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M+L Schmidt-Salomon: Leibniz war kein Butterkeks
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Darwin Upheaval
Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator



Anmeldungsdatum: 23.01.2004
Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden

Beitrag(#1631224) Verfasst am: 26.04.2011, 11:05    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Ohne Voraussetzung einer realistischen Interpretation, die den Begriff der Wahrheit einschließt, lässt sich überhaupt nicht überzeugend erklären, warum die Epizykel-Theorie zugunsten der Newtonschen Theorie aufgegeben wurde.

Hmm ... die Newton'sche Theorie
- lieferte Voraussagen für eine allgemeinere Klasse von Phänomenen
- war einfacher / eleganter
- beinhaltete ein Modell auf reduzierter / tieferer Ebene


Okay, das kann man so sehen. Doch wie Du selbst sagst, verhalf gerade die realistische Interpretation ("Lamarck" spricht hier gerne von einer "Als-ob-Ontologie"), Newtons Mechanik zum Durchbruch.

Man könnte es auch so sagen: Newton war daran interessiert, die Welt zu erklären, also genau das, was Du als "vereinfachende Reifizierungen" bezeichnest, als respektable Entitäten anzuerkennen, ohne die seine Mechanik nicht existieren und auch nicht funktionieren würde. Zu sagen, diese Entitäten repräsentierten nichts Reales, erscheint mir um Längen "metaphysischer" als die realistische Interpretation, die buchstäblich nahe liegt. Und worin sich eine "realistische Als-ob-Ontologie" von einem hypothetischen Realismus unterscheidet, sollte erst noch in konsistenter Weise gezeigt werden. zwinkern


step hat folgendes geschrieben:
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Im Gegenteil, auf Grundlage des Ptolemäischen Systems konnte man hervorragende Prognosen über kosmische Ereignisse und Planetenbahnen anstellen, und nichts anderes zählt doch in den Augen der Instrumentalisten!

Sollte man sie dann mit Deiner Argumentation weiter oben nicht auch als "partiell wahr" bezeichnen?


Das wurde im Mittelalter ja auch so gesehen. Heute ist das Modell jedoch hochgradig inkonsistent und daher allenfalls noch hinsichtlich einiger Aspekte wahr. Mithin zeigt sich hier: Die wissenschaftliche Methode zur Ermittlung von Wahrheit ist ein "virtuoser Zirkel". Und ohne eine realistische Interpretation lässt sich eben nicht erklären, warum (genauer: woran) das Modell der sich gegenseitig durchdringenden, "kristallene Sphären" eigentlich scheitert.


step hat folgendes geschrieben:
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
... Der eigentliche Vorzug der Newtonschen Theorie ist nur aus Sicht einer ontologisch-realistischen Interpretation erkennbar - es ist die Einsicht, dass die Prinzipien der Himmelsmechanik und die Gesetzmäßigkeiten der "irdischen" Mechanik auf ein- und derselben Ursache beruhen: Die "Schnittstelle" der Erkenntnis ist hier die Gravitation, die von Masse besitzenden Körpern wie der Erde ausgeht, und so einerseits Monde um die Umlaufbahn von Planeten zwingt, Dir aber anderseits auch Äpfel auf den Kopf fallen lässt...

Sowohl diese Vereinheitlichung als auch die Formeln stellen sehrwohl eine Vereinfachung dar. Man sollte dabei bedenken, daß die Mächtigkeit einer Theorie nicht nur von der Einfachheit des Formalismus, sondern vor allem von der Tragweite bestimmt ist. In diesem Sinne kann man sogar die ART "eleganter" nennen als die Newton-Theorie, obwohl man viel höhere Mathematik dafür benötigt.


Nur ist das Streben nach "theoretischer Eleganz" und nach "Vereinheitlichung" aus anti-realistischer Perspektive nicht nachvollziehbar. Ein "Flickenteppich" inkommensurabler Paradigmen, die zueinander keinerlei logische und semantische Verbindung hätten, wäre gleich gut geeignet, die Welt zu erklären, wie ein konsistentes Gebäude vereinheitlichter Theorien.

Die Tatsache, dass es überhaupt einen kumulierenden Wissensfortschritt gibt, dass es uns gelingt, ein einheitliches, konsistent ineinandergreifendes Theoriengebäude zu konzipieren, ist eines der stärksten Argumente für die realistische Interpretation. Aus anti-realistischer Perspektive könnte man auch erwarten, nur inkommensurable Weltbilder vorzufinden.
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Darwin Upheaval
Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator



Anmeldungsdatum: 23.01.2004
Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden

Beitrag(#1631229) Verfasst am: 26.04.2011, 11:18    Titel: Antworten mit Zitat

VanHanegem hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:

....
Den Wissenschaften vielleicht nicht, aber dem Wissenschaftler geht es schon um Wahrheit. Auch wenn er sie Modellierung nennt. ; )

Mag in Einzelfällen stimmen aber hier wird in unzulässiger Weise verallgemeinert. Einem wissenschaftler, der nicht auf der Spielwiese eines Institutes der Grundlagenforschung beschäftigt ist, sondern einer ernsthaften Tätigkeit, etwa in einer Halbleiterfab nachgeht, dem geht es eher um die ausbeute. Hier sind zutreffende Voraussagen von geldwerter Bedeutung.


Nur hängen diese "Voraussagen" eben nicht im luftleeren Raum, sondern sind, wenn man so will, semantisch "geerdet": Jede Theorie hat einen Referenzbereich, einen Aussagebereich, der sich auf einen bestimmten Ausschnitt der Weltwirklichkeit bezieht. Und all diese Bildausschnitte fügen sich - oh Wunder! - wie die Teile eines Puzzles zu einem konsistenten "Bild".

Quizfrage: Warum ist dem so? Ohne realistische Deutung ist dieses "Meta-Phänomen" überhaupt nicht erklärbar! Schlimmer noch: Ohne realistische Deutung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist das Streben nach "Vorhersagekraft" nur ein unverbindliches Spiel ohne kognitive Relevanz. Allein schon die Verwendung des Begriffs "Erkenntnis" wäre absurd. Der Solipsist und radikale Konstruktivist erkennt nichts sondern phantasiert bestenfalls. Ein vernünftiger Grund, Wissenschaft zu betreiben, das muss ich schon sagen... Teufel
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fwo
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Wohnort: im Speckgürtel

Beitrag(#1631237) Verfasst am: 26.04.2011, 11:42    Titel: Antworten mit Zitat

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
.....
Man könnte es auch so sagen: Newton war daran interessiert, die Welt zu erklären, also genau das, was Du als "vereinfachende Reifizierungen" bezeichnest, als respektable Entitäten anzuerkennen, ohne die seine Mechanik nicht existieren und auch nicht funktionieren würde. Zu sagen, diese Entitäten repräsentierten nichts Reales, erscheint mir um Längen "metaphysischer" als die realistische Interpretation, die buchstäblich nahe liegt. Und worin sich eine "realistische Als-ob-Ontologie" von einem hypothetischen Realismus unterscheidet, sollte erst noch in konsistenter Weise gezeigt werden. zwinkern ....


Ich glaube, es geht weniger um das, was Newton oder heutige Wissenschaftler mit ihrer jeweiligen Aussage erklären woll(t)en oder auch nicht, als darum, welchen Anspruch die Wissenschaft heute allgemein an ihre Aussagen stellt. Also nicht sosehr um die Intention des einzelnen Wissenschaftlers bzw. hinter einem Projekt als um die Gesamtschau, vor der diese Anstrengungen zu sehen sind.

Und da kann ich step nur zustimmen: Was wir finden sind keine Gesetze (Gesetz kommt von setzen - das wären also die Zusammenhänge, für die ein schaffender Gott sich entschieden hat > Wahrheit), was wir als Wissenschaftler höchstens finden können, sind nur hinreichende Beschreibungen unserer Realität.

fwo
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Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

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Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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Darwin Upheaval
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Anmeldungsdatum: 23.01.2004
Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden

Beitrag(#1631239) Verfasst am: 26.04.2011, 11:50    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
.....
Man könnte es auch so sagen: Newton war daran interessiert, die Welt zu erklären, also genau das, was Du als "vereinfachende Reifizierungen" bezeichnest, als respektable Entitäten anzuerkennen, ohne die seine Mechanik nicht existieren und auch nicht funktionieren würde. Zu sagen, diese Entitäten repräsentierten nichts Reales, erscheint mir um Längen "metaphysischer" als die realistische Interpretation, die buchstäblich nahe liegt. Und worin sich eine "realistische Als-ob-Ontologie" von einem hypothetischen Realismus unterscheidet, sollte erst noch in konsistenter Weise gezeigt werden. zwinkern ....


Ich glaube, es geht weniger um das, was Newton oder heutige Wissenschaftler mit ihrer jeweiligen Aussage erklären woll(t)en oder auch nicht, als darum, welchen Anspruch die Wissenschaft heute allgemein an ihre Aussagen stellt. Also nicht sosehr um die Intention des einzelnen Wissenschaftlers bzw. hinter einem Projekt als um die Gesamtschau, vor der diese Anstrengungen zu sehen sind.


Natürlich. Newton war ja nur ein Beispiel, das zeigt, dass Wissenschaftler daran interessiert sind, herauszufinden, was "die Welt im Innersten zusammenhält", und nicht etwa daran, Prognose-Algorithmen ("black boxes") zu generieren.


fwo hat folgendes geschrieben:
Und da kann ich step nur zustimmen: Was wir finden sind keine Gesetze (Gesetz kommt von setzen - das wären also die Zusammenhänge, für die ein schaffender Gott sich entschieden hat > Wahrheit),


Selbstverständlich "finden" wir keine Gesetze, wir abstrahieren sie von der Realität. Theorien werden auch nicht gefunden, sondern konstruiert. Aber Theorien repräsentieren etwas. Um diesem "Etwas" auf die Spur zu kommen, werden Theorien gebildet.

fwo hat folgendes geschrieben:

was wir als Wissenschaftler höchstens finden können, sind nur hinreichende Beschreibungen unserer Realität.


Einverstanden, wenn Du zu "Beschreibungen" noch "Erklärungen" hinzufügst. Wir sind uns ja darin einig, dass es eine Realität gibt zwinkern
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step
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Beitrag(#1631262) Verfasst am: 26.04.2011, 13:22    Titel: Antworten mit Zitat

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Die Tatsache, dass es überhaupt einen kumulierenden Wissensfortschritt gibt, dass es uns gelingt, ein einheitliches, konsistent ineinandergreifendes Theoriengebäude zu konzipieren, ist eines der stärksten Argumente für die realistische Interpretation. Aus anti-realistischer Perspektive könnte man auch erwarten, nur inkommensurable Weltbilder vorzufinden.

Das leuchtet mir aber nicht ein. Daß wir kommensurables Wissen aufhäufen, legt eigentlich nur nahe, daß ein reduktionistisches Modell der Welt recht gut ist, also daß alle Phänomene durch einen gemeinsamen, tiefliegenden "Layer" beschrieben werden, etwa die Physik.

Aber lassen wir das, ich will das Problem noch auf andere Weise angehen: Was genau meinst Du eigentlich, wenn Du sagst "Die Welt / die Atome / ... sind "real"? Die meisten ernsthaften Definitionen von Realität, die mir bekannt sind, verweisen gerade auf die Eigenschaft, auf bestimmte Weise beobachtbar zu sein. Entsprechend bei Ausdrücken wie "unwirklich". Es geht um gewisse Regelmäßigkeiten, Überprüfbarkeiten, Unabhängigkeiten.

Um Deine Position zu untermauern, müßtest Du aber mE eine Definition von "real" geben, die nicht wieder auf unserer Modellierung / Beobachtung basiert und die Deine obige Definition nicht zirkulär werden läßt. Da bin ich mal gespannt.

Mein Ansatz dagegen besteht darin, die o.g. eher "umgangssprachliche" Definition von "real" weiter zu reduzieren und sie evtl. physikalisch zu fassen, also "Realität" sozusagen zu einem abhängigen, emergenten Phänomen zu machen.
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Darwin Upheaval
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Beitrag(#1631276) Verfasst am: 26.04.2011, 14:04    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Die Tatsache, dass es überhaupt einen kumulierenden Wissensfortschritt gibt, dass es uns gelingt, ein einheitliches, konsistent ineinandergreifendes Theoriengebäude zu konzipieren, ist eines der stärksten Argumente für die realistische Interpretation. Aus anti-realistischer Perspektive könnte man auch erwarten, nur inkommensurable Weltbilder vorzufinden.

Das leuchtet mir aber nicht ein. Daß wir kommensurables Wissen aufhäufen, legt eigentlich nur nahe, daß ein reduktionistisches Modell der Welt recht gut ist, also daß alle Phänomene durch einen gemeinsamen, tiefliegenden "Layer" beschrieben werden, etwa die Physik.


Die Frage ist doch gerade, warum dem so ist.

step hat folgendes geschrieben:

Aber lassen wir das, ich will das Problem noch auf andere Weise angehen: Was genau meinst Du eigentlich, wenn Du sagst "Die Welt / die Atome / ... sind "real"? Die meisten ernsthaften Definitionen von Realität, die mir bekannt sind, verweisen gerade auf die Eigenschaft, auf bestimmte Weise beobachtbar zu sein.


Das sehe ich nicht so. Mir ist diese Definition zu operationalistisch...


step hat folgendes geschrieben:

Entsprechend bei Ausdrücken wie "unwirklich". Es geht um gewisse Regelmäßigkeiten, Überprüfbarkeiten, Unabhängigkeiten.

Um Deine Position zu untermauern, müßtest Du aber mE eine Definition von "real" geben, die nicht wieder auf unserer Modellierung / Beobachtung basiert und die Deine obige Definition nicht zirkulär werden läßt. Da bin ich mal gespannt.


Für am stringentesten formuliert halte ich die Ontologie nach:

Bunge, M./Mahner, M. (2004) Über die Natur der Dinge. Materialismus und Wissenschaft. Verlag S. Hirzel, Stuttgart

Danach zeichnen sich reale Objekte ("Dinge", Entitäten) dadurch aus, dass sie Zustandsänderungen erfahren können. Danach sind gewisse Eigenschaften (z.B. Masse, Energie, Form, Impuls, Geschwindigkeit,...) variierbar oder zumindest theoretisch variabel, wodurch (falls essentielle Eigenschaften von der Veränderung betroffen sind) die Dinge ggf. zu anderen Entitäten werden. Diese Zustandsänderungen können (müssen aber nicht unbedingt) in irgendeiner Weise detektierbar sein.

Beispiel: Ein Neutrino tauscht mit dem entsprechenden Lepton Energie und Impuls aus ("elastische Streuung"), erfährt dadurch also eine Zustandsänderung. Folglich sind beide Teilchen real. Gegenbeispiel: Die Zahl "5" kann keine Zustandsänderung erfahren, ebenso wenig die Schrödingergleichung. Es macht keinen Sinn zu fragen: "Wie geht es der 5 denn heute? oder: "Was macht die Schrödingergleichung in Wechselwirkung mit der 5?" Natürlich gibt es Grenzfälle: Bunge/Mahner beschreiben in ihrem Buch einige "hypothetische" Kandidaten für Entitäten, denen zurzeit kein ontologischer Status zugebilligt werden kann. Ich müsste allerdings konkret nachsehen, welche das sind.

Ein heißer Kandidat für eine Entität ist derzeit das Higgs-Boson. Es wird postuliert, dass es durch eine Art von Wechselwirkung mit dem Higgs-Feld entsteht. Falls die Theorie stimmte, wäre das Higgs-Teilchen hypothetisch real.


step hat folgendes geschrieben:
Mein Ansatz dagegen besteht darin, die o.g. eher "umgangssprachliche" Definition von "real" weiter zu reduzieren und sie evtl. physikalisch zu fassen, also "Realität" sozusagen zu einem abhängigen, emergenten Phänomen zu machen.


Hmm... Das müsste man ggf. konkretisieren. Nach der oben beschriebenen Ontologie setzt "Emergenz" eine "Realität" von Dingen bereits voraus.
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step
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Beitrag(#1631388) Verfasst am: 26.04.2011, 18:22    Titel: Antworten mit Zitat

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Für am stringentesten formuliert halte ich die Ontologie nach ... Bunge, M./Mahner, M. (2004) Über die Natur der Dinge. Materialismus und Wissenschaft. Verlag S. Hirzel, Stuttgart. Danach zeichnen sich reale Objekte ("Dinge", Entitäten) dadurch aus, dass sie Zustandsänderungen erfahren können. ...

OK, nehmen wir mal diese Definition, sie ist in der einen oder anderen Form recht verbreitet, etwa als Phasenraumeigenschaft o.ä.

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Diese Zustandsänderungen können (müssen aber nicht unbedingt) in irgendeiner Weise detektierbar sein.

Doch, sie müssen. Denn die Zustandsänderungen sind ja definierend / identitätsstiftend / charakteristisch für die Realität. Solange wir also keine Zustandsänderungen beobachten (im weitesten Sinne), wissen wir nach Deiner Definition nicht, ob es real ist. Genaugenommen ist das Kriterium sogar noch schärfer: Sie müssen wiederholbar / regelmäßig Zustandsänderungen zeigen.

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Beispiel: Ein Neutrino tauscht mit dem entsprechenden Lepton Energie und Impuls aus ("elastische Streuung"), erfährt dadurch also eine Zustandsänderung. Folglich sind beide Teilchen real.

Und woher weiß man, daß sie Energie und Impuls austauschen?

Ich will darauf hinaus, daß man so zwar "Realität" definieren kann, diese aber dann keine ontologische Eigenschaft ist, sondern auf andere Phänomene (beobachtete Wechselwirkungen etwa) zurückgeführt wird.

Übrigens, aber nur nebenbei: gibt es weitere Probleme, etwa mit der Identität einer Entität. Nach Deiner Definition sind z.B. die zwei Elektronen im Heliumatom einzeln real. Oder sind sie nur zusammen real? Oder gar identisch?

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Mein Ansatz dagegen besteht darin, die o.g. eher "umgangssprachliche" Definition von "real" weiter zu reduzieren und sie evtl. physikalisch zu fassen, also "Realität" sozusagen zu einem abhängigen, emergenten Phänomen zu machen.
Hmm... Das müsste man ggf. konkretisieren. Nach der oben beschriebenen Ontologie setzt "Emergenz" eine "Realität" von Dingen bereits voraus.

Richtig, gleichzeitig aber werden reduzierende Kriterien für Realität angegeben. Das ist aus meiner Sicht widersprüchlich, auch wenn es in den meisten Bereichen der Wissenschaft und erst recht des Alltags unproblematisch ist.
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Darwin Upheaval
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Anmeldungsdatum: 23.01.2004
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Beitrag(#1631488) Verfasst am: 26.04.2011, 23:29    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Diese Zustandsänderungen können (müssen aber nicht unbedingt) in irgendeiner Weise detektierbar sein.

Doch, sie müssen. Denn die Zustandsänderungen sind ja definierend / identitätsstiftend / charakteristisch für die Realität. Solange wir also keine Zustandsänderungen beobachten (im weitesten Sinne), wissen wir nach Deiner Definition nicht, ob es real ist.


Eine Definition kann auch dann sinnvoll sein, wenn man kein operationales Kriterium zur Hand hat, anhand dessen sich erkennen lässt, ob sie zutrifft oder nicht. Man kann auch andere Indizien formulieren, z.B. ein Theorem, das für die Existenz einer bestimmten Entität spricht.


step hat folgendes geschrieben:
Genaugenommen ist das Kriterium sogar noch schärfer: Sie müssen wiederholbar / regelmäßig Zustandsänderungen zeigen.


Auch das sehe ich nicht. Die meisten Ereignisse sind, wenn überhaupt, nur in begrenztem Rahmen wiederholbar. Die Bildung eines Schwarzen Lochs ist nicht wiederholbar, geschweige denn experimentell zu rekonstruieren. Und trotzdem wissen wir, dass es sie geben muss: Wir schließen aufgrund gewisser physikalischer Notwendigkeiten, z.B. anhand der Materiegleichungen (also aufgrund gewisser Theoreme) auf deren Existenz. Bestimmte Beobachtungen, die in den theoretischen Rahmen passen, untermauern deren Existenz zusätzlich. Sie könnten sie natürlich auch schwächen, und man müsste sich was Neues überlegen - das wäre dann der "virtuose Zirkel" sensu Vollmer.


step hat folgendes geschrieben:
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Beispiel: Ein Neutrino tauscht mit dem entsprechenden Lepton Energie und Impuls aus ("elastische Streuung"), erfährt dadurch also eine Zustandsänderung. Folglich sind beide Teilchen real.

Und woher weiß man, daß sie Energie und Impuls austauschen?


M.W. wird die Neutrinostreuung von der Standardtheorie der Elementarteilchen vorhergesagt: Wenn es Neutrinos gibt (und wir wissen aus theoretischen Überlegungen, dass es sie geben muss), dann müssen diese bestimmte Wechselwirkungen mit der Materie eingehen. Inzwischen scheint die kohärente Neutrinostreuung an Atomkernen mithilfe von Kryodetektoren tatsächlich nachgewiesen worden zu sein. Aber um es zu wiederholen: Dieser Nachweis war nicht erforderlich, um die Existenz von Neutrinos zu untermauern. Ohne Voraussetzung von Neutrinos, die mit der Materie in bestimmter Weise wechselwirken, lassen sich fundamentale Prozesse der Nuklearphysik (z.B. die Prozesse im Innern der Sonne) nicht verstehen - dies ist hier das Existenzkriterium.


step hat folgendes geschrieben:

Ich will darauf hinaus, daß man so zwar "Realität" definieren kann, diese aber dann keine ontologische Eigenschaft ist, sondern auf andere Phänomene (beobachtete Wechselwirkungen etwa) zurückgeführt wird.


Sagen wir, die Existenz bestimmter Entitäten wird indirekt (durch Theorienbildung) erschlossen. Das Kriterium für Existenz ist und bleibt, nach Heraklits Motto, die Veränderlichkeit (panta rhei). Was Du sagst, unterstützt eigentlich nur das, was ich schrieb. Ich sehe hier kein unmittelbares Problem.

step hat folgendes geschrieben:

Übrigens, aber nur nebenbei: gibt es weitere Probleme, etwa mit der Identität einer Entität. Nach Deiner Definition sind z.B. die zwei Elektronen im Heliumatom einzeln real. Oder sind sie nur zusammen real? Oder gar identisch?


Identisch können sie schon wegen des Pauli-Prinzips nicht sein. Es handelt sich um zwei Elektronen, also um zwei Entitäten, und wir kennen eine 1. und eine 2. Ionisierungsenergie des Heliums. Wo ist denn jetzt das Problem?


step hat folgendes geschrieben:

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Mein Ansatz dagegen besteht darin, die o.g. eher "umgangssprachliche" Definition von "real" weiter zu reduzieren und sie evtl. physikalisch zu fassen, also "Realität" sozusagen zu einem abhängigen, emergenten Phänomen zu machen.
Hmm... Das müsste man ggf. konkretisieren. Nach der oben beschriebenen Ontologie setzt "Emergenz" eine "Realität" von Dingen bereits voraus.

Richtig, gleichzeitig aber werden reduzierende Kriterien für Realität angegeben. Das ist aus meiner Sicht widersprüchlich, auch wenn es in den meisten Bereichen der Wissenschaft und erst recht des Alltags unproblematisch ist.


Wo ist denn nun der Widerspruch?
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Darwin Upheaval
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Beitrag(#1631501) Verfasst am: 27.04.2011, 00:49    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Mein Ansatz dagegen besteht darin, die o.g. eher "umgangssprachliche" Definition von "real" weiter zu reduzieren und sie evtl. physikalisch zu fassen, also "Realität" sozusagen zu einem abhängigen, emergenten Phänomen zu machen.
Hmm... Das müsste man ggf. konkretisieren. Nach der oben beschriebenen Ontologie setzt "Emergenz" eine "Realität" von Dingen bereits voraus.

Richtig, gleichzeitig aber werden reduzierende Kriterien für Realität angegeben. Das ist aus meiner Sicht widersprüchlich, auch wenn es in den meisten Bereichen der Wissenschaft und erst recht des Alltags unproblematisch ist.


Ich habe ein wenig nachgedacht, um zu verstehen, welcher Widerspruch Dir hier Bauchschmerzen bereiten könnte. Möglicherweise ist der Punkt der, dass Du annimmst, der hypothetische Realist würde einen Zirkelschluss nach folgendem Strickmuster generieren:

Der naive Realist hat folgendes geschrieben:
Was spricht für eine realistische Interpretation wissenschaftlicher Erkenntnis? Antwort: was sich im Experiment als veränderlich entpuppt! Was entpuppt sich als veränderlich? Antwort: was realistisch interpretiert wird.


Wenn wir die Argumentationsstränge logisch ordnen, müsste jedoch klar werden, dass nach diesem Muster kein hypothetischer Realist argumentiert. Vielmehr sind zwei logisch voneinander unabhängige Fragestellungen zu unterscheiden:

1. Die Grundfrage: Was spricht für eine realistische Interpretation wissenschaftlicher Erkenntnis? Antwort: Theorien können sich bewähren oder scheitern! Die einfachste Erklärung dafür ist, dass Theorien (analog zu den Individuen in der Bioevolution) "an der Wirklichkeit scheitern" bzw. sich bewähren, wenn eine Korrespondenz zwischen Weltwirklichkeit und den theoretischen Aussagen <i>über</i> die Weltwirklichkeit vorliegt. Darüber hinaus liefert jede Einzelwissenschaft "Bildausschnitte", die sich wie die Teile eines Puzzles zu einem kohärenten Bild vereinigen. Ohne realistische Deutung ist dieses "Meta-Phänomen" der Kohärenz nicht erklärbar; aus anti-realistischer Perspektive könnte man auch erwarten, nur inkommensurable (inkohärente) Weltbilder vorzufinden, so dass auch über Jahrhunderte hinweg keine "Wissenskumulation" stattfindet.

2. Die Detailfragen: Welche Objekte sind konkret real? Welches sind die Kriterien für reale Existenz? Antwort: Das Kriterium ist die Veränderlichkeit (Zustandsänderung) eines Objekts. Welche Objekte veränderlich sind oder als veränderlich angenommen werden müssen, muss im konkreten Fall durch Theorienbildung erschlossen werden und wird hypothetisch-deduktiv zu überprüfen sein.

Die Fragen nach den konkreten Entitäten (Detailfragen) verkörpern also nicht das Fundament der realistischen Interpretation, sondern umgekehrt: Die Beantwortung der Grundfrage ist Voraussetzung für alle Detailfragen und von diesen logisch unabhängig.
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Beitrag(#1631753) Verfasst am: 27.04.2011, 18:31    Titel: Antworten mit Zitat

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Sagen wir, die Existenz bestimmter Entitäten wird indirekt (durch Theorienbildung) erschlossen. ...

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Man kann auch andere Indizien formulieren, z.B. ein Theorem, das für die Existenz einer bestimmten Entität spricht.

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Wir schließen aufgrund gewisser physikalischer Notwendigkeiten, z.B. anhand der Materiegleichungen (also aufgrund gewisser Theoreme) auf deren Existenz.

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Ohne Voraussetzung von Neutrinos, die mit der Materie in bestimmter Weise wechselwirken, lassen sich fundamentale Prozesse der Nuklearphysik ... nicht verstehen - dies ist hier das Existenzkriterium


All diese Antworten zusammengenommen muß ich aber jetzt doch so deuten, daß Deine Definition von Realität gar nicht mehr mit Veränderungen selbst zu tun hat, sondern etwa so:

"Etwas ist real, wenn es in einer Theorie/Formel auftaucht, die etwas (mglw. ganz anderes) gut modelliert."

Ich denke übrigens - offen gesagt - daß Du Dich in Deinem letzten Beitrag ziemlich um Kopf und Kragen schreibst. Weder taugt Deine so verwässerte Realitätsdefinition noch für den ontologischen Realismus, noch ist sie mE überhaupt verwendbar.

Nur nochmal zu den Neutrinos:

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Wenn es Neutrinos gibt (und wir wissen aus theoretischen Überlegungen, dass es sie geben muss), dann müssen diese bestimmte Wechselwirkungen mit der Materie eingehen.

Ja, Neutrinos wurden vorausgesagt, und die Güte der voraussagenden Theorie wird gemessen an der Güte ihrer Voraussagen, in diesem Fall daran, ob man Neutrino-Wirkungsquerschnitte tatsächlich findet.

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
... Dieser Nachweis war nicht erforderlich, um die Existenz von Neutrinos zu untermauern.

O doch - wenn man den von deren Existenz sprechen will. Der Nachweis war erforderlich, um die Güte der voraussagenden Theorie in bezug auf dieses neue Teilgebiet zu überprüfen. Warum, meinst Du, suchten die Physiker sonst danach? Warum sind die ersten Funde interessanter als weitere, wenn sich das Verhalten mal als regelmäßig bestätigt hat? Warum srach man früher von "hypothetischen Teilchen", bis man sie nachgewiesen hatte?
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Der_Guido
dafür dagegen zu sein



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Beitrag(#1632398) Verfasst am: 29.04.2011, 01:49    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Sagen wir, die Existenz bestimmter Entitäten wird indirekt (durch Theorienbildung) erschlossen. ...

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Man kann auch andere Indizien formulieren, z.B. ein Theorem, das für die Existenz einer bestimmten Entität spricht.

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Wir schließen aufgrund gewisser physikalischer Notwendigkeiten, z.B. anhand der Materiegleichungen (also aufgrund gewisser Theoreme) auf deren Existenz.

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Ohne Voraussetzung von Neutrinos, die mit der Materie in bestimmter Weise wechselwirken, lassen sich fundamentale Prozesse der Nuklearphysik ... nicht verstehen - dies ist hier das Existenzkriterium


All diese Antworten zusammengenommen muß ich aber jetzt doch so deuten, daß Deine Definition von Realität gar nicht mehr mit Veränderungen selbst zu tun hat, sondern etwa so:

"Etwas ist real, wenn es in einer Theorie/Formel auftaucht, die etwas (mglw. ganz anderes) gut modelliert."

Ich denke übrigens - offen gesagt - daß Du Dich in Deinem letzten Beitrag ziemlich um Kopf und Kragen schreibst. Weder taugt Deine so verwässerte Realitätsdefinition noch für den ontologischen Realismus, noch ist sie mE überhaupt verwendbar.

Finde ich nicht, liegt vielleicht daran, dass ich fälschlich zwei Ebenen unterscheide:

1) ontologischer Realismus
Wenn Neutrinos existieren, dann existieren sie unabhängig menschlichen Denkens.

2) erkenntnistheoretischer Realismus (z.B.: hypothetischer Realismus)
Neutrinos existieren (vorläufig), weil gut modellierte Theorien/Formeln ihre Existenz nahelegen
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zelig
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Beitrag(#1632492) Verfasst am: 29.04.2011, 12:39    Titel: Antworten mit Zitat

Mein Verdacht ist, daß Komplikationen zum Themenkreis durch den, möglicherweise uneingestandenen Versuch verursacht wird, doch letztlich eine Art intuitiven Physikalismus ontologisch zu fundieren. Ich glaube, das kann nicht gelingen.
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step
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Beitrag(#1632570) Verfasst am: 29.04.2011, 17:54    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
Mein Verdacht ist, daß Komplikationen zum Themenkreis durch den, möglicherweise uneingestandenen Versuch verursacht wird, doch letztlich eine Art intuitiven Physikalismus ontologisch zu fundieren.

Sehe ich ebenso. "harte Fakten" wie "harte Steine" usw. - weil sie eben Aua machen.

Wobei ich das nicht Physikalismus nennen würde, sondern eher "Haptismus" oder so.

zelig hat folgendes geschrieben:
Ich glaube, das kann nicht gelingen.

Leider gelingt es in den meisten Bereichen erstaunlich gut, sprich die meisten mesokosmischen Modelle werden dadurch nicht wesentlich schlechter.
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step
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Beitrag(#1632573) Verfasst am: 29.04.2011, 17:57    Titel: Antworten mit Zitat

Der_Guido hat folgendes geschrieben:
... liegt vielleicht daran, dass ich fälschlich zwei Ebenen unterscheide:

1) ontologischer Realismus
Wenn Neutrinos existieren, dann existieren sie unabhängig menschlichen Denkens.

Und was genau wäre hier das Kriterium für Existenz bzw. für Unabhängigkeit?

Der_Guido hat folgendes geschrieben:
2) erkenntnistheoretischer Realismus (z.B.: hypothetischer Realismus)
Neutrinos existieren (vorläufig), weil gut modellierte Theorien/Formeln ihre Existenz nahelegen

Auch an Dich die Frage: Warum sucht(e) man dann so verzweifelt nach ihnen? Warum sagte man, es sei unklar, ob sie "wirklich existieren", bis man sie nachgewiesen habe?
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zelig
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Beitrag(#1632601) Verfasst am: 29.04.2011, 19:46    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Mein Verdacht ist, daß Komplikationen zum Themenkreis durch den, möglicherweise uneingestandenen Versuch verursacht wird, doch letztlich eine Art intuitiven Physikalismus ontologisch zu fundieren.

Sehe ich ebenso. "harte Fakten" wie "harte Steine" usw. - weil sie eben Aua machen.

Wobei ich das nicht Physikalismus nennen würde, sondern eher "Haptismus" oder so.


Stimmt. "Haptismus" ist eine gute Bezeichnung.
step hat folgendes geschrieben:

zelig hat folgendes geschrieben:
Ich glaube, das kann nicht gelingen.

Leider gelingt es in den meisten Bereichen erstaunlich gut, sprich die meisten mesokosmischen Modelle werden dadurch nicht wesentlich schlechter.


Ja. Stimmt auch.
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Marcellinus
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Beitrag(#1632836) Verfasst am: 30.04.2011, 12:56    Titel: Antworten mit Zitat

Der_Guido hat folgendes geschrieben:

Finde ich nicht, liegt vielleicht daran, dass ich fälschlich zwei Ebenen unterscheide:

1) ontologischer Realismus
Wenn Neutrinos existieren, dann existieren sie unabhängig menschlichen Denkens.

2) erkenntnistheoretischer Realismus (z.B.: hypothetischer Realismus)
Neutrinos existieren (vorläufig), weil gut modellierte Theorien/Formeln ihre Existenz nahelegen

Könnte es daran liegen, daß hier zwei Dinge durcheinander gehen, Neutrinos als Objekte und als Theorie?

Wenn es Neutrinos als Objekte gibt, dann gibt es sie unabhängig von menschlichem Denken. Daß es sie gibt, ist allerdings eine von Menschen erdachte Theorie. Die Suche nach einem gedanklichen Standpunkt, der unabhängig ist von unserem Denken, ist nur eben ein Widerspruch in sich, und der führt zu all diesen Verwicklungen.

Existenz und deren Nachweis sind zwei verschiedene Dinge.
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Martha-Helene
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Beitrag(#1632883) Verfasst am: 30.04.2011, 16:19    Titel: Antworten mit Zitat

Verdient ihr eigentlich euer Geld mit solcher Gedankenakrobatik?
Sprudelt das so aus euch raus oder ist das anstengend?

Ist man, wenn man so denkt, ansonsten trotzdem ein alltagstauglicher Mensch?
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step
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Beitrag(#1632892) Verfasst am: 30.04.2011, 16:46    Titel: Antworten mit Zitat

Martha-Helene hat folgendes geschrieben:
Verdient ihr eigentlich euer Geld mit solcher Gedankenakrobatik?

Also ich jedenfalls nicht. Ich brauch das im Gegenteil als Ausgleich.

Martha-Helene hat folgendes geschrieben:
Sprudelt das so aus euch raus oder ist das anstengend?

Es ist ähnlich wie körperlicher Sport, also man strengt sich an, ist aber ein angenehmes Anstrengen. Sagen jedenfalls die Leute, die Sport treiben.

Martha-Helene hat folgendes geschrieben:
Ist man, wenn man so denkt, ansonsten trotzdem ein alltagstauglicher Mensch?

Kommt drauf an, was Du unter "alltagstauglich" verstehst. Gerade habe ich z.B. den Rasen gemäht, geschickterweise vor dem Gewitter.
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Marcellinus
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Beitrag(#1633147) Verfasst am: 01.05.2011, 11:16    Titel: Antworten mit Zitat

Martha-Helene hat folgendes geschrieben:
Verdient ihr eigentlich euer Geld mit solcher Gedankenakrobatik?
Sprudelt das so aus euch raus oder ist das anstengend?

Ist man, wenn man so denkt, ansonsten trotzdem ein alltagstauglicher Mensch?

Du läßt es, denke ich, an der nötigen Ehrfurcht fehlen. Lachen
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zelig
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Beitrag(#1633177) Verfasst am: 01.05.2011, 12:48    Titel: Antworten mit Zitat

Martha-Helene hat folgendes geschrieben:
Verdient ihr eigentlich euer Geld mit solcher Gedankenakrobatik?
Sprudelt das so aus euch raus oder ist das anstengend?

Ist man, wenn man so denkt, ansonsten trotzdem ein alltagstauglicher Mensch?


Thales kennt man oftmals nur aus der Brunnensturz-Anekdote.

Zitat:
Aristoteles schrieb in seiner Politik über Thales von Milet Folgendes:

„Man hielt ihm seine Armut vor, vermutlich um zu beweisen, dass man mit der Philosophie nicht sehr weit komme. Wie der Erzähler fortfährt, wusste Thales aus seiner Kenntnis der Sternenwelt, obwohl es noch Winter war, dass im kommenden Jahr eine reiche Olivenernte zu erwarten sei; da er ein wenig Geld besaß, mietete er alle Olivenpressen in Chios und Milet; er bekam sie preiswert, da niemand ihn überbot. Als plötzlich zur Erntezeit alle Pressen gleichzeitig benötigt wurden, lieh er sie zu jedem in seinem Belieben stehenden Betrag aus und verdiente eine Menge Geld daran. So bewies er der Welt, dass auch Philosophen leicht reich werden können, wenn sie nur wollen, dass das aber nicht ihr Ehrgeiz ist.“

http://de.wikipedia.org/wiki/Thales

Soviel zur Frage der Alltagstauglichkeit.

Was mich betrifft, ich bin wirklich kein Gedankenakrobat. Mit fehlt bisweilen nur die natürliche Orientierung, die anderen scheinbar in die Wiege gelegt wurde. Deswegen laufe ich schonmal auf Pfaden, die man vielleicht üblicherweise nicht unbedingt einschlagen würde, da sie nicht den den kürzesten Weg zum Ziel darstellen. Jedoch von wenigen fernen Sternen geleitet - in guten Zeiten.
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Martha-Helene
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Beitrag(#1633222) Verfasst am: 01.05.2011, 17:39    Titel: Antworten mit Zitat

Nun ja, es liegt in der Eigenart des Mediums, das man unbefangener schreibt als man mit realen Personen sprechen würde. Ich sollte also bei einem blauen Quadrat und einer Tastatur ehrfürchtiger sein?
Anfangs konnte ich noch folgen, inzwischen müsste ich allerdings ständig bei Wikipedia nachschlagen, bzw. eigentlich verstehe ich nur noch Bahnhof. Geht es tatsächlich noch um das Buch, das ja den Anspruch hat, allgemeinverständlich zu sein? Auf welcher Seite seid ihr?

Im Gespräch von Richard David Precht mit Helga Nowotny Wem dient die Forschung? wird gesagt, dass der rasante Wissensfortschritt auch unteren Bildungsschichten so gut wie möglich vermittelt werden muss, damit keine 2geteilte Gesellschaft entsteht. Da muss ich sagen, das gelingt euch nicht so gut.
Aber ihr seid ja auch unter euch – ich will eure Diskussion nun nicht weiter stören. zwinkern
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Marcellinus
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Beitrag(#1633237) Verfasst am: 01.05.2011, 18:41    Titel: Antworten mit Zitat

Martha-Helene hat folgendes geschrieben:
Nun ja, es liegt in der Eigenart des Mediums, das man unbefangener schreibt als man mit realen Personen sprechen würde. Ich sollte also bei einem blauen Quadrat und einer Tastatur ehrfürchtiger sein?

Ich weiß nicht, was die beiden meinen. Mein breites Grinsen hast du hoffentlich gesehen. zwinkern Aber mir hat man hier auch schon Unwissen attestiert. Lachen
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step
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Beitrag(#1633248) Verfasst am: 01.05.2011, 19:36    Titel: Antworten mit Zitat

Martha-Helene hat folgendes geschrieben:
Anfangs konnte ich noch folgen, inzwischen müsste ich allerdings ständig bei Wikipedia nachschlagen, bzw. eigentlich verstehe ich nur noch Bahnhof. Geht es tatsächlich noch um das Buch, das ja den Anspruch hat, allgemeinverständlich zu sein? Auf welcher Seite seid ihr?

- Wie ich bereits schrieb, finde ich MSS Buch sehr empfehlenswert.
- Ich habe den thread eröffnet, um meine (wenigen) Kritikpunkte an dem Buch zur Diskussion zu stellen.
- an einem einzelnen (wissenschaftsphilsosophischen) Punkt hat sich eine Diskussion mit DarwinUpheaval über den ontologischen Wert / die Wahrheit von wiss. Theorien entzündet. Diese fand ich interessant und (für Philosophen) wichtig, aber sie hat mit dem Buch in der Tat nur noch sehr wenig zu tun. Vielleicht hätten DaUp oder ich besser einen eigenen thread dazu aufgemacht.
- ich finde übrigens auch MSS Buch nicht wirklich allgemeinverständlich, es setzt voraus, daß man Grundbegriffe von Wissenschaft begriffen hat und sich auch schon philosophischen Fragen gestellt hat.

Martha-Helene hat folgendes geschrieben:
Im Gespräch von Richard David Precht ...

Ich bin übrigens allergisch gegen Precht, auch sein (bekanntestets) Buch gefällt mir überhaupt nicht, es ist ein belangloses Gesülze, da ist MSS locker besser.

Martha-Helene hat folgendes geschrieben:
... mit Helga Nowotny Wem dient die Forschung? wird gesagt, dass der rasante Wissensfortschritt auch unteren Bildungsschichten so gut wie möglich vermittelt werden muss, damit keine 2geteilte Gesellschaft entsteht.

Das unterschreibe ich.

Martha-Helene hat folgendes geschrieben:
Da muss ich sagen, das gelingt euch nicht so gut.

Bin eigentlich auch nicht hier, um das zu tun. Wenn ich aber was Unverständliches schreibe, muß ich mich bessern. Die Reaktion ist halt nicht so direkt wie bei einer face2face Unterhaltung. Übrigens schaue ich ebenfalls oft Begriffe nach.

Martha-Helene hat folgendes geschrieben:
Aber ihr seid ja auch unter euch – ich will eure Diskussion nun nicht weiter stören. zwinkern

Ach komm, jetzt sei doch nicht beleidigt.
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fwo
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Beitrag(#1633256) Verfasst am: 01.05.2011, 20:15    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
.....
Ich bin übrigens allergisch gegen Precht, auch sein (bekanntestets) Buch gefällt mir überhaupt nicht, es ist ein belangloses Gesülze, da ist MSS locker besser.....

Wer achtet denn darauf, was diese Leute reden oder schreiben? In den Talk-Shows ist das Aussehen viel wichtiger und dass die Haare nicht fettig sind. Da ist Precht ganz klar der bessere Philosoph.

Und darf deshalb zu allem reden, wovon er Bücher bei sich zu Hause im Regal - oder Ausschnitte aus der Zeit gesammelt hat. Der Mann ist unglaublich gut darin, Smalltalk wichtig klingen zu lassen.

fwo
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Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.

Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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step
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Beitrag(#1633269) Verfasst am: 01.05.2011, 20:50    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
... und dass die Haare nicht fettig sind.

Da kämme es nochmal auf den direkten Vergleich an ...

fwo hat folgendes geschrieben:
Der Mann ist unglaublich gut darin, Smalltalk wichtig klingen zu lassen.

... und nirgendwo anzuecken. Voll kompatibel.
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Darwin Upheaval
Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator



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Beitrag(#1633368) Verfasst am: 02.05.2011, 00:33    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Sagen wir, die Existenz bestimmter Entitäten wird indirekt (durch Theorienbildung) erschlossen. ...

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Man kann auch andere Indizien formulieren, z.B. ein Theorem, das für die Existenz einer bestimmten Entität spricht.

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Wir schließen aufgrund gewisser physikalischer Notwendigkeiten, z.B. anhand der Materiegleichungen (also aufgrund gewisser Theoreme) auf deren Existenz.

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Ohne Voraussetzung von Neutrinos, die mit der Materie in bestimmter Weise wechselwirken, lassen sich fundamentale Prozesse der Nuklearphysik ... nicht verstehen - dies ist hier das Existenzkriterium


All diese Antworten zusammengenommen muß ich aber jetzt doch so deuten, daß Deine Definition von Realität gar nicht mehr mit Veränderungen selbst zu tun hat, sondern etwa so:

"Etwas ist real, wenn es in einer Theorie/Formel auftaucht, die etwas (mglw. ganz anderes) gut modelliert."

Ich denke übrigens - offen gesagt - daß Du Dich in Deinem letzten Beitrag ziemlich um Kopf und Kragen schreibst. Weder taugt Deine so verwässerte Realitätsdefinition noch für den ontologischen Realismus, noch ist sie mE überhaupt verwendbar.


Das kommt Dir so vor, weil Du Dich gedanklich nicht von Deiner operationalistischen Wissenschaftsauffassung lösen kannst und Definitionen ("Was-Ist-Fragen") mit Erkennungskriterien ("Woran-Erkenne-ich-Fragen") vermengst und verwechselst... Selbstverständlich spielt auch die Datenerhebung eine Rolle bei der Beurteilung, welche Dinge als real anzunehmen sind. Empirische Adäquatheit ist aber nicht das einzige "Wahrheitskriterium". Da Du also die Argumentation augenscheinlich noch nicht recht nachvollzogen hast, sei sie hier nochmals möglichst kleinschrittig an zwei Beispielen erläutert:

1.) Wenn ich "radioaktiven Zerfall" <b>definiere</b>, sage ich, was "radioaktiver Zerfall" <b>ist</b> und nicht, woran ich radioaktiven Zerfall <b>erkenne</b>. Um Radioaktivität zu definieren, muss ich diese nicht erkennen, und um die Theorie der Radioaktivität für wahr zu halten, muss ich Radioaktivität nicht notwendigerweise (direkt) beobachten. Es genügt zunächst zu zeigen, dass ohne die allgemeine Theorie des radioaktiven Zerfalls bestimmte Phänomene der Physik nicht schlüssig erklärbar sind, dass sich die Theorie "erwartungskonform" (extern konsistent) hinsichtlich des übrigen physikalischen Hintergrundwissens verhält, sie eine gewisse Tendenz zur Vereinheitlichung aufweist, usw. In einem zweiten (logisch unabhängigen!) Schritt kann man dann überlegen, wie die Theorie des "radioaktiven Zerfalls" zu <b>spezifizieren</b> ist, um sie empirisch prüfbar zu machen. Z.B. könnte man der Detailfrage auf den Grund gehen, wie der Zerfall von U-238 vonstatten geht, und sich dann geeignete "Indikatorhypothesen" überlegen, mit deren Hilfe ich etwa einen Zusammenhang zwischen dem Knacken in einem Geigerzählrohr und der Radioaktivität herstelle. Es wird hier etwa nach folgender Methodologie verfahren:

Zitat:
-> Erklärungsbedürftige Erscheinungen: Uransalze ionisieren Luft etc.
-> Erklärungsgrund: Theorie des radioaktiven Zerfalls
-> Definition: "Was <b>ist</b> Radioaktivität?" (Antwort: Umwandlung von Atomkernen)
-> Spezifizierung der Theorie der Radioaktivität
-> Beispiel: Modell des Alpha-Zerfalls von U-238
-> Erkenntnisgrund: Woran erkenne ich den radioaktiven Zerfall von U-238?
-> Indikatorhypothese / Erkennungskriterium: Kondensation von Alpha-Teilchen an Wassertröpfchen
-> Erkenntnisgrund für den Zerfall von U-238: Spur in Nebelkammer

-> empirische Bestätigung
-> hypothetisch-deduktiver Rückschluss auf Korrektheit der Theorie radioaktiven Zerfalls


2.) Anlog gilt: Wenn ein hypothetischer Realist den Begriff "Entiät" <b>definiert</b>, sagt er was eine Entität <b>ist</b> und nicht, woran man eine Entität <b>erkennt</b>. Um eine Entität zu definieren, muss ich sie nicht erkennen, und um den hypothetischen Realismus / das Konzept der Entität für wahr zu halten, muss ich Entitäten nicht notwendigerweise (<i>direkt</i>) beobachten. Zur argumentativen Rechtfertigung des hypothetischen Realismus genügt es zunächst, darauf zu verweisen, dass ohne die Annahme der Existenz von (real existierenden) Entitäten jene Meta-Phänomene, die weiter oben beschrieben wurden, erklärungsbedürftig bleiben, dass der hypothetische Realismus also erklärungsmächtig ist, in sich konsistent ist, usw. In einem zweiten (logisch unabhängigen!) Schritt kann man sich dann überlegen, welche Entitäten zur Erklärung der Weltwirklichkeit nun im Einzelnen gebraucht werden (Beispiel: Neutrinos, Dunkle Materie etc.). Analog zu oben sind entsprechende "Indikatorhypothesen" erforderlich, also Indizien, mit deren Hilfe ein Zusammenhang zwischen den empirischen Daten und der Existenz bestimmter Entitäten hergestellt wird. Es gilt in Anlehnung an das oben Gesagte folgendes Argumentationsschema:

Zitat:
-> Erklärungsbedürftige "Meta-Phänomene":

Es findet eine historische Wissenskumulation statt: Die Theorien verschiedener Wissenschaftsdisziplinen durchdringen sich gegenseitig immer stärker und werden im Lauf der Zeit immer vollständiger und einheitlicher. Ihr Bewährungsgrad steigt sukzessive; unser eng verwobenes Theoriennetzwerk ist in sich konsistent. Gleichwohl können Theorien auch scheitern.

-> Erklärungsgrund:

Es gibt eine Welt "an sich" (= Wirklichkeit), mit der wir wechselwirken und in der wir und unsere Weltmodelle sich bewähren müssen. Die Welt an sich ist gekennzeichnet durch einen hierarchischen Stufenbau, den wir teilweise erkennen und durch Theorienbildung erschließen können. Wäre dem nicht so, wären wir nicht überlebensfähig. Die Evolution verlangt also, dass jene Introspektionen, die unsere Erkenntnisapparate konstruieren, die Wirklichkeit adäquat repräsentieren müssen, sonst fielen wir der Selektion zum Opfer (Evolutionäre Erkenntnistheorie).

Unsere Theorien nähern sich im Fall von Wissenskumulation sukzessive der Wirklichkeit an. Theorien, die scheitern, sind von der Wirklichkeit weiter entfernt und (wie jede Theorie) bestenfalls approximativ wahr.

-> Ontologie des hypothetischen Realismus:

Postulat real existierender Entitäten, die sich hierarchisch zu Systemen und Super-Systemen zusammenschließen bzw. miteinander interagieren.

-> Definition:

"Was <b>ist</b> eine (reale) Entität?" (Antwort: Ein Objekt, das Zustandsänderungen erfährt und mit anderen Dingen, auch mit uns selbst und unseren Erkenntnisapparaten, wechselwirkt.)

-> Spezifizierung des hypothetischen Realismus

-> Beispiel: Neutrino als real existierende Entität

-> Erkenntnisgrund: Woran erkenne ich diese Entität?

-> Indikatorhypothese / Erkennungskriterium:

a.) Aufgrund des hierarchischen Stufenbaus der Welt werden Entitäten in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen einheitlich zur Erklärung benötigt
b.) Jene Daten, die für die Detektion der hypothetischen Entität theoretisch relevant sind, sind je nach Randbedingung variabel und somit ein Kriterium für eine Zustandsänderung der entsprechenden Entität.

-> Erkenntnisgrund für Neutrino als real existierende Entität:

a.) Neutrino schlägt "theoretische Brücke" zwischen verschiedenen Disziplinen
b.) Neutrino wechselwirkt mit anderen Objekten und ändert dadurch seinen Zustand


-> Bestätigung:

a.) Neutrinos werden sowohl in der Kosmologie als auch in der Teilchen- und Kernphysik zur einheitlichen Erklärung der Weltwirklichkeit gebraucht
b.) Neutrinos wechselwirken mit radiochemischen Galliumdetektoren



-> hypothetisch-deduktive Bestätigung der Entität "Neutrino"


Neutrinos, Dunkle Materie etc. sind also spezielle Entitäten, mit deren Hilfe bestimmte Details (Spezifika) in dieser Welt erklärt werden. Mit dem Scheitern solch spezieller Erklärungen lässt sich natürlich der hypothetische Realismus nicht zu Fall bringen, weil Detail-Erklärungen immer mit dem allgemeinen, philosophischen Hintergrund-Schema kompatibel sein müssen. (Ähnliches gilt z.B. für die Evolutionstheorie: mit dem Scheitern evolutionärer Detailerklärungen lässt sich das allgemeine Mutations-Selektion-Erklärungsschema nicht zu Fall bringen...) Das bedeutet natürlich nicht, dass der hypothetische Realismus nicht scheitern könnte. Gäbe es z.B. keine Kontinuität im Wissensfortschritt, sondern nur extern inkonistente Wissensinseln ("inkommensurable Paradigmen") ohne gegenseitige Durchdringung, oder wäre jede Theorie gleich gut oder gleich schlecht, wäre der hypothetische Realismus sicher keine Option mehr.)
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Darwin Upheaval
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Beitrag(#1633380) Verfasst am: 02.05.2011, 01:53    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Der_Guido hat folgendes geschrieben:

Finde ich nicht, liegt vielleicht daran, dass ich fälschlich zwei Ebenen unterscheide:

1) ontologischer Realismus
Wenn Neutrinos existieren, dann existieren sie unabhängig menschlichen Denkens.

2) erkenntnistheoretischer Realismus (z.B.: hypothetischer Realismus)
Neutrinos existieren (vorläufig), weil gut modellierte Theorien/Formeln ihre Existenz nahelegen

Könnte es daran liegen, daß hier zwei Dinge durcheinander gehen, Neutrinos als Objekte und als Theorie?

Wenn es Neutrinos als Objekte gibt, dann gibt es sie unabhängig von menschlichem Denken. Daß es sie gibt, ist allerdings eine von Menschen erdachte Theorie.


Mit anderen Worten: Wissenschaftlicher denken sich Theorien aus, die Objekte postulieren, die unabhängig von menschlichem Denken existieren. Oder nochmals anders formuliert: Der hypothetische (ontologische + erkenntnistheoretische) Realismus ist Teil des philosophischen Hintergrunds wissenschaftlicher Theorienbildung.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Die Suche nach einem gedanklichen Standpunkt, der unabhängig ist von unserem Denken, ist nur eben ein Widerspruch in sich, und der führt zu all diesen Verwicklungen.


Thread 1: Gibt es Gedanken jenseits vom denkenden Gehirnen?
Thread 2: Gibt es Objekte, die jenseits vom erkennenden Subjekt existieren?

Du versuchst Thread 1 gegen Thread 2 auszuspielen, das kann man nicht machen.
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Zuletzt bearbeitet von Darwin Upheaval am 02.05.2011, 01:58, insgesamt einmal bearbeitet
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Darwin Upheaval
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Beitrag(#1633381) Verfasst am: 02.05.2011, 01:56    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Martha-Helene hat folgendes geschrieben:
Nun ja, es liegt in der Eigenart des Mediums, das man unbefangener schreibt als man mit realen Personen sprechen würde. Ich sollte also bei einem blauen Quadrat und einer Tastatur ehrfürchtiger sein?

Ich weiß nicht, was die beiden meinen. Mein breites Grinsen hast du hoffentlich gesehen. zwinkern Aber mir hat man hier auch schon Unwissen attestiert. Lachen


Weil mich Deine Argumentation irgendwie an dieses Schild hier erinnert... Mr. Green


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Marcellinus
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Beitrag(#1633475) Verfasst am: 02.05.2011, 12:31    Titel: Antworten mit Zitat

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Martha-Helene hat folgendes geschrieben:
Nun ja, es liegt in der Eigenart des Mediums, das man unbefangener schreibt als man mit realen Personen sprechen würde. Ich sollte also bei einem blauen Quadrat und einer Tastatur ehrfürchtiger sein?

Ich weiß nicht, was die beiden meinen. Mein breites Grinsen hast du hoffentlich gesehen. zwinkern Aber mir hat man hier auch schon Unwissen attestiert. Lachen


Weil mich Deine Argumentation irgendwie an dieses Schild hier erinnert... Mr. Green



Oh, der große Meister und der Ponyhof. Du verbreitest ja hier eine interessante Religion.

Zitat:
Es gibt eine Welt "an sich" (= Wirklichkeit), mit der wir wechselwirken und in der wir und unsere Weltmodelle sich bewähren müssen. Die Welt an sich ist gekennzeichnet durch einen hierarchischen Stufenbau, den wir teilweise erkennen und durch Theorienbildung erschließen können. Wäre dem nicht so, wären wir nicht überlebensfähig. Die Evolution verlangt also, dass jene Introspektionen, die unsere Erkenntnisapparate konstruieren, die Wirklichkeit adäquat repräsentieren müssen, sonst fielen wir der Selektion zum Opfer (Evolutionäre Erkenntnistheorie).

Unsere Theorien nähern sich im Fall von Wissenskumulation sukzessive der Wirklichkeit an. Theorien, die scheitern, sind von der Wirklichkeit weiter entfernt und (wie jede Theorie) bestenfalls approximativ wahr.


Da sind eine Menge unbewiesener Behauptungen drin. Das beginnt schon mit der Frage, was "adäquate Repräsentation der Wirklichkeit" ist, und ob die auch auf Objekte wie Neutrinos anwendbar ist. Nimm das simple Beispiel der optischen Täuschungen, die unser unser Gehirn vorgaukelt, zum Zwecke des besseren Überlebens, sicher aber nicht zur Annäherung an die Wahrheit. Daher haben wir auch einen Wahrnehmungs-, nicht einen Erkenntnisapparat.

Und woraus du schließt, daß sich unsere Theorien immer mehr der Wirklichkeit annähern, wüßte ich auch gern, denn wie willst du den deiner Ansicht nach geringer werdenden Abstand zu einer Wirklichkeit bestimmen, die du nicht kennst. In der Mathematik kann ich einen Grenzwert bestimmen, in den Wissenschaften halte ich das für grenzwertig.

Was du hier versuchst, ist mit Hilfe der Wissenschaften, und den nachweisbaren Eigenschaften, die sie über diese Welt zweifellos herausfinden, Aussagen zu treffen über das "Wesen" dieser Welt, also eine Art säkulare Religion, eine Philosophie mit Wahrheitsanspruch.

Und dann findet jemand in der nächsten Woche ein paar neue Teilchen, und deine ganze Theorie einer Annährung an die Wahrheit ist Makulatur. Wir können nachweisbare Eigenschaften dieser Welt herausfinden, und die fügen wir zu Modellen zusammen, die sich durch Tatsachenbeobachtungen, durch Wiegen und Messen belegen lassen. Diese Modelle mögen immer realistischer werden, aber nur im Vergleich zu ihren Vorgängern, nicht in Annäherung an eine hypothetische Wahrheit, die keiner kennt. Und neben diesen realistischen Anteilen enthalten unsere Modelle immer auch Fantasieanteile, die man nur eben meistens erst im Nachhinein erkennt.

Es gibt keine Wahrheit, die uns zur Verfügung steht, auch nicht in Näherung, weder in den Religionen noch in der Philosophie. Da kannst du noch so viele Seiten vollschreiben, und schöne Begriffdefinitionen aneinander reihen, es geht deinem Wahrheitsbeweis nicht anders als all den Gottesbeweisen vorher.

Dabei ist unser Wissen über diese Welt keineswegs beliebig, aber es bezieht sich auf nachprüfbare Eigenschaften, nicht auf das "Wesen". Wir kennen die Eigenschaften der Sonne, um die unsere Erde kreist, ein "wahres" Bild von ihr werden wir vermutlich niemals haben. Unser Steinzeitvorfahr kannte die für ihn wichtigen Eigenschaften eines Säbelzahntigers. Darauf waren seine und sind unsere Wahrnehmungsorgane entwickelt, auf das Überleben, nicht die Erkenntnis. Du jagst also einer philosophischen Chimäre nach auf deinem Ponyhof.
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Beitrag(#1633597) Verfasst am: 02.05.2011, 18:35    Titel: Antworten mit Zitat

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Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Martha-Helene hat folgendes geschrieben:
Nun ja, es liegt in der Eigenart des Mediums, das man unbefangener schreibt als man mit realen Personen sprechen würde. Ich sollte also bei einem blauen Quadrat und einer Tastatur ehrfürchtiger sein?

Ich weiß nicht, was die beiden meinen. Mein breites Grinsen hast du hoffentlich gesehen. zwinkern Aber mir hat man hier auch schon Unwissen attestiert. Lachen


Weil mich Deine Argumentation irgendwie an dieses Schild hier erinnert... Mr. Green



Oh, der große Meister und der Ponyhof. Du verbreitest ja hier eine interessante Religion.

Zitat:
Es gibt eine Welt "an sich" (= Wirklichkeit), mit der wir wechselwirken und in der wir und unsere Weltmodelle sich bewähren müssen. Die Welt an sich ist gekennzeichnet durch einen hierarchischen Stufenbau, den wir teilweise erkennen und durch Theorienbildung erschließen können. Wäre dem nicht so, wären wir nicht überlebensfähig. Die Evolution verlangt also, dass jene Introspektionen, die unsere Erkenntnisapparate konstruieren, die Wirklichkeit adäquat repräsentieren müssen, sonst fielen wir der Selektion zum Opfer (Evolutionäre Erkenntnistheorie).

Unsere Theorien nähern sich im Fall von Wissenskumulation sukzessive der Wirklichkeit an. Theorien, die scheitern, sind von der Wirklichkeit weiter entfernt und (wie jede Theorie) bestenfalls approximativ wahr.


Da sind eine Menge unbewiesener Behauptungen drin. Das beginnt schon mit der Frage, was "adäquate Repräsentation der Wirklichkeit" ist, und ob die auch auf Objekte wie Neutrinos anwendbar ist. Nimm das simple Beispiel der optischen Täuschungen, die unser unser Gehirn vorgaukelt, zum Zwecke des besseren Überlebens, sicher aber nicht zur Annäherung an die Wahrheit. Daher haben wir auch einen Wahrnehmungs-, nicht einen Erkenntnisapparat.

Und woraus du schließt, daß sich unsere Theorien immer mehr der Wirklichkeit annähern, wüßte ich auch gern, denn wie willst du den deiner Ansicht nach geringer werdenden Abstand zu einer Wirklichkeit bestimmen, die du nicht kennst. In der Mathematik kann ich einen Grenzwert bestimmen, in den Wissenschaften halte ich das für grenzwertig.

Was du hier versuchst, ist mit Hilfe der Wissenschaften, und den nachweisbaren Eigenschaften, die sie über diese Welt zweifellos herausfinden, Aussagen zu treffen über das "Wesen" dieser Welt, also eine Art säkulare Religion, eine Philosophie mit Wahrheitsanspruch.

Und dann findet jemand in der nächsten Woche ein paar neue Teilchen, und deine ganze Theorie einer Annährung an die Wahrheit ist Makulatur. Wir können nachweisbare Eigenschaften dieser Welt herausfinden, und die fügen wir zu Modellen zusammen, die sich durch Tatsachenbeobachtungen, durch Wiegen und Messen belegen lassen. Diese Modelle mögen immer realistischer werden, aber nur im Vergleich zu ihren Vorgängern, nicht in Annäherung an eine hypothetische Wahrheit, die keiner kennt. Und neben diesen realistischen Anteilen enthalten unsere Modelle immer auch Fantasieanteile, die man nur eben meistens erst im Nachhinein erkennt.

Es gibt keine Wahrheit, die uns zur Verfügung steht, auch nicht in Näherung, weder in den Religionen noch in der Philosophie. Da kannst du noch so viele Seiten vollschreiben, und schöne Begriffdefinitionen aneinander reihen, es geht deinem Wahrheitsbeweis nicht anders als all den Gottesbeweisen vorher.

Dabei ist unser Wissen über diese Welt keineswegs beliebig, aber es bezieht sich auf nachprüfbare Eigenschaften, nicht auf das "Wesen". Wir kennen die Eigenschaften der Sonne, um die unsere Erde kreist, ein "wahres" Bild von ihr werden wir vermutlich niemals haben. Unser Steinzeitvorfahr kannte die für ihn wichtigen Eigenschaften eines Säbelzahntigers. Darauf waren seine und sind unsere Wahrnehmungsorgane entwickelt, auf das Überleben, nicht die Erkenntnis. Du jagst also einer philosophischen Chimäre nach auf deinem Ponyhof.


Deine Bereitschaft zum "Orwellschen Zwiedenken" ist bemerkenswert, da Du einerseits über "nachprüfbare Eigenschaften" von etwas schwadronnierst, das man sogar wissenschaftlich rekonstruieren kann, dann aber flugs die Existenz dieses "Etwas" wieder ableugnest oder für metaphysisch unzumutbar erklärst, dessen Eigenschaften Du eben noch für "nachprüfbar" erklärt hast. Lachen

Du produziert hier nichts anderes als einen logischen Widerspruch: Wenn Du die Eigenschaften der Sonne erkennst, erkennst Du auch die Sonne. Oder kann es Deiner Meinung nach Eigenschaften ohne ein gehöriges Objekt geben, das diese Eigenschaften aufweist?

Dass wir die Sonne, um die unsere Erde kreist, niemals vollständig so erkennen, wie sie tatsächlich ist, bleibt unbestritten, doch Gegenteiliges hat auch niemand behauptet. Wahrheit ist nicht absolut, sondern approximativ! Und es ist schlichtweg schleierhaft, wie man etwas erkennen oder etwas Funktionierendes konstruieren können soll, wenn nicht gleichzeitig auch die Wahrheitsbedingung erfüllt ist, im Sinne der Korrespondenz zwischen der Welt und einer Aussage über die Welt.

Selbstverständlich gibt es nirgendwo gesicherte "Beweise", das gibt es bestenfalls in der Logik und in den Formalwissenschaften. Hypothesenbildung und Erklärung heißt stattdessen die Devise, und Du hast Dich in bewerkenswerter Weise um die oben beschriebene Argumentation, die für den hypothetischen Realismus spricht, herum gemogelt. Im Übrigen: Unterhältst Du Dich gerade mit Deinem eigenen Konstrukt? zwinkern
_________________
"Science is a candle in the dark." - Carl Sagan

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