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alex6 registrierter User
Anmeldungsdatum: 22.12.2005 Beiträge: 750
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(#1663962) Verfasst am: 18.07.2011, 00:07 Titel: Woran starb Alois Andritzki und wem ist das warum wichtig? |
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Der sorbische katholische Priester Alois Andritzki ist am 3. Februar 1943 im KZ Dachau nur 28-jährig umgekommen. Andritzki war nach einer anonymen Anzeige wegen nazifeindlicher Äußerungen ins Visier der Gestapo geraten und ins KZ Dachau verbracht worden, in welchem auch viele polnische katholische Priester gefangen gehalten wurden. Ende 1942/Anfang 1943 war im KZ Dachau Typhus ausgebrochen und viele Menschen starben daran, auch Andritzki erkrankte an Bauchtyphus, was unter den gegebenen Umständen ein Überleben unwahrscheinlich machte.
Interessant ist nun ein Detail: Folgt man den Berichten über Andritzki, so fällt auf, daß lange Zeit davon geschrieben wurde, er sei möglicherweise, bereits im Sterben liegend, durch eine Giftspritze ermordet worden. Im Zuge seiner Seligsprechung im letzten Monat heißt es nun insbesondere in der katholischen Presse, er sei ohne jeden Zweifel mit einer Giftspritze ermordet worden. Der vorher wie nachher einzige Beleg dafür ist die Äußerung eines Häftlingspflegers gegenüber einem anderen gefangenen Priester. Da der Körper verbrannt wurde und die Familie nur die Urne erhielt ist eine Obduktion ausgeschlossen. Ganz unrealistisch ist die Ermordung mit der Giftspritze nicht, allerdings kam sie in Dachau wohl nicht häufig vor. Der seliggesprochene Karmeliter Titus Brandsma kam bereits 1942 so um.
Die genauen Umstände Andritzkis Todes, so wichtig sie sicherlich für seine Angehörigen sind oder waren, wären mir eigentlich egal. So oder so ist er ein Opfer des NS-Terrorregimes. Mein Eindruck ist aber, daß die Veränderung von möglicherweise zu ohne jeden Zweifel mit der Giftspritze ermordet nicht darauf beruht, daß neue Erkenntnisse über die genauen Todesumstände vorlägen, sondern daß das Martyrium als Voraussetzung für eine Seligsprechung zur Uminterpretation geführt hat. Diese Seligsprechung, die erste eines Sorben, war politisch gewollt, vom Bistum und von der Landesregierung, also war es wichtig, ob der im Sterben liegende nun letztlich am Typhus umkam oder an der Giftspritze, da nur letztere Möglichkeit das Martyrium beinhaltet.
Liege ich ganz verkehrt und übersehe ich neue Erkenntnisse zum Tod Andritzkis? Unterstelle ich ungerechtfertigterweise der Sächsischen Landesregierung und der Katholischen Kirche, eventuell den Tod Andritzkis politisch zu benutzen?
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Mo. over and out
Anmeldungsdatum: 30.11.2007 Beiträge: 12690
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(#1663976) Verfasst am: 18.07.2011, 00:39 Titel: |
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Zitat: | ...also war es wichtig, ob der im Sterben liegende nun letztlich am Typhus umkam oder an der Giftspritze, da nur letztere Möglichkeit das Martyrium beinhaltet. |
Verstehe einer die Katholiken.
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Lord Snow I am the one who knocks
Anmeldungsdatum: 05.09.2006 Beiträge: 6445
Wohnort: Würzburg
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(#1663980) Verfasst am: 18.07.2011, 00:57 Titel: |
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Ein politisches "Gaunerstück"?
Na der Zweck hat bei denen schon immer die Mittel geheiligt!
_________________ Ich irre mich nie! Einmal dachte ich, ich hätte mich geirrt, aber da hatte ich mich getäuscht
"Der Gott, der Gott sterben läßt, um Gott zu besänftigen"...Hundert Folianten, die für oder wider das Christentum geschrieben worden sind, ergeben eine geringere Evidenz als der Spott dieser zwei Zeilen.
Denis Diderot
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alex6 registrierter User
Anmeldungsdatum: 22.12.2005 Beiträge: 750
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(#1663999) Verfasst am: 18.07.2011, 09:18 Titel: Maria Theresa Goretti |
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Lord Snow hat folgendes geschrieben: | Ein politisches "Gaunerstück"? |
Vielleicht. Es ist möglich, daß aus einem Verdacht, der aber aus heutiger Zeit nicht mehr bestätigt noch verworfen werden kann, künstlich eine Gewissheit gemacht wurde um einer politischen Agenda gerecht zu werden.
Vielleicht habe ich mich aber auch zu sehr vom Buch "Zwei arme Schweine auf dem Weg zum Himmel: Wie Maria Goretti zur katholischen Heiligen wurde" (Povera santa, povero assassino, La vera storia di Maria Goretti, Milano, 1984) von Giordano Bruno Guerri beeinflussen lassen. Ein sehr empfehlenswertes Buch übrigens! Der Autor beschreibt nicht nur die historische Situation der armen Landbevölkerung sehr gut, sondern auch die politischen Implikationen einer Heiligsprechung.
Mir ist übrigens noch eine weitere Änderung in der Beschreibung des Andritzkis aufgefallen: In einer älteren Beschreibung war davon die Rede, daß er einmalig eine antinazistische Äußerung vor einer Gruppe katholischer Jugendlicher gemacht hat. Offenbar hat ihn einer der Jugendlichen anonym denunziert. Dies konnte damals schon reichen ins KZ zu kommen, zumal Andritzki Sorbe war. In den Beschreibungen aus den ca. zehn Jahren des Seligsprechungsverfahrens kann man aber nun herauslesen, daß er allgemein ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus war und den Nazis sowieso als Feind galt. Vielleicht stimmt die erste Beschreibung, vielleicht die zweite. Interessant ist jedenfalls, wie sich die Betonung bestimmter Aspekte ändert.
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