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Mo. over and out
Anmeldungsdatum: 30.11.2007 Beiträge: 12690
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(#1648357) Verfasst am: 13.06.2011, 14:06 Titel: |
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Ich weiß jetzt nicht, obs hierher gehört, hier passt oder schon jemand drauf hingewiesen hat (ich verfolge diesen Thread nicht mehr wirklich ). Bin jedenfalls beim zappen zufällig auf Singer gestoßen und hab den Schluss der Sendung gesehen.
Leben ist nicht gleich Leben - oder?
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Lord Snow I am the one who knocks
Anmeldungsdatum: 05.09.2006 Beiträge: 6445
Wohnort: Würzburg
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(#1648809) Verfasst am: 14.06.2011, 21:09 Titel: |
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Frage:
Welches der Bücher von Singer muss man gelesen haben um bei der Singer-Debatte mitreden zu können. Würde gerne die Passagen lesen die bei vielen so anstößig sein sollen, bzw. die gerne verzerrt oder falsch dargestellt werden. Habe vor mir das Buch dann auf die Wunschliteraturliste zu setzen.
Ist es das hier?
http://www.amazon.de/Praktische-Ethik-Peter-Singer/dp/3150080339/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1308078111&sr=8-1
_________________ Ich irre mich nie! Einmal dachte ich, ich hätte mich geirrt, aber da hatte ich mich getäuscht
"Der Gott, der Gott sterben läßt, um Gott zu besänftigen"...Hundert Folianten, die für oder wider das Christentum geschrieben worden sind, ergeben eine geringere Evidenz als der Spott dieser zwei Zeilen.
Denis Diderot
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1648810) Verfasst am: 14.06.2011, 21:11 Titel: |
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Yep.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Kival Profeminist Ghost
Anmeldungsdatum: 14.11.2006 Beiträge: 24071
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(#1648823) Verfasst am: 14.06.2011, 21:35 Titel: |
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Jein. Es ist sicherlich das wichtigste Buch, aber in der Diskussion geht es jetzt auch wegen der GBS teilweise auch um spätere Veröffentlichungen. Um anzufangen, macht es aber sicher Sinn, erstmal die praktische Ethik zu lesen.
_________________ "A basic literacy in statistics will one day be as necessary for efficient citizenship as the ability to read and write." (angeblich H. G. Wells)
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zelig Kultürlich
Anmeldungsdatum: 31.03.2004 Beiträge: 25405
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(#1648834) Verfasst am: 14.06.2011, 21:45 Titel: |
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Mein Eindruck der letzten Wochen ist, man sollte
"Should the Baby Live?: The Problem of Handicapped Infants"
lesen, um einen runden Eindruck zu bekommen. Möglichst im Original. Ich kenne nur Auszüge, und bin mir nicht schlüssig, ob ich mir das antun soll.
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Femina registrierter User
Anmeldungsdatum: 24.07.2005 Beiträge: 1038
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(#1648855) Verfasst am: 14.06.2011, 22:13 Titel: |
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Ich habe mir die Praktische Ethik vor ein paar Tagen gekauft und mal zuerst die Kapitel gelesen, um die es hier geht.
Ich denke, dass die Aussagen dieser betreffenden Kapitel im Großen und Ganzen mit "Should the baby live" kompatibel sein werden. Wenn auch manche Aussagen in der Praktischen Ethik ziemlich zugespitzt formuliert sind - man kann Singer kaum widersprechen. Philosophisch betrachtet ist das, was er schreibt, sauber. Ich hätte manches etwas anderes formuliert, teils andere Begrifflichkeiten verwendet. Insbesondere hätte ich, auch wenn es philosophisch inkonsequent erscheint, den Beginn des Lebensrechts mit dem Zeitpunkt der Geburt festgelegt, um den gesellschaftlichen Konsens und die Gefühle der Menschen nicht überzustrapazieren. Letztlich hätte ich damit aber kaum eine andere Aussage getroffen als Peter Singer es getan hat. Denn er schränkt ja unser Recht, ein Neugeborenes zu töten, weitgehend ein. Nur dann nämlich, wenn die Eltern und 2 Ärzte übereinstimmend festgestellt haben, dass es für dieses Kind aufgrund seiner Krankheit besser wäre, nicht weiter zu leben, gesteht er uns das Tötungsrecht zu. Eine Situation, der ich zustimmen kann, weil es dann um eine Handlung geht, die auch im Sinne des Kindes sein dürfte.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1648867) Verfasst am: 14.06.2011, 22:28 Titel: |
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Femina hat folgendes geschrieben: | Ich habe mir die Praktische Ethik vor ein paar Tagen gekauft und mal zuerst die Kapitel gelesen, um die es hier geht.
Ich denke, dass die Aussagen dieser betreffenden Kapitel im Großen und Ganzen mit "Should the baby live" kompatibel sein werden. Wenn auch manche Aussagen in der Praktischen Ethik ziemlich zugespitzt formuliert sind - man kann Singer kaum widersprechen. Philosophisch betrachtet ist das, was er schreibt, sauber. Ich hätte manches etwas anderes formuliert, teils andere Begrifflichkeiten verwendet. Insbesondere hätte ich, auch wenn es philosophisch inkonsequent erscheint, den Beginn des Lebensrechts mit dem Zeitpunkt der Geburt festgelegt, um den gesellschaftlichen Konsens und die Gefühle der Menschen nicht überzustrapazieren. Letztlich hätte ich damit aber kaum eine andere Aussage getroffen als Peter Singer es getan hat. Denn er schränkt ja unser Recht, ein Neugeborenes zu töten, weitgehend ein. Nur dann nämlich, wenn die Eltern und 2 Ärzte übereinstimmend festgestellt haben, dass es für dieses Kind aufgrund seiner Krankheit besser wäre, nicht weiter zu leben, gesteht er uns das Tötungsrecht zu. Eine Situation, der ich zustimmen kann, weil es dann um eine Handlung geht, die auch im Sinne des Kindes sein dürfte. |
Entschuldige, aber für mich hört sich das alles ziemlich willkürlich an. Wenn man einerseits weiß, daß es Letztbegründungen nicht gibt, dann macht eine prinzipielle Ethik, also Ethik abgeleitet aus einem Prinzip, keinen Sinn. Sie ist dann nämlich nichts anderes als Willkür in Konsequenz. Wenn man am Beginn einer Rechenaufgabe einen Fehler hat, wird der durch noch so sorgfältiges Rechen nicht besser.
Es geht gar nicht darum, ob einem die Singer'sche Philosophie gefällt oder nicht, ob er sie ein wenig mehr oder weniger gefällig macht für die Leute. Das Prinzip ist falsch. Jede Ethik, die aus einem einzigen Prinzip abgeleitet ist, ist im Kern totalitär, mag sie nun menschen- oder tierfreundlich daherkommen oder nicht.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1648872) Verfasst am: 14.06.2011, 22:33 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Wenn man einerseits weiß, daß es Letztbegründungen nicht gibt, dann macht eine prinzipielle Ethik, also Ethik abgeleitet aus einem Prinzip, keinen Sinn. Sie ist dann nämlich nichts anderes als Willkür in Konsequenz. Wenn man am Beginn einer Rechenaufgabe einen Fehler hat, wird der durch noch so sorgfältiges Rechen nicht besser. |
Ich finde, Du siehst das zu negativ. Selbst wenn man kein Prinzip kennt, auf das man seine ganze Ethik gründen will, muß man doch anerkennen, daß Singer auf erhebliche Widersprüche in der tradierten Moral hingewiesen hat.
Ich finde, Feminas Zusammenfassung trifft es ganz gut.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1648881) Verfasst am: 14.06.2011, 23:04 Titel: |
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Femina hat folgendes geschrieben: | Nur dann nämlich, wenn die Eltern und 2 Ärzte übereinstimmend festgestellt haben, dass es für dieses Kind aufgrund seiner Krankheit besser wäre, nicht weiter zu leben, gesteht er uns das Tötungsrecht zu. Eine Situation, der ich zustimmen kann, weil es dann um eine Handlung geht, die auch im Sinne des Kindes sein dürfte. |
Das ist nicht korrekt dargestellt. Singer geht es explizit auch darum, die Interessen der Eltern hier zu berücksichtigen. Und das ist der Knackpunkt, das Problem hier. Die Interessen der Eltern haben mit dem Lebensrecht des Kindes nämlich nichts zu tun, sie haben meiner Ansicht nach schlicht nicht das Recht, ihre Interessen über das Lebensrecht des Kindes zu stellen.
Ist so, wie bei einem im Koma Liegenden. Auch da spielen die Interessen der Angehörigen keine Rolle und das ist auch richtig so.
Es gibt mE keinen Grund, warum man das Kind anders behandeln soll als den im Koma Liegenden.
Edit: ich meine, genauer gesagt: natürlich haben die Eltern auch meiner Ansicht nach ein Mitspracherecht, insofern, als sie sich gegen eine Tötung aussprechen können, aber sie haben mE kein Mitspracherecht pro Tötung.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1648883) Verfasst am: 14.06.2011, 23:21 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: |
Ich finde, Du siehst das zu negativ. |
Das ist ein komisches Argument. Du meinst, ich könnte Recht haben, aber ich sollte es für mich behalten, weil es die Stimmung versaut?
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1648889) Verfasst am: 14.06.2011, 23:39 Titel: |
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Bringen wir es doch auf den Punkt. Entweder es gibt diesen archimedischen Punkt der Ethik, diesen festen, unbezweifelbaren Ausgangspunkt, von dem ich alles andere ableiten kann, dann hat die prinzipielle Ethik Recht. Oder, und dafür spricht leider alles, es gibt ihn nicht, dann ist all das Herumgehampel, die gefälligen Anpassungen, die Ausnahmen, die man macht, dem Publikum oder der Wirklichkeit zu Liebe, einfach nur der Versuch, eine philosophische Leiche zu schminken.
Wenn das Wort von der evolutionären Ethik, vom evolutionärem Humanismus irgendeine Bedeutung hat, dann doch die, daß jede Moral sich entwickelt hat, so geworden ist, wie sie geworden ist, in der Auseinandersetzung mit den realen Verhältnissen. Diesen Anpassungsprozeß gilt es zu verstehen, den Prozeß der Entwicklung unserer Moral zu begreifen als Teil der Entwicklung unserer Gesellschaften. Und wie es in dem Verständnis der Entwicklung unserer Gesellschaften keine einfachen Antworten gibt, so verhält es sich mit den Normen der Verhaltens der Menschen untereinander, die wir Moral nennen. Der Versuch, sich eine Moral "auszudenken", ist zum Scheitern verurteilt.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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Rohrspatz grobsinnig und feinschlächtig
Anmeldungsdatum: 25.12.2007 Beiträge: 3877
Wohnort: NRW
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(#1648939) Verfasst am: 15.06.2011, 10:12 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Bringen wir es doch auf den Punkt. Entweder es gibt diesen archimedischen Punkt der Ethik, diesen festen, unbezweifelbaren Ausgangspunkt, von dem ich alles andere ableiten kann, dann hat die prinzipielle Ethik Recht. Oder, und dafür spricht leider alles, es gibt ihn nicht, dann ist all das Herumgehampel, die gefälligen Anpassungen, die Ausnahmen, die man macht, dem Publikum oder der Wirklichkeit zu Liebe, einfach nur der Versuch, eine philosophische Leiche zu schminken.
Wenn das Wort von der evolutionären Ethik, vom evolutionärem Humanismus irgendeine Bedeutung hat, dann doch die, daß jede Moral sich entwickelt hat, so geworden ist, wie sie geworden ist, in der Auseinandersetzung mit den realen Verhältnissen. Diesen Anpassungsprozeß gilt es zu verstehen, den Prozeß der Entwicklung unserer Moral zu begreifen als Teil der Entwicklung unserer Gesellschaften. Und wie es in dem Verständnis der Entwicklung unserer Gesellschaften keine einfachen Antworten gibt, so verhält es sich mit den Normen der Verhaltens der Menschen untereinander, die wir Moral nennen. Der Versuch, sich eine Moral "auszudenken", ist zum Scheitern verurteilt. |
Prinzipiell gebe ich dir Recht, aber was sich ebenso wie eine evolutiv und kulturell entstandene Moral finden lässt, ist der Hang des Menschen, sein Handeln rational zu begründen. Deswegen selektiert die Globalisierung rein kulturell gewachsene Werte zu einem Großteil aus, denn sie beruhen viel auf Prämissen, die nicht wahr sind, sondern kulturelle Eigentümlichkeiten darstellen so wie religiöse Letztbegründungen oder Vorurteile.
Wenn man also nach einer Ethik sucht, die in diesem Wandel Bestand haben könnte, hat Singers Ethik der christlichen (beispielweise) durchaus etwas voraus: Innere Konsistenz.
Die Frage ist nur, ob sich genügend Menschen ohne Versprechen auf Letztbegründung überzeugen lassen.... Denn im Zweifelsfall macht man so weit es geht so weiter wie bisher und handelt nur einzelne Werte hier und da neu aus.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1648955) Verfasst am: 15.06.2011, 11:17 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Singer geht es explizit auch darum, die Interessen der Eltern hier zu berücksichtigen. Und das ist der Knackpunkt, das Problem hier. Die Interessen der Eltern haben mit dem Lebensrecht des Kindes nämlich nichts zu tun, sie haben meiner Ansicht nach schlicht nicht das Recht, ihre Interessen über das Lebensrecht des Kindes zu stellen. |
Nach Singer hat das schwerstbehinderte Neugeborene aber kein apriori-Lebensrecht. Es gäbe also höchstens Interessen Dritter, die es schützen würden, z.B. die Eltern.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Ist so, wie bei einem im Koma Liegenden. Auch da spielen die Interessen der Angehörigen keine Rolle und das ist auch richtig so. Es gibt mE keinen Grund, warum man das Kind anders behandeln soll als den im Koma Liegenden.
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Beim Komapatienten kommen ein direktes sowie ein indirektes Argument hinzu: Zum einen sein zuvor geäußertes (oder auch angenommenes) eigenes Interesse, zum zweiten die Tatsache, daß wir alle in diese Situation kommen können, sie also näher an unserer Lebenswirklichkeit ist.
Wenn man einfach allen geborenen Organismen mit menschlichem Erbgut ein apriori-Lebensrecht zugesteht, ist der Keks gegessen und keine Diskussion mehr sinnvoll.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1649190) Verfasst am: 15.06.2011, 19:47 Titel: |
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Rohrspatz hat folgendes geschrieben: |
Prinzipiell gebe ich dir Recht, aber was sich ebenso wie eine evolutiv und kulturell entstandene Moral finden lässt, ist der Hang des Menschen, sein Handeln rational zu begründen. Deswegen selektiert die Globalisierung rein kulturell gewachsene Werte zu einem Großteil aus, denn sie beruhen viel auf Prämissen, die nicht wahr sind, sondern kulturelle Eigentümlichkeiten darstellen so wie religiöse Letztbegründungen oder Vorurteile.
Wenn man also nach einer Ethik sucht, die in diesem Wandel Bestand haben könnte, hat Singers Ethik der christlichen (beispielweise) durchaus etwas voraus: Innere Konsistenz.
Die Frage ist nur, ob sich genügend Menschen ohne Versprechen auf Letztbegründung überzeugen lassen.... Denn im Zweifelsfall macht man so weit es geht so weiter wie bisher und handelt nur einzelne Werte hier und da neu aus. |
Ich vergleiche das immer gern mit Gesetzen. Auch ein neues Gesetzbuch beginnt meistens mit wenigen Paragraphen, und mit der Zeit kommt eine Ausnahme zur anderen.
Während Gesetze den Rahmen unseres Handelns begrenzen, also ausdrücken, was wir tun müssen, bzw bei Strafe nicht tun drüfen, beschreibt Ethik, wie wir handeln sollten. Und auch da kann man versuchen, in das Chaos unserer Moralvorstellungen ein System zu bringen. Die Menschenrechte sind zB solch ein Versuch, und sicher ein wertvoller. Aber es bleibt eben eine Zusammenfassung, Vereinfachung oder wie immer du es nennen willst.
Das mit der Begründung halte ich nicht wirklich für ein Problem. Unser Handeln beruht auf Erfahrungen, und auf den Nachweis, daß die Erfahrungen der vielen so viel schlechter sind als die ethischen Eingebungen eines Einzelnen, warte ich noch.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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Femina registrierter User
Anmeldungsdatum: 24.07.2005 Beiträge: 1038
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(#1649390) Verfasst am: 15.06.2011, 22:50 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Entschuldige, aber für mich hört sich das alles ziemlich willkürlich an. Wenn man einerseits weiß, daß es Letztbegründungen nicht gibt, dann macht eine prinzipielle Ethik, also Ethik abgeleitet aus einem Prinzip, keinen Sinn. Sie ist dann nämlich nichts anderes als Willkür in Konsequenz. Wenn man am Beginn einer Rechenaufgabe einen Fehler hat, wird der durch noch so sorgfältiges Rechen nicht besser.
Es geht gar nicht darum, ob einem die Singer'sche Philosophie gefällt oder nicht, ob er sie ein wenig mehr oder weniger gefällig macht für die Leute. Das Prinzip ist falsch. Jede Ethik, die aus einem einzigen Prinzip abgeleitet ist, ist im Kern totalitär, mag sie nun menschen- oder tierfreundlich daherkommen oder nicht. |
Meinst du, Marcellinus, wir sollten auf Ethik ganz verzichten, nur weil es keine Letztbegründungen gibt und Erhiuk damit Willkür ist?
Siehst du Singers Ethik aus nur einem einzigen Prinzip abgeleitet? Er sagt doch an vieen Stellen, dass man nach dem gerade behandelten Prinzip zu dieser oder jener Schlussfolgerung kommt, es jedoch Ausnahmen geben kann. Wer nach sorgfältiger Prüfung Ausnahmen zulässt, ist doch nicht totalitär.
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1649403) Verfasst am: 15.06.2011, 23:03 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | Nach Singer hat das schwerstbehinderte Neugeborene aber kein apriori-Lebensrecht. Es gäbe also höchstens Interessen Dritter, die es schützen würden, z.B. die Eltern. |
Genau, das ist der Punkt. Femina hat das oben falsch dargestellt, so, als ob es Singer um Entscheidungen 'im Sinnes des Kindes' ginge. Darum aber geht es ihm explizit nicht und dabei spielt es auch keine Rolle, ob das Neugeborene schwerstbehindert ist oder nur z.B. eine entstellende Hautkrankheit hat. Wollen die Eltern es nicht und finden sich keine Adoptiveltern, dann ist eine Tötung kein Problem.
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Femina registrierter User
Anmeldungsdatum: 24.07.2005 Beiträge: 1038
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(#1649411) Verfasst am: 15.06.2011, 23:09 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Femina hat folgendes geschrieben: | Nur dann nämlich, wenn die Eltern und 2 Ärzte übereinstimmend festgestellt haben, dass es für dieses Kind aufgrund seiner Krankheit besser wäre, nicht weiter zu leben, gesteht er uns das Tötungsrecht zu. Eine Situation, der ich zustimmen kann, weil es dann um eine Handlung geht, die auch im Sinne des Kindes sein dürfte. |
Das ist nicht korrekt dargestellt. Singer geht es explizit auch darum, die Interessen der Eltern hier zu berücksichtigen. Und das ist der Knackpunkt, das Problem hier. Die Interessen der Eltern haben mit dem Lebensrecht des Kindes nämlich nichts zu tun, sie haben meiner Ansicht nach schlicht nicht das Recht, ihre Interessen über das Lebensrecht des Kindes zu stellen.
Ist so, wie bei einem im Koma Liegenden. Auch da spielen die Interessen der Angehörigen keine Rolle und das ist auch richtig so.
Es gibt mE keinen Grund, warum man das Kind anders behandeln soll als den im Koma Liegenden.
Edit: ich meine, genauer gesagt: natürlich haben die Eltern auch meiner Ansicht nach ein Mitspracherecht, insofern, als sie sich gegen eine Tötung aussprechen können, aber sie haben mE kein Mitspracherecht pro Tötung. |
step hat schon ähnlich darauf geantwortet, wie ich es auch getan hätte.
Ich habe kein Problem mit dem Entscheidungsrecht der Eltern, wenn das Kind wirklich eine schwer wiegende Krankheit mit großem Leiden hat. Auch dann nicht, wenn die Eltern aus dem Motiv heraus entscheiden, nicht über viele Jahre für ein so schwer krankes Kind sorgen zu müssen, es tagein tagaus leiden zu sehen. So einer Aufgabe muss man auch gewachsen sein. Wenn die Eltern das nicht sind, ist das Los den Kindes doch noch um so schwerer. - Allerdings glaube ich, dass man das Motiv Eigennutz und das Motiv "Nutzen für das Kind" bei den Eltern nie wird so richtig trennen können. Es wird wohl immer beides mit in die Entscheidung einfließen. Davon abgesehen wird es in den besagten Fällen wohl kaum eine Möglichkeit des Nutzens für das Kind geben können, wenn der Arzt beurteilt, dass das Kind nie ein Ich-Bewusstsein erlangen oder ein Leben voller Leiden führen wird. Für die Eltern hingegen wird - egal, wie sie sich entscheiden - die Entscheidung jedoch immer einen Nutzen haben. Entweder müssen sie nicht für das Kind sorgen oder sie dürfen für das Kind sorgen.
Beim Koma Patienten kommt noch hinzu, dass es sich um einen Menschen handelt, der schon mal ein Interesse am Leben hatte, der Pläne hatte, die er vielleicht noch verwirklichen will. Erwacht er aus dem Koma, kann er seine Pläne evt. auch wirklich noch in die Tat umsetzen. Dieser Fall wird häufig auch gleichgesetzt mit einem schlafenden Menschen. Der hatte vor dem Einschlafen Pläne, die er nach dem Auffachen in die Tat umsetzen will.
Das Neugeborene hingegen hatte - noch ganz wie der gerade erst gezeugte Embryo - noch nie einen Plan, noch nie ein ICH-Bewusstsein. Daher kein Interesse und daher kein Interesse am Leben. Dieses Interesse kommt erst später.
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Femina registrierter User
Anmeldungsdatum: 24.07.2005 Beiträge: 1038
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(#1649419) Verfasst am: 15.06.2011, 23:16 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Nach Singer hat das schwerstbehinderte Neugeborene aber kein apriori-Lebensrecht. Es gäbe also höchstens Interessen Dritter, die es schützen würden, z.B. die Eltern. |
Genau, das ist der Punkt. Femina hat das oben falsch dargestellt, so, als ob es Singer um Entscheidungen 'im Sinnes des Kindes' ginge. Darum aber geht es ihm explizit nicht und dabei spielt es auch keine Rolle, ob das Neugeborene schwerstbehindert ist oder nur z.B. eine entstellende Hautkrankheit hat. Wollen die Eltern es nicht und finden sich keine Adoptiveltern, dann ist eine Tötung kein Problem. |
Mit "Im Sinne des Kindes" meine ich nicht ein aus einem ICH-Bewusstsein entspringendes Lebensinteresse, sondern ich meinte die Gefühle des Kindes, die durchaus da sind. Im besagten Fall hat das Kind große Schmerzen. Wir alle wissen, dass wir gern auf Schmerzen verzichten können. Wenn wir sie doch erleiden müssen, dann tun wir das doch nur, weil wir die Hoffnung haben, dass es uns hinterher wieder gut geht. Oder weil sie so gering sind, dass wir trotzdem noch Glück in unserem Leben empfinden können. Wenn die Schmerzen aber das Glück verhindern und es keine Chance auf Befreiung von diesen Schmerzen gibt, dann würden doch auch wir, die wir ICH-Bewusstsein haben, lieber heute als morgen aus dem Leben treten. Aus diesen Erfahrungen nehme ich an, dass es "im Sinne des Kindes" ist, das Leben zu beenden.
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1649423) Verfasst am: 15.06.2011, 23:17 Titel: |
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Femina hat folgendes geschrieben: | Das Neugeborene hingegen hatte - noch ganz wie der gerade erst gezeugte Embryo - noch nie einen Plan, noch nie ein ICH-Bewusstsein. Daher kein Interesse und daher kein Interesse am Leben. Dieses Interesse kommt erst später. |
Der Punkt ist der: wenn man das so sieht, dann spielt es ebenso keine Rolle, wenn ein beliebiger, nicht behinderter Säugling getötet wird, (den die Eltern nicht wollen und sich auch keine Adoptiveltern finden).
Man sollte einfach ehrlich sein und das zugeben. Nicht behaupten, man würde doch im Sinne des Kindes handeln, das ist dann einfach völliger Bullshit, hat mit dieser Argumentation gar nichts zu tun.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1649446) Verfasst am: 15.06.2011, 23:33 Titel: |
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Femina hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Entschuldige, aber für mich hört sich das alles ziemlich willkürlich an. Wenn man einerseits weiß, daß es Letztbegründungen nicht gibt, dann macht eine prinzipielle Ethik, also Ethik abgeleitet aus einem Prinzip, keinen Sinn. Sie ist dann nämlich nichts anderes als Willkür in Konsequenz. Wenn man am Beginn einer Rechenaufgabe einen Fehler hat, wird der durch noch so sorgfältiges Rechen nicht besser.
Es geht gar nicht darum, ob einem die Singer'sche Philosophie gefällt oder nicht, ob er sie ein wenig mehr oder weniger gefällig macht für die Leute. Das Prinzip ist falsch. Jede Ethik, die aus einem einzigen Prinzip abgeleitet ist, ist im Kern totalitär, mag sie nun menschen- oder tierfreundlich daherkommen oder nicht. |
Meinst du, Marcellinus, wir sollten auf Ethik ganz verzichten, nur weil es keine Letztbegründungen gibt und Erhiuk damit Willkür ist?
Siehst du Singers Ethik aus nur einem einzigen Prinzip abgeleitet? Er sagt doch an vieen Stellen, dass man nach dem gerade behandelten Prinzip zu dieser oder jener Schlussfolgerung kommt, es jedoch Ausnahmen geben kann. Wer nach sorgfältiger Prüfung Ausnahmen zulässt, ist doch nicht totalitär. |
Unsere Handlungsnormen aka Moral sind das Ergebnis eines sozialen Prozesses. Ich vergleiche es gelegentlich gern mit einer Sprache. Grundstrukturen sind vermutlich angeboren und der Rest hat sich nach Regeln, die wir noch nicht ganz verstehen, entwickelt.
Unsere moralischen Bewertungen erfolgen unbewußt, dh. wir haben sie in unserer Kindheit und Jugend gelernt, und vermutlich hört dieses Lernen niemals auf. Wir mögen bewußt darüber nachdenken, aber zu einem moralischen Urteil wird es erst, wenn es Teil unseres Unterbewußtseins geworden ist und das funktioniert anders als unser Bewußtsein. Es ist erfahrungs- und fallorientiert, nicht systematisch.
Das ist der grundsätzliche Unterschied zu einer philosophisch konstruierten Ethik, und wie eine künstliche Sprache fühlst sie sich nicht richtig an. Sie ist einfach zu simpel, um in unserem Leben anwendbar zu sein, ohne totalitär zu werden.
Das heißt nicht, daß es falsch ist, Singers Ethik zu diskutieren. Was davon tauglich erscheint, wird evtl. auf diese Weise Teil der allgemeinen Moralvorstellungen, aber wenn, dann nicht als Prinzip, sondern als Teil unseres unterbewußten Wertesystems.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
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Friedrich Nietzsche
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1649452) Verfasst am: 15.06.2011, 23:41 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Femina hat folgendes geschrieben: | Das Neugeborene hingegen hatte - noch ganz wie der gerade erst gezeugte Embryo - noch nie einen Plan, noch nie ein ICH-Bewusstsein. Daher kein Interesse und daher kein Interesse am Leben. Dieses Interesse kommt erst später. |
Der Punkt ist der: wenn man das so sieht, dann spielt es ebenso keine Rolle, wenn ein beliebiger, nicht behinderter Säugling getötet wird, (den die Eltern nicht wollen und sich auch keine Adoptiveltern finden).
Man sollte einfach ehrlich sein und das zugeben. Nicht behaupten, man würde doch im Sinne des Kindes handeln, das ist dann einfach völliger Bullshit, hat mit dieser Argumentation gar nichts zu tun. |
Mich gruselt immer bei solch einer "Argumentation" (ich meine nicht dich, AgentProvocateur). Sie ist Ausdruck der Unfähigkeit, den Wir-Aspekt unseres Lebens als Menschen wahrzunehmen, die simple Tatsache, daß es uns Menschen nur im Plural, nur in Gemeinschaften, Gruppen und Gesellschaften gibt. Du magst einen Embryo als Teil seiner Mutter sehen, aber du kommst nicht umhin, zur Kenntnis zu nehmen, daß ein Neugeborenes spätestens mit der Geburt Teil seiner Gruppe von Menschen wird.
Egal, ob du die Geburt als biologisches Faktum nimmst. Spätestens, wenn du es das erste Mal gefüttert hast, ist es ein Mensch und hört es erst auf zu sein, wenn es stirbt. Solange hat es Anspruch auf unsere Solidarität, wie jeder von uns. Das ist die Grundlage der menschlichen Gesellschaft und der einzige Grund, warum sie sich so nennen darf.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1649463) Verfasst am: 15.06.2011, 23:49 Titel: |
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Femina hat folgendes geschrieben: |
Mit "Im Sinne des Kindes" meine ich nicht ein aus einem ICH-Bewusstsein entspringendes Lebensinteresse, sondern ich meinte die Gefühle des Kindes, die durchaus da sind. Im besagten Fall hat das Kind große Schmerzen. Wir alle wissen, dass wir gern auf Schmerzen verzichten können. Wenn wir sie doch erleiden müssen, dann tun wir das doch nur, weil wir die Hoffnung haben, dass es uns hinterher wieder gut geht. Oder weil sie so gering sind, dass wir trotzdem noch Glück in unserem Leben empfinden können. Wenn die Schmerzen aber das Glück verhindern und es keine Chance auf Befreiung von diesen Schmerzen gibt, dann würden doch auch wir, die wir ICH-Bewusstsein haben, lieber heute als morgen aus dem Leben treten. Aus diesen Erfahrungen nehme ich an, dass es "im Sinne des Kindes" ist, das Leben zu beenden. |
Das ist ein Ausdruck von Mitleid, der seine Berechtigung hat, aber soweit sind wir noch nicht. Wir hängen noch zu sehr an der Vorstellung des Lebens als einem Wert an sich. Daher ist das im Moment keine Option. Wir haben daher nur die Möglichkeit, dafür zu sorgen, daß ein solches Kind gar nicht erst geboren wird, denn Abtreibungen im Falle von schwersten Behinderungen sind zumindest weitestgehend akzeptiert, ganz im Gegensatz zur Tötung von Kindern, ganz egal unter welchen Umständen.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1649483) Verfasst am: 16.06.2011, 00:06 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Das ist ein Ausdruck von Mitleid, der seine Berechtigung hat, aber soweit sind wir noch nicht. Wir hängen noch zu sehr an der Vorstellung des Lebens als einem Wert an sich. |
Naja, Leben ist mE kein 'Wert an sich'.
Nur: es gibt mE keinen Grund, einen Säugling anders zu behandeln als andere Mitglieder der Gesellschaft, sie also irgendwie grundsätzlich als minderwertigere Mitglieder der Gesellschaft anzusehen. Es wäre mE fatal, diese Abstufung von Werten vorzunehmen.
Bei allen mag es gute Gründe geben, im Eventualfalle die lebenserhaltende Maschine auszuschalten - dann auch bei mir. Was aber nicht heißt, dass derjenige kein Lebensrecht mehr hätte, Recht auf Leben heißt ja nicht, dass das Leben um jeden Preis aufrecht erhalten werden müsste.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1649574) Verfasst am: 16.06.2011, 10:13 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Nach Singer hat das schwerstbehinderte Neugeborene aber kein apriori-Lebensrecht. Es gäbe also höchstens Interessen Dritter, die es schützen würden, z.B. die Eltern. |
Genau, das ist der Punkt. ... dabei spielt es auch keine Rolle, ob das Neugeborene schwerstbehindert ist oder nur z.B. eine entstellende Hautkrankheit hat. Wollen die Eltern es nicht und finden sich keine Adoptiveltern, dann ist eine Tötung kein Problem. |
In bezug auf die primäre, nichtvorhandene Verletzung von Interessen und Persönlichkeitsrechten des Säuglings ist das mE richtig. In bezug auf die Vermeidung von Leiden und die indirekten Interessen kann man jedoch Unterschiede sehen, etwa wenn ein Aufpäppelungszwang zu einem besonders leidenden Kind und/oder leidenden Eltern führen würde. (Es gibt allerdings gesellschaftliche Kräfte (die RKK etwa), die solches Leiden sogar explizit als erlösungsfördernd begrüßen.). Ein schwerstbehinderter Säugling kann zudem de facto niemals zu einem Vollmitglied der Gesellschaft werden, so daß selbst für die Freunde des Potenzialitätsarguments gesorgt ist.
Ein weiterer Punkt ist die Grenzziehung, die hier ja auch schon mehrfach angesprochen wurde. Ab welchem Entwicklungsstadium besteht ein Austragungs-/Aufzuchtszwang? Dafür, die Grenze auf die Geburt, die 12. oder 26. SSW oder was auch immer zu setzen, sprechen letztlich nur schwache, indirekte Gründe, denn eine einigermaßen eigenständige Lebensfähigkeit entsteht erst später. Wir haben aber intuitiv (durch Biologie und Kultur) eine starke Vorprägung auf den Wert eines Neugeborenen, so daß wir dazu neigen, diesen Wert absolut zu setzen und das auch noch sozial als "Vollmitgliedschaft" zu romantisieren, obwohl das bei Licht betrachtet unlogisch ist und auch nicht der Realität entspricht.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | ... Recht auf Leben heißt ja nicht, dass das Leben um jeden Preis aufrecht erhalten werden müsste. |
Und was genau heißt es dann?
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1649584) Verfasst am: 16.06.2011, 11:02 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: |
In bezug auf die primäre, nichtvorhandene Verletzung von Interessen und Persönlichkeitsrechten des Säuglings ist das mE richtig. In bezug auf die Vermeidung von Leiden und die indirekten Interessen kann man jedoch Unterschiede sehen, etwa wenn ein Aufpäppelungszwang zu einem besonders leidenden Kind und/oder leidenden Eltern führen würde. (Es gibt allerdings gesellschaftliche Kräfte (die RKK etwa), die solches Leiden sogar explizit als erlösungsfördernd begrüßen.). Ein schwerstbehinderter Säugling kann zudem de facto niemals zu einem Vollmitglied der Gesellschaft werden, so daß selbst für die Freunde des Potenzialitätsarguments gesorgt ist. |
Was ist das jetzt für ein Argument? Meinst, du, du hättest das Recht, jeden zu "entsorgen", der nicht irgendwelchen Leistungskriterien entspricht? Was ist mit "Halb-" oder "Viertel-Mitgliedern"? Wer oder was entscheidet darüber? Was ist mit der demenzkranken Oma oder dem Rentner? Eigentlich kosten die doch nur noch. Was ist mit nicht therapierbaren Verhaltensauffälligen? Wo ziehst du deine Grenze, oder tust du es gar nicht?
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Friedrich Nietzsche
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1649592) Verfasst am: 16.06.2011, 11:12 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Meinst, du, du hättest das Recht, jeden zu "entsorgen", der nicht irgendwelchen Leistungskriterien entspricht? |
OK, Ende der Diskussion.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26486
Wohnort: im Speckgürtel
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(#1649606) Verfasst am: 16.06.2011, 11:58 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | .... Meinst, du, du hättest das Recht, jeden zu "entsorgen", der nicht irgendwelchen Leistungskriterien entspricht? .... |
@Marcellinus: Nur zur Erklärung, warum Step das nach meiner Meinung mit Recht als Tiefschlag empfindet:
Steps Überlegungen gelten für die Existenz des "Tochtergeschwulstes" vor dessen Aufnahme in die Gesellschaft in dem Bewusstsein, dass der offizielle Aufnahmezeitpunkt angesichts der aktuellen Fähigkeiten des Probanden mit der Geburt genauso willkürlich ist, wie er es drei Monate nach der Zeugung ist, oder wie er es auch drei Wochen nach der Geburt noch wäre. Eine einmal erfolgte Aufnahme in die Gesellschaft ist nach diesem Modell nicht reversibel.
Es gibt?/gab Naturvölker, die das so gehandhabt haben, dass der Stamm nach einer Geburt entschied, ob man dieses Wesen aufnehmen sollte. Das tat auch der liebevollen Behandlung des Nachwuchses keinen Abbruch. Dein Verweis der stepschen Argumentation ins Unmenschliche/Nazireich ist vor allem auch deshalb unpassend, weil er nicht von einer offiziellen Körung durch die Gemeinschaft auf Basis der Ausprägung irgendwelcher Eigenschaften spricht, sondern stattdessen dafür plädiert, den Eltern hier mehr Freiheit zu lassen.
fwo
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.
Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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zelig Kultürlich
Anmeldungsdatum: 31.03.2004 Beiträge: 25405
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(#1649616) Verfasst am: 16.06.2011, 12:16 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Naja, Leben ist mE kein 'Wert an sich'. |
Gibt es etwas, was einen Wert an sich darstellt?
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Skeptiker "I can't breathe!"
Anmeldungsdatum: 14.01.2005 Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville
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(#1649622) Verfasst am: 16.06.2011, 12:40 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: | .... Meinst, du, du hättest das Recht, jeden zu "entsorgen", der nicht irgendwelchen Leistungskriterien entspricht? .... |
@Marcellinus: Nur zur Erklärung, warum Step das nach meiner Meinung mit Recht als Tiefschlag empfindet:
Steps Überlegungen gelten für die Existenz des "Tochtergeschwulstes" vor dessen Aufnahme in die Gesellschaft in dem Bewusstsein, dass der offizielle Aufnahmezeitpunkt angesichts der aktuellen Fähigkeiten des Probanden mit der Geburt genauso willkürlich ist, wie er es drei Monate nach der Zeugung ist, oder wie er es auch drei Wochen nach der Geburt noch wäre. Eine einmal erfolgte Aufnahme in die Gesellschaft ist nach diesem Modell nicht reversibel.
Es gibt?/gab Naturvölker, die das so gehandhabt haben, dass der Stamm nach einer Geburt entschied, ob man dieses Wesen aufnehmen sollte. Das tat auch der liebevollen Behandlung des Nachwuchses keinen Abbruch. Dein Verweis der stepschen Argumentation ins Unmenschliche/Nazireich ist vor allem auch deshalb unpassend, weil er nicht von einer offiziellen Körung durch die Gemeinschaft auf Basis der Ausprägung irgendwelcher Eigenschaften spricht, sondern stattdessen dafür plädiert, den Eltern hier mehr Freiheit zu lassen.
fwo |
Ich wüsste wirklich nicht, wozu man einen wie Singer überhaupt gebrauchen kann.
_________________ °
K.I.Z - Frieden
Das ist Postmoderne Ideologie! Psychologe und Philosoph analysieren RASSISMUS-Video
Informationsstelle Militarisierung e.V.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1649628) Verfasst am: 16.06.2011, 12:56 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: | .... Meinst, du, du hättest das Recht, jeden zu "entsorgen", der nicht irgendwelchen Leistungskriterien entspricht? .... |
@Marcellinus: Nur zur Erklärung, warum Step das nach meiner Meinung mit Recht als Tiefschlag empfindet:
Steps Überlegungen gelten für die Existenz des "Tochtergeschwulstes" vor dessen Aufnahme in die Gesellschaft in dem Bewusstsein, dass der offizielle Aufnahmezeitpunkt angesichts der aktuellen Fähigkeiten des Probanden mit der Geburt genauso willkürlich ist, wie er es drei Monate nach der Zeugung ist, oder wie er es auch drei Wochen nach der Geburt noch wäre. Eine einmal erfolgte Aufnahme in die Gesellschaft ist nach diesem Modell nicht reversibel.
Es gibt?/gab Naturvölker, die das so gehandhabt haben, dass der Stamm nach einer Geburt entschied, ob man dieses Wesen aufnehmen sollte. Das tat auch der liebevollen Behandlung des Nachwuchses keinen Abbruch. Dein Verweis der stepschen Argumentation ins Unmenschliche/Nazireich ist vor allem auch deshalb unpassend, weil er nicht von einer offiziellen Körung durch die Gemeinschaft auf Basis der Ausprägung irgendwelcher Eigenschaften spricht, sondern stattdessen dafür plädiert, den Eltern hier mehr Freiheit zu lassen.
fwo |
Ja, ich hab wohl etwas kräftig ausgeteilt. Sorry. Aber mich hatte die Sache mit dem "Vollmitglied" aufgeregt, denn wer ist schon ein "Vollmitglied" der menschlichen Gesellschaft und wie lange? Vielleicht habe ich da etwas hineingelesen, was nicht drin war. Die Aufnahmeriten gab es auch im antiken Rom, wo ein Kind erst dann Mitglieder der Familie war, wenn der Vater es akzeptiert hatte, danach allerdings auch ohne wenn und aber.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
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Friedrich Nietzsche
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