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Waschmaschine777 auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 07.07.2008 Beiträge: 4007
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(#1485802) Verfasst am: 15.06.2010, 06:27 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | Im SdW 10/06 zwei Aufsätze
- Edgar Dahl zu einer Moral ohne Willensfreiheit und Vergeltung
- Michael Pauens Entgegnung darauf
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Was mich erstaunt ist der sprachliche Konservativismus der Kompatibilisten.
Es wird von ihnen versucht die alte Begrifflichkeit auf Teufel komm raus, beizubehalten, obwohl es ein leichtes wäre neue Begriffe für die kompatibilistische Schuld, die erheblich von dem abweicht was der Liberitarier unter Schuld versteht, und die erheblich davon abweicht was der Großteil der Bevölkerung unter Schuld versteht, zu erfinden. Stattdessen nimmt man einen begrifflichen overstretch in Kauf. Sätze mit "Schuld" und "Freiheit" sind gar nicht verständlich, solange der diese Worte Verwendende nicht definiert was er darunter versteht bzw. sich als Vertreter einer kompatibilistischen bzw. libertaristischen Position zu erkennen gibt. So stiftet man bei den einen heillose Verwirrung, während den anderen suggeriert wird -da sich die Begrifflichkeit nicht geändert hat- dass das intuitiv verstandene Schuldkonzept in Philosophiekreisen weiterhin von vielen Philosophen vertreten wird.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1485858) Verfasst am: 15.06.2010, 11:16 Titel: |
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Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Im SdW 10/06 zwei Aufsätze
- Edgar Dahl zu einer Moral ohne Willensfreiheit und Vergeltung
- Michael Pauens Entgegnung darauf |
Was mich erstaunt ist der sprachliche Konservativismus der Kompatibilisten.
Es wird von ihnen versucht die alte Begrifflichkeit auf Teufel komm raus, beizubehalten, obwohl es ein leichtes wäre neue Begriffe für die kompatibilistische Schuld, die erheblich von dem abweicht was der Liberitarier unter Schuld versteht, und die erheblich davon abweicht was der Großteil der Bevölkerung unter Schuld versteht, zu erfinden. Stattdessen nimmt man einen begrifflichen overstretch in Kauf. Sätze mit "Schuld" und "Freiheit" sind gar nicht verständlich, solange der diese Worte Verwendende nicht definiert was er darunter versteht bzw. sich als Vertreter einer kompatibilistischen bzw. libertaristischen Position zu erkennen gibt. So stiftet man bei den einen heillose Verwirrung, während den anderen suggeriert wird -da sich die Begrifflichkeit nicht geändert hat- dass das intuitiv verstandene Schuldkonzept in Philosophiekreisen weiterhin von vielen Philosophen vertreten wird. |
Yep.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1485897) Verfasst am: 15.06.2010, 13:32 Titel: |
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Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben: | Was mich erstaunt ist der sprachliche Konservativismus der Kompatibilisten.
Es wird von ihnen versucht die alte Begrifflichkeit auf Teufel komm raus, beizubehalten, obwohl es ein leichtes wäre neue Begriffe für die kompatibilistische Schuld, die erheblich von dem abweicht was der Liberitarier unter Schuld versteht, und die erheblich davon abweicht was der Großteil der Bevölkerung unter Schuld versteht, zu erfinden. Stattdessen nimmt man einen begrifflichen overstretch in Kauf. Sätze mit "Schuld" und "Freiheit" sind gar nicht verständlich, solange der diese Worte Verwendende nicht definiert was er darunter versteht bzw. sich als Vertreter einer kompatibilistischen bzw. libertaristischen Position zu erkennen gibt. So stiftet man bei den einen heillose Verwirrung, während den anderen suggeriert wird -da sich die Begrifflichkeit nicht geändert hat- dass das intuitiv verstandene Schuldkonzept in Philosophiekreisen weiterhin von vielen Philosophen vertreten wird. |
Nun, man könnte das in der Tat so interpretieren, dass das Ganze ein Streit um Begriffe, um ihre (jetzige) Bedeutung ist.
Streitpunkt ist dabei natürlich, was damit gemeint ist, wenn man 'Schuld' oder 'Freiheit' sagt, was also der Großteil der Bevölkerung darunter versteht.
Beide Seiten reklamieren die Deutungshoheit für sich, mit mehr oder weniger guten Argumenten. Ein weniger gutes Argument ist es dabei, einfach zu behaupten, es sei so, wie man sage, man habe einfach so recht, denn das ist gar kein Argument.
Ich verstehe unter 'sprachlichem Konservatismus' nun anscheinend etwas anderes als Du. Die Bedeutung von Wörtern kann sich im Laufe der Zeit ändern, die ist nicht statisch. Sprachlich konservativ würde ich daher eher eine Auffassung nennen, die darauf beharrte, es gäbe eine 'eigentliche' Bedeutung und daher könne es theoretisch sein, dass ein Wort allgemein falsch gebraucht werde. Aber die Bedeutung ergibt sich nun mal aus seinem jetzigen Gebrauch. Und der kann von einem früheren Gebrauch ein wenig oder auch viel abweichen.
Ein Kompatibilist sieht natürlich nicht ein, wieso er darauf verzichten sollte, die Worte 'Freiheit' und 'Schuld' zu verwenden, denn er sieht ja seine Analyse, seine Beschreibung der Bedeutung dieser Worte als richtig, die allgemeinen heutigen Intuitionen einfangend, an. Und den Freiheits- und Schuldbegriff der Inkompatibilisten sieht er folglich als wenig adäquat an.
Nun, das eben ist ja der Streit. Und der kann sicher nicht irgendwie gelöst werden, indem eine Seite einfach so behauptet, sie hätte aber recht, mit den Nicht-Argumenten: "ihr seid konservativ, ihr macht einen begrifflichen Overstretch, ihr erfindet bloß etwas, ihr stiftet heillose Verwirrung, weil wir nämlich die echte, wahre Bedeutung der Begriffe 'Schuld' und 'Freiheit' vertreten und ihr nicht".
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Waschmaschine777 auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 07.07.2008 Beiträge: 4007
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(#1485930) Verfasst am: 15.06.2010, 15:19 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Aber die Bedeutung ergibt sich nun mal aus seinem jetzigen Gebrauch. Und der kann von einem früheren Gebrauch ein wenig oder auch viel abweichen.
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Die Kompatibilisten stellen nicht die Mehrheit der Bevölkerung. Nur Elfenbeinturmbewohner glauben, dass ein großer Teil der Bevölkerung die Debatte um den freien Willen so genau verfolgt, dass sie wissen, dass der Kompatibilist die Worte "Schuld" und "Freiheit" in anderer Bedeutung gebraucht als diese intuitiv verstanden werden.
Für Otto-Normal-Wort-Gebraucher ist der Begriff "Freiheit" untrennbar mit der Vorstellung des in identischen Situationen anders Handeln Könnens , und mit "Schuld" der Vorwurf eben nicht anders gehandelt zu haben, verbunden.
"Schuld" gehört zu den Folterinstrumenten der Sprache. Über sehr lange Zeit in eindeutiger, schlechtes Gewissen machender Weise verwendet. Wer solche Worte gebraucht, braucht sich nicht zu beschweren, wenn er mißverstanden wird. Denn das ist unvermeidbar.
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Waschmaschine777 auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 07.07.2008 Beiträge: 4007
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(#1485938) Verfasst am: 15.06.2010, 15:36 Titel: |
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Michael Pauen schreibt in dem Artikel: Personen, die ihr Handeln nicht in der skizzierten Weise kontrollieren können, können wir daher auch nicht verantwortlich machen. Genau dies tun wir ja mit kleinen Kindern, mit Abhängigen und mit Personen, die an schweren psychischen Störungen leiden.
Kinder und psychisch Kranke aus dem Verantwortungszuschreibungsbereich herauszunehmen erscheint plausibel. Aber Abhängige könnte nicht nur ein Anhänger eines absolut freien Willens, sondern auch ein Kompatibilist für Verantwortlich halten. Man muss nur die Schuld verlagern auf das Abhängig werden. Wer z.B. so viel Alkohol trinkt, dass er irgendwann nicht mehr in der Lage ist seinen Alkoholkonsum zu kontrollieren und unter Alkoholeinfluß ein kontrolliertes Verhalten zu zeigen, könnte für seine Taten voll verantwortlich gehalten werden, da die Schuld begangen worden wäre als er noch voll zurechnungsfähig war, d.h. vor seiner Alkoholabhängigkeit. Seine Schuld bestünde im Süchtigwerden und er wäre deshalb voll verantwortlich für die Taten die er im süchtigen Zustand produziert.
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1485944) Verfasst am: 15.06.2010, 15:46 Titel: |
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Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Aber die Bedeutung ergibt sich nun mal aus seinem jetzigen Gebrauch. Und der kann von einem früheren Gebrauch ein wenig oder auch viel abweichen. |
Die Kompatibilisten stellen nicht die Mehrheit der Bevölkerung. Nur Elfenbeinturmbewohner glauben, dass ein großer Teil der Bevölkerung die Debatte um den freien Willen so genau verfolgt, dass sie wissen, dass der Kompatibilist die Worte "Schuld" und "Freiheit" in anderer Bedeutung gebraucht als diese intuitiv verstanden werden.
Für Otto-Normal-Wort-Gebraucher ist der Begriff "Freiheit" untrennbar mit der Vorstellung des in identischen Situationen anders Handeln Könnens , und mit "Schuld" der Vorwurf eben nicht anders gehandelt zu haben, verbunden. |
Weiß nicht, ob jemand behauptet, dass ein großer Teil der Bevölkerung die Debatte um den freien Willen verfolgt. Ich glaube das jedenfalls nicht.
Jedoch ist der Streitpunkt immer noch, wie die Begriffe 'Schuld' und 'Freiheit' denn intuitiv verstanden werden, also was sie bedeuten, was man damit meint.
Sieh' doch einfach mal bei Wikipedia unter 'Freiheit' und unter 'Schuld' nach. Dann hast Du zumindest einen ersten Ansatzpunkt.
Wenn Du behauptest, zu wissen, was Otto Nomalbürger so denkt, dann musst Du das belegen. Eine einfache Behauptung Deinerseits reicht da nicht.
Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben: | "Schuld" gehört zu den Folterinstrumenten der Sprache. Über sehr lange Zeit in eindeutiger, schlechtes Gewissen machender Weise verwendet. Wer solche Worte gebraucht, braucht sich nicht zu beschweren, wenn er mißverstanden wird. Denn das ist unvermeidbar. |
Vielleicht mal ein Beispiel für eine heutige Verwendung des Wortes 'Schuld' als Folterinstrument?
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Waschmaschine777 auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 07.07.2008 Beiträge: 4007
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(#1485949) Verfasst am: 15.06.2010, 15:58 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Vielleicht mal ein Beispiel für eine heutige Verwendung des Wortes 'Schuld' als Folterinstrument? |
Der Satz "Du bist schuld." ausgesprochen in tausenden Wohnzimmern von Eltern gegen ihre Kinder, von Kindern gegen ihre Eltern, von Männern gegen ihre Frauen, von Frauen gegen ihre Männer. Im Tonfall keinen Zweifel über den enthaltenen Vorwurf aufkommen lassend. Ebensowenig die Verletzungsabsicht verschleiernd.
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1485957) Verfasst am: 15.06.2010, 16:22 Titel: |
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Nun bin ich nicht Gast in tausenden Wohnzimmern. Aber zumindest kann ich sagen: der Satz 'Du bist schuld' ergibt meiner Auffassung nach keinen Sinn. Es muss immer heißen: 'Du bist schuld an XY'.
Nehmen wir mal ein konkretes Beispiel: eine Ehefrau sagt zu ihrem Mann: 'Du bist schuld, dass meine Nase und mein Schlüsselbein gebrochen sind, weil Du so hart zugeschlagen hast'.
Nun ist es sicher richtig, dass dabei ein Vorwurf mitschwingt. Vielleicht ist sie auch wütend und zornig. Vielleicht möchte sie ihn auch damit verletzen, allerdings weiß ich nicht so recht, ob er sich dadurch wirklich verletzt fühlen wird.
Und nun? Ist er nicht schuld an den Verletzungen der Frau? Soll sie keinen Vorwurf erheben? Darf sie nicht wütend und zornig sein?
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Waschmaschine777 auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 07.07.2008 Beiträge: 4007
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(#1485965) Verfasst am: 15.06.2010, 16:36 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Nun bin ich nicht Gast in tausenden Wohnzimmern. Aber zumindest kann ich sagen: der Satz 'Du bist schuld' ergibt meiner Auffassung nach keinen Sinn. Es muss immer heißen: 'Du bist schuld an XY'.
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Solche Vorwürfe werden ja nicht einmal getätigt, sondern des öfteren. Das XY wird die ersten paar Male ausgesprochen, danach kann auf Verbalisierung verzichtet werdern, da es unausgesprochen im Raum steht, und jeder der Beteiligten weiß um was es geht.
Greifen wir mal ein Beispiel auf: Eine Mutter ist frustriert, macht ihr Kind dafür verantwortlich, dass sie keine Karriere machen konnte. Aus einer derartigen Situation ergibt sich leicht eine perpetuierte Vorwurfssituation. Das Kind kann sich schuldig fühlen, weil es geboren wurde. Und nun?
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1485971) Verfasst am: 15.06.2010, 16:46 Titel: |
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Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben: | Greifen wir mal ein Beispiel auf: Eine Mutter ist frustriert, macht ihr Kind dafür verantwortlich, dass sie keine Karriere machen konnte. Aus einer derartigen Situation ergibt sich leicht eine perpetuierte Vorwurfssituation. Das Kind kann sich schuldig fühlen, weil es geboren wurde. Und nun? |
Diese Mutter handelt meiner Ansicht nach falsch, denn das Kind ist, nach meinen Begriffen von 'Verantwortung' und 'Schuld', nicht schuld daran, dass die Mutter keine Karriere machte. Man kann ihr deswegen einen Vorwurf machen. Sie ist schuld, wenn es ihrem Kind schlecht geht. Sie sollte das künftig unterlassen.
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Waschmaschine777 auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 07.07.2008 Beiträge: 4007
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(#1485976) Verfasst am: 15.06.2010, 16:56 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben: | Greifen wir mal ein Beispiel auf: Eine Mutter ist frustriert, macht ihr Kind dafür verantwortlich, dass sie keine Karriere machen konnte. Aus einer derartigen Situation ergibt sich leicht eine perpetuierte Vorwurfssituation. Das Kind kann sich schuldig fühlen, weil es geboren wurde. Und nun? |
Diese Mutter handelt meiner Ansicht nach falsch, denn das Kind ist, nach meinen Begriffen von 'Verantwortung' und 'Schuld', nicht schuld daran, dass die Mutter keine Karriere machte. Man kann ihr deswegen einen Vorwurf machen. Sie ist schuld, wenn es ihrem Kind schlecht geht. Sie sollte das künftig unterlassen. |
Sie handelt vielleicht falsch, aber sie handelt so. Die Ausgangsfrage war ja die, wo Schuld als "Folter" eingesetzt wird. Und in Frustrationssituationen ist das häufig der Fall. Man versucht andere durch Schuldvorwürfe leiden zu machen.
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1485979) Verfasst am: 15.06.2010, 17:17 Titel: |
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Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben: | Sie handelt vielleicht falsch, aber sie handelt so. Die Ausgangsfrage war ja die, wo Schuld als "Folter" eingesetzt wird. Und in Frustrationssituationen ist das häufig der Fall. Man versucht andere durch Schuldvorwürfe leiden zu machen. |
Na schön. Die Mutter macht also ihrem Kind Vorwürfe, erzeugt in ihm Schuldgefühle, Minderwertigkeitskomplexe, die noch dadurch verstärkt werden, dass sich das Kind von der eigenen Mutter abgelehnt / ungeliebt fühlt.
Nehmen wir nun mal weiter an, jemand Außenstehendes, vielleicht Verwandte oder Freunde, bekämen das mit. Wie, meinst Du, würden sie reagieren? Würden sie sagen: 'ja, klar, natürlich, das Kind ist schuld, dass Du keine Karriere machen konntest, hey, Kind, Du bist schuld, schäme Dich'? Oder würden sie nicht doch vielleicht eher versuchen, der Mutter gut zuzureden, dass diese einsieht, dass sie das Kind nicht für ihre eigenen Entscheidungen verantwortlich machen kann? Welchem Verantwortungs- / Schuldbegriff also würden die meisten Deiner Ansicht nach wohl eher zustimmen?
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1485995) Verfasst am: 15.06.2010, 18:35 Titel: |
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Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben: | Für Otto-Normal-Wort-Gebraucher ist der Begriff "Freiheit" untrennbar mit der Vorstellung des in identischen Situationen anders Handeln Könnens , und mit "Schuld" der Vorwurf eben nicht anders gehandelt zu haben, verbunden. |
So isses. Und das gilt nicht nur für Otto-Normalverbraucher, sondern auch für das deutsche Strafrecht (das ja entsprechend volksnah sein muß). Erst in letzter Zeit wird das zunehmend infragegestellt:
http://de.wikipedia.org/wiki/Schuld_%28Strafrecht%29
http://de.wikipedia.org/wiki/Schuld_%28Strafrecht%29 hat folgendes geschrieben: | Das deutsche Strafgesetzbuch enthält keine Legaldefinition des Begriffs [der Schuld]. Heute herrschend ist der von Frank begründete normative Schuldbegriff, wonach Schuld die Vorwerfbarkeit vorsätzlichen oder fahrlässigen Verhaltens bedeutet. Diese Vorwerfbarkeit des schuldhaften Verhaltens beruht auf dem Gedanken der Willensfreiheit, soweit sie die Tatschuld berührt. ... Vorwerfbarkeit des Verhaltens setzt voraus, dass der Täter sich anders hätte entscheiden können. |
http://de.wikipedia.org/wiki/Schuld_%28Strafrecht%29 hat folgendes geschrieben: | Nach der Theorie des Determinismus ... ist in Ermangelung der Fähigkeit des Menschen, sich frei zwischen Recht und Unrecht zu entscheiden, dem Schuldprinzip der Boden entzogen. Die Verantwortlichkeit des einsichtsfähigen und gesunden Menschen wird dadurch aber nicht berührt. |
Genau. Man kann also Verantwortung vernünftig definieren, auch wenn man die Vorstellungen von (Willens-)Freiheit und Schuld überwunden hat.
http://de.wikipedia.org/wiki/Schuld_%28Strafrecht%29 hat folgendes geschrieben: | ... Ob sich vor diesem Hintergrund aber der Schuldvorwurf auf Willensfreiheit als „staatsnotwendige Fiktion“ (Kohlrausch) stützen lässt, erscheint sehr fraglich und wird in den letzten Jahren zunehmend kritisch diskutiert. |
Das faßt den staatsnotwendigen Wahnsinn nochmal schön zusammen.
Übrigens machen die Schuldbegriffe aus anderen Bereichen natürlich nach wie vor Sinn, z.B. der psychologische (Schuldgefühl) oder der ökonomische (Schulden).
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1485996) Verfasst am: 15.06.2010, 18:41 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben: | Für Otto-Normal-Wort-Gebraucher ist der Begriff "Freiheit" untrennbar mit der Vorstellung des in identischen Situationen anders Handeln Könnens , und mit "Schuld" der Vorwurf eben nicht anders gehandelt zu haben, verbunden. |
So isses. Und das gilt nicht nur für Otto-Normalverbraucher, sondern auch für das deutsche Strafrecht (das ja entsprechend volksnah sein muß). |
Beweis durch Behauptung? Dir zumindet sollte doch hoffentlich klar sein, dass das ganz schön dünn ist.
"Steht aber in der Wikipedia, also ist es so". Naja. Hehe. Das ist doch lächerlich.
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jagy Herb Derpington III.
Anmeldungsdatum: 26.11.2006 Beiträge: 7275
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(#1486000) Verfasst am: 15.06.2010, 18:55 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: |
http://de.wikipedia.org/wiki/Schuld_%28Strafrecht%29 hat folgendes geschrieben: | Nach der Theorie des Determinismus ... ist in Ermangelung der Fähigkeit des Menschen, sich frei zwischen Recht und Unrecht zu entscheiden, dem Schuldprinzip der Boden entzogen. Die Verantwortlichkeit des einsichtsfähigen und gesunden Menschen wird dadurch aber nicht berührt. |
Genau. Man kann also Verantwortung vernünftig definieren, auch wenn man die Vorstellungen von (Willens-)Freiheit und Schuld überwunden hat.
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Wie die Verantwortlichkeit damit nicht berührt werden soll, ist mir allerdings nicht ersichtlich. Vor allem, da Schuld und Verantwortlichkeit/Verantwortungsprinzip quasi Synonyme sind.
Es wird zwar oft geschrieben, dass Schuldstrafrecht und Determinismus kompatibel sind - die Erklärungen hören sich aber m.E.n. nicht wirklich schlüssig an.
Oder so Floskeln wie "das Prinzip der Verantwortlichkeit ... ist eine unumstößliche Realität unserer sozialen Existenz". Aha - es muss also so sein, weil es nicht anders sein kann...
_________________ INGLIP HAS BEEN SUMMONED - IT HAS BEGUN!
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1486001) Verfasst am: 15.06.2010, 18:56 Titel: |
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Aber das hatten wir ja alles schon. Ich habe Belege dafür gebracht, dass Strafrechtler in der Mehrheit Kompatibilisten sind, also keineswegs als Voraussetzung für Verantwortlichkeit und somit Schuld ein So-Und-Gleichzeitig-Nicht-So-Handeln ansehen. Das, was in der Wikipedia steht, ist falsch, (zumindest keineswegs Konsens unter Strafrechtlern), wenn dort mit 'Willensfreiheit' eben dieses merkwürdige So-Und-Gleichzeitig-Nicht-So-Handeln gemeint sein sollte.
Und übrigens: auch ein Gerhard Roth scheint da ja in letzter Zeit seine Auffassung revidiert zu haben, indem auch er inzwischen ins Lager der Kompatibilisten gewechselt ist. Siehe dort (ganz unten).
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1486016) Verfasst am: 15.06.2010, 19:26 Titel: |
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jagy hat folgendes geschrieben: | Es wird zwar oft geschrieben, dass Schuldstrafrecht und Determinismus kompatibel sind - die Erklärungen hören sich aber m.E.n. nicht wirklich schlüssig an. |
Hören sich denn Erklärungen schlüssig an, die Schuldstrafrecht und Indeterminismus für vereinbar halten? Oder die Indeterminismus als notwendige Voraussetzung eines Schuldstrafrechtes proklamieren? Wenn ja: wo? Wo finde ich die, wo sind die? Wo ist die Begründung dafür? Ich meine Argumente, keine schlichten Behauptungen (-> steht doch in der Wikipedia, die scheinen das also auch zu meinen, oder: Waschmaschine777 meint das doch auch).
Und dass im Strafrecht ein Inkompatibilismus vorherrschen würde, ist eine reine Behauptung, die, obgleich sie zwar in der Wikipedia steht, bzw. dort herausgelesen werden könnte, falsch ist.
Jedoch gibt es auch unter Strafrechtlern Inkompatibilisten, zum Beispiel Gunnar Spilgies. Das Lustige bei ihm ist, dass er erst behauptet, dass Strafrecht sei inkompatibilistisch und dann 6 Punkte aufführt, inwiefern es nicht inkompatibilistisch ist, (siehe Link). Auf die Idee, daraus messerscharf zu schlussfolgern, was ja wohl naheläge, dass das Strafrecht gar nicht inkompatibilistisch ist, kommt er merkwürdigerweise nicht. Tatsächlich beründet er letztlich sehr gut, dass unser heutiges Strafrecht eben nicht auf dem Begriff der 'absoluten' Willensfreiheit (X muss A und gleichzeitig Nicht-A tun können) basieren kann. Und es schlicht ein Irrtum ist, zu meinen, es täte es doch.
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jagy Herb Derpington III.
Anmeldungsdatum: 26.11.2006 Beiträge: 7275
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(#1486019) Verfasst am: 15.06.2010, 19:35 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | jagy hat folgendes geschrieben: | Es wird zwar oft geschrieben, dass Schuldstrafrecht und Determinismus kompatibel sind - die Erklärungen hören sich aber m.E.n. nicht wirklich schlüssig an. |
Hören sich denn Erklärungen schlüssig an, die Schuldstrafrecht und Indeterminismus für vereinbar halten? |
Ja.
Zitat: | Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten, daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten, sich für das Recht hätte entscheiden können |
Für mich hört sich das schlüssig bzgl der Annahme Schuldstrafrecht und Indeterminismus an.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: |
Oder die Indeterminismus als notwendige Voraussetzung eines Schuldstrafrechtes proklamieren? Wenn ja: wo? Wo finde ich die, wo sind die? Wo ist die Begründung dafür? Ich meine Argumente, keine schlichten Behauptungen (-> steht doch in der Wikipedia, die scheinen das also auch zu meinen, oder: Waschmaschine777 meint das doch auch).
Und dass im Strafrecht ein Inkompatibilismus vorherrschen würde, ist eine reine Behauptung, die, obgleich sie zwar in der Wikipedia steht, bzw. dort herausgelesen werden könnte, falsch ist. |
Habe ich das irgendwo behauptet? Im Gegenteil, ich habe doch gerade gesagt, dass oft behauptet wird, dass Determinismus und Schuldstrafrecht kompatibel sind.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: |
Jedoch gibt es auch unter Strafrechtlern Inkompatibilisten, zum Beispiel Gunnar Spilgies. Das Lustige bei ihm ist, dass er erst behauptet, dass Strafrecht sei inkompatibilistisch und dann 6 Punkte aufführt, inwiefern es nicht inkompatibilistisch ist, (siehe Link). Auf die Idee, daraus messerscharf zu schlussfolgern, was ja wohl naheläge, dass das Strafrecht gar nicht inkompatibilistisch ist, kommt er merkwürdigerweise nicht. Tatsächlich beründet er letztlich sehr gut, dass unser heutiges Strafrecht eben nicht auf dem Begriff der 'absoluten' Willensfreiheit (X muss A und gleichzeitig Nicht-A tun können) basieren kann. Und es schlicht ein Irrtum ist, zu meinen, es täte es doch. |
Bin gerade noch am lesen des Artikels.
_________________ INGLIP HAS BEEN SUMMONED - IT HAS BEGUN!
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1486032) Verfasst am: 15.06.2010, 19:57 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | auch ein Gerhard Roth scheint da ja in letzter Zeit seine Auffassung revidiert zu haben, indem auch er inzwischen ins Lager der Kompatibilisten gewechselt ist. Siehe dort (ganz unten). |
Tja, das ist schade. Ich hoffe, er mußte das nicht aus politischen Gründen (staatsnotwendige Fiktion) tun ...
G.Roth hat folgendes geschrieben: | Meine Persönlichkeit ... muss Optionen zulassen. Diese Optionen ergeben sich erstens aus der Vielfalt möglichen Handelns – und die ist bei uns Menschen fast unbegrenzt - ... |
Das ist irreführend ausgedrückt. Eine "Vielfalt" besteht nur
- in der Zahl der VORGESTELLTEN Handlungsmöglichkeiten (von denen ber aufgrund der Persönlichkeit nur eine einzige realisiert werden kann)
- in der Erfahrung, daß in oberflächlich ähnlichen Situationen Menschen unterschiedlich handeln
G.Roth hat folgendes geschrieben: | ... und zweitens daraus, dass mein Gehirn bewusst oder unbewusst Alternativen und ihre Konsequenzen nach ihrer Wünschbarkeit abwägt. |
Genau. Und diese Berechnung der Handlungssteuerung ist eine Form der [/i]Handlungsfreiheit[/i], also daß wir zuweilen und gern tun, was wir bewußt präferieren.
Handlungsfreiheit und Determinismus lassen sich natürlich vereinbaren, in dem Sinne wäre sogar ich Kompatibilist. Jeder kan "Willensfreiheit" so definieren, daß er Kompatibilist wird.
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jagy Herb Derpington III.
Anmeldungsdatum: 26.11.2006 Beiträge: 7275
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(#1486041) Verfasst am: 15.06.2010, 20:04 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: |
Jedoch gibt es auch unter Strafrechtlern Inkompatibilisten, zum Beispiel Gunnar Spilgies. Das Lustige bei ihm ist, dass er erst behauptet, dass Strafrecht sei inkompatibilistisch und dann 6 Punkte aufführt, inwiefern es nicht inkompatibilistisch ist, (siehe Link). Auf die Idee, daraus messerscharf zu schlussfolgern, was ja wohl naheläge, dass das Strafrecht gar nicht inkompatibilistisch ist, kommt er merkwürdigerweise nicht. Tatsächlich beründet er letztlich sehr gut, dass unser heutiges Strafrecht eben nicht auf dem Begriff der 'absoluten' Willensfreiheit (X muss A und gleichzeitig Nicht-A tun können) basieren kann. Und es schlicht ein Irrtum ist, zu meinen, es täte es doch. |
Also ich lese das nicht, was Du da liest.
In den 6 Punkten sagt er, dass unser heutiges Strafrecht eigentlich nicht mal mit dem Indeterminismus i.S.e. absoluten Willensfreiheit kompatibel ist.
Warum dass gleichzeitig eine Aussage sein soll, unser Strafrecht sei mit dem Determinismus kompatibel, müsstest Du noch mal erläutern.
_________________ INGLIP HAS BEEN SUMMONED - IT HAS BEGUN!
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1486043) Verfasst am: 15.06.2010, 20:05 Titel: |
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jagy hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | http://de.wikipedia.org/wiki/Schuld_%28Strafrecht%29 hat folgendes geschrieben: | Nach der Theorie des Determinismus ... ist in Ermangelung der Fähigkeit des Menschen, sich frei zwischen Recht und Unrecht zu entscheiden, dem Schuldprinzip der Boden entzogen. Die Verantwortlichkeit des einsichtsfähigen und gesunden Menschen wird dadurch aber nicht berührt. | Genau. Man kann also Verantwortung vernünftig definieren, auch wenn man die Vorstellungen von (Willens-)Freiheit und Schuld überwunden hat. | Wie die Verantwortlichkeit damit nicht berührt werden soll, ist mir allerdings nicht ersichtlich. Vor allem, da Schuld und Verantwortlichkeit/Verantwortungsprinzip quasi Synonyme sind. |
Ja, weil Verantwortlichkeit, Schuld und Freierwille als Eingenschaften von Personen angesehen werden. Wenn man aber die Zuweisung von Verantwortung definiert als Erwartung der Allgemeinheit, daß sich jemand moralisch konform verhält, und der tut das dann nicht, dann ist er offensichtlich für die Zuweisung einer solchen Verantwortung derzeit nicht geeignet.
EIn solches Verständnis von Verantworung kommt ohne Schuld und Freierwille aus, eignet sich allerdings erst recht nicht mehr als Begründung für vergeltende Strafrechtsaspekte.
jagy hat folgendes geschrieben: | Es wird zwar oft geschrieben, dass Schuldstrafrecht und Determinismus kompatibel sind - die Erklärungen hören sich aber m.E.n. nicht wirklich schlüssig an. Oder so Floskeln wie "das Prinzip der Verantwortlichkeit ... ist eine unumstößliche Realität unserer sozialen Existenz". Aha - es muss also so sein, weil es nicht anders sein kann... |
Jo.
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AgentProvocateur registrierter User
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(#1486082) Verfasst am: 15.06.2010, 20:51 Titel: |
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jagy hat folgendes geschrieben: | Also ich lese das nicht, was Du da liest.
In den 6 Punkten sagt er, dass unser heutiges Strafrecht eigentlich nicht mal mit dem Indeterminismus i.S.e. absoluten Willensfreiheit kompatibel ist. |
Ja, das ist es, was ich sagte. Und er behauptet eben gleichzeitig, es basiere auf Indeterminismus. Und das ist offensichtlich falsch, ein Widerspruch, durch seine Punkte hat er sich selbst widerlegt, denn täte es das, dürften seine Punkte schlicht nicht im Strafrecht Niederschlag finden. Aber sie sind dennoch da.
jagy hat folgendes geschrieben: | Warum dass gleichzeitig eine Aussage sein soll, unser Strafrecht sei mit dem Determinismus kompatibel, müsstest Du noch mal erläutern. |
Er sagt das natürlich nicht, er ist ja Inkompatibilist. Aber es ist einfach eine Frage der Logik, dass, wenn es Punkte im Strafrecht gibt, (z.B. Prävention), die der Auffassung eines inkompatibilistischen Willens (d.h. ein merkwürdiger von allem unabhängiger 'Wille') widersprechen, es somit nicht auf Inkompatiblilismus beruht, es eben auch de fakto nicht im Widerspruch zum Determinismus steht, sondern eben logischerweise deterministische Ansichten beinhaltet.
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Wenn Du mal nun bitte mal 'absolute Willensfreiheit' definieren würdest. Die notwendige Voraussetzung scheint für Dich Interminismus zu sein. (Warum genau? Mit welchem Argument?)
Und was ist (sind) die hinreichende(n) Voraussetzung(en)? Kannst Du eine Entscheidung einer Person mal im Ansatz skizzieren, die Deiner Meinung nach 'frei' zu nennen wäre? Wenn man Dich oder mich lediglich in eine indeterminierte Welt versetzen würde, (und wir bleiben sonst gleich), würde alleine dadurch unsere Entscheidung sicher noch nicht in Deinem Sinne 'frei', nicht? Was also genau müsste noch hinzukommen?
Ich meine, ein Inkompatibilist ist in der Verpflichtung, 'Freiheit' in seinem Sinne mal explizit darzulegen. Damit man mal sehen kann, was dem kompatibilistischen Begriff von Freiheit fehlt, woran es dem mangelt, womit er nicht die allgemeine Intuition von Freiheit bedienen kann.
Wie genau kann man sich also eine 'echt' freie Entscheidung vorstellen?
Nehmen wir z.B. an, jemand hätte Abitur gemacht und überlegt, was er daraufhin tut. Er überlegt hin und her, wägt ab, informiert sich, holt sich andere Meinungen ein, schläft ein paar Mal darüber etc. pp. und entscheidet sich letztlich für X.
Diese Entscheidung wäre nun Deiner Meinung nach nicht frei, stimmt's? Wann aber sonst? Wie genau könnte das ablaufen, um von Dir 'frei' genannt zu werden? Was fehlt, was muss hinzu kommen?
Sieh' mal: Du kannst hundertmal sagen, das eine höre sich für Dich schlüssig an und das andere nicht und tausend andere Leute können sagen: jo, isso. Nur ist es nun mal bei mir umgekehrt, eine solche Behauptung / Kundtuung überzeugt mich also nicht. Und ich kann tausend Leute benennen, die es so sehen wie ich. Und daher wären Argumente an dieser Stelle wirklich ganz furchtbar zauberhaft. Bzw. überhaupt erst mal eine Definition: eine Entscheidung ist genau dann frei, wenn was?
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jagy Herb Derpington III.
Anmeldungsdatum: 26.11.2006 Beiträge: 7275
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(#1486092) Verfasst am: 15.06.2010, 21:02 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | jagy hat folgendes geschrieben: | Also ich lese das nicht, was Du da liest.
In den 6 Punkten sagt er, dass unser heutiges Strafrecht eigentlich nicht mal mit dem Indeterminismus i.S.e. absoluten Willensfreiheit kompatibel ist. |
Ja, das ist es, was ich sagte. Und er behauptet eben gleichzeitig, es basiere auf Indeterminismus. Und das ist offensichtlich falsch, ein Widerspruch, durch seine Punkte hat er sich selbst widerlegt, denn täte es das, dürften seine Punkte schlicht nicht im Strafrecht Niederschlag finden. Aber sie sind dennoch da.
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Also ich habe das eher so verstanden, dass es dem Strafrecht bzw seinen Anwendern noch gar nicht aufgefallen ist, dass da eine Inkompatibilität von Indeterminismus und Strafrecht bestehen könnte.
Er widerlegt sich also nicht selbst, sondern kritisiert vielmehr, dass ein Problembewusstsein von Seiten der Strafrechtler, die keine Inkompatibilität von Indeterminismus und Strafrecht sehen, völlig fehlt.
In seinen 6 Punkten zeigt er dann, warum ein Problembewusstsein da sein sollte.
Das die Punkte, die er anspricht, im Strafrecht Niederschlag finden, heißt ja nicht, dass sie dass nicht widersprüchlicherweise tun. Man darf, würde ich mal behaupten, auch annehmen, dass sich der Gesetzgeber keine besondern Gedanken um Determinismus oder Indeterminismus macht bzw gemacht hat, wenn er materielles Strafrecht erlässt.
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AgentProvocateur registrierter User
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(#1486095) Verfasst am: 15.06.2010, 21:03 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | Handlungsfreiheit und Determinismus lassen sich natürlich vereinbaren, in dem Sinne wäre sogar ich Kompatibilist. Jeder kan "Willensfreiheit" so definieren, daß er Kompatibilist wird. |
Ja, nun. Auch Du bist in der Pflicht, Willensfreiheit so zu definieren, dass klar wird, was dem kompatibilistischen Freiheitsbegriff fehlt. Also gehen auch alle meine Fragen, die ich jagy gestellt habe, an Dich.
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jagy Herb Derpington III.
Anmeldungsdatum: 26.11.2006 Beiträge: 7275
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(#1486096) Verfasst am: 15.06.2010, 21:07 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: |
Nehmen wir z.B. an, jemand hätte Abitur gemacht und überlegt, was er daraufhin tut. Er überlegt hin und her, wägt ab, informiert sich, holt sich andere Meinungen ein, schläft ein paar Mal darüber etc. pp. und entscheidet sich letztlich für X.
Diese Entscheidung wäre nun Deiner Meinung nach nicht frei, stimmt's? Wann aber sonst? Wie genau könnte das ablaufen, um von Dir 'frei' genannt zu werden? Was fehlt, was muss hinzu kommen?
Sieh' mal: Du kannst hundertmal sagen, das eine höre sich für Dich schlüssig an und das andere nicht und tausend andere Leute können sagen: jo, isso. Nur ist es nun mal bei mir umgekehrt, eine solche Behauptung / Kundtuung überzeugt mich also nicht. Und ich kann tausend Leute benennen, die es so sehen wie ich. Und daher wären Argumente an dieser Stelle wirklich ganz furchtbar zauberhaft. Bzw. überhaupt erst mal eine Definition: eine Entscheidung ist genau dann frei, wenn was? |
Eine notwendiges Kriterium der Willensfreiheit wäre für mich, dass man eine Entscheidung, hypothetisch zurück in die gleiche Situation in der Vergangenheit versetzt, nicht hätte treffen müssen, sondern sich hätte auch anders entscheiden können.
Genau, was der BGH als Grundlage der Schuld normiert:
Zitat: | Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten ... hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten ... hätte ... können |
edit: Zumindest ich habe das immer so verstanden, und ich glaube so ist das auch gemeint, das mit dem anders-hätte-handeln-können nicht ein hypothetisches, sondern eine tatsächliche andere Handlungsmöglichkeit gemeint ist.
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Zuletzt bearbeitet von jagy am 15.06.2010, 21:13, insgesamt 2-mal bearbeitet |
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AgentProvocateur registrierter User
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(#1486099) Verfasst am: 15.06.2010, 21:10 Titel: |
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jagy hat folgendes geschrieben: | Also ich habe das eher so verstanden, dass es dem Strafrecht bzw seinen Anwendern noch gar nicht aufgefallen ist, dass da eine Inkompatibilität von Indeterminismus und Strafrecht bestehen könnte.
Er widerlegt sich also nicht selbst, sondern kritisiert vielmehr, dass ein Problembewusstsein von Seiten der Strafrechtler, die keine Inkompatibilität von Indeterminismus und Strafrecht sehen, völlig fehlt.
In seinen 6 Punkten zeigt er dann, warum ein Problembewusstsein da sein sollte.
Das die Punkte, die er anspricht, im Strafrecht Niederschlag finden, heißt ja nicht, dass sie dass nicht widersprüchlicherweise tun. Man darf, würde ich mal behaupten, auch annehmen, dass sich der Gesetzgeber keine besondern Gedanken um Determinismus oder Indeterminismus macht bzw gemacht hat, wenn er materielles Strafrecht erlässt. |
Ja, Letzteres ist wahrscheinlich richtig. Nur müsste halt jemand, der meint, der Gesetzgeber sollte das aber tun, das sei seine Pflicht, das auch begründen können.
Und zum ersten Punkt: dass es eine Inkompatibilität von Strafrecht und Indeterminismus gibt, (und die gibt es), wäre das erst dann ein Problem, wenn man annähme, (und das begründen könnte), Strafrecht müsse inkompatibilistisch sein. Aber da die meisten Strafrechtler nun mal keine Inkompatibilisten sind, sondern Kompatibilisten, ergibt sich das Problem schlicht nicht.
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
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(#1486102) Verfasst am: 15.06.2010, 21:12 Titel: |
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jagy hat folgendes geschrieben: | Eine notwendiges Kriterium der Willensfreiheit wäre für mich, dass man eine Entscheidung, hypothetisch zurück in die gleiche Situation in der Vergangenheit versetzt, nicht hätte treffen müssen, sondern sich hätte auch anders entscheiden können. |
Könntest Du das bitte noch genauer ausführen? Darunter kann ich mir erst mal nichts vorstellen. Vielleicht könntest Du das an dem Beispiel mit dem Abiturienten mal konkret machen.
Edit:
jagy hat folgendes geschrieben: | Genau, was der BGH als Grundlage der Schuld normiert:
Zitat: | Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten ... hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten ... hätte ... können |
edit: Zumindest ich habe das immer so verstanden, und ich glaube so ist das auch gemeint, das mit dem anders-hätte-handeln-können nicht ein hypothetisches, sondern eine tatsächliche andere Handlungsmöglichkeit gemeint ist. |
Ja, aber was bedeutet das nun konkret? Wie kann ich mir das vorstellen? Wie läuft also der Entscheidungsprozess des Abiturienten 'echt frei' ab?
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jagy Herb Derpington III.
Anmeldungsdatum: 26.11.2006 Beiträge: 7275
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(#1486110) Verfasst am: 15.06.2010, 21:18 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | jagy hat folgendes geschrieben: | Eine notwendiges Kriterium der Willensfreiheit wäre für mich, dass man eine Entscheidung, hypothetisch zurück in die gleiche Situation in der Vergangenheit versetzt, nicht hätte treffen müssen, sondern sich hätte auch anders entscheiden können. |
Könntest Du das bitte noch genauer ausführen? Darunter kann ich mir erst mal nichts vorstellen. Vielleicht könntest Du das an dem Beispiel mit dem Abiturienten mal konkret machen. |
Bei mir kam irgendwann mal der Punkt, wo ich mich, nach dem von Dir entschiedenen Abwägungsvorgang, für ein Jurastudium entschieden habe.
Für einen freien Willen würde ich es aber voraussetzen, dass ich mich, hypothetisch in der Zeit zurückversetzt, auch anders hätte entscheiden können. Dass ich mich statt für Jura auch für Religionswissenschaft oder Informstik hätte entscheiden können. Vielleicht ein Kriterium anders hätte abwägen oder gewichten können und dadurch zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können.
Oder, um zum Strafrecht zurückzukommen, wie schon Welzel schrieb: "Schuld ... begründet den persönlichen Vorwurd gegen den Täter, dass er die rechtswidrige Handlung nicht unterlassen hat, obwohl er sie unterlassen konnte".
Wenn ich mich nicht anders hätte entscheiden können, macht es für mich keinen Sinn, von einem freien Willen zu sprechen.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1486119) Verfasst am: 15.06.2010, 21:31 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Handlungsfreiheit und Determinismus lassen sich natürlich vereinbaren, in dem Sinne wäre sogar ich Kompatibilist. Jeder kann "Willensfreiheit" so definieren, daß er Kompatibilist wird. |
Ja, nun. Auch Du bist in der Pflicht, Willensfreiheit so zu definieren, dass klar wird, was dem kompatibilistischen Freiheitsbegriff fehlt. Also gehen auch alle meine Fragen, die ich jagy gestellt habe, an Dich. |
Hab ich aber shon oft gemacht:
Man wäre willensfrei - und nicht nur handlungsfrei oder gefühlt frei - wenn der individuelle Entscheidungsapparat wesentlich akausal wäre, bzw. wenn sich eine exakte Reproduktion der Entscheidungssituation eine nichttriviale Verteilung der Entscheidungen ergäbe.
Du antwortest dann immer sinngemäß, das es dies ja nicht gebe (was ich ebenso sehe), und selbst wenn, daß Zufälligkeit ja eine blöde Freiheit wäre, weil da kann man ja auch keinen bestrafen.
Dem kompatibilistischen Freiheitsbegriff fehlt also sozusagen der zusätzliche Freiheitsgrad im Vergleich zur (unstrittigen) Handlungsfreiheit. Das allein fände ich allerdings gar nicht so schlimm, wenn der K. nicht auf der Welle der libertaristisch-intuitiven Deutung reiten würde (absichtlich oder unanbsichtlich). Er suggeriert, daß beim Schuldkonzept alles beim alten bleiben könne. Dabei macht die Tatsache, daß man Präferenzdeterminismus jetzt "Willensfreiheit" nennt, die Begründung etwa für vergeltendes Strafrecht in keiner Weise besser. Das ist nur nicht mehr so auffällig.
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AgentProvocateur registrierter User
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(#1486123) Verfasst am: 15.06.2010, 21:33 Titel: |
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jagy hat folgendes geschrieben: | Bei mir kam irgendwann mal der Punkt, wo ich mich, nach dem von Dir entschiedenen Abwägungsvorgang, für ein Jurastudium entschieden habe.
Für einen freien Willen würde ich es aber voraussetzen, dass ich mich, hypothetisch in der Zeit zurückversetzt, auch anders hätte entscheiden können. Dass ich mich statt für Jura auch für Religionswissenschaft oder Informstik hätte entscheiden können. Vielleicht ein Kriterium anders hätte abwägen oder gewichten können und dadurch zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können.
Wenn ich mich nicht anders hätte entscheiden können, macht es für mich keinen Sinn, von einem freien Willen zu sprechen. |
Das verstehe ich noch nicht.
Nehmen wir jetzt einmal hypothetisch an, just for the sake of argument, unsere Welt wäre nicht determiniert, sondern (teilweise) indeterminiert. Nehmen wir also an, dass, wenn man Dich in der Zeit zurückversetzte, sagen wir mal 5 Tage bevor Du Deine Entscheidung, Jura zu studieren, getroffen hast, es irgend einen indeterminierten Vorgang in der Welt gegeben hätte, der Dich dazu bewog, sagen wir mal, Wirtschaft zu studieren, (für Religion oder Informatik müsste man die Welt vielleicht viel weiter zurückdrehen).
Und nun? Wärest Du dadurch freier gewesen? Doch wohl kaum, nicht?
Du schuldest mir also immer noch die hinreichende Bedingung für Deinen Begriff von Freiheit.
Nehmen wir an, Du hast Dich nach bestem Wissen und Gewissen entschieden, Du hast Dich vielseitig informiert, andere Meinungen eingeholt, diese abgewogen, auch Deine Intuition befragt und dann letztlich entschieden. Angenommen, Du standest nicht unter ungewöhnlichem äußerem oder innerem Druck. Deine Entscheidung war daher meiner Ansicht nach eine freie. Deiner Ansicht nach wohl nicht. Gut, aber was muss denn nun dazu kommen, wie kann ich mir das konkret vorstellen, was Du meinst, wenn Du 'echt frei' sagst? Alleine der (hypothetisch angenommene) Fakt, dass, wenn man die Welt zurückdrehte, die Entscheidung anders hätte ausfallen können, kann es jedenfalls nicht sein.
Edit: die gleiche Frage geht an step. Just for the sake of argument können wir auch eine Akausalität (wenn damit etwas anderes als Indeterminiertheit gemeint ist) des Entscheidungsapparates mal hypothetisch annehmen. Die aber mE an sich noch keine Freiheit gewährleisten würde, bzw. die Freiheit des Abiturienten im Beispiele nicht erhöhen könnte. Zumindest ist mir nicht klar, wie. Das bedarf einer zusätzlichen Erklärung.
Zuletzt bearbeitet von AgentProvocateur am 15.06.2010, 21:42, insgesamt einmal bearbeitet |
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