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Forscher widerlegen Willensfreiheit
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AgentProvocateur
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Anmeldungsdatum: 09.01.2005
Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1332031) Verfasst am: 21.07.2009, 14:14    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Philosophie verständlich - Daniel C. Dennett

Was ist also eine geeignete Definition für "liberale Möglichkeiten" und "strikte Alternativen"?
(1) "Liberale Möglichkeiten" = unterschiedliche simulierte Zukünfte unter der Annahme unterschiedlicher Entscheidungswerte.

Nein, eine "liberale Möglichkeit" ist eine solche, die man unter ähnlichen Umständen durchführen könnte. Etwas schwierig, das genau zu definieren und abzugrenzen. Nehmen wir also mal ein Beispiel: wenn die hypothetische Ehefrau weiter oben im Interview mit Singer ihrem Mann vorwirft, er habe sie betrogen, dann meint sie damit, er habe die Möglichkeit gehabt, anders zu handeln; es an ihm lag, wie er handelte er und nicht durch äußere oder innere Zwänge zu seiner Handlung veranlasst wurde. Was letztlich meint, dass er zukünftig unter ähnlichen Umständen sich für etwas anderes entscheiden kann, wenn er will und ob er will, möchte sie herausfinden, indem sie nach seinen Gründen fragt. Sie wird ihm aber sicher nie vorwerfen, dass er ihr nicht 500 Milliarden Tonnen Gold schenkt oder von ihm verlangen, das zu tun, (wenn sie vernünftig ist), denn das liegt einfach außerhalb seiner "liberalen" Möglichkeiten.

step hat folgendes geschrieben:
(2) "Strikte Alternativen" = unterschiedliche, durch bewußte Auswahl letztverursachte Zukünfte des Gesamtsystems

Letzteres ist, da bin ich mit Dir und Dennet wohl einer Meinung, in unserer Welt nicht möglich und würde zudem weitere Probleme aufwerfen.

Richtig.

step hat folgendes geschrieben:
(1) ist aus meiner Sicht (in bezug auf die Bedeutung von "Möglichkeit"!) stark ananlog zu IF/ELSE Zweigen in Programmen. Unterschiede liegen in der Komplexität, den begleitenden bewußten Gefühlen und vor allem in sozialen Aspekten,

Richtig.

step hat folgendes geschrieben:
nicht aber in der Bedeutung von "Möglichkeit".

Das ist jedoch strittig. Nehmen wir doch nochmal den Beitrag von El Ali oben, in dem sie den Konjunktiv verwendete. Den hat sie offensichtlich nicht im Sinne von "strikte Alternativen" verwendet, sondern im Sinne von "liberalen Möglichkeiten".

step hat folgendes geschrieben:
Dennett macht - zumindest in dem zitierten Abschitt - nicht ausreichend klar, mit welcher Legitimation der Kompatibilist sich diese "Schizophrenie" leistet: Daß es ihm nämlich primär um die Aufrechterhaltung der psychischen und sozialen Assoziationen geht, die man mit "Freiem Willen" verbindet, und es ihm völlig egal ist, ob das durch Freiheitsgrade auf den zugrundeliegenden Ebenen gedeckt ist oder nicht. Seine Argumentation, überspitzt formuliert:

"Mein Freiheitsgefühl ist zwar nicht durch echte Freiheitsgrade gedeckt, aber der Inkompatibilist muß beweisen, daß ich das nicht ignorieren kann."

Natürlich muss man den ganzen Artikel lesen. Überspitzt formuliert argumentiert er so: die Art von (Willens-)Freiheit, die in einer determinierten / naturalistischen Welt möglich ist, (was das ist, erläutert er dort weiter), ist die einzige Art von Freiheit, die uns letztlich etwas bedeutet. Er sieht keinen Grund für die Behauptung, das sei aber keine "richtige" Freiheit, bzw. für die Behauptung, es wäre irgendwie wünschenswert, "echte Freiheitsgrade" zu haben und daher erwartet er eine Begründung für diese Behauptungen und auch für die Behauptung, man würde "Möglichkeit" im Sinne von "strikte Alternativen" verwenden.
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Kramer
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Anmeldungsdatum: 01.08.2003
Beiträge: 30878

Beitrag(#1332037) Verfasst am: 21.07.2009, 14:21    Titel: Antworten mit Zitat

El Ali hat folgendes geschrieben:
Auch wenn die Vertreter und Verfechter des freien Willens im Chor singen, ihr Gesang klingt falsch, da jeder einzelne nicht anders als falsch singen kann.


Chinesischer Reissack
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step
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Beiträge: 22767
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Beitrag(#1332045) Verfasst am: 21.07.2009, 14:30    Titel: Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Ist die Sterblichkeit biologischer Wesen aus deren Genen und Zellstruktur ableitbar oder benötigt man höhere, theologische Kenntnisse?
Gene und Zellstruktur reichen nicht aus. Die Gesamtstruktur des Organismus muss hier betrachtet werden. Hierzu reicht auch Physik nicht aus, es reicht aber Biologie.

Ich dachte, man könnte inzwischen aus der Kenntnis der Reproduktionsmechanismen der Zelle, den Telomeren, der Zerstörungsrate usw. ein maximales Alter des Organismus abschätzen.

Aber darum ging es mir nicht. Nehmen wir daher mal an, Du hast recht und man benötigt die Betrachtung des biologischen Gesamtorganismus, um dessen Sterblichkeit zu erkennen.

Wenn jetzt eine Art "Seelen-Kompatibilist" kommt und sagt à la Dennett:

"Natürlich stirbt der Organismus auf unterer Ebene. Aber wer sagt denn, das wir auf höherer Ebene "striktes Leben" brauchen? Wir alle fühlen doch, daß das Leben nach dem Tod weitergehen könnte, daß wir eine Seele haben. Auf einer höheren Ebene reicht ein "liberales Leben". Es wäre Aufgabe des Inkompatibilisten, zu zeigen, daß es dieses "liberale Leben" nicht geben kann. Vor allem muß er einen Grund finden, warum wir ein Interesse an einem "strikten Leben" haben sollten ..."
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22767
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Beitrag(#1332139) Verfasst am: 21.07.2009, 16:17    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
(1) "Liberale Möglichkeiten" = unterschiedliche simulierte Zukünfte unter der Annahme unterschiedlicher Entscheidungswerte.
Nein, eine "liberale Möglichkeit" ist eine solche, die man unter ähnlichen Umständen durchführen könnte.

OK, ist mir auch recht. Wobei "könnte" hier bedeutet: Man erwartet, daß Menschen in ähnlichen Situationen unterschiedlich handeln, weil man keine akuten Zwänge erkennt und zu wenig weiß über die genauen Präferenzen im Einzelfall.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Etwas schwierig, das genau zu definieren und abzugrenzen. Nehmen wir also mal ein Beispiel: wenn die hypothetische Ehefrau weiter oben im Interview mit Singer ihrem Mann vorwirft, er habe sie betrogen, dann meint sie damit, er habe die Möglichkeit gehabt, anders zu handeln; es an ihm lag, wie er handelte er und nicht durch äußere oder innere Zwänge zu seiner Handlung veranlasst wurde. Was letztlich meint, dass er zukünftig unter ähnlichen Umständen sich für etwas anderes entscheiden kann, wenn er will und ob er will, möchte sie herausfinden, indem sie nach seinen Gründen fragt. Sie wird ihm aber sicher nie vorwerfen, dass er ihr nicht 500 Milliarden Tonnen Gold schenkt oder von ihm verlangen, das zu tun, (wenn sie vernünftig ist), denn das liegt einfach außerhalb seiner "liberalen" Möglichkeiten.

Da stimme ich weitgehend zu, würde aber präzisieren, daß

"sie meint, dass er zukünftig unter ähnlichen Umständen sich für etwas anderes entscheiden kann"

eins von zweien bedeutet:

- sie meint, daß sie ihn dazu bringen kann, sich in Zukunft anders zu verhalten
- sie hat nicht genügend Wissen über die genaue Präferenz- und Determinationslage (klar sichtbare Zwänge gibt es nicht)

Zudem kommt es sicher auch oft vor, daß man jemand etwas vorwirft, weil man über die Abweichung vom Erwarteten enttäuscht ist, ohne sich ernsthaft zu fragen, wie "typisch" es für denjenigen ist. Der Vorwurf kann sozuagen präventiven, aber auch vergeltenden oder anderen psychohygienischen Zweck haben. Ist aber idZ vielleich unerheblich.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... erwartet er eine Begründung für diese Behauptungen und auch für die Behauptung, man würde "Möglichkeit" im Sinne von "strikte Alternativen" verwenden.

Habe ich nicht mal diese Studie verlinkt, bei der sich herausgestellt hat, daß die befragten (immerhin Studenten) bei Szenarien mit emotionaler Involviertheit eine deterministische Interpretation zugunsten von "freiem Willen" und "Schuld" ablehnten, während sie dieselbe Situation, neutral präsentiert, deterministisch interpretierten? Vielleicht kann ich's nochmal raussuchen.

Jedenfalls glaube ich, daß die meisten Menschen bei der Vorstellung ihres "freien Willens" einen Determinismus intuitiv ausschließen, und nur die intelligenteren, und auch die erst durch das Aufzeigen von Widersprüchen, adaptieren das kompatibilistische Notkonstrukt.
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Skeptiker
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Beitrag(#1332250) Verfasst am: 21.07.2009, 19:43    Titel: Die Welt macht, was sie will Antworten mit Zitat

Kival hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Nur mal ein Beispiel: Ein einzelnes Proton hat ja wohl keine Temperatur. Erst eine Vielzahl von Teilchen kann so etwas haben. Wie soll man aus Eigenschaften solcher einzelner Teilchen Eigenschaften ableiten, die erst bestimmte Strukturen haben können?


Weil es eine Eigenschaft des Teilchens ist, wie es auf andere Teilchen reagiert. Das elektrische Feld ist doch auch etwas, was nur auf etwas *anderes* wirkt.


Woher weiß man denn überhaupt, dass ein Teilchen ein elektrisches Feld hat, wenn kein anderes Teilchen da ist, auf das es wirkt?

Wenn man wirklich von der untersten Ebene kommt, dann weiß man eigentlich nur, dass es unendlich viele theoretische Kombinationsmöglichkeiten gibt. So, und nun zeig mir mal die Formel, mit der ich ex ante all diese Möglichkeiten von einem Teilchen angefangen, weitergehend mit dem zweiten Teilchen, dem dritten, usw. bis hin zu unendlich vielen Teilchen eine deterministische Berechnung über die Zukunft eines jeden dieser Teilchen anstellen kann, die auch mit der Realität überein stimmt.

Das ist völliger Unsinn. Es setzt quasi eine Weltformel voraus, und nicht nur das. Es setzt auch voraus, dass irgendein Weltgeist zu einem bestimmten Zeitpunkt irgendeine Ausgangsbedingung in ihrer Gesamtheit kennt und aus der unendlichen Zahl der realen Möglichkeiten genau die richtige für alle unendlichen weiteren Zeitpunkte heraus fischt und voraussagt. Und nun, um das Ganze mal zu steigern, stelle Dir mal vor, dass Zeit, Raum und Materie unendlich sind.

Dann wird jeder halbwegs denkende Mensch schnell erkennen, dass die Berechenbarkeit nicht an zu großer Komplexität bzw. zu wenig Rechenkapazität scheitert, sondern daran, dass prinzipiell gar keine Aussagen möglich sind über das was ist und das, was sein wird.

Eine Weltformel ist prinzipiell unmöglich und kein Mangel unserer Erkenntnisfähigkeit.

These: Die echten Freiheitsgrade einer beliebigen unteren Ebene A sind stets so groß, dass eine beliebige höhere Strukturebene B nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden kann.

Kival hat folgendes geschrieben:
Und weil es es Randbedingungen sind, wie viele Teilchen man beispielsweise hat.


Irgendwie sind das keine Randbedingungen, wenn wir uns den Sprung zwischen Mikro- und Makrowelt ansehen. Es ändern sich plötzlich die Gesetzmäßigkeiten irgendwo an dieser Schwelle.

Kival hat folgendes geschrieben:
Simples Erklärungsmuster:

Alle Teilchen A verhalten sich unter Einfluss von x anderen Teilchen wie y.
A befindet sich unter dem Einfluss von x anderen Teilchen

=> A verhält sich wie y.

Ein Reduktionismus auf Physik bedeutet doch nicht Reduktionismus auf *ein* Teilchen, sondern - wenn überhaupt - auf verdammt viele Teilchen in eine empirisch vorgegebenen Anordnung.


Empirisch? Ging es nicht um Vorhersagbarkeit von Empirie?

Also um die Herleitung einer Formel, die der Welt angemessen ist? Genau dies fehlt doch.

Was man hat, ist tatsächlich nur eine Auswahl bestimmter bekannter Bedingungen, die aber nun mal noch unbekannte Bedingungen nicht mit einschließen.

Man muss Wasser und seine auf unteren Ebenen inexistenten Qualitäten erst kennen, um dann in einer Rückwärt-Vorwärts-Betrachtung so etwas wie eine Näherungsformel zu erstellen. Mehr ist es nicht.

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Kival
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Beitrag(#1332272) Verfasst am: 21.07.2009, 20:11    Titel: Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Woher weiß man denn überhaupt, dass ein Teilchen ein elektrisches Feld hat, wenn kein anderes Teilchen da ist, auf das es wirkt?


Wenn man weiß, wodurch ein elektrisches Feld hervorgerufen wird, kann man natürlich überprüfen, ob das Hervorufende da ist. Das wäre aber nur ein indirektes Zeigen.

Zitat:
Wenn man wirklich von der untersten Ebene kommt, dann weiß man eigentlich nur, dass es unendlich viele theoretische Kombinationsmöglichkeiten gibt. So und nun zeig mir mal die Formel, mit der ich ex ante all diese Möglichkeiten von einem Teilchen angefangen, weitergehend mit dem zweiten Teilchen, dem dritten, usw. bis hin zu unendlich vielen Teilchen eine deterministische Berechnung über die Zukunft eines jeden dieser Teilchen anstellen kann, die auch mit der Realität überein stimmt.


Ob es unendlich viele Teilchen gibt oder nicht, ist doch überhaupt nicht klar. Und niemand behauptet, er könne das, was Du da sagst.




Zitat:
Dann wird jeder halbwegs denkende Mensch schnell erkennen, dass die Berechenbarkeit nicht an zu großer Komplexität bzw. zu wenig Rechenkapazität scheitert, sondern daran, dass prinzipiell gar keine Aussagen möglich sind über das was ist und das, was sein wird.


Nein, das folgt höchstens dann, wenn das Universum unendlich ist, dann ist es wohl tatsächlich prinzipiell unmöglich. Das widerlegt aber sowieso keinen Determinismus.

Außerdem kannst Du einzelne Phänomene in ziemlich guter Näherung beschreiben, weil die Auswirkung der allermeisten Teilchen für ein Einzelphänomen ziemlich irrelevant sind.

Zitat:
Kival hat folgendes geschrieben:
Und weil es es Randbedingungen sind, wie viele Teilchen man beispielsweise hat.


Irgendwie sind das keine Randbedingungen, wenn wir uns den Sprung zwischen Mikro- und Makrowelt ansehen. Es ändern sich plötzlich die Gesetzmäßigkeiten irgendwo an dieser Schwelle.


Achja? Tun sie das? Wo ist denn eigentlich die Mikro und wo die Makrowelt? Gibt es da irgendeine magische Grenze?

Zitat:
Kival hat folgendes geschrieben:
Simples Erklärungsmuster:

Alle Teilchen A verhalten sich unter Einfluss von x anderen Teilchen wie y.
A befindet sich unter dem Einfluss von x anderen Teilchen

=> A verhält sich wie y.

Ein Reduktionismus auf Physik bedeutet doch nicht Reduktionismus auf *ein* Teilchen, sondern - wenn überhaupt - auf verdammt viele Teilchen in eine empirisch vorgegebenen Anordnung.


Empirisch? Ging es nicht um Vorhersagbarkeit von Empirie?


Vorhersagen sind *immer* Verknüpfungen von Zustandsbeschreibungen und Gesetzesaussagen. Ohne diese empirischen Zustandsbeschreibungen kann man nichts vorhersagen...

Zitat:
Also um die Herleitung einer Formel, die der Welt angemessen ist? Genau dies fehlt doch.


Ernsthafte Frage: Hast Du auch nur grundlegendste Ahnung von Mathematik?
Eine Formel beschreibt quantifizierte Zusammenhänge zwischen Variablen. Ein Gesetz ist übrigens noch ein bisschen mehr als nur eine Formel, nehmen wir dochmal das Newtone Gravitationsgesetz:

Die Formel lautet: F = G * m1*m2/r^2 (hoffentlich vertue ich mich jetzt nicht, meine Physikzeit ist schone etwas her)

Das Gesetz ist aber genaugenommen:

Es existiert ein G, so dass für alle m1,m2,r gilt: F=G*m1*m2/r^2


Jetzt sagt das Gesetz also voraus, dass zwei Planeten mit den Massen m1, m2 und dem Abstand r sich mit der Kraft F anziehen, wenn sonst nichts auf sie einwirkt oder die sonstigen Einflüsse vernachlässigbar sind.

Du musst also vorgegeben haben, wie groß m1,m2 und r sind, um eine Vorhersage zu machen.


Zitat:
Was man hat, ist tatsächlich nur eine Auswahl bestimmter bekannter Bedingungen, die aber nun mal noch unbekannte Bedingungen nicht mit einschließen.


(Was hat das eigentlich alles mit der Frage nach Reduktionismus auf Physik zu tun?) Du scheinst irgendwie irgendwie um Aussagen herumzuwabern, die letztlich allerlei Gründe sind, warum unsere Theorien nicht perfekt sein können.

Zitat:
Man muss Wasser und seine auf unteren Ebenen inexistenten Qualitäten erst kennen, um dann in einer Rückwärt-Vorwärts-Betrachtung so etwas wie eine Näherungsformel zu erstellen. Mehr ist es nicht.


Es werden ständig Prognosen in den Naturwissenschaften gemacht und auch hin und wieder mal tatsächlich dann später empirisch gefunden, was es nach der Theorie geben müsste.
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Skeptiker
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Beitrag(#1332348) Verfasst am: 21.07.2009, 21:52    Titel: Emergenzen Antworten mit Zitat

Kival hat folgendes geschrieben:
...


Es geht hier nicht um Grundkurs 1. Klasse, sondern um folgenden kleinen Disput:

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Natürlich sind die höheren Seinsstufen aus den niedrigeren aufgebaut, aber deren Eigenschaften sind nicht aus diesen ableitbar.


Sind die chemischen Eigenschaften, der Siedepunkt, die Durchsichtigkeit usw. von H2O Deiner Meinung nach aus den physikalischen Eigenschaften von Proton, Neutron und Elektron ableitbar?

Ist die Sterblichkeit biologischer Wesen aus deren Genen und Zellstruktur ableitbar oder benötigt man höhere, theologische Kenntnisse?


Die Frage lautet also nicht, ob es Formeln gibt, die kreisende Planeten beschreiben können, sondern ob sich aus niedrigeren Strukturebenen die Eigenschaften höherer Strukturen prinzipiell voraussagen lassen (ohne dass man diese höheren Strukturen vorher kennt!).

Dabei unterstelle ich bereits einen allwissenden Weltgeist. Trotzdem kann man diese Frage getrost verneinen. Auch ein allwissender Weltgeist könnte die Entwicklung höherer Strukturen inklusive der Gesamtheit ihrer Eigenschaften nicht 100%ig, das heisst also nicht voraussagen, auch nicht für "begrenzte Systeme". Es sei denn, gewisse Strukturen sind bereits samt ihren Qualitäten bekannt. Aber das ist dann keine Voraussage im ursprünglichen Sinne mehr ...-

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Zuletzt bearbeitet von Skeptiker am 21.07.2009, 21:55, insgesamt einmal bearbeitet
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Kival
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Beitrag(#1332353) Verfasst am: 21.07.2009, 21:54    Titel: Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Die Frage lautet also nicht, ob es Formeln gibt, die kreisende Planeten beschreiben können, sondern ob sich aus niedrigeren Strukturebenen die Eigenschaften höherer Strukturen prinzipiell voraussagen lassen (ohne dass man diese höheren Strukturen vorher kennt!).

Dabei unterstelle ich bereits einen allwissenden Weltgeist. Trotzdem kann man diese Frage getrost verneinen. Auch ein allwissender Weltgeist könnte die Entwicklung höherer Strukturen inklusive der Gesamtheit ihrer Eigenschaften nicht 100%ig, das heisst also nicht voraussagen, auch nicht für "begrenzte Systeme". Es sei denn, gewisse Strukturen sind bereits samt ihren Qualitäten bekannt. Aber das ist dann keine Voraussage im ursprünglichen Sinne mehr ...-


Du lieferst dafür aber leider überhaupt kein Argument. Außer wenn Du natürlich "höhere Strukturen" schon so definierst, dass es logisch (!) nicht mehr möglich ist, dann bezweifel ich und step sicher auch, aber dass es diese so definierten höheren Strukturen überhaupt gibt.
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AgentProvocateur
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Beitrag(#1332355) Verfasst am: 21.07.2009, 21:57    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
[Übereinstimmungshalber gesnippt]

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... erwartet er eine Begründung für diese Behauptungen und auch für die Behauptung, man würde "Möglichkeit" im Sinne von "strikte Alternativen" verwenden.

[...]

Jedenfalls glaube ich, daß die meisten Menschen bei der Vorstellung ihres "freien Willens" einen Determinismus intuitiv ausschließen, und nur die intelligenteren, und auch die erst durch das Aufzeigen von Widersprüchen, adaptieren das kompatibilistische Notkonstrukt.

Das ist genau der Punkt, bis zu dem unsere Diskussion immer kommt und dann stockt sie. Ich meine, Du (und auch andere Inkompatibilisten) musst hier schon mal ein Argument bringen. Ich glaube nämlich nicht, dass die Alltagspsychologie einen Determinismus intuitiv ausschließt.

Ich halte es für wahrscheinlich, dass die meisten erst mal unreflektierte Dualisten sind, denn das liegt intuitiv nahe ("ich bin hier und da ist die Welt"). Aber auf der anderen Seite glaube ich, dass intuitiv auch Kausalität tief verwurzelt ist: man erwartet, dass alles eine Ursache oder einen Grund hat. Und auf die Handlungen von jemandem bezogen ist meiner Ansicht nach kein Indeterminismus vorherrschend. Man erwartet im Gegenteil, dass sich andere Leute verlässlich / berechenbar verhalten und ist eher dann erst mal erstaunt, wenn jemand aus der Rolle fällt, wenn er etwas ganz Überraschendes tut. Aber auch dafür erwartet man einen Grund. Jemanden, der "einfach so" "irgendwie" handelt, würde man wohl als verrückt ansehen (wenn das permanent geschähe). Auch gibt es zum Beispiel die Redensart: "er kann halt nicht aus seiner Haut". Es wird auch (weithin) akzeptiert, dass jemand durch unglückliche Umstände in seiner Kindheit, durch Drogenkonsum, durch einen Tumor im Gehirn oder durch eine psychische Störung seine Kontrollfähigkeit verlieren / diese stark eingeschränkt sein kann.

Ich meine, all dies lässt nicht auf eine allgemeine Vorstellung eines "Erstbewegers" schließen, im Gegenteil. Und ich meine, dass die Alltagspsychologie in dieser Hinsicht nicht so falsch liegt, wie Du zu glauben scheinst; ich meine, es gibt hier keinen Grund zu einer Aufklärerallüre (das ist jetzt nicht offensiv gemeint, ich weiß aber nicht, wie ich es griffiger ausdrücken kann). Das hat mit Intelligenz und überlegter Reflexion nicht viel zu tun, denn die Intuition liegt dabei mAn nicht so falsch, wie Du glaubst.

Du hast mir ja oben zugestimmt bei meiner Beschreibung der Intentionen der Frau, die ihrem Mann Vorwürfe macht. Dabei kommt eine Auffassung eines Determinismus nirgends vor, sie ist unnötig und liegt mE auch nicht zugrunde.

Wie gesagt: ich bin der Meinung, dass hier ein Inkompatibilist (nicht nur Du, auch die anderen Inkompatibilisten hier) durchaus auch mal argumentieren muss. Es reicht nicht, einfach zu behaupten, die Leute glaubten an "echte Alternativen". Denn das erscheint mir nicht einfach so plausibel.

(Und die Auffassung von El Ali, viele Leute glaubten an einen völlig unbedingten Willen, halte ich für absolut unplausibel. Siehe meine Versuche der Darstellung der Alltagspsychologie, die dem einfach komplett widersprechen, falls sie halbwegs plausibel sind. Falls das aber nicht El Alis Auffassung trifft, dann habe ich sie vielleicht noch nicht richtig verstanden, das mag durchaus sein.)


Zuletzt bearbeitet von AgentProvocateur am 21.07.2009, 23:01, insgesamt einmal bearbeitet
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Skeptiker
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Beitrag(#1332362) Verfasst am: 21.07.2009, 22:09    Titel: gibt es gar keine höheren Strukturen? Antworten mit Zitat

Kival hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:

Die Frage lautet also nicht, ob es Formeln gibt, die kreisende Planeten beschreiben können, sondern ob sich aus niedrigeren Strukturebenen die Eigenschaften höherer Strukturen prinzipiell voraussagen lassen (ohne dass man diese höheren Strukturen vorher kennt!).

Dabei unterstelle ich bereits einen allwissenden Weltgeist. Trotzdem kann man diese Frage getrost verneinen. Auch ein allwissender Weltgeist könnte die Entwicklung höherer Strukturen inklusive der Gesamtheit ihrer Eigenschaften nicht 100%ig, das heisst also nicht voraussagen, auch nicht für "begrenzte Systeme". Es sei denn, gewisse Strukturen sind bereits samt ihren Qualitäten bekannt. Aber das ist dann keine Voraussage im ursprünglichen Sinne mehr ...-


Du lieferst dafür aber leider überhaupt kein Argument. Außer wenn Du natürlich "höhere Strukturen" schon so definierst, dass es logisch (!) nicht mehr möglich ist, dann bezweifel ich und step sicher auch, aber dass es diese so definierten höheren Strukturen überhaupt gibt.


Das fürchte ich auch.

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Beitrag(#1332421) Verfasst am: 21.07.2009, 23:13    Titel: Antworten mit Zitat

Ok. Was zeichnet denn eine solche "höhere Struktur" aus und wie kann man herausfinden, ob es solche höheren Strukturen gibt? Stell Dir vor, ich hätte dazu bisher keine Meinung und würde das Wort auch nicht wirklich verstehen.
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step
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Wohnort: Germering

Beitrag(#1332520) Verfasst am: 22.07.2009, 09:49    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Jedenfalls glaube ich, daß die meisten Menschen bei der Vorstellung ihres "freien Willens" einen Determinismus intuitiv ausschließen, und nur die intelligenteren, und auch die erst durch das Aufzeigen von Widersprüchen, adaptieren das kompatibilistische Notkonstrukt.
... Ich halte es für wahrscheinlich, dass die meisten erst mal unreflektierte Dualisten sind, denn das liegt intuitiv nahe ("ich bin hier und da ist die Welt").

Ja, das sehe ich ebenso.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber auf der anderen Seite glaube ich, dass intuitiv auch Kausalität tief verwurzelt ist: man erwartet, dass alles eine Ursache oder einen Grund hat. Und auf die Handlungen von jemandem bezogen ist meiner Ansicht nach kein Indeterminismus vorherrschend. Man erwartet im Gegenteil, dass sich andere Leute verlässlich / berechenbar verhalten und ist eher dann erst mal erstaunt, wenn jemand aus der Rolle fällt, wenn er etwas ganz Überraschendes tut.

Auch da stimme ich zu. Die Überraschung ist übrigens auch bei "nichtpersonalem" unerwarteten Eintreten von Ereignissen gegeben.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber auch dafür erwartet man einen Grund. Jemanden, der "einfach so" "irgendwie" handelt, würde man wohl als verrückt ansehen (wenn das permanent geschähe).

Genau, als "unzurechnungsfähig", "unberechenbar". Man arbeitet also eigentlich ständig mit der Determiniertheit, ja Vorhersagbarkeit von menschlichen Entscheidungen (geht ja auch gar nicht anders). Der Punkt scheint mir zu sein, daß diese intuitiv plötzlich geleugnet wird, sobald es um Moral und emotionale Involviertheit geht. Daher hatte ich diese Studie erwähnt:

step hat folgendes geschrieben:
... bei der sich herausgestellt hat, daß die befragten (immerhin Studenten) bei Szenarien mit emotionaler Involviertheit eine deterministische Interpretation zugunsten von "freiem Willen" und "Schuld" ablehnten, während sie dieselbe Situation, neutral präsentiert, deterministisch interpretierten? Vielleicht kann ich's nochmal raussuchen.

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Tso Wang
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Beiträge: 1433

Beitrag(#1332528) Verfasst am: 22.07.2009, 10:11    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
... Auch da ist es so, daß das Phänomen als solches scheinbar in keinem Zusammenhang steht, aber die Kenntnis der beteiligten atomaren Gesetze erlaubt eine Erklärung und Berechnung, in diesem Fall allerdings nur noch mit erheblichem numerischen Aufwand.
Diese Theorie der "Einzeleigenschaften" hat man aber (noch) nicht.

Man hat eine sehr gute zugrundeliegende physikalische Theorie.

Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Und selbst wenn man sie hätte, haben Moleküle die "Eigenschaft" (hihihi) zu "entfleuchen", die Dinge entgleiten uns und die zugrunde liegenden Gesetze sind (vermutlich!) algorithmisch irreduzibel. Du hast ja nicht unbegrenzt Rechenzeit. Um exakt nachzuvollziehen, wohin ein System führt, musst Du das System selbst sein. Du würdest also genausoviel Zeit (ver-)brauchen wie das System selbst benötigt. ... Wenn das Ergebnis der "Berechnung der Welt" zu einem beliebigen Zeitpunkt die gleiche Grobkörnung (coarsegraining) wie die Welt selbst aufweisen soll, müsste der Rechner die Welt selbst sein.

Das ist korrekt, und ich habe es hier sogar schonmal selbt gepostet. Die (Quanten-)Physik ist, nach allem was wir heute wissen, tatsächlich die einfachste Simulation ihrer selbst.

Bedenke aber, daß es mir nicht darum ging, jeden einzelnen Gedanken zu berechnen oder auch nur die Funktion des Bewußtseins zu emulieren, sondern es ging nur um den Ausschluß von echten Freiheitsgraden des Gesamtsystems. Wie auch immer genau das Gefühl des "Freien Willens" zustandekommt, es ist SICHER, daß die wesentlichen Abläufe vollständig determiniert sind. Dazu benötige ich keine besonders hohe Rechenstärke. Würde sich wie auch immer herausstellen, daß dem doch nicht so ist, so wäre die Physik grob(!) unvollständig und falsch!




.

Das ist richtig. Daß es Regeln (Naturgesetze) gibt, auf denen die Entwicklung des Universums, seiner Kräfte und damit auch des Lebens basiert, steht wohl außer Frage. Diese Regeln können jedoch bei der Entwicklung des Universums Eigenschaften hervorbringen, die in den Regeln selbst nicht enthalten sind.
Diese Regeln können zwar vollständig determiniert sein, das Bewußtsein oder der "Freie Wille" würde aber als "emergentes Phänomen" trotz Determination nicht "absehbar" sein. Denn es wird ja nicht das Bewußtsein oder der freie Wille determiniert, sondern bestenfalls die "Rahmenbedingungen" (Naturgesetze), aus denen es "emergiert" wie auf jedem Marktplatz anschaulich zu sehen ist. Es sei denn, man setzt Rahmenbedingung und alle auftretenden Phänomene gleich. Dann hättest du recht.

Man kann natürlich alles hinterfragen:

"Auf welcher Grundlage beruht das Bewußtsein ?"
"Auf materiellen und energetischen Prozessen in Raum und Zeit."
"Auf welcher Grundlage beruhen diese Prozesse ?'"
"Auf Naturgesetzen."
"Auf welcher Grundlage beruhen diese Naturgesetze ?"
Tja, gute Frage ?!

Selbst wenn wir eine Kopie der "Originalversion" dieser sich entwicklenden vollständig determinierten Reihe (um die Analogie aus der Mathematik zuhilfe zu nehmen) des Universums hätten, müssten wir sie ersteinmal überprüfen und schauen, ob sie sich wieder genauso entfaltet (die "Empfindlichkeit der Anfangsbedingungen"). Das würde vermutlich wieder Milliarden Jahre dauern. Das alles ist zwar recht interessant; die moderne Neurobiologie und Psychologie interessiert allerdings mehr die Frage, wann ein Individuum sich als frei entscheidend und wann als gezwungen empfindet. Daß das alles auf Naturgesetzen beruht, ist selbstredend, erklärt aber leider nichts und hilft der Forschung nicht weiter in der Frage nach einem - wie auch immer gearteten - "Freien Willen".

Für die Chaosforschung ist vermutlich die erste Betrachtung interessanter. Der Physiker und Chaosforscher Joseph Ford drückte es so aus :

"Evolution ist Chaos plus Rückkopplung.....
Gott würfelt mit dem Universum ( Anm.: als Erwiderung auf Einstein). Doch sind die Würfel präpariert. Und das Hauptziel der Physik ist heute, herauszufinden, nach welchen Regeln und Gesetzen sie präpariert worden sind und wie wir sie für unsere Zwecke benutzen können."
(Zitat aus James Gleick: "Chaos - Die Ordnung des Universums")

Aber das wäre vielleicht Thema für einen anderen Thread ( z.B. "Chaos und Lorenz-Attraktor" ?)

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AgentProvocateur
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Beitrag(#1332600) Verfasst am: 22.07.2009, 12:19    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber auch dafür erwartet man einen Grund. Jemanden, der "einfach so" "irgendwie" handelt, würde man wohl als verrückt ansehen (wenn das permanent geschähe).

Genau, als "unzurechnungsfähig", "unberechenbar". Man arbeitet also eigentlich ständig mit der Determiniertheit, ja Vorhersagbarkeit von menschlichen Entscheidungen (geht ja auch gar nicht anders). Der Punkt scheint mir zu sein, daß diese intuitiv plötzlich geleugnet wird, sobald es um Moral und emotionale Involviertheit geht.

Schön, dass wir uns bis hier einig sind.

Ich behaupte nun folgendes: viele Leute glauben erst mal intuitiv, dass Determinismus (wenn man ihnen erklärt, was das ist - das ist wohl für viele ein unbekanntes Konzept), einer

step hat folgendes geschrieben:
Kontrollfähigkeit

widerspräche. (Und eben das behaupten auch Inkompatibilisten eigentlich.)

Aber das eben glaube ich nicht, ich glaube, diese Intuition täuscht. Ich halte nämlich Kontrollfähigkeit auch in einer determinierten naturalistischen Welt für möglich.

Hier muss also der Inkompatibilist argumentieren. Es reicht nicht, sich einfach auf die Intuitionen anderer bezüglich einer Unvereinbarkeit von Determinismus und Kontrollfähigkeit zu berufen.
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PataPata
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Beitrag(#1332697) Verfasst am: 22.07.2009, 15:15    Titel: Illusionen Antworten mit Zitat

Nach Lesen über den Kompatibilisten Dennett und der letzten Beiträge in diesem Thread bin ich so weit gekommen, anzunehmen, dass die Freiheit des Willens eine Illusion ist (so wie die Zeit), aber dass für alle praktischen, pragmatischen Belange gewisse Freiheitsgrade des Willens existieren (so wie die Zeit). Wie ich für meinen aktuellen Entscheidungsprozess, wo ich in nächster Zukunft wohnen will, erläutert habe, kann eine Entscheidung ein vielschichtiges Evaluationsverfahren sein, mit zugehörigen subjektiven Gewichtungen. Viele Entscheidungen werden auch rein intuitiv d.h. unbewusst getroffen. Das Unbewusste wurde aber durch meine früheren Entscheidungen und Erfahrungen geprägt und enthält somit ebenfalls gewisse "historische" Freiheitsgrade (Lernen, Training etc.). Andere Entscheidungen werden ad hoc getroffen unter Einbezug sowohl des Bewussten als auch Unbewussten, wobei die Zündung für die Handlungsauslösung offenbar im Unbewussten erfolgt. Ein solcher Prozess enthält somit immer eine Portion Freiheitsgrade.

Wie gesagt: Bedingt freier Wille...

Edit: Was über das hinausgeht, was ich oben geschrieben habe, weiss man heute nichts Genaues - es ist sogar fraglich, ob man jemals grundsätzlich mehr wissen wird (Detailkenntnisse werden sicher noch wachsen). Alles Weitere ist philosophische Geschmacksache...
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step
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Beitrag(#1332844) Verfasst am: 22.07.2009, 20:31    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber auch dafür erwartet man einen Grund. Jemanden, der "einfach so" "irgendwie" handelt, würde man wohl als verrückt ansehen (wenn das permanent geschähe).
Genau, als "unzurechnungsfähig", "unberechenbar". Man arbeitet also eigentlich ständig mit der Determiniertheit, ja Vorhersagbarkeit von menschlichen Entscheidungen (geht ja auch gar nicht anders). Der Punkt scheint mir zu sein, daß diese intuitiv plötzlich geleugnet wird, sobald es um Moral und emotionale Involviertheit geht.
Schön, dass wir uns bis hier einig sind.

Ich behaupte nun folgendes: viele Leute glauben erst mal intuitiv, dass Determinismus (wenn man ihnen erklärt, was das ist - das ist wohl für viele ein unbekanntes Konzept), einer ... Kontrollfähigkeit ... widerspräche. (Und eben das behaupten auch Inkompatibilisten eigentlich.) Aber das eben glaube ich nicht, ich glaube, diese Intuition täuscht. Ich halte nämlich Kontrollfähigkeit auch in einer determinierten naturalistischen Welt für möglich.

Habe gerade mal den ganzen Artikel über Dennet gelesen. Er begründet nur, warum wir die Kontrolle durch einen fremden intentionalen Akteur als unangenehm empfinden und diese Abneigung auf einen nichtpersonal determinierten Zusammenhang intuitiv übertragen. Das ist zwar evtl. ein Argument, die nichtpersonale Determination psychisch zu akzeptieren oder nicht "Kontrolle" zu nennen, aber mehr auch nicht. Denn "nicht personal kontrolliert" bedeutet ja noch lange nicht "unter eigener Kontrolle".

Beim Punkt "Autonomie", leidet Dennett's Argumentation "jeder ist mit der Zeit für die Entwicklung seines Charakters selbst verantwortlich" mE u.a. daran, daß er den Spielraum dafür überschätzt:

- Verhält sich jemand erwartungsgemäß konform, so tut er das, weil er zur geltenden Moral erzogen wurde, oder weil moralisches Verhalten in dieser Situation günstig ist. Im ersten Fall wurde sein Charakter also kontrolliert, im zweiten (tendenziell) determiniert.
- Verhält sich jemand erwartungsgemäß nonkonform, so tut er das, weil er unter bekannten Zwängen, Krankheiten o.ä. leidet, oder "falsch moralisiert" wurde.
- Verhält sich jemand überraschend nonkonform, so tut er das entweder zufällig oder freiwillig. Im letzteren Falle versucht man, seinen Charakter zu ändern.

Grob gesagt bleiben also kaum Fälle, in denen der Charakter in einer moralisch relevanten Situation weder determiniert, noch kontrolliert, noch zufällig verhält. In moralisch irrelevanten Fällen, etwa reinen Geschmacksfragen, mag das anders sein.
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Beitrag(#1332906) Verfasst am: 22.07.2009, 22:50    Titel: höhere Strukturen Antworten mit Zitat

Kival hat folgendes geschrieben:
Ok. Was zeichnet denn eine solche "höhere Struktur" aus und wie kann man herausfinden, ob es solche höheren Strukturen gibt? Stell Dir vor, ich hätte dazu bisher keine Meinung und würde das Wort auch nicht wirklich verstehen.


Die höhere Struktur ist (relativ) komplexer, insofern, als dass sie nur auf der Basis der darunter liegenden Entwicklungsstrukturen möglich ist.

Die höhere Struktur besitzt gegenüber der niedrigeren und vorhergehenden Struktur etwas Neues, mindestens eine qualitativ neue Eigenschaft.

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Wally
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Beitrag(#1332941) Verfasst am: 22.07.2009, 23:37    Titel: Antworten mit Zitat

Frage:

Habt ihr euch in diesem Thread -- nach 1 1/4 Jahren Diskussion -- eigentlich geeinigt,
- was "Wille" ist?
- was seine "Freiheit" (frei wovon? frei wozu?) ist?
- ... bzw. was all das nicht ist?


Einwurf 1

"Wille" ist IMHO kein naturwissenschaftlicher,
sondern erstens ein philosophischer
(und in zweiter Linie ein juristischer und soziologischer und psychologischer) Begriff.

Seit 3000 Jahren kaum ein Philosoph, der sich nicht daran abgearbeitet hätte:
Hegel hat folgendes geschrieben:
Der objektive Geist ist also derjenige freie Wille, der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat.

Zu diesem Statement kann kein Naturwissenschaftler was Sinnvollen beitragen! Sehr glücklich
Biologen und Chemiker können von außen beschreiben, was bei willentlichen Akten vor sich geht -- kommen aber noch nicht sehr weit.
Und Physiker/Quantentheoretiker können dazu so wenig beitragen wie bspw. zur Rezension eines Theaterstücks. Sehr glücklich

Einwurf 2
Meine Lieblings-Metapher: "Wille" ist der Aufsichtsrat über unzählige Vorgänge im Kopf.

Einwurf 3 (auf Anregung des Bremer Philosophen Peter-Kuehn)
Hier eine schöne Beschreibung, wie das losging mit dem Willen:
Genesis 3, 02 f hat folgendes geschrieben:
Da antwortete das Weib der Schlange: "Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen; 3,03 nur von den Früchten des Baumes, der mitten im Garten steht, hat Gott gesagt: Ihr dürft von ihnen nicht essen, ja, sie nicht einmal anrühren, sonst müßt ihr sterben.
Der Ausgangspunkt: Mann und Weib plappern nach; leben willen-los, in einem intellektuellen Dämmerstand. (lustig: Was "sonst müßt ihr sterben" bedeutet, können sie noch nicht verstehen, aber es klingt irgendwie bedrohlich.)

Da kommt -- wir ahnen es -- die Schlange: "böse", aber entwicklungsgeschichtlich notwendig, reizt sie zum Widerspruch, zur Entstehung eines Willen.

Genesis 3, 11 ff hat folgendes geschrieben:
Da fragte Gott: "[..] Du hast doch nicht etwa von dem Baum gegessen, von dem zu essen ich dir ver-boten habe?"
3,12 Da antwortete Adam : "Das Weib, das du mir beigesellt hast, die hat mir von dem Baume gegeben, da habe ich gegessen."
3,13 Da sagte Gott der Herr zu dem Weibe: "Warum hast du das getan?" Das Weib antwortete: "Die Schlange hat mich verführt; da habe ich gegessen."
Durch Widerspruch bilden unsere Menschleins einen Willen.
Adam hängt intellektuell hinterher, steht noch nicht zu seiner willentlichen Entscheidung,
auch Eva sucht noch Ausflüchte.

Zitat:
3,22 Und Gott der Herr sagte: "Der Mensch ist jetzt ja geworden wie unsereiner, insofern er gut und böse zu unterscheiden weiß. Nun aber - daß er nur nicht seine Hand ausstreckt und auch Früchte vom Baume des Lebens nimmt und ißt und unsterblich wird!"
3,23 So stieß ihn den Gott der Herr aus dem Garten Eden hinaus, damit er den Erdboden bestelle, von dem er genommen worden war;
3,17 [..] so soll der Ackerboden verflucht sein um deinetwillen: mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang!
Gott fasst zusammen: O.k., wenn ihr jetzt 'wie unsereiner' einen Willen habt, dann füttere ich euch auch nicht mehr. Verpisst euch -- sonst werdet ihr noch weitere Götter

zusammengefasst:

Wille = mentale Fähigkeit zum Widerspruch
cogito ergo sum = Insofern ich meine Umwelt kritisch prüfe bin ich.
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Tso Wang
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Beitrag(#1333045) Verfasst am: 23.07.2009, 08:59    Titel: Interdisziplinäres Kaffeekränzchen Antworten mit Zitat

Wally hat folgendes geschrieben:
Frage:

Habt ihr euch in diesem Thread -- nach 1 1/4 Jahren Diskussion -- eigentlich geeinigt,
- was "Wille" ist?
- was seine "Freiheit" (frei wovon? frei wozu?) ist?
- ... bzw. was all das nicht ist?


Einwurf 1

"Wille" ist IMHO kein naturwissenschaftlicher,
sondern erstens ein philosophischer
(und in zweiter Linie ein juristischer und soziologischer und psychologischer) Begriff.

Seit 3000 Jahren kaum ein Philosoph, der sich nicht daran abgearbeitet hätte:
Hegel hat folgendes geschrieben:
Der objektive Geist ist also derjenige freie Wille, der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat.

Zu diesem Statement kann kein Naturwissenschaftler was Sinnvollen beitragen! Sehr glücklich
.....



.

Na, das denke ich schon. Die Grenzen verwischen so langsam zwischen den Disziplinen und jeder gibt seinen Senf dazu. Das ist gar nicht mal schlecht. Im sehr interessanten Heft "Gehirn und Geist - Dossier" ( "Angriff auf das Menschenbild") kommen zahlreiche Vertreter zu Wort. Ist doch schön, die Innenansichten unserer Artgenossen zu sehen. Wer in diesem Thread Wunder erwartet, wird vermutlich enttäuscht werden (die Philosophen arbeiten ja schließlich auch schon 3000 Jahre daran, hihihi).

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Beitrag(#1333056) Verfasst am: 23.07.2009, 09:40    Titel: Re: Interdisziplinäres Kaffeekränzchen Antworten mit Zitat

Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Wally hat folgendes geschrieben:
Frage:

Habt ihr euch in diesem Thread -- nach 1 1/4 Jahren Diskussion -- eigentlich geeinigt,
- was "Wille" ist?
- was seine "Freiheit" (frei wovon? frei wozu?) ist?
- ... bzw. was all das nicht ist?


Einwurf 1

"Wille" ist IMHO kein naturwissenschaftlicher,
sondern erstens ein philosophischer
(und in zweiter Linie ein juristischer und soziologischer und psychologischer) Begriff.

Seit 3000 Jahren kaum ein Philosoph, der sich nicht daran abgearbeitet hätte:
Hegel hat folgendes geschrieben:
Der objektive Geist ist also derjenige freie Wille, der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat.

Zu diesem Statement kann kein Naturwissenschaftler was Sinnvollen beitragen! Sehr glücklich
.....



.

Na, das denke ich schon. Die Grenzen verwischen so langsam zwischen den Disziplinen und jeder gibt seinen Senf dazu. Das ist gar nicht mal schlecht. Im sehr interessanten Heft "Gehirn und Geist - Dossier" ( "Angriff auf das Menschenbild") kommen zahlreiche Vertreter zu Wort. Ist doch schön, die Innenansichten unserer Artgenossen zu sehen. Wer in diesem Thread Wunder erwartet, wird vermutlich enttäuscht werden (die Philosophen arbeiten ja schließlich auch schon 3000 Jahre daran, hihihi).

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Die Fragestellung: "Hat der Mensch einen freien Willen?" ist so völlig naiv und falsch. Immer wieder wird diese Simplizität neu aufgewärmt. Das von Dir verlinkte Heft ist auch lediglich eine Neuauflage vom Dezember 2006.

Die Frage menschlicher Freiheit ist nicht sinnvoll zu stellen, wenn man etwa nur "das" Gehirn oder überhaupt isolierte Strukturen betrachtet. Ohne die Einbeziehung historischer Dimensionen und verschiedener Wechselwirkungen wird man noch nicht mal die richtige Fragestellung finden.

Was die Zuständigkeit der Naturwissenschaft angeht: Es gibt nur eine einzige Wissenschaft. Jede Disziplin entwickelt angepasste Methoden für spezifische Forschungsbereiche.

Insofern sind die Naturwissenschaftler selbstverständlich schon immer im Boot gewesen, nur sind deren Aussagen angesichts der Geschichtetheit der Welt irgendwann nicht mehr sehr inhaltsreich. Ausgeschlossen sind allerdings definitiv irgendwelche Theologen. Die haben nun überhaupt gar nichts zu sagen; nirgendwo.

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Beitrag(#1333169) Verfasst am: 23.07.2009, 14:13    Titel: Antworten mit Zitat

Wally hat folgendes geschrieben:
"Wille" ist IMHO kein naturwissenschaftlicher, sondern erstens ein philosophischer (und in zweiter Linie ein juristischer und soziologischer und psychologischer) Begriff.

In allererster Linie ist "Wille" ein Alltagsbegriff.

Wally hat folgendes geschrieben:
Seit 3000 Jahren kaum ein Philosoph, der sich nicht daran abgearbeitet hätte:
Hegel hat folgendes geschrieben:
Der objektive Geist ist also derjenige freie Wille, der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat.
Zu diesem Statement kann kein Naturwissenschaftler was Sinnvollen beitragen!

Zu diesem Statement ist generell schwer etwas Sinnvolles beizutragen ...

Wally hat folgendes geschrieben:
Biologen und Chemiker können von außen beschreiben, was bei willentlichen Akten vor sich geht -- kommen aber noch nicht sehr weit. Und Physiker/Quantentheoretiker können dazu so wenig beitragen wie bspw. zur Rezension eines Theaterstücks.

Ja, so wünscht man sich das: Philosophen und Theologen als freiflottierende Produzenten unüberprüfbaren Gelabers ... also ich finde, daß soziologische, psychologische usw. Betrachtungen zwar sinnvoll (und notwendig) sind, aber auf Widersprüche zu guten Grundlagen-Theorien geprüft werden müssen. Viele philosophische, psychologische und theologische Fehlkonzepte wurden auf diese Weise schon enttarnt.

Wally hat folgendes geschrieben:
... zusammengefasst: Wille = mentale Fähigkeit zum Widerspruch ...

Ich würde eher sagen: Wille = Streben nach einer präferierten vorgestellten Zukunft
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Tso Wang
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Beitrag(#1333178) Verfasst am: 23.07.2009, 14:35    Titel: Re: Interdisziplinäres Kaffeekränzchen Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Wally hat folgendes geschrieben:
Frage:

Habt ihr euch in diesem Thread -- nach 1 1/4 Jahren Diskussion -- eigentlich geeinigt,
- was "Wille" ist?
- was seine "Freiheit" (frei wovon? frei wozu?) ist?
- ... bzw. was all das nicht ist?


Einwurf 1

"Wille" ist IMHO kein naturwissenschaftlicher,
sondern erstens ein philosophischer
(und in zweiter Linie ein juristischer und soziologischer und psychologischer) Begriff.

Seit 3000 Jahren kaum ein Philosoph, der sich nicht daran abgearbeitet hätte:
Hegel hat folgendes geschrieben:
Der objektive Geist ist also derjenige freie Wille, der sich das Dasein seiner Freiheit zum Zweck gemacht hat.

Zu diesem Statement kann kein Naturwissenschaftler was Sinnvollen beitragen! Sehr glücklich
.....



.

Na, das denke ich schon. Die Grenzen verwischen so langsam zwischen den Disziplinen und jeder gibt seinen Senf dazu. Das ist gar nicht mal schlecht. Im sehr interessanten Heft "Gehirn und Geist - Dossier" ( "Angriff auf das Menschenbild") kommen zahlreiche Vertreter zu Wort. Ist doch schön, die Innenansichten unserer Artgenossen zu sehen. Wer in diesem Thread Wunder erwartet, wird vermutlich enttäuscht werden (die Philosophen arbeiten ja schließlich auch schon 3000 Jahre daran, hihihi).

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Die Fragestellung: "Hat der Mensch einen freien Willen?" ist so völlig naiv und falsch. Immer wieder wird diese Simplizität neu aufgewärmt. Das von Dir verlinkte Heft ist auch lediglich eine Neuauflage vom Dezember 2006.


Es ist von 2003. Steht jedenfalls in dem Link.


Zitat:
Die Frage menschlicher Freiheit ist nicht sinnvoll zu stellen, wenn man etwa nur "das" Gehirn oder überhaupt isolierte Strukturen betrachtet. Ohne die Einbeziehung historischer Dimensionen und verschiedener Wechselwirkungen wird man noch nicht mal die richtige Fragestellung finden.


Als ID'ler rennst Du damit bei mir offene Türen ein. Das Gehirn wechselwirkt nunmal mit seiner Umwelt (es simuliert diese Umwelt). Die Umwelt wirkt auf das Gehirn ein und der Organismus wirkt auf die Umwelt ein. Selbstredend.

Wie ich oben schon gesagt habe. Bei der "Freier Wille" - Diskussion geht es m.E. in der Forschung darum, herauszufinden, wann sich ein Individuum als frei entscheidend und wann als gezwungen empfindet und welche physiologischen Mechanismen dahinterstecken.
Freier Wille kann ja wohl nicht bedeuten: "Ich wär so gern ein Elephant! ....Und....Plopp!"
Es geht ja schließlich um Entscheidungsfreiheit, nicht um Realisierbarkeit (wie abtrus ein Beschluß auch sein mag). Das wäre wohl eher ein Thema für "freie Realisation", aber nicht für "freier Wille".

Philosophisch-religiös mag das Thema anders diskutiert werden (Prädestination versus Pelagianismus)


Zitat:
Was die Zuständigkeit der Naturwissenschaft angeht: Es gibt nur eine einzige Wissenschaft. Jede Disziplin entwickelt angepasste Methoden für spezifische Forschungsbereiche.

Insofern sind die Naturwissenschaftler selbstverständlich schon immer im Boot gewesen, nur sind deren Aussagen angesichts der Geschichtetheit der Welt irgendwann nicht mehr sehr inhaltsreich. Ausgeschlossen sind allerdings definitiv irgendwelche Theologen. Die haben nun überhaupt gar nichts zu sagen; nirgendwo.

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Und wer bringt Inhalt ?

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Beitrag(#1333191) Verfasst am: 23.07.2009, 15:00    Titel: Re: Interdisziplinäres Kaffeekränzchen Antworten mit Zitat

Tso Wang hat folgendes geschrieben:

Und wer bringt Inhalt ?
Inhalt wird offenbar in den Augen der Deterministen "purs et durs" auch eine Illusion sein. Vielleicht werden die Inhalte ja eben gerade durch die Illusionen genährt ...
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Beitrag(#1333261) Verfasst am: 23.07.2009, 18:13    Titel: Re: Interdisziplinäres Kaffeekränzchen Antworten mit Zitat

PataPata hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:

Und wer bringt Inhalt ?
Inhalt wird offenbar in den Augen der Deterministen "purs et durs" auch eine Illusion sein. Vielleicht werden die Inhalte ja eben gerade durch die Illusionen genährt ...


.

Es sind wohl eher einige "Deterministen", die so denken, nicht alle. Gut, daß Du mich dran erinnerst. Fast hätte ich das Posting an Leila vergessen, hihihi:

El Ali hat folgendes geschrieben:
Auch wenn die Vertreter und Verfechter des freien Willens im Chor singen, ihr Gesang klingt falsch, da jeder einzelne nicht anders als falsch singen kann.


.

Das geschieht oft, bei Hörstürzen.

Aber, was regst Du Dich permanent auf ? Als Deterministin mit fatalistischem Touch müsstest Du doch diesen Threadverlauf 'erwartet' haben. Er wäre doch vorprogammiert. Wozu also Deine Aufregung gegenüber dem bereits Festgelegten ? (Oder ist die Aufregung auch festgelegt?)

Jedes Gegenargument müsste doch wie eine Bestätigung klingen in Deiner Welt.

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Beitrag(#1333268) Verfasst am: 23.07.2009, 18:24    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Habe gerade mal den ganzen Artikel über Dennet gelesen. Er begründet nur, warum wir die Kontrolle durch einen fremden intentionalen Akteur als unangenehm empfinden und diese Abneigung auf einen nichtpersonal determinierten Zusammenhang intuitiv übertragen. Das ist zwar evtl. ein Argument, die nichtpersonale Determination psychisch zu akzeptieren oder nicht "Kontrolle" zu nennen, aber mehr auch nicht. Denn "nicht personal kontrolliert" bedeutet ja noch lange nicht "unter eigener Kontrolle".

Nein, natürlich nicht. Nach Dennet benötigt man zusätzlich "genug Rationalität, und eine hinreichend ausgeprägte Fähigkeit zu Selbstkontrolle und Selbstreflexion".

step hat folgendes geschrieben:
Beim Punkt "Autonomie", leidet Dennett's Argumentation "jeder ist mit der Zeit für die Entwicklung seines Charakters selbst verantwortlich" mE u.a. daran, daß er den Spielraum dafür überschätzt:

- Verhält sich jemand erwartungsgemäß konform, so tut er das, weil er zur geltenden Moral erzogen wurde, oder weil moralisches Verhalten in dieser Situation günstig ist. Im ersten Fall wurde sein Charakter also kontrolliert, im zweiten (tendenziell) determiniert.

Und im dritten Fall könnte jemand aufgrund eigener Reflexion die im jeweiligen Fall geltende Moral anerkennen und daher danach handeln.

step hat folgendes geschrieben:
- Verhält sich jemand erwartungsgemäß nonkonform, so tut er das, weil er unter bekannten Zwängen, Krankheiten o.ä. leidet, oder "falsch moralisiert" wurde.

Oder er tut es, der dritte Fall, weil er sich aufgrund eigener Überlegungen dazu entschieden hat.

step hat folgendes geschrieben:
- Verhält sich jemand überraschend nonkonform, so tut er das entweder zufällig oder freiwillig. Im letzteren Falle versucht man, seinen Charakter zu ändern.

Grob gesagt bleiben also kaum Fälle, in denen der Charakter in einer moralisch relevanten Situation weder determiniert, noch kontrolliert, noch zufällig verhält. In moralisch irrelevanten Fällen, etwa reinen Geschmacksfragen, mag das anders sein.

Abgesehen mal davon, dass für unsere Frage hier eh nur die jeweils dritten Fälle interessant sind, tust Du irgendwie so, als ob gegebene Normen alles streng begrenzen würden, so, als ob es nur einen einzigen Weg in die Zukunft innerhalb der Normen geben würde. So ist das mMn aber nicht.
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Beitrag(#1333271) Verfasst am: 23.07.2009, 18:33    Titel: Re: Interdisziplinäres Kaffeekränzchen Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Die Fragestellung: "Hat der Mensch einen freien Willen?" ist so völlig naiv und falsch.
Wikipedia - Free Will hat folgendes geschrieben:
The question of free will is whether, and in what sense, rational agents exercise control over their actions and decisions.

Meine Übersetzung: Das Thema des freien Willens behandelt die Frage, ob und in welchem Sinne Subjekte / Personen Kontrolle über ihre Handlungen und Entscheidungen ausüben können.

Das ist die beste Kurzdarstellung des Themas, die ich kenne.

Und ob diese Fragestellung naiv und falsch ist, ist wieder eine andere Frage. Ich denke nicht, aber kann man natürlich auch anders sehen.
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Beitrag(#1333335) Verfasst am: 23.07.2009, 20:42    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Beim Punkt "Autonomie", leidet Dennett's Argumentation "jeder ist mit der Zeit für die Entwicklung seines Charakters selbst verantwortlich" mE u.a. daran, daß er den Spielraum dafür überschätzt:

- Verhält sich jemand erwartungsgemäß konform, so tut er das, weil er zur geltenden Moral erzogen wurde, oder weil moralisches Verhalten in dieser Situation günstig ist. Im ersten Fall wurde sein Charakter also kontrolliert, im zweiten (tendenziell) determiniert.
Und im dritten Fall könnte jemand aufgrund eigener Reflexion die im jeweiligen Fall geltende Moral anerkennen und daher danach handeln.

Das ist für mich eine Mischung aus Fall 1 und 2: aus Erziehung (zur Rationalität, zur allgemeinen Moralität) und Günstigkeit (Ergebnis der rationalen Überlegung).

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- Verhält sich jemand erwartungsgemäß nonkonform, so tut er das, weil er unter bekannten Zwängen, Krankheiten o.ä. leidet, oder "falsch moralisiert" wurde.
Oder er tut es, der dritte Fall, weil er sich aufgrund eigener Überlegungen dazu entschieden hat.

Wenn sich jemand offensichtlich aufgrund eigener Überlegung zum Moralverstoß entscheiden hat, so wird er i.a. als "falsch oder ungenügend moralisiert" angesehen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
- Verhält sich jemand überraschend nonkonform, so tut er das entweder zufällig oder freiwillig. Im letzteren Falle versucht man, seinen Charakter zu ändern.

Grob gesagt bleiben also kaum Fälle, in denen der Charakter in einer moralisch relevanten Situation weder determiniert, noch kontrolliert, noch zufällig verhält. In moralisch irrelevanten Fällen, etwa reinen Geschmacksfragen, mag das anders sein.
Abgesehen mal davon, dass für unsere Frage hier eh nur die jeweils dritten Fälle interessant sind, ...

die sich auf die anderen zurückführen lassen ...

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... tust Du irgendwie so, als ob gegebene Normen alles streng begrenzen würden, so, als ob es nur einen einzigen Weg in die Zukunft innerhalb der Normen geben würde. So ist das mMn aber nicht.

Das ist ein interessanter Punkt. Ich stimme Dir zu, daß die Normen nicht alles streng begrenzen. Aber sie beziehen sich gerade auf die moralisch wesentlichen Grundsätze, die man eben nicht dem "frein Willen" überlassen, sondern determineren möchte. Mein Punkt ist, daß die übrigbleibenden moralischen Unschärfen meist geschmacksartige Fragen betreffen, und selbst da ist der soziale Druck nicht zu unterschätzen.

Ein bißchen besser steht die "freie Moralität" möglicherweise da, wenn man eine Gruppe hochgebildeter mutiger Philosophen betrachtet, die die geltende Moral einfach mal komplett hinterfragen und sich für den Moment nur noch durch meta-ethische, z.B. diskursive, Gesetze gebunden fühlen. Zwar ist auch ihr Tun vollständig determiniert, aber es ist weniger von der geltenden Moral und mehr durch persönliche (Interessen) und/oder allgemein naturgesetzliche (z.B. Spieltheorie) Determinanten bestimmt. Man könnte solche Leute als "frei von moralischem Korsett" oder "moralisch stark autonom" bezeichnen.
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Beitrag(#1333349) Verfasst am: 23.07.2009, 21:32    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
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step hat folgendes geschrieben:
Beim Punkt "Autonomie", leidet Dennett's Argumentation "jeder ist mit der Zeit für die Entwicklung seines Charakters selbst verantwortlich" mE u.a. daran, daß er den Spielraum dafür überschätzt:

- Verhält sich jemand erwartungsgemäß konform, so tut er das, weil er zur geltenden Moral erzogen wurde, oder weil moralisches Verhalten in dieser Situation günstig ist. Im ersten Fall wurde sein Charakter also kontrolliert, im zweiten (tendenziell) determiniert.
Und im dritten Fall könnte jemand aufgrund eigener Reflexion die im jeweiligen Fall geltende Moral anerkennen und daher danach handeln.

Das ist für mich eine Mischung aus Fall 1 und 2: aus Erziehung (zur Rationalität, zur allgemeinen Moralität) und Günstigkeit (Ergebnis der rationalen Überlegung).

Na gut, wenn Du das so sehen willst: meinetwegen. Dann möchte ich eben diese beiden Fälle unterscheiden, im ersten Fall (jemand tut einfach das, was von ihm erwartet wird und kommt gar nicht auf die Idee, etwas anderes zu tun) hat gar keine Entscheidung stattgefunden, im zweiten Falle jedoch schon.

step hat folgendes geschrieben:
Wenn sich jemand offensichtlich aufgrund eigener Überlegung zum Moralverstoß entscheiden hat, so wird er i.a. als "falsch oder ungenügend moralisiert" angesehen.

Ja, basierend auf der eigenen Meinung oder vielleicht auch einer Mehrheitsmeinung. Na und?

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... tust Du irgendwie so, als ob gegebene Normen alles streng begrenzen würden, so, als ob es nur einen einzigen Weg in die Zukunft innerhalb der Normen geben würde. So ist das mMn aber nicht.

Das ist ein interessanter Punkt. Ich stimme Dir zu, daß die Normen nicht alles streng begrenzen. Aber sie beziehen sich gerade auf die moralisch wesentlichen Grundsätze, die man eben nicht dem "frein Willen" überlassen, sondern determineren möchte.

An dieser Stelle ist "determinieren" definitiv das falsche Wort. Man möchte andere beeinflussen, sicher, aber determinieren kann man sie nicht.

step hat folgendes geschrieben:
Mein Punkt ist, daß die übrigbleibenden moralischen Unschärfen meist geschmacksartige Fragen betreffen, und selbst da ist der soziale Druck nicht zu unterschätzen.

Die Welt und die Charakterbildung besteht nicht nur aus Moral. Und ich möchte mal bezweifeln, dass Moral einen wesentlichen Anteil bildet, jedenfalls nicht diejenige Moral, die (erst mal) unabänderlich vorgeben ist (durch Gesetze). Und soziale Beziehungen ergeben notwendigerweise einen sich gegensätzlich beeinflussenden Prozess, es gibt ja keine höhere Instanz, die dabei eherne Verhaltensregeln vorgibt. Da muss man sich einfach nur mal die Diskussionen hier im Forum ansehen, wie viele unterschiedliche Meinungen es gibt. Die dürfte es nach Deiner Theorie ja nicht geben.

step hat folgendes geschrieben:
Ein bißchen besser steht die "freie Moralität" möglicherweise da, wenn man eine Gruppe hochgebildeter mutiger Philosophen betrachtet, die die geltende Moral einfach mal komplett hinterfragen und sich für den Moment nur noch durch meta-ethische, z.B. diskursive, Gesetze gebunden fühlen. Zwar ist auch ihr Tun vollständig determiniert, aber es ist weniger von der geltenden Moral und mehr durch persönliche (Interessen) und/oder allgemein naturgesetzliche (z.B. Spieltheorie) Determinanten bestimmt. Man könnte solche Leute als "frei von moralischem Korsett" oder "moralisch stark autonom" bezeichnen.

Jetzt kommen wir der Sache doch schon näher. Prima. Der Unterschied ist aber wohl noch, dass ich die meisten Leute dazu fähig halte, solche Überlegungen und Reflexionen anzustellen. Ich meine, dass dabei Intuitionen eine große Rolle spielen, man das nicht auf Rationalität reduzieren kann. Oder anders gesagt: ich glaube nicht, dass Leute so einfach durch moralische Gegebenheiten oder sozialen Druck determiniert werden können, wie Du das anscheinend tust.
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step
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Wohnort: Germering

Beitrag(#1333396) Verfasst am: 23.07.2009, 23:41    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Beim Punkt "Autonomie", leidet Dennett's Argumentation "jeder ist mit der Zeit für die Entwicklung seines Charakters selbst verantwortlich" mE u.a. daran, daß er den Spielraum dafür überschätzt:

- Verhält sich jemand erwartungsgemäß konform, so tut er das, weil er zur geltenden Moral erzogen wurde, oder weil moralisches Verhalten in dieser Situation günstig ist. Im ersten Fall wurde sein Charakter also kontrolliert, im zweiten (tendenziell) determiniert.
Und im dritten Fall könnte jemand aufgrund eigener Reflexion die im jeweiligen Fall geltende Moral anerkennen und daher danach handeln.

Das ist für mich eine Mischung aus Fall 1 und 2: aus Erziehung (zur Rationalität, zur allgemeinen Moralität) und Günstigkeit (Ergebnis der rationalen Überlegung).

Na gut, wenn Du das so sehen willst: meinetwegen. Dann möchte ich eben diese beiden Fälle unterscheiden, im ersten Fall (jemand tut einfach das, was von ihm erwartet wird und kommt gar nicht auf die Idee, etwas anderes zu tun) hat gar keine Entscheidung stattgefunden, im zweiten Falle jedoch schon.

Aus meiner Sicht ist auch der erste Fall eine Entscheidung, und derjenige ist vermutlich der Meinung, er habe nach seiner eigenen Moral entschieden. Moral funktioniert vermutlich sowieso besser, wenn sie verinnerlicht wird. Und gerade Du hast doch immer dafür plädiert, so etwas als Teil des Ich anzusehen, wenn man keine akuten Zwänge erkennen kann.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Wenn sich jemand offensichtlich aufgrund eigener Überlegung zum Moralverstoß entscheiden hat, so wird er i.a. als "falsch oder ungenügend moralisiert" angesehen.
Ja, basierend auf der eigenen Meinung oder vielleicht auch einer Mehrheitsmeinung. Na und?

Naja, es wird versucht, dies zu vermeiden. Die Fähigkeit zur Moralität ist kein Zeichen für Freiheit, sondern (jedenfalls üblicherweise) genau im Gegenteil eine Normierungs-Schnittstelle.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... tust Du irgendwie so, als ob gegebene Normen alles streng begrenzen würden, so, als ob es nur einen einzigen Weg in die Zukunft innerhalb der Normen geben würde. So ist das mMn aber nicht.
Das ist ein interessanter Punkt. Ich stimme Dir zu, daß die Normen nicht alles streng begrenzen. Aber sie beziehen sich gerade auf die moralisch wesentlichen Grundsätze, die man eben nicht dem "frein Willen" überlassen, sondern determineren möchte.
An dieser Stelle ist "determinieren" definitiv das falsche Wort. Man möchte andere beeinflussen, sicher, aber determinieren kann man sie nicht.

Bedenke, daß ich mich hier bemüht habe, ohne Physik zu argumentieren, auf der emergenten, soziologischen Ebene. Natürlich ist das keine 100%-ige Determination, denn andere Effekte kommen hinzu. Aber die Beeinflussung muß überwiegend sein, sonst würde Moral und Gesellschaft nicht funktionieren. Nachzuprüfen etwa am Prozentsatz von Verbrechern. Natürlich gibt es Grauzonen, etwa bei den läßlichen Alltagssünden, Steuerhinterziehung oder bei moralischen Dilemmata.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Mein Punkt ist, daß die übrigbleibenden moralischen Unschärfen meist geschmacksartige Fragen betreffen, und selbst da ist der soziale Druck nicht zu unterschätzen.
Die Welt und die Charakterbildung besteht nicht nur aus Moral. Und ich möchte mal bezweifeln, dass Moral einen wesentlichen Anteil bildet, jedenfalls nicht diejenige Moral, die (erst mal) unabänderlich vorgeben ist (durch Gesetze).

Gesetze, Anstand, Tradition, gesundes Volksempfinden usw. - sicher sind die für die Charakterbildung bei weitem nicht allein bestimmend, aber für den moralischen Teil des Charakters. Und gerade die Moralität wird ja gern im Zusammenhang mit der Willensfreiheit genannt. Insbesondere den religiösen Kompatibilisten und den Strafrechts-Hardlinern geht es ja weniger um die Auswahl der Marmeladensorte ...

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und soziale Beziehungen ergeben notwendigerweise einen sich gegensätzlich beeinflussenden Prozess, es gibt ja keine höhere Instanz, die dabei eherne Verhaltensregeln vorgibt.

Ja, das ist richtig. Ich habe vereinfachend - ganz nach Deinem Ansatz - die Einzelperson und ihr moralisches Umfeld betrachtet. Das Umfeld besteht natürlich z.T. selbst wieder aus moralischen Wesen, so daß man sich fragen könnte, ob die "freie Moralität" denn wenigstens dem "gesellschaftlichen Organismus" zukommt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Da muss man sich einfach nur mal die Diskussionen hier im Forum ansehen, wie viele unterschiedliche Meinungen es gibt. Die dürfte es nach Deiner Theorie ja nicht geben.

Wieviele dieser hier geäußerten Meinungen würdest Du denn unter "(moralisch) schuldig" einordnen - ich vermute nicht viele. Vielleicht sind es meist eher Geschmacksäußerungen? Es fehlt ihnen ja zudem die Relevanz des RL.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Ein bißchen besser steht die "freie Moralität" möglicherweise da, wenn man eine Gruppe hochgebildeter mutiger Philosophen betrachtet, die die geltende Moral einfach mal komplett hinterfragen und sich für den Moment nur noch durch meta-ethische, z.B. diskursive, Gesetze gebunden fühlen. Zwar ist auch ihr Tun vollständig determiniert, aber es ist weniger von der geltenden Moral und mehr durch persönliche (Interessen) und/oder allgemein naturgesetzliche (z.B. Spieltheorie) Determinanten bestimmt. Man könnte solche Leute als "frei von moralischem Korsett" oder "moralisch stark autonom" bezeichnen.
Jetzt kommen wir der Sache doch schon näher. Prima. Der Unterschied ist aber wohl noch, dass ich die meisten Leute dazu fähig halte, solche Überlegungen und Reflexionen anzustellen. Ich meine, dass dabei Intuitionen eine große Rolle spielen, man das nicht auf Rationalität reduzieren kann. Oder anders gesagt: ich glaube nicht, dass Leute so einfach durch moralische Gegebenheiten oder sozialen Druck determiniert werden können, wie Du das anscheinend tust.

Tja, da sind wir unterschiedlicher Meinung. Ich denke, der Konflikt individueller Interessen erzwingt eine in gewissem Maße manipulative Moral, und es wird schwierig werden, dies durch weniger offensichtliche Determinanten zu ersetzen. Ich schaffe es hier ja nichtmal, eine Mehrheit gegen abschreckende Strafen zusammenzubekommen.
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Beitrag(#1333437) Verfasst am: 24.07.2009, 00:39    Titel: Antworten mit Zitat

Um das jetzt nochmal auf den Punkt zurückzubringen, so wie ich ihn sehe: ich meine, diese Diskussion dreht sich um die Frage, ob Subjekte Kontrollfähigkeit über ihre Entscheidungen und ihre Handlungen haben oder nicht. Dabei ist die Frage, ob es einen Unterschied zwischen der Kontrollfähigkeit über moralische Handlungen und über nicht moralische Handlungen gibt, erst mal nebensächlich - wiewohl, falls jemand meint, es gäbe diesen Unterschied, das begründet werden müsste. Aber das wäre erst der zweite Schritt. Mir kommt das erst mal unplausibel vor, um das vorab schon mal zu sagen, Deine Einwände dazu finde ich nicht so überzeugend. Auch die Frage, ob eine nicht hinterfragbare / manipulative Moral notwendig ist, ist ein anderes Thema.

Ich meine, der Streitpunkt um den freien Willen ergibt sich aus sich widersprechenden, aber dennoch weit verbreiteten Intuitionen:

a) alles ist kausal bedingt / hat einen Grund - nichts kommt von nichts

b) Menschen sind (normalerweise) dazu fähig, ihre Handlungen zu kontrollieren - es ist daher berechtigt, ihnen ihre Entscheidungen und Handlungen zuzuschreiben, sie dafür verantwortlich zu machen

c) bei einem durchgängigen Determinismus wäre Kontrolle überhaupt nicht möglich - man wäre nur Getriebener seiner Umstände

Wenn man jetzt annimmt, dass unsere Welt determiniert ist, (das folgt aber eigentlich schon aus a), dann widersprechen sich die Intuitionen notwendigerweise, was bedeuten muss, dass mindestens eine dieser Intuitionen falsch ist.

Nun ist aber die Frage, welche davon falsch ist (oder sind, falls mehrere). Meiner Auffassung nach ist das c), denn ich meine nicht, dass man, wenn man sagt: "er hätte A nicht tun müssen, er hätte B tun können" "echte Alternativen" (PAP - Principle of Alternate Possibilties) meint - aber nur, wenn man das täte, wäre c) plausibel. (PAP halte ich zusätzlich für ein in sich widersprüchliches / logisch unmögliches Konzept.)

Nun gut, wie auch immer, egal, welchen Punkt man als falsch ansieht, man muss das begründen / plausibel machen. Und diese Begründung fehlt mir von Deiner Seite. Du sagst immer nur, weil es die Intuition c) gäbe, müsse sie richtig sein und b) falsch. Aber das ist nun mal keine anständige Begründung, tut mir leid.
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