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dAdAmai Zweifler
Anmeldungsdatum: 26.06.2009 Beiträge: 217
Wohnort: Bonn Bad Godesberg
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(#1578965) Verfasst am: 30.11.2010, 09:57 Titel: |
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VanHanegem hat folgendes geschrieben: | Lieber Herr fwo, Du hast hier nicht auf die Vertreibung der sephardischen Juden oder deren Ermordung durch die Inquisition, sondern gezielt auf den Holocaust hingewiesen. Die angebliche Wurzel im Christentum für die Einzigartigkeit des rassisch motivierten millionenfachen Massenwordes der Nazis bleibst Du weiter schuldig. |
Das hat Deschner doch vielfach belegt.
_________________ Avatar-Foto: »Der heilige Stuhl« A.Mut, D.Mut, G.Horsam
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MountainKing registrierter User
Anmeldungsdatum: 31.05.2006 Beiträge: 1438
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(#1578988) Verfasst am: 30.11.2010, 10:47 Titel: |
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VanHanegem hat folgendes geschrieben: |
Lieber Herr fwo, Du hast hier nicht auf die Vertreibung der sephardischen Juden oder deren Ermordung durch die Inquisition, sondern gezielt auf den Holocaust hingewiesen. Die angebliche Wurzel im Christentum für die Einzigartigkeit des rassisch motivierten millionenfachen Massenwordes der Nazis bleibst Du weiter schuldig. |
Der Holocaust war schlicht nicht rein rassistisch motiviert, sondern religiöse, pseudowissenschaftliche und soziale Motivationen wirkten zusammen. Ein frühe rassistische Begründung des Antisemitismus findet sich übrigens schon zu tief christlichen Zeiten in Spanien ("sangre limpia", das eben nur die Christen besaßen). Oder willst du behaupten, dass Ende des 19. Jahrhunderts die Jahrhunderte gepflegte christliche Judenfeindschaft urplötzlich aufhörte und genauso plötzlich eine rassistische entstand, die allein für den Holocaust verantwortlich war, ohne dass es zwischen beiden irgendwelche Verbindungen gab? Dass es im NT judenfeindliche Äußerungen gibt ("Sein Blut komme über uns und unsre Kinder", "Diener des Teufels" et. cet.) lässt sich schwer abstreiten, selbst wenn sie beispielsweise Paulus evtl. später untergeschoben worden sind. Dass es Vertreibungen und Pogrome auch mit anderen Begründungen gab und gibt ändert doch nichts daran, dass antijüdische Pogrome auch spezifisch christlich motiviert waren.
_________________ Daß starke Blähungen auftreten, rührt davon her, dass der Astralleib noch nicht vollständig in die Darmorganisation eingegliedert ist. (Rudolf Steiner)
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VanHanegem Weltmeister
Anmeldungsdatum: 24.04.2006 Beiträge: 3180
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(#1579433) Verfasst am: 01.12.2010, 09:58 Titel: |
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dAdAmai hat folgendes geschrieben: | Das hat Deschner doch vielfach belegt. |
Deschners Werk ist in erster Linie eine Faktensammlung. Falls er zu diesem Thema passend irgenswo einen Zusammenhang aufgezeigt haben sollte wäre das hier schon darzulegen,
MountainKing hat folgendes geschrieben: | Der Holocaust war schlicht nicht rein rassistisch motiviert, sondern religiöse, pseudowissenschaftliche und soziale Motivationen wirkten zusammen. |
Die rassische Motivation stand im Vordergrund und ist neben der bisher nie dagewesenen technischen und organisatorischen Konsequenz und Effizienz und dem Willen gezielt Teile der meinschheit als "unwert" bzw. "schädlich" auszurotten ein entscheidendes Merkmal das die Einzigartigkeit des Holocaust im Vergleich zu anderen Pogromen, Vertreibungen und Verfolgungen begründet.
MountainKing hat folgendes geschrieben: | Ein frühe rassistische Begründung des Antisemitismus findet sich übrigens schon zu tief christlichen Zeiten in Spanien ("sangre limpia", das eben nur die Christen besaßen). |
Sangre Limpia ist m.W. eine elitäre Attitüde spanischer Adelskreise und hat mit rassistisch bedingter Verfolgung nichts zu tun. Die Judenverfolgung zur Zeit von Fernando war in erster Linie an Religionsausübung gekoppelt, war eine Verfolgung Andersdenkender, weder mit dem Holocaust vergleichbar, noch eine besonders christliche Spezialität.
MountainKing hat folgendes geschrieben: | Oder willst du behaupten, dass Ende des 19. Jahrhunderts die Jahrhunderte gepflegte christliche Judenfeindschaft urplötzlich aufhörte und genauso plötzlich eine rassistische entstand, die allein für den Holocaust verantwortlich war, ohne dass es zwischen beiden irgendwelche Verbindungen gab? |
Daß es Verbindungen gibt habe ich nie abgestritten. Die Behauptung von fwo zielte jedoch in die Richtung, daß der Holocaust eine spezifisch christliche Veranstaltung sei. Dies wird meinerseits bestritten. Im Vordergrund stand bei den Nazis vielmehr die rassistische Schiene vorbereitet u.a. durch Darwin, Nietzsche und Haeckel.
MountainKing hat folgendes geschrieben: | Dass es im NT judenfeindliche Äußerungen gibt ("Sein Blut komme über uns und unsre Kinder", "Diener des Teufels" et. cet.) lässt sich schwer abstreiten, selbst wenn sie beispielsweise Paulus evtl. später untergeschoben worden sind. |
Auch Juden kritisieren Juden und Christen kritisieren christen, teils mit drastischer Wortwahl. Ich habe längst eingeräumt, daß höfliche Toleranz nicht gerade die Stärke monotheistischer Religionen ist.
MountainKing hat folgendes geschrieben: | Dass es Vertreibungen und Pogrome auch mit anderen Begründungen gab und gibt ändert doch nichts daran, dass antijüdische Pogrome auch spezifisch christlich motiviert waren. |
Nun ist aber der von fwo thematisierte Holocaust gerade eines der Pogrome bei dem die "anderen Begründungen" im Vordergrund standen.
_________________ Hup Holland Hup, Oranje winnt de cup (2022)
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MountainKing registrierter User
Anmeldungsdatum: 31.05.2006 Beiträge: 1438
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(#1579455) Verfasst am: 01.12.2010, 11:17 Titel: |
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VanHanegem hat folgendes geschrieben: |
Die rassische Motivation stand im Vordergrund und ist neben der bisher nie dagewesenen technischen und organisatorischen Konsequenz und Effizienz und dem Willen gezielt Teile der meinschheit als "unwert" bzw. "schädlich" auszurotten ein entscheidendes Merkmal das die Einzigartigkeit des Holocaust im Vergleich zu anderen Pogromen, Vertreibungen und Verfolgungen begründet. |
Auszurotten waren allerdings nicht nur Juden, sondern auch geistig Behinderte, Homosexuelle, "Zigeuner" usw. Im Gegensatz zu den anderen "Zielgruppen" wurden die Juden aber anhand ihrer Religion identifiziert und die Frage ist, ob sie ohne den vorhergehenden christlichen Antijudaismus und seiner Folgen als Opfergruppe in Frage gekommen wären. Die Nürnberger Rassegesetze definieren Juden nicht nach "rassischen" Merkmalen, sondern nach der Religionszugehörigkeit ihrer Großeltern.
VanHanegem hat folgendes geschrieben: |
Sangre Limpia ist m.W. eine elitäre Attitüde spanischer Adelskreise und hat mit rassistisch bedingter Verfolgung nichts zu tun. Die Judenverfolgung zur Zeit von Fernando war in erster Linie an Religionsausübung gekoppelt, war eine Verfolgung Andersdenkender, weder mit dem Holocaust vergleichbar, noch eine besonders christliche Spezialität. |
Eine der gängigen Unterscheidungen zwischen religiösem und rassischem Antijudaismus/Antisemitismus ist, dass ersterer auf Konversion drängt, wenn der Jude also Christ wird, hört er auf Jude zu sein. Im rassistischen Konzept bleibt er Jude, egal, was er macht. Und genau das wird in Spanien bereits vorgedacht, die Feindschaft richtet sich nämlich gerade gegen die konvertierten Juden, die nach wie vor Juden sind und bleiben. Es geht nicht um einen Vergleich mit dem Holocaust, sondern darum, dass die Trennung zwischen religiösen und rassischen Begründungen nicht so einfach und scharf ist.
VanHanegem hat folgendes geschrieben: |
Daß es Verbindungen gibt habe ich nie abgestritten. Die Behauptung von fwo zielte jedoch in die Richtung, daß der Holocaust eine spezifisch christliche Veranstaltung sei. Dies wird meinerseits bestritten. Im Vordergrund stand bei den Nazis vielmehr die rassistische Schiene vorbereitet u.a. durch Darwin, Nietzsche und Haeckel. |
Da verdrehst du aber den Zusammenhang:
fwo hat folgendes geschrieben: |
Im NT finden wir neu den Judenhass, der sich dann bis zum großen Unfall Holocaust durch die Geschichte des Christentums zieht. Und wenn ich jetzt dazuzähle, dass die, die den Holocaust dann verwirklichten, sich zum großen Teil selbst als Christen sahen, auf jeden Fall aber alle christlich sozialisiert waren, dann haben wir einen ähnlichen Zusammenhang zwischen Christentum und Holocaust wie zwischen Christentum und Menschenrechten. |
Fwos Argument war, dass der Zusammenhang zwischen Christentum und Menschenrechten mit dem zwischen Christentum und Holocaust vergleichbar wäre. Diejenigen, die das Christentum für die Begründung der Menschenrechte verantwortlich zeichnen, nehmen nämlich einige Bibelverse, verweisen darauf, dass die Menschenrechte im christlich geprägten Kulturkreis von christlich sozialisierten Personen "entwickelt" wurden und fertig ist der Zusammenhang. Und genauso kann man eben auch den Zusammenhang zwischen Holocaust und Christentum belegen. Aber da wollen Gläubige es dann natürlich ganz genau wissen, bringen andere Bibelverse, hinterfragen die Motivation der Täter ganz genau und wenn die nicht alles wörtlich mit der Bibel begründet haben, sind es auch keine "echten" Christen und ähnliche Argumentationsstrategien.
Es geht also im Kern darum, dass hier ungleich gewichtet wird, weil man natürlich heute die Menschenrechte gern mit dem Christentum verbunden sähe, den Holocaust aber eher ungern. Dieser wäre aber in dieser Logik durchaus ebenso eine "Erfindung" des christlich-abendländischen Kulturkreises.
VanHanegem hat folgendes geschrieben: |
Auch Juden kritisieren Juden und Christen kritisieren christen, teils mit drastischer Wortwahl. |
Es geht hier nicht um beliebige menschliche kritische Aussagen, sondern um Passagen der Heiligen Schrift, also von Gott selbst sanktionierte ewige Wahrheiten.
_________________ Daß starke Blähungen auftreten, rührt davon her, dass der Astralleib noch nicht vollständig in die Darmorganisation eingegliedert ist. (Rudolf Steiner)
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26510
Wohnort: im Speckgürtel
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(#1579459) Verfasst am: 01.12.2010, 11:24 Titel: |
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VanHanegem hat folgendes geschrieben: | ....Die Behauptung von fwo zielte jedoch in die Richtung, daß der Holocaust eine spezifisch christliche Veranstaltung sei. Dies wird meinerseits bestritten. Im Vordergrund stand bei den Nazis vielmehr die rassistische Schiene vorbereitet u.a. durch Darwin, Nietzsche und Haeckel..... |
Nä. Nicht spezifisch christlich, sondern genauso christlich wie die Menschenrechte - das war das Thema. Was die Nazis in den Vordergrund gestellt haben, interessiert in diesem Zusammenhang überhaupt nicht. Es wird behauptet, unsere Kultur sei christlich. Auch die Nazis haben sich in ihrer großen Mehrheit zum Christentum bekannt und sie waren praktisch zu 100% christlich sozialisiert. Nur vor diesem Hintergrund des seit Jahrhunderten geschürten Judenhasses ist die praktische Umsetzung der Judenverfolgung des 3 Reiches doch überhaupt erst erklärbar. Was meinst Du, was passiert wäre, wenn eine Partei mit irgendwelchen anderen Gründen stattdessen versucht hätte, die Blonden oder die Rotweintrinker auszurotten?
Und - tut mir leid, aber Darwin gehört nicht in die Reihe. Du findest bei ihm durchaus auch ein paar rassistisch anmutende Formulierungen, besonders in seinen frühen Tagebüchern, die übrigens auch von seinem noch existenten Christentum geprägt sind, aber er war darin Kind seiner Zeit und nicht Urheber. Die Belege, die Du da hast, sollten wir uns einmal ansehen.
fwo
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.
Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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Telliamed registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2007 Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten
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(#1579467) Verfasst am: 01.12.2010, 11:50 Titel: |
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Noch einmal kurz zu der Ausgangsfrage. Die kann nicht pauschal mit "Ja" oder "Nein" beantwortet werden. Säkulare Menschenrechtsvorstellungen entwickelten sich in Europa vor allem seit dem 19. Jahrhundert aus einem zunächst vom Christentum geprägten Umfeld heraus und nahmen immer mehr eine weltliche Gestalt, für jeden Menschen geltend an, je mehr die Standesschranken überwunden wurden.
Die ersten Formulierungen von Menschenrechten in der Frühen Neuzeit im lateinisch-christlich geprägten West- und Mitteleuropa zu verorten, bedeutet zunächst, den historischen Raum zu bestimmen, in dem dieses geschah. Es war nicht das griechisch-orthodox geprägte Europa, es waren offenbar keine außereuropäischen Kulturen. Die Chinesen mögen protestieren, sollte es bei ihnen Betrachtungen und normierende Festlegungen über die Menschenrechte gegeben haben.
Und die Akteure, die die Menschenrechte formulierten, waren bis zum 19. Jahrhundert getaufte Christen, auch der eingangs erwähnte Skeptiker Pierre Bayle.
Soweit so gut, jetzt müsste aber bestimmt werden, wie das "Christentum" (was ist das eigentlich?) menschenrechtliche Normen begründet haben soll. Sind sie im Kanonischen Recht zu finden? Schwerlich.
Menschenrechte wurden in bestimmten historischen Situationen festgehalten, in denen emanzipatorische Errungenschaften vor allem des städtischen Bürgertums zunächst in einem bestimmten Land zum Durchbruch verholfen wurde. Nach Erlass der Habeas Corpus Akte von 1679 in einer bestimmten Situation zwischen Englischer bürgerlicher Revolution 1640-49 und ihrer Zweiten Etappe, der Glorious Revolution von 1688/89, war es nicht mehr ohne weiteres möglich, in eine Wohnung einzudringen und einen Bürger einfach in einem Verlies irgendeiner Burg auf unbestimmte Zeit verschwinden zu lassen, wie das im Mittelalter gehandhabt wurde. Hingegen genügte im absolutistischen Frankreich im 18. Jh. noch ein "Lettre de cachet", und man wanderte ohne Angaben von Gründen für Jahre in die Bastille, bis man dort verfaulte.
Die Erklärung der Menschenrechte 1776 hielt die Errungenschaften der Loslösung der nordamerikanischen Kolonien von der britischen Monarchie fest. Sie war auch noch in manchem nicht vollkommen, Thomas Jefferson hatte selbst noch Haus- und Plantagensklaven. Eine nächste Etappe war die Erklärung der Menschen-und Bürgerrechte in der Französischen Revolution, aber erst nach dem Aufstand der haitianischen Negersklaven wurde 1793 die Sklaverei vom Konvent in Paris aufgehoben. Und so ging das fort bis ins 20. Jahrhundert, bis zur Bildung der UNO und ihren Deklarationen. Diese Menschenrechte sind nicht unumstritten, ihre Durchsetzung vom politischen Kräfteverhältnis abhängig. Das Recht auf Arbeit in der Verfassung der DDR verlor seine Gültigkeit.
Die Verfechter der Ansicht, dass die Ursprünge der Menschenrechte im "Christentum" zu suchen sein, müssten dies erst einmal erklären.
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44683
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(#1579623) Verfasst am: 01.12.2010, 20:15 Titel: |
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YB0b hat folgendes geschrieben: | - H E I L U N G -
eine Errungenschaft von AIDS. |
Bei einer solchen Analogie stellt sich aber immer noch die Frage, warum ausgerechnet im christlichen Europa die Menschenrechte aufkamen und nicht in anderen religiös dominierten Gegenden der Welt.
Anders gefragt: Warum brachte eine gerade von dieser Krankheit geplagte Kultur die Heilung hervor, während die von anderen Krankheiten geplagten Kulturen nichts derartiges hervorbrachten?
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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Martha-Helene auf Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 24.02.2010 Beiträge: 1155
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(#1581608) Verfasst am: 06.12.2010, 14:39 Titel: |
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Telliamed hat folgendes geschrieben: | Säkulare Menschenrechtsvorstellungen entwickelten sich in Europa vor allem seit dem 19. Jahrhundert aus einem zunächst vom Christentum geprägten Umfeld heraus und nahmen immer mehr eine weltliche Gestalt, für jeden Menschen geltend an, je mehr die Standesschranken überwunden wurden. |
Zu "Säkularisierung" fand ich eine erstaunliche Definition bei der Konrad-Adenauer-Stiftung:
Zitat: | Säkularisierung kann positiv als Übergang in eine neue Epoche der Christentumsgeschichte aufgefasst werden, in der die Verchristlichung der Menschen soweit fortgeschritten ist, dass Gesellschaft und Staat im Wesentlichen ohne kirchliche Institute und Vermittlungen auskommen.
Oder Säkularisierung wird als Entchristlichung gedeutet, näherhin als Ursprung letztlich aller modernen Katastrophen der abendländischen Menschheit und der von ihr beeinflussten Welt. |
http://www.kas.de/wf/de/71.8827
Demnach wäre in Bayern die Säkularisierung weit fortgeschritten, wenn in allen öffentlichen Gebäuden Kruzifixe hängen und die biblische Botschaft verkündigt wird?
Und dann stände man dort kurz vor der Abschaffung der Kirchen und Kirchenämter?
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feuerbachmarsch Wesen aus einer höheren Sphäre
Anmeldungsdatum: 12.09.2010 Beiträge: 41
Wohnort: weiz
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(#1589292) Verfasst am: 20.12.2010, 15:01 Titel: |
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Ich glaube nicht, dass das Christentum Grundlage für die Menschenrechte ist. Es war gegenüber dem Römertum ein Fortschritt und ganz besonders gegenüber dem orthodoxen Judentum, da man erst jetzt so langsam den Glauben loswerden konnte. Aber viele Rechte wie die von Frauen, Minderheiten oder Andersdenkenden wurden nicht wegen, sondern trotz des Christentums eingeführt.
_________________ Die Aufgabe der Philosophie ist die Annäherung des Individuums an die objektive Realität. Die Anti-Philosophie ist die Rückführung dessen in Dummheit und Barbarei.
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Kival Profeminist Ghost
Anmeldungsdatum: 14.11.2006 Beiträge: 24071
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(#1589308) Verfasst am: 20.12.2010, 15:17 Titel: |
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Inwiefern war das Christentum denn ein Fortschritt gegenüber dem Römertum?
_________________ "A basic literacy in statistics will one day be as necessary for efficient citizenship as the ability to read and write." (angeblich H. G. Wells)
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Evilbert auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 16.09.2003 Beiträge: 42408
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(#1589310) Verfasst am: 20.12.2010, 15:19 Titel: |
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Kival hat folgendes geschrieben: | Inwiefern war das Christentum denn ein Fortschritt gegenüber dem Römertum? |
Keine Todesstrafe mehr. Höhö.
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Gnosis dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 16.12.2010 Beiträge: 53
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(#1589512) Verfasst am: 20.12.2010, 19:08 Titel: |
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Das Problem mit der Bibel insgesamt und dem Evangelium im Speziellen ist der Umstand der Missverständlichkeit. Man kann einerseits aus dortiger Gleichbehandlung der Menschen und Aufforderung zur Barmherzigkeit Gedanken wie Demokratie, Menschenrechte und Sozialstaat ableiten, aber auch den Holokaust.
Wenn man das Unkraut-Gleichnis ungünstig versteht, kommt der Holokaust dabei heraus… je nachdem, wie wörtlich man dann das Verbrennen des Unkrauts versteht…
Es gibt unterschiedliche Formen des Christentums und deshalb bin auch auch ausdrücklich für eine Auseinandersetzung damit. In den Evangelien steht auch, dass Jesus auch Unfrieden bringt, sogar in die Familien und dass sich dann alle in die Haare bekommen… Je klarer und rationaler Diskussionen über Religion geführt werden, umso mehr wird der Unfug zurück gedrängt.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1589534) Verfasst am: 20.12.2010, 20:29 Titel: |
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Gnosis hat folgendes geschrieben: | Je klarer und rationaler Diskussionen über Religion geführt werden, umso mehr wird der Unfug zurück gedrängt. |
Aber was bleibt dann?
Ich stelle mir das etwa so vor: Wir wissen, was wir (derzeit) für gut halten, z.B. die freiheitlich- demokratische Grundordnung, die Gleichberechtigung von Frauen und Schwulen usw.
Nach Deinem Ansatz legen wir diese Werte über die Bibel und bezeichnen
- was nicht paßt, als wörtlich verstandenen Unfug
- was paßt, als Quelle der Inspiration und Gottes so gemeintes Wort
Das kanns doch nicht sein, oder?
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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pera auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 01.07.2009 Beiträge: 4256
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(#1589567) Verfasst am: 20.12.2010, 21:08 Titel: |
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Völlig unverständlich wie eine solch absurde These zustandekommen kann (evtl. durch puren Glauben...). Es sei denn es ist ein anderes Christentum gemeint als das, welches in den großen "christlichen " Kirchen praktiziert wird.
Berufsfreiheit?,
Gleichberechtigung von Mann und Frau?
Recht auf Bildung?
Recht auf Selbstbestimmung?
Gut, man kann einwenden, früher, vor den Kirchen, als das Christentum noch rein und gut war... Dann hat man als Quelle die Bibel. Und daraus Menschenrechte abzuleiten ist mehr als grotesk.
Es sei denn man definiert diese neu:
Ein Recht auf Todesstrafe für Gotteslästerung, das Brechen der Sabbatruhe, Zauberei, Ehebruch, Menschenraub, Götzendienst, Mord.
Ein Recht auf endlose Qualen, Heulen und Zähneknirschen in der Hölle....
Könnte beliebig fortgesetzt werden, solche Statements bringen mich völlig aus der Fassung.
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Gnosis dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 16.12.2010 Beiträge: 53
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(#1589618) Verfasst am: 20.12.2010, 22:48 Titel: |
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@Step: So habe ich das nicht gemeint.
Ich meine, dass in den Evangelien bereits die gute Ethik enthalten ist. Das Ungute ergibt sich überhaupt nur, wenn man erst mal das AT verinnerlicht und man alles wörtlich verstehen will. Wenn man das strikt trennt und erst mal nur von den Evangelien ausgeht, kommt niemand mehr auf die Idee, derartige Bösartigkeiten herauszulesen wie den Holokaust.
Mit der Klarheit durch Diskussion meinte ich eigentlich eher, dass unter Christen mehr diskutiert werden sollte, wie die Kernbereiche zu verstehen sind, etwa Gott: Und genau das wird gerne gemieden, um bloß keinen Stress zu verursachen. Das Problem haben dann am Ende übrigens die, die alles wörtlich verstehen wollen (MT 13, 12).
@pera: wir reden aneinander vorbei, soweit die Aussage auf mich bezogen war.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1589624) Verfasst am: 20.12.2010, 22:58 Titel: |
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Gnosis hat folgendes geschrieben: | Das Problem haben dann am Ende übrigens die, die alles wörtlich verstehen wollen (MT 13, 12). |
Naja, vielleicht haben sie ja am Ende nur ein metaphorisches Problem.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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pera auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 01.07.2009 Beiträge: 4256
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(#1589629) Verfasst am: 20.12.2010, 23:00 Titel: |
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Gnosis hat folgendes geschrieben: |
@pera: wir reden aneinander vorbei, soweit die Aussage auf mich bezogen war. |
Meine Aussagen haben sich auf die Thema-Überschrift bezogen.
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homosapiens1957 registrierter User
Anmeldungsdatum: 31.12.2010 Beiträge: 20
Wohnort: Celle
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(#1594310) Verfasst am: 01.01.2011, 02:12 Titel: |
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Gnosis hat folgendes geschrieben: | Das Problem mit der Bibel insgesamt und dem Evangelium im Speziellen ist der Umstand der Missverständlichkeit. Man kann einerseits aus dortiger Gleichbehandlung der Menschen und Aufforderung zur Barmherzigkeit Gedanken wie Demokratie, Menschenrechte und Sozialstaat ableiten, aber auch den Holokaust.
Wenn man das Unkraut-Gleichnis ungünstig versteht, kommt der Holokaust dabei heraus… je nachdem, wie wörtlich man dann das Verbrennen des Unkrauts versteht…
Es gibt unterschiedliche Formen des Christentums und deshalb bin auch auch ausdrücklich für eine Auseinandersetzung damit. In den Evangelien steht auch, dass Jesus auch Unfrieden bringt, sogar in die Familien und dass sich dann alle in die Haare bekommen… Je klarer und rationaler Diskussionen über Religion geführt werden, umso mehr wird der Unfug zurück gedrängt. |
Genau das ist ja das Problem mit der Bibel, jeder kann sich seine "Moral" dort bestätigen lassen, von wirklich guten Menschen bis Hitler! Sie ist ein riesiges Sammelsurium und wirklich missverständlich sind nur wenige Stellen, sie ist widersprüchlich ja, aber alles was da steht, ist auch so gemeint, wie es da steht, auch wenn manchmal an anderer Stelle genau das Gegenteil steht.
Nur für Gläubige gibt es da manchmal ein Problem: Verhalten sie sich nach der einen Bibelstelle richtig, kommen sie wegen einer anderen in die Hölle.
Und aus welchen Bibelstellen du Demokratie, Menschenrechte und Sozialstaat ableiten willst, ist mir offen gestanden schleierhaft. Wäre nett, wenn du das einmal schreibst.
Aber ich warne dich vor, mit dem alten Theologentrick, einfach ein paar sich passend anhörende Sätzchen aus dem Zusammenhang reißen, kommt man bei mir nicht weit. Und nimm besser auch nicht nur die politisch korrekte Übersetzung Gute Nachricht Bibel zur Hand, ich kenne die Stellen, an denen beispielsweise die Brüder nach 2.000 Jahren Schwestern bekommen haben oder wo die Übersetzung auf einmal so geändert wurde, dass sie in die Zeit passt.
_________________ Errare humanum est, sed in errare perseverare diabolicum.
(Irren ist menschlich, aber auf Irrtümern zu bestehen ist teuflisch.)
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homosapiens1957 registrierter User
Anmeldungsdatum: 31.12.2010 Beiträge: 20
Wohnort: Celle
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(#1594314) Verfasst am: 01.01.2011, 02:28 Titel: |
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feuerbachmarsch hat folgendes geschrieben: | Ich glaube nicht, dass das Christentum Grundlage für die Menschenrechte ist. Es war gegenüber dem Römertum ein Fortschritt und ganz besonders gegenüber dem orthodoxen Judentum, da man erst jetzt so langsam den Glauben loswerden konnte. Aber viele Rechte wie die von Frauen, Minderheiten oder Andersdenkenden wurden nicht wegen, sondern trotz des Christentums eingeführt. |
Nein, war kein Fortschritt im Gegenteil, mit der Christianisierung des Römischen Reiches wurden die schlechten Eigenschaften des Römischen Reiches mit den schlechten Eigenschaften des Christentums kombiniert und daraus eine neue römisch-christliche Staatsideologie geschmiedet.
_________________ Errare humanum est, sed in errare perseverare diabolicum.
(Irren ist menschlich, aber auf Irrtümern zu bestehen ist teuflisch.)
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44683
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(#1594319) Verfasst am: 01.01.2011, 02:57 Titel: |
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Kival hat folgendes geschrieben: | Inwiefern war das Christentum denn ein Fortschritt gegenüber dem Römertum? |
Hinter der Frage steckt ein linearer, nicht-dialektischer Fortschrittsbegriff. Du stellst dir nicht die essenzielle Frage: Fortschritt für wen? Frag dich doch mal, warum sich in der Phase vor der Übernahme des Reiches überhaupt jemand im römischen Reich zum Christentum bekannt hat. Immerhin war längst nicht jeder, der im römischen Reich lebte, römischer Bürger, und auch nicht jeder römische Bürger war ein reicher römischer Adeliger. Das "Römertum" hatte die dumme Eigenschaft, zwar für seine Mitglieder ganz toll, aber leider ein höchst exklusiver Club zu sein, in den man nicht so einfach reinkam - so ähnlich wie das "Westlertum" im heutigen Kapitalismus. Da lässt man schon eher mal Leute im Mittelmeer ersaufen, bevor man sie in diesen Club aufnimmt. Das Christentum sprach mit seiner Gleichheit vor Gott und seiner Stoßrichtung gegen Reichtum, Besitz und Privilegien vor allem die benachteiligten und ausgeschlossenen Menschengruppen an: geflohene Sklaven, Besitzlose, Arbeiter, anderweitig Ausgestoßene, und so weiter.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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dAdAmai Zweifler
Anmeldungsdatum: 26.06.2009 Beiträge: 217
Wohnort: Bonn Bad Godesberg
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(#1594689) Verfasst am: 02.01.2011, 08:25 Titel: |
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Zitat: | Zwang doch noch das Corpus Juris Canonici, das bis 1918 gültige Gesetzbuch der Catholica, die Frau, ihrem Gatten überallhin zu folgen, er durfte ihr Gelübde für unwirksam erklären, konnte sie schlagen, einsperren, binden und fasten lassen.
[...]
Die französische Revolution, die ein Kant mit Freudentränen begrüßt, beantwortet Pius VI., ein Pracht und Pomp genießender Graf Braschi, durch rigorose Ausnahmegesetze und Polizeiaktionen. Er beginnt seine Regierung mit einem «Editto sopra gli Ebrei», das an die schlimmsten Zeiten päpstlicher Judenpogrome erinnert, zu Zwangstaufen und Einkerkerung selbst vieler Kinder führt; in seinem Breve «Quod aliquantum» verdammt er die Menschenrechte, Gedankenfreiheit, Redefreiheit, Pressefreiheit als «Ungeheuerlichkeiten» und lehrt: «Kann man etwas Unsinnigeres ausdenken als eine derartige Gleichheit und Freiheit für alle zu dekretieren». «... ein freies Italien!!!», ruft Byron 1821, «seit den Tagen des Augustus hat es so etwas nicht gegeben.»
[...]
Unter dem Grafen della Genga, Papst Leo XII. (1823-1829), blüht die Inquisition wieder auf, das Spitzel- und Denunziantenwesen grassiert, die Juden, durch eine haßerfüllte Verfügung nach der andern getroffen, landen wieder im Getto, ja der Papst verbietet, ohne Rücksicht auf die ansteigende Sterblichkeitsziffer, die Pockenimpfung als «gottlos», weil Eiter eines Tiers mit menschlichem Blut vermischt. Sein Kardinallegat Agostino Rivarola bekämpft mit Einkerkerung und Exekution jedes Freiheitsstreben. In der Romagna verurteilt er - alles ohne ordentliches Gerichtsverfahren und unter Auschluß der Öffentlichkeit - in einem einzigen Vierteljahr 508 Angeklagte zur Hinrichtung, hohen und lebenslänglichen Zuchthausstrafen, zu Zwangsarbeit, Verbannung und strenger Kontrolle durch die Polizei.
[...]
Ein würdiges literarisches Dokument eröffnet schon diese Regierung, die Enzyklika «Mirari vos» vom 15. August 1832m worin Papst Gregor überall in der Welt ein «greuliches Echo neuer, unerhörter, den katholischen Glauben offen und ruchlos bekämpfender Meinungen» vernimmt. Und während er selbst die Zensur als sehr nützlich, den Index der verbotenen Bücher als heilsam preist, verdammt er den «schmutzigen Quell des Indifferentismus», «jene absurde und irrige Lehre», den «Wahnwitz» (deliramentum), daß jeder Gewissenfreiheit haben müsse», «jene unnütze Freiheit der Meinungen, die zum Verderben von Staat und Kirche weit umher grassiert», «auch jene schändliche, nicht genug zu verabscheuende Freiheit der Presse, die einige zu fordern wagen ...»
aus »Memento!«, Karlheinz Deschner, Reinbek bei Hamburg 1999, S. 195 ff.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
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(#1594733) Verfasst am: 02.01.2011, 12:51 Titel: |
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Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Kival hat folgendes geschrieben: | Inwiefern war das Christentum denn ein Fortschritt gegenüber dem Römertum? | Hinter der Frage steckt ein linearer, nicht-dialektischer Fortschrittsbegriff. ... Das Christentum sprach mit seiner Gleichheit vor Gott und seiner Stoßrichtung gegen Reichtum, Besitz und Privilegien vor allem die benachteiligten und ausgeschlossenen Menschengruppen an: geflohene Sklaven, ... |
Es sollte jedoch nicht der Eindruck entstehen, das Christentum hätte sich systematisch gegen die Sklaverei gewandt. Es gab einige Bischöfe (kenne nur einen), die eine Abschaffung forderten, so wie es das auch schon im antiken Griechenland gab, aber die große Mehrheit der Kirchenväter löste den Widerspruch zwischen Liebesgebot und Sklaverei durch Rechtfertigung mit dem AT bzw. mit der Trennung geistlicher und weltlicher Herrschaft.
Bischof Ignatius von Antiochia (gest. 115 n. Chr.): "Sklaven und Sklavinnen behandle nicht hochmütig! Aber sie sollen sich auch nicht aufblähen, sondern zur Ehre Gottes weiter Sklaven bleiben, auf dass sie herrliche Freiheit von Gott erlangen. Nicht sollen sie begehren, auf Gemeindekosten frei zu werden, damit sie nicht als Sklaven der Begierde empfunden werden" (Brief an Polykarp 4,3).
Entlaufene Sklaven wurden wieder an ihre Herren zurückgeschickt (Paulus u.a.). Die Kirche war in der Spätantike der zweitgrößte Sklavenhalter.
Interessant ist evtl. auch noch, daß das frühe Christentum sehr stark die Idee pflegte, der Gläubige sei ein Sklave Gottes.
Mit der Aufstilisierung des Christentums zum Anwalt der Entrechteten wäre ich daher insgesamt eher vorsichtig.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Tarvoc would prefer not to.
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(#1594757) Verfasst am: 02.01.2011, 13:35 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | Es sollte jedoch nicht der Eindruck entstehen, das Christentum hätte sich systematisch gegen die Sklaverei gewandt. |
Das Christentum war in der Tat keine Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei, schon deshalb nicht, weil das Christentum gar keine politische, sondern eine religiöse Bewegung war. Deshalb sagte ich ja, die Religion sei als Form einer Bewegung grundsätzlich problematisch. Das Christentum wendete sich nicht gegen die Sklaverei, aber es wendete sich (unter Anderem) an die Sklaven. Wer glaubt, dass morgen der Messias kommt, um uns alle zu retten und die bösen anderen mit Flammen zu vertilgen, muss sich natürlich nicht bemühen, die eigene Situation selbst zu verändern. Mindestens dafür ist das frühe Christentum streng zu kritisieren. Letztlich trifft hier einfach Marx' "Opium des Volkes" - Schlagwort.
step hat folgendes geschrieben: | Interessant ist evtl. auch noch, daß das frühe Christentum sehr stark die Idee pflegte, der Gläubige sei ein Sklave Gottes. |
Ja. Interessanterweise richtete sich diese Idee bei Paulus vor allem an die, die dem Recht nach frei waren. In 1. Kor. 22 ist z.B. davon die Rede, dass ein Freier durch die Bekehrung zum Sklaven Gottes werde, während ein Sklave durch die Bekehrung im Glauben frei werde. Das ist allerdings insofern höchst ambivalent, als daraus gefolgert wird, dass der Sklave sich nicht um rechtliche Freiheit bemühen soll, selbst wenn sie ihm angeboten wird, sondern Sklave bleiben soll, da er im Glauben ohnehin bereits frei sei (1. Kor. 21). Das hat natürlich auch etwas mit der Jenseitsorientierung zu tun. An anderen Stellen hingegen, u.A. Gal. 3, 28, wird die Sklaverei innerhalb des Christentums vollständig abgelehnt (was natürlich nicht heißt, dass man nicht weiterhin Nichtchristen als Sklaven halten dürfte).
step hat folgendes geschrieben: | Bischof Ignatius von Antiochia (gest. 115 n. Chr.): "Sklaven und Sklavinnen behandle nicht hochmütig! Aber sie sollen sich auch nicht aufblähen, sondern zur Ehre Gottes weiter Sklaven bleiben, auf dass sie herrliche Freiheit von Gott erlangen. Nicht sollen sie begehren, auf Gemeindekosten frei zu werden, damit sie nicht als Sklaven der Begierde empfunden werden" (Brief an Polykarp 4,3). |
Ja. Auch das dürfte auf dem Boden von Paulus bzw. einer bestimmten Paulus-Lesart stehen. Das Christentum ist hier an sich schon höchst ambivalent, und sobald es anfing, sich als Kirche im heutigen Sinne zu organisieren, und noch mehr 200 Jahre später nach der Übernahme durch das Reich, kippte es völlig in Richtung Befürwortung von Sklaverei und sozialer Ungleichheit. Das ist natürlich nicht einfach eine Abweichung vom ursprünglichen Ideal; diese Ambivalenz war von Anfang an in den Texten vorhanden. Ich will das Christentum hier sicher nicht schönreden. Nur im römischen Reich selbst wurde dieses Problemfeld einfach überhaupt nicht thematisiert. Sklaverei war eine Selbstverständlichkeit, und wie man mit den Sklaven umging, war bis auf einige offizielle Richtlinien weitestgehend Privatsache. Zumindest auf ethischer Ebene hat das Christentum zum ersten Mal überhaupt dieses Problem thematisiert - es hat nur völlig versäumt, das Problem zu politisieren, und dafür gehört es auch kritisiert. Bzw. diese Unfähigkeit, wirklich politisch zu werden, war der Grund dafür, weshalb das Christentum versagte und am Ende einfach zur offiziellen römischen (und später gesamt-europäischen) Herrschaftsideologie werden konnte.
Ein recht interessantes Buch zum Thema Paulus und die Sklaverei ist übrigens Giorgio Agambens "Die Zeit, die bleibt".
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
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(#1594764) Verfasst am: 02.01.2011, 13:45 Titel: |
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Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Letztlich trifft hier einfach Marx' "Opium des Volkes" - Schlagwort. |
Sehe ich ebenso.
Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Ich will das Christentum hier sicher nicht schönreden. Nur im römischen Reich selbst wurde dieses Problemfeld einfach überhaupt nicht thematisiert. Sklaverei war eine Selbstverständlichkeit, und wie man mit den Sklaven umging, war bis auf einige offizielle Richtlinien weitestgehend Privatsache. Zumindest auf ethischer Ebene hat das Christentum zum ersten Mal überhaupt dieses Problem thematisiert ... |
Bist Du Dir da sicher? Ich denke, auch im antiken Griechenland und sogar in China war es bereits zuzvor Thema. Muß aber nochmmal nachlesen.
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Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44683
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(#1594779) Verfasst am: 02.01.2011, 14:06 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | Ich denke, auch im antiken Griechenland und sogar in China war es bereits zuvor Thema. |
Es wurde vielleicht in gewissen Kreisen diskutiert, aber nicht in Kreisen, in denen auch Sklaven Mitglieder gewesen wären. Also es war vielleicht philosophisch Thema, aber nicht gesellschaftlich.
Was China angeht, mag das anders aussehen, das weiss ich nicht. Meine Aussage bezog sich auf das römische Reich und seinen historischen, geographischen und kulturellen (Zeit-)Raum.
Okay, es gab zugegeben vorher schon die Sklavenaufstände, z.B. den Spartacusaufstand (73-71 v.Chr.). Diese hatten aber auf die Gesellschaft des Reiches selbst kaum dauerhaften Einfluss.
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Evilbert auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 16.09.2003 Beiträge: 42408
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(#1594785) Verfasst am: 02.01.2011, 14:15 Titel: |
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Tarvoc hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Ich denke, auch im antiken Griechenland und sogar in China war es bereits zuvor Thema. |
Es wurde vielleicht in gewissen Kreisen diskutiert, aber nicht in Kreisen, in denen auch Sklaven Mitglieder gewesen wären. Also es war vielleicht philosophisch Thema, aber nicht gesellschaftlich. |
Die Griechen hatten nicht eine Massensklavenhaltung wie etwa die Römer oder die Nordamerikaner der Neuzeit. Im Grunde genommen war im alltäglichen Leben der Sklave sowas wie in der Neuzeit ein Knecht und gehörte quasi zur Familie.
Daher bestand wohl auch gar kein Bedürfnis, das gesellschaftlich und philosophisch großartig zu thematisieren.
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44683
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(#1594789) Verfasst am: 02.01.2011, 14:40 Titel: |
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Noseman hat folgendes geschrieben: | Die Griechen hatten nicht eine Massensklavenhaltung wie etwa die Römer oder die Nordamerikaner der Neuzeit. Im Grunde genommen war im alltäglichen Leben der Sklave sowas wie in der Neuzeit ein Knecht und gehörte quasi zur Familie. |
Richtig, das kommt noch hinzu.
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Argeleb Misanthropischer Humanist
Anmeldungsdatum: 02.01.2010 Beiträge: 2059
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(#1594792) Verfasst am: 02.01.2011, 14:58 Titel: |
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Tarvoc hat folgendes geschrieben: | YB0b hat folgendes geschrieben: | - H E I L U N G -
eine Errungenschaft von AIDS. |
Bei einer solchen Analogie stellt sich aber immer noch die Frage, warum ausgerechnet im christlichen Europa die Menschenrechte aufkamen und nicht in anderen religiös dominierten Gegenden der Welt.
Anders gefragt: Warum brachte eine gerade von dieser Krankheit geplagte Kultur die Heilung hervor, während die von anderen Krankheiten geplagten Kulturen nichts derartiges hervorbrachten? |
Vielleicht lag es daran, dass durch ihre hierarchische Struktur der Würgegriff dieser Religion besonders stark ausgeprägt war. Die Reformation war ein erster zaghafter und zum Scheitern verurteilter Versuch der Heilung. Danach kam die Aufklärung. Medizinische Fortschritte erfolgen immer in Schritten.
_________________ Denny Crane!
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1594799) Verfasst am: 02.01.2011, 15:31 Titel: |
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Tarvoc hat folgendes geschrieben: | ... stellt sich aber immer noch die Frage, warum ausgerechnet im christlichen Europa die Menschenrechte aufkamen und nicht in anderen religiös dominierten Gegenden der Welt.
Anders gefragt: Warum brachte eine gerade von dieser Krankheit geplagte Kultur die Heilung hervor, während die von anderen Krankheiten geplagten Kulturen nichts derartiges hervorbrachten? |
Einen Punkt hat Argeleb schon genannt. Weitere Kandidaten wären aus meiner Sicht:
- die (parallel zur Reformation) der Aufklärung vorangegangene Strömung des Renaissance-Humanismus, mit seinem Aufbruch zu Neuem, Ablehnung des Mittelalters und der kirchlichen Deutungsmonopols, und vor allem der Rückbesinnung auf die Errungenschaften der Antike
http://de.wikipedia.org/wiki/Renaissance-Humanismus#Die_Anf.C3.A4nge_des_italienischen_Humanismus
- das Ständewesen bzw. aufkomende Bürgertum und der damit verbunde Stärkung des Individuums
- die zunehmende Wichtigkeit von Technik und Wissenschaften (v.a. für Güterproduktion und Kriegsführung) und die damit verbundenen Effekte der breiteren Bildung und fortschreitenden Entmystifizierung.
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Deus ex Machina registrierter User
Anmeldungsdatum: 14.03.2006 Beiträge: 789
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(#1594801) Verfasst am: 02.01.2011, 15:38 Titel: |
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Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Das "Römertum" hatte die dumme Eigenschaft, zwar für seine Mitglieder ganz toll, aber leider ein höchst exklusiver Club zu sein, in den man nicht so einfach reinkam - so ähnlich wie das "Westlertum" im heutigen Kapitalismus. Da lässt man schon eher mal Leute im Mittelmeer ersaufen, bevor man sie in diesen Club aufnimmt. |
[OT]
Der Vergleich ist an den Haaren herbeigezogen. Der relevante Unterschied ist, dass das "Westlertum" den Menschen "jenseits des Mittelmeeres" die Quellen seines Wohlstandes nicht vorenthält sondern deren Verbreitung sogar unterstützt. Die römischen Adligen hätten mit ihren Untertanen auch ihren Wohlstand verloren. Versänke Afrika im Meer würde das hingegen das Wohlstandsniveau der Westler nicht entscheidend senken.
[/OT]
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