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Modernes Strafrecht
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Skeptiker
"I can't breathe!"



Anmeldungsdatum: 14.01.2005
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Wohnort: 129 Goosebumpsville

Beitrag(#1356574) Verfasst am: 07.09.2009, 19:40    Titel: Re: step: und Pflichten Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker an AP hat folgendes geschrieben:
Und das ist ein klassisches statement der politisch Konservativen, dass sie immer dann, wenn von (Menschen-)Rechten die Rede ist, mit ihren Pflichten (- des Individuums gegenüber dem Staat -) angewedelt kommen. Stichwort: "Konformität".... Das ist so ähnlich wie im Christentum ... Alles läuft auf einen amoralischen Staat hinaus, der sich in die Kumpanei mit Verbrechern begibt und ihnen feuchtfröhlich ...

Du bist ja völlig fixiert und merkbefreit ...


Nun sei doch nicht immer so snip-isch!

Skeptiker
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AgentProvocateur
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Anmeldungsdatum: 09.01.2005
Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1356662) Verfasst am: 08.09.2009, 00:42    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Und wenn dem so ist, dann ergibt es einfach keinen Sinn mehr, ihn dafür zu tadeln. Oder jemand anderen für etwas zu loben. ... Und Tadel und Lob wäre einfach hinfällig, wenn sich Menschen selber nur als reine Beobachter von sich selber ansähen. Dann könnten sie Lob und Tadel nicht akzeptieren, so wie es B oben nicht akzeptieren würde, wenn man ihn tadelte.

Der Sinn von Lob/Tadel besteht dann (idealisiert betrachtet) einzig darin, verstärkend oder verhindernd determinierenden Einfluß zu nehmen. Der Mensch (und zwar nicht dessen kompatibilistisches Zerrbild) würde sich in der Tat mehr als bisher als Beobachter seiner selbst ansehen, aber nicht nur, denn er weiß, daß er von Entscheidungen betroffen ist, die "in" ihm ablaufen. Er kann (und muß mE sogar) seine Entscheidungsfunktionen (Präferenzen usw.) hinterfragen und ggf. beeinflussen, angestoßen (determiniert) u.a. von sozial kommunizierten Erwartungen. Moral als Agent der Anderen im Individuum. Warum sollte dieses Modell dem Menschen nicht stimmig und würdig erscheinen, wenn er mal ein paar narzisstische Fehlschlüsse überwunden hat?

Naja, von ein paar Kleinigkeiten mal abgesehen, (Entscheidungen laufen mE nicht "in" einer Person ab, sondern eine Person trifft nach meiner Auffassung Entscheidungen; ich sehe Personen nicht lediglich als die Summe ihrer bewussten Abläufe an), kann ich doch dem nun als Kompatibilist zustimmen. Dass jemand sich selber beobachtet und seine Entscheidungen daraufhin beeinflussen kann, damit habe ich doch gar kein Problem, im Gegenteil. Mein Problem entsteht nur dann, wenn jemand behauptet, Personen seien ausschließlich reine Beobachter, ohne Einflussmöglichkeit.

Aber wenn jemand das nicht vertritt, sondern Kontrollfähigkeit einräumt, so wie Du hier, dann habe ich eher das Problem, unsere Gegensätze noch zu sehen. Denn das ist eben die kompatibilistische Auffassung, die ich ja auch vertrete.

step hat folgendes geschrieben:
Warum akzeptieren eigentlich die Menschen im heutigen Verantwortungsmodell Tadel und Lob?
- weil Tadel mit Gefängnisstrafen verbunden ist?
- weil sie an die freie Wahl glauben?
- ...?

Lob und Tadel werden mAn nur akzeptiert für Handlungen, die man sich selber zurechnet, über die man eine hinreichende Kontrolle hatte, bzw. das zumindest annimmt.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und Deine Begriffe von "Verantwortung", "Recht" und "Pflicht" haben sich ganz entscheidend zu der heutigen Bedeutung geändert, sie sind mE ihrer Grundbedeutung entkleidet und sollten dann nicht mehr verwendet werden. Die Begriffe kann man dann gleichermaßen auf jedes Tier anwenden. Nehmen wir mal als Beispiel einen Fuchs. Füchse wären nach Deinem Begriff dafür verantwortlich, Menschen nicht zu beißen.

Nein, denn Verantwortung bedeutet in meinem Modell wie schon oft geschrieben, von einem Mitglied einer sozialen Gruppe moralisch konformes Verhalten zu erwarten. Erwarten bedeutet hier natürlich nicht nur wünschen, sondern auch für wahrscheinlich halten.

Nein, eben nicht, das reicht nicht.

"Mitglied der moralischen Gemeinschaft" zu sein, bedeutet, dass man annimmt, dass die anderen dieser Gemeinschaft moralische Normen verstehen und akzeptieren und aufgrund dessen durchführen können. Und diese moralischen Normen entstehen nicht aus dem Nichts, es muss eine Einigung geben, d.h. die Mitglieder der moralischen Gemeinschaft werden auch dazu in der Lage gesehen, Wesentliches dazu beizutragen, als gleichberechtigte Mitspieler. So, wie Du Dein Konzept von "Verantwortung" bisher beschrieben hast, spielte das alles überhaupt keine Rolle. Es ging nur um "Annahmen", "Berechnung zukünftigen Verhaltens", "Wahrscheinlichkeit bestimmten Verhaltens". Und all das das könnte man eben auch auf den Fuchs anwenden. Aber der Fuchs ist kein Mitglied dieser Gemeinschaft, ihm fehlen alle die benötigten Fähigkeiten, angefangen vom Verstehen bis hin zur Äußerung seiner Meinung bis zu Vorschlägen der Ausgestaltung / Änderung der moralischen Gemeinschaft.

Und akzeptiert man diese Vorstellung einer (hier erst mal idealisierten) moralischen Gemeinschaft, dann greift Dein Konzept überhaupt nicht mehr. Denn dann geht es eben nicht mehr nur darum, "konformes Verhalten" zu erwarten, (das kann man auch von einer Sonnenblume oder einem Computer), sondern um die sozialen Beziehungen in einer moralischen Gemeinschaft, die persönliche Zurechnungen von Handlungen mE notwendigerweise beinhalten.

Und in einer solchen Gemeinschaft kann man andere nicht lediglich als zu programmierende Dinge ansehen, irgendwoher ein durchzuführendes Programm zaubern, das dann zu normgerechtem Verhalten führen soll.

Wenn (ein normaler erwachsener Mensch) zu der Auffassung gelangt, ein anderer wolle ihn nur manipulieren oder "determinieren" und nicht an seine Vernunft mithilfe von Gründen appellieren, ihm irgendwas einreden wollen, dann wird das, denke ich, oft wenig begeistert aufgenommen werden. Und das mAn zu Recht. Denn das bedeutete, dass er nicht als Person ernst genommen würde.

Wenn man jetzt Lob und Tadel nur in Hinsicht auf die Nutzenfunktion betrachtet und nicht das sieht, was zusätzlich dahinterstecken muss, dann wird man ganz sicher über kurz oder lang auf diese Reaktion treffen. Kaum jemand wird Lob und Tadel von jemandem akzeptieren wollen, der der Meinung ist, das sei nur Mittel zum Zweck und die Grundvoraussetzung, nämlich, dass man die gelobte / getadelte Handlung tatsächlich auch der Person zurechnet, sei gar nicht gegeben (wiewohl bei einem Lob wohl viel mehr Leute dazu geneigt sein werden, da mal ein Auge zuzudrücken).

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Was genau passieren würde, wenn Menschen glaubten, sie seien nur ohnmächtige Zuschauer im Film ihres Lebens, nur ein kleines Männchen in ihrem Kopf ohne Handlungsmöglichkeit, weiß ich nicht im Einzelnen.

Das ist doch schon wieder ein Strohmann. Das kleine autonome Männchen entspricht ja eher der klassisch-libertätren FW-Sichtweise, in meinem Modell würde sich niemand als kleines Männchen im Kopf ansehen, und auch nicht als ohnmächtig, sondern als determinierter (und von außen und innen determinierbarer) Entscheider, als lernendes Expertensystem, das temporär Teile von sich selbst beobachten und analysieren kann.

Der Hinweis auf Determination ist in diesem Zusammenhang absolut irrelevant.

Wenn meine Aussage ein Strohmann sein sollte, dann bin ich verwirrt. Du willst also doch eine kompatibilistische Ansicht vertreten?

Ich fasse die unterschiedlichen Ansichten dazu, so wie ich sie sehe, mal zusammen:

Jemand, der Menschen als ohnmächtig in einer determinierten Welt ansieht und zusätzlich glaubt, die Welt sei determiniert ist "harter Determinist".

Jemand, der Menschen als fähig dazu ansieht, ihre Handlungen zu kontrollieren und in einem Determinismus eine Kontrolle der Handlungen als unmöglich ansieht, ist "Libertarier".

Jemand, der Menschen als fähig dazu ansieht, ihre Handlungen zu kontrollieren (in dem Sinne, als dass man sie hinreichend als ihre Handlungen ansehen kann) und die Frage nach Determinismus / Indeterminismus der Welt in diesem Zusammenhang als (ziemlich) irrelevant ansieht, ist "Kompatibilist".

Jemand, der Menschen als unfähig dazu ansieht, ihre Handlungen zu kontrollieren und die Frage nach Determinismus / Indeterminismus der Welt in diesem Zusammenhang als (ziemlich) irrelevant ansieht, ist "harter Inkompatibilist".
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
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Beitrag(#1356751) Verfasst am: 08.09.2009, 11:39    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
... Moral als Agent der Anderen im Individuum. Warum sollte dieses Modell dem Menschen nicht stimmig und würdig erscheinen, wenn er mal ein paar narzisstische Fehlschlüsse überwunden hat?
... wenn jemand ... Kontrollfähigkeit einräumt, so wie Du hier, dann habe ich eher das Problem, unsere Gegensätze noch zu sehen. ...

Es war ja zwischen uns noch nie strittig, daß ein Individuum moralisch angesprochen werden kann, formbare Präferenzen hat, Entscheidungen trifft, ein begleitendes Bewußtsein ausbildet und zuweilen über seine Präferenzen und Entscheidungen reflektiert. Strittig ist - gesetzt all diese Vorgänge laufen deterministisch ab -

- ob man, etwa aufgrund der Komplexität und Individualität dieser Vorgänge, das Individuum auch zukünftig noch als "autonome, freiwillige Person" verstehen sollte, obwohl alles komplett determiniert ist;

- ob die genannten Umstände in irgendweiner Form ausreichen, um eine Begründung für ein klassisches Schuld- und Strafkonzept zu liefern (das Hauptthema in diesem thread);

- ob eine soziale Gemeinschaft (und Moral) noch funktionieren kann, wenn man beide oberen Fragen verneint.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Warum akzeptieren eigentlich die Menschen im heutigen Verantwortungsmodell Tadel und Lob?
- weil Tadel mit Gefängnisstrafen verbunden ist?
- weil sie an die freie Wahl glauben?
- ...?
Lob und Tadel werden mAn nur akzeptiert für Handlungen, die man sich selber zurechnet, über die man eine hinreichende Kontrolle hatte, bzw. das zumindest annimmt.

Wieso sollte es nicht funktionieren, ein deterministisch "aufgelöstes", weniger atomistisches (Ich in der Welt) Bild der Person zu haben und z.B. an seinen Präferenzen ebenso zu arbeiten (arbeiten zu lassen) wie etwa an seinem Bierbauch oder seinem Bizeps?

Abgesehen davon finde ich den letzten Zusatz "... oder das zumindest annimmt" interessant im Hinblick auf die vieldiskutierte "staatsnotwendige Fiktion".

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Und diese moralischen Normen entstehen nicht aus dem Nichts, es muss eine Einigung geben, d.h. die Mitglieder der moralischen Gemeinschaft werden auch dazu in der Lage gesehen, Wesentliches dazu beizutragen, als gleichberechtigte Mitspieler. So, wie Du Dein Konzept von "Verantwortung" bisher beschrieben hast, spielte das alles überhaupt keine Rolle.

Natürlich, weil das zwei verschiedene (wenn auch letztlich überlappende) Themen sind:

- die Bewertung von Handlungen auf Basis einer existierenden Moral

- der ethische Konsens, das Entstehen und Ändern von Normen im Diskurs usw.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber der Fuchs ist kein Mitglied dieser Gemeinschaft, ihm fehlen alle die benötigten Fähigkeiten, angefangen vom Verstehen bis hin zur Äußerung seiner Meinung bis zu Vorschlägen der Ausgestaltung / Änderung der moralischen Gemeinschaft.

Wie schon geschrieben, auch für meine Definition von Verantwortung muss z.B. die Bedingung des Verstehens wohl erfüllt sein, da ich sonst bei einer relativ komplexen Norm nicht erwarten kann, daß sie erfüllt wird. Und bezüglich der Entwicklung/Änderungen von Normen ist es auch innerhalb der menschlichen Gesellschaft de facto so, daß nur eine Minderheit Normen weiterentwickelt, und die meisten sie nur beachten (oder eben nicht). Auch Kinder lernen zuerst, Normen zu beachten, und erst später, Normen zu verstehen und zu ändern (mal abgesehen von der Frage, ob das so gut ist).

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Und akzeptiert man diese Vorstellung einer (hier erst mal idealisierten) moralischen Gemeinschaft, dann greift Dein Konzept überhaupt nicht mehr. Denn dann geht es eben nicht mehr nur darum, "konformes Verhalten" zu erwarten, (das kann man auch von einer Sonnenblume oder einem Computer), sondern um die sozialen Beziehungen in einer moralischen Gemeinschaft, die persönliche Zurechnungen von Handlungen mE notwendigerweise beinhalten.

Ich habe bereits begründet, warum man voneiner Sonnenblume bzw. einem Fuchs kein (moralisch) konformes Verhalten erwarten kann. Ein Computer (wenn auch kein heutiger) könnte das möglicherweise wenigstens prinzipiell.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn (ein normaler erwachsener Mensch) zu der Auffassung gelangt, ein anderer wolle ihn nur manipulieren oder "determinieren" und nicht an seine Vernunft mithilfe von Gründen appellieren, ihm irgendwas einreden wollen, dann wird das, denke ich, oft wenig begeistert aufgenommen werden. Und das mAn zu Recht. Denn das bedeutete, dass er nicht als Person ernst genommen würde.

Hast Du nicht mal ziemlich genervt reagiert auf die Behauptung, der Determinismus stelle nach Heliozentrismus und Evolution eine weitere kopernikanische Kränkung dar? Wie auch immer: In bezug auf Manipulation gebe ich Dir da Recht, weil da versteckte Motive mitschwingen. Ich sehe das aber nicht als Problem in meinem Modell, da ja auch in meinem Modell ein ethischer Diskurs stattfände, vermutlich sogar rationaler als in Deinem, so daß natürlicherweise nachvollziehbare, an den Gemeinnutzen oder Win/Win Situationen appellierende Argumente mehr Chancen hätten, zu wirken.

Wenn Du schreibst, ich sei sozusagen "automatisch" Kompatibilist, wenn ich auch ein Verantwortungskonzept und einen ethischen Diskurs vertrete, so will ich darauf nicht näher eingehen, das bringt nichts.
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AgentProvocateur
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Beiträge: 7851
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Beitrag(#1356908) Verfasst am: 08.09.2009, 18:07    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Es war ja zwischen uns noch nie strittig, daß ein Individuum moralisch angesprochen werden kann, formbare Präferenzen hat, Entscheidungen trifft, ein begleitendes Bewußtsein ausbildet und zuweilen über seine Präferenzen und Entscheidungen reflektiert. Strittig ist - gesetzt all diese Vorgänge laufen deterministisch ab -

- ob man, etwa aufgrund der Komplexität und Individualität dieser Vorgänge, das Individuum auch zukünftig noch als "autonome, freiwillige Person" verstehen sollte, obwohl alles komplett determiniert ist;
- ob die genannten Umstände in irgendweiner Form ausreichen, um eine Begründung für ein klassisches Schuld- und Strafkonzept zu liefern (das Hauptthema in diesem thread);
- ob eine soziale Gemeinschaft (und Moral) noch funktionieren kann, wenn man beide oberen Fragen verneint.

Ja.

(Wobei ich jedoch den vorläufigen Verdacht habe, dass Du unter "moralisch ansprechbar" etwas entscheidend Anderes verstehst als ich. Dazu unten mehr.)

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Lob und Tadel werden mAn nur akzeptiert für Handlungen, die man sich selber zurechnet, über die man eine hinreichende Kontrolle hatte, bzw. das zumindest annimmt.

Wieso sollte es nicht funktionieren, ein deterministisch "aufgelöstes", weniger atomistisches (Ich in der Welt) Bild der Person zu haben und z.B. an seinen Präferenzen ebenso zu arbeiten (arbeiten zu lassen) wie etwa an seinem Bierbauch oder seinem Bizeps?

Klar kann man ein anderes Bild einer Person haben, weniger individualistisch zum Beispiel. Individualismus ist wohl eher etwas Westliches, der westlichen Tradition entsprungen. Zwingend ist dieses Bild natürlich nicht, in östlichen Gesellschaften mag es anders sein.

step hat folgendes geschrieben:
Abgesehen davon finde ich den letzten Zusatz "... oder das zumindest annimmt" interessant im Hinblick auf die vieldiskutierte "staatsnotwendige Fiktion".

Eine Begründung, die eine "staatsnotwendige Fiktion" proklamiert, halte ich für unsinnig. Das würde mE auch nicht funktionieren.

step hat folgendes geschrieben:
Wie schon geschrieben, auch für meine Definition von Verantwortung muss z.B. die Bedingung des Verstehens wohl erfüllt sein, da ich sonst bei einer relativ komplexen Norm nicht erwarten kann, daß sie erfüllt wird. [...] Ich habe bereits begründet, warum man voneiner Sonnenblume bzw. einem Fuchs kein (moralisch) konformes Verhalten erwarten kann. Ein Computer (wenn auch kein heutiger) könnte das möglicherweise wenigstens prinzipiell.

Normen sind aber nicht unbedingt komplex. "Beiße keinen Menschen" ist nicht komplex. Was der Fuchs aber natürlich dennoch nicht verstehen würde. Ich kann aber trotzdem locker erwarten, dass ein Fuchs das "erfüllt", denn Füchse halten sich normalerweise lieber von Menschen fern. In den meisten Fällen werde ich mit meiner Erwartung richtig liegen, dass sich der Fuchs moralisch konform verhält.

Oder nehmen wir doch mal einen heutigen Computer, bzw. Roboter. Nehmen wir an, es würden Kampfroboter entwickelt, die auch zur Niederschlagung von Aufständen eingesetzt werden sollen. Sie werden darauf programmiert, dass sie (zumindest bei der Aufstandsbekämpfung, für den Kriegseinsatz kann man das umstellen) möglichst nicht töten oder schwer verletzen. Das entspringt einer moralischen Norm, d.h. von diesem Roboter wird moralisch konformes Verhalten erwartet, das Verhalten wird ihm einprogrammiert, (der aktuelle Status des moralischen Verhaltens könnte auch über eine Sprachschnittstelle eingestellt werden, falls das einen Unterschied macht). Er wäre dann "moralisch ansprechbar" in Deinem Sinne, oder? Wäre er in Deinem Sinne verantwortlich? Wenn nein: warum nicht?

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn (ein normaler erwachsener Mensch) zu der Auffassung gelangt, ein anderer wolle ihn nur manipulieren oder "determinieren" und nicht an seine Vernunft mithilfe von Gründen appellieren, ihm irgendwas einreden wollen, dann wird das, denke ich, oft wenig begeistert aufgenommen werden. Und das mAn zu Recht. Denn das bedeutete, dass er nicht als Person ernst genommen würde.

Hast Du nicht mal ziemlich genervt reagiert auf die Behauptung, der Determinismus stelle nach Heliozentrismus und Evolution eine weitere kopernikanische Kränkung dar?

Ja, das stimmt zwar, aber ich sehe den Zusammenhang jetzt nicht.

step hat folgendes geschrieben:
In bezug auf Manipulation gebe ich Dir da Recht, weil da versteckte Motive mitschwingen. Ich sehe das aber nicht als Problem in meinem Modell, da ja auch in meinem Modell ein ethischer Diskurs stattfände, vermutlich sogar rationaler als in Deinem, so daß natürlicherweise nachvollziehbare, an den Gemeinnutzen oder Win/Win Situationen appellierende Argumente mehr Chancen hätten, zu wirken.

Mein Punkt dabei war aber folgender: genausowenig, wie das mit der "staatsnotwendigen Fiktion" funktionieren kann, kann es funktionieren, einen Diskurs nur zu simulieren, nur so zu tun, als ob man die Anderen als eigenverantwortliche Subjekte ansieht, weil man das für nützlich hält.
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step
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Wohnort: Germering

Beitrag(#1356996) Verfasst am: 08.09.2009, 20:24    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Abgesehen davon finde ich den letzten Zusatz "... oder das zumindest annimmt" interessant im Hinblick auf die vieldiskutierte "staatsnotwendige Fiktion".
Eine Begründung, die eine "staatsnotwendige Fiktion" proklamiert, halte ich für unsinnig. Das würde mE auch nicht funktionieren.

Richtig, außer vielleicht, es würde eben nicht proklamiert, sondern wäre nur einer Führungselite bekannt. Immerhin kommt aber regelmäßig dieses Argument, ein eingebildeter Freier Wille würde ausreichen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Oder nehmen wir doch mal einen heutigen Computer, bzw. Roboter. Nehmen wir an, es würden Kampfroboter entwickelt, die auch zur Niederschlagung von Aufständen eingesetzt werden sollen. Sie werden darauf programmiert, dass sie (zumindest bei der Aufstandsbekämpfung, für den Kriegseinsatz kann man das umstellen) möglichst nicht töten oder schwer verletzen. Das entspringt einer moralischen Norm, d.h. von diesem Roboter wird moralisch konformes Verhalten erwartet, das Verhalten wird ihm einprogrammiert, (der aktuelle Status des moralischen Verhaltens könnte auch über eine Sprachschnittstelle eingestellt werden, falls das einen Unterschied macht). Er wäre dann "moralisch ansprechbar" in Deinem Sinne, oder? Wäre er in Deinem Sinne verantwortlich? Wenn nein: warum nicht?

Meine Erachtens ist ein Roboter nur dann moralisch ansprechbar in meinem Sinne, wenn er wenigstens rudimentäre Fähgkeiten hat, die Interessen Anderer zu simulieren (Empathie) und seine Aktionen entsprechend abzuwägen. Um Dein (wieder mal suggestiverweise aus einem tendenziell amoralischen Bereich gewähltes, pfui) Beispiel etwas geradezurücken und daurch meine Antwort im Voraus zu erläutern, möchte ich zwei andere Agenten zum Vergleich aufbieten:

1. Ein menschlicher Soldat im Kriegseinsatz, der auf dieselben Normen gedrillt wurde wie der von Dir genannte Roboter.

2. Ein Kind, das moralisch programmiert wurde, nicht zu naschen, weil es sonst Prügel bekommt.

Und jeweils dieselben Fragen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
In bezug auf Manipulation gebe ich Dir da Recht, weil da versteckte Motive mitschwingen. Ich sehe das aber nicht als Problem in meinem Modell, da ja auch in meinem Modell ein ethischer Diskurs stattfände, vermutlich sogar rationaler als in Deinem, so daß natürlicherweise nachvollziehbare, an den Gemeinnutzen oder Win/Win Situationen appellierende Argumente mehr Chancen hätten, zu wirken.
Mein Punkt dabei war aber folgender: genausowenig, wie das mit der "staatsnotwendigen Fiktion" funktionieren kann, kann es funktionieren, einen Diskurs nur zu simulieren, nur so zu tun, als ob man die Anderen als eigenverantwortliche Subjekte ansieht, weil man das für nützlich hält.

Moment, der ethische Diskurs würde in meinem Modell nicht nur simuliert, da auch die Interessen und Präferenzen real sind.
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Beitrag(#1357054) Verfasst am: 08.09.2009, 21:37    Titel: Preisausschreiben: Die blödste Programmier-Frage der Woche Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Um Dein (wieder mal suggestiverweise aus einem tendenziell amoralischen Bereich gewähltes, pfui) Beispiel etwas geradezurücken und daurch meine Antwort im Voraus zu erläutern, möchte ich zwei andere Agenten zum Vergleich aufbieten:

1. Ein menschlicher Soldat im Kriegseinsatz, der auf dieselben Normen gedrillt wurde wie der von Dir genannte Roboter.

2. Ein Kind, das moralisch programmiert wurde, nicht zu naschen, weil es sonst Prügel bekommt.


Ich biete mit:

3. Ein Staubsauger, der auf Selbstzerstörung programmiert ist, sobald er voll ist.

4. Ein Terminatorbaby, welches ein Wildschweinröhren imitiert, während es aus der Eihülle kriecht, worauf es gar nicht programmiert war, was die Terminatormutter schon mal ärgert.

Ansonsten: Dieselben Fragen wie immer!

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Beitrag(#1357079) Verfasst am: 08.09.2009, 22:05    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Immerhin kommt aber regelmäßig dieses Argument, ein eingebildeter Freier Wille würde ausreichen.

Ja, aber von mir nicht.

step hat folgendes geschrieben:
Meine Erachtens ist ein Roboter nur dann moralisch ansprechbar in meinem Sinne, wenn er wenigstens rudimentäre Fähgkeiten hat, die Interessen Anderer zu simulieren (Empathie) und seine Aktionen entsprechend abzuwägen.

Ja, eben. Und das wäre dann mE der gebräuchliche Verantwortungsbegriff, denn der verlangt hinreichende Einsichts-, Reflexions- und Steuerungsfähigkeit. Mehr nicht, er benötigt mE keinen Freien Willen im inkompatibilistischen Sinne. Ebensowenig wie der Schuldbegriff des Strafrechtes, der verlangt lediglich Verantwortlichkeit in diesem Sinne. Und ist eine Normverletzung derart verantwortlich begangen worden, dann ist das mE "Schuld" (im rechtlichen Sinne). Mehr steckt da nicht hinter. Daraus ergibt sich allerdings unausweichlich, dass man die entsprechende Handlung deswegen dem Ausführenden (hinreichend) persönlich zuordnet.

step hat folgendes geschrieben:
Um Dein (wieder mal suggestiverweise aus einem tendenziell amoralischen Bereich gewähltes, pfui) Beispiel

War so aber nicht beabsichtigt. Denn Aufruhrbekämpfung und Krieg sind mE gar nicht per se unmoralisch / böse. Ein anderes Beispiel aus dem moralischem Bereich mit Robotern fiel mir auf die Schnelle nicht ein.

step hat folgendes geschrieben:
etwas geradezurücken und daurch meine Antwort im Voraus zu erläutern, möchte ich zwei andere Agenten zum Vergleich aufbieten:

1. Ein menschlicher Soldat im Kriegseinsatz, der auf dieselben Normen gedrillt wurde wie der von Dir genannte Roboter.

2. Ein Kind, das moralisch programmiert wurde, nicht zu naschen, weil es sonst Prügel bekommt.

Ein Kind ist mAn nicht moralisch verantwortlich. Denn ihm fehlen die oben angegebenen Fähigkeiten (noch mehr oder weniger), die mE für eine Verantwortungszuschreibung notwendig sind. Auch im Strafrecht werden Kinder unter 14 als noch nicht strafmündig angesehen.

Ein Soldat ist jedoch mE normalerweise verantwortlich für seine Handlungen. Es sei denn, er wäre einer außergewöhnlichen Gehirnwäche unterlegen, die die notwendigen Fähigkeiten zu sehr unterdrücken würden.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Mein Punkt dabei war aber folgender: genausowenig, wie das mit der "staatsnotwendigen Fiktion" funktionieren kann, kann es funktionieren, einen Diskurs nur zu simulieren, nur so zu tun, als ob man die Anderen als eigenverantwortliche Subjekte ansieht, weil man das für nützlich hält.

Moment, der ethische Diskurs würde in meinem Modell nicht nur simuliert, da auch die Interessen und Präferenzen real sind.

Na gut. Aber ein ethischer Diskurs ist nun mal mE nicht möglich, wenn man die anderen nicht als eigenverantwortliche / selbstbestimmte Subjekte ansieht. Und wenn man die Präferenzen und Interessen als Teil der Person ansieht und nicht als getrennte Faktoren von ihr, die sie bestimmen und steuern. Denn dann bliebe nichts von einer Person übrig. Und da ich selber mich als nicht getrennt davon ansehe, weigere ich mich, andere so zu sehen (hier die Person und da drüben ihre Präferenzen und Interessen). Ich rede dann eben mit dem entsprechenden Präferenzen- und Interessenbündel und nenne das insgeheim für mich "Person". Egal, wie Homunkulusmäßig sich der andere selber sieht.
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Beitrag(#1357094) Verfasst am: 08.09.2009, 22:47    Titel: Antworten mit Zitat

magnusfe hat folgendes geschrieben:
Habe ich ein Grund Recht auf Strafe oder muss ich dafür erst Leistung erbringen


Du musst Dich erst wie ein Staugsaubär benehmen. Vorher läuft nichts!

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Beitrag(#1357100) Verfasst am: 08.09.2009, 23:14    Titel: In der Bundeswehr-Einform da gibt's ka' Sünd'! Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Ein menschlicher Soldat im Kriegseinsatz, der auf dieselben Normen gedrillt wurde wie der von Dir genannte Roboter.


Ein Soldat ist jedoch mE normalerweise verantwortlich für seine Handlungen. Es sei denn, er wäre einer außergewöhnlichen Gehirnwäche unterlegen, die die notwendigen Fähigkeiten zu sehr unterdrücken würden.


Zumal wenn er unsere Interessen am Hindukusch verteidigt und dabei Tanklastzüge mal eben so in die Luft sprengt und weil sein Chef das so gesagt hat. Und Befehl ist Befehl.

Menschen, die wie Roboter morden und/oder foltern und denen die Empathie ausgetrieben wird, haben nun mal physikalisch gesehen null Verantwortung. Und Schuld? Ha! Was'n das'n?

Das bisschen Krieg und Aufstandsbekämpfung. Da ist doch nix dabei. Wenn sie wieder zu Hause sind dann gibt's neue Verantwortungen zum Zuweisen und weiter geht's ...-!

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Beitrag(#1357105) Verfasst am: 08.09.2009, 23:37    Titel: Antworten mit Zitat

@Skeptiker

Mir kommt es so vor, als ob Du steps Aussagen so negativ wie möglich interpretierst und meine Aussagen möglichst positiv. Daher scheint Du zu Deinen polemischen Vorwürfen zu kommen. Aber das ist mE letztlich inkonsequent. Lies' doch vielleicht alles nochmal, mit umgekehrten Vorzeichen, mit umgekehrtem Bonus, dann wirst Du es eventuell anders herum interpretieren. Ich denke übrigens nicht, dass step und ich politisch (und auch sonst) so weit auseinander liegen; dass wir uns wahrscheinlich prima über Grundlegendes einigen könnten. Obgleich das hier vielleicht auf den ersten Blick nicht so aussehen mag.

Du hast anscheinend einiges von mir überlesen. Ich halte z.B. "Krieg" und "Aufstandsbekämfung" nicht für per se unmoralisch, um das explizit nochmal zu sagen. Und Roboter können mAn nicht "morden". Und dergleichen mehr.

Ich bin ein konservativer Spießbürger (was nicht heißen soll, dass step das auch ist, das gilt jetzt nur für mich). Es ist mir langsam ziemlich unangenehm, dass Du mich falsch einzuschätzen scheinst.
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zelig
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Anmeldungsdatum: 31.03.2004
Beiträge: 25405

Beitrag(#1357193) Verfasst am: 09.09.2009, 09:08    Titel: Antworten mit Zitat

Mir kam letztens beim Lesen eines Artikels über die Sinnhaftigkeit von Belohnungen in einem spieltheoretischen Zusammenhang die Frage, inwiefern es eigentlich möglich ist, Handlungen eindeutig als Strafe oder Belohnung einzustufen. Ein einfaches Beispiel: Ein Elter möchte ganz auf strafende Methoden verzichten und stattdessen nur durch Belohnung erziehen. Es hat 2 Kinder. Einmal in der Woche sollen diese das Zimmer aufräumen. Wenn sie das getan haben, gibt es zur Belohnung ein Eis. Wenn ein Kind das Zimmer nicht aufräumt, geschieht nichts. Nach dem bisherigen Diskussionsverlauf (den ich allerdings nicht vollständig nachvollzogen habe), scheint hier keine Strafe stattzufinden. Allerdings wird das Kind, das mitbekommt, wie sein Geschwister mit einem Eis belohnt wird, während es selber keins bekommt, dies als Übelzufügung empfinden. Möglicherweise sogar als sehr starke Übelzufügung, wenn man sich vorstellt, daß die Kinder zueinander ein konkurrierendes Verhältnis haben.
Das lässt meines Erachtens den Schluss zu, daß, wenn wir andere dazu bringen wollen etwas zu tun oder zu unterlassen, niemals ganz auf den strafenden Aspekt verzichten werden können, auch wenn die beeinflussende Handlung nach den jeweils allgemein anerkannten Normen, in deren Rahmen sie stattfindet, an sich sogar als Belohnung bewertet würde.
Das bedeutet für mich wiederum, daß wir prinzipiell nicht in der Lage sind auf Übelzufügung zu verzichten, weil sich die Erwartung der Menschen an das Verhalten ihnen gegenüber nicht ausschließlich an der Tat und dessen Bewertung orientiert, sondern ebenso daran, wie andere Menschen in vergleichbaren Situationen behandelt werden. Und sie also ihr Verhalten ändern, weil sie eine unterlassene Belohnung als Übelzufügung empfinden.
Da ich meine, daß wie nicht vollkommen auf diesen strafenden Aspekt verzichten können, auch wenn wir es wollen, müssten wir uns in der Praxis darauf verlegen, auszudiskutieren, welche Strafmethoden nach dieser erweiterten Auffassung wir als gerechtfertigt betrachten und welche nicht. Und da meine ich, kämen wir dann bald dahin, daß das Einsperren bei aller Grausamkeit eigentlich einen zivilisatorischen Fortschritt bedeutet. In den Gesellschaften wohlgemerkt, die auf körperliche Züchtigung, Todesstrafe und dergleichen barbarische Handlungen verzichten. Letztere Anmerkungen machen übrigens klar, daß ich ebenso in die Reihe der spießigen Kleinbürger gehöre. ; )
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Beitrag(#1357200) Verfasst am: 09.09.2009, 09:34    Titel: Aldi-Diskussion über "modernes Strafrecht" Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
Mir kam letztens beim Lesen eines Artikels über die Sinnhaftigkeit von Belohnungen in einem spieltheoretischen Zusammenhang die Frage, inwiefern es eigentlich möglich ist, Handlungen eindeutig als Strafe oder Belohnung einzustufen. Ein einfaches Beispiel: Ein Elter möchte ganz auf strafende Methoden verzichten und stattdessen nur durch Belohnung erziehen. Es hat 2 Kinder. Einmal in der Woche sollen diese das Zimmer aufräumen. Wenn sie das getan haben, gibt es zur Belohnung ein Eis. Wenn ein Kind das Zimmer nicht aufräumt, geschieht nichts. Nach dem bisherigen Diskussionsverlauf (den ich allerdings nicht vollständig nachvollzogen habe), scheint hier keine Strafe stattzufinden. Allerdings wird das Kind, das mitbekommt, wie sein Geschwister mit einem Eis belohnt wird, während es selber keins bekommt, dies als Übelzufügung empfinden. Möglicherweise sogar als sehr starke Übelzufügung, wenn man sich vorstellt, daß die Kinder zueinander ein konkurrierendes Verhältnis haben.
Das lässt meines Erachtens den Schluss zu, daß, wenn wir andere dazu bringen wollen etwas zu tun oder zu unterlassen, niemals ganz auf den strafenden Aspekt verzichten werden können, auch wenn die beeinflussende Handlung nach den jeweils allgemein anerkannten Normen, in deren Rahmen sie stattfindet, an sich sogar als Belohnung bewertet würde.
Das bedeutet für mich wiederum, daß wir prinzipiell nicht in der Lage sind auf Übelzufügung zu verzichten, weil sich die Erwartung der Menschen an das Verhalten ihnen gegenüber nicht ausschließlich an der Tat und dessen Bewertung orientiert, sondern ebenso daran, wie andere Menschen in vergleichbaren Situationen behandelt werden. Und sie also ihr Verhalten ändern, weil sie eine unterlassene Belohnung als Übelzufügung empfinden.
Da ich meine, daß wie nicht vollkommen auf diesen strafenden Aspekt verzichten können, auch wenn wir es wollen, müssten wir uns in der Praxis darauf verlegen, auszudiskutieren, welche Strafmethoden nach dieser erweiterten Auffassung wir als gerechtfertigt betrachten und welche nicht. Und da meine ich, kämen wir dann bald dahin, daß das Einsperren bei aller Grausamkeit eigentlich einen zivilisatorischen Fortschritt bedeutet. In den Gesellschaften wohlgemerkt, die auf körperliche Züchtigung, Todesstrafe und dergleichen barbarische Handlungen verzichten. Letztere Anmerkungen machen übrigens klar, daß ich ebenso in die Reihe der spießigen Kleinbürger gehöre. ; )


Aha! So nach und nach outen sich hier die Spießer und Kleinbürger! Das habe ich schon befürchtet. AgentProvocateur mit einem BMI jenseits von Gut und Böse in Ballonseide-Jogginganzug mit Badelatschen bei Aldi an der Kasse mit einer Kiste Bier, um sich auf eine "Diskussion" mit dem arroganten und besserwisserischen Elfenbeinturm-Physiker namens "step" vorzubereiten. zelig, der Pseudo-Softkritiker, dem es vor allem um den "Ton" geht und der inhaltlich zu wirklich radikaler Kritik weder willens noch fähig ist.

Mir fällt auf, dass in diesem thread eigentlich nur Agent, step und hin und wieder mal zelig schreiben. Ein paar Einsprengsel von mir kommen dazu, darauf gehen die Arrogantis, Softies und Ballonseidenjogginganzug-Träger aber inhaltlich kaum ein. Wobei ich zelig zugute halten möchte, dass er sich hin und wieder wirklich mal Mühe gibt.

Dabei wäre dieses Thema eigentlich nicht ganz unwichtig. Und ich würde es begrüßen, dass hier auch mal andere Leute ihren Senf hinzugeben würden. Mario Hahna hat ja nur wenig geschrieben, Tarvoc auch und andere kompetente Leute sind ebenfalls nicht dabei.

Also Leute: Lasst den wackeren Skeptiker nicht allein mit diesen Badelatschen-Philosophen, sondern entfacht mal etwas mehr frischen Wind gegen den spießigen Schwachsinn, der mittlerweile bei der Moral für Roboter angekommen ist ...-! Mit den Augen rollen

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Beitrag(#1357203) Verfasst am: 09.09.2009, 09:42    Titel: Re: Aldi-Diskussion über "modernes Strafrecht" Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Mir kam letztens beim Lesen eines Artikels über die Sinnhaftigkeit von Belohnungen in einem spieltheoretischen Zusammenhang die Frage, inwiefern es eigentlich möglich ist, Handlungen eindeutig als Strafe oder Belohnung einzustufen. Ein einfaches Beispiel: Ein Elter möchte ganz auf strafende Methoden verzichten und stattdessen nur durch Belohnung erziehen. Es hat 2 Kinder. Einmal in der Woche sollen diese das Zimmer aufräumen. Wenn sie das getan haben, gibt es zur Belohnung ein Eis. Wenn ein Kind das Zimmer nicht aufräumt, geschieht nichts. Nach dem bisherigen Diskussionsverlauf (den ich allerdings nicht vollständig nachvollzogen habe), scheint hier keine Strafe stattzufinden. Allerdings wird das Kind, das mitbekommt, wie sein Geschwister mit einem Eis belohnt wird, während es selber keins bekommt, dies als Übelzufügung empfinden. Möglicherweise sogar als sehr starke Übelzufügung, wenn man sich vorstellt, daß die Kinder zueinander ein konkurrierendes Verhältnis haben.
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Das bedeutet für mich wiederum, daß wir prinzipiell nicht in der Lage sind auf Übelzufügung zu verzichten, weil sich die Erwartung der Menschen an das Verhalten ihnen gegenüber nicht ausschließlich an der Tat und dessen Bewertung orientiert, sondern ebenso daran, wie andere Menschen in vergleichbaren Situationen behandelt werden. Und sie also ihr Verhalten ändern, weil sie eine unterlassene Belohnung als Übelzufügung empfinden.
Da ich meine, daß wie nicht vollkommen auf diesen strafenden Aspekt verzichten können, auch wenn wir es wollen, müssten wir uns in der Praxis darauf verlegen, auszudiskutieren, welche Strafmethoden nach dieser erweiterten Auffassung wir als gerechtfertigt betrachten und welche nicht. Und da meine ich, kämen wir dann bald dahin, daß das Einsperren bei aller Grausamkeit eigentlich einen zivilisatorischen Fortschritt bedeutet. In den Gesellschaften wohlgemerkt, die auf körperliche Züchtigung, Todesstrafe und dergleichen barbarische Handlungen verzichten. Letztere Anmerkungen machen übrigens klar, daß ich ebenso in die Reihe der spießigen Kleinbürger gehöre. ; )


Aha! So nach und nach outen sich hier die Spießer und Kleinbürger! Das habe ich schon befürchtet. AgentProvocateur mit einem BMI jenseits von Gut und Böse in Ballonseide-Jogginganzug mit Badelatschen bei Aldi an der Kasse mit einer Kiste Bier, um sich auf eine "Diskussion" mit dem arroganten und besserwisserischen Elfenbeinturm-Physiker namens "step" vorzubereiten. zelig, der Pseudo-Softkritiker, dem es vor allem um den "Ton" geht und der inhaltlich zu wirklich radikaler Kritik weder willens noch fähig ist.

Mir fällt auf, dass in diesem thread eigentlich nur Agent, step und hin und wieder mal zelig schreiben. Ein paar Einsprengsel von mir kommen dazu, darauf gehen die Arrogantis, Softies und Ballonseidenjogginganzug-Träger aber inhaltlich kaum ein. Wobei ich zelig zugute halten möchte, dass er sich hin und wieder wirklich mal Mühe gibt.

Dabei wäre dieses Thema eigentlich nicht ganz unwichtig. Und ich würde es begrüßen, dass hier auch mal andere Leute ihren Senf hinzugeben würden. Mario Hahna hat ja nur wenig geschrieben, Tarvoc auch und andere kompetente Leute sind ebenfalls nicht dabei.

Also Leute: Lasst den wackeren Skeptiker nicht allein mit diesen Badelatschen-Philosophen, sondern entfacht mal etwas mehr frischen Wind gegen den spießigen Schwachsinn, der mittlerweile bei der Moral für Roboter angekommen ist ...-! Mit den Augen rollen

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Beitrag(#1357204) Verfasst am: 09.09.2009, 09:47    Titel: Re: Aldi-Diskussion über "modernes Strafrecht" Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
----


Köstlich! Echt. : )


Das musste doch mal gesagt werden! zwinkern

So, muss jetzt los. Schönen Tag wünsche ich Dir!

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Beitrag(#1357207) Verfasst am: 09.09.2009, 10:12    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
Da ich meine, daß wie nicht vollkommen auf diesen strafenden Aspekt verzichten können, auch wenn wir es wollen, müssten wir uns in der Praxis darauf verlegen, auszudiskutieren, welche Strafmethoden nach dieser erweiterten Auffassung wir als gerechtfertigt betrachten und welche nicht.

Wie wäre es in erster Näherung mit einer Art Nutzenprinzip? Wo ist der wesentliche Nutzen einer Haftstrafe, zumal einer langen?

Später noch ein Kommentar zu der Belohnungssache.
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Beitrag(#1357211) Verfasst am: 09.09.2009, 10:32    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Da ich meine, daß wie nicht vollkommen auf diesen strafenden Aspekt verzichten können, auch wenn wir es wollen, müssten wir uns in der Praxis darauf verlegen, auszudiskutieren, welche Strafmethoden nach dieser erweiterten Auffassung wir als gerechtfertigt betrachten und welche nicht.

Wie wäre es in erster Näherung mit einer Art Nutzenprinzip? Wo ist der wesentliche Nutzen einer Haftstrafe, zumal einer langen?[...]

Versuchen wir es mal. Der Nutzen der Isolierung besteht darin, die Gemeinschaft vor weiteren Regelverstößen zu schützen. Ein weiterer Nutzen liegt darin, daß das Vergeltungsbedürfnis befriedigt wird. Eine Gemeinschaft, die aus Mitgliedern besteht, denen die Vergeltung ein elementares Bedürfnis ist, wird kaum darauf verzichten können, ohne die Gemeinschaft selber zu riskieren. Alles deskriptiv, bitte.
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Beitrag(#1357221) Verfasst am: 09.09.2009, 11:10    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Da ich meine, daß wie nicht vollkommen auf diesen strafenden Aspekt verzichten können, auch wenn wir es wollen, müssten wir uns in der Praxis darauf verlegen, auszudiskutieren, welche Strafmethoden nach dieser erweiterten Auffassung wir als gerechtfertigt betrachten und welche nicht.

Wie wäre es in erster Näherung mit einer Art Nutzenprinzip? Wo ist der wesentliche Nutzen einer Haftstrafe, zumal einer langen?[...]
Versuchen wir es mal. Der Nutzen der Isolierung besteht darin, die Gemeinschaft vor weiteren Regelverstößen zu schützen. Ein weiterer Nutzen liegt darin, daß das Vergeltungsbedürfnis befriedigt wird. Eine Gemeinschaft, die aus Mitgliedern besteht, denen die Vergeltung ein elementares Bedürfnis ist, wird kaum darauf verzichten können, ohne die Gemeinschaft selber zu riskieren. Alles deskriptiv, bitte.

Immerhin ... entwaffnend ehrlich.

Für Herrn X aus AP's Beispiel, den Ehrenmörder, käme demnach dE nur das "elementare Vergeltungsbedürfnis" als Begründung für eine Haftstrafe infrage, da eine Wiederholungstat laut AP ausgeschlossen war.
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Beitrag(#1357230) Verfasst am: 09.09.2009, 11:40    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
Mir kam letztens beim Lesen eines Artikels über die Sinnhaftigkeit von Belohnungen in einem spieltheoretischen Zusammenhang die Frage, inwiefern es eigentlich möglich ist, Handlungen eindeutig als Strafe oder Belohnung einzustufen.

In bezug auf den Einzelnen schient mir da in der Tat kein großer Unterschied, denn in beiden Fällen haben wir potenziell einen vergeltenden, einen generalpräventiven und einen spezialpräventiven Aspekt.

Die Diskussion, die ich hier in bezug auf Strafrechtsaspekte führe, gibt es denn auch ebenso in bezug auf (evtl. ebenso unbegründete) Belohnungsaspekte. So ist es z.B. eigentlich bekannt, daß Gehaltserhöhungen ab einem gewissen Niveau aufwärts nicht mehr oder nur noch für sehr kurze Zeit spezialpräventiv (motivierend, leistungssteigernd, abwanderungshemmend) wirken.

Allerdings gibt es einen wesentlichen Unterschied: Der Vergeltungsaspekt bei Bestrafungen (Dritter) wird sehr viel emotionaler wahrgenomen als der Vergeltungsaspekt bei Belohnungen (Dritter) - das liegt mE daran, daß Bestrafungen Dritter und Rache an Übeltätern archaisch-instinktiv als persönlicher Gewinn verbucht wird.

zelig hat folgendes geschrieben:
Ein einfaches Beispiel: Ein Elter möchte ganz auf strafende Methoden verzichten und stattdessen nur durch Belohnung erziehen. Es hat 2 Kinder. Einmal in der Woche sollen diese das Zimmer aufräumen. Wenn sie das getan haben, gibt es zur Belohnung ein Eis. Wenn ein Kind das Zimmer nicht aufräumt, geschieht nichts. Nach dem bisherigen Diskussionsverlauf (den ich allerdings nicht vollständig nachvollzogen habe), scheint hier keine Strafe stattzufinden. Allerdings wird das Kind, das mitbekommt, wie sein Geschwister mit einem Eis belohnt wird, während es selber keins bekommt, dies als Übelzufügung empfinden. Möglicherweise sogar als sehr starke Übelzufügung, wenn man sich vorstellt, daß die Kinder zueinander ein konkurrierendes Verhältnis haben.

Vielleicht etwas OT, aber pädagogisch betrachtet muß ich hier einwerfen, daß dieser Elter mit diesem Setup dem Kind signalisiert, daß das Zimmeraufräumen eine verhandelbare Leistung mit dem derzeitigen Marktwert von 2 Eis ist. Ich würde hier ein Setup vorziehen, bei dem der Gegenwert inhaltlich mit dem Zimmeraufräumen verbunden ist (z.B. mehr Vertrauen, es darf mehr selbständig, o.ä.), damit das Kind das Zimmeraufräumen nicht nur als Arbeitsleistung, sondern als für die Allgemeinheit sinnvolle Kompetenz erfährt, und damit es die Belohnung nicht als willkürlich, sondern als inhaltlich begründet erfährt.

zelig hat folgendes geschrieben:
Das lässt meines Erachtens den Schluss zu, daß, wenn wir andere dazu bringen wollen etwas zu tun oder zu unterlassen, niemals ganz auf den strafenden Aspekt verzichten werden können, auch wenn die beeinflussende Handlung nach den jeweils allgemein anerkannten Normen, in deren Rahmen sie stattfindet, an sich sogar als Belohnung bewertet würde.

Deshalb hatte ich ja auch oben in der Diskussion mit AP geschrieben, daß ein "sozialer Tadel" durchaus vertretbar und sogar notwendig ist.

zelig hat folgendes geschrieben:
Das bedeutet für mich wiederum, daß wir prinzipiell nicht in der Lage sind auf Übelzufügung zu verzichten, weil sich die Erwartung der Menschen an das Verhalten ihnen gegenüber nicht ausschließlich an der Tat und dessen Bewertung orientiert, sondern ebenso daran, wie andere Menschen in vergleichbaren Situationen behandelt werden. Und sie also ihr Verhalten ändern, weil sie eine unterlassene Belohnung als Übelzufügung empfinden.

Ja, es muß Verhältnismäßigkeit (Fairness) geben, und auch Übelzufügung läßt sich wohl nicht vermeiden, z.B. bei der Prävention oder auch einfach durch die Tatsache, daß wir niemandem völlig vor sozialer Anstrengung, Schmerz und Enttäuschung bewahren können. Das ist aber keine Begründung für ein vergeltendes Strafrecht. Auch in Deinem Beispiel "unterlassener Belohnung" geht es ja nicht um Vergeltung, sondern Du argumentierst mit positiver bzw. negativer Spezialprävention. Das wäre ja immerhin noch eine Begründung, auch wenn ich dieses Vorgehen (s.o.) bei Kindern nicht optimal finde. Noch schlimmer sind Geldbelohnungen für Einser im Zeugnis u.ä.
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Beitrag(#1357252) Verfasst am: 09.09.2009, 12:23    Titel: Re: Aldi-Diskussion über "modernes Strafrecht" Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Mir fällt auf, dass in diesem thread eigentlich nur Agent, step und hin und wieder mal zelig schreiben. Ein paar Einsprengsel von mir kommen dazu, darauf gehen die Arrogantis, Softies und Ballonseidenjogginganzug-Träger aber inhaltlich kaum ein. Wobei ich zelig zugute halten möchte, dass er sich hin und wieder wirklich mal Mühe gibt.

Dabei wäre dieses Thema eigentlich nicht ganz unwichtig. Und ich würde es begrüßen, dass hier auch mal andere Leute ihren Senf hinzugeben würden. Mario Hahna hat ja nur wenig geschrieben, Tarvoc auch und andere kompetente Leute sind ebenfalls nicht dabei.

Also Leute: Lasst den wackeren Skeptiker nicht allein mit diesen Badelatschen-Philosophen, sondern entfacht mal etwas mehr frischen Wind gegen den spießigen Schwachsinn, der mittlerweile bei der Moral für Roboter angekommen ist ...-! Mit den Augen rollen

Auf deine Beiträge bin ich nicht eingegangen, weil ich die nicht relevant fand. Sorry, aber manchmal, wenn mich ein Thema interessiert, springe ich nur auf Argumente an, die mir relevant erscheinen und nicht auf Sonstiges wie z.B. reine Polemik oder ad hominems oder reine Unterstellungen.

Aber Deinen Aufruf finde ich gut. Ich denke, ich kann eh nicht viel mehr zum Thema sagen, mir scheint, die Standpunkte von step und mir sind halbwegs klar, die Argumente sind ausgetauscht, das kann jetzt nur noch auf Wiederholungen hinauslaufen.

Also, frischer Wind, andere Gesichtspunkte und dergleichen wären schön. Falls das hier überhaupt jemanden interessiert.
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Beitrag(#1357256) Verfasst am: 09.09.2009, 12:32    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Da ich meine, daß wie nicht vollkommen auf diesen strafenden Aspekt verzichten können, auch wenn wir es wollen, müssten wir uns in der Praxis darauf verlegen, auszudiskutieren, welche Strafmethoden nach dieser erweiterten Auffassung wir als gerechtfertigt betrachten und welche nicht.

Wie wäre es in erster Näherung mit einer Art Nutzenprinzip? Wo ist der wesentliche Nutzen einer Haftstrafe, zumal einer langen?[...]
Versuchen wir es mal. Der Nutzen der Isolierung besteht darin, die Gemeinschaft vor weiteren Regelverstößen zu schützen. Ein weiterer Nutzen liegt darin, daß das Vergeltungsbedürfnis befriedigt wird. Eine Gemeinschaft, die aus Mitgliedern besteht, denen die Vergeltung ein elementares Bedürfnis ist, wird kaum darauf verzichten können, ohne die Gemeinschaft selber zu riskieren. Alles deskriptiv, bitte.

Immerhin ... entwaffnend ehrlich.

Für Herrn X aus AP's Beispiel, den Ehrenmörder, käme demnach dE nur das "elementare Vergeltungsbedürfnis" als Begründung für eine Haftstrafe infrage, da eine Wiederholungstat laut AP ausgeschlossen war.


Schwierig. Zunächst, ich habe das nicht zwischen euch verfolgt, besteht gegenüber jemandem, von dem bekannt ist, daß er jemand anders ermordet hat, weil sie das Ehrgefühl des Mörders verletzt hat, der begründete Verdacht, in einer ähnlich gelagerten Situation wieder ähnlich zu handeln. Falls dies aber aus irgendeinem Grund ausgeschlossen ist -was ich mir gerade praktisch schwer vorstellen kann-, dann reagiert die Gemeinschaft auf den Verlust eines ihrer Mitglieder. Das dies eine universelle menschliche Verhaltensweise ist, kann man ohne weiteres beobachten, denke ich. Soweit die Deskription. Und da ist jetzt glaube ich gar nichts enwaffnend ehrlich, wenn man die Wirklichkeit beschreibt wie sie ist. Und daher stimmt das auch, wie Du schreibst, de Facto wird so begründet. Zunächst jedoch ohne daß ich mir diese Begründung als Rechtfertigung zu eigen mache.
Jetzt normativ. Grundsätzlich vertrete ich auch das Recht des oder der Geschädigten auf eine Reaktion der Gesellschaft auf das Verbrechen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das anders funktionieren soll, wenn wir Selbstjustiz ablehnen.
Nun reden wir hier aber über eine spezielle Art von Reaktion, [edit: nämlich die,] die dem Empfinden des Opfers geschuldet ist. Zugegebenermaßen. Ich möchte das nur von dem Empfinden des Lynchmobs auseinanderhalten, das wir, davon gehe ich aus, alle nicht als Grundlage für eine Begründung für die Vergeltung akzeptieren. Ich denke, daß das Empfinden des Opfers eine hinreichende Bedingung für die Rechtfertigung der Reaktion der Gesellschaft auf einen Mord bietet. Damit ist jedoch kein Einfluss auf die Art der Reaktion gerechtfertigt. Wir sind uns wohl einig darüber, daß es besser ist, wenn das Opfer kein Richter ist. Aber es befriedet eine Gesellschaft, wenn das Opfer einer Tat sich der formalen Solidarisierung sicher sein kann.
Zum schwierigen Teil. Eine langjährige Hafstrafe wäre nach diesem Schema damit noch nicht gerechtfertigt. Welches Repertoire an Sanktionsmöglichkeiten eine Gesellschaft vorhält, hängt nicht von den konkreten Taten ab, das geht gar nicht. Es hängt viel mehr davon ab, wieweit es mit dem kulturellen Sebstverständnis dieser Gesellschaft übereinstimmt. Dies müsste der Versuch einer Einflussnahme auf das Strafrepertoire berücksichtigen. Ich möchte zwar nicht wissen, wie hoch der Anteil der Bevölkerung wäre, die gegebenenfalls für die Einführung der Todesstrafe votieren würde. Aber nur ein gesellschaftlicher Konsens darüber, zumindest der Konsens einer Mehrheit scheint mir halbwegs gewährleisten zu können, daß die Todesstrafe abgeschafft bleibt. Ämh, ja.
Um das zu einem Abschluss zu bringen, falls der Vergeltungsaspekt keine Relevanz haben soll, dann muss die Gemeinschaft sich um die Belange der Geschädigten kümmern. Eine Gemeinschaft, die sich um die Betroffenen kümmert und sie aufhebt, könnte sich vielleicht von der Vergeltung lösen.

kleines edit in den text eingefügt
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Beitrag(#1357261) Verfasst am: 09.09.2009, 12:41    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
etwas geradezurücken und daurch meine Antwort im Voraus zu erläutern, möchte ich zwei andere Agenten zum Vergleich aufbieten:

1. Ein menschlicher Soldat im Kriegseinsatz, der auf dieselben Normen gedrillt wurde wie der von Dir genannte Roboter.

2. Ein Kind, das moralisch programmiert wurde, nicht zu naschen, weil es sonst Prügel bekommt.

Ein Kind ist mAn nicht moralisch verantwortlich. Denn ihm fehlen die oben angegebenen Fähigkeiten (noch mehr oder weniger), die mE für eine Verantwortungszuschreibung notwendig sind. Auch im Strafrecht werden Kinder unter 14 als noch nicht strafmündig angesehen.

Das ist mir bekannt. Aber Deine Argumentation hatte ich so verstanden, daß Verantwortlichkeit wesentlich auf moralischer Ansprechbarkeit basiert. Ist das Kind also "moralisch ansprechbar", oder wird es erstmal nur "programmiert", oder etwas dazwischen?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ein Soldat ist jedoch mE normalerweise verantwortlich für seine Handlungen. Es sei denn, er wäre einer außergewöhnlichen Gehirnwäche unterlegen, die die notwendigen Fähigkeiten zu sehr unterdrücken würden.

Die Vorgesetzten erwarten aber von einem Soldaten (auch wenn das immer wieder kontrovers diskutiert wird), daß er gehorcht und Befehle ausführt, anstatt abzuwägen, moralisch zu hinterfragen und "autonom" zu agieren. Und dementsprechend wird er gedrillt.
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Beitrag(#1357264) Verfasst am: 09.09.2009, 12:46    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Allerdings gibt es einen wesentlichen Unterschied: Der Vergeltungsaspekt bei Bestrafungen (Dritter) wird sehr viel emotionaler wahrgenomen als der Vergeltungsaspekt bei Belohnungen (Dritter) - das liegt mE daran, daß Bestrafungen Dritter und Rache an Übeltätern archaisch-instinktiv als persönlicher Gewinn verbucht wird.


Nur mal so nebenbei. Das erinnert mich an einen Aufsatz über die Experimentelle Philosophie (ich kenne die sonst überhaupt nicht), in deren Rahmen wohl nachgewiesen wurde, daß das Urteil, ob jemand in einem Szenario als Akteur wahrgenommen wird oder nicht, sehr stark von der moralischen Wertung seiner Handlung abhängt. Leider finde ich dazu nichts mehr. Wenn mir das Beispiel wieder halbwegs plausibel einfällt, dann setze ich es hier rein.
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Beitrag(#1357267) Verfasst am: 09.09.2009, 12:50    Titel: Antworten mit Zitat

Wie gesagt: ich halte dann und nur dann Verantwortungszuweisung für richtig, wenn man von einer hinreichenden Einsichts-, Reflexions- und Steuerungsfähigkeit ausgehen kann. Denn nur dann würde ich bestimmte Handlungen als hinreichend der Kontrolle der Person unterlegen sehen, diese also als Urheber der Handlung ansehen. Ein kleines Kind hat diese Fähigkeiten noch nicht im hinreichenden Sinne, die entstehen erst nach und nach, auch durch "Programmierung", wenn Du das so ausdrücken willst, ja.

Soldaten können dabei Grenzfälle sein. Könnte in bestimmten Situationen sein, dass man ihnen keine Verantwortung zuweist, sondern eher den Vorgesetzten, die die Befehle gegeben haben. Aber ein simpler Verweis auf einen Befehl reicht dazu mE nicht.
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Beitrag(#1357277) Verfasst am: 09.09.2009, 13:47    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Allerdings gibt es einen wesentlichen Unterschied: Der Vergeltungsaspekt bei Bestrafungen (Dritter) wird sehr viel emotionaler wahrgenomen als der Vergeltungsaspekt bei Belohnungen (Dritter) - das liegt mE daran, daß Bestrafungen Dritter und Rache an Übeltätern archaisch-instinktiv als persönlicher Gewinn verbucht wird.
Nur mal so nebenbei. Das erinnert mich an einen Aufsatz über die Experimentelle Philosophie (ich kenne die sonst überhaupt nicht), in deren Rahmen wohl nachgewiesen wurde, daß das Urteil, ob jemand in einem Szenario als Akteur wahrgenommen wird oder nicht, sehr stark von der moralischen Wertung seiner Handlung abhängt. Leider finde ich dazu nichts mehr. Wenn mir das Beispiel wieder halbwegs plausibel einfällt, dann setze ich es hier rein.

Ja, ich erinnere ein ähnliches Esperiment, da ging es um einen Jack, der seine Frau umbringt (oder so ähnlich). Je nachdem, wie den Probanden dieselbe Situation (dieselben Fakten) geschildert wurde (also z.B. mehr oder weniger persönlich involviert), desto eher neigten sie zu einer inkompatibilistischen oder einer autonom-schuldhaften Deutung.
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Beitrag(#1357285) Verfasst am: 09.09.2009, 14:08    Titel: Antworten mit Zitat

Ich meinte dieses hier (ok, er hieß Bill und nicht Jack, aber egal):

http://www.unc.edu/~knobe/Nichols-Knobe.pdf

Ich finde, es lohnt sich wirklich zu lesen.

Ein Beispiel:

Fragt man Studenten, ob Menschen in einem deterministischen Universum moralisch verantwortlich sein können, sagen über die Hälfte "nein" - sind also Inkompatibilisten.

Erzählt man jedoch eine niederträchtige Mordgeschichte in einem deterministischen (!) Universum und fragt, ob der Täter moralisch verantwortlich war, sagt die Mehrheit "ja".

Die Menschen scheinen also abstrakte, rationale Inkompatibilisten zu sein, aber in konkreten, emotional involvierten Situation werden sie Kompatibilisten - wohl um ein inneres Schuldkonzept, eine Identifikation aufrechterhalten zu können.

Und ähnliches.
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Beitrag(#1357322) Verfasst am: 09.09.2009, 15:44    Titel: Antworten mit Zitat

Ich habe Deinen Link noch nicht gelesen. Aber was ich im Gedächtnis habe, geht ungefähr so:

Zwei Gruppen wird ein jeweils leicht voneinander abweichendes Szenario geschildert:

1.
Ein Fabrikant beauftragt einen Mitarbeiterstab mit einer möglichst günstigen Planung für einen Fabrikerweiterungsbau. Das Team legt ihm nach einiger Zeit zwei Entwürfe vor. Der zweite Entwurf ist noch etwas günstiger als der erste. Ein Mitarbeiter des Stabs weist darauf hin, daß die Umweltbelastung beim zweiten Entwurf höher liegt als beim ersten. Der Fabrikant sagt, diese Frage interessiere ihn nicht. Es käme ihm nur darauf an, daß die Lösung günstig wäre.

[An dieser Stelle wäre es eigentlich interessant, das Experiment im Forum durchuführen. Ist mir aber jetzt zu aufwendig. : )]

2.
Ein Fabrikant beauftragt einen Mitarbeiterstab mit einer möglichst günstigen Planung für einen Fabrikerweiterungsbau. Das Team legt ihm nach einiger Zeit zwei Entwürfe vor. Der zweite Entwurf ist noch etwas günstiger als der erste. Ein Mitarbeiter des Stabs weist darauf hin, daß die Umweltbelastung beim zweiten Entwurf niedriger liegt als beim ersten. Der Fabrikant sagt, diese Frage interessiere ihn nicht. Es käme ihm nur darauf an, daß die Lösung günstig wäre.


Ok.
Nun wurden die Gruppenmitglieder jeweils befragt, wie sie das Verhalten des Fabrikanten hinsichtlich der Umweltfrage beurteilen. Das Ergebnis war, daß dem Fabrikanten in 1. eindeutig ein umweltschädigendes Verhalten zugeordnet wurde. Wogegen das Verhalten des Fabrikanten in 2. vorwiegend als indifferent beurteilt wurde.


Nur aus dem Gedächtnis, Fehler in meiner Darstellung nicht ausgeschlossen.
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Beitrag(#1357325) Verfasst am: 09.09.2009, 15:57    Titel: Antworten mit Zitat

Ah ja, das ist ähnlich, aber doch anders. Dein Beispiel wäre allerdings auch so zu deuten, daß eine aktuelle Normverletzung stärker negativ gewertet wird als eine nur indirekt zu schließende.
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Beitrag(#1361865) Verfasst am: 17.09.2009, 02:18    Titel: Antworten mit Zitat

Paradigmenwechsel im Strafverfahren - Die Konsequenzen der Hirnforschung im Sanktionenrecht
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Beitrag(#1363305) Verfasst am: 19.09.2009, 22:41    Titel: Antworten mit Zitat

Greifen die Argumente der Hirnforscher zu kurz? hat folgendes geschrieben:
Wir suchen nach erklärenden und rechtfertigenden Gründen für unser Handeln, fordern solche Gründe von uns selber und von anderen Personen, nehmen über die Diskussion solcher Gründe wechselseitig auf unser eigenes wie das Handeln anderer Personen Einfluss und verändern es dadurch immer wieder. Welche Alternative sollte es zu dieser altbewährten und weiterhin ununterbrochen geübten Praxis im Ernst geben? Auch die Hirnforschung hat eine solche Alternative nicht zu bieten, im Gegenteil, ohne diese Praxis gäbe es sie selber ja gar nicht. Wenn diese Praxis den Kern dessen ausmacht, was die Begriffe Willens- und Handlungsfreiheit am Ende sinnvollerweise beinhalten, hat die Hirnforschung weder in der theoretischen Analyse etwas nennenswert Neues an der recht verstandenen Willensfreiheit entdeckt noch für die alltägliche Praxis etwas verändert. Und wie man angesichts der enormen Komplexität des Gehirns mit empirisch triftigen Gründen vermuten darf, wird das auch in der weiteren Zukunft so bleiben. Warum also die Aufgeregtheit?

Straftheoretische Anmerkungen
zur Debatte um Hirnforschung und Verantwortung
hat folgendes geschrieben:
Danach bildet die Inpflichtnahme durch den strafrechtlichen Schuldvorwurf die untrennbare Kehrseite der Zuerkennung derjenigen Fähigkeiten, die sich – wie die bereits erwähnte Einwilligungs- und Geschäftsfähigkeit, aber auch die Testierfähigkeit (§ 2229 BGB) oder die Grundrechtsmündigkeit – für unser freiheitliches, auf Menschenwürde, Privatautonomie und Mitbestimmung gegründetes Gemeinwesen als schlechthin konstituierend erweisen. Ein überzeugendes Gegenmodell, das die Zuschreibung von Verantwortung als maßgebliches Orientierungsmuster in unserer Selbstwahrnehmung, im täglichen sozialen Miteinander und schließlich im Gerichtssaal ersetzen könnte, sind die Vertreter der modernen Neurowissenschaften bislang schuldig geblieben.

Diese Argumente sind strukturell gleich und führen mAn die Behauptung der (zumindest derjenigen, die in den Medien am meisten behandelten, als da wären Singer, Roth und Markowitsch) Hirnforscher, man solle aufhören, von Freiheit zu sprechen und müsse alles nur als Naturabläufe interpretieren, als unabänderliche kausale Abläufe, deren Beobachter wir unweigerlich nur sein könnten, man dürfe nur noch Mitleid mit Tätern haben, denn die hätten keinerlei Einfluss auf ihr Handeln, sie seien eigentlich nur Opfer ihrer Taten, sehr schön ad absurdum. Es ist mir bis heute völlig unbegreiflich, wieso das von den Hirnforschern nicht gesehen wird. Denn all ihre moralischen Forderungen setzen unweigerlich Ansprechpartner in einem Diskurs voraus, die aufgrund von Argumenten etwas in Gang setzen können, sie proklamieren also eine Möglichkeit, ein Sollen. Wobei sie aber gleichzeitig bestreiten, dass das möglich wäre, weil gar keine Kontrolle möglich sei, es ja nur Naturabläufe gäbe und mit diesen alles hinreichend erklärt sei. Einfach nur absurd erscheint mir das. Ein so offensichtlicher performativer Selbstwiderspruch.

Und abgesehen davon stellt sich auch die Frage, ob eine Gesellschaft in irgend einem Sinne humaner wäre, die (normale erwachsene) Menschen nicht mehr als freie selbstbestimmte Personen ansieht, sondern Normabweicher generell als "krank", "unzurechnungsfähig" und daraus eine Legitimation zur "Erziehung, Umerziehung und Besserung" über deren Köpfe hinweg ableiten würde. Ich meine das nicht, ganz im Gegenteil. Nur dadurch, dass man Handlungen jemandem zuordnet, so er sie absichtlich und willentlich ausführt, (d.h. ihn für verantwortlich hält und im Falle einer Normverletzung für schuldig), wird er als Person anerkannt, die Rechte und Pflichten hat, zu einem gleichberechtigten Bürger, dessen Grundrechte nicht verletzt werden dürfen. Es ist mE notwendiger Teil des Gesellschaftsvertrages in einer moralischen Gemeinschaft, dass Rechte mit Pflichten verknüpft sind. Das sieht man auch sehr schön an den Ansichten der Befürworter eines Sicherheitsrechtes, in dem die Rechte des Einzelnen nicht mehr vorkommen, der lediglich als zu behandelndes Objekt ("krank", "annormal", "falsch gepolt", whatever) angesehen wird, dem dann, falls eine Behandlung nicht möglich ist, auf unbestimmte Zeit die Freiheit entzogen werden darf. Aber dafür gibt es mE in einer freiheitlichen Gessellschaft wie unserer gar keine Legitimation.

Und das "Böse" verschwindet dadurch auch gar nicht, dass man keine selbstbestimmte Personen mehr anerkennen will, das ist ein mir unverständlicher Fehlschluss; es wird lediglich von der "bösen Tat" (für die der Täter verantwortlich ist) auf die "böse Veranlagung" (für die niemand etwas kann) verlagert. Was unweigerlich zur Folge hat, dass das heutige regelgeleitete (im Vorneherein festgelegte) und somit für jeden berechenbare und in die Kalkulation der eigenen Handlungen einbeziehbare Recht der reinen Willkür weicht. Und das wird der Tod des Rechtes sein. Und wie sollte man einem Richter vorwerfen, dass er jemanden zu 50 Jahren Haft, zum Tode, zur endlosen Folter verurteilt? Er muss und kann ja keine Rechenschaft mehr ablegen, so wie niemand das dann für vergangene Taten tun kann.

Oder aber Richter, Staatsanwalt und Verteidiger werden abgelöst durch unbestechliche Wissenschaftler, die objektiv die künftige Gefährdung der Gesellschaft durch den Delinquenten bestimmen und ihm daraufhin eine Behandlung zu einem besseren Menschen anbieten, oder, falls er das ablehnt, ihn auf unbestimmte, für ihn nicht beeinflussbare Zeit festsetzen. Er wird dann zum Objekt, das behandelt wird. Die Frage nach Rechtfertigungen, Legitimationen, Verantwortung, Schuld wird irrelevant.

Dies wäre dann eine andere Gesellschaft, als die, die wir (ich zumindest) heute anstreben. Nicht nachvollziebare Willkür würde das Recht (nicht nur das Strafrecht, sondern das Recht insgesamt) ersetzen. Die Ersetzung des normativen Rechtes durch die "objektive Wissenschaft", die nur das Beste für alle will, aber leider nicht nachvollziehbar wäre. Und dann fragte sich auch erst mal, ob es tatsächlich möglich ist, Normen naturwissenschaftlich objektiv festzulegen. Ich bezweifele und bestreite das energisch. Meiner Ansicht nach können Normen nur in einem Gesellschaftsvertrag, in einem Diskurs unter gleichberechtigten moralischen Akteuren festgelegt werden und Normen sind daraufhin weder objektiv, noch können sie überhaupt einen Anspruch auf Objektivität erheben. Das ist mE grundsätzlich nicht möglich.

All dies, das ganze Thema ist keine Frage, die mit naturwissenschaftlichen Mitteln gelöst werden könnte. Es ist eine normative Frage, die Frage danach, was wir für eine Gesellschaft wollen, wie wir Individuen sehen wollen, was wir ihnen zutrauen, welche Rechte und Pflichten wir ihnen (und somit immer uns selber auch) geben wollen, welche Normen wir wollen. Und diese sind, wie gesagt, letztlich Vereinbarungssache, mehr nicht, ohne Anspruch auf objektive Geltung. Weder naturwissenschaftlich nachweisbar noch widerlegbar. Sie können lediglich mehr oder weniger plausibel gemacht werden.

Für mich jedenfalls wäre ein solcher Prämissenwechsel nicht akzeptabel. Ich bin natürlich ein Kind des westlichen Denkens, dadurch beeinflusst, durch die Aufklärung, durch Philosophen wie Hobbes, Kant und Hegel. Für mich sind festgelegte individuelle Rechte, auf denen ich bestehen kann und die durchgesetzt werden, (auch gegen mich), unverzichtbar in einer Gesellschaft, diese sind der Grund, warum ich eine Gesellschaft akzeptiere und für notwendig halte. Man muss natürlich nicht so denken wie ich, man kann auch individuelle Freiheit für verzichtbar halten und diese dem Gemeinschaftswohl / einem höheren Ziel opfern. Aber für mich, so wie ich bin, mit meiner Sozialisation, wäre das nicht annehmbar.

Und was ich auch nicht verstehe an dieser Diskussion, ist, dass nicht gesehen und nicht berücksichtigt wird, dass der Umbau von einem Schuldstrafrecht in ein Sicherheits- / Polizeirecht längst begonnen hat. Auch getragen von den (mE falschen, nicht hinreichend begründbaren, leider dennoch wirkungsmächtigen) Thesen der Hirnforscher. "Wir wollen Sicherheit". Präventive Überwachung, präventive Aufweichung des Datenschutzes, präventive Festsetzung von potentiellen Gefährdern, schrittweise Ausweitung der Sicherungsverwahrung - all dies passiert doch gerade. Ich sehe aber keinen Fortschritt darin, das ist lediglich ein immer weiter fortschreitender Abbau des Rechtsstaates, ein Prämissenwechsel von Freiheit zur Sicherheit. Was aber, wie gesagt, mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen rein gar nichts zu tun hat, damit nicht begründet werden kann. Was aber dennoch als Legitimation all dessen dient.

Man sollte aufpassen, dass man sich da nicht vor den falschen Karren spannen lässt. Bei allem Verständnis für die Ablehnung von Religion und Metaphysik: aber diese Entwicklung bereitet mir große Sorge. Die Welt ist nicht binär; ich bin auch Atheist, ich habe mit Religion nichts am Hut, aber es ist mE überhaupt nichts gewonnen, sondern alles verloren, wenn unsere Gesellschaft wegen angeblicher wissenschaftlicher Erkenntnisse auf Freiheit verzichtet und in eine präventive Überwachungsgesellschaft umgewandelt wird. Ganz egal, wie säkular die dann wäre.
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Beitrag(#1363366) Verfasst am: 20.09.2009, 00:58    Titel: Antworten mit Zitat

@AgentProvocateur: Interessante Texte, Danke! (wobei ich bisher nur Frommel und Lindemann gelesen habe. Das Philosophengespräch muss ich mir noch in Ruhe zu Gemüte führen)

Eine Bemerkung am Rande:

Ein "strenger" Determinismus - soll hier heißen, eine Sicht, die aus einem grundsätzlichen Determinismus den Abschied von einem Konzept individueller Verantwortlichkeit, ob man das nun Schuld nennt oder wie auch immer, fordert - hätte nicht nur im Strafrecht, sondern im gesamten Recht Konsequenzen. Dein Zitat aus dem Text von Lindemann (in dem er auf den Ansatz von Frister Bezug nimmt (s. S. 8)), weist indirekt darauf hin:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Straftheoretische Anmerkungen
zur Debatte um Hirnforschung und Verantwortung
hat folgendes geschrieben:
Danach bildet die Inpflichtnahme durch den strafrechtlichen Schuldvorwurf die untrennbare Kehrseite der Zuerkennung derjenigen Fähigkeiten, die sich – wie die bereits erwähnte Einwilligungs- und Geschäftsfähigkeit, aber auch die Testierfähigkeit (§ 2229 BGB) oder die Grundrechtsmündigkeit – für unser freiheitliches, auf Menschenwürde, Privatautonomie und Mitbestimmung gegründetes Gemeinwesen als schlechthin konstituierend erweisen. (....)

Was sagen Hirnforscher, die eine andere Begründung von Strafe fordern, z.B. zu diesen Punkten?
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Woran du dein Herz hängest, das ist dein Gott - Martin Luther -

Wenn ich Gott wäre, würde ich mich nicht von jedem anbeten lassen wollen - Hilde Ziegler -
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