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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1486134) Verfasst am: 15.06.2010, 21:42 Titel: |
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AgentProvocateur an jagy hat folgendes geschrieben: | Nehmen wir jetzt einmal hypothetisch an, just for the sake of argument, unsere Welt wäre nicht determiniert, sondern (teilweise) indeterminiert. Nehmen wir also an, dass, wenn man Dich in der Zeit zurückversetzte, sagen wir mal 5 Tage bevor Du Deine Entscheidung, Jura zu studieren, getroffen hast, es irgend einen indeterminierten Vorgang in der Welt gegeben hätte, der Dich dazu bewog, sagen wir mal, Wirtschaft zu studieren, (für Religion oder Informatik müsste man die Welt vielleicht viel weiter zurückdrehen).
Und nun? Wärest Du dadurch freier gewesen? |
Da es diesen indeterminierten Auslöser nicht im individuellen Entscheidungskomplex, sondern 5 Tage vorher außerhalb gab, müßte man sagen:
Ja, das System, das diesen Zufallstrigger enthielt, war freier (= unterlag weniger Zwängen) .
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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jagy Herb Derpington III.
Anmeldungsdatum: 26.11.2006 Beiträge: 7275
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(#1486138) Verfasst am: 15.06.2010, 21:44 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | jagy hat folgendes geschrieben: | Bei mir kam irgendwann mal der Punkt, wo ich mich, nach dem von Dir entschiedenen Abwägungsvorgang, für ein Jurastudium entschieden habe.
Für einen freien Willen würde ich es aber voraussetzen, dass ich mich, hypothetisch in der Zeit zurückversetzt, auch anders hätte entscheiden können. Dass ich mich statt für Jura auch für Religionswissenschaft oder Informstik hätte entscheiden können. Vielleicht ein Kriterium anders hätte abwägen oder gewichten können und dadurch zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können.
Wenn ich mich nicht anders hätte entscheiden können, macht es für mich keinen Sinn, von einem freien Willen zu sprechen. |
Das verstehe ich noch nicht.
Nehmen wir jetzt einmal hypothetisch an, just for the sake of argument, unsere Welt wäre nicht determiniert, sondern (teilweise) indeterminiert. Nehmen wir also an, dass, wenn man Dich in der Zeit zurückversetzte, sagen wir mal 5 Tage bevor Du Deine Entscheidung, Jura zu studieren, getroffen hast, es irgend einen indeterminierten Vorgang in der Welt gegeben hätte, der Dich dazu bewog, sagen wir mal, Wirtschaft zu studieren, (für Religion oder Informatik müsste man die Welt vielleicht viel weiter zurückdrehen).
Und nun? Wärest Du dadurch freier gewesen? Doch wohl kaum, nicht?
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Du hast mich missverstanden. Ich meine, ein indeterminierter Vorgang "in" mir wäre nötig, um Willensfreiheit zu bejahen. Ein "Gespenst in der Maschine" oder was auch immer.
Willensfreiheit ist ja etwas per definitionem übernatürliches.
Wenn ich alle Fakten kenne, muss ich die Möglichkeit haben, tatsächlich mehr als eine Entscheidung treffen zu können. Dann würde ich von Willensfreiheit sprechen.
_________________ INGLIP HAS BEEN SUMMONED - IT HAS BEGUN!
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1486145) Verfasst am: 15.06.2010, 21:51 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: |
Da es diesen indeterminierten Auslöser nicht im individuellen Entscheidungskomplex, sondern 5 Tage vorher außerhalb gab, müßte man sagen:
Ja, das System, das diesen Zufallstrigger enthielt, war freier (= unterlag weniger Zwängen) . |
Das beantwortet aber nicht meine Frage, denn die lautet genau genommen selbstverständlich so: wärest Du als Person in Deiner Entscheidung freier gewesen? Denn das ist mE die Frage nach der Willens- / Entscheidungsfreiheit.
Und die Antwort ist: selbstverständlich nicht. Wenn eine Person aus unserer Welt plötzlich in eine (teilweise) indeterminierte Welt versetzt würde und diese Person ansonsten gleich bliebe, dann wäre sie nicht einfach durch den Fakt, sich nun in einer indeterminierten Welt zu befinden, in ihren Überlegungen und Entscheidungen freier. Zumindest ist mir nicht einsichtig, wieso das gelten könnte.
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1486159) Verfasst am: 15.06.2010, 22:04 Titel: |
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jagy hat folgendes geschrieben: | Du hast mich missverstanden. Ich meine, ein indeterminierter Vorgang "in" mir wäre nötig, um Willensfreiheit zu bejahen. Ein "Gespenst in der Maschine" oder was auch immer.
Willensfreiheit ist ja etwas per definitionem übernatürliches.
Wenn ich alle Fakten kenne, muss ich die Möglichkeit haben, tatsächlich mehr als eine Entscheidung treffen zu können. Dann würde ich von Willensfreiheit sprechen. |
Kannst Du zwar machen, aber das ist dann eben genau das, was ein Kompatibilist bestreitet, als nicht sinnvoll ansieht. 'Sinnvoll' hier im Sinne von wünschenswert, Freiheit erhöhend', als notwendige Voraussetzung für Verantwortlichkeit und somit auch Schuld.
Im Gegenteil meint nun ein Kompatibilist, dass, wäre dem so, wäre eine Person reines Werkzeug eines solchen für sie unvorhersehbaren und unkontrollierbaren Willens, sie nicht verantwortlich und somit auch nicht schuldig sein könne, es unfair wäre, ihr Verantwortung und Schuld zuzuweisen. (Zumindest dann, wenn dieser Wille auch noch handlungsauslösend wäre - was Kontrolle völlig ausschließt). Ein Kompatibilist hält also für eine Zuweisung von Schuld eine Kontrolle über die eigenen Entscheidungen und Handlungen für eine notwendige Voraussetzung.
Edit: was meinst Du eigentlich genau mit 'tatsächlich mehr als eine Entscheidung treffen zu können'? Nehmen wir mal die Entscheidung X (oder meinetwegen 'Jura studieren'). Meinst Du nun, Du müsstest fähig sein, sowohl X als auch gleichzeitig die Entscheidung Nicht-X treffen zu können, um als 'echt' frei gelten zu können? Wie kann ich mir das aber konkret vorstellen? Das hat nun zwar was mit Logik zu tun, (es ist schlicht logisch unmöglich, gleichzeitig sowohl X als auch Nicht-X zu tun), aber was eigentlich mit Indeterminismus?
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Ilmor auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 13.12.2008 Beiträge: 7151
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(#1486187) Verfasst am: 15.06.2010, 22:27 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: |
Da es diesen indeterminierten Auslöser nicht im individuellen Entscheidungskomplex, sondern 5 Tage vorher außerhalb gab, müßte man sagen:
Ja, das System, das diesen Zufallstrigger enthielt, war freier (= unterlag weniger Zwängen) . |
Das beantwortet aber nicht meine Frage, denn die lautet genau genommen selbstverständlich so: wärest Du als Person in Deiner Entscheidung freier gewesen? Denn das ist mE die Frage nach der Willens- / Entscheidungsfreiheit.
Und die Antwort ist: selbstverständlich nicht. Wenn eine Person aus unserer Welt plötzlich in eine (teilweise) indeterminierte Welt versetzt würde und diese Person ansonsten gleich bliebe, dann wäre sie nicht einfach durch den Fakt, sich nun in einer indeterminierten Welt zu befinden, in ihren Überlegungen und Entscheidungen freier. Zumindest ist mir nicht einsichtig, wieso das gelten könnte. |
Das sehe ich auch so. Es kann gar keinen freien Willen geben. Entweder ist unsere Entscheidung schon vom Anbeginn der Zeit an deterministisch festgelegt, oder es gibt einen Zufallsgenerator, der unsere Entscheidungen rausspuckt. So oder so sind wir nicht frei.
Was mich im Bezug auf ein Strafrecht, dass nicht von der Schuld ausgeht interessieren würde (habe jetzt nicht den ganzen Thread gelesen, bitte also um Entschuldigung, falls mein Punkt schon vorher dagebracht wurde):
Mal angenommen, eine Frau wird von einem Mann vergewaltigt. Der Mann wird verurteilt, jedoch nachdem er seine Zeit abgesessen hat, beschließt die Frau, Rache zu nehmen, und tötet den Mann. Wie soll man nun mit der Frau verfahren? Einerseits kann man nicht davon ausgehen, dass sie eine Gefahr für andere Mitmenschen darstellt, also würde das ihren Haft nicht rechtfertigen. Andererseits kann man sie ja auch nicht laufen lassen, das wäre ein Freischein für Mord aus Rachemotiven. Soll man sie nun als Abschreckung einsperren? Würde ein solches modernes Strafrecht auf Abschreckung beruhen?
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jagy Herb Derpington III.
Anmeldungsdatum: 26.11.2006 Beiträge: 7275
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(#1486190) Verfasst am: 15.06.2010, 22:29 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | jagy hat folgendes geschrieben: | Du hast mich missverstanden. Ich meine, ein indeterminierter Vorgang "in" mir wäre nötig, um Willensfreiheit zu bejahen. Ein "Gespenst in der Maschine" oder was auch immer.
Willensfreiheit ist ja etwas per definitionem übernatürliches.
Wenn ich alle Fakten kenne, muss ich die Möglichkeit haben, tatsächlich mehr als eine Entscheidung treffen zu können. Dann würde ich von Willensfreiheit sprechen. |
Edit: was meinst Du eigentlich genau mit 'tatsächlich mehr als eine Entscheidung treffen zu können'? Nehmen wir mal die Entscheidung X (oder meinetwegen 'Jura studieren'). Meinst Du nun, Du müsstest fähig sein, sowohl X als auch gleichzeitig die Entscheidung Nicht-X treffen zu können, um als 'echt' frei gelten zu können? Wie kann ich mir das aber konkret vorstellen? Das hat nun zwar was mit Logik zu tun, (es ist schlicht logisch unmöglich, gleichzeitig sowohl X als auch Nicht-X zu tun), aber was eigentlich mit Indeterminismus? |
Mit "tatsächlich" meine ich nur, dass nicht nur gemeint ist, dass ein anderer Mensch in gleicher Situation eine andere Entscheidung hätte treffen können.
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jagy Herb Derpington III.
Anmeldungsdatum: 26.11.2006 Beiträge: 7275
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(#1486195) Verfasst am: 15.06.2010, 22:31 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | jagy hat folgendes geschrieben: | Du hast mich missverstanden. Ich meine, ein indeterminierter Vorgang "in" mir wäre nötig, um Willensfreiheit zu bejahen. Ein "Gespenst in der Maschine" oder was auch immer.
Willensfreiheit ist ja etwas per definitionem übernatürliches.
Wenn ich alle Fakten kenne, muss ich die Möglichkeit haben, tatsächlich mehr als eine Entscheidung treffen zu können. Dann würde ich von Willensfreiheit sprechen. |
Kannst Du zwar machen, aber das ist dann eben genau das, was ein Kompatibilist bestreitet, als nicht sinnvoll ansieht. 'Sinnvoll' hier im Sinne von wünschenswert, Freiheit erhöhend', als notwendige Voraussetzung für Verantwortlichkeit und somit auch Schuld.
Im Gegenteil meint nun ein Kompatibilist, dass, wäre dem so, wäre eine Person reines Werkzeug eines solchen für sie unvorhersehbaren und unkontrollierbaren Willens, sie nicht verantwortlich und somit auch nicht schuldig sein könne, es unfair wäre, ihr Verantwortung und Schuld zuzuweisen. (Zumindest dann, wenn dieser Wille auch noch handlungsauslösend wäre - was Kontrolle völlig ausschließt). Ein Kompatibilist hält also für eine Zuweisung von Schuld eine Kontrolle über die eigenen Entscheidungen und Handlungen für eine notwendige Voraussetzung.
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Das versteh ich jetzt momentan um diese Uhrzeit nicht
Bin erst am Montag nächste Woche wieder online, werde dann aber antworten, wenn ich hoffentlich daran denke.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1486205) Verfasst am: 15.06.2010, 22:36 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Da es diesen indeterminierten Auslöser nicht im individuellen Entscheidungskomplex, sondern 5 Tage vorher außerhalb gab, müßte man sagen:
Ja, das System, das diesen Zufallstrigger enthielt, war freier (= unterlag weniger Zwängen) . | Das beantwortet aber nicht meine Frage, denn die lautet genau genommen selbstverständlich so: wärest Du als Person in Deiner Entscheidung freier gewesen? Denn das ist mE die Frage nach der Willens- / Entscheidungsfreiheit. |
Wenn Du den indeterministischen Agenten in der Person annimmst (und nicht in der Außenwelt), könnte ich tatsächlich sagen: "Meine Entscheidung ist freier gewesen (= unterlag weniger Zwängen)".
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Und die Antwort ist: selbstverständlich nicht. |
Die Antwort mußt Du schon mir überlassen.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Wenn eine Person aus unserer Welt plötzlich in eine (teilweise) indeterminierte Welt versetzt würde und diese Person ansonsten gleich bliebe, dann wäre sie nicht einfach durch den Fakt, sich nun in einer indeterminierten Welt zu befinden, in ihren Überlegungen und Entscheidungen freier. Zumindest ist mir nicht einsichtig, wieso das gelten könnte. |
Das würde auch ich so nicht behaupten. Das intuitive Verständnis von Freiheit ist mE inkonsistent. Beim näheren Hinschauen fällt uns auf, daß wir weder indeterminiert noch determiniert sein möchten.
Nehmen wir aber mal ein Beispiel ohne Indeterminismus:
Nehmen wir mal an, diese Person unterläge plötzlich nicht mehr den Zwängen, die ihr Gewissen ihr auferlegt, also den Zwängen, konform zur geltenden oder anerzogenen Moral zu handeln. Sie würde sich dann freier (von moralischen Zwängen) verhalten. Manchmal nennt man das treffend "Willkür" oder "Unberechenbarkeit". Die Person würde sich aber nicht unbedingt freier fühlen, denn die meisten Menschen internalisieren moralische Zwänge und empfinden konforme Entscheidungen als präferent und damit freiwillig.
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1486220) Verfasst am: 15.06.2010, 22:44 Titel: |
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jagy hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Edit: was meinst Du eigentlich genau mit 'tatsächlich mehr als eine Entscheidung treffen zu können'? Nehmen wir mal die Entscheidung X (oder meinetwegen 'Jura studieren'). Meinst Du nun, Du müsstest fähig sein, sowohl X als auch gleichzeitig die Entscheidung Nicht-X treffen zu können, um als 'echt' frei gelten zu können? Wie kann ich mir das aber konkret vorstellen? Das hat nun zwar was mit Logik zu tun, (es ist schlicht logisch unmöglich, gleichzeitig sowohl X als auch Nicht-X zu tun), aber was eigentlich mit Indeterminismus? |
Mit "tatsächlich" meine ich nur, dass nicht nur gemeint ist, dass ein anderer Mensch in gleicher Situation eine andere Entscheidung hätte treffen können. |
Das beantwortet meine Frage nicht. Ich will ja nicht wissen, was Du nicht meinst, sondern was Du nun eigentlich meinst.
Der Abiturient. Oder auch Deine Entscheidung für Dein Studium. Wie genau müssen (oder könnten) die ablaufen, damit Du sie als 'frei' klassifizieren würdest?
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jagy Herb Derpington III.
Anmeldungsdatum: 26.11.2006 Beiträge: 7275
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(#1486245) Verfasst am: 15.06.2010, 23:00 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | jagy hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Edit: was meinst Du eigentlich genau mit 'tatsächlich mehr als eine Entscheidung treffen zu können'? Nehmen wir mal die Entscheidung X (oder meinetwegen 'Jura studieren'). Meinst Du nun, Du müsstest fähig sein, sowohl X als auch gleichzeitig die Entscheidung Nicht-X treffen zu können, um als 'echt' frei gelten zu können? Wie kann ich mir das aber konkret vorstellen? Das hat nun zwar was mit Logik zu tun, (es ist schlicht logisch unmöglich, gleichzeitig sowohl X als auch Nicht-X zu tun), aber was eigentlich mit Indeterminismus? |
Mit "tatsächlich" meine ich nur, dass nicht nur gemeint ist, dass ein anderer Mensch in gleicher Situation eine andere Entscheidung hätte treffen können. |
Das beantwortet meine Frage nicht. Ich will ja nicht wissen, was Du nicht meinst, sondern was Du nun eigentlich meinst.
Der Abiturient. Oder auch Deine Entscheidung für Dein Studium. Wie genau müssen (oder könnten) die ablaufen, damit Du sie als 'frei' klassifizieren würdest? |
Ich weiß ehrlich gesagt nicht ganz, wie ich es noch genauer beschreiben sollte. Mit "ich hätte mich anders entscheiden können müssen" finde ich es eigentlich ziemlich treffend beschrieben. Ich persönlich, als Determinist, glaube aber nicht, dass ich mich hätte anders entscheiden können. Deswegen war meine Entscheidung nicht willensfrei.
Wir müssen als Beispiel nicht das Studium mit einen langwierigen Informations- und Abwägungsprozess nehmen. Nehmen wir an, ich stehe beim Bäcke und überlege, ob ich eine Bretzel oder ein Brötchen kaufe. Ich überlege kurz und entscheide mich für die Bretzel. Hätte ich mich auch für das Brötchen entscheiden können, würde ich von Willensfreiheit sprechen. Ich glaube aber, ich hätte mich nicht anders entscheiden können. Die Summe aus meinen Genen, meinem Gehirn, meiner Sozialisation, meines konkreten Tagesablaufs und sonstigen Faktoren hat es mir aber tatsächlich unmöglich gemacht, eine andere Entscheidung zu treffen, als die, die ich tatsächlich getroffen habe. Deswegen glaube ich nicht an einen freien Willen. Alles ist ein - wenn auch fast unendlich großer - Zusammenhang von Ursache und Wirkung.
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1486255) Verfasst am: 15.06.2010, 23:05 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | Wenn Du den indeterministischen Agenten in der Person annimmst (und nicht in der Außenwelt), könnte ich tatsächlich sagen: "Meine Entscheidung ist freier gewesen (= unterlag weniger Zwängen)". |
Nö, ich denke ganau das Gegenteil: eine Entscheidung, die indeterminiert erfolgt, ist nicht meine Entscheidung, genau genommen ist das deswegen überhaupt keine Entscheidung, sondern es ist lediglich ein Impuls in mir. Wobei es bei einem reinen Impuls mE überhaupt keine Rolle spielt, ob dieser determiniert oder indeterminiert entstanden ist. Da, an genau dieser Stelle, besteht nun starker Begründungsbedarf für einen Inkompatibilisten, so er da einen Unterschied sieht. Worin sollte der also bestehen?
step hat folgendes geschrieben: | Nehmen wir aber mal ein Beispiel ohne Indeterminismus:
Nehmen wir mal an, diese Person unterläge plötzlich nicht mehr den Zwängen, die ihr Gewissen ihr auferlegt, also den Zwängen, konform zur geltenden oder anerzogenen Moral zu handeln. Sie würde sich dann freier (von moralischen Zwängen) verhalten. Manchmal nennt man das treffend "Willkür" oder "Unberechenbarkeit". Die Person würde sich aber nicht unbedingt freier fühlen, denn die meisten Menschen internalisieren moralische Zwänge und empfinden konforme Entscheidungen als präferent und damit freiwillig. |
Zu Letzterem: genau, so sehe ich das auch. Die meisten Menschen fühlen sich als Person, mit Merkmalen, die ihre Person ausmachen, als da sind: ihre Sozialisation, ihre Geschichte, ihre Werte / Bewertungen, ihre Überlegungen, ihre Meinungen etc. pp. Woraus sich nun mal auch ihr Gewissen ergibt, das, was sie für falsch und das, was sie für richtig halten.
Das Gedankenexperiment, man könne einer Person diese Grundlagen entziehen, erscheint mir einfach nur absurd. Denn täte man das, gäbe es die Person schlicht nicht mehr.
Und ob die andere Person, die dann entstünde, sich freier fühlen würde, ist mE eine ziemlich uninteressante Frage. Wenn es aber interessant werden soll, dann müsste man mal genauer spezifizieren, was genau diese Person ist, was sie ausmacht, was ihre Grundlagen, ihre Meinungen, ihre Interessen, ihre Bedürfnisse etc. sind.
Wenn Du mir mein Gewissen, d.h. meine Fähigkeit dazu, abzuwägen, Interessen zu erkennen und zu beurteilen, mich in Bezug zu anderen zu setzen, meine Erfahrungen, meine Sozialisation, all das, worauf meine Fähigkeit, zu werten, basiert, nimmst, was bleibt dann von mir? Hört sich für mich erst mal absurd, nicht nachvollziehbar, an.
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1486272) Verfasst am: 15.06.2010, 23:25 Titel: |
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jagy hat folgendes geschrieben: | Ich weiß ehrlich gesagt nicht ganz, wie ich es noch genauer beschreiben sollte. Mit "ich hätte mich anders entscheiden können müssen" finde ich es eigentlich ziemlich treffend beschrieben. |
Ich aber nicht. Ich verstehe das schlicht nicht.
jagy hat folgendes geschrieben: | Wir müssen als Beispiel nicht das Studium mit einen langwierigen Informations- und Abwägungsprozess nehmen. Nehmen wir an, ich stehe beim Bäcke und überlege, ob ich eine Bretzel oder ein Brötchen kaufe. Ich überlege kurz und entscheide mich für die Bretzel. Hätte ich mich auch für das Brötchen entscheiden können, würde ich von Willensfreiheit sprechen. Ich glaube aber, ich hätte mich nicht anders entscheiden können. Die Summe aus meinen Genen, meinem Gehirn, meiner Sozialisation, meines konkreten Tagesablaufs und sonstigen Faktoren hat es mir aber tatsächlich unmöglich gemacht, eine andere Entscheidung zu treffen, als die, die ich tatsächlich getroffen habe. Deswegen glaube ich nicht an einen freien Willen. Alles ist ein - wenn auch fast unendlich großer - Zusammenhang von Ursache und Wirkung. |
Ja, aber, wenn es Dir wichtig wäre, Dich beliebig, ohne Rückgriff auf Deine Vorlieben, entscheiden zu können, dann hättest Du doch würfeln können? Oder ist es Dir gar nicht so wichtig, Dich gegen deine Vorlieben entscheiden zu können? Wärest Du verantwortlich für Deine Entscheidung gewesen, wenn Du gewürfelt hättest, (Dich entschieden hättest, zu würfeln und dann das zu tun, was der Würfel ergeben hätte)? Oder nur dann, wenn das kein normaler Würfel, sondern ein (indeterminierter) Quantenwürfel gewesen wäre? Aber wieso, was machte das für einen Unterschied: normaler Würfel oder Quantenwürfel?
Ich verstehe das wirklich nicht. Du bist mir eine Erklärung schuldig.
Wann bist Du also verantwortlich für eine Entscheidung / Handlung, wann hältst Du Dich selber für verantwortlich, wann akzeptierst Du, wenn andere Dir Verantwortung zuschreiben? Und wann nicht, wann hältst Du das für falsch? Was sind Deine Kriterien dafür?
Entscheidungsfreiheit / keine (übermäßige) Manipulation von Dritten, die Deinen Willen gekapert haben? Handlungsfreiheit / kein Zwang? Eine hinreichende Fähigkeit zu rationalen Entscheidungen / Überlegungen / Abwägungen? Würfel? Quantenwürfel? Nie in einer determinierten Welt? Falls Letzteres: wann genau würdest Du dann jemandem Verantwortung (und somit ggf. Schuld) zuweisen wollen in einer indeterminierten Welt)? Oder ist der Begriff 'Verantwortung' für Dich ein per se leerer, in keiner Welt logisch möglich?
Ist die Frage wirklich so schwer zu beantworten? Verstehst Du wirklich nicht, dass Du da was erklären musst, was keineswegs selbstevident ist, was nicht mit "ich hätte mich anders entscheiden können" dargestellt werden kann? Du hättest dich anders als was entscheiden können? Anders als für das, was Du eigentlich wolltest? Oder anders als für das, für was Du Dich letztlich entschieden hast? Was aber dann absolut nix mit Determinismus / Indeterminismus zu tun hat, sondern nur mit Logik. Wenn Du aber nun tatsächlich behaupten willst, ein 'echter' freier Wille sei kein Widerspruch zum Determinismus, sondern zur Logik: warum sagst Du das dann nicht auch mal so? Da könnte man doch dann mal anknüpfen.
Wie meinst Du es also?
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Waschmaschine777 auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 07.07.2008 Beiträge: 4007
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(#1486416) Verfasst am: 16.06.2010, 10:39 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben: | Sie handelt vielleicht falsch, aber sie handelt so. Die Ausgangsfrage war ja die, wo Schuld als "Folter" eingesetzt wird. Und in Frustrationssituationen ist das häufig der Fall. Man versucht andere durch Schuldvorwürfe leiden zu machen. |
Na schön. Die Mutter macht also ihrem Kind Vorwürfe, erzeugt in ihm Schuldgefühle, Minderwertigkeitskomplexe, die noch dadurch verstärkt werden, dass sich das Kind von der eigenen Mutter abgelehnt / ungeliebt fühlt.
Nehmen wir nun mal weiter an, jemand Außenstehendes, vielleicht Verwandte oder Freunde, bekämen das mit. Wie, meinst Du, würden sie reagieren? Würden sie sagen: 'ja, klar, natürlich, das Kind ist schuld, dass Du keine Karriere machen konntest, hey, Kind, Du bist schuld, schäme Dich'? Oder würden sie nicht doch vielleicht eher versuchen, der Mutter gut zuzureden, dass diese einsieht, dass sie das Kind nicht für ihre eigenen Entscheidungen verantwortlich machen kann? Welchem Verantwortungs- / Schuldbegriff also würden die meisten Deiner Ansicht nach wohl eher zustimmen? |
In diesem Fall wären Außenstehende der Meinung, dass die Mutter den Schuldvorwurf zu unrecht macht.
Aber wenn man ein anderes Beispiel nimmt: Ein Zwölfjähriger macht Unfug (Grill, Spiritus u.ä.), in dessen Verlauf sich seine Mutter schwere Verbrennungen im Gesicht zuzieht. Diese bleibt entstellt und macht fortan ihrem Sohn schwere Schuldvorwürfe. In diesem Fall würden viele Außenstehende das Vorgehen der Mutter nicht als ungerechtfertigt empfinden, da sie der Meinung wären den Sohn träfe Schuld, weil er als nicht mehr so junges Kind auch anders handeln hätte können.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1486489) Verfasst am: 16.06.2010, 13:43 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Wenn Du den indeterministischen Agenten in der Person annimmst (und nicht in der Außenwelt), könnte ich tatsächlich sagen: "Meine Entscheidung ist freier gewesen (= unterlag weniger Zwängen)". | Nö, ich denke ganau das Gegenteil: eine Entscheidung, die indeterminiert erfolgt, ist nicht meine Entscheidung, genau genommen ist das deswegen überhaupt keine Entscheidung, sondern es ist lediglich ein Impuls in mir. |
Der gesamte Entscheidungsvorgang ist derselbe, nur daß irgendwo ein zufälliger Schalter sitzt. Es ist also sehrwohl eine Entscheidung, allerdings mit einer Zufallsvariable. Von der Du möglicherweise nichtmal was merkst, da Du Dir natürlich einen Begründungskontext zu der Entscheidung bastelst.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Wobei es bei einem reinen Impuls mE überhaupt keine Rolle spielt, ob dieser determiniert oder indeterminiert entstanden ist. |
Da stimme ich zu.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Da, an genau dieser Stelle, besteht nun starker Begründungsbedarf für einen Inkompatibilisten, so er da einen Unterschied sieht. Worin sollte der also bestehen? |
Umgekehrt wird ein Schuh draus: Auch im Fall eines deterministischen Auslösers (z.B. Präferenz) ist es - wenn man schon so argumentiert - nur ein Impuls.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Nehmen wir mal an, diese Person unterläge plötzlich nicht mehr den Zwängen, die ihr Gewissen ihr auferlegt, also den Zwängen, konform zur geltenden oder anerzogenen Moral zu handeln. Sie würde sich dann freier (von moralischen Zwängen) verhalten. Manchmal nennt man das treffend "Willkür" oder "Unberechenbarkeit". Die Person würde sich aber nicht unbedingt freier fühlen, denn die meisten Menschen internalisieren moralische Zwänge und empfinden konforme Entscheidungen als präferent und damit freiwillig. |
Zu Letzterem: genau, so sehe ich das auch. Die meisten Menschen fühlen sich als Person, mit Merkmalen, die ihre Person ausmachen, als da sind: ihre Sozialisation, ihre Geschichte, ihre Werte / Bewertungen, ihre Überlegungen, ihre Meinungen etc. pp. Woraus sich nun mal auch ihr Gewissen ergibt, das, was sie für falsch und das, was sie für richtig halten. |
Soweit Zustimmung.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Das Gedankenexperiment, man könne einer Person diese Grundlagen entziehen, erscheint mir einfach nur absurd. Denn täte man das, gäbe es die Person schlicht nicht mehr. |
Warum sollte man in Gedankenexperimenten die Welt/Physik, nicht aber die Person ändern dürfen? - Egal, Du kannst Dir ja stattdessen auch eine zweite Person vorstellen, die weniger moralischen Zwängen unterliegt.
Ich möchte idZ nochmal auf den psychologischen Schuldbegriff zurückkommen, also Schuld = Schuldgefühl. Eine Person mit weniger moralischen Zwängen, die deterministisch präferent aber nichtkonform handelt, trägt ja keine psychologische Schuld. Sie weiß zwar u.U., daß sie nichtkonform handelt, aber andere Präferenzen sind stärker und sie hat bei der Abwägung der Tat kein Schuldgefühl.
Ein Vertreter deterministisch präferenten Entscheidens muß an dieser Stelle mE Schwierigkeiten mit der Begründung von Schuld und vergeltender Strafe bekommen, egal ob er die determinierten Präferenzen nun Freierwille nennt oder nicht, also egal ob er Kompatibilist ist oder nicht.
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1487266) Verfasst am: 17.06.2010, 21:11 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Wenn Du den indeterministischen Agenten in der Person annimmst (und nicht in der Außenwelt), könnte ich tatsächlich sagen: "Meine Entscheidung ist freier gewesen (= unterlag weniger Zwängen)". | Nö, ich denke ganau das Gegenteil: eine Entscheidung, die indeterminiert erfolgt, ist nicht meine Entscheidung, genau genommen ist das deswegen überhaupt keine Entscheidung, sondern es ist lediglich ein Impuls in mir. |
Der gesamte Entscheidungsvorgang ist derselbe, nur daß irgendwo ein zufälliger Schalter sitzt. Es ist also sehrwohl eine Entscheidung, allerdings mit einer Zufallsvariable. Von der Du möglicherweise nichtmal was merkst, da Du Dir natürlich einen Begründungskontext zu der Entscheidung bastelst. |
Ah, so meinst Du das. Das hatte ich dann falsch verstanden, wohl, weil Du von einem 'Agenten' sprachst, (worunter ich ein rational handelndes Wesen verstehe).
Wenn hier die letztliche Entscheidung durch die Person getroffen wird, stimme ich zu. Mit anderen Worten: wenn meine Entscheidungen durch zufällige Einflüsse beeinflusst werden, (egal, ob 'echt' zufällig oder nicht), dann bedeutet das noch nicht per se eine Freiheitseinschränkung nach meinem Begriff von Freiheit. Weil die Person sowieso nicht alle Einflüsse überschauen kann, das ist mE prinzipiell unmöglich. Ein indeterminierter Faktor bedeutet aber eben auch nicht schon per se eine Freiheitserhöhung und das war ja mein Punkt hier, darauf zielte meine Frage ab.
Eigentlich wollte ich hier auf folgendes hinaus: wenn die letztliche Entscheidung durch Zufallsfaktoren erzeugt wurde, (ohne dass die noch revidiert werden könnte, man also irgendwie daran unausweichlich gebunden wäre - wobei dieses 'Revidieren' mAn eine hinreichende Fähigkeit zur Reflexion voraussetzt und die kann nicht indeterminiert ablaufen - weil das nämlich 'völlig beliebig' bedeutete), dann kann es (nach meinem Begriff von 'Entscheidung') keine Entscheidung sein. Dann würde ich das daraus folgende nur 'Verhalten' nennen und nicht 'Handlung'.
Diejenige Art von Zufall, die ich nicht per se als Freiheitseinschränkung ansehen würde, würde ich nicht 'Agent (in mir)' nennen wollen. Die würde ich schlicht 'Faktor' nennen.
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Da, an genau dieser Stelle, besteht nun starker Begründungsbedarf für einen Inkompatibilisten, so er da einen Unterschied sieht. Worin sollte der also bestehen? |
Umgekehrt wird ein Schuh draus: Auch im Fall eines deterministischen Auslösers (z.B. Präferenz) ist es - wenn man schon so argumentiert - nur ein Impuls. |
Nun, dann verstehe ich unter 'Impuls' anscheinend auch etwas anderes als Du. Ein Impuls ist für mich ein plötzlicher, unvorhergesehener, unwillkürlicher Gedanke, der 'einfach so' (ohne für mich erkennbaren Zusammenhang) entsteht. Zum Beispiel: ich habe plötzlich Lust auf saure Gurken. Unter einer Präferenz hingegen verstehe ich etwas Längerfristiges, (aber nicht unbedingt 'Ewiges', 'Unveränderliches'), etwas, das mich als Person erst ausmacht, z.B. eine Meinung, eine Einstellung, eine Vorliebe.
'Impulse' sehe ich nicht per se als Freiheitseinschränkung an, wenn a) ich nicht diesem Impuls nachgeben muss, ihn verwerfen kann und b) diese Impulse nicht überhand nehmen, zu viele werden.
Beispiele: jemand möchte eine Zigarette rauchen, es überkommt ihn die Lust, zu rauchen. Wenn er nun gleichzeitig sagte: 'wenn ich wollte, müsste ich nicht rauchen, ich könnte jederzeit aufhören' und ich aber auch sehe, dass er jedesmal diesem Impuls nachgibt, dann würde ich das als unfrei einordnen und seine Behauptung als Selbsttäuschung / Schutzbehauptung einordnen. Oder nehmen wir an, jemand würde unter Waschzwang leiden. Er hätte also den ganzen Tag immer wieder in kurzen Abständen den plötzlichen Gedanken, seine Hände seien schmutzig und müssten jetzt gewaschen werden. Auch das würde ich als Freiheitseinschränkung ansehen, auch dann, wenn er diesem Gedanken nicht immer oder auch nie nachkommt.
Nun ist meine Frage immer noch offen: ein Inkompatibilist behauptet ja, dass Indeterminismus, also irgend ein indeterminierter Vorgang irgendwo eine notwendige Voraussetzung für eine freie Entscheidung sei. Nun bedeutet 'notwendig' nicht 'hinreichend', d.h. ein beliebiger indeterminierter Vorgang muss noch nicht für Freiheit reichen, aber falls nicht, dann muss noch etwas hinzukommen, ein zusätzliches Kriterium. Und was das sein könnte, wie man sich das vorstellen kann: das würde ich gerne mal wissen wollen. Ein Inkompatibilist muss einen Freiheitsbegriff skizzieren können, der plausiblerweise mehr beinhaltet als der Freiheitsbegriff der Kompatibilisten. Und außerdem muss dieser Freiheitsbegriff noch als unverzichtbare Komponente mindestens einen indeterminierten Prozess beinhalten, denn darauf beruht ja letztlich die Einstellung des Inkompatibilisten, er behauptet ja: Determinismus und Freiheit seien unvereinbare Gegensätze.
Wäre er ein Impossibilist, würde er also Freiheit als per se logisch unmögliches Konzept ansehen, dann wäre es unredlich von ihm, mit Determinismus zu argumentieren, dann wäre sein Inkompatibilismus nur vorgeschoben, seine eigentliche Einstellung verschleiernd. Denn Determinismus / Indeterminismus spielte in einem sowieso logisch unmöglichen Konzept schlicht keine Rolle. Ein Impossibilist hat's da einfacher: der definiert einfach Freiheit mal schnell so, dass sie logisch unmöglich wird, er sagt also zum Beispiel: a) 'Freiheit' bedeute notwendigerweise 'Unabhängigkeit von allem' und b) ein 'Wille' müsse abhängig von der Person / deren Persönlichkeit sein, um überhaupt als 'Wille' gelten zu können. Und da dabei nun sich a) (= völlige unbedingte absolute Unabhängigkeit von allem) und b) (Abhängigkeit von der Person) schlicht widersprechen, also per se logisch unmöglich vereinbar sind, ist damit der Käse gegessen. Bzw. dann kann man sich auf Frage konzentrieren, ob und inwiefern diese Auffassung plausibel / verständlich / allgemein einsichtig ist. Bzw.: er könnte auch Gründe / Argumente für seine Ansicht vorbringen, wieso er also das glaubt, was er behauptet.
Aber der harte Determinist (für die eventuellen Mitleser: ein 'harter Determinist' ist jemand, der eine Unvereinbarkeit von Willensfreiheit und Determinismus behauptet) hat's erst mal schwerer als der Impossibilist: er muss einen plausiblen, logisch möglichen Begriff von 'Freiheit' vorweisen können, der einem Determinismus widerspricht und in einer hypothetischen indeterminierten Welt logisch möglich ist. Kann er das nicht, dann hat er verloren, dann ist seine Argumentation mit dem Determinismus offensichtlich nur ein red herring.
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Das Gedankenexperiment, man könne einer Person diese Grundlagen entziehen, erscheint mir einfach nur absurd. Denn täte man das, gäbe es die Person schlicht nicht mehr. |
Warum sollte man in Gedankenexperimenten die Welt/Physik, nicht aber die Person ändern dürfen? - Egal, Du kannst Dir ja stattdessen auch eine zweite Person vorstellen, die weniger moralischen Zwängen unterliegt. |
Gut, ich stelle mir also zwei unterschiedliche Personen vor und formuliere die Frage wie folgt:
Ist eine Person, die für sie unverständliche, lediglich internalisierte Moralvorstellungen hat, die sie nicht erkennen und daher auch nicht überdenken kann, freier als eine Person, die ihre Moralvorstellungen erkennt, einer Prüfung unterzieht und sie daraufhin akzeptiert (oder auch verwirft)?
Und meine Antwort darauf ist: nein, die zweite Person wäre meiner Ansicht nach freier als die erste Person.
Nun gut, das war zugegebenermaßen wohl nicht Deine Frage. Könntest Du sie bitte nochmal neu formulieren.
Übrigens stimme ich gar nicht Deiner impliziten Behauptung zu, jede persönliche Moral / persönliche Wertvorstellung / moralische Einstellung (wie auch immer man das nennen will) sei schon per se ein Zwang. Ich sehe nicht, woraus das folgen könnte.
Unter 'Zwang' verstehe ich, mal grob gesagt, folgendes: Umstände / Faktoren, die mich dabei hindern, das zu tun, was ich will oder die mich daran hindern, erkennen zu können, wie ich meine Ziele erreichen kann. Oder die mich daran hindern, meine Ziele abzuwägen, zu justieren. Rational zu überlegen. Oder auch meinen Intuitionen zu folgen. Oder die mich daran hindern, meine Ziele zu erreichen.
Alleine den Fakt, dass ich als Person existiere und somit notwendigerweise Merkmale habe, die mich als Person erst zu einer Person machen, sehe ich jedoch nicht als Zwang an.
step hat folgendes geschrieben: | Ich möchte idZ nochmal auf den psychologischen Schuldbegriff zurückkommen, also Schuld = Schuldgefühl. Eine Person mit weniger moralischen Zwängen, die deterministisch präferent aber nichtkonform handelt, trägt ja keine psychologische Schuld. Sie weiß zwar u.U., daß sie nichtkonform handelt, aber andere Präferenzen sind stärker und sie hat bei der Abwägung der Tat kein Schuldgefühl.
Ein Vertreter deterministisch präferenten Entscheidens muß an dieser Stelle mE Schwierigkeiten mit der Begründung von Schuld und vergeltender Strafe bekommen, egal ob er die determinierten Präferenzen nun Freierwille nennt oder nicht, also egal ob er Kompatibilist ist oder nicht. |
Nach meinem Begriff von 'Schuld' gibt es folgende zwei Voraussetzungen für die Zuweisung von Schuld: a) der mutmaßliche Delinquent hat im Wissen um seinen Normverstoß gehandelt, es war ihm also bewusst war, dass er eine Handlung beabsichtigte, die gesellschaftlich mit einer Sanktion belegt ist und b) er war hinreichend dazu fähig, seine Handlung zu steuern / kontrollieren.
a) ist nun Deine Voraussetzung hier, (er weiß es). Wenn nun auch noch b) zutrifft, dann wäre er zumindest schuldig im Sinne des juristischen Schuldbegriffes. Eine psychologische Schuld mag zwar nun etwas anderes sein, (jemand kann sich auch dann schuldig fühlen, wenn er juristisch nicht belangt werden kann), aber mein persönlicher Schuldbegriff ist dann wohl eher an den juristischen angelehnt als an den, den Du für den psychologischen hältst. Wenn jemand einfach nur skrupellos ist, es ihm schlicht egal ist, was er anrichtet, dann spricht alleine das ihn nach meinem Verständnis noch nicht frei von Schuld.
Wenn aber jemand nicht unter meine beiden oben genannten Kriterien fällt, dann hätte er meiner Auffassung nach keine Schuld und dann würde ich eher versuchen, ihm seine eventuellen Schuldgefühle auszureden. (Beispiel: jemand wird kriminell. Seine Eltern machen sich daraufhin Vorwürfe, fühlen sich (mit-)schuldig).
Wie ich selber in einer solchen Situation reagieren würde, die zwar keinen juristischen Schuldvorwurf erlaubt, die aber dennoch Selbstvorwürfe hervorrufen kann, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Mag sein, dass meine Rationalität dann am Ende wäre und meine Gefühle die Überhand gewinnen, ohne dass ich mich dagegen wehren kann, ohne dass mich meine eigene Rationalität überzeugen könnte. Für so frei, dass mir das nicht passieren könnte, halte ich mich nicht.
Aber das hat, wie gesagt, wohl eher weniger mit dem zu tun, was Du anscheinend unter 'psychologischer Schuld' verstehst. Jemand, der weiß, was er tut, das mit Wissen um die Folgen tut, der die Auswirkungen seiner Handlung abschätzen und diese auch steuern kann, dem es aber einfach nur schlicht gleichgültig ist: ja, den würde ich für verantwortlich halten, Rechenschaft von ihm verlangen.
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(#1487693) Verfasst am: 18.06.2010, 19:50 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | jemand möchte eine Zigarette rauchen, es überkommt ihn die Lust, zu rauchen. Wenn er nun gleichzeitig sagte: 'wenn ich wollte, müsste ich nicht rauchen, ich könnte jederzeit aufhören' und ich aber auch sehe, dass er jedesmal diesem Impuls nachgibt, dann würde ich das als unfrei einordnen und seine Behauptung als Selbsttäuschung / Schutzbehauptung einordnen. Oder nehmen wir an, jemand würde unter Waschzwang leiden. Er hätte also den ganzen Tag immer wieder in kurzen Abständen den plötzlichen Gedanken, seine Hände seien schmutzig und müssten jetzt gewaschen werden. Auch das würde ich als Freiheitseinschränkung ansehen, auch dann, wenn er diesem Gedanken nicht immer oder auch nie nachkommt. |
Bleiben wir mal beim Süchtigen. Entweder man interpretiert das akute Rauchen als die akute Präferenz des Rauchers, dann hätte man ein Problem, hier einen Zwang zu begründen und Du müßtest ihn als frei in Deinem Sinne ansehen. Oder man interpretiert es so, daß der Raucher eigentlich (reflektiert) nicht rauchen will, das aber nicht schafft. Dann steht er unter einem Zwang, und seine Handlungsfreiheit ist eingeschränkt, denn er kann ja nicht präferent handeln.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Nun ist meine Frage immer noch offen: ein Inkompatibilist behauptet ja, dass Indeterminismus, also irgend ein indeterminierter Vorgang irgendwo eine notwendige Voraussetzung für eine freie Entscheidung sei. |
:seufz: Nochmal - ein Inkompatibilist (oder jedenfalls ich) leugnet nicht die Unvereinbarkeit von Determinismus mit jeder Art von Freiheit. So hält er z.B. eine Freiheit für kompatibel, die wir im allgemeinen als Handlungsfreiheit bezeichnen, also daß wir zuweilen gemäß unserer Präferenzen (entscheiden und) handeln. Hier ist klar, wovon die Situation frei ist, nämlich sie ist frei von die präferente Handlung verhindernden Umständen.
Behauptet wird nur, daß es keine wesentliche Freiheit darüberhinaus gebe (die sogenannte Willensfreiheit), und daß eine solche, gäbe es sie, entweder einen Indeterminismus erforderte oder eine metaphysische Letztursache. Dass der Indeterminismus nicht wirklich das befriedigen würde, was man sich als Freiheit intuitiv wünscht, steht außer Frage.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Nun gut, das war zugegebenermaßen wohl nicht Deine Frage. Könntest Du sie bitte nochmal neu formulieren. |
Kein Problem: Eine Person, der enge Moralvorstellungen anerzogen wurden, wird diese i.a. auch reflektiert bejahen. Sie unterliegt aber objektiv gesehen stärkeren Zwängen als eine Person, die weniger oder liberalere Moralvorstellungen eingeprägt bekommen hat. Letztere wäre demnach nach Deiner Definition freier. Oder?
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Übrigens stimme ich gar nicht Deiner impliziten Behauptung zu, jede persönliche Moral / persönliche Wertvorstellung / moralische Einstellung (wie auch immer man das nennen will) sei schon per se ein Zwang. Ich sehe nicht, woraus das folgen könnte. |
Der Zwang ensteht durch die Manipulation, etwa im Rahmen der Erziehung oder durch die Kommunikation der Erwartung Anderer.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Unter 'Zwang' verstehe ich, mal grob gesagt, folgendes: Umstände / Faktoren, die mich dabei hindern, das zu tun, was ich will oder die mich daran hindern, erkennen zu können, wie ich meine Ziele erreichen kann. Oder die mich daran hindern, meine Ziele abzuwägen, zu justieren. Rational zu überlegen. Oder auch meinen Intuitionen zu folgen. Oder die mich daran hindern, meine Ziele zu erreichen. |
Oder die meine Ziele so justieren, daß ich sie erreichen will.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Wohnort: Germering
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(#1487694) Verfasst am: 18.06.2010, 19:51 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Ich möchte idZ nochmal auf den psychologischen Schuldbegriff zurückkommen, also Schuld = Schuldgefühl. Eine Person mit weniger moralischen Zwängen, die deterministisch präferent aber nichtkonform handelt, trägt ja keine psychologische Schuld. Sie weiß zwar u.U., daß sie nichtkonform handelt, aber andere Präferenzen sind stärker und sie hat bei der Abwägung der Tat kein Schuldgefühl.
Ein Vertreter deterministisch präferenten Entscheidens muß an dieser Stelle mE Schwierigkeiten mit der Begründung von Schuld und vergeltender Strafe bekommen, egal ob er die determinierten Präferenzen nun Freierwille nennt oder nicht, also egal ob er Kompatibilist ist oder nicht. |
Nach meinem Begriff von 'Schuld' gibt es folgende zwei Voraussetzungen für die Zuweisung von Schuld: a) der mutmaßliche Delinquent hat im Wissen um seinen Normverstoß gehandelt, es war ihm also bewusst war, dass er eine Handlung beabsichtigte, die gesellschaftlich mit einer Sanktion belegt ist und b) er war hinreichend dazu fähig, seine Handlung zu steuern / kontrollieren.
a) ist nun Deine Voraussetzung hier, (er weiß es). Wenn nun auch noch b) zutrifft, dann wäre er zumindest schuldig im Sinne des juristischen Schuldbegriffes. |
Ja, der juristische Schuldbegriff ignoriert eben den psychologischen Schuldbegriff. Weil der psych. Schuldbegriff dazu führen würde, daß jemand, der sich schuldig fühlt, schuldiger wäre als jemand, der sich nicht schuldig fühlt, etwa weil er weniger Empathie hat oder weniger moralisch erzogen wurde. Der jur. Schuldbegriff bestraft eine determinierte Präferenz (unter bestimmten Umständen, z.B. Handlungsfreiheit und Wissen).
Mein Haupteinwand ist allerdings, daß b) nicht gilt: Durch den Zustand seiner Präferenz war er ja eben nicht dazu fähig, seine Handlung zu steuern, jedenfalls nicht, sie in eine andere Richtung zu steuern. Wir glauben das nur fälschlicherweise aufgrund unseres intuitiv libertaristischen Selbstmodells. Ein System erkennen wir nicht, weil sich Andere in ähnlichen Situationen konform verhalten und weil die genauen Ursachen oft zu komplex sind.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Eine psychologische Schuld mag zwar nun etwas anderes sein, (jemand kann sich auch dann schuldig fühlen, wenn er juristisch nicht belangt werden kann), aber mein persönlicher Schuldbegriff ist dann wohl eher an den juristischen angelehnt als an den, den Du für den psychologischen hältst. |
Ja, und so kann jemand juristisch belangt werden, obwohl er sich gar nicht schuldig fühlt.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Wenn jemand einfach nur skrupellos ist, es ihm schlicht egal ist, was er anrichtet, dann spricht alleine das ihn nach meinem Verständnis noch nicht frei von Schuld. |
Das sehe ich anders. Man kann ihm maximal unerwünschtes Verhalten attestieren. Wie soll er sich denn anders verhalten als nach seinen verkorksten Präferenzen? Das geht doch nur, wenn wir ihn zwingen, gegen seine Präferenzen zu handeln, oder wenn wir seine Präferenzen ändern. Vergeltende Strafe ist dadurch nicht gerechtfertigt, im Gegenteil könnte man argumentieren, daß wir beim Verhindern der Straftat gepatzt haben.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Jemand, der weiß, was er tut, das mit Wissen um die Folgen tut, der die Auswirkungen seiner Handlung abschätzen und diese auch steuern kann, dem es aber einfach nur schlicht gleichgültig ist: ja, den würde ich für verantwortlich halten, Rechenschaft von ihm verlangen. |
Was, wenn er glaubhaft argumentiert, ihm fehle es an Empathie und Moral?
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(#1487794) Verfasst am: 18.06.2010, 22:13 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | jemand möchte eine Zigarette rauchen, es überkommt ihn die Lust, zu rauchen. Wenn er nun gleichzeitig sagte: 'wenn ich wollte, müsste ich nicht rauchen, ich könnte jederzeit aufhören' und ich aber auch sehe, dass er jedesmal diesem Impuls nachgibt, dann würde ich das als unfrei einordnen und seine Behauptung als Selbsttäuschung / Schutzbehauptung einordnen. [...] |
Bleiben wir mal beim Süchtigen. Entweder man interpretiert das akute Rauchen als die akute Präferenz des Rauchers, dann hätte man ein Problem, hier einen Zwang zu begründen und Du müßtest ihn als frei in Deinem Sinne ansehen. Oder man interpretiert es so, daß der Raucher eigentlich (reflektiert) nicht rauchen will, das aber nicht schafft. Dann steht er unter einem Zwang, und seine Handlungsfreiheit ist eingeschränkt, denn er kann ja nicht präferent handeln. |
Ja, na klar. Aber für Frage nach der Willensfreiheit halte ich die von mir aufgeworfene Frage interessanter, nämlich den Fall, dass er, (meiner Ansicht nach), fälschlich der Überzeugung ist, er könnte jederzeit aufhören, seine Handlungen aber seine Behauptungen Lügen strafen. Das wäre dann ein Beispiel für jemanden, der sich selber für (diesbezüglich) frei hielte, das aber meiner Meinung nach zu Unrecht.
step hat folgendes geschrieben: | :seufz: Nochmal - ein Inkompatibilist (oder jedenfalls ich) leugnet nicht die Unvereinbarkeit von Determinismus mit jeder Art von Freiheit. So hält er z.B. eine Freiheit für kompatibel, die wir im allgemeinen als Handlungsfreiheit bezeichnen, also daß wir zuweilen gemäß unserer Präferenzen (entscheiden und) handeln. Hier ist klar, wovon die Situation frei ist, nämlich sie ist frei von die präferente Handlung verhindernden Umständen.
Behauptet wird nur, daß es keine wesentliche Freiheit darüberhinaus gebe (die sogenannte Willensfreiheit), und daß eine solche, gäbe es sie, entweder einen Indeterminismus erforderte oder eine metaphysische Letztursache. Dass der Indeterminismus nicht wirklich das befriedigen würde, was man sich als Freiheit intuitiv wünscht, steht außer Frage. |
Was 'man', (zumindest ich), sich an Freiheit (mehr oder weniger intuitiv) wünscht, ist folgendes:
Willensfreiheit 3: Das Marionettentheater hat folgendes geschrieben: | Richard Carrier hat etwas Wichtiges zu sagen:
"Es ist zentral für unser Selbstverständnis, dass wir keine Puppen sind; dass wir unser Schicksal durch die Entscheidungen, die wir treffen, kontrollieren; dass wir uns verändern können; dass wir uns entschließen können, sorgfältig durchdachte, anstelle von irrationalen oder gedankenlosen Entscheidungen zu treffen; dass wir keine Sklaven unserer Emotionen sind; dass wir über die Umstände hinauswachsen können, in die wir hineingeboren wurden; dass wir uns deshalb korrigieren und verbessern und aus schlechten Umständen entkommen können; dass unsere Emotionen uns gehören und niemandem sonst; dass unsere Handlungen unsere Persönlichkeit demonstrieren; dass wir verantwortlich sind für die Entscheidungen, die wir treffen; und so weiter. Und doch: Jeder einzelne Eintrag auf dieser Liste ist wahr. CCF [der kontra-kausale/libertarische freie Wille] hat tatsächlich nichts mit all dem zu tun." |
Und dazu kann nun weder ein CCF etwas beitragen, (jedenfalls sehe ich nicht, inwiefern, darauf basierte ja meine Frage, sowas behauptet ein Inkomptibilist ja anscheinend, das muss er aber auch zeigen können), noch ist das mit einem simplen Verweis auf Handlungsfreiheit erledigt, denn diese bedeutet gemeinhin nun mal schlicht: tun können, was man will, (egal, was das ist und woher das kommt).
Nun nennt zwar MSS zum Beispiel diese Art von Freiheit 'innere Handlungsfreiheit', aber das widerspricht sehr meinem Sprachgefühl, denn ich 'handle' nicht 'innen'. 'Innen' überlege und entscheide ich. Ich mag mich dem daher nicht anschließen. Nennen wir es vielleicht 'Entscheidungsfreiheit', damit könnte ich mich anfreunden.
Aber ich halte das nach wie vor für eine wesentliche Freiheit, die über das hinausgeht, was man gemeinhin unter 'Handlungsfreiheit' versteht.
Was mich nun sehr stört, ist Deine implizite, lediglich behauptete, aber nicht belegte Dichotomie: entweder gibt es CCF-Willensfreiheit oder es gibt nur Handlungsfreiheit. Meiner Ansicht nach gibt es diese Dichotomie aber gar nicht, man kann mE auch abseits eines per se in sich unlogischen CCF-Freien-Willens sinnvoll von Kontrolle, Selbstkontrolle und somit von (gradueller) Entscheidungsfreiheit sprechen. Und die ist etwas anderes als schlichte Handlungsfreiheit, auch der 'glückliche Sklave', dem es schlicht an Erkenntnisfähigkeit seiner Situation mangelt, kann dennoch hochgradige Handlungsfreiheit haben.
Wenn Du behauptest, Indeterminismus sei notwendige Grundvoraussetzung für eine wünschenswerte Freiheit, dann musst Du das belegen, irgendwie plausibel machen können. Es reicht ja nicht, wenn Du immerfort nur behauptest, die meisten anderen würden das angeblich glauben, das sei einfach so und Du hättest alleine deswegen recht, weil Du das glaubst. Ich glaube das nämlich nicht.
step hat folgendes geschrieben: | Eine Person, der enge Moralvorstellungen anerzogen wurden, wird diese i.a. auch reflektiert bejahen. Sie unterliegt aber objektiv gesehen stärkeren Zwängen als eine Person, die weniger oder liberalere Moralvorstellungen eingeprägt bekommen hat. Letztere wäre demnach nach Deiner Definition freier. Oder? |
Nein, das käme, wie oben schon gesagt, darauf an, inwieweit diese Personen dazu in der Lage sind, diese Moralvorstellungen zu erkennen und sie zu reflektieren, sie anzunehmen oder zu verwerfen.
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Übrigens stimme ich gar nicht Deiner impliziten Behauptung zu, jede persönliche Moral / persönliche Wertvorstellung / moralische Einstellung (wie auch immer man das nennen will) sei schon per se ein Zwang. Ich sehe nicht, woraus das folgen könnte. |
Der Zwang ensteht durch die Manipulation, etwa im Rahmen der Erziehung oder durch die Kommunikation der Erwartung Anderer. |
Eine Manipulation oder gar Erziehung an sich sehe ich nicht per se als Zwang an. Sobald man nämlich erkennt, worauf das hinausläuft, verliert der Zwang seine Wirkung. Erkennt man eine Manipulation aber nicht, meint man gar, man habe einen bestimmten Willen selber entwickelt, der jedoch tatsächlich von außen induziert wurde, um den Interessen anderer zu dienen, die den eigenen widersprechen, wenn man einen Schritt beiseite träte und das betrachtete: dann ist Manipulation Zwang.
Und Erziehung kann zu Selbstständigkeit führen, genau genommen würde ich das auch als wesentliches Ziel von Erziehung ansehen. Dass Erziehung oft auch anders abläuft, manipulativ, lediglich auf die Interessen anderer, aber nicht des Zöglings ausgerichtet, ist unbestritten. Oder man kann auch 'nur das Beste für den anderen' wollen und dennoch nicht das Richtige machen, was auch Manipulation wäre. Es erscheint mir nur wenig plausibel, daraus schließen zu wollen, Erziehung sei immer in diesem Sinne manipulativ. Oder aber Du verstehst unter 'Manipulation' mal wieder etwas anderes als ich, anscheinend wohl das: jegliche soziale Interaktion sei automatisch Manipulation. Das erscheint mir aber wenig sinnvoll, das würde alles zu einem unterschiedlosen Brei zusammenrühren.
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Unter 'Zwang' verstehe ich, mal grob gesagt, folgendes: Umstände / Faktoren, die mich dabei hindern, das zu tun, was ich will oder die mich daran hindern, erkennen zu können, wie ich meine Ziele erreichen kann. Oder die mich daran hindern, meine Ziele abzuwägen, zu justieren. Rational zu überlegen. Oder auch meinen Intuitionen zu folgen. Oder die mich daran hindern, meine Ziele zu erreichen. |
Oder die meine Ziele so justieren, daß ich sie erreichen will. |
Ja, richtig, der glückliche Sklave zum Beispiel, der, würde man ihn aufklären über seine Situation, diese eventuell in einem ganz anderen Licht betrachten würde.
Zuletzt bearbeitet von AgentProvocateur am 18.06.2010, 22:54, insgesamt 2-mal bearbeitet |
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(#1487803) Verfasst am: 18.06.2010, 22:29 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Nach meinem Begriff von 'Schuld' gibt es folgende zwei Voraussetzungen für die Zuweisung von Schuld: a) der mutmaßliche Delinquent hat im Wissen um seinen Normverstoß gehandelt, es war ihm also bewusst war, dass er eine Handlung beabsichtigte, die gesellschaftlich mit einer Sanktion belegt ist und b) er war hinreichend dazu fähig, seine Handlung zu steuern / kontrollieren.
a) ist nun Deine Voraussetzung hier, (er weiß es). Wenn nun auch noch b) zutrifft, dann wäre er zumindest schuldig im Sinne des juristischen Schuldbegriffes. |
Ja, der juristische Schuldbegriff ignoriert eben den psychologischen Schuldbegriff. Weil der psych. Schuldbegriff dazu führen würde, daß jemand, der sich schuldig fühlt, schuldiger wäre als jemand, der sich nicht schuldig fühlt, etwa weil er weniger Empathie hat oder weniger moralisch erzogen wurde. Der jur. Schuldbegriff bestraft eine determinierte Präferenz (unter bestimmten Umständen, z.B. Handlungsfreiheit und Wissen). |
Mein psychologischer Schuldbegriff ist dann schlicht ein anderer als Deiner. Wenn z.B. jemand absichtlich in ein Hochhaus fliegt, dann halte ich ihn für schuld an der daraus folgenden Katastrophe. Sofern die beiden von mir genannten Kriterien zutreffen. Ich halte es für diese Zuweisung aber nicht für erforderlich, dass er selber sich danach Selbstvorwürfe machen muss oder sein Handeln für unrechtrechtmäßig halten muss.
step hat folgendes geschrieben: | Mein Haupteinwand ist allerdings, daß b) nicht gilt: Durch den Zustand seiner Präferenz war er ja eben nicht dazu fähig, seine Handlung zu steuern, jedenfalls nicht, sie in eine andere Richtung zu steuern. Wir glauben das nur fälschlicherweise aufgrund unseres intuitiv libertaristischen Selbstmodells. Ein System erkennen wir nicht, weil sich Andere in ähnlichen Situationen konform verhalten und weil die genauen Ursachen oft zu komplex sind. |
Nein, wir können unsere Handlungen steuern. Abschätzen, was aus ihnen erfolgen könnte und daraufhin abwägen, was wir tun. Wenn Du in diesem Zusammenhang etwas anderes unter 'steuern' verstehst, dann weiß ich nicht, was. Wenn jemand etwas absichtlich tut, im besten Wissen und Gewissen, weiß, was daraus folgen / sich ergeben könnte, (bzw. sich sehr wahrscheinlich ergibt), dann würde ich das als absichtliche Handlung klassifizieren. (Obgleich das genau genommen wohl eine Art Pleonasmus ist, denn tut jemand etwas nicht absichtlich, dann würde man wohl eher 'Verhalten' sagen. Zum Beispiel ist ein unwillkürliches Zucken keine Handlung.)
Und auch, (wie sollte es anders sein), verstehen wir offensichtlich unter 'Fähigkeit' etwas Unterschiedliches. Jemand, der Klavier spielen kann, hat die Fähigkeit, Klavier zu spielen. Wenn es nun gerade kein Klavier weit und breit gibt, dann kann er jetzt nicht seine Fähigkeit ausüben. Aber das ändert nichts an seiner Fähigkeit, alleine deswegen verliert er sie nicht.
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Eine psychologische Schuld mag zwar nun etwas anderes sein, (jemand kann sich auch dann schuldig fühlen, wenn er juristisch nicht belangt werden kann), aber mein persönlicher Schuldbegriff ist dann wohl eher an den juristischen angelehnt als an den, den Du für den psychologischen hältst. |
Ja, und so kann jemand juristisch belangt werden, obwohl er sich gar nicht schuldig fühlt. |
Ja, aber wieso sollte man denn eigentlich den obigen Menschen, der mit voller Absicht in ein Hochhaus geflogen ist, (und, nehmen wir mal an, irgendwie selber überlebt hat), und danach kein Unrechtsbewusstein hat, für weniger schuldig halten sollen als jemanden, dem die gleiche Handlung nachträglich furchtbar leid tut und der Gewissensbisse hat? Jedenfalls nach meinem Begriff von 'Schuld' wäre nicht lediglich Letzterer an dem Desaster schuld und Ersterer nicht. Und ich glaube nicht, dass mein Begriff von 'Schuld' ein Ungebräuchlicher ist.
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Wenn jemand einfach nur skrupellos ist, es ihm schlicht egal ist, was er anrichtet, dann spricht alleine das ihn nach meinem Verständnis noch nicht frei von Schuld. |
Das sehe ich anders. Man kann ihm maximal unerwünschtes Verhalten attestieren. Wie soll er sich denn anders verhalten als nach seinen verkorksten Präferenzen? Das geht doch nur, wenn wir ihn zwingen, gegen seine Präferenzen zu handeln, oder wenn wir seine Präferenzen ändern. Vergeltende Strafe ist dadurch nicht gerechtfertigt, im Gegenteil könnte man argumentieren, daß wir beim Verhindern der Straftat gepatzt haben. |
Was in meiner Nomenklatur bedeutete: wenn jemand in ein Hochhaus fliegt, sind 'wir' daran schuld. Aber das ist mE schlicht absurd, das ist vielleicht der Punkt, den ich am wenigsten verstehe bei Deiner Ansicht. 'Wir' (weder als Individuen, noch als 'Superindividuum') können nicht an allem schuld sein, nicht für alles verantwortlich. Du leugnest Verantwortung und Schuld eines Individuums und schaffst Dir als Ausgleich, um nicht in Fatalismus verfallen zu müssen, so eine Art 'Superindividuum'. Aber sowas existiert mE schlicht nicht. Es gibt nur Individuen und Zusammenschlüsse von Individuen. Und jede Gesellschaft besteht aus Individuen, das ignorieren zu wollen erscheint mir, wie gesagt, absurd. Wenn die Individuen selber nicht handeln können, dann kann es die Gesellschaft auch nicht, denn als solche, für sich genommen, als eigenständige Entität, existiert sie nicht. Nur als Zusammenschluss von Individuen: 'Gesellschaft' bezeichnet etwas Abstraktes, nicht etwas Konkretes, ein Ding oder gar eine Person, die als solche handeln könnte.
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Jemand, der weiß, was er tut, das mit Wissen um die Folgen tut, der die Auswirkungen seiner Handlung abschätzen und diese auch steuern kann, dem es aber einfach nur schlicht gleichgültig ist: ja, den würde ich für verantwortlich halten, Rechenschaft von ihm verlangen. |
Was, wenn er glaubhaft argumentiert, ihm fehle es an Empathie und Moral? |
Wie gesagt: solange seine Handlung meinen oben genannten Kriterien entspricht, dann würde ich ihn für verantwortlich halten. Und diesen Kriterien widerspricht nicht schon eine simple Rücksichtslosigkeit. Wenn es aber darüber hinausginge, wenn er z.B. gar nicht in der Lage dazu wäre, erkennen zu können, was er da eigentlich tut und was das für andere bedeutet, dann fiele das unter meinen Punkt a).
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(#1487959) Verfasst am: 19.06.2010, 12:40 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Mein psychologischer Schuldbegriff ist dann schlicht ein anderer als Deiner. |
Ich bezog mich auf den Schuldbegriff der Psychologie: http://de.wikipedia.org/wiki/Schuld
Zitat: | Schuld, auch Verschuldung, Verschulden, bezeichnet:
* verschiedene ethisch-philosophische Begriffe, siehe Schuld (Ethik)
* in der Psychologie die bewusste oder unbewusste Überzeugung, etwas Falsches getan zu haben, siehe Schuldgefühl
* die Vorwerfbarkeit einer Straftat, siehe Schuld (Strafrecht)
* die Vorwerfbarkeit eines zivilrechtlichen Delikts, siehe Verschulden
* nicht zurückgezahlte finanzielle Verbindlichkeiten, die Leistungspflicht des Schuldners, siehe Schulden
* die Schuld der Anhänger abrahamitischer Religionen vor ihrem Gott, siehe Sünde |
... da dieser aus meiner Sicht eine vernünftige Kategorie ist, auch wenn er sich naürlich juristisch nicht zur Bestrafung eignet.
Du dagegen beziehst Dich auf eine Art rechstpositivistischen Schuldbegriff (Kriterien a und b), der traditionell durch einen ethisch-philosophischen Schuldbegriff gedeckt wurde, für den - wie ich oben dargelegt habe - Voraussetzung war, daß man eine sog. "Willensfreiheit" habe, also die Fähigkeit, sich frei zwischen Gut und Böse zu entscheiden, bzw. daß man anders hätte handeln können. Kompatibilistische Strafrechtler versuchen derzeit, den juristischen Schuldbegriff zu retten, auch wenn man nicht anders hätte handeln können.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Wenn z.B. jemand absichtlich in ein Hochhaus fliegt, dann halte ich ihn für schuld an der daraus folgenden Katastrophe. Sofern die beiden von mir genannten Kriterien zutreffen. |
Nehmen wir konkret die islamistischen Attentäter des 11.September. Wer oder was prägte ihre Präferenzen, wer oder was steuerte ihre Handlungen? Hätten sie anders handeln können? Oder noch extremer: Ist überhaupt a) erfüllt, d.h. ist in ihrer Gemeinschaft (welche ist das?) diese Tat verboten? Gegenüber wem sind sie verantwortlich?
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | ... wieso sollte man denn eigentlich den obigen Menschen, der mit voller Absicht in ein Hochhaus geflogen ist, (und, nehmen wir mal an, irgendwie selber überlebt hat), und danach kein Unrechtsbewusstein hat, für weniger schuldig halten ... als jemanden, dem die gleiche Handlung nachträglich furchtbar leid tut und der Gewissensbisse hat? |
Das würde ich auch nicht behaupte. Ersterer hat präferent gehandelt, letzterer offensichtlich nur temporär präferent (später wurde die moralische Präferenz stärker). Bezüglich psychologischer Schuld ein großer Unterschied (evtl. relevant für die Prävention / Resozialisierung), aber in beiden Fällen keine hinreichende ethsche Begründung für juristische Schuld.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Und ich glaube nicht, dass mein Begriff von 'Schuld' ein Ungebräuchlicher ist. |
Richtig. Wie ich bereits mehrfach schrieb, ist Dein Begriff von Schuld in der Tat sehr verbreitet, ebenso wie sein intuitiver philosophischer Hintergrund, nämlich die Annahme, man hätte auch anders handeln können.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | ... Wie soll er sich denn anders verhalten als nach seinen verkorksten Präferenzen? Das geht doch nur, wenn wir ihn zwingen, gegen seine Präferenzen zu handeln, oder wenn wir seine Präferenzen ändern. Vergeltende Strafe ist dadurch nicht gerechtfertigt, im Gegenteil könnte man argumentieren, daß wir beim Verhindern der Straftat gepatzt haben. | Was in meiner Nomenklatur bedeutete: wenn jemand in ein Hochhaus fliegt, sind 'wir' daran schuld. Aber das ist mE schlicht absurd, ... |
Naja, es klingt absurd, weil Du auf meine Einschätzung Deine Nomenklatur anwendest. 'Wir' sind eben nicht daran "schuld", sondern 'wir' könnten es am ehesten zukünftig beeinflussen.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | ... das ist vielleicht der Punkt, den ich am wenigsten verstehe bei Deiner Ansicht. 'Wir' (weder als Individuen, noch als 'Superindividuum') können nicht an allem schuld sein, nicht für alles verantwortlich. Du leugnest Verantwortung und Schuld eines Individuums und schaffst Dir als Ausgleich, um nicht in Fatalismus verfallen zu müssen, so eine Art 'Superindividuum'. |
Ich weise aber der Allgemeinheit keineswegs ersatzweise eine Schuld zu. Im Gegenteil scheinen mir gerade Verfechter des traditionellen Schuldbegriffs unbedingt einen Schuldigen zu benötigen: Wenn es nicht der eine ist, muß es jemand Anderer sein. Und das Hauptargument gegen Fatalismus ist bei mir eben gerade nicht eine "Schuld" der Allgemeinheit, sondern der Blick auf die Beeinflussung der Zukunft - in der die Allgemeinheit natürlich eine wesentliche Rolle spielt.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Aber sowas existiert mE schlicht nicht. Es gibt nur Individuen und Zusammenschlüsse von Individuen. Und jede Gesellschaft besteht aus Individuen, das ignorieren zu wollen erscheint mir, wie gesagt, absurd. |
Ja, mir natürlich auch. Die "Allgemeinheit" in einer offenen, aufgeklärten Gesellschaft konstituiert sich natürlich aus den Interessen, Diskursen und Beschlüssen denkender und präferierender Einzelmitglieder. Jedenfalls solange wir noch individuelle Gehirne haben.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Was, wenn er glaubhaft argumentiert, ihm fehle es an Empathie und Moral? | Wie gesagt: solange seine Handlung meinen oben genannten Kriterien entspricht, dann würde ich ihn für verantwortlich halten. Und diesen Kriterien widerspricht nicht schon eine simple Rücksichtslosigkeit. Wenn es aber darüber hinausginge, wenn er z.B. gar nicht in der Lage dazu wäre, erkennen zu können, was er da eigentlich tut und was das für andere bedeutet, dann fiele das unter meinen Punkt a). |
Vorsicht: a) besagt nur, daß er um die Strafbarkeit weiß, nicht daß der Wille der Allgemeinheit auch die nötige Verankerung in seinen Präferenzen hat (Empathie, Moral ...). Wenn jedoch auch dies erfüllt wäre, dann hätte er ja die starke Präferenz, empathisch und moralisch konform zu handeln. Dann würde er ja ein solches Verbrechen gar nicht absichtlich begehen.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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step registriert
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(#1487976) Verfasst am: 19.06.2010, 13:21 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Aber für Frage nach der Willensfreiheit halte ich die von mir aufgeworfene Frage interessanter, nämlich den Fall, dass [der Süchtige], (meiner Ansicht nach), fälschlich der Überzeugung ist, er könnte jederzeit aufhören, seine Handlungen aber seine Behauptungen Lügen strafen. Das wäre dann ein Beispiel für jemanden, der sich selber für (diesbezüglich) frei hielte, das aber meiner Meinung nach zu Unrecht. |
Ja, sehe ich ebenso. Allerdings paßt auch das wieder gut unter "Handlungsfreiheit".
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Was 'man', (zumindest ich), sich an Freiheit (mehr oder weniger intuitiv) wünscht, ist folgendes: |
Dieser Ausdruck "Puppen" suggeriert, die Wahl bestehe zwischen "freier Mensch" und "Marionenette eines Puppenspielers" - keins von beiden ist korrekt, die meisten Menschen glauben intuitiv ersteres.
Richard Carrier hat folgendes geschrieben: | ... dass wir unser Schicksal durch die Entscheidungen, die wir treffen, kontrollieren; dass wir uns verändern können; dass wir uns entschließen können, sorgfältig durchdachte, anstelle von irrationalen oder gedankenlosen Entscheidungen zu treffen; dass wir keine Sklaven unserer Emotionen sind; dass wir über die Umstände hinauswachsen können, in die wir hineingeboren wurden; dass wir uns deshalb korrigieren und verbessern und aus schlechten Umständen entkommen können; dass unsere Emotionen uns gehören und niemandem sonst; ... |
Das beschreibt Eigenschaften wie Entscheidungsalgorhithmen, Dynamik, Veränderbarkeit, Lernfähigkeit, Berechnungsstärke, Rationalität usw. - schön und gut, aber was zeigt das?
Richard Carrier hat folgendes geschrieben: | ... dass unsere Handlungen unsere Persönlichkeit demonstrieren; |
das ist trivial, ja es gilt sogar für Tiere, wenn nicht gar für Programme.
Richard Carrier hat folgendes geschrieben: | ... dass wir verantwortlich sind für die Entscheidungen, die wir treffen; |
Huch! Das ist plötzlich keine Eigenschaft, sondern eine moralische (oder juristische) Setzung.
Richard Carrier hat folgendes geschrieben: | ...CCF [der kontra-kausale/libertarische freie Wille] hat tatsächlich nichts mit all dem zu tun." |
Richtig! Das liegt jedoch daran, daß in obiger Aufzählung (bis auf die fälschlich hereingemogelte Verantwortung) nur Eigenschaften von Entscheidungsalgorhitmen aufgeführt werden, es wird aber vermieden, die intuitiv wesentliche Eigenschaft einer freien Entscheidung aufzuführen, daß man nämlich auch anders hätte handeln können.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | ... man kann mE auch abseits eines per se in sich unlogischen CCF-Freien-Willens sinnvoll von Kontrolle, Selbstkontrolle und somit von (gradueller) Entscheidungsfreiheit sprechen. Und die ist etwas anderes als schlichte Handlungsfreiheit, auch der 'glückliche Sklave', dem es schlicht an Erkenntnisfähigkeit seiner Situation mangelt, kann dennoch hochgradige Handlungsfreiheit haben. |
Da stimme ich teilweise zu: Insbesondere kann man natürlich (mit enstprechender Begründung) argumentieren, daß wir gerade diese Unterschiede zum 'glücklichen Sklaven' für besonders wichtig halten. Was wir damit herausstellen, würde ich aber schärfer und weniger libertaristisch formulieren. Wenn man nämlich nochmal oben durch die Liste geht, ist das Ganze nicht viel anderes als ein Plädoyer für mehr Intelligenz und vor allem mehr Individualismus - Du hast auch früher schon mal von "Autonomie" gesprochen.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Übrigens stimme ich gar nicht Deiner impliziten Behauptung zu, jede persönliche Moral / persönliche Wertvorstellung / moralische Einstellung (wie auch immer man das nennen will) sei schon per se ein Zwang. Ich sehe nicht, woraus das folgen könnte. | Der Zwang ensteht durch die Manipulation, etwa im Rahmen der Erziehung oder durch die Kommunikation der Erwartung Anderer. | Eine Manipulation oder gar Erziehung an sich sehe ich nicht per se als Zwang an. Sobald man nämlich erkennt, worauf das hinausläuft, verliert der Zwang seine Wirkung. Erkennt man eine Manipulation aber nicht, meint man gar, man habe einen bestimmten Willen selber entwickelt, der jedoch tatsächlich von außen induziert wurde, um den Interessen anderer zu dienen, die den eigenen widersprechen, wenn man einen Schritt beiseite träte und das betrachtete: dann ist Manipulation Zwang. |
Aber wenn man ehrlich ist und die Moral der meisten tatsächlichen Menschen betrachtet, dann können die gar nicht wirklich beiseitetreten und ihre Moral ablegen. Sie meinen aber trotzdem, sie stünden reflektiert dazu. Und ich denke, anders würde moralische Erziehung auch gar nicht funktionieren.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Und Erziehung kann zu Selbstständigkeit führen, genau genommen würde ich das auch als wesentliches Ziel von Erziehung ansehen. ... |
Ja, wobei man darunter meist versteht, daß jemand nicht auf die Hilfe Anderer angewiesen ist, selbst intelligente Entscheidungen trifft usw. - wenn Du allerdings mit "Selbständigkeit" auch meinst, daß man die gesellschaftlich vorgegebene Moral frei beurteilen und auch ablegen können soll, dann würde das bedeuten, daß man Kinder möglichst nicht moralisch vorprägen (und schon gar nicht beschuldigen oder bestrafen) sollte, so daß sie sich später selbst reflektiert für eine Moral entscheiden können.
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AgentProvocateur registrierter User
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(#1488230) Verfasst am: 19.06.2010, 21:42 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Mein psychologischer Schuldbegriff ist dann schlicht ein anderer als Deiner. |
Ich bezog mich auf den Schuldbegriff der Psychologie: http://de.wikipedia.org/wiki/Schuld
Zitat: | Schuld, auch Verschuldung, Verschulden, bezeichnet:
* verschiedene ethisch-philosophische Begriffe, siehe Schuld (Ethik)
* in der Psychologie die bewusste oder unbewusste Überzeugung, etwas Falsches getan zu haben, siehe Schuldgefühl
* die Vorwerfbarkeit einer Straftat, siehe Schuld (Strafrecht)
[...] |
... da dieser aus meiner Sicht eine vernünftige Kategorie ist, auch wenn er sich naürlich juristisch nicht zur Bestrafung eignet. |
Der juristische Schuldbegriff baut nicht auf einem Schuldgefühl auf, ist nicht davon abhängig, (in dem Sinne: nur dann könne jemand juristisch schuldig sein, im Sinne der Vorwerfbarkeit einer Straftat, wenn er selber auch Schuldgefühle hat).
step hat folgendes geschrieben: | Du dagegen beziehst Dich auf eine Art rechstpositivistischen Schuldbegriff (Kriterien a und b), der traditionell durch einen ethisch-philosophischen Schuldbegriff gedeckt wurde, für den - wie ich oben dargelegt habe - Voraussetzung war, daß man eine sog. "Willensfreiheit" habe, also die Fähigkeit, sich frei zwischen Gut und Böse zu entscheiden, bzw. daß man anders hätte handeln können. Kompatibilistische Strafrechtler versuchen derzeit, den juristischen Schuldbegriff zu retten, auch wenn man nicht anders hätte handeln können. |
Nein, man benötigt dafür eben mAn nach keine CCF-Willensfreiheit. Ich wüsste nicht, wieso und inwiefern. Ich verstehe ja noch nicht einmal, wie ein CCF-Wille eine Verantwortlichkeit erhöhen könnte, (auf eine Definition / Darlegung der Bedeutung / Darlegung der notwendigen Voraussetzungen für einen CCF-Willen warte ich auch noch, ich tue erst mal so, als ob das was Sinnvolles bedeuten könnte, was es aber mE gar nicht tut), geschweige denn, dass mir auch nur in Ansätzen klar ist, wieso sie eine notwendige Voraussetzung für eine Zuschreibung für moralische Verantwortlichkeit sein könnte. Dazu müsstest Du darlegen, was Du eigentlich genau unter 'anders handeln können' verstehst, was Du damit meinst. Anders als was? Das wäre die erste Frage.
Meiner Ansicht nach kann man den Begriff 'anders handeln können' nur so sinnvoll füllen: 'anders handeln können, wenn er gewollt hätte, (und für sein Nicht-Wollen gab es keine von ihm nicht beeinflussbaren Gründe, d.h. er hätte sich entscheiden können, anders zu handeln, dass er es nicht tat, lag an ihm)'. Mit anderen Worten: er hat absichtlich so gehandelt, wie er handelte, seine Fähigkeit, anders zu handeln war nicht durch äußere oder innere Zwänge außer Kraft gesetzt.
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Wenn z.B. jemand absichtlich in ein Hochhaus fliegt, dann halte ich ihn für schuld an der daraus folgenden Katastrophe. Sofern die beiden von mir genannten Kriterien zutreffen. |
Nehmen wir konkret die islamistischen Attentäter des 11.September. Wer oder was prägte ihre Präferenzen, wer oder was steuerte ihre Handlungen? Hätten sie anders handeln können? Oder noch extremer: Ist überhaupt a) erfüllt, d.h. ist in ihrer Gemeinschaft (welche ist das?) diese Tat verboten? Gegenüber wem sind sie verantwortlich? |
Ihre Präferenzen wurden durch die Gesellschaft, in der sie aufgewachsen sind und ihre eigenen, darauf aufbauenden Überlegungen, gebildet. Wie immer halt. Sie sind gegenüber derjenigen Gesellschaft verantwortlich, deren Recht sie verletzt haben.
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | ... wieso sollte man denn eigentlich den obigen Menschen, der mit voller Absicht in ein Hochhaus geflogen ist, (und, nehmen wir mal an, irgendwie selber überlebt hat), und danach kein Unrechtsbewusstein hat, für weniger schuldig halten ... als jemanden, dem die gleiche Handlung nachträglich furchtbar leid tut und der Gewissensbisse hat? |
Das würde ich auch nicht behaupte. |
Naja, oben hast Du das sehr wohl behauptet.
step hat folgendes geschrieben: | Ersterer hat präferent gehandelt, letzterer offensichtlich nur temporär präferent (später wurde die moralische Präferenz stärker). Bezüglich psychologischer Schuld ein großer Unterschied (evtl. relevant für die Prävention / Resozialisierung), aber in beiden Fällen keine hinreichende ethsche Begründung für juristische Schuld. |
'Juristische Schuld' bedeutet schlicht: ein Nicht-Nachkommen / Verletzung einer erwarteten (und bekannten) Verantwortlichkeit, (für Verantwortlichkeit gelten ebenso meine obigen beiden Kriterien - 'Schuld' ist mE ein Spezialfall von Verantwortlichkeit). Und dies ist in einer freien Gesellschaft vorwerfbar, die auf Freiheit des Einzelnen und somit folgerichtig auf (Selbst-)Verantwortung setzt.
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Und ich glaube nicht, dass mein Begriff von 'Schuld' ein Ungebräuchlicher ist. |
Richtig. Wie ich bereits mehrfach schrieb, ist Dein Begriff von Schuld in der Tat sehr verbreitet, ebenso wie sein intuitiver philosophischer Hintergrund, nämlich die Annahme, man hätte auch anders handeln können. |
Ja, aber in meinem Sinne, der nämlich unterscheidet zwischen: 'er konnte nicht anders' und 'er wollte nicht anders' und der nicht einfach nur implizit behauptet, Handeln und Verhalten sei ein und dasselbe, (es gäbe nur Verhalten / unbeeinflussbare Geschehnisse), niemand könne handeln, alles stoße einem unterschiedslos nur zu.
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | ... Wie soll er sich denn anders verhalten als nach seinen verkorksten Präferenzen? Das geht doch nur, wenn wir ihn zwingen, gegen seine Präferenzen zu handeln, oder wenn wir seine Präferenzen ändern. Vergeltende Strafe ist dadurch nicht gerechtfertigt, im Gegenteil könnte man argumentieren, daß wir beim Verhindern der Straftat gepatzt haben. | Was in meiner Nomenklatur bedeutete: wenn jemand in ein Hochhaus fliegt, sind 'wir' daran schuld. Aber das ist mE schlicht absurd, ... |
Naja, es klingt absurd, weil Du auf meine Einschätzung Deine Nomenklatur anwendest. 'Wir' sind eben nicht daran "schuld", sondern 'wir' könnten es am ehesten zukünftig beeinflussen.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | ... das ist vielleicht der Punkt, den ich am wenigsten verstehe bei Deiner Ansicht. 'Wir' (weder als Individuen, noch als 'Superindividuum') können nicht an allem schuld sein, nicht für alles verantwortlich. Du leugnest Verantwortung und Schuld eines Individuums und schaffst Dir als Ausgleich, um nicht in Fatalismus verfallen zu müssen, so eine Art 'Superindividuum'. |
Ich weise aber der Allgemeinheit keineswegs ersatzweise eine Schuld zu.
Im Gegenteil scheinen mir gerade Verfechter des traditionellen Schuldbegriffs unbedingt einen Schuldigen zu benötigen: Wenn es nicht der eine ist, muß es jemand Anderer sein. Und das Hauptargument gegen Fatalismus ist bei mir eben gerade nicht eine "Schuld" der Allgemeinheit, sondern der Blick auf die Beeinflussung der Zukunft - in der die Allgemeinheit natürlich eine wesentliche Rolle spielt. |
Nun gut, Du hast nun natürlich insofern recht, (das war von mir zu schlampig ausgedrückt): das muss nicht unbedingt eine Schuld sein, (denn diese muss ja, wie gesagt, meinen obigen beiden Kriterien genügen). Wenn etwas geschieht, was beim besten Willen nicht vorhersehbar war, dann handelt es sich nicht um Schuld in meinem Sinne. Wenn jedoch etwas geschieht, was vorhersehbar war und hätte vermieden werden können, (und auch sollen, d.h. es gab eine moralische Verpflichtung dazu), dann handelt es sich nun mal um Schuld in meiner Nomenklatur. Die einen Vorwurf, ein Unwerturteil, (= das war moralisch falsch) und die moralische Aufforderung zu einem Anders-Handeln in Zukunft beinhaltet.
D.h.: ich kann sehr wohl berechtigt nun aus Deinen Ausführungen schließen, dass Deine Ansicht auf folgendes hinausläuft: der Einzelne, das Individuum kann nie schuld sein, (weil es determiniert ist und dadurch handlungsunfähig, es kann nur zuschauen, ein reiner Betrachter eines unbeeinflussbaren Geschehens), aber die Gesellschaft kann es sehr wohl, sie kann falsch handeln, sie ist Ansprechpartner eines moralischen Appelles, von ihr nimmst Du an, dass sie diesen befolgen kann. Was aber das Individuum nicht kann. Und weil es das nicht kann, darf ihm gegenüber kein Unwerturteil bezüglich seiner Handlungen geäußert werden, (bzw. zum Zwecke der reinen Indoktrination / Manipulation im Interesse des 'Supersubjektes' [= Gesellschaft] ist das problemlos zulässig, aber nicht, wenn man es als handlungsfähiges, selbstbestimmtes Subjekt ansieht). Aber da niemand, der moralische Appelle äußert, ohne Ansprechpartner auskommt, ohne handlungsfähiges / erkennendes Subjekt, das einem moralischen Appell auch zustimmen und umsetzen kann, (jedes 'Sollen' erfordert auch ein 'Können'), erfindest Du Dir das 'Supersubjekt', die Gesellschaft.
Die Gesellschaft soll z.B. verhindern, dass Rache geübt wird und sie soll das Strafrecht ändern. Aber wenn ein Individuum nur ein Betrachter des von ihm unbeeinflussbaren determiniert ablaufenden Geschehens ist, dann ist es nun mal die Gesellschaft folgerichterweise ebenso. Und dann läuft jeder moralische Appell schlicht ins Leere.
Irgendwas / irgend jemand muss da sein, der beeinflussen kann. Wie Du ja auch selber sagst. Das Individuum hältst Du aber für dazu nicht in der Lage, das kann Deiner Auffasung nach gar nichts beeinflussen, nur zuschauen, was so passiert. Konnte es das jedoch auf der anderen Seite, dann könnte es auch unter meine beiden Kriterien fallen. (Es sei denn nun, folgendes würde gelten: ein Individuum kann andere, seine gesamte Umwelt beinflussen, aber nicht sich selber. Aber das bedürfte auch einer plausiblen Erklärung / Begründung.)
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Was, wenn er glaubhaft argumentiert, ihm fehle es an Empathie und Moral? | Wie gesagt: solange seine Handlung meinen oben genannten Kriterien entspricht, dann würde ich ihn für verantwortlich halten. Und diesen Kriterien widerspricht nicht schon eine simple Rücksichtslosigkeit. Wenn es aber darüber hinausginge, wenn er z.B. gar nicht in der Lage dazu wäre, erkennen zu können, was er da eigentlich tut und was das für andere bedeutet, dann fiele das unter meinen Punkt a). |
Vorsicht: a) besagt nur, daß er um die Strafbarkeit weiß, nicht daß der Wille der Allgemeinheit auch die nötige Verankerung in seinen Präferenzen hat (Empathie, Moral ...). Wenn jedoch auch dies erfüllt wäre, dann hätte er ja die starke Präferenz, empathisch und moralisch konform zu handeln. Dann würde er ja ein solches Verbrechen gar nicht absichtlich begehen. |
Ja, sicher, aber darum geht es hier doch gar nicht. Du hast oben behauptet, es müsse einen Zusammenhang zwischen einem Schuldgefühl und der Zuweisung von juristischer Schuld geben. Den ich aber jetzt immer noch nicht sehe. Ein Fehlen von Empathie und Moral, (und somit das Fehlen von Schuldgefühlen), bedeutet ja noch lange nicht das Fehlen der Erkenntnis um die Unrechtmäßgkeit der Straftat. Wieso also könnte ein fehlendes Schuldgefühl, (was ja nicht dasselbe wie eine fehlende Unrechtserkenntnis ist), eine Straftat entschuldigen?
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AgentProvocateur registrierter User
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(#1488349) Verfasst am: 19.06.2010, 23:50 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Aber für Frage nach der Willensfreiheit halte ich die von mir aufgeworfene Frage interessanter, nämlich den Fall, dass [der Süchtige], (meiner Ansicht nach), fälschlich der Überzeugung ist, er könnte jederzeit aufhören, seine Handlungen aber seine Behauptungen Lügen strafen. Das wäre dann ein Beispiel für jemanden, der sich selber für (diesbezüglich) frei hielte, das aber meiner Meinung nach zu Unrecht. |
Ja, sehe ich ebenso. Allerdings paßt auch das wieder gut unter "Handlungsfreiheit". |
Ähm, nein, das war ja von mir gedacht als ein Beispiel für fälschlich angenommene Willensfreiheit. Er irrt ja mE, wenn er meint, er könne seinen Willen unbeeinflusst von seiner Sucht steuern, (bzw. sein Wille / seine Entscheidung sei stärker als die Sucht), er würde sozusagen darüber erhaben sein. Was er selber merken würde, wenn er sich vornähme, aufzuhören, und das nicht schaffen könnte. Weil seine Sucht dagegen steht. Nun kann man zwar sagen: er kann dann nicht tun, was er will, aber der Punkt ist dabei mE eigentlich der, dass er dann nicht wollen kann, was er will, (auf einer anderen Stufe als die des unwillkürlichen Bedürfnisses nach einer Zigarette). Und dann müsste er an dem Punkt erkennen, dass er diesbezüglich unfrei ist, seine Sucht stärker als seine Entscheidung, mit dem Rauchen aufzuhören. Er also dann nicht wollen (= bestimmen / steuern / kontrollieren) kann, was er will.
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Was 'man', (zumindest ich), sich an Freiheit (mehr oder weniger intuitiv) wünscht, ist folgendes: |
Dieser Ausdruck "Puppen" suggeriert, die Wahl bestehe zwischen "freier Mensch" und "Marionenette eines Puppenspielers" - keins von beiden ist korrekt, die meisten Menschen glauben intuitiv ersteres. |
Ja, Letzteres mag zwar Deine Behauptung / Dein Glaube sein. Ebenso wie die Behauptung, es gäbe nichts Wesentliches zwischen einem CCF-Willen und Handlungsfreiheit. Aber eine Behauptung ist erst mal nur eine Behauptung, nicht mehr. Ich glaube das nun nicht. Und mehr als das brauche ich gar nicht, ich kann jetzt locker darauf warten, dass Du Deine Behauptung plausibel machst. In der Zwischenzeit kann ich mal wieder auf diese empirische Untersuchung hinweisen, die Deiner Behauptung schlicht widerspricht, die eher meine Ansicht belegt.
Aber so oder so müsstest Du eh mal darlegen, was a) 'kann auch anders handeln' genau bedeuten soll und b) was 'CCF-Wille' genau bedeuten soll, was also die notwendigen und hinreichenden Voraussetzungen für einen 'CCF-Willen' sind.
step hat folgendes geschrieben: | Richard Carrier hat folgendes geschrieben: | ... dass wir unser Schicksal durch die Entscheidungen, die wir treffen, kontrollieren; dass wir uns verändern können; dass wir uns entschließen können, sorgfältig durchdachte, anstelle von irrationalen oder gedankenlosen Entscheidungen zu treffen; dass wir keine Sklaven unserer Emotionen sind; dass wir über die Umstände hinauswachsen können, in die wir hineingeboren wurden; dass wir uns deshalb korrigieren und verbessern und aus schlechten Umständen entkommen können; dass unsere Emotionen uns gehören und niemandem sonst; ... |
Das beschreibt Eigenschaften wie Entscheidungsalgorhithmen, Dynamik, Veränderbarkeit, Lernfähigkeit, Berechnungsstärke, Rationalität usw. - schön und gut, aber was zeigt das? |
Das zeigt das, was mE den Freiheitsbegriff der meisten Menschen beinhaltet. Der sowohl etwas anderes ist als der 'CCF-Wille', als auch etwas anderes als Handlungsfreiheit, (zumindest das, was ich darunter verstehe [-> tun können, was man will - egal, was, und egal, wie der Wille entstanden ist] ).
step hat folgendes geschrieben: | Richard Carrier hat folgendes geschrieben: | ... dass unsere Handlungen unsere Persönlichkeit demonstrieren; |
das ist trivial, ja es gilt sogar für Tiere, wenn nicht gar für Programme. |
Nein, denn es ist erst mal fraglich, ob Tiere handeln. Ein Verhalten ist keine Handlung. Und ob heutige Programme handeln können, ist wenig fraglich: das können sie nicht.
Aber eigentlich trifft mE auch das den Punkt von Carrier noch nicht so recht. Ich bin nicht das, was ich denke, was ich bin, sondern ich bin so, wie meine Handlungen es darstellen. Ich kann mich ob meiner Motive und meiner Einstellungen irren, mag z.B. sein, dass ich mich für feige halte, aber dennoch mutig reagiere, (oder auch umgekehrt). Und wenn ich dann in eine Situation gerate, in der eigentlich Mut gefordert wäre, ich den aber nicht aufbringe, dann muss ich schmerzlich erkennen, dass ich mich in mir, meinen Fähigkeiten / Eigenschaften geirrt habe, (so ich mich fälschlich in einer solchen Situation für mutiger gehalten hätte).
step hat folgendes geschrieben: | Richard Carrier hat folgendes geschrieben: | ... dass wir verantwortlich sind für die Entscheidungen, die wir treffen; |
Huch! Das ist plötzlich keine Eigenschaft, sondern eine moralische (oder juristische) Setzung. |
Nein, Verantwortlichkeit, (die Annahme, dass die anderen fähig und berechtigt dazu sind, ihre Interessen unbeeinflusst von anderen zu verfolgen, solange sie nicht Interessen Dritter maßgeblich verletzen), ist mE schlicht eine unabdingbare Voraussetzung für eine freie Gesellschaft und somit für die Freiheit des Individuums. Freiheit wäre in einer unfreien, totalitären Gesellschaft, die alles kontrollierte, dem Individuum keine eigenen rationalen Entscheidungen zutraute, alles von oben kontrollieren wollte, nicht vorhanden.
step hat folgendes geschrieben: | Richard Carrier hat folgendes geschrieben: | ...CCF [der kontra-kausale/libertarische freie Wille] hat tatsächlich nichts mit all dem zu tun." |
Richtig! Das liegt jedoch daran, daß in obiger Aufzählung (bis auf die fälschlich hereingemogelte Verantwortung) nur Eigenschaften von Entscheidungsalgorhitmen aufgeführt werden, es wird aber vermieden, die intuitiv wesentliche Eigenschaft einer freien Entscheidung aufzuführen, daß man nämlich auch anders hätte handeln können. |
Anders als was? Anders, als man letzlich entschieden hat? Wenn ja: wieso und wie? wenn nein: wie sonst?
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | ... man kann mE auch abseits eines per se in sich unlogischen CCF-Freien-Willens sinnvoll von Kontrolle, Selbstkontrolle und somit von (gradueller) Entscheidungsfreiheit sprechen. Und die ist etwas anderes als schlichte Handlungsfreiheit, auch der 'glückliche Sklave', dem es schlicht an Erkenntnisfähigkeit seiner Situation mangelt, kann dennoch hochgradige Handlungsfreiheit haben. |
Da stimme ich teilweise zu: Insbesondere kann man natürlich (mit enstprechender Begründung) argumentieren, daß wir gerade diese Unterschiede zum 'glücklichen Sklaven' für besonders wichtig halten. Was wir damit herausstellen, würde ich aber schärfer und weniger libertaristisch formulieren. Wenn man nämlich nochmal oben durch die Liste geht, ist das Ganze nicht viel anderes als ein Plädoyer für mehr Intelligenz und vor allem mehr Individualismus - Du hast auch früher schon mal von "Autonomie" gesprochen. |
Naja, mit 'Intelligenz' kann ich in diesem Zusammenhang nicht so viel anfangen, dieser Begriff scheint mir zu sehr auf ziemlich eingegrenzte Fähigkeiten beschränkt, die nicht automatisch auch das ergeben müssen, was mir für Freiheit wichtig scheint. Für Freiheit in meinem Sinne fehlt da wesentliches, zum Beispiel soziale Kompetenzen, z.B. die Fähigkeit zur Abschätzung der Reaktionen anderer. Das ist AFAIK kein Bestandteil des Intelligenz-Begriffes, wäre aber ein wichtiger Bestandteil einer Selbstständigkeit.
Mein Punkt hier war nun aber eigentlich der: Handlungsfreiheit alleine erachte ich noch nicht für hinreichend, um die mir wesentliche Freiheit zu bestimmen. Nun bin ich nur etwas verwirrt, dass Du mir dabei zustimmst, denn das ist doch eigentlich, so wie ich das bisher verstanden habe, unser Hauptdissens. So wie ich das verstehe, behauptest Du, es könne aufgrund des Determinismus nicht mehr als Handlungsfreiheit geben. Aber da der 'glückliche Sklave' im Sinne meiner Definition von Handlungsfreiheit, (= kann tun, was er will), sogar größere Handlungsfreiheit haben kann, als jemand, der selten verwirklichen kann, was er will, den ich aber evtl. dennoch als freier als den Sklaven ansehen könnte, (ob seines größeren Durchblickes), folgt daraus mE anscheinend, dass wir auch etwas Unterschiedliches unter 'Handlungsfreiheit' verstehen. Oder? Aber wenn ja: wie definierst Du dann 'Handlungsfreiheit'? Und wenn nicht: wieso stimmst Du mir zu, dass der glückliche Sklave unfreier könnte als jemand, der nicht so ein glücklicher Sklave ist?
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Eine Manipulation oder gar Erziehung an sich sehe ich nicht per se als Zwang an. Sobald man nämlich erkennt, worauf das hinausläuft, verliert der Zwang seine Wirkung. Erkennt man eine Manipulation aber nicht, meint man gar, man habe einen bestimmten Willen selber entwickelt, der jedoch tatsächlich von außen induziert wurde, um den Interessen anderer zu dienen, die den eigenen widersprechen, wenn man einen Schritt beiseite träte und das betrachtete: dann ist Manipulation Zwang. |
Aber wenn man ehrlich ist und die Moral der meisten tatsächlichen Menschen betrachtet, dann können die gar nicht wirklich beiseitetreten und ihre Moral ablegen. Sie meinen aber trotzdem, sie stünden reflektiert dazu. [...] |
Ja, aber das ist hier erst mal irrelevant, das wäre eine Frage, die man weiter erörtern könnte, wenn die grundsätzliche Frage geklärt ist, über die wir ja, (so wie mir scheint), einen Dissens haben: gibt es zwischen 'CCF-Wille' und 'Handlungsfreiheit' eine sinnvolle Art von Freiheit, die sowohl logisch möglich ist, als auch mehr beinhaltet als schlichte Handlungsfreiheit?
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Und Erziehung kann zu Selbstständigkeit führen, genau genommen würde ich das auch als wesentliches Ziel von Erziehung ansehen. ... |
Ja, wobei man darunter meist versteht, daß jemand nicht auf die Hilfe Anderer angewiesen ist, selbst intelligente Entscheidungen trifft usw. - wenn Du allerdings mit "Selbständigkeit" auch meinst, daß man die gesellschaftlich vorgegebene Moral frei beurteilen und auch ablegen können soll, dann würde das bedeuten, daß man Kinder möglichst nicht moralisch vorprägen (und schon gar nicht beschuldigen oder bestrafen) sollte, so daß sie sich später selbst reflektiert für eine Moral entscheiden können. |
Naja, meiner Ansicht nach ist es gar nicht möglich, Kinder nicht zu prägen. Alles, was man tut, prägt; Kinder sind abhängig, auf die Bezugspersonen angewiesen, diese können gar nicht Nichts-Tun, (hier gemeint im Sinne von: ein Tun, das nicht prägt).
Kinder halte ich aber für nur in sehr engen Grenzen für verantwortlich, es erscheint mir wenig sinnvoll, Kinder für voll verantwortliche Erwachsene zu halten und mit ihnen auch so umzugehen. Was auf der einen Seite bedeutet: je nach Alter ist mE eine Verantwortungs- (und somit auch Schuld-)Zuweisung schlicht falsch, denn meine für erforderlich gehaltenen Voraussetzungen dazu sind mE noch nicht gegeben. Und auf der anderen Seite bedeutet es jedoch auch, dass ich für die Kinder Entscheidungen treffen muss, weil sie noch nicht den hinreichenden Überblick über die Auswirkungen ihrer Entscheidungen / Handlungen haben. D.h.: einen gewissen Paternalismus halte ich in der Erziehung für unabdingbar, der aber, je älter das Kind wird, immer mehr zurückgenommen werden sollte, die Fähigkeit zu einer eigenständigen Entscheidungsfindung fördern sollte.
Naja, hört sich ziemlich abstrakt an, zugegeben. Und dabei kann man auch viel falsch machen.
Aber, um jetzt nochmal auf Deine Frage explizit zurückzukommen: ja, in der Tat wäre es mE das Ideal einer Erziehung, dass das Kind im Folgenden selbstständig sein könnte. Und Selbstständigkeit beinhaltet, (zumindest für mich), selbstverständlich eine Unabhängigkeit auch von meinen Moralvorstellungen. Mein (erwachsenes) Kind, das nur täte, was ich ihm vorgegeben habe, ohne das zu hinterfragen, wäre wenig selbstständig. Und ich bin ja nicht das Maß aller Dinge, wieso sollten ausgerechnet meine Moralvorstellungen die Richtigen sein? Wie könnte ich die Legitimation einer solchen Manipulation begründen, wenn ich selber gar nicht davon überzeugt bin, einzig recht zu haben?
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1488461) Verfasst am: 20.06.2010, 10:42 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | ... D.h.: ich kann sehr wohl berechtigt nun aus Deinen Ausführungen schließen, dass Deine Ansicht auf folgendes hinausläuft: der Einzelne, das Individuum kann nie schuld sein, ... |
Richtig.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | ... (weil es determiniert ist und dadurch handlungsunfähig, es kann nur zuschauen, ein reiner Betrachter eines unbeeinflussbaren Geschehens), ... |
Falsch: Das Individuum ist sehrwohl handlungsfähig, es hat zuweilen Handlungsfreiheit, handelt also zuweilen präferent.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | ... aber die Gesellschaft kann es sehr wohl, sie kann falsch handeln, sie ist Ansprechpartner eines moralischen Appelles, von ihr nimmst Du an, dass sie diesen befolgen kann. Was aber das Individuum nicht kann.... |
Auch falsch: Die Gesellschaft kann falsch handeln, das Individuum ebenso. "Falsch handeln" bedeutet: Nichtkonform handeln oder auch suboptimal in bezug auf die konsenten Interessen. "Falsch handeln" bedeutet verbesserungswürdig handeln.
Große Teile Deines Beitrags beruhen nmV auf folgendem Mißverständnis:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Du hast oben behauptet, es müsse einen Zusammenhang zwischen einem Schuldgefühl und der Zuweisung von juristischer Schuld geben. |
Das habe ich nicht behauptet, sondern nur, daß der psychologische Schuldbegriff aus meiner Sicht sinnvoll ist. Ich habe sogar extra darauf hingewiesen, daß er sich nicht für Strafzwecke eignet, höchstens in bezug auf Prävention und Resozialisierung. Vielleicht habe ich es jedoch nicht klar genug ausgedrückt.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | ... Meiner Ansicht nach kann man den Begriff 'anders handeln können' nur so sinnvoll füllen: 'anders handeln können, wenn er gewollt hätte, (und für sein Nicht-Wollen gab es keine von ihm nicht beeinflussbaren Gründe, d.h. er hätte sich entscheiden können, anders zu handeln, dass er es nicht tat, lag an ihm)'. |
Das finde ich unlogisch. Er hätte sich doch eben nicht entscheiden können, anders zu handeln. Außer er wäre eine andere Person (= hätte andere Präferenzen).
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Mit anderen Worten: er hat absichtlich so gehandelt, wie er handelte, seine Fähigkeit, anders zu handeln war nicht durch äußere oder innere Zwänge außer Kraft gesetzt. |
Daß er absichtlich gehandelt hat, steht ja außer Frage. Absichtlich bedeutet ja nur, daß er irgendwie zielgerichtet, geplant handelte.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Nehmen wir konkret die islamistischen Attentäter des 11.September. Wer oder was prägte ihre Präferenzen, wer oder was steuerte ihre Handlungen? Hätten sie anders handeln können? Oder noch extremer: Ist überhaupt a) erfüllt, d.h. ist in ihrer Gemeinschaft (welche ist das?) diese Tat verboten? Gegenüber wem sind sie verantwortlich? | Ihre Präferenzen wurden durch die Gesellschaft, in der sie aufgewachsen sind und ihre eigenen, darauf aufbauenden Überlegungen, gebildet. Wie immer halt. Sie sind gegenüber derjenigen Gesellschaft verantwortlich, deren Recht sie verletzt haben. |
Wie begründest Du das? Wäre es nicht erstmal logischer, eine Vernatwortlichkeit derjenigen Gesellschaft gegenüber anzunehmen, die sie moralisiert / ihre Präferenzen geprägt hat? Und falls Du tatsächlich eine Begründung findest (gern genannt werden ja universale Menschenrechte und dgl.): Wären sie dann nicht in einem Vernatwortungsdilemma, würden sich also in jedem Fall gegenüber mindestens einer Gesellschaft/Gruppe schuldig machen?
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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step registriert
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(#1488649) Verfasst am: 20.06.2010, 17:27 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | ... Er also dann nicht wollen (= bestimmen / steuern / kontrollieren) kann, was er will. |
Netter Kunstgriff, weitere Ebenen der Handlungssteuerung einzuführen, um den Freiwillen zu retten: Die Steuerung der Steuerung zu steuern - oder so.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Was 'man', (zumindest ich), sich an Freiheit (mehr oder weniger intuitiv) wünscht, ist folgendes: |
Dieser Ausdruck "Puppen" suggeriert, die Wahl bestehe zwischen "freier Mensch" und "Marionenette eines Puppenspielers" - keins von beiden ist korrekt, die meisten Menschen glauben intuitiv ersteres. | Ja, Letzteres mag zwar Deine Behauptung / Dein Glaube sein. |
Darum ging es mir hier aber gar nicht primär. Eher darum, daß Carrier fälschlicherweise suggeriert, Inkompatibilisten würden Menschen für Puppen halten.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Richard Carrier hat folgendes geschrieben: | ... dass unsere Handlungen unsere Persönlichkeit demonstrieren; | das ist trivial, ja es gilt sogar für Tiere, wenn nicht gar für Programme. | Nein, denn es ist erst mal fraglich, ob Tiere handeln. Ein Verhalten ist keine Handlung. |
Zweifelst Du daran, daß manche Tiere präferent entscheiden? Dazu bräuchten sie genaugenommen noch nicht einmal Intentionalität.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Und ob heutige Programme handeln können, ist wenig fraglich: das können sie nicht. |
Wieso? Sie haben (eingebaute und/oder erlernte) Präferenzen, simulieren die Folgen und entscheiden dann. Einige Programme handeln sogar an den Finanzmärkten.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Richard Carrier hat folgendes geschrieben: | ...CCF [der kontra-kausale/libertarische freie Wille] hat tatsächlich nichts mit all dem zu tun." | Richtig! Das liegt jedoch daran, daß in obiger Aufzählung (bis auf die fälschlich hereingemogelte Verantwortung) nur Eigenschaften von Entscheidungsalgorhithmen aufgeführt werden, es wird aber vermieden, die intuitiv wesentliche Eigenschaft einer freien Entscheidung aufzuführen, daß man nämlich auch anders hätte handeln können. | Anders als was? Anders, als man letzlich entschieden hat? Wenn ja: wieso ... |
Wenn man nicht anders entscheiden konnte, ist damit ethisch keine Schuld begründbar. Mindestens müßte man diesen Passus ("hätte auch anders handeln können") und alles, was aus ihm folgt, aus sämtlichen Begründungen streichen. Jede Wette aber, ich finde ihn noch in allen möglichen rechtsphilosophischen Ergüssen, zum Beispiel habe ich hier im Forum mal ein Papier von einem Herrn namens Burkhardt kommentiert, das ganz in diese Richtung ging. Auch der wikipedia-Artikel über Schuld (Ethik) verwendet dieses zentrale Motiv (ja ich weiß, Du findest ihn deswegen gar nicht gut).
Das geht eben nicht. Und ich wüßte auch nicht, wieso ich eine Alternative zeigen müßte, die das rettet.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | ... Wenn man nämlich nochmal oben durch die Liste geht, ist das Ganze nicht viel anderes als ein Plädoyer für mehr Intelligenz und vor allem mehr Individualismus - Du hast auch früher schon mal von "Autonomie" gesprochen. | Naja, mit 'Intelligenz' kann ich in diesem Zusammenhang nicht so viel anfangen, dieser Begriff scheint mir zu sehr auf ziemlich eingegrenzte Fähigkeiten beschränkt, die nicht automatisch auch das ergeben müssen, was mir für Freiheit wichtig scheint. |
Für viele in der Liste genannte Eigenschaften benötigst Du hinreichende Intelligenz.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Für Freiheit in meinem Sinne fehlt da wesentliches, zum Beispiel soziale Kompetenzen, z.B. die Fähigkeit zur Abschätzung der Reaktionen anderer. Das ist AFAIK kein Bestandteil des Intelligenz-Begriffes, wäre aber ein wichtiger Bestandteil einer Selbstständigkeit. |
In Carriers Liste tauchen soziale Kompetenzen nunmal nicht auf, und darauf bezog ich mich.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | ... wieso stimmst Du mir zu, dass der glückliche Sklave unfreier könnte als jemand, der nicht so ein glücklicher Sklave ist? |
Ich habe eigentlich nur dieser Aussage zugestimmt:
AP hat folgendes geschrieben: | ... auch der 'glückliche Sklave', dem es schlicht an Erkenntnisfähigkeit seiner Situation mangelt, kann dennoch hochgradige Handlungsfreiheit haben. |
Denn "hochgradig" ist seine Handlungsfreiheit ja in der Tat, wenn er nur wenig will, das aber zu hohem Prozentsatz umsetzt. Um bei Carrier's Liste zu bleiben: Selbst deren meiste Einträge wären erfüllt, auch wenn der Grad an Individualität und vor allem an Intelligenz nicht besonders hoch wäre, denn sonst würde der Sklave ja seine Situation erkennen und evtl. ganz neue, individuelle Präferenzen entwickeln.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | ... gibt es zwischen 'CCF-Wille' und 'Handlungsfreiheit' eine sinnvolle Art von Freiheit, die sowohl logisch möglich ist, als auch mehr beinhaltet als schlichte Handlungsfreiheit? |
Also natürlich gibt es etwas, das über eine sehr einfache Form von Handlungsfreiheit hinausgeht. Z.B. eine etwas komplexere Form von Handlungsfreiheit, eine Handlungsfreiheit "zweiten Grades", wie Du sie oben beschrieben hast: Die Steuerung der Steuerung. Oder die Tatsache, daß sich dynamische Präferenzen, also Geschmack, Moral usw. zeitlich ändern können, u.a. unter dem Einfluß von Erlebnissen oder weiterer Präferenzen. Ich sehe nur nicht, inwiefern dies zu einer Begründung von Schuld taugen könnte, da es ja - wie wir uns offensichtlich einig sind - nicht dazu führt, daß man hätte anders handeln können.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | ... Aber, um jetzt nochmal auf Deine Frage explizit zurückzukommen: ja, in der Tat wäre es mE das Ideal einer Erziehung, dass das Kind im Folgenden selbstständig sein könnte. Und Selbstständigkeit beinhaltet, (zumindest für mich), selbstverständlich eine Unabhängigkeit auch von meinen Moralvorstellungen. Mein (erwachsenes) Kind, das nur täte, was ich ihm vorgegeben habe, ohne das zu hinterfragen, wäre wenig selbstständig. Und ich bin ja nicht das Maß aller Dinge, wieso sollten ausgerechnet meine Moralvorstellungen die Richtigen sein? Wie könnte ich die Legitimation einer solchen Manipulation begründen, wenn ich selber gar nicht davon überzeugt bin, einzig recht zu haben? |
Ja, da kann ich nur zustimmen.
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Wilson zwischen gaga und dada
Anmeldungsdatum: 04.02.2008 Beiträge: 21457
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Schöngeist permanent gesperrt
Anmeldungsdatum: 06.10.2013 Beiträge: 803
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(#1911913) Verfasst am: 27.03.2014, 18:15 Titel: Re: Modernes Strafrecht |
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step hat folgendes geschrieben: | Mir, und auch einigen Hirnforschern, geht es darum, ein modernes Konzept zu haben, mit welchem Ziel man wie mit Normverletzern umgeht. Konkret bin ich der Ansicht, daß ein modernes Strafrecht keinen vergeltenden und möglicherweise auch keinen generalpräventiven Aspekt mehr ethisch begründen kann. |
Naja, zum Thema Generalprävention würde ich mal behaupten, daß es auch auf die Straftat ankommt.
Bei Eigentumsdelikten würde ich z.b. auf jeden Fall einen starken präventiven Charakter annehmen. Ich würde sogar behaupten, je härter die zu erwartende Strafe, desto größer die Abschreckung und damit die präventive Wirkung. Wenn ein Jugendlicher im Fall eines Ladendiebstahls keine oder nur sehr geringe Konsequenzen zu befürchten hat, ist die Hemmschwelle doch wesentlich geringer mal eine CD oder einen Computerspiel mitgehen zu lassen, als wenn man davon ausgehen muss, dass einem dafür die Hand abgehackt wird, um mal eine sehr übertriebenes Beispiel zu nennen.
Ausschliessen kann man eine präventive Wirkung wohl nur bei psychisch kranken Menschen, die gar nicht in der Lage sind ihr Handeln irgendwie rational zu kontrollieren und zu bestimmen, z.B. schwer gestörte Triebtäter.
Zum Thema "Vergeltung":
Ich denke das Gerechtigkeit ein allgemeines, menschliches Bedürfnis ist. Und Gerechtigkeit lässt sich nur dadurch herstellen, dass ein Täter für seine Taten angemessen "büßen" muss.
Wenn ein Mörder nicht bestraft wird, empfinden das wohl alle Menschen als Ungerechtigkeit, ganz besonders die Menschen, die unmittelbar von der Tat des Mörders schwer betroffen sind.
Ich bin der Meinung, dass "Vergeltung" im Sinne von Gerechtigkeit im Strafrecht zwingend eine wichtige Rolle spielen muss.
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Samson83 registrierter User
Anmeldungsdatum: 18.01.2013 Beiträge: 6833
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(#1911937) Verfasst am: 27.03.2014, 19:20 Titel: Re: Modernes Strafrecht |
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Schöngeist hat folgendes geschrieben: |
Ich denke das Gerechtigkeit ein allgemeines, menschliches Bedürfnis ist. Und Gerechtigkeit lässt sich nur dadurch herstellen, dass ein Täter für seine Taten angemessen "büßen" muss. |
Non sequitur.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1911993) Verfasst am: 27.03.2014, 21:48 Titel: Re: Modernes Strafrecht |
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Schöngeist hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Mir, und auch einigen Hirnforschern, geht es darum, ein modernes Konzept zu haben, mit welchem Ziel man wie mit Normverletzern umgeht. Konkret bin ich der Ansicht, daß ein modernes Strafrecht keinen vergeltenden und möglicherweise auch keinen generalpräventiven Aspekt mehr ethisch begründen kann. | Naja, zum Thema Generalprävention würde ich mal behaupten, daß es auch auf die Straftat ankommt. Bei Eigentumsdelikten würde ich z.b. auf jeden Fall einen starken präventiven Charakter annehmen. Ich würde sogar behaupten, je härter die zu erwartende Strafe, desto größer die Abschreckung und damit die präventive Wirkung. |
Du hast aber nicht genau gelesen. Ich habe hier Zweifel an der ethischen Begründung angemeldet, nicht an der abschreckenden Wirkung selbst.
Damit Du verstehst, was ich meine: Nehmen wir mal an, es trete tatsächlich eine signifikant abschreckende Wirkung ein, wenn ... Schöngeist hat folgendes geschrieben: | ... einem dafür die Hand abgehackt wird, um mal eine sehr übertriebenes Beispiel zu nennen. |
Die Wirkung träte ja nur dann ein, wenn man gerade all denen, bei denen sie nicht eintritt, tatsächlich die Hand abhackt. Ist es aber ethisch vertretbar, gerade diejenigen besonders überhart zu quälen, bei denen die Prävention des Staates versagt hat?
Schöngeist hat folgendes geschrieben: | Ich denke das Gerechtigkeit ein allgemeines, menschliches Bedürfnis ist. Und Gerechtigkeit lässt sich nur dadurch herstellen, dass ein Täter für seine Taten angemessen "büßen" muss. Wenn ein Mörder nicht bestraft wird, empfinden das wohl alle Menschen als Ungerechtigkeit, ganz besonders die Menschen, die unmittelbar von der Tat des Mörders schwer betroffen sind. Ich bin der Meinung, dass "Vergeltung" im Sinne von Gerechtigkeit im Strafrecht zwingend eine wichtige Rolle spielen muss. |
Ich sehe das komplett anders und habe das ja schon hinreichend ausführlich begründet. Du argumentierst rein mit der Natürlichkeit / Nachenmpfindbarkeit des Rachebedürfnisses Geschädigter.
Es ist ethisch jedoch mE nicht überzeugend, warum der Geschädigte einen Anspruch auf quälende Behandlung des Schädigers haben sollte, etwa im Sinne einer lebenslangen Einknastung. Wenn Du Dich durch sagen wir einen windigen Geschäftsmann abgezockt fühlst, hast Du auch nachempfindbare Rachegefühle, aber keinen ethischen Anspruch darauf, daß der zur Strafe verprügelt wird. Eine lebenslange Haftstrafe ist kein geeigneter Gegenwert z.B. zu einer ermordeten Person. Man muß nach anderen Wegen suchen, die Wunden in den Seelen der Hinterbliebenen zu heilen.
Dazu kommt mE, daß der individuelle Racheinstinkt stark verbunden ist mit der intuitiven Annahme, daß der Verbrecher freiwillig, schuldhaft gehandelt habe. Falls seine Handlung jedoch - durch was auch immer - determiniert war (wie ich meine), ist diese Annahme schon grundsätzlich falsch und eher als ein evolutionäres Überbleibsel zu betrachten.
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