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Skeptiker "I can't breathe!"
Anmeldungsdatum: 14.01.2005 Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville
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(#1444568) Verfasst am: 15.03.2010, 10:19 Titel: verkrustete Strukturen aufbrechen - modern oder reaktionär? |
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Zitat: | Wir wollen den gesellschaftlichen Wandel fördern - das hat sich die Bertelsmann Stiftung auf die Agenda geschrieben. Mit unseren Projekten greifen wir Themen auf, die verkrustete Strukturen aufbrechen und gesellschaftliche Prozesse in Bewegung bringen. Wir wollen mit unseren Themen Reformen anstoßen, die dazu beitragen, dass unsere Gesellschaft zukunftsfähig bleibt.
http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/bst/hs.xsl/271.htm
Man mag es für einen kuriosen Zufall halten, daß das Männermagazin Playboy in einer seiner letzten Ausgaben das Wort Uni-Elite im Titel trug und unter diesem Begriff ein Dutzend ausgewählter Eliteschönheiten von deutschen Fakultäten posieren ließ. Aber vielleicht offenbart sich an dieser Assoziation von Elite und Schönheit ein Dispositiv der Gegenwartskultur überhaupt? Die Assoziation des Wortes Elite mit schönen Körpern zeigt deutlich, daß der Begriff Elite offenbar ästhetisch aufgeladen, ja sexy ist. Gleiches läßt sich anhand vieler anderer Metaphern des neoliberalen Diskurses zeigen. Der „schlanke“ Staat und das „schlanke“ Unternehmen, die beide „Verkrustungen lösen“ und „starre Strukturen aufbrechen“ und sich aller „hemmenden“ und daher unästhetischen „Bürokratie“ entledigt haben, sind nicht allein das Ergebnis wirtschaftlichen Effizienzdenkens, sondern verkörpern nicht zuletzt auch ein ästhetisches Ideal.
http://akj.rewi.hu-berlin.de/zeitung/annex/annex1/page4.htm
Ende 1993 kündigte Bauer auf einer Konzerntagung in Rastatt an, er wolle die "Verkrustungen in den Ablauf- und Führungsstrukturen" aufbrechen. Den Managern hämmerte er ein, sie müßten "wegkommen von der Angestelltenmentalität". Viele Titel bräuchten "dringend neue Impulse", neue Geschäftsfelder müßten her.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9181987.html
Die aus Sowjetzeiten stammende Infrastruktur für primäre, sekundäre und höhere Bildung sowie für Forschung und Entwicklung ist institutionell weiterhin vorhanden. Abgesehen von der Tatsache, dass private Schulen und Universitäten diese Strukturen aufbrechen, hat ein absoluter Tiefpunkt in staatlichen und externen Investitionen viele höhere Bildungs- und Forschungseinrichtungen auf eine nominale Existenz reduziert.
http://bti2003.bertelsmann-transformation-index.de/153.0.html
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Die Ver-Bertelsmannisierung heute der BRDDR, morgen Europas und dann der ganzen Welt wird mit aufmerksam machender Regelmäßigkeit von jenem Begriff des Aufbrechens von Verkrustungen begleitet, bei welchem aggresive Konnotationen mitschwingen, ähnlich wie beim Knacken von Schalentieren oder panzerbrechenden Geräten.
Das Aufbrechen der Verkrustungen soll gleichzeitig beinhalten, dass danach - nach dem Knacken - endlich der Wandel beginnen kann. Es gibt eben keine rechte oder linke, sondern nur noch eine moderne Politik sagte Ex-Kanzler Schröder.
Die Zwangsanpassung privater und öffentlicher Institutionen und Strukturen an Anforderungen des *modernen*/"zukunftsträchtigen" Wandels verleiht dem sogenannten "Neoliberalismus" eine Aura des Fortschrittlichen, den sozialpolitischen und demokratischen Ansprüchen dagegen den Ruf des Verharrenden, Rückschrittlichen/Reaktionären. Da haben wir es mit einer "Umwertung der Werte" auch in diesem Bereich zu tun. Fortschrittlich ist heute, was dem Sachzwang huldigt. Als rückschrittlich gilt, was diesen Sachzwang zurückweist. Die "Neoliberalen" haben also die hehre Notwendigkeit (- Wat mutt, dat mutt! -) auf ihrer Seite. Sie würden ja auch gern anders, nicht Menschliches ist ihnen fremd. Aber sie müssen ja und sind diejenigen, die das kapieren. (Allerdings müssen sie das noch besser erklären, damit andere das auch kapieren.)
Nachdem Bertelsmann und all die anderen think tanks und ihre Lakaien in der Politik die überall vorkommenden Verkrustungen aufgebrochen haben, löst sich alles. Alles löst sich auf. Bertelsmann hat Lösungen.
Was daran komisch ist - die Konservativen bejubeln diesen "Wandel". Aber wie das? Sind Konservative nicht dumme Leute, die immer am Althergebrachten festhalten? Und nun stehen sie auf dem Zug der Zeit und huldigen dem Mekka des Fortschritts? Ja mei, sind's jetzt endgültig schizo geworden?
In diesem Widerspruch liegt aber bereits die Erklärung dessen, was den Inhalt des gesellschaftlichen "Wandels" ausmacht. In dem "Aufbrechen verkrusteter Strukturen" erblicken die Konservativen wie die "Neoliberalen" den Hebel, ihre altbackenen Ziele von anno dazumal als neu, ja sogar als nie da gewesen anzupreisen auf dem (von ihnen monopolisierten) "Markt der Ideen".
Es handelt sich um eine Dynamik, die nur an der Oberfläche abläuft. Es ist so, als wenn nur die oberen 10 cm eines Permafrostbodens auftauen, die darunter liegenden 20 m Frost aus den Urzeiten der menschlichen Kultur bleiben erstarrt. Doch aus dem Schlamm der aufgetauten Oberfläche töpfern uns die Konsis und Neolibs rhetorische Figuren vom "Ende der Eiszeit" und vom "Tauwetter".
Jenes Aufbrechen von Strukturen zielt also vor allem auf die Inhalte ab, die hinter den zu zerstörenden Strukturen stehen. Der Wandel bezieht sich nicht nur auf Formen, etwa auf bürokratische Formen von Organisationsprozessen, sondern auf den Inhalt und die Ziele der Prozesse selber.
Konkret kann man das mit Begriffen beschreiben wie Privatisierung, Einfügen der Bruchstücke des Zerschlagenen in die Verwertungslogik des Kapitals, Vernichtung all dessen, was sich nicht verwerten lässt.
Das ist aber kein Fortschritt, sondern nur die Fortschreibung des Alten in neuen Kleidern ...-!
bertelsmann-party mit liz mohn, dieter bohlen, klaus wowereit, jenny elvers + alice schwarzer
Zitat: | 13.09.07 ungewoehnliche konstellationen ergaben sich bei der diesjaehrigen bertelsmann-party in der vip-lounge rund um den produzenten dieter bohlen + freundin carina, die eine zigarette nach der anderen fuer die beiden schnorrte: da blieb erst emanze alice schwarzer fuer einen plausch stehen, spaeter wowi, thomas osterkorn + dominique horwitz. hausherrin liz mohn hatte es sich derweil einen stock hoeher mit fdp-politikerin wie hans-dietrich genscher + guido westerwelle mit freund michael mronz bequem gemacht. den trubel auf vier etagen genossen auch: gunter thielen, jenny elvers-elbertzhagen, meret becker, die schwangere elizabeth in bayern, matthias kuehn, regine sixt, ann-katrin bauknecht, helmut dietl, rita suessmuth, udo walz, patricia riekel, ulla schmidt, tobey wilson, ulrike frank, hermann buehlbecker, jazzy von tic, tac, toe + mirko lang.
http://www.am-ende-des-tages.de/g/070913-bertelsmann-party/0008.html
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Skeptiker
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K.I.Z - Frieden
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MountainKing registrierter User
Anmeldungsdatum: 31.05.2006 Beiträge: 1438
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(#1444604) Verfasst am: 15.03.2010, 11:32 Titel: |
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Ok, ich lese den Beitrag mal noch nicht und tippe auf: reaktionär!
......
/Jubel
_________________ Daß starke Blähungen auftreten, rührt davon her, dass der Astralleib noch nicht vollständig in die Darmorganisation eingegliedert ist. (Rudolf Steiner)
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Skeptiker "I can't breathe!"
Anmeldungsdatum: 14.01.2005 Beiträge: 16834
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Martha-Helene auf Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 24.02.2010 Beiträge: 1155
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(#1444611) Verfasst am: 15.03.2010, 11:56 Titel: |
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Ja, schön, wenn die Antwort so einfach wäre.
Ich meine, völlig falsch sind die obigen Statements nicht, aber man muss nach dem "Knacken der Verkrustungen" verdammt aufpassen, dass es dann nicht reaktionär und undemokratisch nach Gutsherrenart wird.
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Skeptiker "I can't breathe!"
Anmeldungsdatum: 14.01.2005 Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville
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(#1444616) Verfasst am: 15.03.2010, 12:10 Titel: autoritäres neues Jahrhundert |
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Martha-Helene hat folgendes geschrieben: | Ja, schön, wenn die Antwort so einfach wäre.
Ich meine, völlig falsch sind die obigen Statements nicht, aber man muss nach dem "Knacken der Verkrustungen" verdammt aufpassen, dass es dann nicht reaktionär und undemokratisch nach Gutsherrenart wird. |
Das ist in der Tat eine große Gefahr. Sehr gut erkannt!
Es ist nämlich keineswegs ausgemacht, dass antidemokratische und autoritäre Strukturen ebenfalls mit aufgebrochen werden sollen. Diese drohen sich im Gegenteil in Zukunft noch verstärkt zu etablieren, in allen Bereichen.
Es gibt sogar die Befürchtung eines autoritären neuen Jahrhunderts:
Skeptiker
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K.I.Z - Frieden
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44650
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(#1444713) Verfasst am: 15.03.2010, 15:29 Titel: Re: verkrustete Strukturen aufbrechen - modern oder reaktionär? |
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Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Es gibt eben keine [...] linke [...] Politik, sagte Ex-Kanzler Schröder. |
Okay, dann machen wir eben eine.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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Skeptiker "I can't breathe!"
Anmeldungsdatum: 14.01.2005 Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44650
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(#1444755) Verfasst am: 15.03.2010, 16:52 Titel: |
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Ganz sicher nicht.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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pera auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 01.07.2009 Beiträge: 4256
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(#1444811) Verfasst am: 15.03.2010, 19:10 Titel: |
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@Skeptiker: Ich glaube nicht, dass sich die Leute, die diesen (kann ihn nicht mehr hören) Spruch von den verkrusteten Strukturen bringen, soviel Gedanken darüber gemacht haben wie du.
Abseits davon. Solche stereotypen Redewendungen sind sowas von abgedroschen, dass meine Aufmerksamkeit sofort erheblich gedämpft wird.
Die schlimmsten: Verkrustete Strukturen aufbrechen
Geld in die Kassen spülen
...Hausaufgaben machen...,
letzteres finde ich absolut zum kotzen.
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44650
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(#1444820) Verfasst am: 15.03.2010, 19:29 Titel: |
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pera hat folgendes geschrieben: | Ich glaube nicht, dass sich die Leute, die diesen Spruch von den verkrusteten Strukturen bringen, soviel Gedanken darüber gemacht haben wie du. |
Ideologische Sprache ist auch dann wirksam, wenn sich die Leute keine Gedanken über sie machen, sondern sie einfach nur reproduzieren.
Das ständige Gerede über das "Aufbrechen" von irgendwas mit Gewaltanwendung in Verbindung zu bringen ist übrigens ein interessanter Gedanke.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1444828) Verfasst am: 15.03.2010, 20:11 Titel: |
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Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Das ständige Gerede über das "Aufbrechen" von irgendwas mit Gewaltanwendung in Verbindung zu bringen ist übrigens ein interessanter Gedanke. |
Naja, der aber mE nicht besonders nahe liegt.
Ein Ausdruck wie "verkrustete Strukturen aufbrechen" soll einfach nur suggerieren, dass die eigene Meinung die Richtige ist. Ist so ähnlich, als wenn man etwas, was man selber gut findet, als "fortschrittlich" oder "modern" bezeichnet oder etwas Abgelehntes als "nicht mehr zeitgemäß" oder "reaktionär". All das sind nur Füllwörter, besagen an sich nichts aus. Dienen letztlich nur der Unterstreichung der eigenen Meinung, der eigenen Wertmaßstäbe, indem eine vorgebliche Objektivität vorgetäuscht werden soll. So spart man sich Argumente und Begründungen, verschleiert die dahinter liegenden Motive.
Die Frage jedoch, ob eine solche Redeweise "modern" oder "reaktionär" ist, ist nun etwas merkwürdig, denn sie basiert auf denselben unterschwelligen Appellen, die wohl kritisiert werden sollen.
"Fortschrittlich" ist wohl immer ganz zufälligerweise genau das, was man selber vertritt und "rückschrittlich" das, was man nicht vertritt.
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44650
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(#1444831) Verfasst am: 15.03.2010, 20:14 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Das ständige Gerede über das "Aufbrechen" von irgendwas mit Gewaltanwendung in Verbindung zu bringen ist übrigens ein interessanter Gedanke. |
Naja, der aber mE nicht besonders nahe liegt. |
Das sehe ich völlig anders. Hast du schon mal irgendwas aufgebrochen, ohne dabei Gewalt aufzuwenden?
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Ein Ausdruck wie "verkrustete Strukturen aufbrechen" soll einfach nur suggerieren, dass die eigene Meinung die Richtige ist. |
Nein, es geht hier ja nicht nur um Meinungen. Was da aufgebrochen werden soll, sind ja nicht nur Denkweisen, sondern gesellschaftliche Strukturen.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1444836) Verfasst am: 15.03.2010, 20:31 Titel: |
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Tarvoc hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Das ständige Gerede über das "Aufbrechen" von irgendwas mit Gewaltanwendung in Verbindung zu bringen ist übrigens ein interessanter Gedanke. |
Naja, der aber mE nicht besonders nahe liegt. |
Das sehe ich völlig anders. Hast du schon mal irgendwas aufgebrochen, ohne dabei Gewalt aufzuwenden? |
Wenn Du es ganz abstrakt willst und Dich an einem Wort ohne Zusammenhang festbeißen willst: in einem solchen abstrakten Zusammenhang gesehen, bestreite ich, dass 'Gewalt' etwas Negatives sein muss. Was Du aber hier anscheinend annimmst.
Wenn meine Wohnungstür klemmt, dann öffne ich sie unter Gewaltanwendung. Ist aber nichts Schlimmes dabei.
Tarvoc hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Ein Ausdruck wie "verkrustete Strukturen aufbrechen" soll einfach nur suggerieren, dass die eigene Meinung die Richtige ist. |
Nein, es geht hier ja nicht nur um Meinungen. Was da aufgebrochen werden soll, sind ja nicht nur Denkweisen, sondern gesellschaftliche Strukturen. |
'Verkrustete Strukturen aufbrechen' ist mE positiv belegt, ('verkrustet' ist negativ, weg mit der Verkrustung positiv). So, wie 'Fortschritt' positiv belegt ist und 'Rückschritt' negativ. Nur: Argumente sind solche Labels noch nicht, es sind lediglich Appelle.
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Nikolaus als Doppelnick gesperrt
Anmeldungsdatum: 04.12.2009 Beiträge: 769
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(#1444844) Verfasst am: 15.03.2010, 20:40 Titel: Re: verkrustete Strukturen aufbrechen - modern oder reaktionär? |
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Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Wir wollen den gesellschaftlichen Wandel fördern - das hat sich die Bertelsmann Stiftung auf die Agenda geschrieben. Mit unseren Projekten greifen wir Themen auf, die verkrustete Strukturen aufbrechen und gesellschaftliche Prozesse in Bewegung bringen. Wir wollen mit unseren Themen Reformen anstoßen, die dazu beitragen, dass unsere Gesellschaft zukunftsfähig bleibt.
http://www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xchg/bst/hs.xsl/271.htm
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Zitat: | Die Herausforderungen des demogaphischen Wandels, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Anforderungen der Integration und Möglichkeien der Teilhabe an der Zivilgesellschaft sind dabei Schwerpunkte unsere Arbeit. |
"Unsere demagogischen Möglichkeiten."
Da hat der Fehlerteufel gleich dreimal in einem Satz zugeschlagen. Das ist ungewöhnlich. Oder ist gar die Rechtschreibung die verkrustete Struktur, die aufgebrochen gehört?
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44650
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(#1444878) Verfasst am: 15.03.2010, 22:12 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Wenn Du es ganz abstrakt willst und Dich an einem Wort ohne Zusammenhang festbeißen willst: in einem solchen abstrakten Zusammenhang gesehen, bestreite ich, dass 'Gewalt' etwas Negatives sein muss. |
Das würde ich auch bestreiten. Das hindert uns aber nicht daran, sozusagen die Unterseite des Textes freizulegen.
Bzw. die Frage, ob Gewalt in dem Falle etwas Negatives ist, ist eine Frage, die sich erst im Anschluss daran stellt.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | 'Verkrustete Strukturen aufbrechen' ist mE positiv belegt |
Ja, sicher. Aber das ändert ja nichts an den Konnotationen von "aufbrechen".
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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Critic oberflächlich
Anmeldungsdatum: 22.07.2003 Beiträge: 16339
Wohnort: Arena of Air
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(#1444919) Verfasst am: 15.03.2010, 23:27 Titel: |
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Wenn das von der Bertelsmann-Stiftung kommt, dann habe ich die Tendenz, daß das eher konservativ gemeint ist. Auch ein Sozialstaat der ja eine "Struktur", die man "aufbrechen" kann. Man muß das eben nur mit Worten sagen, die im allgemeinen positiv konnotiert sind. So etwa "Eigeninitiative fördern", "Anreize (zur Arbeitsaufnahme) schaffen".
_________________ "Die Pentagon-Gang wird in der Liste der Terrorgruppen geführt"
Dann bin ich halt bekloppt.
"Wahrheit läßt sich nicht zeigen, nur erfinden." (Max Frisch)
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44650
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(#1444948) Verfasst am: 16.03.2010, 00:37 Titel: |
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Critic hat folgendes geschrieben: | Wenn das von der Bertelsmann-Stiftung kommt, dann habe ich die Tendenz, daß das eher konservativ gemeint ist. |
Dass Konservative wahnsinnig wild auf das Aufbrechen von Strukturen sind, wäre mir neu. - Irgendwas scheint sich momentan an unseren herkömmlichen politischen Begrifflichkeiten zu verschieben, ohne dass wir es merken. (Wie kann man die Richtung einer Strömung sichtbar machen, in der man selbst sich befindet?)
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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Critic oberflächlich
Anmeldungsdatum: 22.07.2003 Beiträge: 16339
Wohnort: Arena of Air
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(#1444956) Verfasst am: 16.03.2010, 00:59 Titel: |
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Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Critic hat folgendes geschrieben: | Wenn das von der Bertelsmann-Stiftung kommt, dann habe ich die Tendenz, daß das eher konservativ gemeint ist. |
Dass Konservative wahnsinnig wild auf das Aufbrechen von Strukturen sind, wäre mir neu. - Irgendwas scheint sich momentan an unseren herkömmlichen politischen Begrifflichkeiten zu verschieben, ohne dass wir es merken. (Wie kann man die Richtung einer Strömung sichtbar machen, in der man selbst sich befindet?) |
Wenn man "Konservative" als CDU/FDP versteht, dann können "Konservative" auch ganz schön rückwärtsgewandt sein. Sie können sich durchaus dynamisch darstellen und dabei uralte wirtschaftspolitische Rezepte vertreten. "Freies Spiel der Kräfte", "Primat des Marktes" o.ä., ist ja doch neoliberale Theorie, und da wird halt der Sozialstaat als hinderlich angesehen...
_________________ "Die Pentagon-Gang wird in der Liste der Terrorgruppen geführt"
Dann bin ich halt bekloppt.
"Wahrheit läßt sich nicht zeigen, nur erfinden." (Max Frisch)
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44650
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(#1444967) Verfasst am: 16.03.2010, 01:22 Titel: |
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Ja. Die Frage ist: Welche Gegebenheiten erlauben es, dass sich das als "fortschrittlich" präsentieren kann?
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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kamelpeitsche Weapon of Mass Discussion
Anmeldungsdatum: 15.11.2003 Beiträge: 4555
Wohnort: Devil's Dancefloor
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(#1444999) Verfasst am: 16.03.2010, 02:13 Titel: |
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Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Ja. Die Frage ist: Welche Gegebenheiten erlauben es, dass sich das als "fortschrittlich" präsentieren kann? |
Vorhandener Sozialstaat. Nichtvorhandener Kapitalismus (tm). Ein wirklich rein kapitalistisches System könnte ja keine fünf Minuten in der Realität existieren, insofern ist eine Politik, die dafür sorgen will, den ja eigentlich noch nie dagewesenen Kapitalismus (tm) zu etablieren, schon ziemlich alternativ bzw. fortschrittlich.
Das Wort ist ziemlich Gummi, mir fielen so einige Dinge ein, die im Wortsinne sehr fortschrittlich, weil noch nie da gewesen, wären...
_________________ "Was immer jeder Einzelne mitbringen will an Prägung oder Anderssein - einem kollektiven Imperativ enzieht es sich mit Sicherheit"
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Louseign (-)
Anmeldungsdatum: 02.06.2006 Beiträge: 5585
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(#1445020) Verfasst am: 16.03.2010, 08:45 Titel: |
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pera hat folgendes geschrieben: | Ich glaube nicht, dass sich die Leute, die diesen (kann ihn nicht mehr hören) Spruch von den verkrusteten Strukturen bringen, soviel Gedanken darüber gemacht haben wie du. |
Es gibt Buchautoren, die behaupten, dass sich solche Leute sehr viele Gedanken um solche Sprüche machen – nämlich, um ihre eigentlichen Ziele nicht nur zu erreichen, sondern auch vor dem »Wähler« zu verschleiern. Die Kunst besteht darin, hinter solche positiven Konnotationen zu schauen und sich nicht einwickeln zu lassen.
Nachtrag: Der Buchtitel und die Inhaltsangabe sind hier leider auch ein wenig irreführend. Als ich beides zum ersten Mal las, dachte ich: »Ach du liebes Bisschen, wie banal.« Dass ich mir das Buch trotzdem gekauft habe, bereue ich nicht.
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Skeptiker "I can't breathe!"
Anmeldungsdatum: 14.01.2005 Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville
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(#1445032) Verfasst am: 16.03.2010, 09:37 Titel: welche Strukturen und warum? |
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Critic hat folgendes geschrieben: | Wenn das von der Bertelsmann-Stiftung kommt, dann habe ich die Tendenz, daß das eher konservativ gemeint ist. Auch ein Sozialstaat der ja eine "Struktur", die man "aufbrechen" kann. Man muß das eben nur mit Worten sagen, die im allgemeinen positiv konnotiert sind. So etwa "Eigeninitiative fördern", "Anreize (zur Arbeitsaufnahme) schaffen". |
Es kommt nicht nur von Bertelsmann, dem berüchtigten deutschen think tank und Politikberatungsunternehmen, welches für viele "Reformen" in Deutschland an führender Position verantwortlich zeichnet. Sondern es kommt auch von Roland Berger und McKinsey, sowie vom BDI, der FDP und anderen einschlägigen Parteien.
"Strukturen aufbrechen" kann meiner Ansicht nach nur aggressiv verstanden werden, wobei Aggression ja auch manchmal nötig sein kann. Aber wovon hängt das denn ab? Das hängt nicht von einer angeblichen "Verkrustung" ab (= dem Vorhandensein einer Struktur), sondern vom Inhalt einer Struktur, die da beseitigt werden soll.
Nehmen wir mal das Beispiel Arbeitszeitflexibilisierung. Als in Frankreich die 35-Stunden-Woche per Gesetz festgeschrieben war und man sich nun erhoffte, dass die Massenarbeitslosigkeit abgebaut würde, haben die dortigen Unternehmer es durch eine enorme Flexibilisierung der Arbeitszeiten geschafft, Neueinstellungen zu vermeiden. Hier in Deutschland haben wir es mit noch ganz anderen Verkrustungsaufbrechungen zu tun: Da sind Lohnstrukturen "verkrustet", da sind Sozialstrukturen "verkrustet", Lehrpläne sind "verkrustet", SPD-Parteiprogramme sind "verkrustet". Nur das, was dann an die Stelle des angeblich "verkrusteten" tritt, das ist nicht verkrustet und soll nicht nur für die Zukunft, sondern offenbar auch für die Ewigkeit da sein.
So dass also klar ist, dass es nicht die sogenannte Verkrustung sein kann, die da stört, sondern das, was unter der Kruste ist. Man könnte ja auch statt "Kruste" ein anderes Wort benutzen, etwa "stabiles Fundament" oder "sichere Struktur". Da müsste man schon genauer belegen, warum man so etwas stabiles oder sicheres verlassen sollte. Schließlich hieß es damals bei Adenauer noch "Keine Experimente!"
Und jetzt soll ein "Umbau" und "Strukturwandel" nach dem anderen stattfinden? Ist der Kapitalismus plötzlich experimentierfreudig geworden? Oder sind nur die Voraussetzungen andere geworden als damals, so dass einfach nur andere Mittel für die selben Ziele angewendet werden?
So wird ja heute wieder fleißig Krieg geführt und die verkrustete Friedensstruktur aufgebrochen. Die Arbeitsgesetze sind auch verkrustet und werden in die totale Flexibilisierung überführt. Die ebenfalls verkrusteten "Sozial"systeme werden von einer Flotte von Eisbrechern aufgebrochen. Und die nur auf den ersten Blick geschützten Bürgerdaten sind in Wirklichkeit auch nur verkrustet, was folglich auch ihr Schicksal besiegeln muss.
Wie gesagt, das wird alles von eine rausgefeilten Rhetorik begleitet. Die Panzerknacker haben gelernt, ein Sprechen zu imitieren, obwohl sie lediglich Begriffe streuen:
"Wollt ihr den totalen Aufbruch?"
Strukturen aufbrechen kann sehr produktiv sein. Jedem Produktionsprozess geht ja zunächst eine Zerstörung voraus: Der Erdboden wird aufgebrochen, Rohstoffe werden gewonnen, Material wird gefräst, gesägt, verformt etc. - und alles wird neu zusammengesetzt. Der Analyse, dem Auseinandernehmen der Ausgangsstoffe folgt eine Synthese, das Neu-Zusammensetzen.
Die Frage bei den heute ablaufenden Zerstörungsprozessen ist also: Welche produktiven und rationalen Ziele werden damit verfolgt? Und wenn die wohlklingenden Worte (- deren Inhalt man erstmal klären müsste! -) ehrlich gemeint sein würden - könnten mit den angerichteten Zerstörungen überhaupt jene verkündeten Ziele erreicht werden oder nicht?
Skeptiker
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K.I.Z - Frieden
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44650
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(#1445035) Verfasst am: 16.03.2010, 09:55 Titel: |
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kamelpeitsche hat folgendes geschrieben: | Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Ja. Die Frage ist: Welche Gegebenheiten erlauben es, dass sich das als "fortschrittlich" präsentieren kann? |
Vorhandener Sozialstaat. Nichtvorhandener Kapitalismus (tm). |
Nein, das ist ja selbst wieder Teil der Präsentation. Ich meine: Welche Gegebenheiten unserer gegenwärtigen Gesellschaft erlauben es, dass sich das gerade jetzt als "fortschrittlich" präsentieren kann?
Louseign hat folgendes geschrieben: | Nachtrag: Der Buchtitel und die Inhaltsangabe sind hier leider auch ein wenig irreführend. |
Ja, das Buch müsste eigentlich heißen: Strategien zur Verblödung der Republik. Ich glaube, einer der wichtigen Punkte, die man aus dem Buch ziehen kann, ist, dass wir eben nicht total verblödet sind, dass wir zwar ständig mit dem ganzen Mist beschallt werden, aber es doch eine gewisse (mindestens unbewusste) geistige "Widerständigkeit" dagegen gibt, die sich nicht so leicht brechen lässt. Allerdings hab' ich das Buch noch nicht ganz gelesen, sondern erst ca. zu einem Drittel.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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Nikolaus als Doppelnick gesperrt
Anmeldungsdatum: 04.12.2009 Beiträge: 769
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(#1445100) Verfasst am: 16.03.2010, 12:38 Titel: Re: verkrustete Strukturen aufbrechen - modern oder reaktionär? |
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Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Es handelt sich um eine Dynamik, die nur an der Oberfläche abläuft. Es ist so, als wenn nur die oberen 10 cm eines Permafrostbodens auftauen, die darunter liegenden 20 m Frost aus den Urzeiten der menschlichen Kultur bleiben erstarrt. Doch aus dem Schlamm der aufgetauten Oberfläche töpfern uns die Konsis und Neolibs rhetorische Figuren vom "Ende der Eiszeit" und vom "Tauwetter". |
Dieses Bild scheint mir etwas auf dem Kopf zu stehen. Die geistige Urheberschaft dieses Elends liegt ein paar Kilometer unter der Erde. Von dort drängt es an die Oberfläche, wo es in Kontakt mit der menschlichen Realität zu unterschiedlichsten Strukturen erstarrt. Die glühendsten Verehrer nun erblicken in den Strukturen "Unbeweglichkeitsfallen", die der reinen Leere Fesseln anlegen. Also bilden sie Zentren, in denen der Geist ununterbrochen gefördert und über die Strukturen ausgeschüttet wird, in der Hoffnung, eine Umgebung zu schaffen, die seinem Ursprung gleicht.
Ja. Es gibt eine tiefgehende Verkrustung in der Gesellschaft, die aufgebrochen und beseitigt gehört. Aber um das zu leisten gilt es sich etwas anderem zu bedienen als der Materie, die diese Verkrustung bildet. Die Hölle auf Erden zu errichten, um eine immerwährende Beweglichkeit und Schmiegsamkeit zu erreichen, das kann ja nur die Idee ganz verirrter Geister sein.
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kamelpeitsche Weapon of Mass Discussion
Anmeldungsdatum: 15.11.2003 Beiträge: 4555
Wohnort: Devil's Dancefloor
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(#1445350) Verfasst am: 16.03.2010, 22:38 Titel: |
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Tarvoc hat folgendes geschrieben: | kamelpeitsche hat folgendes geschrieben: | Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Ja. Die Frage ist: Welche Gegebenheiten erlauben es, dass sich das als "fortschrittlich" präsentieren kann? |
Vorhandener Sozialstaat. Nichtvorhandener Kapitalismus (tm). |
Nein, das ist ja selbst wieder Teil der Präsentation. Ich meine: Welche Gegebenheiten unserer gegenwärtigen Gesellschaft erlauben es, dass sich das gerade jetzt als "fortschrittlich" präsentieren kann? |
Huch, das ist ja komplizierter als ich dachte.
_________________ "Was immer jeder Einzelne mitbringen will an Prägung oder Anderssein - einem kollektiven Imperativ enzieht es sich mit Sicherheit"
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