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Aufklärung als Bildungsideal?

 
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Tyrus
Schildkröte



Anmeldungsdatum: 12.07.2009
Beiträge: 59
Wohnort: Köln

Beitrag(#1383806) Verfasst am: 29.10.2009, 03:04    Titel: Aufklärung als Bildungsideal? Antworten mit Zitat

Meines Erachtens kann sich an dem Verhältnis zwischen Staat und Religion bzw. pseudo-religiösen Ideologien langfristig überhaupt nur dann etwas ändern, wenn sich zunächst in der Bildung radikal etwas ändert - weg von der oberflächlichen "Faktenvermittlung", bei der historische, kulturelle und philosophische Sachverhalte immer mehr verklärt werden und hin zum Ideal der Aufklärung: Schule als Anleitung zum skeptischen Zweifel, also zum wissenschaftlichen Denken.

In Schulen und mittlerweile auch zunehmend Hochschulen wird aber stattdessen "Bulemie-Pädagogik" betrieben, d.h. es wird normierter Lernstoff vorgesetzt, den es in einer (oft ebenfalls normierten) Prüfung wieder "auszukotzen" gilt. Welche Rolle das Gelernte für das zukünftige Leben spielen soll, wird selten klar und ist objektiv betrachtet oft sehr fragwürdig. Zu Mündigkeit im Sinne Kants führt es jedenfalls ganz gewiss nicht.

Neoliberale Think Tanks wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft geben den Kurs für das gesamte Bildungssystem an: Wissen als Rohstoff, mehr Wettbewerb, mehr Effizienz, mehr Tempo. Freies Denken, kritisches Hinterfragen und eigenständiges Forschen hält dementsprechend nur auf, insbesondere in der Schule, die enorm dazu beitragen könnte, ein rationales Weltbild zu fördern. Hauptsache gute Noten und schnell fertig werden. Zeit für und Interesse an Philosophie und Wissenschaftstheorie hat nur eine ganz kleine Minderheit (welche in diesem Forum recht gut repräsentiert zu sein scheint). Mit dem politisch korrekten, ununterbrochen Vorgekautes konsumierenden Mainstream zu schwimmen, wird hingegen von allen Seiten als attraktives Ideal verkauft.

Wie können Freigeister dem entgegen wirken? Meines Erachtens könnte nur eine radikale Reform der Ausrichtung des Bildungssystems etwas zum Positiven ändern: Weg vom Lehren und Eintrichtern von vermeindlichen (oft stark von Ideologie gefärbten) Fakten, hin zur selbstständigen, kritischen und interessengeleiteten Forschung. Was denkt ihr?
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Kramer
postvisuell



Anmeldungsdatum: 01.08.2003
Beiträge: 30878

Beitrag(#1383809) Verfasst am: 29.10.2009, 03:33    Titel: Antworten mit Zitat

Ich habe das gestern bei meiner Nichte gesehen. Sie paukte für eine Mathearbeit - und sie paukte, sie lernte nicht(s). Das alles war für sie nur abstrakter Lernstoff, der in keinem Zusammenhang mit ihrer Lebensrealität und ihren Interessen stand, den sie sich aber draufschaffen muss, um eine gute Note zu bekommen. Die Folge ist: In zwei Wochen wird sie fast alles wieder vergessen haben. Nicht weil sie vergesslich oder dumm ist, sondern weil sie mit diesem Wissen nichts anfangen kann. Sie interessiert sich für Astronomie und kennt sich am Sternenhimmel sehr gut aus, sie zeigt auf irgendwas am Himmel, was ich für einen Stern halte und sagt, das ist die Venus. "Die Venus kann man nur sehen, wenn... usw." Das hat sie nicht in der Schule gelernt, das weiss sie, weil es sie interessiert. Und wenn Interesse vorhanden ist, dann ist Lernen einfach, weil es Spass macht, weil man ein kleines Schächtelchen im Gehirn öffnet, in das man das neue Wissen packen und verwahren möchte, wie einen Schatz. Und man merkt sich auch, wo man diesen Schatz verwahrt, weil man weiss, was er wert ist. Davon, Wissen als Wissensschatz zu vermitteln, der nicht irgendwo im Gehirn rumgeistert, sondern zu dem man sich beim Lernen auch eine eigene Schatzkarte bastelt, ist die Schulpädagogik immer noch weit entfernt.
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Kramer
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Anmeldungsdatum: 01.08.2003
Beiträge: 30878

Beitrag(#1383813) Verfasst am: 29.10.2009, 04:18    Titel: Antworten mit Zitat

Um mal ein Beispiel zu bringen, das hier wohl ziemlich viele Leute nachvollziehen können.

Jugendliche, die sich eigentlich für Religion gar nicht interessieren, sitzen im Konfirmantions/Kommunionsunterricht und hören "Wenn jemand zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben hasst, dann kann er nicht mein Jünger sein." Gähn. Jesus schwafelt irgendwas über Brüder und Schwestern und wer nicht sein Jünger sein kann.

Jemand im FGH liest von einem Christen "Jesus ist die Liebe" und er überlegt, wie man das widerlegen könnte. Kurz darauf postet jemand anderes das oben genannte Zitat. Sowas bleibt im Gedächtnis haften.

Jemand anderes, der sich als Christ versteht, aber der bei diesem Zitat im Konfirmations/Kommunionsunterricht geschlafen hat, wird Zeuge dieser Diskussion und sucht nun nach Argumenten, wie man diese Bibelstelle so interpretieren kann, dass sie der Aussage "Jesus ist die Liebe" nicht widerspricht.

Auch wenn alle Beteiligten zu anderen Schussfolgerungen kommen werden, keiner wird allzu schnell vergessen, dass es diese Bibelstelle gibt. Der Atheist wird sie unter "Nützliche Bibelstellen, die man gegen Gläubige einsetzen kann" abheften, der Gläubige unter "Bibelstellen, die jemand gegen den Glauben anwenden könnte und auf die man vorbereitet sein muss".
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Plath
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Anmeldungsdatum: 24.08.2009
Beiträge: 361

Beitrag(#1383840) Verfasst am: 29.10.2009, 10:15    Titel: Antworten mit Zitat

Wenn du in einem Schulvorstand sitzt, kannst du ja versuchen es dort einzuführen. Die Schulen sind heute eigenverantwortlich und es ist bei entsprechenden Leuten nicht ganz unmöglich.
An Gymnasien muss z.B. der Lehrstoff wegen G8 gestrafft werden - jede Schule kann, bzw. muss da ihre eigenen Lehrpläne erstellen! Da freuen sich die Lehrer Böse
Jedenfalls ist vorgesehen, dass z.B. in Bio nicht mehr 20 Säugetiere besprochen werden, sondern nur 1-3 (?) exemplarisch um die Methode kennenzulernen, wie man an die Sache herangeht.

Aber diese ganzen Umstellungen, auch zum Ganztag, Gesamtschule oder ähnliches, ist tierisch aufwändig - das nimmt Jahre in Anspruch bis was Vernünftiges rauskommt - wenn überhaupt.

Niederschmetternderweise habe ich letztens einen talk gesehen, in dem jemand meinte, dass das ganze Bildungsgerede nur Verarschung wäre, weil sich keine Partei traut zuzugeben, dass die Sozialausgaben schon von Hartz4, Kurzarbeitergeld, etc. vergeben sind - für die Bildung ist nichts mehr da!
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#1383841) Verfasst am: 29.10.2009, 10:19    Titel: Antworten mit Zitat

Ich kann Tyrus und Kramer da nur zustimmen und sehe das ganz genauso.

Neben einer Bildungsreform kann man natürlich auch im privaten Umfeld wirken (Kinder, deren Freunde, Internet, Vereine ...)
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L.E.N.
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Anmeldungsdatum: 25.05.2004
Beiträge: 27745
Wohnort: Hamburg

Beitrag(#1383845) Verfasst am: 29.10.2009, 10:31    Titel: Antworten mit Zitat

ich stimme auch zu.
gleichzeitig bin ich frustriert über die steine die diesem ideal von politikern, klerus und lobbyisten in den weg gelegt werden. ich bin kein verschwörungstheoretiker, aber mir kommt es fast wie eine vor.
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L.E.N.
im falschen Film



Anmeldungsdatum: 25.05.2004
Beiträge: 27745
Wohnort: Hamburg

Beitrag(#1383846) Verfasst am: 29.10.2009, 10:34    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Neben einer Bildungsreform kann man natürlich auch im privaten Umfeld wirken (Kinder, deren Freunde, Internet, Vereine ...)


natürlich, und das sollte man auch tun (siehe meine sig: "Wir selbst müssen die Veränderung sein, die wir in der Welt sehen wollen.")
doch ungeduldigen menschen gehen die fortschritte nicht schnell genug oder sie werden gar von den verschwörern sabotiert.

skeptisch bin ich jetzt doch ein VT-spinner?
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narr
workingglass
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Anmeldungsdatum: 02.01.2009
Beiträge: 3884

Beitrag(#1383861) Verfasst am: 29.10.2009, 11:19    Titel: Re: Aufklärung als Bildungsideal? Antworten mit Zitat

Tyrus hat folgendes geschrieben:

... "Bulemie-Pädagogik" ...

Smilie netter Ausdruck, den muss ich mir merken. Ja, sehe ich auch so. Die Gründe dafür sind sicher vielfältig und nicht einfach zu verändern. Geld für das Bildungssystem wäre schon mal was, aber ich bezweifle ob es damit getan ist.

Ein Umdenken muss ebenfalls stattfinden. Ein Studium ist nicht für jeden etwas. Für viele der Studenten die ich so 'vorbeikommen' sehe, wären es meiner Ansicht nach besser eine Lehre zu machen. Das meine ich nicht abwertend. Viele der Studenten studieren auch wie Beamte. Um neun anfangen und um fünf den Stift fallen lassen. Erwachsene müssen deutlich machen, dass 'ohne Fleiß - kein Preis' - immer noch gilt und auch, wenn Kinder und Jugendliche mal 'keinen Bock' haben, geübt werden muss.
Hört sich alles schrecklich altbacken an Weinen ist aber auch ein Teil des Problems.

Ich habe manchmal mit Schülern der oberen Klassen zu tun die in der Orientierungsphase sind und bei einer sehr hohen Anzahl ist die Motivation für ein Studium nicht das Interesse für das Fach, sondern die Verdienstmöglichkeiten und der Status. Gerade viele die Bio studieren, wollten eigentlich Medizin machen - mit den völlig falschen Vorstellungen - Chirurg werden und Porsche fahren.

Jeder muss sich vielleicht auch selbst fragen wie er verschiedene Berufe und die Intelligenzen einschätzt. Ist 'Kopfarbeit' besser als Handwerk? Ist jemand, der das philosophische Quartett nicht versteht wirklich 'dümmer' ... usw

Privat kann man nur wenig machen, mit Jugendlichen diskutieren und Fragen stellen vielleicht. Wer weiß was so eine Frage bewirkt Smilie -
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