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Menschenrechte - Sozialrevolutionäre Vision oder Machtmittel des Westens ?

 
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Baldur
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Anmeldungsdatum: 05.10.2005
Beiträge: 8326

Beitrag(#1349516) Verfasst am: 26.08.2009, 11:47    Titel: Menschenrechte - Sozialrevolutionäre Vision oder Machtmittel des Westens ? Antworten mit Zitat

60 Jahre UN-Menschenrechtserklärung - Der Staat als Schurke

Zitat:
Gelten die Menschenrechte überall? Oder sind sie nur ein Machtinstrument des Westens? Ein Gespräch mit den Philosophen Christoph Menke und Arnd Pollmann

ZEIT: Nach 1945 standen jedem die Bestialitäten des Krieges vor Augen. Was ist, wenn die Erfahrungsbasis, die Erinnerung an Hitler und Stalin, verblasst?

POLLMANN: Es gibt ständig neue Bestialitäten. Und die Erinnerung an die totalitäre Erfahrung wird durch die Menschenrechtserklärung wachgehalten.

MENKE: Ich sehe dennoch eine einschneidende Veränderung. Wenn man damals über Menschenrechtsverletzungen sprach, wurde nicht nur über Opfer gesprochen; es wurde auch nach den Ursachen des Leidens gefragt, nach der politischen Verantwortung. Heute ist das nicht mehr der Fall. Es gibt eine Form medialer Evidenzproduktion, die mich beunruhigt: Das Leiden wird im Fernsehen gezeigt, es wirkt nur noch wie ein Appell an die Weltöffentlichkeit. Dabei bleibt häufig unklar, wer verantwortlich ist und welche Antworten angemessen wären. Insofern frage ich mich, ob nicht doch die ursprüngliche Erfahrungsbasis durch eine medial produzierte Erfahrung ersetzt wird. Dabei wechseln ständig die Opfervorlieben. Zwei Jahre lang ist es Darfur, und dann zieht die Karawane weiter.

[...]

MENKE: Ich sehe die Gefahr, dass die Menschenrechte schleichend entpolitisiert werden. Sie werden zum bloßen Rechtsbestand und verlieren ihren Bezug auf das gesellschaftliche Ganze. Früher waren die Menschenrechte ein Instrument, um die politischen Verhältnisse zu verändern. Das sind sie heute nicht mehr. Man versteht die Menschenrechte nur noch als Rechtstitel, die man zur Verbesserung seiner individuellen Lebenslage einsetzen kann. Früher war das Projekt der Menschenrechte eine gesellschaftliche Vision – die Menschenrechtspolitik steckte voller revolutionärer Energien. Dagegen wirkt die Menschenrechts-Idee heute seltsam versteinert. Pathetisch gesagt: Sie verliert ihre revolutionäre Dynamik.

[...]


MENKE: Der Streit geht im Kern darum, ob die Rechtsform der Menschenrechte, also Individualismus und Subjektivismus, das größte Hindernis bei ihrer Durchsetzung sind. Traditionelle Gesellschaften sperren sich gegen die Rechtsform, also die Möglichkeit, dass subjektive Rechte auf Klagewegen gegen den Staat durchgesetzt werden können.

ZEIT: Subjektive Rechte sind…

MENKE: …Ansprüche, die Personen erheben können, ohne Gegenleistung für sie vorher erbracht zu haben. Ich muss nicht vorher etwas getan, keine Vorleistung erbracht haben, um in Anspruch eines subjektiven Rechts zu kommen.


[...]

ZEIT: Kritiker Ihres Buches werfen Ihnen einen Hang zum Kulturrelativismus vor. Wäre also die Scharia mit Menschenrechten vereinbar?

POLLMANN: Ein seltsamer Vorwurf. Wir schreiben nicht, dass die Menschenrechte mit der Scharia vereinbar sind. Wir behaupten, dass ein islamisches Verständnis der Menschenrechte nicht von vornherein mit der Idee der Menschenrechte unvereinbar ist.

MENKE: Es gibt einfach kein Argument, warum der Islam nicht auch normative Potenziale in sich entdecken kann, um sich den Menschenrechten zu öffnen. Auch bei uns sind die Menschenrechte aus Kulturen hervorgegangen, die menschenrechtlichen Ideen keineswegs gewogen waren.

[...]

ZEIT: Produziert der Menschenrechts-Diskurs die Abwehrreflexe gleich mit? Die Angst vor einem »kalten«, verrechtlichten Leben?

POLLMANN: Die Melancholiker, die die Menschenrechte für den Verlust an Gemeinschaft verantwortlich machen, verwechseln das Symptom mit den Ursachen. Die japanische Gesellschaft zum Beispiel ist sehr argwöhnisch gegenüber kodifizierten Rechten. Wer auf diese Rechte pocht, heißt es, legt davon Zeugnis ab, dass die gesellschaftliche Harmonie gestört ist. Der Witz ist doch: Wer Menschenrechte einklagt, beweist, dass die Gemeinschaft schon vorher zerfallen ist. Die Rechte selbst sind dafür nicht verantwortlich.

MENKE: Ich kann die Melancholie über Modernisierung verstehen. Aber ich glaube, sie sucht sich den falschen Schuldigen. Die Menschenrechte antworten nur auf die Probleme, die in der Moderne entstehen. Sie helfen, dass dem vereinzelten Marktbürger eine bestimmte Rechtsstellung garantiert wird.

[...]



Humanismus - Menschenrechte sind keine Ansichtssache
Zitat:
Das hört man oft: Menschenrechte seien eine naive Idee des Westens – oder Deckmäntelchen für imperialistische Tendenzen. Das ist falsch. Menschenrechte sind universell


Was meint ihr?

Wie kann man die Verbreitung der MEnschenrechts-Idee verbreiten und wie kann man gleichzeitig ihren Kern und ihr sozialrevolutionäres potenzial auch im Westen bewahren und eine entpolitisierung durch bloße juristische rechtsinstitutionalisierung vermeiden?
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Tarvoc
would prefer not to.



Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44650

Beitrag(#1349554) Verfasst am: 26.08.2009, 13:08    Titel: Antworten mit Zitat

Zitat:
ZEIT: Bestünde die Welt nur aus Demokratien, dann brauchten wir keine internationalen Einrichtungen zum Schutz der Menschenrechte?

MENKE: Genau. Die wären dann überflüssig.

Demokratien können sehr wohl die Menschenrechte verletzen. Z.B. gibt es Demokratien, die noch die Todesstrafe haben.

"Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person."
Artikel 3

Allerdings zeigt sich gerade in diesem Paragraphen auch der Gummicharakter der derzeitigen Menschenrechte, oder besser gesagt unseres derzeitigen Verständnisses der Menschenrechte. In den Erläuterungen zu Artikel 3 heißt es: "Zwar verbietet dieser Artikel nicht die gesetzliche Hinrichtung von Menschen". Die Erläuterung eines allgemeinen Rechts negiert den Inhalt dieses Rechts? Ein allgemeines Recht auf Leben verbietet nicht die gesetzliche Todesstrafe? What the Hell?

Das Problem ist nicht einfach nur die Rechtsform der Menschenrechte, sondern die Verknüpfung der Rechtsform mit der souveränen Ausnahme. Es handelt sich also bei diesem Fall nicht einfach um eine juristische, sondern um eine rechtsphilosophische Absurdität. Das heißt, diese Paradoxie liegt nicht in den Menschenrechten selbst, sondern bereits in unserem Denken von ihnen und ihrer Stellung begründet. Solange die Menschenrechte als vom Staat gewährt und nicht als von der Bevölkerung erkämpft gedacht werden, werden nicht nur die staatlichen Menschenrechtsverletzungen weltweit nicht aufhören, sondern die Menschenrechte selbst werden nicht aufhören, zur Legitimation und Organisation ihrer eigenen Verletzung herhalten zu müssen.
_________________
"Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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Danol
registrierter User



Anmeldungsdatum: 02.04.2007
Beiträge: 3027

Beitrag(#1349556) Verfasst am: 26.08.2009, 13:17    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Solange die Menschenrechte als vom Staat gewährt und nicht als von der Bevölkerung erkämpft gedacht werden, werden nicht nur die staatlichen Menschenrechtsverletzungen weltweit nicht aufhören, sondern die Menschenrechte selbst werden nicht aufhören, zur Legitimation und Organisation ihrer eigenen Verletzung herhalten zu müssen.


Die Menschenrechte sind zur Zeit vom Staat gewährt und nicht von der Bevölkerung erkämpft. In diesem Sinne kann man sagen dass der Kampf um die Menschenrechte noch aussteht.
Das zentrale Problem sehe ich aber woanders. Ein großteil der Menschenrechte bestimmt Rechte, die einer Person gegenüber dem Staat hat. Gleichzeitig sind es aber die Staaten, die für die Gewährleistung dieser Rechte zuständig sind - ich sehe hier einen Interessenkonflikt, der langfristig zur Aufhebung dieser Rechte führen wird, sofern keine umfassende Demokratisierung des Staates und seine Unterwerfung unter die Interesen der in ihm lebenden Menschen gelingt.
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esme
lebt ohne schützende Gänsefüßchen.



Anmeldungsdatum: 12.06.2005
Beiträge: 5667

Beitrag(#1349557) Verfasst am: 26.08.2009, 13:18    Titel: Antworten mit Zitat

Relativismus im neuen Gewand?

Dass die Menschenrechte ohne Vorleistung gelten, ist ihr Kernpunkt, nicht ein "Hindernis bei der Umsetzung".

Das Problem der kolonialistischen Tendenzen ist dort, wo die westlichen Mächte sich eben genau nicht an die Menschenrechte halten. Insbesondere, wenn gegen die Menschenrechte verstoßen wird, mit der Begründung, dass sie sich nur so langfristig einführen lassen.
_________________
Gunkl über Intelligent Design:
Da hat sich die Kirche beim Rückzugsgefecht noch einmal grandios verstolpert und jetzt wollen sie auch noch Haltungsnoten für die argumentative Brez'n, die sie da gerissen haben.
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Tarvoc
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Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44650

Beitrag(#1349560) Verfasst am: 26.08.2009, 13:25    Titel: Antworten mit Zitat

esme hat folgendes geschrieben:
Das Problem der kolonialistischen Tendenzen ist dort, wo die westlichen Mächte sich eben genau nicht an die Menschenrechte halten.

Das ist nur die halbe Miete. Wie ich schon sagte, können die Menschenrechte selbst zur Legitimation ihrer eigenen Verletzung herangezogen werden.
Ein besonders erhellendes Buch zu diesem Thema ist "Die Barbarei der Anderen" von Immanuel Wallerstein.
_________________
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- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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Uriziel
Herpiderpi



Anmeldungsdatum: 22.12.2007
Beiträge: 1728

Beitrag(#1350035) Verfasst am: 27.08.2009, 12:40    Titel: Re: Menschenrechte - Sozialrevolutionäre Vision oder Machtmittel des Westens ? Antworten mit Zitat

Zitat:
Das hört man oft: Menschenrechte seien eine naive Idee des Westens – oder Deckmäntelchen für imperialistische Tendenzen. Das ist falsch. Menschenrechte sind universell



Es wird gesagt, das sei' falsch und Menschenrechte seien universell - aber genau so kommt es mir 'auch' vor...
Menschenrechte? HAH! Sag das mal den Menschen, die weltweit von der CIA entführt werden und das mithilfe von Geheimdiensten aus England und sogar auch Deutschland.

Sag das mal denen, die das Recht haben, sich vor Schmerz in Geheimknästen die Seele aus dem Leib zu schreien und dann irgendwelche Lügengeständnisse auszuspucken - womit Kriege wie gegen den Irak begründet werden.
Das ist moderne Inquisition vom feinsten. Gerade der Westen scheisst doch auch auf Menschenrechte...

Aber wahrscheinlich wird diese Beschwerde ignoriert oder mit Selbstgefälligkeit als Stammtischrede beleidigt werden...

Nur diese Stammtisch-Ansicht macht die Runde, aber Hallo...
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Yogosh
Leisetreter ...und Klugscheisser



Anmeldungsdatum: 19.03.2009
Beiträge: 2170
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1350064) Verfasst am: 27.08.2009, 13:00    Titel: Re: Menschenrechte - Sozialrevolutionäre Vision oder Machtmittel des Westens ? Antworten mit Zitat

Uriziel hat folgendes geschrieben:
Aber wahrscheinlich wird diese Beschwerde ignoriert oder mit Selbstgefälligkeit als Stammtischrede beleidigt werden...

Nein. Was Du einklagst ist doch gerade die universelle Geltung. Die Frage ist ja nicht ob die Menschenrechte tatsächlich überall gelten, sondern ob sie überall gelten sollen. 'Gelten' im Sinne von 'beachtet und respektiert werden'.
_________________
"If the King's English was good enough for Jesus Christ, it's good enough for the children of Texas!" - Miriam Amanda "Ma" Ferguson, Governor of Texas, als Begründung gegen Spanischunterricht
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