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Sir Chaos Heilvolles Durcheinander
Anmeldungsdatum: 20.11.2007 Beiträge: 974
Wohnort: bei Frankfurt/Main
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(#1554716) Verfasst am: 13.10.2010, 14:15 Titel: Natürliche Selektion für Nicht-Biologen |
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In meine Diplom-Arbeit, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, fließen Aspekte aus der Biologie, speziell der Evolutionstheorie ein.
Da das Ganze mit Wirtschaftswissenschaften direkt nichts zu tun hat, und man daher beim durchschnittlichen WiWi kein Fachwissen zur Evolution voraussetzen sollte, liefere ich in der Arbeit grundlegende Erklärungen zu den verwendeten Konzepten.
Da wir ja hier einige Fachleute haben, möchte ich hiermit um Feedback bitten, ob die folgende Erklärung aus eurer Sicht, gerichtet an Laien und in Anbetracht der Einschränkungen, zutreffend und ausreichend sind:
(sinngemäß aus meiner Arbeit:)
Wenn eine Eigenschaft verschiedene Ausprägungen hat (etwa bei der Laufgeschwindigkeit: schneller oder langsamer), und einige Ausprägungen (hier: schneller) einem Individuum einen Vorteil im Vergleich zu anderen Ausprägungen (hier: langsamer) verschafft, dann werden Individuen mit der vorteilhafteren Ausprägung ceteris paribus im Schnitt mehr Nachkommen hinterlassen als solche mit der weniger vorteilhaften Ausprägung (hier: weil die langsameren Individuen eher gefressen werden bzw. weniger Beute fangen). Dabei ist zu beachten, dass "ceteris paribus" in der Praxis nicht gegeben ist, und dass ein Vorteil (fast) immer auch einen "Preis" hat (z.B. höherer Energie- und damit Futterbedarf, also ein Nachteil bei Futterknappheit). Insgesamt sind die relativen Chancen eines Individuums, Nachkommen zu hinterlassen, ein Ergebnis der Gesamtheit aller relativen Vor- und Nachteile, die sich aus den Eigenschaften dieses Individuums verglichen mit denen anderer Individuen ergeben.
Dabei kommt es weniger auf konkrete Eigenschaften an, sondern auf Problemlösungen; eine Schildkröte etwa ist zwar langsam, aber sie löst dafür das Problem "Raubtier" durch ihren Panzer, und um ihre Nahrung einzuholen, braucht sie auch nicht schnell zu sein, denn Pflanzen laufen nicht davon.
Welche Lösungen sich dabei wie stark auswirken, hängt immer von der Umwelt ab, nämlich davon, wie dringend die Probleme sind - ein Kamel in der Wüste hat einen großen Vorteil davon, viel Wasser im Körper speichern zu können, während ein Fisch mit so einer Eigenschaft eher wenig anfangen könnte.
Habe ich das einigermaßen richtig dargestellt?
_________________ Illusion: Zu schön, um wahr zu sein.
Realität: Zu wahr, um schön zu sein.
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#1554723) Verfasst am: 13.10.2010, 14:35 Titel: Re: Natürliche Selektion für Nicht-Biologen |
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Sir Chaos hat folgendes geschrieben: |
[ ... ]
Habe ich das einigermaßen richtig dargestellt? |
ein wichtiger Aspekt fehlt: Die Eigenschaften müssen erblich sein.
Beim Rest kommt es ein wenig auf den Kontext an, in dem das steht. Gut finde ich, dass Du darauf hinweist, dass man nicht eine Eigenschaft isoliert betrachten kann und dass 'Vorteil' relativ zur Umwelt (das können auch nur konkurrierende Artgenossen sein) und zu den 'Kosten' ist.
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
Der Christengott ist immens schwach!
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Sir Chaos Heilvolles Durcheinander
Anmeldungsdatum: 20.11.2007 Beiträge: 974
Wohnort: bei Frankfurt/Main
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(#1554736) Verfasst am: 13.10.2010, 15:15 Titel: Re: Natürliche Selektion für Nicht-Biologen |
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El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Sir Chaos hat folgendes geschrieben: |
[ ... ]
Habe ich das einigermaßen richtig dargestellt? |
ein wichtiger Aspekt fehlt: Die Eigenschaften müssen erblich sein. |
Damit Evolution stattfindet, ja. Für das Individuum selbst kann auch eine nicht-erbliche Eigenschaft sich auf die Chancen auswirken - etwa eine Verletzung, die dauerhafte Schäden hinterlässt. Oder, positiver betrachtet, Lektionen, die das Individuum lernt.
Aber du hast recht; ich füge das mit der Erblichkeit noch hinzu.
Zitat: | Beim Rest kommt es ein wenig auf den Kontext an, in dem das steht. Gut finde ich, dass Du darauf hinweist, dass man nicht eine Eigenschaft isoliert betrachten kann und dass 'Vorteil' relativ zur Umwelt (das können auch nur konkurrierende Artgenossen sein) und zu den 'Kosten' ist. |
Umwelt sind für mich vor allem vier Dinge:
1) Äußere Umwelteinflüsse, wie erwähnt beim Kamel in der Wüste
2) lebende Gefahren wie Raubtiere, die man abwehren oder vor denen man fliehen muss
3) Nahrungsquellen, die sich dem Gefressenwerden entziehen (quasi als Spiegelbild zu (2))
4) Artgenossen als Konkurrenz (um Nahrung oder Partner) oder Partner (siehe sexuelle Selektion)
_________________ Illusion: Zu schön, um wahr zu sein.
Realität: Zu wahr, um schön zu sein.
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klauswerner registrierter User
Anmeldungsdatum: 16.12.2009 Beiträge: 715
Wohnort: Nürnberger Land
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(#1554740) Verfasst am: 13.10.2010, 15:23 Titel: Re: Natürliche Selektion für Nicht-Biologen |
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Sir Chaos hat folgendes geschrieben: | e man abwehren oder vor denen man fliehen muss
3) Nahrungsquellen, die sich dem Gefressenwerden entziehen (quasi als Spiegelbild zu (2))
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Witzig und wichtig finde ich: das es keinerlei aussenstehende pauschale Bewertung einer spezifischen Eigenschaften nach positiv oder negativ gibt.
Beispiel: um schnelle Beute zu fangen muss die Eigenschaft Geschwindigkeit gesteigert werden.
Nö, das Chamäleon fängt die schnellen Insekten durch seine Langsamkeit, Fische ihre schnelle Beute indem sie sich in den Sand eingraben, usw., oder, ganz krass: die ganz andere Eigenschaft "fleischliche Nahrung" wandelt sich zu "pflanzlicher Nahrung. (Es gibt immer wieder abgezweigte Arten, die plötzlich vom Fleischfresser auf pflanzliche Nahrung umschwenken und so für sich das Problem lösen).
Es gibt ganz unterschiedliche Lösungen zu einem spezifischen Problem.
Das verblüfft mich selber immer wieder.
Und das mit dem Preis, der zu zahlen ist, finde ich auch wichtig, siehe Albatros oder männliche Paradiesvögel.
_________________ Grüßle
klauswerner
Zuletzt bearbeitet von klauswerner am 13.10.2010, 16:06, insgesamt 3-mal bearbeitet |
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Sir Chaos Heilvolles Durcheinander
Anmeldungsdatum: 20.11.2007 Beiträge: 974
Wohnort: bei Frankfurt/Main
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(#1554747) Verfasst am: 13.10.2010, 15:36 Titel: Re: Natürliche Selektion für Nicht-Biologen |
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klauswerner hat folgendes geschrieben: | Sir Chaos hat folgendes geschrieben: | e man abwehren oder vor denen man fliehen muss
3) Nahrungsquellen, die sich dem Gefressenwerden entziehen (quasi als Spiegelbild zu (2))
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Witzig und wichtig finde ich: das es keinerlei ausstehende pauschale Bewertung einer spezifischen Eigenschaften nach positiv oder negativ gibt.
Beispiel: um schenlle Beute zu fangen muss die Eigenschaft Geschwidigkeit gesteigert werden.
Nö, das Camäleon fängt die schenllen Insekten durch seine Langsamkeit, Fische ihre schnelle Beute indem sie sich in den Sand eingraben, usw., oder, ganz krass: die ganz andere Eigenschaft "fleischliche Nahrung" wandelt sich zu "pflanzlicher Nahrung. (Es gibt immer wieder abgezweigte Arten, die plötzlich vom Fleischfresser auf planzliche Nahrung umschwenken und so für sich das Problem lösen).
Es gibt ganz unterschiedliche Lösungen zu einem spezifischen Problem.
Das verblüfft mich selber immer wieder.
Und das mit dem Preis, der zu zahlen ist, finde ich auch wichtig, siehe Albatros oder männliche Paradiesvögel. |
Dawkins nennt die Evolution nicht umsonst "The Greatest Show on Earth".
_________________ Illusion: Zu schön, um wahr zu sein.
Realität: Zu wahr, um schön zu sein.
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden
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(#1554777) Verfasst am: 13.10.2010, 17:16 Titel: Re: Natürliche Selektion für Nicht-Biologen |
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Sir Chaos hat folgendes geschrieben: | In meine Diplom-Arbeit, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, fließen Aspekte aus der Biologie, speziell der Evolutionstheorie ein.
Da das Ganze mit Wirtschaftswissenschaften direkt nichts zu tun hat, und man daher beim durchschnittlichen WiWi kein Fachwissen zur Evolution voraussetzen sollte, liefere ich in der Arbeit grundlegende Erklärungen zu den verwendeten Konzepten.
Da wir ja hier einige Fachleute haben, möchte ich hiermit um Feedback bitten, ob die folgende Erklärung aus eurer Sicht, gerichtet an Laien und in Anbetracht der Einschränkungen, zutreffend und ausreichend sind:
(sinngemäß aus meiner Arbeit:)
Wenn eine Eigenschaft verschiedene Ausprägungen hat (etwa bei der Laufgeschwindigkeit: schneller oder langsamer), und einige Ausprägungen (hier: schneller) einem Individuum einen Vorteil im Vergleich zu anderen Ausprägungen (hier: langsamer) verschafft, dann werden Individuen mit der vorteilhafteren Ausprägung ceteris paribus im Schnitt mehr Nachkommen hinterlassen als solche mit der weniger vorteilhaften Ausprägung (hier: weil die langsameren Individuen eher gefressen werden bzw. weniger Beute fangen). Dabei ist zu beachten, dass "ceteris paribus" in der Praxis nicht gegeben ist, und dass ein Vorteil (fast) immer auch einen "Preis" hat (z.B. höherer Energie- und damit Futterbedarf, also ein Nachteil bei Futterknappheit). Insgesamt sind die relativen Chancen eines Individuums, Nachkommen zu hinterlassen, ein Ergebnis der Gesamtheit aller relativen Vor- und Nachteile, die sich aus den Eigenschaften dieses Individuums verglichen mit denen anderer Individuen ergeben.
Dabei kommt es weniger auf konkrete Eigenschaften an, sondern auf Problemlösungen; eine Schildkröte etwa ist zwar langsam, aber sie löst dafür das Problem "Raubtier" durch ihren Panzer, und um ihre Nahrung einzuholen, braucht sie auch nicht schnell zu sein, denn Pflanzen laufen nicht davon.
Welche Lösungen sich dabei wie stark auswirken, hängt immer von der Umwelt ab, nämlich davon, wie dringend die Probleme sind - ein Kamel in der Wüste hat einen großen Vorteil davon, viel Wasser im Körper speichern zu können, während ein Fisch mit so einer Eigenschaft eher wenig anfangen könnte.
Habe ich das einigermaßen richtig dargestellt? |
Du könntest noch die sexuelle Selektion erwähnen, die nicht zwingend mit der differenziellen Tauglichkeit korreliert. Pfauen haben aufgrund ihres langen Schwanzes und den prächtigen Farben einen Überlebensnachteil. Trotzdem haben die tauglicheren Pfauen ohne Schwanz- und Farbenpracht keine Chancen, Nachkommen zu zeugen, weil die Weibchen so eigentümliche Auswahlkriterien entwickelt haben. Es ist eine interessante Frage der Verhaltensbiologie, ob sich diese Auswahlkriterien eher "zufällig" etabliert haben oder selbst das Ergebnis von Selektion sind.
Winkler, H. (1994) Tierisches Verhalten - ein Motor der Evolution. In: Wieser, W. (Hg.) Die Evolution der Evolutionstheorie. Von Darwin zur DNA. Heidelberg, Berlin, Oxford, 194-220
beispielsweise vertritt die Ansicht, dass das sexuelle Auswahlverhalten der Weibchen oft auf einer Art "Hitchhiking"-Effekt beruht, dass es also ein eher zufälliger Nebeneffekt anderer neuronaler Veränderungen bzw. Optimierungen sein kann.
Es gibt noch einen weiteren Punkt, aber der ist für Deine Arbeit wahrscheinlich zu "high end", und das sind Entwicklungszwänge. Beispielsweise gibt es Merkmale, die nicht mehr modifiziert werden können, auch wenn die Selektion derartiges belohnen würde. Beispiel: die Eliminierung des Wurmfortsatzes oder die Erhöhung der Zahl der Halswirbel bei der Giraffe.
_________________ "Science is a candle in the dark." - Carl Sagan
www.ag-evolutionsbiologie.de
www.facebook.com/AGEvolutionsbiologie
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krypter unglaublich
Anmeldungsdatum: 29.03.2008 Beiträge: 383
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(#1555069) Verfasst am: 14.10.2010, 05:56 Titel: Re: Natürliche Selektion für Nicht-Biologen |
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Sir Chaos hat folgendes geschrieben: | [...] liefere ich in der Arbeit grundlegende Erklärungen zu den verwendeten Konzepten. |
Da würde es sich doch anbieten, mit Dawkins Witz zur Erklärung der natürlichen Selektion einzusteigen:
Zitat: | Zwei Wanderer werden von einem Bären verfolgt. Der eine bleibt stehen, um seine Joggingschuhe anzuziehen. "Hey, komm schnell", hetzt der andere. "Du glaubst doch wohl nicht, dass du mit den Schuhen schneller laufen kannst als der Grizzly." "Nein, nicht schneller als der Bär, aber als du." |
http://bazonline.ch/wissen/natur/Darwin-hatte-doch-recht-/story/15733636
Gruß
krypter
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#1555087) Verfasst am: 14.10.2010, 09:21 Titel: Re: Natürliche Selektion für Nicht-Biologen |
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Sir Chaos hat folgendes geschrieben: |
Umwelt sind für mich vor allem vier Dinge:
1) Äußere Umwelteinflüsse, wie erwähnt beim Kamel in der Wüste
2) lebende Gefahren wie Raubtiere, die man abwehren oder vor denen man fliehen muss
3) Nahrungsquellen, die sich dem Gefressenwerden entziehen (quasi als Spiegelbild zu (2))
4) Artgenossen als Konkurrenz (um Nahrung oder Partner) oder Partner (siehe sexuelle Selektion) |
Darwin Upheaval hat darauf hingewiesen, dass es auch eine innere Umwelt gibt. Das wurde aber auch innerhalb der Evolutionstheorie lange Zeit nicht beachtet bzw. mehr oder weniger als eine Konstante betrachtet.
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
Der Christengott ist immens schwach!
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Sir Chaos Heilvolles Durcheinander
Anmeldungsdatum: 20.11.2007 Beiträge: 974
Wohnort: bei Frankfurt/Main
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(#1555344) Verfasst am: 14.10.2010, 15:41 Titel: Re: Natürliche Selektion für Nicht-Biologen |
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Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | Sir Chaos hat folgendes geschrieben: | In meine Diplom-Arbeit, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, fließen Aspekte aus der Biologie, speziell der Evolutionstheorie ein.
Da das Ganze mit Wirtschaftswissenschaften direkt nichts zu tun hat, und man daher beim durchschnittlichen WiWi kein Fachwissen zur Evolution voraussetzen sollte, liefere ich in der Arbeit grundlegende Erklärungen zu den verwendeten Konzepten.
Da wir ja hier einige Fachleute haben, möchte ich hiermit um Feedback bitten, ob die folgende Erklärung aus eurer Sicht, gerichtet an Laien und in Anbetracht der Einschränkungen, zutreffend und ausreichend sind:
(sinngemäß aus meiner Arbeit:)
Wenn eine Eigenschaft verschiedene Ausprägungen hat (etwa bei der Laufgeschwindigkeit: schneller oder langsamer), und einige Ausprägungen (hier: schneller) einem Individuum einen Vorteil im Vergleich zu anderen Ausprägungen (hier: langsamer) verschafft, dann werden Individuen mit der vorteilhafteren Ausprägung ceteris paribus im Schnitt mehr Nachkommen hinterlassen als solche mit der weniger vorteilhaften Ausprägung (hier: weil die langsameren Individuen eher gefressen werden bzw. weniger Beute fangen). Dabei ist zu beachten, dass "ceteris paribus" in der Praxis nicht gegeben ist, und dass ein Vorteil (fast) immer auch einen "Preis" hat (z.B. höherer Energie- und damit Futterbedarf, also ein Nachteil bei Futterknappheit). Insgesamt sind die relativen Chancen eines Individuums, Nachkommen zu hinterlassen, ein Ergebnis der Gesamtheit aller relativen Vor- und Nachteile, die sich aus den Eigenschaften dieses Individuums verglichen mit denen anderer Individuen ergeben.
Dabei kommt es weniger auf konkrete Eigenschaften an, sondern auf Problemlösungen; eine Schildkröte etwa ist zwar langsam, aber sie löst dafür das Problem "Raubtier" durch ihren Panzer, und um ihre Nahrung einzuholen, braucht sie auch nicht schnell zu sein, denn Pflanzen laufen nicht davon.
Welche Lösungen sich dabei wie stark auswirken, hängt immer von der Umwelt ab, nämlich davon, wie dringend die Probleme sind - ein Kamel in der Wüste hat einen großen Vorteil davon, viel Wasser im Körper speichern zu können, während ein Fisch mit so einer Eigenschaft eher wenig anfangen könnte.
Habe ich das einigermaßen richtig dargestellt? |
Du könntest noch die sexuelle Selektion erwähnen, die nicht zwingend mit der differenziellen Tauglichkeit korreliert. Pfauen haben aufgrund ihres langen Schwanzes und den prächtigen Farben einen Überlebensnachteil. Trotzdem haben die tauglicheren Pfauen ohne Schwanz- und Farbenpracht keine Chancen, Nachkommen zu zeugen, weil die Weibchen so eigentümliche Auswahlkriterien entwickelt haben. Es ist eine interessante Frage der Verhaltensbiologie, ob sich diese Auswahlkriterien eher "zufällig" etabliert haben oder selbst das Ergebnis von Selektion sind.
Winkler, H. (1994) Tierisches Verhalten - ein Motor der Evolution. In: Wieser, W. (Hg.) Die Evolution der Evolutionstheorie. Von Darwin zur DNA. Heidelberg, Berlin, Oxford, 194-220
beispielsweise vertritt die Ansicht, dass das sexuelle Auswahlverhalten der Weibchen oft auf einer Art "Hitchhiking"-Effekt beruht, dass es also ein eher zufälliger Nebeneffekt anderer neuronaler Veränderungen bzw. Optimierungen sein kann.
Es gibt noch einen weiteren Punkt, aber der ist für Deine Arbeit wahrscheinlich zu "high end", und das sind Entwicklungszwänge. Beispielsweise gibt es Merkmale, die nicht mehr modifiziert werden können, auch wenn die Selektion derartiges belohnen würde. Beispiel: die Eliminierung des Wurmfortsatzes oder die Erhöhung der Zahl der Halswirbel bei der Giraffe. |
Danke, das ist interessant, aber beides zu "high end" für meine Arbeit.
_________________ Illusion: Zu schön, um wahr zu sein.
Realität: Zu wahr, um schön zu sein.
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Sir Chaos Heilvolles Durcheinander
Anmeldungsdatum: 20.11.2007 Beiträge: 974
Wohnort: bei Frankfurt/Main
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(#1555346) Verfasst am: 14.10.2010, 15:44 Titel: Re: Natürliche Selektion für Nicht-Biologen |
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krypter hat folgendes geschrieben: | Sir Chaos hat folgendes geschrieben: | [...] liefere ich in der Arbeit grundlegende Erklärungen zu den verwendeten Konzepten. |
Da würde es sich doch anbieten, mit Dawkins Witz zur Erklärung der natürlichen Selektion einzusteigen:
Zitat: | Zwei Wanderer werden von einem Bären verfolgt. Der eine bleibt stehen, um seine Joggingschuhe anzuziehen. "Hey, komm schnell", hetzt der andere. "Du glaubst doch wohl nicht, dass du mit den Schuhen schneller laufen kannst als der Grizzly." "Nein, nicht schneller als der Bär, aber als du." |
http://bazonline.ch/wissen/natur/Darwin-hatte-doch-recht-/story/15733636
Gruß
krypter |
Den Witz kenne ich als Beschreibung der Mentalität von Managern.
_________________ Illusion: Zu schön, um wahr zu sein.
Realität: Zu wahr, um schön zu sein.
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Sir Chaos Heilvolles Durcheinander
Anmeldungsdatum: 20.11.2007 Beiträge: 974
Wohnort: bei Frankfurt/Main
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(#1555350) Verfasst am: 14.10.2010, 15:49 Titel: Re: Natürliche Selektion für Nicht-Biologen |
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El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Sir Chaos hat folgendes geschrieben: |
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Habe ich das einigermaßen richtig dargestellt? |
ein wichtiger Aspekt fehlt: Die Eigenschaften müssen erblich sein. |
Ich habe nochmal hierüber nachgedacht.
Streng genommen ist die Erblichkeit (meiner Meinung nach) kein Bestandteil der Natürlichen Selektion, sondern die Erblichkeit und die Selektion sind beide (zusammen mit der Variation von Eigenschaften) Bestandteil der Evolution.
_________________ Illusion: Zu schön, um wahr zu sein.
Realität: Zu wahr, um schön zu sein.
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Alphatierchen Mostly harmless
Anmeldungsdatum: 24.09.2007 Beiträge: 4218
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(#1555358) Verfasst am: 14.10.2010, 15:56 Titel: Re: Natürliche Selektion für Nicht-Biologen |
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Sir Chaos hat folgendes geschrieben: | El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Sir Chaos hat folgendes geschrieben: |
[ ... ]
Habe ich das einigermaßen richtig dargestellt? |
ein wichtiger Aspekt fehlt: Die Eigenschaften müssen erblich sein. |
Damit Evolution stattfindet, ja. Für das Individuum selbst kann auch eine nicht-erbliche Eigenschaft sich auf die Chancen auswirken - etwa eine Verletzung, die dauerhafte Schäden hinterlässt. Oder, positiver betrachtet, Lektionen, die das Individuum lernt.
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Die Lernfähigkeit des Individuums an sich ist eine Folge der natürlichen Selektion. Von daher muss zumindest die Lernfähigkeit erblich sein.
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#1556284) Verfasst am: 16.10.2010, 11:18 Titel: Re: Natürliche Selektion für Nicht-Biologen |
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Sir Chaos hat folgendes geschrieben: | El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Sir Chaos hat folgendes geschrieben: |
[ ... ]
Habe ich das einigermaßen richtig dargestellt? |
ein wichtiger Aspekt fehlt: Die Eigenschaften müssen erblich sein. |
Ich habe nochmal hierüber nachgedacht.
Streng genommen ist die Erblichkeit (meiner Meinung nach) kein Bestandteil der Natürlichen Selektion, sondern die Erblichkeit und die Selektion sind beide (zusammen mit der Variation von Eigenschaften) Bestandteil der Evolution. |
kann man so sehen.
Allerdings steht das Konzept dann im 'luftleeren Raum'.
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
Der Christengott ist immens schwach!
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stephendaedalus Evoluzzer
Anmeldungsdatum: 12.10.2010 Beiträge: 18
Wohnort: Rheinhessen
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donquijote registrierter User
Anmeldungsdatum: 01.11.2010 Beiträge: 36
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(#1564477) Verfasst am: 01.11.2010, 15:18 Titel: Re: Natürliche Selektion für Nicht-Biologen |
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Sir Chaos hat folgendes geschrieben: | In meine Diplom-Arbeit, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, fließen Aspekte aus der Biologie, speziell der Evolutionstheorie ein.
Da das Ganze mit Wirtschaftswissenschaften direkt nichts zu tun hat, und man daher beim durchschnittlichen WiWi kein Fachwissen zur Evolution voraussetzen sollte, liefere ich in der Arbeit grundlegende Erklärungen zu den verwendeten Konzepten.
(...)
Habe ich das einigermaßen richtig dargestellt? |
Vielleicht schaust du dir als Alternative einmal die Systemische Evolutionstheorie an, da der Autor wirtschaftswissenschaftliche Themen mit abhandelt. Wie du hier unter Stimmen (Radermacher) lesen kannst, scheint der Ansatz mit der sog. Evolutionsökonomik kompatibel zu sein.
Ferner hat der Autor einen eigenen Artikel über die natürliche Selektion geschrieben: Die Evolution des Prinzips der natürlichen Selektion. Darin macht er u. a. darauf aufmerksam, dass die von dir gegebene Darstellung der natürlichen Selektion zumindest für Sozialstaaten nicht mehr in der Allgemeinheit zutreffend ist. In deiner Beschreibung wird nämlich behauptet, dass der überlegene Fortpflanzungserfolg im Grunde eine Folge überlegener individueller Merkmale ist. Das ist für Sozialstaaten nicht zutreffend. Dort hängt der Fortpflanzungserfolg primär von der angenommenen sozialen Rolle (im Rahmen einer sozialstaatlichen Arbeitsteilung) ab.
_________________ Systemische Evolutionstheorie: https://www.createspace.com/4020671
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