Gemeinwohl überhaupt generell und in allen Anderen gibt.


Nicht unbedingt. Aber zweifellos gibt es Bedürfnisse, die über das hinausgehen, was man gemeinhin mit dem Begriff "purer Egoismus" verbindet. Andernfalls hätten sich ja niemals ethische Postulate durchsetzen und für gut befunden werden können, die das Gegenteil fordern. Eine "Gesellschaft von Egoisten" kann ja überhaupt nur dann als bedrohlich empfunden werden, wenn man glaubt, dass sie bestimmten gewichtigen Bedürfnissen zuwiderlaufe. Und eben diese Bedürfnisse sind es letztlich, um deretwillen moralische Grundsätze als wichtig empfunden werden. Wäre man sich ihrer, nebst den Bedingungen, unter denen sie bestehen und erfüllt werden können, voll bewusst, bedürfte es keiner Verschleierungen durch abstruse und verlogene ethische Systeme mehr.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, was du unter einer nichtdogmatische Ethik verstehst. Allein die Vorstellung, dass grundsätzlich jeder ein Interesse am Gemeinwohl habe, ist mir ein sympathisches Dogma, dass ich selber aber nicht so recht zu glauben vermag.


Bei einem hohen gesellschaftlichen Maß an Bewusstheit und Wissen, hätten die Allermeisten vermutlich zwangsläufig ein zumindest gewisses Interesse an Konsens und Ausgleich. Und falls nicht, würde dieser Mangel gar nicht als solcher wahrgenommen. Das Problem ist wohl eher, dass der menschlichen Natur ein gewisses irrationales Temperament zueigen ist, das selbst als "Bedürfnis" in die Bewertung einfließen müsste. Menschen wollen nicht immer überlegt und bewusst handeln. Beispielsweise der Menschenschlag, wie er nicht nur als Klischee in südlichen Ländern existiert, müsste sich damit sogar selbst negieren. Und auch wir vergleichsweise vernünftigen Nordländer hängen doch gar sehr an unseren kleinen und großen Irrationalitäten. Davon abgesehen ist unsere bestehende Moral und Kultur, bedingt durch entsprechende Sozialisation, teilweise selbst schon ein eigenes Bedürfnis und nicht bloß Mittel zum Zweck. Daher auch die Notwendigkeit, mit diesem gegebenen Material zu arbeiten, indem man es in seiner ganzen Komplexität durchleuchtet und verstehen lernt. Änderungen werden sich daraus wohl zwangsläufig ergeben. In welchem Tempo und Umfang, wird man sehen müssen.
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ballancer
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Anmeldungsdatum: 27.05.2007
Beiträge: 4767

Beitrag(#1324043) Verfasst am: 07.07.2009, 11:49    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
ballancer hat folgendes geschrieben:
Habe ich dich richtig verstanden? Propagierst du hier, dass richtiges Verhalten lediglich die Umsetzung des eigenen Willens gemäß sei? Dann wäre der selbstlos handelnde, der sich für Dritte einsetzt nicht mehr oder weniger moralisch wie der Verbrecher der sich an Macht und dem Leiden anderer ergötzt.


Wenn sich letzteres als "stärker" erweisen sollte, wäre dem tatsächlich so. Aber allein die Tatsache, dass es als moralisch extrem verwerflich gilt, deutet ja auf etwas anderes hin.


Hmmm ... das stellt die Frage nach dem Gültigkeitsbereich von Moral. Denn wenn jene nur auf individueller Ebene gültig wäre, stellt sich die Frage, was denn die Moral des einen mit der eines anderen zu tun habe. Dann wäre auch die Frage nach dem 'Stärker' nur eine Indidividualinterne, eben so wie es Otto Waalkes in seinem ersten Film humoristisch darstellte.

Ich vermute allerdings, dass du eher eine gesellschaftliche, intersubjektive Moral im Sinn hast, die sich aus der Mehrheitsbildung konstituiert. Dann aber stellt sich die Frage, in welcher Weise das Individuum diese intersubjektive Moral denn adaptieren sollte.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
ballancer hat folgendes geschrieben:
Damit unterstellst du, dass es ein Bedürfnis nach Gemeinwohl überhaupt generell und in allen Anderen gibt.


Nicht unbedingt. Aber zweifellos gibt es Bedürfnisse, die über das hinausgehen, was man gemeinhin mit dem Begriff "purer Egoismus" verbindet. Andernfalls hätten sich ja niemals ethische Postulate durchsetzen und für gut befunden werden können, die das Gegenteil fordern. Eine "Gesellschaft von Egoisten" kann ja überhaupt nur dann als bedrohlich empfunden werden, wenn man glaubt, dass sie bestimmten gewichtigen Bedürfnissen zuwiderlaufe. Und eben diese Bedürfnisse sind es letztlich, um deretwillen moralische Grundsätze als wichtig empfunden werden. Wäre man sich ihrer, nebst den Bedingungen, unter denen sie bestehen und erfüllt werden können, voll bewusst, bedürfte es keiner Verschleierungen durch abstruse und verlogene ethische Systeme mehr.


Diese Argumentation erscheint mir als zu simpel. Denn das Empfinden, dass der Stärkere den Schwächeren unterdrückt, ist eine Erfahrung, die sowohl praktisch allzu oft gemacht wurde und deren Bedrohung grundsätzlich immer gegeben ist. dass damit gegebenenfalls eigene Interessen verletzt werden ist sicher eine Vorstufe moralischen Denkens, das hier noch keine Reflektion und die Frage nach gut und Böse voraussetzt. Diese kommt erst im zweiten Schritt.

Die Wahrnehmung dses Interessenkonfliktes führt zur Frage des Rechts. Was ist zulässig? Worauf beziehen sich Ansprüche? Was darf ich und andere eben nicht tun?

Der andere Pfad zur Bildung von Moral ist das Nachdenken über das Leben schlechthin und die Selbsterkenntnis. Was fange ich mit meinem Leben an? Was ist gutes handeln?

Offensichtlich werden diese Fragen zwischen Individuen mit einer großen Spannbreite unterschiedlich beantwortet.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
ballancer hat folgendes geschrieben:
Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, was du unter einer nichtdogmatische Ethik verstehst. Allein die Vorstellung, dass grundsätzlich jeder ein Interesse am Gemeinwohl habe, ist mir ein sympathisches Dogma, dass ich selber aber nicht so recht zu glauben vermag.


Bei einem hohen gesellschaftlichen Maß an Bewusstheit und Wissen, hätten die Allermeisten vermutlich zwangsläufig ein zumindest gewisses Interesse an Konsens und Ausgleich. Und falls nicht, würde dieser Mangel gar nicht als solcher wahrgenommen. Das Problem ist wohl eher, dass der menschlichen Natur ein gewisses irrationales Temperament zueigen ist, das selbst als "Bedürfnis" in die Bewertung einfließen müsste. Menschen wollen nicht immer überlegt und bewusst handeln. Beispielsweise der Menschenschlag, wie er nicht nur als Klischee in südlichen Ländern existiert, müsste sich damit sogar selbst negieren. Und auch wir vergleichsweise vernünftigen Nordländer hängen doch gar sehr an unseren kleinen und großen Irrationalitäten. Davon abgesehen ist unsere bestehende Moral und Kultur, bedingt durch entsprechende Sozialisation, teilweise selbst schon ein eigenes Bedürfnis und nicht bloß Mittel zum Zweck. Daher auch die Notwendigkeit, mit diesem gegebenen Material zu arbeiten, indem man es in seiner ganzen Komplexität durchleuchtet und verstehen lernt. Änderungen werden sich daraus wohl zwangsläufig ergeben. In welchem Tempo und Umfang, wird man sehen müssen.


Irrationalität steht in sehr loser Beziehung zum Dogma. Denn Dogmen sind letztlich irrational. Aber nicht alle irrationalen Gedanken sind Dogmen, auch stehen Dogmen in einem rationalen Kontext, bzw. unterziehen sich einer rationalen Prüfung.

Ich halte Irrationales per se nicht für schlecht. Die Unterscheidung zwischen rational und irrational ist für mich wertfrei und klassifiziert lediglich die Methode, zu welcher man mit seinen Aussagen kommt.

Meine Frage war die nach der nichtdogmatische Ethik. Ich verstehe deine Antwort nun so, dass du die Ethik eher als dynamisch und im Fluss ansihhst, also keine feststehenden Grundlagen haben. Dazu gibt es allerdings Bedenken:

1. Selbst wenn du auf einer metamoralischen Ebene die Ethik als sich im Fluss befindlich begreifst, bist du noch immer nicht auf der Ebene, die eine Moral konkret ausgestaltet. Und hier kommst auch du ohne Dogmen, die gegebenenfalls temporäre Gültigkeit haben, nicht herum. Hier also etas als nichtdogmatische Ethik zu behaupten ginge nur, solange du keine normativen Setzungen machst. Und ohne diese ist die Ethik substanzlos.

2. Auch dein Ansatz der dynamischen Anpassung bezieht sich auf bestimmte Grundannahmen, z.B: Nichtexistenz objektiver moralischer Normen, ein Weltbild, dass den Menschen als nicht-teleologisches Subjekt versteht, die Ablehnung einer übergreifenden Beurteilung und einiges mehr. Diese haben auch hier bereits einen dogmatischen Charakter.

Ich nehme es als Konsens an, dass die konflikfreie Unauflösbarkeit von divergenten Interessen als Grundbefindlichkeit zu verstehen ist. Einfach ausgedrückt: Wenn jeder tut, was er Will, kommt es zum Kampf und Unterdrückung des Unterlegenen.

Unter diesen Umständen keine eine Ethik sich nur um die Minimierung von Konflikten bemühen, die durch Sicherung von Rechten Einzelner. Da aber entzweien sich die Geister: Was darf denn der Einzelne an Rechten beanspruchen? Ohne ein dogmatisch Grundlegung ist es eben nicht hinreichend, nur auf die Goldene Regel zu verweisen.
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Zumsel
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Beitrag(#1324685) Verfasst am: 08.07.2009, 09:22    Titel: Antworten mit Zitat

ballancer hat folgendes geschrieben:
Hmmm ... das stellt die Frage nach dem Gültigkeitsbereich von Moral. Denn wenn jene nur auf individueller Ebene gültig wäre, stellt sich die Frage, was denn die Moral des einen mit der eines anderen zu tun habe.


Wer in einer Gemeinschaft lebt ist keine Insel. Was der eine will und tut, hat, direkt oder indirekt, auch Auswirkungen auf den anderen.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Dann wäre auch die Frage nach dem 'Stärker' nur eine Indidividualinterne,...


Du musst von einer Gemeinschaft mit hohem Aufklärungs- und Bildungsniveau ausgehen. Allen ist klar, dass jeder oder zumindest ein Großteil die eigene Situation adäquat einzuschätzen vermag und um Möglichkeiten weiß, Interessen durchzusetzen.

ballancer hat folgendes geschrieben:
eben so wie es Otto Waalkes in seinem ersten Film humoristisch darstellte.


Keine Ahnung, kenne den Film nicht.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ich vermute allerdings, dass du eher eine gesellschaftliche, intersubjektive Moral im Sinn hast, die sich aus der Mehrheitsbildung konstituiert. Dann aber stellt sich die Frage, in welcher Weise das Individuum diese intersubjektive Moral denn adaptieren sollte.


Die "Moral" ist ja dann nichts als der abstrakte Wille aller. Auch die Frage nach dem Umgang mit Verbrechern unterliegt diesem Willen.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Diese Argumentation erscheint mir als zu simpel. Denn das Empfinden, dass der Stärkere den Schwächeren unterdrückt, ist eine Erfahrung, die sowohl praktisch allzu oft gemacht wurde und deren Bedrohung grundsätzlich immer gegeben ist.


Das stimmt natürlich. Aber das angesprochene Wissen beinhaltet natürlich auch das Wissen um die negativen Folgen solcher Unterdrückungen.

ballancer hat folgendes geschrieben:
dass damit gegebenenfalls eigene Interessen verletzt werden ist sicher eine Vorstufe moralischen Denkens, das hier noch keine Reflektion und die Frage nach gut und Böse voraussetzt. Diese kommt erst im zweiten Schritt.


Welchen Zweck erfüllen denn die Kategorien "Gut" und "Böse"? Dienen sie als Erinnerunghilfen für einmal gemachte Erfahrungen? Nach dem Motto: "Da wir eh irgendwann wieder vergessen, dass dieses oder jenes Verhalten unangenehme Folgen mit sich bringt, brandmarken wir es lieber jetzt als "Böse" und meißeln ein entsprechendes Verbot als Lehrsatz in Stein."?

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ich halte Irrationales per se nicht für schlecht. Die Unterscheidung zwischen rational und irrational ist für mich wertfrei und klassifiziert lediglich die Methode, zu welcher man mit seinen Aussagen kommt.


Für mich klassifiziert sie den Grad an Bewusstheit. Ein ethisches Dogma befriedigt gewissermaßen nicht reflektierte Bedürfnisse und damit unter Umständen Bedürfnisse, dass gar nicht mehr exitieren bzw. inzwischen auf andere Weise befriedigt werden oder werden könnten.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Auch dein Ansatz der dynamischen Anpassung bezieht sich auf bestimmte Grundannahmen, z.B: Nichtexistenz objektiver moralischer Normen,...


Richtig. Wobei ich das nicht als "dogmatische Setzung" bezeichnen würde. Erst durch die Behauptung, irgendwelche bestimmten Normen würden schlechthin existieren, kommt ein dogmatischer Zug in die Diskussion.

ballancer hat folgendes geschrieben:
ein Weltbild, dass den Menschen als nicht-teleologisches Subjekt versteht


Auch diese Ansicht beruht nicht auf dogmatischer Festlegung, sondern resultiert aus der Tatsache, dass bisher kein für mich glaubwürdiges "Gesamtziel" des Lebens benannt werden konnte. Vielmehr bedarf es nämlich auch für eben ein solches Gesamzkonzept einiger vergener Grundannahmen.

ballancer hat folgendes geschrieben:
die Ablehnung einer übergreifenden Beurteilung...


Das hängt ja nun unmittelbar mit Punkt eins zusammen. Denn für eine Bewertung bedarf es bereits eines Standpunktes.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ich nehme es als Konsens an, dass die konflikfreie Unauflösbarkeit von divergenten Interessen als Grundbefindlichkeit zu verstehen ist. Einfach ausgedrückt: Wenn jeder tut, was er Will, kommt es zum Kampf und Unterdrückung des Unterlegenen.


Wenn dem so ist, wie sollten sich dann überhaupt feste, ethische Grundsätze durchsetzen können, die nicht im Interesse der "Gewinner" sind. Oder anders gefragt: Was bewegte die potenziellen Unterdrücker dazu, eine Ethik zu akzeptieren, die Unterdrückung verbietet?

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ohne ein dogmatisch Grundlegung ist es eben nicht hinreichend, nur auf die Goldene Regel zu verweisen.


Das mache ich auch gar nicht. Auch die "goldene Regel" ist nur eine Zuspitzung oder Vereinfachung bestimmter Verhaltensweisen und keineswegs DAS ethische Prinzip schlechthin.
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ballancer
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Beitrag(#1324705) Verfasst am: 08.07.2009, 10:42    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
ballancer hat folgendes geschrieben:
Hmmm ... das stellt die Frage nach dem Gültigkeitsbereich von Moral. Denn wenn jene nur auf individueller Ebene gültig wäre, stellt sich die Frage, was denn die Moral des einen mit der eines anderen zu tun habe.


Wer in einer Gemeinschaft lebt ist keine Insel. Was der eine will und tut, hat, direkt oder indirekt, auch Auswirkungen auf den anderen.


Die Frage ist hier nach dem Wie und den Details. Denken wir an nur 3 Personen: A und B diputieren über unterschiedliche Moralvorstellungen und finden keinen Konsens. Was soll nun C dazu sagen? Sollte er sich zu A oder B stellen und damit eine Mehrheit bilden, die dann für den Verbleibenden verbindlich wird? Oder sollte er partielle Positionen der jeweiligen Kontrahenden aufgreifen, Quasi als Integrationsfiguar? Oder sollte er in Ablehnung beider eine ganz andere Position vertreten?

Ich kann mir hier nur folgendes Modell von Moral - Staat und Individuum vorstellen:

1. Die letzte Instanz zur Beurteilung moralischer Fragen bleibt das Individuum (Gewissen). Selbst wenn es sich entscheidet, einer vorgegebenen externen Regel zu unterwerfen, so ist es doch die Individuale Entscheidung.

2. Aus pragmatischen Interessen ist das Individuum gehalten, einen Konsens mit anderen zu suchen, denn Zusammenleben kann nur auf Grundlage einer Übereinkunft geschehen.

3. Der Umfang der Übereinkunft muss das Faktum akzeptieren, dass die diversen Moralvorstellungen nicht völlig in Übereinstimmung gebracht werden können. Ein Kompromiss muss auf Grundlage einer gemeinsamen Schnittmenge beruhen, die im Rahmen eines demokratischen Prozesses verhandelt wird.

4. Dieser Konsens konstituiert sich zum Einen in kodifizierte Gesetze, die auch bei jenen durchgesetzt werden können, die sich dem Konsens nicht freiwillig anschließen, und informellen Regeln, die sich in dem sogenannten Benehmen ausdrücken.

5. Damit der Konsens funktionieren kann, benötigt jeder einen Satz an moralischen Grundlagen, der über den Konsens hinaus geht, sich aber individuell unterscheidet. Denn die Reduktion der Moral auf einen Konsens würde einem moralischen Minimalismus das Wort reden, die in der Konsequenz zur Reduktion und Auflösung des Konsenses führen muss.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
ballancer hat folgendes geschrieben:
Dann wäre auch die Frage nach dem 'Stärker' nur eine Indidividualinterne,...


Du musst von einer Gemeinschaft mit hohem Aufklärungs- und Bildungsniveau ausgehen. Allen ist klar, dass jeder oder zumindest ein Großteil die eigene Situation adäquat einzuschätzen vermag und um Möglichkeiten weiß, Interessen durchzusetzen.


Hier ging es weniger um die Pragmatik, sondern um die grundsätzliche Einordnung der Geltungsbereiche. Ich sehe deine Antwort so, dass du diese unter das Prinzip des Pragmatismus stellst.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ich vermute allerdings, dass du eher eine gesellschaftliche, intersubjektive Moral im Sinn hast, die sich aus der Mehrheitsbildung konstituiert. Dann aber stellt sich die Frage, in welcher Weise das Individuum diese intersubjektive Moral denn adaptieren sollte.


Die "Moral" ist ja dann nichts als der abstrakte Wille aller. Auch die Frage nach dem Umgang mit Verbrechern unterliegt diesem Willen.


Mit dieser Begriffsbildung habe ich meine Verständnisprobleme. Einen kollektiven Willen kann man in der Regel nicht sicher feststellen. Die beste Näherung stellt die Demokratie dar. Doch auch diese unterliegt zahlreichen Einschränkungen und ist gegen Manipulationsversuche nicht gefeit.

Das Hauptproblem ist, dass dann moralische Prinzipien außer Kraft gesetzt werden. So könnte man sich vorstellen, dass es kollektiver Wille in Nazideutschland gewesen sei, den totalen Krieg zu wollen, die Juden zu vernichten etc. (Ich glaube das zwar nicht, aber ich halte es für möglich). Oder dass es eine muslimische Mehrheit gibt, die alle Juden vernichten will. In diesem Falle wären dieser Schrecken noch immer nicht moralisch, selbst wenn es eine klare Mehrheit will.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Diese Argumentation erscheint mir als zu simpel. Denn das Empfinden, dass der Stärkere den Schwächeren unterdrückt, ist eine Erfahrung, die sowohl praktisch allzu oft gemacht wurde und deren Bedrohung grundsätzlich immer gegeben ist.


Das stimmt natürlich. Aber das angesprochene Wissen beinhaltet natürlich auch das Wissen um die negativen Folgen solcher Unterdrückungen.


Das ist nicht hinreichend, denn wenn man davon ausgeht, dass man selber auf der Seite des Stärkeren sei, schrecken diese negativen Folgen nicht unbedingt.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
dass damit gegebenenfalls eigene Interessen verletzt werden ist sicher eine Vorstufe moralischen Denkens, das hier noch keine Reflektion und die Frage nach gut und Böse voraussetzt. Diese kommt erst im zweiten Schritt.


Welchen Zweck erfüllen denn die Kategorien "Gut" und "Böse"? Dienen sie als Erinnerunghilfen für einmal gemachte Erfahrungen? Nach dem Motto: "Da wir eh irgendwann wieder vergessen, dass dieses oder jenes Verhalten unangenehme Folgen mit sich bringt, brandmarken wir es lieber jetzt als "Böse" und meißeln ein entsprechendes Verbot als Lehrsatz in Stein."?


Du gehst hier von einem evolutiven Ansatz ohne vorgegebene Grundlagen aus. Dann wären die Zuordnungen von Gut und Böse eben rein empirische evolutive Setzungen, die auch ganz anders ausfallen können. Mit diesem Ansatz können aber auch grundsätzlich Verhalten gerechtfertigt werden, die wir wahrscheinlich alle für Verbrechen halten.

Nehmen wir das beliebte Beispiel der Ermordung von G. Bruno. Wir dürften heute den Konsens haben, dass das Unrecht und ein übles Verbrechen durch die Mehrheit der Gesellschaft darstellte.
Die Akteure der damaligen Zeit dachten vermutlich, dass sie richtig handelten. Nach dem evolutiven Ansatz war es dann auch damals richtig und wäre nur heute falsch.

Dem widerspreche ich! Ich glaube, es war auch damals falsch und ein Verbrechen, weil ich absolute moralische Maßstäbe, also Gut und Böse, für gegeben halte. Relativ ist nur die Erkenntnis dieser absoluten Position. Das moralische Imperativ ist die Pflicht, eine möglichst genaue Erkenntnis von Gut und Böse zu erlangen. Wer diese nicht befolgt, handelt schuldhaft.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ich halte Irrationales per se nicht für schlecht. Die Unterscheidung zwischen rational und irrational ist für mich wertfrei und klassifiziert lediglich die Methode, zu welcher man mit seinen Aussagen kommt.


Für mich klassifiziert sie den Grad an Bewusstheit. Ein ethisches Dogma befriedigt gewissermaßen nicht reflektierte Bedürfnisse und damit unter Umständen Bedürfnisse, dass gar nicht mehr exitieren bzw. inzwischen auf andere Weise befriedigt werden oder werden könnten.


Der Steigerung der Bewusstheit ist für mich auch ein hoher Wert. Allerdings kann auch Irrationales sehr bewusst sein. Im Gegenteil: Wer die Rationalität dogmatisch als überragenden Wert vertritt, neigt dazu, alles rational zu verbrämen (Rationalisieren), was aber ggf. ganz andere Wurzeln hat. Die scheinbar rationale Erklärung erschwert dann den Zugang zur Wirklichkeit und reduziert die Bewusstheit.

Andererseits setze ich die Reflektion nicht absolut. Menschliches Verhalten ist komplex, und Bewusstheit/Reflektion mag anstrebenswert sein ... es gibt aber auch andere Dimensionen, die sich dieser Skala nicht unterordnen.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Auch dein Ansatz der dynamischen Anpassung bezieht sich auf bestimmte Grundannahmen, z.B: Nichtexistenz objektiver moralischer Normen,...


Richtig. Wobei ich das nicht als "dogmatische Setzung" bezeichnen würde. Erst durch die Behauptung, irgendwelche bestimmten Normen würden schlechthin existieren, kommt ein dogmatischer Zug in die Diskussion.


Ohne dir zu nahe zu treten: Die Bezugnahme auf Normen, die man als grundlegend ansieht, die aber keine rein rationale Herleitung mehr haben, sind faktisch Dogmen. Bloß weil gewisse Kreise den Term negativ konnotieren, kann man nicht einfach das Faktum bestreiten. Denn ein Grundsatz wird entweder als gültig erachtet, oder eben nicht.

Wenn alles im Fluss sei, kann man keine gültigen Setzungen machen, denn was heute nicht ganz richtig ist, kann morgen schon völlig falsch sein. zwinkern

Denn stellt sich aber die Frage: Woher weiß ich denn, dass Alles im Fluss ist, aka. dass es eben nichts Festes gäbe? Die Gültigkeit dieser Aussage, wäre nicht auf sich selbst zu beziehen, denn sie invalidiert sich selber. Denn wenn diese Aussage absolut korrekt wäre, dann wäre eben nicht alles im Fluss, sondern diese Aussage eben nicht. Und wenn diese Aussage nicht im Fluss ist, woher kann ich dann wissen, ob es nicht andere Aussagen gäbe, die ebenfalls nicht im Fluss sind?

Zumsel hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
ein Weltbild, dass den Menschen als nicht-teleologisches Subjekt versteht


Auch diese Ansicht beruht nicht auf dogmatischer Festlegung, sondern resultiert aus der Tatsache, dass bisher kein für mich glaubwürdiges "Gesamtziel" des Lebens benannt werden konnte. Vielmehr bedarf es nämlich auch für eben ein solches Gesamzkonzept einiger vergener Grundannahmen.


Gut. Dann wäre die korrekte Formulierung dieses Sachverhaltes:
    Ich erkenne bislang kein Gesamtziel des Lebens. Darum agiere ich so, als ob dieses auch nicht existent sei. Nicht ausschließen kann ich allerdings, dass es doch existiert und dass andere zutreffend dieses Gesamtziel des Lebens erkennen.

Diese Formulierung würde ich als nicht-dogmatisch akzeptieren. Das aber ist den meisten hier wesentlich zu schwach. Eher eine agnostische Position. Sie gehen davon aus, dass auch Andere dieses 'Gesamtziel' nicht gültig gefunden haben. Und dann wird es zum Dogma, denn der Anspruch der Wirklichkeitserkenntnis ist hier letztlich absolut.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
die Ablehnung einer übergreifenden Beurteilung...


Das hängt ja nun unmittelbar mit Punkt eins zusammen. Denn für eine Bewertung bedarf es bereits eines Standpunktes.


korrekt.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ich nehme es als Konsens an, dass die konflikfreie Unauflösbarkeit von divergenten Interessen als Grundbefindlichkeit zu verstehen ist. Einfach ausgedrückt: Wenn jeder tut, was er Will, kommt es zum Kampf und Unterdrückung des Unterlegenen.


Wenn dem so ist, wie sollten sich dann überhaupt feste, ethische Grundsätze durchsetzen können, die nicht im Interesse der "Gewinner" sind. Oder anders ausgedrückt: Was bewegte die potenziellen Unterdrücker dazu, eine Ethik zu akzeptieren, die Unterdrückung verbietet?


Gerade das ist ja die Aufgabe der Ethik! Hierfür muss ein Begründung geliefert werden. Gottgläubige sehen in der Autorität Gottes eben die Grenzen der Eigenen Interessen und der Möglichkeiten, diese Durchzusetzen. In der Erkenntnis des Willens Gottes wird die Moral begründest. So auch Kant in seinem moralischen Gottesbeweis.

Nicht-theistische Ethiken haben hier ein Begründungsproblem. Denn auch wenn man sich inhaltlich-praktich mit dem theistischen Moralansatz einig sein kann, so fällt man in das Begründungsproblem. ALLE Utilitaristische Ansätze gehen eben von dem Postulat eines Nutzens aus, der über der simplen Triebbefriedigung liegt. Dass diese aber nicht ein beliebige Setzung ist, die ein Tyrann und Verbrecher eben anders sieht als ein Wohltäter der Menschheit, konnte ich bislang nicht erkennen.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ohne eine dogmatisch Grundlegung ist es eben nicht hinreichend, nur auf die Goldene Regel zu verweisen.


Das mache ich auch gar nicht. Auch die "goldene Regel" ist nur eine Zuspitzung oder Vereinfachung bestimmter Verhaltensweisen und keineswegs DAS ethische Prinzip schlechthin.


Was wäre dann das ethische Prinzip schlechthin? Ich hätte der Goldenen Regel so etwas bereits zugeschrieben.
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Zumsel
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Beitrag(#1324853) Verfasst am: 08.07.2009, 15:07    Titel: Antworten mit Zitat

ballancer hat folgendes geschrieben:
Die Frage ist hier nach dem Wie und den Details. Denken wir an nur 3 Personen: A und B diputieren über unterschiedliche Moralvorstellungen und finden keinen Konsens. Was soll nun C dazu sagen? Sollte er sich zu A oder B stellen und damit eine Mehrheit bilden, die dann für den Verbleibenden verbindlich wird? Oder sollte er partielle Positionen der jeweiligen Kontrahenden aufgreifen, Quasi als Integrationsfiguar? Oder sollte er in Ablehnung beider eine ganz andere Position vertreten?


Der rationale Musterfall sähe wie folgt aus: A, B und C würden ihre Moralvorstellungen reflektieren und offen darlegen, warum sie sie vertreten, will heißen: welche Interessen sie glauben damit effektiv vertreten zu können. Dann würde sie ihre Interessen in Relation zu denen der Mitdisputanten setzen und analysieren, auf welche Weise sie sich unter den gegebenen Umständen am ehesten und umfangreichsten realisieren ließen. Zu Bedenken sind dabei natürlich nicht nur die vermutlichen Reaktionen der anderen Beiden sondern auch eigene Interessen, die nicht unmittelbar mit dem diskutierten Fall zu tun haben müssen. Es wäre sehr unwahrscheinlich, dass das dann in einer Prügelei enden würde, denn eine solche dürfte nur selten die größtmögliche Chance darstellen, die Gesamtheit der eigenen Interessen langfristig zu verteidigen. Außerdem könnte es sein, dass sich die beiden anderen gegen den jeweiligen Aggressor verbünden.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Das Hauptproblem ist, dass dann moralische Prinzipien außer Kraft gesetzt werden.


Ich denke auch, dass nicht völlig auf vorhandene Prinzipien verzichtet werden kann. Ich habe ja auch nirgendwo gefordert, sie über Bord zu werfen. Ich halte es nur für angemessen, sie exakt zu analysieren.

ballancer hat folgendes geschrieben:
So könnte man sich vorstellen, dass es kollektiver Wille in Nazideutschland gewesen sei, den totalen Krieg zu wollen, die Juden zu vernichten etc.(Ich glaube das zwar nicht, aber ich halte es für möglich)


Gesetzt: Es wäre damals der kollektive Wille des Volkes gewesen: Warum ist er inzwischen der kollektiver Totalablehnung, ja -verurteilung gewichen? Dafür müsste es doch Gründe geben. Gründe, die damals nicht gesehen worden wären. Dass sie damals nicht gesehen worden wären, läge vor allem an einer eingeschränkten Urteilsfähigkeit. Denn welche Gründe hätte es, jenseits von ausgelebten Größen- und Vernichtungswahn, denn wohl für ein solches Unterfangen geben sollen? Sich der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung entgegenzustellen? Das hätte man auch damals schon mit entsprechendem Informationszugang und ein wenig gesundem Menschenverstand als ausgemachten Schwachsinn erkennen können. Davon abgesehen wären offensichtlich auch die Risiken und langfristigen Folgen völlig falsch eingeschätzt worden.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Das ist nicht hinreichend, denn wenn man davon ausgeht, dass man selber auf der Seite des Stärkeren sei, schrecken diese negativen Folgen nicht unbedingt.


Nicht unbedingt, aber immerhin möglicherweise. In einer traditionellen Ethik ist das aber nicht anders. Auch sie muss den Stärkeren etwas bieten können. Es sei denn, die Schwachen hätten die Starken vermöge ihrer Ethik irgendwie überlistet, will heißen, ihnen imaginäre Vorteile versprochen oder mit imaginären Nachteilen gedroht. Dann wäre diese Moral bloß das Instrument der Schwachen, sich der Unterdrückung durch die Starken zu erwehren.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Andererseits setze ich die Reflektion nicht absolut. Menschliches Verhalten ist komplex, und Bewusstheit/Reflektion mag anstrebenswert sein ... es gibt aber auch andere Dimensionen, die sich dieser Skala nicht unterordnen.


Ja, wie jetzt schon mehrmals gesagt halte auch ich eine völlige Rationalisierung nicht für möglich. Dennoch ist eine Optimierung durch ein höheres Maß an Klarheit erreichbar.


ballancer hat folgendes geschrieben:
Denn stellt sich aber die Frage: Woher weiß ich denn, dass Alles im Fluss ist, aka. dass es eben nichts Festes gäbe?


Sicher Wissen kann man das natürlich nicht. Aber man kann konkrete Phänomene, die von irgendwem als substantiell behauptet werden der Veränderlichkeit und des "Gewordenseins" überführen. Bei nichts funktioniert das leichter als bei Aussagen über eine "absolute Moral".

ballancer hat folgendes geschrieben:
Gerade das ist ja die Aufgabe der Ethik! Hierfür muss ein Begründung geliefert werden.


Die Begründung ist der Wille und das Interesse derjenigen, die moralische Forderungen stellen. Eine andere Begrünung ist eine gesuchte Begründung, was hier so viel heißt wie eine konstruierte. Damit werden die eigentlichen Absichten bloß verschleiert.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Nicht-theistische Ethiken haben hier ein Begründungsproblem. Denn auch wenn man sich inhaltlich-praktich mit dem theistischen Moralansatz einig sein kann, so fällt man in das Begründungsproblem.


Das ist aber doch einigermaßen bemerkenswert, dass diese inhaltlich-praktische Einigung möglicht ist, findest du nicht. Denn du wirst mir doch wohl zustimmen, dass ein Atheist nicht durch den Willen Gottes motiviert sein kann. Und spricht nun die Tatsache, dass zweifellos auch Atheisten moralische Prämissen für notwendig halten können nicht eindeutig dagegen, dass es der Wille zum gottgefälligen Leben sei, der hier ursächlich ist? Wäre es nicht viel ergiebiger zu untersuchen, was eine Ethik jenseits von der Tatsache, dass sie von Gott kommt, wichtig für uns macht? Und besteht nicht vielleicht die eigentlich richtige Begründung gerade in dieser angenommenen Wichtigkeit? Und gesetzt, es fände sich nichts, was diese Ethik wichtig oder notwendig machte: Was wäre schlimm daran, sie fallen zulassen?
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ballancer
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Beitrag(#1324884) Verfasst am: 08.07.2009, 16:20    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
ballancer hat folgendes geschrieben:
Die Frage ist hier nach dem Wie und den Details. Denken wir an nur 3 Personen: A und B diputieren über unterschiedliche Moralvorstellungen und finden keinen Konsens. Was soll nun C dazu sagen? Sollte er sich zu A oder B stellen und damit eine Mehrheit bilden, die dann für den Verbleibenden verbindlich wird? Oder sollte er partielle Positionen der jeweiligen Kontrahenden aufgreifen, Quasi als Integrationsfiguar? Oder sollte er in Ablehnung beider eine ganz andere Position vertreten?


Der rationale Musterfall sähe wie folgt aus: A, B und C würden ihre Moralvorstellungen reflektieren und offen darlegen, warum sie sie vertreten, will heißen: welche Interessen sie glauben damit effektiv vertreten zu können. Dann würde sie ihre Interessen in Relation zu denen der Mitdisputanten setzen und analysieren, auf welche Weise sie sich unter den gegebenen Umständen am ehesten und umfangreichsten realisieren ließen. Zu Bedenken sind dabei natürlich nicht nur die vermutlichen Reaktionen der anderen Beiden sondern auch eigene Interessen, die nicht unmittelbar mit dem diskutierten Fall zu tun haben müssen. Es wäre sehr unwahrscheinlich, dass das dann in einer Prügelei enden würde, denn eine solche dürfte nur selten die größtmögliche Chance darstellen, die Gesamtheit der eigenen Interessen langfristig zu verteidigen. Außerdem könnte es sein, dass sich die beiden anderen gegen den jeweiligen Aggressor verbünden.


Das ist pragmatisch und letzltich alternativlos. Dennoch liegen die Schwächen auf der Hand. Das Verfahren kann nur so gut sein wie die moralität der Beteiligten einem bestimmten Mindeststandard genügt. Wenn sich z.B. einer für stärker oder Klüger hält als die andere Beiden, oder wenn zwei aus Gründen Paktieren, die nichts mit Moral zu tun haben, läuft die Sache schief.

Ich denke, es geht nicht nur um pragmatische Lösungen, sondern um Grundlegung einer übergreifenden Moralität: Ist es möglich, nicht nur praktische und konkrete Dinge abzustimmen, sondern auch sich in Grundsatzfragen anzunähern, zumindest zu verstehen?

Zumsel hat folgendes geschrieben:
ballancer hat folgendes geschrieben:
Das Hauptproblem ist, dass dann moralische Prinzipien außer Kraft gesetzt werden.


Ich denke auch, dass nicht völlig auf vorhandene Prinzipien verzichtet werden kann. Ich habe ja auch nirgendwo gefordert, sie über Bord zu werfen. Ich halte es nur für angemessen, sie exakt zu analysieren.


Ich hätte bei vielen Atheisten oder Christen oder Moslems oder Andersgläubigen keine Bedenken, dass man sich auf gemeinsame Regeln und Werte einigen kann. Dennoch bleiben diese Einigungen fragil und unbeständig, vor allem wenn man nicht mehr in die Waagschale zu werfen hat, als das aktuelle Wort.

Ich frage nach einer Begründung der Moral, und die sollte solide sein.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
So könnte man sich vorstellen, dass es kollektiver Wille in Nazideutschland gewesen sei, den totalen Krieg zu wollen, die Juden zu vernichten etc.(Ich glaube das zwar nicht, aber ich halte es für möglich)


Gesetzt: Es wäre damals der kollektive Wille des Volkes gewesen: Warum ist er inzwischen der kollektiver Totalablehnung, ja -verurteilung gewichen? Dafür müsste es doch Gründe geben. Gründe, die damals nicht gesehen worden wären. Dass sie damals nicht gesehen worden wären, läge vor allem an einer eingeschränkten Urteilsfähigkeit. Denn welche Gründe hätte es, jenseits von ausgelebten Größen- und Vernichtungswahn, denn wohl für ein solches Unterfangen geben sollen? Sich der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung entgegenzustellen? Das hätte man auch damals schon mit entsprechendem Informationszugang und ein wenig gesundem Menschenverstand als ausgemachten Schwachsinn erkennen können. Davon abgesehen wären offensichtlich auch die Risiken und langfristigen Folgen völlig falsch eingeschätzt worden.


Es gab ja auch damals viele, die eine derartige Politik für ganz furchtbar hielten. Wenige wagten einen Widerstand mit gefahren für eigenen Leib und Leben, einige waren zu eingeschüchtert. Viele schauten weg, weil sie das moralische Problem nicht besser meistern konnten.

Aber es gibt immer wieder Phasen in der Geschichte eines Folkes, die so sehr von der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme überzeugt sind, dass sie es mit bestem Wissen und Gewissen auch klar vertreten.

Nehmen wir Collin Powell: Er war so überzeugt, dass es diese Massenvernichtungswaffen im Irak gab, dass sie den Weltfrieden massiv gefährdeten, dass er aktiv den 2. US-Irakkrieg unterstützte ... wie viele andere Amerikaner. Später stellten sie fest, dass sie Täuschungen aufgesessen sind. Waren die vorangehenden Entscheidungen dennoch moralisch?

Zumsel hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Das ist nicht hinreichend, denn wenn man davon ausgeht, dass man selber auf der Seite des Stärkeren sei, schrecken diese negativen Folgen nicht unbedingt.


Nicht unbedingt, aber immerhin möglicherweise. In einer traditionellen Ethik ist das aber nicht anders. Auch sie muss den Stärkeren etwas bieten können. Es sei denn, die Schwachen hätten die Starken vermöge ihrer Ethik irgendwie überlistet, will heißen, ihnen imaginäre Vorteile versprochen oder mit imaginären Nachteilen gedroht. Dann wäre diese Moral bloß das Instrument der Schwachen, sich der Unterdrückung durch die Starken zu erwehren.


Eine eigenwillige Sicht. Mir gefällt die Vorstellung besser, dass sich die Menschen aus dem Bewusstsein, dass Gott Macht über sie habe, eben selber niemals die Stärkeren gegen das Recht sein können.


Zumsel hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Andererseits setze ich die Reflektion nicht absolut. Menschliches Verhalten ist komplex, und Bewusstheit/Reflektion mag anstrebenswert sein ... es gibt aber auch andere Dimensionen, die sich dieser Skala nicht unterordnen.


Ja, wie jetzt schon mehrmals gesagt halte auch ich eine völlige Rationalisierung nicht für möglich. Dennoch ist eine Optimierung durch ein höheres Maß an Klarheit erreichbar.


Dazu kann ich zustimmen.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Denn stellt sich aber die Frage: Woher weiß ich denn, dass Alles im Fluss ist, aka. dass es eben nichts Festes gäbe?


Sicher Wissen kann man das natürlich nicht. Aber man kann konkrete Phänomene, die von irgendwem als substantiell behauptet werden der Veränderlichkeit und des "Gewordenseins" überführen. Bei nichts funktioniert das leichter als bei Aussagen über eine "absolute Moral".


Keineswegs. Denn ich unterscheide zwischen der Idee und der Implementierung. Soweit bin ich Platoniker: Man kann die wirklichen Dinge nicht unmittelbar erkennen, sondern nur deren Schaten. Und wenn sich der Schatten wandelt, ändert sich nicht das Ding an sich.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Gerade das ist ja die Aufgabe der Ethik! Hierfür muss ein Begründung geliefert werden.


Die Begründung ist der Wille und das Interesse derjenigen, die moralische Forderungen stellen. Eine andere Begrünung ist eine gesuchte Begründung, was hier so viel heißt wie eine konstruierte. Damit werden die eigentlichen Absichten bloß verschleiert.


Nicht unbedingt. Denn intuitives Wissen mag völlig korrekt sein, auch wenn man den Grund dafür nicht kennt. Die Reflektion muss nicht zwingend falsch rationalisieren, sie kann auch ein Stück der Wahrheit erkennen helfen ... aber beides ist möglich.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Nicht-theistische Ethiken haben hier ein Begründungsproblem. Denn auch wenn man sich inhaltlich-praktich mit dem theistischen Moralansatz einig sein kann, so fällt man in das Begründungsproblem.


Das ist aber doch einigermaßen bemerkenswert, dass diese inhaltlich-praktische Einigung möglicht ist, findest du nicht. Denn du wirst mir doch wohl zustimmen, dass ein Atheist nicht durch den Willen Gottes motiviert sein kann. Und spricht nun die Tatsache, dass zweifellos auch Atheisten moralische Prämissen für notwendig halten können nicht eindeutig dagegen, dass es der Wille zum gottgefälligen Leben sei, der hier ursächlich ist?


Wenn ich davon ausgehe, dass es intuitives Grundwissen im Menschen um Gut und Böse gibt, dass aber nur verzerrt und unvollständig aus den tiefen Schichten ans Tageslicht dringt, dann kann Gott durchaus der Urheber der Moral auch derer sein, die nicht an seine Existenz glauben.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Wäre es nicht viel ergiebiger zu untersuchen, was eine Ethik jenseits von der Tatsache, dass sie von Gott kommt, wichtig für uns macht? Und besteht nicht vielleicht die eigentlich richtige Begründung gerade in dieser angenommenen Wichtigkeit? Und gesetzt, es fände sich nichts, was diese Ethik wichtig oder notwendig machte: Was wäre schlimm daran, sie fallen zulassen?


Ich denke, alle würden verlieren ... auch Jene die glauben, dies im Namen der Freiheit als Gewinn zu betrachten. Manchmal erkennt man den Wert einer Sache erst, wenn man ihn verloren hat. Das ist um so bitterer, wenn es ich um einen irreversiblen Vorgang handelt.
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1.Thessalonicher 5,21 "Prüft aber alles und das Gute behaltet."
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Beitrag(#1324941) Verfasst am: 08.07.2009, 18:58    Titel: Antworten mit Zitat

ballancer hat folgendes geschrieben:
Die Frage ist hier nach dem Wie und den Details. Denken wir an nur 3 Personen: A und B diputieren über unterschiedliche Moralvorstellungen und finden keinen Konsens. Was soll nun C dazu sagen? Sollte er sich zu A oder B stellen und damit eine Mehrheit bilden, die dann für den Verbleibenden verbindlich wird? Oder sollte er partielle Positionen der jeweiligen Kontrahenden aufgreifen, Quasi als Integrationsfiguar? Oder sollte er in Ablehnung beider eine ganz andere Position vertreten?

Mich stört hier schon die Annahme, die Genannten müssten sich auf eine Moral einigen. Das ist in einer offenen Gesellschaft nur dann erforderlich, wenn es sich um fundamentale Grundwerte des Zusammenlebens handelt. Darüberhinausgehende "Privatmoral", also etwa die Frage, ob man Sex vor der Ehe haben darf, muß nicht konsensuell beantwortet werden.


ballancer hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Der rationale Musterfall sähe wie folgt aus: ...
Das ist pragmatisch und letzltich alternativlos. Dennoch liegen die Schwächen auf der Hand. Das Verfahren kann nur so gut sein wie die moralität der Beteiligten einem bestimmten Mindeststandard genügt.

Ja, das Verfahren scheitert dort, wo Menschen prinzipiell nicht kooperieren wollen oder nicht empathiefähig sind. Übrigens scheitert in diesem Fall auch eine religiös begründete Moral.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Wenn sich z.B. einer für stärker oder Klüger hält als die andere Beiden, oder wenn zwei aus Gründen Paktieren, die nichts mit Moral zu tun haben, läuft die Sache schief.

Und wenn eine andere Religion stärker ist, läuft Dein Ansatz auch schief. Du kannst immer Situationen konstruieren, in denen Rationalität und Kooperationswilligkeit fehlen.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ich frage nach einer Begründung der Moral, und die sollte solide sein.

Wie sich gezeigt hat, gibt es keine wirklich solide Begründung einer speziellen Moral. Am solidesten erscheint mir noch die Sichtbarmachung und kritische Hinterfragung der Zusammenhänge von gemeinsamen Werten mit Interessen. Und daß unsere Interessen letztlich eine willkürliche Komponente haben, werden wir wohl akzeptieren müssen, außer wir stecken den Kopf in den theologischen Sand.
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Zumsel
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Beitrag(#1325339) Verfasst am: 09.07.2009, 10:04    Titel: Antworten mit Zitat

ballancer hat folgendes geschrieben:
Das ist pragmatisch und letzltich alternativlos. Dennoch liegen die Schwächen auf der Hand. Das Verfahren kann nur so gut sein wie die moralität der Beteiligten einem bestimmten Mindeststandard genügt. Wenn sich z.B. einer für stärker oder Klüger hält als die andere Beiden, oder wenn zwei aus Gründen Paktieren, die nichts mit Moral zu tun haben, läuft die Sache schief.


Wie step schon richtig bemerkte, kann es die Neigung, andere übervorteilen oder gar offen unterdrücken zu wollen, immer und überall geben. Wer das unbedingt will, lässt sich weder durch einen Appell an die Vernunft, noch durch moralisierende Ermahnung davon abhalten.


ballancer hat folgendes geschrieben:
Ich hätte bei vielen Atheisten oder Christen oder Moslems oder Andersgläubigen keine Bedenken, dass man sich auf gemeinsame Regeln und Werte einigen kann. Dennoch bleiben diese Einigungen fragil und unbeständig, vor allem wenn man nicht mehr in die Waagschale zu werfen hat, als das aktuelle Wort.

Ich frage nach einer Begründung der Moral, und die sollte solide sein.


Wie schon angedeutet: Die Moral ist immer ein Spiegelbild der positiven und negativen Erfahrungen, die ein Gemeinwesen mit bestimmten Verhaltensweisen gemacht hat. Aus diesen Erfahrungen werden dogmatische, unveränderliche Grundsätze konstruiert, deren tatsächliche Einhaltung nicht nur durch Erziehung und kulturelle Tradierung, sondern u.U. zusätzlich auch noch vermittelst von Jenseitsversprechungen oder -Drohungen gesichert zu werden versucht. Der rationale Ansatz legt die Sicht auf die eigentlichen Zusammenhänge frei und argumentiert ohne Umwege und Winkelzüge. Das setzt natürlich eine Gemeinschaft von gebildeten und verantwortungsbewussten Individuen voraus, die keiner Lügen und Selbsttäuschungen mehr bedürfen, um "vernünftig" zu handeln. Eine vermeintlich "solide Begründung" der Moral, ist für mich eine solche Selbsttäuschung.


ballancer hat folgendes geschrieben:
Nehmen wir Collin Powell: Er war so überzeugt, dass es diese Massenvernichtungswaffen im Irak gab, dass sie den Weltfrieden massiv gefährdeten, dass er aktiv den 2. US-Irakkrieg unterstützte ... wie viele andere Amerikaner. Später stellten sie fest, dass sie Täuschungen aufgesessen sind. Waren die vorangehenden Entscheidungen dennoch moralisch?


Die Frage muss doch viel eher lauten: Unter welchen Voraussetzungen wäre seine Entscheidung anders ausgefallen.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Keineswegs. Denn ich unterscheide zwischen der Idee und der Implementierung. Soweit bin ich Platoniker: Man kann die wirklichen Dinge nicht unmittelbar erkennen, sondern nur deren Schaten. Und wenn sich der Schatten wandelt, ändert sich nicht das Ding an sich.


Dagegen ist erkenntnistheoretisch erst mal nichts einzuwenden. Allein: Was folgt daraus für die Moral? Ist dir eine Methode zur Annährungen an die Ideenwelt bekannt? Ansonsten ist es überflüssig, sich damit zu beschäftigen, da die Schatten dann die einzige uns gegebene Realität sind.


ballancer hat folgendes geschrieben:
Wenn ich davon ausgehe, dass es intuitives Grundwissen im Menschen um Gut und Böse gibt, dass aber nur verzerrt und unvollständig aus den tiefen Schichten ans Tageslicht dringt, dann kann Gott durchaus der Urheber der Moral auch derer sein, die nicht an seine Existenz glauben.


Gut, aber genau so könnte man die schlichte biologische Beschaffenheit des Menschen als "Urheber" sehen. Du sagst damit nämlich eigentlich nur: "Der Mensch ist von Natur aus moralisch." Mehr gibt die Aussage nicht her. Diese Moralität auf Gott zurückzuführen ist eine Spekulation, die theologisch in sich konsistent sein mag, aber ansonsten ohne Relevanz ist.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ich denke, alle würden verlieren ... auch Jene die glauben, dies im Namen der Freiheit als Gewinn zu betrachten. Manchmal erkennt man den Wert einer Sache erst, wenn man ihn verloren hat. Das ist um so bitterer, wenn es ich um einen irreversiblen Vorgang handelt.


Wie kann etwas irreversibel verloren sein, was in der Natur des Menschen liegt?
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ballancer
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Beitrag(#1325353) Verfasst am: 09.07.2009, 10:52    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
ballancer hat folgendes geschrieben:
Die Frage ist hier nach dem Wie und den Details. Denken wir an nur 3 Personen: A und B diputieren über unterschiedliche Moralvorstellungen und finden keinen Konsens. Was soll nun C dazu sagen? Sollte er sich zu A oder B stellen und damit eine Mehrheit bilden, die dann für den Verbleibenden verbindlich wird? Oder sollte er partielle Positionen der jeweiligen Kontrahenden aufgreifen, Quasi als Integrationsfiguar? Oder sollte er in Ablehnung beider eine ganz andere Position vertreten?

Mich stört hier schon die Annahme, die Genannten müssten sich auf eine Moral einigen. Das ist in einer offenen Gesellschaft nur dann erforderlich, wenn es sich um fundamentale Grundwerte des Zusammenlebens handelt. Darüberhinausgehende "Privatmoral", also etwa die Frage, ob man Sex vor der Ehe haben darf, muß nicht konsensuell beantwortet werden.


Gut, dann lasen wir alle diese Dinge, zu denen es einen Konsens gibt, dass sie nicht konsensuell entscheiden werden müssen, raus. Aber das wäre auch wieder ein Minimalkonsens.

Bleiben wir bei so einfachen Fragen wie: 'Müssen Apostaten getötet werden?'

Wenn nun A der Meinung ist, B aber ein Apostat sei, ist es von C abhängig, ob er selber Apostat ist, oder zumindest liberal, dann wäre die Meinung nicht moralisch korrekt. Sie wäre es aber, wenn A C überzeugen könnte?

step hat folgendes geschrieben:
ballancer hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Der rationale Musterfall sähe wie folgt aus: ...
Das ist pragmatisch und letzltlich alternativlos. Dennoch liegen die Schwächen auf der Hand. Das Verfahren kann nur so gut sein wie die Moralität der Beteiligten einem bestimmten Mindeststandard genügt.

Ja, das Verfahren scheitert dort, wo Menschen prinzipiell nicht kooperieren wollen oder nicht empathiefähig sind. Übrigens scheitert in diesem Fall auch eine religiös begründete Moral.


Eben nicht. Denn selbst wenn kein Kooperationswille und Gemeinsinn vorliegt, so ist doch die religiös begründete Moral das Handlungskorsett, das einen moralischen Mindeststandard unterstützt.

step hat folgendes geschrieben:
ballancer hat folgendes geschrieben:
Wenn sich z.B. einer für stärker oder klüger hält als die andere Beiden, oder wenn zwei aus Gründen paktieren, die nichts mit Moral zu tun haben, läuft die Sache schief.

Und wenn eine andere Religion stärker ist, läuft Dein Ansatz auch schief. Du kannst immer Situationen konstruieren, in denen Rationalität und Kooperationswilligkeit fehlen.


Hier werden Äpfel und Birnen verglichen. Denn in deinem ersten Fall richtet sich Moral nach Pragmatik. Diese kann eben beliebig ausgehebelt werden, und der Unterlegene verliert seine moralische Rechtfertigung. Er ist nicht nur Unterlegener, sondern er ist zu Recht Unterlegener.

Im Falle der Auseinandersetzung zwischen zwei substanziellen antagonistischen Moralsystemen (das müssen nicht Religionen sein), behält auch der Unterlegene seine Würde, denn nach seinen Maßstäben hat eben das Unrecht gesiegt.

Würde nun der Unterlegene in der kooperativen und relativen Moralkonzeption behaupten, dass es nicht recht sei, dass er verloren habe, dann referiert er auf andere Moralvorstellungen als das kooperative Modell, und verliert zusätzlich seine innere Glaubwürdigkeit, da er seine Konsistenz aufgibt und unversehens in das Lager der absoluten Moralisten wechselt.

step hat folgendes geschrieben:
ballancer hat folgendes geschrieben:
Ich frage nach einer Begründung der Moral, und die sollte solide sein.

Wie sich gezeigt hat, gibt es keine wirklich solide Begründung einer speziellen Moral. Am solidesten erscheint mir noch die Sichtbarmachung und kritische Hinterfragung der Zusammenhänge von gemeinsamen Werten mit Interessen. Und daß unsere Interessen letztlich eine willkürliche Komponente haben, werden wir wohl akzeptieren müssen, außer wir stecken den Kopf in den theologischen Sand.


Richtig ist, dass es keinen Konsens zu einer soliden Begründung der Moral gibt. Das ändert jedoch nichts daran, dass viele dies jeweils anders sehen, und zumindest ihre Moral für solide begründet halten. Darum unterscheidet sich lediglich die Einschätzung, ob etwas eine solide Moralbegründung ist oder nicht.

Dein Satz wäre also nur aus deiner Perspektive heraus gültig. Sobald du aber hier Objektivität beanspruchen solltest, muss man nach der Begründung deines Satzes fragen: Gibt es einen unparteieischen Richter über Solidität? Ist der (fehlende) Konsens ein objektiver Indikator eines Sachverhaltes, und zwar welches?
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Beitrag(#1325387) Verfasst am: 09.07.2009, 12:15    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
ballancer hat folgendes geschrieben:
Das ist pragmatisch und letzltich alternativlos. Dennoch liegen die Schwächen auf der Hand. Das Verfahren kann nur so gut sein wie die moralität der Beteiligten einem bestimmten Mindeststandard genügt. Wenn sich z.B. einer für stärker oder Klüger hält als die andere Beiden, oder wenn zwei aus Gründen Paktieren, die nichts mit Moral zu tun haben, läuft die Sache schief.


Wie step schon richtig bemerkte, kann es die Neigung, andere übervorteilen oder gar offen unterdrücken zu wollen, immer und überall geben. Wer das unbedingt will, lässt sich weder durch einen Appell an die Vernunft, noch durch moralisierende Ermahnung davon abhalten.


Aber warum ist es denn falsch, andere zu übervorteilen? In einigen Kulturen oder Peer-Groups gilt es doch sogar las besonders clever, wenn man das schafft.

Dazu bedarf es moralischer Maßstäbe, die das Übervorteilen Anderer eben verbietet. Sicher wird es auch dennoch derartige Übertretungen geben, aber die Orientierung an den Maßstäben des Verbots wird das Verhalten vieler anderer Beeinflussen und die Übervorteilung eindämmen.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ich hätte bei vielen Atheisten oder Christen oder Moslems oder Andersgläubigen keine Bedenken, dass man sich auf gemeinsame Regeln und Werte einigen kann. Dennoch bleiben diese Einigungen fragil und unbeständig, vor allem wenn man nicht mehr in die Waagschale zu werfen hat, als das aktuelle Wort.

Ich frage nach einer Begründung der Moral, und die sollte solide sein.


Wie schon angedeutet: Die Moral ist immer ein Spiegelbild der positiven und negativen Erfahrungen, die ein Gemeinwesen mit bestimmten Verhaltensweisen gemacht hat. Aus diesen Erfahrungen werden dogmatische, unveränderliche Grundsätze konstruiert, deren tatsächliche Einhaltung nicht nur durch Erziehung und kulturelle Tradierung, sondern u.U. zusätzlich auch noch vermittelst von Jenseitsversprechungen oder -Drohungen gesichert zu werden versucht. Der rationale Ansatz legt die Sicht auf die eigentlichen Zusammenhänge frei und argumentiert ohne Umwege und Winkelzüge. Das setzt natürlich eine Gemeinschaft von gebildeten und verantwortungsbewussten Individuen voraus, die keiner Lügen und Selbsttäuschungen mehr bedürfen, um "vernünftig" zu handeln. Eine vermeintlich "solide Begründung" der Moral, ist für mich eine solche Selbsttäuschung.


Ich halte es für eine Selbsttäuschung, wenn man Bildung und 'Verantwortungsbewusstsein' als moralische Qualität betrachtet, die hinreichend die Moralität sichert.

Tatsächlich gibt es enorm gebildete Menschen, die völlig amoralisch handeln. Und diese sind in der Lage, den Term 'Verantwortungsbewusstsein' auch so zu deuten, dass er zu beliebigen Handeln kompatibel wird. Nehmen wir z.B. Friedrich Nietzsche, der Altruismus als Sklavenmoral verachtete. Er war fraglos sehr gebildet, und wenn ich ihn als verantwortungslos bezeichne, dann ann ich das nur, weil ich selber konträre Maßstäbe für richtig halte.

Ergo die Gesellschaft aus guten Menschen, die eben moralisch handeln, ist ein Utopie, die Christen noch nicht mal in ihren eigenen Reihen für möglich halten.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Nehmen wir Collin Powell: Er war so überzeugt, dass es diese Massenvernichtungswaffen im Irak gab, dass sie den Weltfrieden massiv gefährdeten, dass er aktiv den 2. US-Irakkrieg unterstützte ... wie viele andere Amerikaner. Später stellten sie fest, dass sie Täuschungen aufgesessen sind. Waren die vorangehenden Entscheidungen dennoch moralisch?


Die Frage muss doch viel eher lauten: Unter welchen Voraussetzungen wäre seine Entscheidung anders ausgefallen.


Du weichst aus. Es gab natürlich Kritiker, die hier vorher eine andere begründete Einschäzung vertraten. Ich nehme an, dass Powell mit mehr sorgfalt in der Reflektion und besseren Informationen auch damals zu anderen Entscheidungen hätte kommen können. Obwohl ich ihm also persönliche Integrität und Ehrenhaftigkeit unterstelle, halte ich sein Auftritt vor der UNO dennoch für schuldhaftes moralisches Versagen. Ich meine, er sieht es selber auch so.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Keineswegs. Denn ich unterscheide zwischen der Idee und der Implementierung. Soweit bin ich Platoniker: Man kann die wirklichen Dinge nicht unmittelbar erkennen, sondern nur deren Schaten. Und wenn sich der Schatten wandelt, ändert sich nicht das Ding an sich.


Dagegen ist erkenntnistheoretisch erst mal nichts einzuwenden. Allein: Was folgt daraus für die Moral? Ist dir eine Methode zur Annährungen an die Ideenwelt bekannt? Ansonsten ist es überflüssig, sich damit zu beschäftigen, da die Schatten dann die einzige uns gegebene Realität sind.


Keineswegs, denn auch Platon meinte, aus den Schatten auf die wirklichen Dinge schließen zu können, wenngleich unter Vorbehalt. Die moralische Aufgabe ist höchst komplex, die letztlich eine ganzheitliche Weltsicht fordert.

Zum Einen bleibt es frustrierend, eben diese letzte Sicherheit der Annäherung an das Ideal der Realität und Moralität auf Erden nicht erreichen zu können, zum Anderen bleibt diese Herausforderung darum auch spannend: Denn man kann sich nicht wirklich auf erreichtem Ausruhen. Es gibt dem Leben eine Richtung und einen Sinn. Paulus schreibt dazu: Nicht, dass ich es schon errgriffen hätte, ich jage ihm aber nach ...

Die Ungewissheit gibt gerade auch anderen Entwürfen eine Chance und Existenzrecht. Sie ist die Voraussetzung der Freiheit.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Wenn ich davon ausgehe, dass es intuitives Grundwissen im Menschen um Gut und Böse gibt, dass aber nur verzerrt und unvollständig aus den tiefen Schichten ans Tageslicht dringt, dann kann Gott durchaus der Urheber der Moral auch derer sein, die nicht an seine Existenz glauben.


Gut, aber genau so könnte man die schlichte biologische Beschaffenheit des Menschen als "Urheber" sehen. Du sagst damit nämlich eigentlich nur: "Der Mensch ist von Natur aus moralisch." Mehr gibt die Aussage nicht her. Diese Moralität auf Gott zurückzuführen ist eine Spekulation, die theologisch in sich konsistent sein mag, aber ansonsten ohne Relevanz ist.


Sicher sind alternative Deutungen möglich. Mein Satz war als Antwort auf deine Behauptung zu verstehen: 'Denn du wirst mir doch wohl zustimmen, dass ein Atheist nicht durch den Willen Gottes motiviert sein kann.'

Es wurde klar, dass ich dir meine Zustimmung hier verweigere. Wenn wir von einer grundsätzlichen Moralität des Menschen ausgehen, die allerdings bei einzelnen Menschen nicht zu beobachten ist, dann stellt sich nicht immer die Frage nach der Herkunft. Hier steht die These der von Gott verliehenen Moralität der ateleologisch-evolutionären These entgegen.

Das Problem ist, dass aus der ateleologisch-evolutionären These tatsächlich nichts folgt zur Ausgestaltung der Moralität, aus dem theistischen Ansatz allerdings sehr wohl.

Zumsel hat folgendes geschrieben:

ballancer hat folgendes geschrieben:
Ich denke, alle würden verlieren ... auch Jene die glauben, dies im Namen der Freiheit als Gewinn zu betrachten. Manchmal erkennt man den Wert einer Sache erst, wenn man ihn verloren hat. Das ist um so bitterer, wenn es ich um einen irreversiblen Vorgang handelt.


Wie kann etwas irreversibel verloren sein, was in der Natur des Menschen liegt?


Nice try zwinkern Dies aber würde die Möglichkeit der Veränderung ausschließen. Denn selbst wenn der Mensch heute als grundsätzlich moralisches Wesen verstanden wird, dann muss das morgen nicht mehr so sein. Eine statisch feststehende 'Natur des Menschen' ist eine verkappte Teleologie, die ich persönlich auch vertrete, aber gerade nicht erwarte bei meinen Meinungsgegnern.
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Beitrag(#1325431) Verfasst am: 09.07.2009, 13:34    Titel: Antworten mit Zitat

ballancer hat folgendes geschrieben:
Aber warum ist es denn falsch, andere zu übervorteilen? In einigen Kulturen oder Peer-Groups gilt es doch sogar las besonders clever, wenn man das schafft.


Eben. Eine Tradierung in Form von Normen schließt dieses Verhalten nicht aus.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Dazu bedarf es moralischer Maßstäbe, die das Übervorteilen Anderer eben verbietet


Aber diese Maßstäbe können sich logischerweise nur in dem Maße etablieren, in dem das Übervorteilen zumindest einmal als schädlich empfunden wird. Und dass es als schädlich empfunden wird, hat nichts mit der aus der vermuteten Schädlichkeit resultierenden Konstruktion eines moralischen Grundsatzes zu tun. Dieser ist viel mehr auch nur das Resultat der Erkenntnis der Schädlichkeit. Und auch bei diesem Prozess kann es zur Übervorteilung der einen Gruppe durch eine andere kommen, was dann eben zur Folge hat, dass die tradierten Normen vor allem der clevereren Gruppe zugute kommen. Der Unterschied ist bloß, dass in einer bewussten, rationalen Ethik immer wieder aufs Neue geprüft wird, während in einer tradierten, metaphysisch überhöhten Ethik ein einmal als gut oder schlecht erkanntes Verhalten auf ewig geboten oder verboten bleibt, selbst wenn sich die Umstände ändern oder neue Erkenntnisse eine verbesserte Handlungsmöglichkeit eröffnen könnten.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Du weichst aus. Es gab natürlich Kritiker, die hier vorher eine andere begründete Einschäzung vertraten. Ich nehme an, dass Powell mit mehr sorgfalt in der Reflektion und besseren Informationen auch damals zu anderen Entscheidungen hätte kommen können. Obwohl ich ihm also persönliche Integrität und Ehrenhaftigkeit unterstelle, halte ich sein Auftritt vor der UNO dennoch für schuldhaftes moralisches Versagen. Ich meine, er sieht es selber auch so.


Und? Was willst du damit sagen? Dass er gewissenhafter entschieden hätte, hätte er vorher die Bergpredigt gelesen?

ballancer hat folgendes geschrieben:
Keineswegs, denn auch Platon meinte, aus den Schatten auf die wirklichen Dinge schließen zu können, wenngleich unter Vorbehalt.


Ich will hier aber nicht wissen, was Platon meinte, sondern was du meinst. Wie sieht dein Vorschlag für eine Annährung an die Welt der Ideen aus?

ballancer hat folgendes geschrieben:
Sicher sind alternative Deutungen möglich. Mein Satz war als Antwort auf deine Behauptung zu verstehen: 'Denn du wirst mir doch wohl zustimmen, dass ein Atheist nicht durch den Willen Gottes motiviert sein kann.'


Aber ich bitte doch den Kontext zu beachten. Am Anfang stand deine Behauptung, vermöge der Idee von Gott habe der Theist eine moralische Grundlage, die dem Atheisten nicht zur Verfügung stehe. Nun hat sich herausgestellt, dass diese Grundlage lediglich in der Annahme besteht, dem Menschen sei qua Geburt moralisches Verhalten zueigen. Damit begründete sich moralisches Verhalten aber eben nicht durch den Willen, gottgefällig zu leben, sondern es läge viel mehr in der Natur des Menschen selbst – völlig egal, ob für diese nun Gott, die Evolution, Außerirdische oder wer auch immer verantwortlich wären.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Das Problem ist, dass aus der ateleologisch-evolutionären These tatsächlich nichts folgt zur Ausgestaltung der Moralität, aus dem theistischen Ansatz allerdings sehr wohl.


Es kann nur insoweit etwas anderes daraus folgen, wie sich die Theologie von der "Moral-durch-Geburt"-These entfernt.

ballancer hat folgendes geschrieben:
Dies aber würde die Möglichkeit der Veränderung ausschließen. Denn selbst wenn der Mensch heute als grundsätzlich moralisches Wesen verstanden wird, dann muss das morgen nicht mehr so sein. Eine statisch feststehende 'Natur des Menschen' ist eine verkappte Teleologie, die ich persönlich auch vertrete, aber gerade nicht erwarte bei meinen Meinungsgegnern.


Aber es ging doch um deine Befürchtung, dieser Vorgang könne irreversibel sein. Aus deiner Sicht ist diese Furcht aber unbegründet. Wenn deine Einlassungen aber als Appell an deine "Meinungsgegner" zu verstehen waren, muss man sie wohl so lesen: Auch diejenigen, die nicht an eine absolute Moral glauben, sollten besser so tun sollten, als gäbe es sie doch, weil sie das Ergebnis einer relativistischen Moral bereuen könnten, Oder anders gesagt: Die bestehende Moral könnte besser sein als das, was bei einer gründlichen rationalen Reflexion herauskäme. Alles sollte man das Risiko besser nicht eingehen und stattdessen weiterhin in Kauf zu nehmen, eventuell verarscht zu werden.
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