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Glauben
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Leony
gottlos



Anmeldungsdatum: 16.07.2003
Beiträge: 3674
Wohnort: Aufklärung und Kritischer Rationalismus

Beitrag(#136449) Verfasst am: 09.06.2004, 22:28    Titel: Re: einn paar lockere Gedanken Antworten mit Zitat

Fischkopp hat folgendes geschrieben:
Glauben ....

Ich bevorzuge allerdings ein Wort, welches mir besser geeignet scheint: Vertrauen.
Ohne Vertrauen kann niemand auf Dauer psychisch gesund bleiben, er würde zunehmend misstrauischer werden gegen alles und jeden und möglicherweise sogar paranoid (oder ist – umgekehrt - schon paranoid oder sogar ein klinischer Fall der Schizophrenie namens Paranoia und hat dauernd Probleme wegen seines überzogenen Misstrauens). Es wächst bekanntlich die Angstbereitschaft mit zunehmenden Zweifeln. Hier nun liegt m.E. die psychische Wurzel des religiösen Glaubens.

Ohne Vertrauen kann niemand auf Dauer psychisch gesund bleiben – aber das heißt nicht, dass er dazu eine Religion brauchen würde. Wer ein wenig Glück hat, findet Menschen, denen er vertrauen kann. Vielleicht sind es Menschen, die in dieser Hinsicht weniger Glück gehabt haben, die zu der Meinung kommen, wirklich vertrauen könnten sie nur einem Gott.

Fischkopp hat folgendes geschrieben:
Dieser Glaube – man spricht u.a. auch von Gottvertrauen – hat sich ja auch deswegen evolutionär etablieren und halten können, weil er zur psychischen Stabilisierung nicht unwesentlich beiträgt.

Auf welche Weise die Evolution dazu geführt hat, dass wir als Wesen mit Bereitschaft zu religiösem Glauben entstanden sind,
dazu gibt es die unterschiedlichsten Theorien.

In dem Buch „Religion explained“ von Pascal Boyer wird dargelegt, dass der menschliche Geist so funktioniere,
dass immer dann, wenn unsere Sinne uns bestimmte Wahrnehmungen präsentieren,
gewisse Systeme in unserem Hirn in Aktion treten,
die, weitgehend unbewusst, diese Wahrnehmungen verarbeiten und uns mit einer Fülle von Schlussfolgerungen versorgen.
Beispiel: Sehen wir einen Menschen, dann versorgen diese Systeme uns mit der Schlussfolgerung,
dass dieser Mensch (höchstwahrscheinlich) sehen und hören könne, sprechen und sich bewegen,
dass er Gedanken und Gefühle habe, dass er Überlegungen anstellen und Pläne machen könne, und vieles mehr.
Diese Systeme, mit denen wir Wahrnehmungen verarbeiten und Schlussfolgerungen ziehen,
seien so beschaffen, dass sie nützliche Dienste leisteten und darum von der Evolution begünstigt wurden.
Das können nützliche Dienste sein, die mit Religion überhaupt nichts zu tun haben.
Nachdem diese Systeme – begünstigt durch die Evolution – nun einmal in uns entstanden sind
und eine bestimmte Beschaffenheit haben,
sorgt diese Beschaffenheit dafür, dass wir geneigt sind, unsere Wahrnehmungen in bestimmter Weise zu interpretieren,
und so sorgt diese Beschaffenheit dafür, dass wir für religiöse Vorstellungen empfänglich sind;
auch wenn das gar nicht der Grund war, dass diese Beschaffenheit von der Evolution begünstigt wurde.

Eine andere Theorie habe ich einmal aufgestellt:
Ich denke, dass der Mensch, als er sich vom Jäger und Sammler weiterentwickelte
zu einem Wesen, das größere Vorräte anlegte und schließlich Ackerbau betrieb,
in seiner ganzen Lebensweise eine erhebliche Umstellung vornehmen musste.
Sobald es größere Vorräte gab, konnten sie Räuber anlocken.
Zwar hatte es auch früher sicherlich schon den spontanen Raub bei sich bietender Gelegenheit gegeben;
aber der vorbedachte Raub, das Auflauern zum Zwecke des Raubes,
und der organisierte Raub, der Zusammenschluss zu Räuberbanden,
so etwas dürfte erst richtig lohnend geworden sein, als die Menschen wesentlich mehr besaßen, als sie bei sich tragen konnten.
Gegen Räuberbanden konnten sich die Menschen besser verteidigen, wenn sie sich zu größeren Gruppen zusammenschlossen,
Gruppen, in denen es nicht zuletzt eine größere Anzahl von erwachsenen Männern geben musste.
Es war wichtig, dass diese Männer zusammenhielten und sich nicht zerstritten.
Meine Theorie ist, dass die Einführung der Monarchie und die Einführung der Monogamie für die Frauen
damals eine wichtige Funktion darin hatte, Streit zu vermeiden, Streit um die Macht und Streit um die Sexualpartnerinnen.
Meine Theorie ist weiter, dass Religion hier eine Funktion darin fand,
die Machtverhältnisse zu stabilisieren und die Einhaltung von Normen zu fördern,
was der Stabilität und Durchsetzungsfähigkeit einer Gruppe dienen konnte und sie damit evolutionär begünstigen konnte.
Soweit meine Theorie.
Sie ist freilich bislang nur eine Hypothese, eine Vermutung von mir,
die erst einmal mit empirischen Befunden verglichen werden müsste, bevor sie mehr sein kann als eine Vermutung.
_________________
Gruß, Leony (Gott losgeworden vor vielen Jahren Sehr glücklich)
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Leony
gottlos



Anmeldungsdatum: 16.07.2003
Beiträge: 3674
Wohnort: Aufklärung und Kritischer Rationalismus

Beitrag(#136464) Verfasst am: 09.06.2004, 23:14    Titel: Antworten mit Zitat

Fischkopp hat folgendes geschrieben:
So ist bekannt, dass tief religiöse Menschen (dazu zähle ich auch solche, die an ein Diesseitsparadies glaubten wie die Kommunisten) in den Konzentrationslagern der Nazis eine bessere Überlebenschance hatten als Menschen, deren Horizont sich nicht über Alltägliches hinaus bewegte.

Es gibt Menschen, deren Leben sich im so genannten „Alltäglichen“ abspielt,
in der Familie, in der Nachbarschaft, im Beruf, vielleicht auch im Sportverein ...
und deren Leben trotzdem ein emotional wunderbar erfülltes Leben ist.
Und es gibt andere Menschen, die das nicht zu würdigen verstehen, vor allem wohl solche Menschen,
die sich derart in eine Religion oder eine sonstige hochfliegende Idee hineingesteigert haben,
dass ihnen alles Andere unbedeutend erscheint.
Auch Jesus redete verächtlich vom Alltäglichen:
Matthäus 5,46-47 hat folgendes geschrieben:
Denn wenn ihr liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner?
Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Tun nicht dasselbe auch die Heiden?

Sicher, man soll seine Freundlichkeit nicht auf den engsten Familienkreis beschränken.
Trotzdem hat die Freundlichkeit im Familienkreis einen Wert, der gewürdigt zu werden verdient.
Wer dafür nur ein herablassendes „Na und? Macht doch jeder!“ hat,
der hat irgendwo einen blinden Fleck in seiner Wahrnehmung.

Fischkopp hat folgendes geschrieben:
Nun ist allerdings der Glaube an einen Schöpfergott, der alles lenkt, in den Industrienationen auf dem Rückzug. Darüber könnte man sich einerseits freuen, wenn man daran denkt, was im Namen dieses Gottes alles an Grausamkeiten und Betrug stattgefunden hat und z.T. noch stattfindet. Andererseits sollte man aber auch nicht übersehen, dass hier ein Vakuum entsteht, dass hier eine Situation heranreifen könnte, die als einzige Zuflucht nur ein möglichst unterbrechungsfrei ablaufendes spaßiges Leben kennt – was bekanntlich nicht durchzuhalten ist und von vielen nicht mal im Ansatz realisierbar wegen Verarmung.

Hier wird eine falsche Alternative aufgestellt:
Entweder Glaube an Gott – oder „als einzige Zuflucht nur ein möglichst unterbrechungsfrei ablaufendes spaßiges Leben“.
Dass Atheisten nicht nur ihren Spaß im Kopf haben,
das kann man doch schon daran sehen, mit welchem Ernst hier weltanschauliche und philosophische Fragen diskutiert werden.
Und Atheismus bedeutet auch nicht, dass man zu blöd wäre, um zu merken,
dass Spaß allein einen nicht wirklich glücklich macht.
Dass zu einem glücklichen und als sinnerfüllt empfundenen Leben mehr gehört,
z. B. ernsthafte Beziehungen zu anderen Menschen,
z. B. auch, dass man eine Aufgabe hat, die einem wichtig ist,
sei es im Beruf, in der Familie, in der Politik, in der Kunst, in karitativen Tätigkeiten,
oder wo auch immer man etwas zu tun findet, was einem wichtig werden kann.
_________________
Gruß, Leony (Gott losgeworden vor vielen Jahren Sehr glücklich)
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Leony
gottlos



Anmeldungsdatum: 16.07.2003
Beiträge: 3674
Wohnort: Aufklärung und Kritischer Rationalismus

Beitrag(#136478) Verfasst am: 09.06.2004, 23:41    Titel: Antworten mit Zitat

Graf Zahl hat folgendes geschrieben:
narziss hat folgendes geschrieben:
Graf Zahl hat folgendes geschrieben:
Nagarjuna hat folgendes geschrieben:
...
Ich vermute, dass das Gehirn versucht, ein in sich konsistentes Weltbild zu bewahren und oft Dinge, die dazu nicht passen, ausblendet. Wir nehmen diese Dinge dann einfach nicht wahr.


Ich will ja wirklich nicht nerven, aber:
Was immer der Denker denkt, wird der Beweisführer beweisen.
Wenn das so ist, wieso sollte man dann noch irgendwas wissenschaftlich untersuchen wollen? Das man sich irren kann, das war mir schon vorher klar, aber das gewisse Themen sich so ganz der Betrachtung entziehen, das ist doch schon ziemlich hoffnungslos.

Nun, ganz so negativ würde ich das nicht sehen. Die Wissenschaft hat den Vorteil, daß sie nicht nur von einer Person betrieben wird. D.h. andere Personen überprüfen auch die Theorien und die teilen nicht unbedingt die Betrachtungsweise einer bestimmten Person.

Wenn die Überprüfung durch andere Personen mit anderen Betrachtungsweisen die einzige Möglichkeit wäre,
fehlerhafte Theorien zu korrigieren und zu revolutionär neuen Theorien voranzuschreiten,
dann hätte es manch einen wissenschaftlichen Fortschritt nie gegeben.
Der Fortschritt von der klassischen Physik zu Relativitätstheorie und Quantentheorie war nur möglich,
weil es jeweils mindestens einen Wissenschaftler gab,
der sich selbst korrigierte,
der aufhörte, das zu glauben, was er bisher geglaubt hatte und was auch alle Übrigen bis dahin glaubten.

Was nichts daran ändert, dass Nagarjuna natürlich Recht hat,
dass es in unserem Gehirn ein Streben nach Bewahrung des bisherigen Weltbildes gibt
und dass es eine gewisse Neigung gibt, Dinge auszublenden, die nicht dazu passen.

Dies Ausblenden funktioniert allerdings – glücklicherweise – nicht immer.
Und ich denke, in manchen Bereichen funktioniert es besser, in anderen schlechter.
Schlechter wohl vor allem in Bereichen, in denen viel Gefühl im Spiel ist.
_________________
Gruß, Leony (Gott losgeworden vor vielen Jahren Sehr glücklich)
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pyrrhon
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Anmeldungsdatum: 22.05.2004
Beiträge: 8770

Beitrag(#136484) Verfasst am: 09.06.2004, 23:50    Titel: Antworten mit Zitat

Leony hat folgendes geschrieben:
Der Fortschritt von der klassischen Physik zu Relativitätstheorie und Quantentheorie war nur möglich,
weil es jeweils mindestens einen Wissenschaftler gab,
der sich selbst korrigierte,
der aufhörte, das zu glauben, was er bisher geglaubt hatte und was auch alle Übrigen bis dahin glaubten.

Was nichts daran ändert, dass Nagarjuna natürlich Recht hat,
dass es in unserem Gehirn ein Streben nach Bewahrung des bisherigen Weltbildes gibt
und dass es eine gewisse Neigung gibt, Dinge auszublenden, die nicht dazu passen.

Wobei im Zusammenhang mit der Wissenschaft noch zu erwähnen ist, dass diejenigen Wissenschaftler, die neue Wege beschritten und aufhörten, das zu glauben, was bisher geglaubt wurde, meist noch jung und noch nicht so sehr in ihren physikalischen Ansichten festgefahren waren, als sie ihre umwälzenden Entdeckungen machten.
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El Schwalmo
Naturalistischer Ignostiker



Anmeldungsdatum: 06.11.2003
Beiträge: 9073

Beitrag(#136489) Verfasst am: 09.06.2004, 23:53    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Nagarjuna,

Nagarjuna hat folgendes geschrieben:

Wobei im Zusammenhang mit der Wissenschaft noch zu erwähnen ist, dass diejenigen Wissenschaftler, die neue Wege beschritten und aufhörten, das zu glauben, was bisher geglaubt wurde, meist noch jung und noch nicht so sehr in ihren physikalischen Ansichten festgefahren waren, als sie ihre umwälzenden Entdeckungen machten.


kennst Du

Hull, D.L.; et al., . (1978) 'Planck's Principle: Do Younger Scientists Accept New Scientific Ideas with Greater Alacrity than Older Scientists?' Science 202:717-723

Grüßle

Thomas
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pyrrhon
registrierter User



Anmeldungsdatum: 22.05.2004
Beiträge: 8770

Beitrag(#136493) Verfasst am: 10.06.2004, 00:01    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Thomas!

Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Nagarjuna hat folgendes geschrieben:

Wobei im Zusammenhang mit der Wissenschaft noch zu erwähnen ist, dass diejenigen Wissenschaftler, die neue Wege beschritten und aufhörten, das zu glauben, was bisher geglaubt wurde, meist noch jung und noch nicht so sehr in ihren physikalischen Ansichten festgefahren waren, als sie ihre umwälzenden Entdeckungen machten.


kennst Du

Hull, D.L.; et al., . (1978) 'Planck's Principle: Do Younger Scientists Accept New Scientific Ideas with Greater Alacrity than Older Scientists?' Science 202:717-723

Nein, leider nicht. Vielen Dank für den Tipp! Bestätigt diese Veröffentlichung meine Aussage?

Schöne Grüße,

Nagarjuna
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El Schwalmo
Naturalistischer Ignostiker



Anmeldungsdatum: 06.11.2003
Beiträge: 9073

Beitrag(#136494) Verfasst am: 10.06.2004, 00:05    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Nagarjuna,

Nagarjuna hat folgendes geschrieben:

Nein, leider nicht. Vielen Dank für den Tipp! Bestätigt diese Veröffentlichung meine Aussage?


für die Evolution eher nicht.

Grüßle

Thomas
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Leony
gottlos



Anmeldungsdatum: 16.07.2003
Beiträge: 3674
Wohnort: Aufklärung und Kritischer Rationalismus

Beitrag(#136495) Verfasst am: 10.06.2004, 00:11    Titel: Antworten mit Zitat

christin hat folgendes geschrieben:
Leony hat folgendes geschrieben:
...


für mich ist die tatsache, früh mit dem glauben in kontakt gekommen zu sein auch nicht der grund, warum ich jetzt glaube.

Was denn dann der Grund ist, warum du jetzt glaubst, ist mir noch nicht klar.

christin hat folgendes geschrieben:
das vertrauen, das ich gott entgegenbringe, befähigt mich persönlich dazu, meinen mitmenschen mit mehr anteilnahme und verständnis zu begegnen.

Das könnte allenfalls beweisen, dass Glaube psychologisch möglich ist
und vielleicht positive Auswirkungen auf Psyche und Verhalten hat.
Darüber, ob der Gegenstand deines Glaubens, d. h. ob dein Gott überhaupt wirklich existiert,
sagt es nicht das Geringste aus.

Übrigens: Wozu brauchst du dein Vertrauen zu Gott,
um deinen Mitmenschen mit mehr Anteilnahme und Verständnis zu begegnen?
Findest du in deinen Mitmenschen nicht genug, was Anteilnahme und Verständnis wecken könnten?

christin hat folgendes geschrieben:
inwiefern ist dein leben danach positiver geworden?

Es ist eine große Last von mir abgefallen, als ich aufhören konnte, an den Gott der Bibel zu glauben.
Als ich aufhören konnte, einen Gott zu verehren, der ungerecht und niederträchtig genug war,
um alle in die Verdammnis zu schicken, die nicht den „richtigen“ Glauben hatten.
Solange ich glaubte, ich müsste einen solchen Gott verehren, war ein Zwiespalt in mir, der mich sehr belastet hat;
so sehr, dass es zu psychosomatischen Beschwerden kam.

christin hat folgendes geschrieben:
kam deine entscheidung, nicht mehr zu glauben, einfach so, oder gingen ihr irgendwelche ereignisse voraus ?

Es gab einen Auslöser, ein Ereignis, das mich veranlasst hat, gründlicher darüber nachzudenken,
wie es um die Gründe für meinen Glauben bestellt war.
Es war eine Predigt, die ich während einer Klassenfahrt gehört habe, in der der Pastor über Zweifel predigte:
immer, wenn er Zweifel hätte, würde er seinen Glauben erst recht gegenüber anderen vertreten,
und dadurch würde er sich wieder sicherer in seinem Glauben.
Mir wurde klar, dass das bei mir ganz ähnlich war:
Mein Glaube beruhte im Wesentlichen darauf,
dass ich mich immer wieder selbst im Glauben bestärkte,
seit ich einmal angefangen hatte zu glauben.
Es war also ein Zirkelschluss.
Letztlich hatte der Zufall meiner Erziehung darüber entschieden, was ich glaubte.
Mein Glaube war mir aber zu ernst,
um die Entscheidung darüber diesem Zufall zu überlassen.
Ich kam zu dem Schluss, dass ich eine bessere Begründung für meinen Glauben brauchte.

Also machte ich mich auf die Suche nach Begründungen.
Aber wie es so gehen kann, wenn man sich auf die Suche nach Begründungen einlässt:
Man findet nicht immer Begründungen für das, was man ursprünglich begründen wollte,
man findet manchmal viel bessere Begründungen für das Gegenteil.
So kam ich nach etwa 2 Jahren der Suche zu dem Schluss, dass ich nicht mehr an Gott glaubte.
_________________
Gruß, Leony (Gott losgeworden vor vielen Jahren Sehr glücklich)
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shiningthrough
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Anmeldungsdatum: 08.11.2003
Beiträge: 1099

Beitrag(#136497) Verfasst am: 10.06.2004, 00:14    Titel: Atheismus Antworten mit Zitat

Hi Leony,

Danke, dass Du Dich meines Pamphlets angenommen hast. Deine Erklärungen zur Genese der Religion klingt interessant.

Deine Kritik an einigen Passagen meines Beitrages sind korrekt, wenn man diese Passagen aus den Gesamtzusammenhang heraus löst und isoliert betrachtet. Wenn man aber alles zuende liest, dann kommt man auch zur Konsequenz der Desillusionierung.

Na klar können Atheisten Spaß haben und sind verantwortungsvoll - wo schrieb ich denn Gegenteiliges? Ich bin ja selber kein Theist und meine Weltanschauung ist keine Religion, da Religion Rückbindung heißt und ich nichts sehe, woran ich mich rückbinden sollte - kein vergangenes Paradies, kein Schöpfergott, etc.

Das Vakuum, was ich erwähnte, ist eine allgemeine Orientierungslosigkeit die zwangsläufig aus Enttäuschungen erwächst. Dies ist Chance weil sie entkonditionierend wirken kann.

Lies bitte mal weitere Beiträge von mir, dann kannst Du vielleicht mein Denken verstehen.

Gruss
Fischkopp
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pyrrhon
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Anmeldungsdatum: 22.05.2004
Beiträge: 8770

Beitrag(#136550) Verfasst am: 10.06.2004, 08:21    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Thomas!

Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Nagarjuna hat folgendes geschrieben:

Nein, leider nicht. Vielen Dank für den Tipp! Bestätigt diese Veröffentlichung meine Aussage?


für die Evolution eher nicht.

Interessant. Max Planck hatte vermutlich hauptsächlich die Physik im Auge. Ich habe sein Prinzip ausformuliert gefunden, es dürfte von allgemeinem Interesse sein, wenn auch off topic:

Max Planck hat folgendes geschrieben:
Daß Boltzmann in dem Kampf gegen Ostwald und die Energetiker sich schließlich durchsetzte, war für mich nach dem Gesagten eine Selbstverständlichkeit. Die grundsätzliche Verschiedenheit der Wärmeleitung von einem rein mechanischen Vorgang wurde allgemein anerkannt. Dabei hatte ich Gelegenheit eine, wie ich glaube, bemerkenswerte Tatsache festzustellen. Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, daß die Gegner allmählich aussterben und daß die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.

http://www.gavagai.de/themen/HHP61.htm

Die Veröffentlichung habe ich ebenfalls online gefunden (Achtung: 5 MB groß!):

http://cba.unomaha.edu/faculty/adiamond/WEB/DiamondPDFs/PlancksPrinciple.pdf

Ich habe mir jetzt die abschließende Zusammenfassung durchgelesen und der Autor meint, dass es da vermutlich keinen Kausalzusammenhang zwischen Alter des Wissenschaftlers und Akzeptanz neuer Theorien gibt. Das Alter erkläre nur in nicht mehr als 10% der Fälle etwas.

Gassho
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#136556) Verfasst am: 10.06.2004, 08:58    Titel: Antworten mit Zitat

Selbst wenn es so wäre, daß junge Wissenschaftler offener sind als ältere: Das Entscheidende ist, daß die wissenschaftliche Methode letztlich die bessere Theorie siegen läßt.

Das zuweilen allzu konservative Element kommt nicht durch die wissenschaftliche Methode selbst zustande, sondern durch die Psychologie und vor allem durch die Strukturen im Wissenschaftsbetrieb, die nur teilweise die Methode, teilweise aber auch soziale Hierarchien widerspiegeln.

gruß/step
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Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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El Schwalmo
Naturalistischer Ignostiker



Anmeldungsdatum: 06.11.2003
Beiträge: 9073

Beitrag(#136564) Verfasst am: 10.06.2004, 09:19    Titel: Antworten mit Zitat

Hi step,

step hat folgendes geschrieben:
Selbst wenn es so wäre, daß junge Wissenschaftler offener sind als ältere: Das Entscheidende ist, daß die wissenschaftliche Methode letztlich die bessere Theorie siegen läßt.


das habe ich früher auch gedacht. Seit ich mich intensiver mit Wissenschaftsgeschichte befasse, bin ich mir da nicht mehr so sicher.

step hat folgendes geschrieben:
Das zuweilen allzu konservative Element kommt nicht durch die wissenschaftliche Methode selbst zustande, sondern durch die Psychologie und vor allem durch die Strukturen im Wissenschaftsbetrieb, die nur teilweise die Methode, teilweise aber auch soziale Hierarchien widerspiegeln.


Stimmt. _Wenn_ nur die 'wissenschaftliche Methode' entscheidend wäre, vor allem unter Einbeziehung eines konsequenten Fallibilismus, kritischer Prüfung und so weiter, hättest Du vermutlich Recht. Leider sieht die 'gelebte Wissenschaft' vollkommen anders aus.

'Peer Review' kann sehr effektiv sein, Neuerungen zu unterdrücken. Es gibt viele Beispiele dafür, dass wirklich 'wertvolle' Ansätze nicht publiziert werden konnten, weil sie irgendwelchen 'Moden' zuwider liefen.

Kann sein, dass das in 'harten' Bereichen wie der Physik anders ist, weil man dort leichter nachprüfen kann, ob ein Ansatz was taugt. Vielleicht noch eine Story aus einer vollkommen anderen Ecke: Chomsky hat erzählt, dass er, wenn er vor Informatikern, Mathematikern etc. referierten, einfach sein Ansatz diskutiert wurde. Wenn er vor Linguisten, Soziologen etc. vortrug, wurde immer nach seinen formalen Qualifikationen etc. gefragt. Vermutlich deshalb, weil ein Mathematiker in einem Vortrag, in dem es um _Mathematik_ geht, sofort erkennen kann, ob der Ansatz was taugt, während man bei 'komplexeren' (im Sinne von 'nicht fomalisierbaren') Ansätzen auf 'weichere' Heuristiken zurückgreift. Da kommt dann das Äquivalent von 'nobody gets fired if he buys IBM' zum Tragen.

Die 'wissenschaftliche Methode' scheint nicht in jedem Fall so ohne weiteres angewendet zu werden.

Grüßle

Thomas
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Leony
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Anmeldungsdatum: 16.07.2003
Beiträge: 3674
Wohnort: Aufklärung und Kritischer Rationalismus

Beitrag(#136774) Verfasst am: 10.06.2004, 14:17    Titel: Antworten mit Zitat

Fischkopp hat folgendes geschrieben:
...
(Alles verstehen heißt alles verzeihen.)

Alles verstehen heißt vieles verzeihen – in der Formulierung könnte ich das unterschreiben.

Aber alles? Nein.
Verbrechen wie den Holocaust könnte ich niemals verzeihen (oder: akzeptieren),
und wenn ich die Motive der Täter noch so gut verstehen könnte.

Irgendwo muss der Relativismus Grenzen haben!
_________________
Gruß, Leony (Gott losgeworden vor vielen Jahren Sehr glücklich)
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Schmerzlos
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Anmeldungsdatum: 02.08.2003
Beiträge: 4554

Beitrag(#136867) Verfasst am: 10.06.2004, 17:08    Titel: Antworten mit Zitat

Leony hat folgendes geschrieben:
Fischkopp hat folgendes geschrieben:
...
(Alles verstehen heißt alles verzeihen.)

Alles verstehen heißt vieles verzeihen – in der Formulierung könnte ich das unterschreiben.

Aber alles? Nein.
Verbrechen wie den Holocaust könnte ich niemals verzeihen (oder: akzeptieren),
und wenn ich die Motive der Täter noch so gut verstehen könnte.

Irgendwo muss der Relativismus Grenzen haben!


- In Tausend Jahren gibt´s vielleicht nicht mal mehr Deutsche.
Irgendwie wird sich das sicherlich nennen. Vielleicht Europa.
(Wenn´s das dann noch gibt)
Aber die dann leben, werden sich nicht für Verbrechen der Vorväter verantwortlich fühlen. Selbst wenn es glücklicherweise nicht bis dahin
vergessen würde...und man sich erinnert.
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christin
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Anmeldungsdatum: 02.11.2003
Beiträge: 608

Beitrag(#136877) Verfasst am: 10.06.2004, 17:32    Titel: Antworten mit Zitat

Leony hat folgendes geschrieben:
Was denn dann der Grund ist, warum du jetzt glaubst, ist mir noch nicht klar.


der grund warum ich glaube ist u.a. der, dass ich in meiner existenz einen tiefern sinn sehen möchte als nur den, zufällig da zu sein, der stillung meiner bedürfnisse nachzujagen und dennoch weiter einen "inneren hunger" zu verspüren. warum strebt die spezies mensch nach "höherem"? manche versuchen diesen hunger durch forschung und wissenschaft zu stillen, aber keiner lebt lange genug, um alle antworten zu finden.

leony hat folgendes geschrieben:

Übrigens: Wozu brauchst du dein Vertrauen zu Gott,
um deinen Mitmenschen mit mehr Anteilnahme und Verständnis zu begegnen?
Findest du in deinen Mitmenschen nicht genug, was Anteilnahme und Verständnis wecken könnten?


ich bin egoistisch und feige. ich habe manchmal damit zu kämpfen, dass ich auf menschen, die mir als schwach und dumm erscheinen, herabschaue. ich verachte z.b. suchtkranke (spieler, alkis). mein gott sagt mir, dass er diese menschen liebt und dass ich sie deswegen auch lieben und ihnen helfen soll, soweit es mir möglich ist.

leony hat folgendes geschrieben:

Es ist eine große Last von mir abgefallen, als ich aufhören konnte, an den Gott der Bibel zu glauben.
Als ich aufhören konnte, einen Gott zu verehren, der ungerecht und niederträchtig genug war,
um alle in die Verdammnis zu schicken, die nicht den „richtigen“ Glauben hatten.
Solange ich glaubte, ich müsste einen solchen Gott verehren, war ein Zwiespalt in mir, der mich sehr belastet hat;
so sehr, dass es zu psychosomatischen Beschwerden kam.


dass du dich von der vorstellung eines solchen gottes gelöst hast finde ich ja gut, denn ich glaube nicht, dass gott so ist.gott verlangt nicht von mir, dass ich einen niederträchtigen und ungerechten gott verehre. welche bilder wir uns von gott festlegen, sie sind immer verzerrt und unvollständig. gott hat sich meinem glauben nach den menschen in dem maß offenbart, dass sie ihn jeweils gemäss ihrer entwicklung und situation fassen und verstehen konnten.
ich habe oft auch meine not mit der vorstellung eines grausamen gottes, aber ich versteife mich nicht auf diesen aspekt, sondern versuche die liebende seite zu erforschen, die mit den menschlichen schwächen verständnis hat, schliesslich war er nach meinem glauben auch einer von uns. ich vertaue darauf, dass gott meine zweifel und ängste, was ihn angeht aushält und versteht. das bild des vaters in der geschichte vom verlorenen sohn hilft mir da weiter.
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pyrrhon
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Anmeldungsdatum: 22.05.2004
Beiträge: 8770

Beitrag(#137047) Verfasst am: 11.06.2004, 00:00    Titel: Antworten mit Zitat

christin hat folgendes geschrieben:
Leony hat folgendes geschrieben:
Was denn dann der Grund ist, warum du jetzt glaubst, ist mir noch nicht klar.


der grund warum ich glaube ist u.a. der, dass ich in meiner existenz einen tiefern sinn sehen möchte als nur den, zufällig da zu sein, der stillung meiner bedürfnisse nachzujagen und dennoch weiter einen "inneren hunger" zu verspüren.
  1. Sagst Du damit sogar ziemlich explizit, dass Wunschdenken der Grund für Dein Glaube ist. Du möchtest eben... und darum glaubst Du...
  2. Falsche Alternative: Glaube vs. zufällig zu existieren, reine Stillung der Bedürfnisse.
  3. Dass jemand, der nicht glaubt, einen "inneren Hunger" verspürt, ist ein typisches Märchen diverser Religiöser. Das ist nicht ernst zu nehmen, weil es einfach nicht stimmt.
  4. Was verstehst Du unter einem "tieferen Sinn"?
christin hat folgendes geschrieben:
warum strebt die spezies mensch nach "höherem"? manche versuchen diesen hunger durch forschung und wissenschaft zu stillen, aber keiner lebt lange genug, um alle antworten zu finden.
  1. Was verstehst Du unter "Höherem"?
  2. Wie kann eine Spezies nach etwas streben? Wenn es Einzelne tun, ist dieses Streben angeboren oder muss ihnen das erst anerzogen werden?
  3. Zum Hunger: siehe oben.
  4. Wird nie irgend jemand alle Antworten finden, weil auf Grund unserer Erkenntnisgrenzen alle Antworten gar nicht gefunden werden können.
  5. Zu welcher Frage ist Dein Glaube die Antwort?
christin hat folgendes geschrieben:
leony hat folgendes geschrieben:
Findest du in deinen Mitmenschen nicht genug, was Anteilnahme und Verständnis wecken könnten?


ich bin egoistisch und feige. ich habe manchmal damit zu kämpfen, dass ich auf menschen, die mir als schwach und dumm erscheinen, herabschaue. ich verachte z.b. suchtkranke (spieler, alkis).

Das ist zwar irgendwie ehrlich, aber auch traurig.

christin hat folgendes geschrieben:
mein gott sagt mir, dass er diese menschen liebt und dass ich sie deswegen auch lieben und ihnen helfen soll, soweit es mir möglich ist.

Wie sagt er Dir das und warum muss Dir das erst gesagt werden?

christin hat folgendes geschrieben:
gott verlangt nicht von mir, dass ich einen niederträchtigen und ungerechten gott verehre.

Das kann auch anders gesehen werden.

christin hat folgendes geschrieben:
ich habe oft auch meine not mit der vorstellung eines grausamen gottes, aber ich versteife mich nicht auf diesen aspekt, sondern versuche die liebende seite zu erforschen, die mit den menschlichen schwächen verständnis hat,

Also Verdrängung und selektive Wahrnehmung.

christin hat folgendes geschrieben:
ich vertaue darauf, dass gott meine zweifel und ängste, was ihn angeht aushält und versteht. das bild des vaters in der geschichte vom verlorenen sohn hilft mir da weiter.

Wie und wobei hilft Dir das weiter?
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Graf Zahl
untot



Anmeldungsdatum: 16.07.2003
Beiträge: 7040
Wohnort: Universum

Beitrag(#137061) Verfasst am: 11.06.2004, 02:04    Titel: Antworten mit Zitat

christin hat folgendes geschrieben:
ich verachte z.b. suchtkranke (spieler, alkis).
mein gott sagt mir, dass er diese menschen liebt und dass ich sie deswegen auch lieben und ihnen helfen soll, soweit es mir möglich ist.


Sorry, aber Du mußt es Dir wirklich erst sagen lassen, diese Menschen zu lieben? Das ist echt traurig.
"Angeordnete" Liebe ist für mich keine Liebe - das kannst Du Dir dann auch sparen, wenn es nicht aus Deinem Herzen kommt.
Ich kann meine Mitmenschen lieben, ohne es mir von jemandem sagen zu lassen.


Friedrich Nietzsche hat folgendes geschrieben:
Es würde uns Zweifel gegen einen Menschen machen, zu hören, daß er Gründe nöthig hat, um anständig zu bleiben: gewiß ist, daß wir seinen Umgang meiden. Das Wörtchen "denn" compromittirt in gewissen Fällen; man widerlegt sich mitunter sogar durch ein einziges "denn". Hören wir nun des Weiteren daß ein solcher Aspirant der Tugend schlechte Gründe nöthig hat, um respektabel zu bleiben, so giebt das noch keinen Grund ab, unseren Respekt vor ihm zu steigern. Aber er geht weiter, er kommt zu uns, er sagt uns ins Gesicht: "Sie stören meine Moralität mit Ihrem Unglauben, mein Herr Ungläubiger; so lange Sie nicht an meine schlechten Gründe, will sagen an Gott, an ein strafendes Jenseits, an eine Freiheit des Willens glauben, verhindern Sie meine Tugend ... Moral: man muß die Ungläubigen abschaffen, sie verhindern die Moralisirung der Massen".


(Nietzsche - Umwertungsheft Frühjahr 1888 - S. 112)
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Schmerzlos
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Beiträge: 4554

Beitrag(#137289) Verfasst am: 11.06.2004, 17:22    Titel: Antworten mit Zitat

Graf Zahl hat folgendes geschrieben:
Ich kann meine Mitmenschen lieben, ohne es mir von jemandem sagen zu lassen.


- Der Konjunktiv ist immer kompromitierend. Lachen
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shiningthrough
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Anmeldungsdatum: 08.11.2003
Beiträge: 1099

Beitrag(#137293) Verfasst am: 11.06.2004, 17:31    Titel: Gottogottogott Antworten mit Zitat

Zitat:
christin hat folgendes geschrieben:
ich verachte z.b. suchtkranke (spieler, alkis).
mein gott sagt mir, dass er diese menschen liebt und dass ich sie deswegen auch lieben und ihnen helfen soll, soweit es mir möglich ist.


Habe ich nie verachtet. Ergo brauche ich keinen Gott.
Verachtet aber habe ich immer diese Verächter, die Spießer und Selbstgerechten und deswegen sind wir uns ja auch oft einig: Jesus und ich Smilie.
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Leony
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Beitrag(#137840) Verfasst am: 12.06.2004, 22:14    Titel: Antworten mit Zitat

christin hat folgendes geschrieben:
Leony hat folgendes geschrieben:
Was denn dann der Grund ist, warum du jetzt glaubst, ist mir noch nicht klar.


der grund warum ich glaube ist u.a. der, dass ich in meiner existenz einen tiefern sinn sehen möchte als nur den, zufällig da zu sein, der stillung meiner bedürfnisse nachzujagen und dennoch weiter einen "inneren hunger" zu verspüren. warum strebt die spezies mensch nach "höherem"?

Du meinst, es gäbe nur die Alternative zwischen einem „tieferen Sinn“ in deiner Existenz
und einer letztlich unbefriedigenden Jagd nach Stillung deiner Bedürfnisse?
Hast du noch nicht die Erfahrung machen können, dass es auch unabhängig von Gott, Religion und dergleichen
vieles in unserer diesseitigen Welt gibt, was unser Leben mit Freude erfüllen kann und mit einem Sinn,
der weit über oberflächlichen Spaß hinausgeht und über bloße Stillung der Bedürfnisse?

Woran es liegt, dass du diese Erfahrung anscheinend noch nicht hast machen können,
weiß ich natürlich nicht.
Ich kann nur ganz allgemein einige Möglichkeiten aufzeigen, woran so etwas liegen kann.

Wenn ein Mensch das Pech hatte, unter Menschen aufgewachsen zu sein,
die seine emotionalen Bedürfnisse nicht annähernd befriedigen konnten,
dann fehlt ihm eine wichtige Erfahrung:
wie beglückend die Beziehung zu anderen Menschen sein kann, wie sie das Leben mit Sinn erfüllen kann.
Wem diese Erfahrung fehlt, der kann auf den Gedanken kommen,
nur ein Gott könnte seine emotionalen Bedürfnisse, seinen „inneren Hunger“ stillen.

Eine Einstellung, die sich nicht eben günstig auf die Chancen auswirkt, doch noch Menschen zu finden,
mit denen emotional zutiefst befriedigende Beziehungen entstehen könnten.
Was man nicht sucht, findet man nicht so leicht,
ja manchmal erkennt man es nicht einmal, wenn es in greifbare Nähe rückt,
weil man einfach nicht glauben kann, dass es das sein könnte.
„Self fulfilling prophecy“ nennt man diesen Vorgang,
der in einen Teufelskreis führen kann,
in dem frühe Erfahrungen unbefriedigender Kontakte zu anderen Menschen
die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass spätere Kontakte zu anderen Menschen ebenfalls unbefriedigend bleiben.

Religion kann die Neigung verstärken, emotional erfüllende Beziehungen nicht bei Menschen zu suchen.
Die Vorstellung von Gott als vollkommener Bezugsperson
kann das, was unvollkommene Menschen zu bieten haben, in den Augen des Gläubigen in einer Weise überstrahlen,
dass ihm die Wertschätzung abhanden kommt für das, was unvollkommene Menschen zu bieten haben.
Nachdem ich mich einmal von meinem Glauben gelöst habe, verstehe ich es selbst kaum noch,
wie großartig mir damals meine Beziehung zu einem Gott vorkommen konnte,
der zwar angeblich vollkommen sein sollte, tatsächlich aber nicht einmal Antwort gab, wenn ich zu ihm sprach;
der mir damit (wenn es ihn überhaupt gab) aufs Krasseste die Beziehung verweigerte.
Ich verstehe es selbst kaum noch, wie mir das besser vorkommen konnte
als Beziehungen zu unvollkommenen Menschen,
die zwar manchmal törichte Antworten geben, die aber immerhin antworten und damit zeigen,
dass sie zugehört haben, und dass ich ihnen eine Antwort wert bin.

christin hat folgendes geschrieben:
leony hat folgendes geschrieben:

Übrigens: Wozu brauchst du dein Vertrauen zu Gott,
um deinen Mitmenschen mit mehr Anteilnahme und Verständnis zu begegnen?
Findest du in deinen Mitmenschen nicht genug, was Anteilnahme und Verständnis wecken könnten?


ich bin egoistisch und feige. ich habe manchmal damit zu kämpfen, dass ich auf menschen, die mir als schwach und dumm erscheinen, herabschaue. ich verachte z.b. suchtkranke (spieler, alkis). mein gott sagt mir, dass er diese menschen liebt und dass ich sie deswegen auch lieben und ihnen helfen soll, soweit es mir möglich ist.

christin, für deine Offenheit spreche ich dir meinen Respekt aus.

Um dumme oder schwache Menschen nicht zu verachten, brauche ich keinen Gott.
Mein Gerechtigkeitssinn sagt mir, dass es großenteils nicht mein Verdienst ist,
wenn ich intelligenter oder stärker bin.

Freilich, wenn Dummheit im Verein mit Überheblichkeit daherkommt,
dann reizt mich das schon zum Spott.
Und warum auch nicht? Dieser Spott trifft niemanden unverdient.
Manchen Leuten kann es nicht schaden, wenn sie merken, welche Reaktionen ihr Verhalten bei anderen hervorruft.
Im besten Fall hilft es ihnen, ihr Verhalten zu korrigieren.
Wenn überhaupt, dann hat die Konfrontation mit spontanen Reaktionen des Gegenübers
sicher bessere Chancen auf Wirkung,
als wenn ich mich als hilfreiche Nachhilfelehrerin für einen armen bedauernswerten Menschen
mit einem betrüblichen Mangel an sozialer Kompetenz anbieten würde.
Letzteres Verhalten würde übrigens auch von einer gehörigen Portion Respektlosigkeit gegenüber diesem Menschen zeugen,
einer Respektlosigkeit, die zwar subtiler daherkommt als beißender Spott,
die darum aber nicht minder beleidigend wirken kann.

christin hat folgendes geschrieben:
leony hat folgendes geschrieben:

Es ist eine große Last von mir abgefallen, als ich aufhören konnte, an den Gott der Bibel zu glauben.
Als ich aufhören konnte, einen Gott zu verehren, der ungerecht und niederträchtig genug war,
um alle in die Verdammnis zu schicken, die nicht den „richtigen“ Glauben hatten.
Solange ich glaubte, ich müsste einen solchen Gott verehren, war ein Zwiespalt in mir, der mich sehr belastet hat;
so sehr, dass es zu psychosomatischen Beschwerden kam.


dass du dich von der vorstellung eines solchen gottes gelöst hast finde ich ja gut, denn ich glaube nicht, dass gott so ist.gott verlangt nicht von mir, dass ich einen niederträchtigen und ungerechten gott verehre. welche bilder wir uns von gott festlegen, sie sind immer verzerrt und unvollständig.

Mein Bild von Gott habe ich mir damals nicht selbst festgelegt,
ich habe es in der Bibel so gefunden.
Markus 16,16 hat folgendes geschrieben:
Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden.

Aus solchen Gründen verdammen würde nur ein niederträchtiger und ungerechter Gott.

Natürlich bist du nicht verpflichtet, dich an die Bibel zu halten.
Du hast das gleiche Recht, dir deinen Gott nach deinem Geschmack zurechtzulegen,
wie Jesus oder Paulus oder der Verfasser von Markus 16,16 sich ihren Gott nach ihrem Geschmack zurechtgelegt haben.
Die Frage ist nur, wann du dich so weit von der Bibel entfernst,
dass es nicht mehr ehrlich wäre, zu behaupten, deine Religion wäre die Religion der Bibel.
Bei großen Unterschieden wäre es nur noch eine Religion frei nach Motiven der Bibel.
Nicht, dass ich die schlechter fände als die Religion der Bibel. Im Gegenteil.
Vor allem, wenn noch die Ehrlichkeit hinzukommt, zuzugeben, dass es sich nicht um die Religion der Bibel handelt.

christin hat folgendes geschrieben:
gott hat sich meinem glauben nach den menschen in dem maß offenbart, dass sie ihn jeweils gemäss ihrer entwicklung und situation fassen und verstehen konnten.
ich habe oft auch meine not mit der vorstellung eines grausamen gottes, aber ich versteife mich nicht auf diesen aspekt, sondern versuche die liebende seite zu erforschen, die mit den menschlichen schwächen verständnis hat, schliesslich war er nach meinem glauben auch einer von uns. ich vertaue darauf, dass gott meine zweifel und ängste, was ihn angeht aushält und versteht. das bild des vaters in der geschichte vom verlorenen sohn hilft mir da weiter.

Sollte sich in der Bibel wirklich ein Gott offenbart haben und nicht bloß die menschliche Phantasie,
dann hat er sich offenbart Bei einem derart grausamen Gott zu versuchen, „die liebende Seite zu erforschen“ – sorry, christin, aber das finde ich absurd.
Und auf Verständnis für menschliche Schwächen zu rechnen
bei einem, der Vollkommenheit gefordert hat und die Mehrzahl der Menschen zum Verderben verurteilt hat,
das erfordert auch einen beachtlichen geistigen Purzelbaum.
Jedenfalls solange jemand in Anspruch nimmt, seine Religion sei die Religion der Bibel.
Was du natürlich nicht zu tun brauchst. Ich frage nur, ob du ehrlich zu dem stehst, was du tust.
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Gruß, Leony (Gott losgeworden vor vielen Jahren Sehr glücklich)
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Leony
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Beitrag(#137851) Verfasst am: 12.06.2004, 22:48    Titel: Re: Gottogottogott Antworten mit Zitat

shiningthrough hat folgendes geschrieben:
Verachtet aber habe ich immer diese Verächter, die Spießer und Selbstgerechten

Ja, diese Verächter, die Spießer und Selbstgerechten, die haben schon Einstellungen, die Verachtung verdienen.
Ebenso die Rassisten, die Homophoben und jene (meist älteren) Leute, die immer noch nicht kapieren wollen,
dass Deserteure aus Hitlers Wehrmacht nicht als Straftäter angesehen zu werden verdienen,
sondern die besseren Patrioten waren als die Soldaten, die bis zum Ende dabeiblieben.
All das sind Einstellungen, in denen sich Dummheit mit Niedertracht paart.
Widerlich.

Die Neigung ist groß, solche Leute zu verachten.
Aber ich trainiere gerade, mir das abzugewöhnen.
Denn ich konnte feststellen:
Einige von denselben Leuten, die solche Einstellungen haben,
sind in anderen Bereichen Leute,
an deren Verantwortungsbewusstsein und solidarischem Verhalten sich manch einer ein Beispiel nehmen könnte.
Deshalb sage ich mir, es wäre nicht richtig,
aus der Verachtung für bestimmte Einstellungen
automatisch Verachtung für die Leute mit diesen Einstellungen werden zu lassen.
Soweit meine Einsicht. An der Umsetzung übe ich noch.
Bestimmte Einstellungen machen mich wütend, dass ich explodieren könnte,
und da zu differenzieren zwischen den Einstellungen und den Personen, die diese Einstellungen haben, das erfordert Übung.
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Gruß, Leony (Gott losgeworden vor vielen Jahren Sehr glücklich)
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Beitrag(#138027) Verfasst am: 13.06.2004, 13:15    Titel: stimmt Antworten mit Zitat

Zitat:
Deshalb sage ich mir, es wäre nicht richtig,
aus der Verachtung für bestimmte Einstellungen
automatisch Verachtung für die Leute mit diesen Einstellungen werden zu lassen.


Leony, Du hast recht! Es kommt auf die Einstellungen an. Sorry, ich hatte das zu undifferenziert geschrieben.
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