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Anatoly Fomenkos "New Chronology"

 
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Kival
Profeminist Ghost



Anmeldungsdatum: 14.11.2006
Beiträge: 24071

Beitrag(#1663799) Verfasst am: 17.07.2011, 21:14    Titel: Anatoly Fomenkos "New Chronology" Antworten mit Zitat

Einige hier einnern sich vielleicht noch an die Verschwörungstheorie des erfundenen Mittelalters von Heribert Illig, nach dem Karl der Große nur eine erfundene Gestalt ist (schon eine gewagte Behauptung, aber immerhin noch diskturierbar) und angeblich eine ganze Zeitspanne von ca. 300 Jahren überhaupt nicht stattgefunden hat.

Ich bin nun über eine noch abstrusere Verschwörungstheorie diesbezüglich gestoßen: Anatoly Formenkos "New Chronology".

http://en.wikipedia.org/wiki/New_Chronology_%28Fomenko%29
http://en.wikipedia.org/wiki/Anatoly_Fomenko

Er behauptet in etwa, dass die komplette Antike und das frühe Mittelalter erfunden wurden und die Geschichte der Zivilisation eigentlich erst im 9. Jahrhundert beginnt. Auch er behauptet dabei, dass Zeiträume einfach erfunden wurden mit absurden Pseudobegründungen bezüglich Datierungsmaßnahmen. Das erstaunliche daran ist, dass Fomenko als Mathematiker durchaus (m.W. zu Recht) anerkannt ist, aber gleichzeitig hier abstrusen Unsinn verzapft. Ist das eher ein Widerspruch im Kopf oder hängt es gerade damit zusammen, dass er völlig ohne nachzudenken mathematische Methoden anwendet, ohne zu beachten, dass das hier so nicht funktionieren kann (wie manche behaupten).

Es ist natürlich völlig unwissenschaftlicher Unsinn, aber ich denke es gehört trotzdem eher hier rein als einfach nur in Groteskes, da sowohl Illig bei uns als auch Fomenko im englischsprachigen Raum durchaus Aufmerksamkeit gefunden haben.
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Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#1663832) Verfasst am: 17.07.2011, 22:01    Titel: Re: Anatoly Fomenkos "New Chronology" Antworten mit Zitat

Kival hat folgendes geschrieben:

Es ist natürlich völlig unwissenschaftlicher Unsinn, aber ich denke es gehört trotzdem eher hier rein als einfach nur in Groteskes, da sowohl Illig bei uns als auch Fomenko im englischsprachigen Raum durchaus Aufmerksamkeit gefunden haben.

Wissenschaftliche Aufmerksamkeit sicher nicht. Nur weil man auf einem Gebiet etwas geleistet hat, heißt das noch nicht, daß man nicht auf anderen ein absoluter Trottel sein kann.
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Kival
Profeminist Ghost



Anmeldungsdatum: 14.11.2006
Beiträge: 24071

Beitrag(#1663837) Verfasst am: 17.07.2011, 22:11    Titel: Re: Anatoly Fomenkos "New Chronology" Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Kival hat folgendes geschrieben:

Es ist natürlich völlig unwissenschaftlicher Unsinn, aber ich denke es gehört trotzdem eher hier rein als einfach nur in Groteskes, da sowohl Illig bei uns als auch Fomenko im englischsprachigen Raum durchaus Aufmerksamkeit gefunden haben.

Wissenschaftliche Aufmerksamkeit sicher nicht. Nur weil man auf einem Gebiet etwas geleistet hat, heißt das noch nicht, daß man nicht auf anderen ein absoluter Trottel sein kann.


Es ist aber nun nicht einfach so, dass sie nur völlig ignorierte Trottel wären. Seriöse Wissenschaftler haben sich eventuell dazu hinreißen lassen, den Unsinn zu korrigieren, aber ihn ansonsten ignoriert, aber es scheint doch einige Verbreitung zu haben. Wobei es bei Fomenko wohl eher den russischen Raum betrifft. Ich finde bei Fomenko aber schon die Frage interessant, warum er hier so trottelig auftritt, ob das nicht vielleicht sogar gerade daran liegt, dass er Mathematiker ist.
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Shadaik
evolviert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 26377
Wohnort: MG

Beitrag(#1664010) Verfasst am: 18.07.2011, 10:41    Titel: Antworten mit Zitat

Ich vermute ein ähnliches Phänomen wie es auch hinter der beunruhigend hohen Anzahl von Diplomingenieuren steckt, die sich in der kreationistischen Szene verdingen, ohne das genaue Phänomen eingrenzen zu können.
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AXO
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Anmeldungsdatum: 05.02.2007
Beiträge: 10129
Wohnort: Thüringen

Beitrag(#1664651) Verfasst am: 19.07.2011, 16:58    Titel: Re: Anatoly Fomenkos "New Chronology" Antworten mit Zitat

Kival hat folgendes geschrieben:
...oder hängt es gerade damit zusammen, dass er völlig ohne nachzudenken mathematische Methoden anwendet, ohne zu beachten, dass das hier so nicht funktionieren kann (wie manche behaupten)...


Blinde Anwendung von hochspezialisiertem Fachwissen ohne Berücksichtigung der außerhalb des
eigenen Fachgebietes liegenden Wechselwirkungen (landläufig als Fachidiotie bezeichnet) ist ja nun sooo selten nicht.
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Augen auf dann kann nichts passieren
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Telliamed
registrierter User



Anmeldungsdatum: 05.03.2007
Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten

Beitrag(#1664668) Verfasst am: 19.07.2011, 18:12    Titel: Antworten mit Zitat

Dann gibt es neben Illig und Fomenko noch den famosen Christoph Pfister, der behauptet, dass die gesamte Schweizer Geschichte vor dem 17. Jahrhundert erfunden worden sei. Hier hat man den Fall eines auf anderen Gebieten bisher ernst zu nehmenden Historikers. Ich meine sein Buch über Carl Ludwig von Haller.
Na ja, mit dem Schützen Wilhelm Tell und Kumpanen war ja sowieso nicht viel los, aber das ist nun schon ganz schön dreist angesichts der zahlreichen außerhalb der Schweiz entstandenen Quellen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Christoph_Pfister

Was sich diese Leute zunutze machen, ist der Umstand, dass die Zahl der Schriftdokumente für manche Jahrhunderte begrenzt und es sehr schwer ist, die Datierung von Quellen, die in weit entfernten Gegenden entstanden sind, mit der christlichen Chronologie abzugleichen. Das war die Spezialstrecke pfiffiger Jesuiten in China im 17. Jahrhundert, die beweisen wollten, dass die chinesischen Kaiser und der weise Konfuzius auch irgendwie verkappte Christen sind, es nur nicht wüssten. Oft passt da gar nichts.
Bekanntlich zeichneten sich die chinesischen Eliten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit auch nicht durch übermäßiges Interesses an entfernten Zivilisationen aus.

Sachzeugnisse hingegen, zumal aus Stein, lassen sich nur schwer datieren. Der hübsche "Jesus auf der Schaukel" in der Kirche in Naturns/Südtirol wird in das 7. Jahrhundert u. Z. aufgrund von stilistischen Vergleichen mit zeitgenössischen byzantinischen Wandmalereien datiert, über das es dermaßen wenig Schriftquellen betr. unseren nördlichen und westlichen Raum gibt, dass einem schon schwindelig werden kann.

Chronologiekritiker verwickeln ihre Kontrahenten in Debatten über Datierungsmethoden wie C 14 oder die Dendrochronologie (es soll auch im FGH solchen Dingen Zugeneigte geben zwinkern ).

Wenn es auch beruhigend heißt: "Ein Narr kann mehr Fragen stellen, als tausend Weise beantworten können", so halten sich doch die meisten akademisch etablierten Fachhistoriker aus guten Gründen mit einer offenen Auseinandersetzung zurück. Die Chronologiekritiker werden in die Spinnerecke a la Däniken gestellt, mögen sie mit ihren Publikationen die Dummen schön weiter schröpfen.

Oder kennt Ihr jemanden, der sich mit ernsthaften Werken an die Widerlegung der Chronologiekritiker gemacht hat? Das ist eine ziemlich zeitaufwendige und Spezialkenntnisse erfordende Sache, die nicht neben dem Forscheralltag so nebenbei zu bewältigen ist.

Was Russland betrifft (Fomenko), so ist nach dem Wegfall der einen marxistisch-leninistischen Weltanschauung und wegen der verbreiteten sprachlichen Isolierung (viele meiner Generation kennen kaum Fremdsprachen) den Chronologiekritikern, Verschwörungstheoretikern, Esoterikern, religiösen Sektierern Tür und Tor beim Ringen um Marktanteile geöffnet.
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Religionskritik-Wiesbaden
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Anmeldungsdatum: 04.11.2008
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Beitrag(#1664673) Verfasst am: 19.07.2011, 18:35    Titel: Quellen selbst schreiben Antworten mit Zitat

Erwähnt werden sollte auch das Bemühen von Historikern und historisch Interessierten sich die Quellen selbst zu schreiben zwinkern

Beispiel:

Königinhofer_Handschrift

siehe auch Fritz Mauthners literarische Bearbeitung des Stoffes (also der Entlarvung als Fälschung) in:

die böhmische Handschrift.

Meist geschah dies, um dem eigenen Volk eine 'Geschichte' zu geben, sozusagen ein Versuch, Sagen und Legenden auf realen Fuß zu setzen.

Es gibt übrigens auch Überlegungen, das Tacitus Germania eine Fälschung aus dem 15 Jh, 16. Jh. sei.

Interessant auch, das beispielsweise Martin Mulsow nachweisen konnte, dass das Legendäre Buch De Tribus Impostoribus erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts niedergeschrieben wurde - als Studentenscherz zwinkern, während sich häufig in fragwürdigen populären Standardwerken wie eben Mauthners Geschichte des Atheismus frühere Daten angegeben werden, die so gut in das Weltbild eines 'es gab nachweisbar schon immer Atheisten' passen.
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Ilmor
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Anmeldungsdatum: 13.12.2008
Beiträge: 7151

Beitrag(#1664675) Verfasst am: 19.07.2011, 18:40    Titel: Re: Anatoly Fomenkos "New Chronology" Antworten mit Zitat

AXO hat folgendes geschrieben:
Kival hat folgendes geschrieben:
...oder hängt es gerade damit zusammen, dass er völlig ohne nachzudenken mathematische Methoden anwendet, ohne zu beachten, dass das hier so nicht funktionieren kann (wie manche behaupten)...


Blinde Anwendung von hochspezialisiertem Fachwissen ohne Berücksichtigung der außerhalb des
eigenen Fachgebietes liegenden Wechselwirkungen (landläufig als Fachidiotie bezeichnet) ist ja nun sooo selten nicht.


Nope, sie lassen bloß nicht bei jedem Gebiet die gleiche wissenschaftliche Sorgfalt walten.
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Marcellinus
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Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#1664688) Verfasst am: 19.07.2011, 19:28    Titel: Antworten mit Zitat

Telliamed hat folgendes geschrieben:

Wenn es auch beruhigend heißt: "Ein Narr kann mehr Fragen stellen, als tausend Weise beantworten können", so halten sich doch die meisten akademisch etablierten Fachhistoriker aus guten Gründen mit einer offenen Auseinandersetzung zurück. Die Chronologiekritiker werden in die Spinnerecke a la Däniken gestellt, mögen sie mit ihren Publikationen die Dummen schön weiter schröpfen.

Oder kennt Ihr jemanden, der sich mit ernsthaften Werken an die Widerlegung der Chronologiekritiker gemacht hat? Das ist eine ziemlich zeitaufwendige und Spezialkenntnisse erfordende Sache, die nicht neben dem Forscheralltag so nebenbei zu bewältigen ist.

Es ist mit riesigem Aufwand verbunden, von zweifelhaftem Ausgang, man gibt diesen Leuten mehr Aufmerksamkeit, als sie verdienen und kann selbst keine Anerkennung erwarten. Also läßt man es. Hast du mal mit Esoterikern diskutiert? Hat das jemals etwas gebracht außer Frust? Eben! Lachen
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Telliamed
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Anmeldungsdatum: 05.03.2007
Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten

Beitrag(#1664752) Verfasst am: 19.07.2011, 22:05    Titel: Re: Quellen selbst schreiben Antworten mit Zitat

Religionskritik-Wiesbaden hat folgendes geschrieben:
Erwähnt werden sollte auch das Bemühen von Historikern und historisch Interessierten sich die Quellen selbst zu schreiben zwinkern

Beispiel:

Königinhofer_Handschrift

siehe auch Fritz Mauthners literarische Bearbeitung des Stoffes (also der Entlarvung als Fälschung) in:

die böhmische Handschrift.

Meist geschah dies, um dem eigenen Volk eine 'Geschichte' zu geben, sozusagen ein Versuch, Sagen und Legenden auf realen Fuß zu setzen.

Es gibt übrigens auch Überlegungen, das Tacitus Germania eine Fälschung aus dem 15 Jh, 16. Jh. sei.

Interessant auch, das beispielsweise Martin Mulsow nachweisen konnte, dass das Legendäre Buch De Tribus Impostoribus erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts niedergeschrieben wurde - als Studentenscherz zwinkern, während sich häufig in fragwürdigen populären Standardwerken wie eben Mauthners Geschichte des Atheismus frühere Daten angegeben werden, die so gut in das Weltbild eines 'es gab nachweisbar schon immer Atheisten' passen.


Das ist auch bei der russischen Geschichte so, über deren Anfänge es außerordentlich wenige Quellen gibt, eigentlich nur die legendäre "Erzählung von den vergangenen Jahren" (Povest' vremennych let"). Als der amerikanische Historiker Edward Keenan nachzuweisen suchte, dass der Briefwechsel zwischen Ivan Groznyj (1533-1584) und dem abtrünnigen Fürsten Kurbskij, der ausgerechnet in das feindliche lateinische Polen geflüchtet war, nicht authentisch und später verfasst worden sei, wurde er zufällig 1979 gegenüber der Flottenbasis Kronstadt gesichtet und als mutmaßlicher Spion festgenommen. Zwar gelangte er bald wieder frei, aber in Moskau und in der DDR lachte man sich ins Fäustchen.

Das hätte ihm eine Lehre sein sollen. Aber Keenan machte sich ausgerechnet über das auch von Rainer Maria Rilke nachgedichtete "Lied von der Heerfahrt Igors" her, das als einziges russisches literarisches Zeugnis des 12. Jahrhundert, der Stolz aller Russen, schon kurz nach 1185 entstanden sein soll.
Pech, dass die einzige Handschrift, die ausgerechnet bei einem Trödler erstanden worden sei (dieser unbekannte Verkäufer von Handschriften taucht in der Fälschungsgeschichte immer wieder auf, ebenso wie ein mysteriöser Brand, der die einzige Handschrift vernichtete), ausgerechnet beim Brand von Moskau 1812 vernichtet wurde. Keenan behauptete nun, diese Handschrift hätte gar nicht verbrennen können, weil es sie schlicht und einfach nicht gegeben habe. Der tschechische Slavist Jozef Dobrovsky (1753-1829) - der ja auch die von Dir erwähnte Königinhofer und Grünberger Handschrift als Fabrikat Hankas entlarvte - sei der einzige gewesen, der sie hätte am Ende des 18. Jahrhunderts fabrizieren können.

Jetzt trat aber der Sprachwissenschaftler Andrej Zaliznjak auf den Plan, der die in Novgorod gefundenen Birkenrindenurkunden vergleichend heranzog. In einem 2004 erschienenen Buch wies er nach, dass dort grammatikalische Wendungen auftauchten, die es nur noch im "Igorlied" gab. Und von den Birkenrindenurkunden konnte man ja vor ihrem Fund nach 1950 nichts wissen; inzwischen sind es weit über 1000.

Zitat:
Interessant auch, das beispielsweise Martin Mulsow nachweisen konnte, dass das Legendäre Buch De Tribus Impostoribus erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts niedergeschrieben wurde - als Studentenscherz , während sich häufig in fragwürdigen populären Standardwerken wie eben Mauthners Geschichte des Atheismus frühere Daten angegeben werden, die so gut in das Weltbild eines 'es gab nachweisbar schon immer Atheisten' passen.


Und trotzdem, die Habilarbeit des verstorbenen Friedrich Niewöhner über die christlich-jüdisch-arabische Kontaktzone in Spanien, aus der der Stoff für Lessings "Ringparabel" kam, ist immer noch lesenswert, auch wenn er in der Frage des "De Tribus Impostoribus" irrte. Über Winfried Schröder, den neben Mulsow wichtigen Erforscher der Anfänge des Atheismus, hatten wir uns wohl schon ausgetauscht.
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Kival
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Anmeldungsdatum: 14.11.2006
Beiträge: 24071

Beitrag(#1664785) Verfasst am: 19.07.2011, 22:40    Titel: Antworten mit Zitat

Telliamed hat folgendes geschrieben:

Chronologiekritiker verwickeln ihre Kontrahenten in Debatten über Datierungsmethoden wie C 14 oder die Dendrochronologie (es soll auch im FGH solchen Dingen Zugeneigte geben zwinkern ).


Aber die Kritik an diesen (und anderen beispielsweise astronomischen Datierungsmethoden) ist dabei eigentlich entweder völlig abstrus oder zwar richtig im Prinzip, rechtfertigt aber kein Fehlen von Jahrhunderten. Natürlich sind all diese Datierungsmethoden fehleranfällig, aber nicht um hunderte von Jahren. Es gibt zudem auch Möglichkeiten behauptete Ereignisse wie Sonnenfinsternisse mit unseren Daten diebezüglich zu vergleichen. (Dieter Herrmann: Nochmals: Gab es eine Phantomzeit in unserer Geschichte?. In: Beiträge zur Astronomiegeschichte 3. 2000, S. 211–214.)

Es gibt schon durchaus ernsthafte Bemühungen der Widerlegungen, Illigs Thesen sind ja zum Teil auch einfach Falschbehauptungen. So schlecht ist die Quellenlage für z. B. das 9. Jahrhundert überhaupt nicht und es ist auch falsch, dass alles umgeschrieben wurde, wir haben hier doch zig Quellen aus den Mönchsklostern dieser Zeit.

Und bei Fomenko gab es beispielsweise eine Veranstaltung (?) in Moskau: "The 'Myths' of New Chronology". Ich halte es auch für einen Fehler, auf solche Pseudowissenschaft nicht zu reagieren. Spätestens, wenn sie eine größere Popularität erreicht hat (wie Fomenko in Russland oder eben Kreationismus/ID in den USA), halte ich es für wichtig und für einen Teil der Aufgabe der Wissenschaftler, auf solche Kritik einzugehen und zu widerlegen. Es lohnt sich nicht, sich auf ewige Diskussionen einzulassen, aber einfach ignorieren erscheint mir auch falsch.
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Telliamed
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Anmeldungsdatum: 05.03.2007
Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten

Beitrag(#1664929) Verfasst am: 20.07.2011, 09:50    Titel: Antworten mit Zitat

Vielleicht noch etwas zu Dschingis Khan, den Mongolen und den Russen bei Fomenko. Hier werden wahrscheinlich xenophobe Haltungen in Russland belebt, Wissenschaftsleistungen aus anderen Ländern nicht zur Kenntnis zu nehmen. Es gab bereits seit dem 18. Jahrhundert eine entwickelte Orientalistik. In bezug auf Russland und die Tataren sei Christoph Martin Frähn aus der Zeit um 1820 genannt, dessen Ergebnisse von dem führenden russischen Historiker jener Zeit, Nikolaj Karamzin (1766-1826), begeistert aufgenommen wurden. Damals war unter den Wissenschaftlern noch nationale Mißgunst die Ausnahme, die Zusammenarbeit von Forschern aus vielen Ländern die Regel.
Selbstverständlich haben sich aus der langen Zeit der tataro-mongolischen Herrschaft in Zentral- und Südrussland (1240-1480) zahlreiche tatarische Gebräuche erhalten. Wörter aus dem Tatarischen, einer Türksprache, sind auch ins Russische ebenso gedrungen, wie es im Ungarischen zahlreiche slavische Wörter gibt. Schon der Name dieses Historikers (Kara- = tatarisch) deutet darauf hin, dass es gerade in der adligen Oberschicht Verschmelzungsprozesse gab. Aber die ethnische Herkunft der ostslavischen Russen und der Mongolen zusammenzuwerfen, ist grotesk.

In der Sowjetunion und darauf folgend, auch in der DDR, hat man es tunlichst vermieden, im Zusammenhang mit der Zeit Dschingis Khans von "Mongolen" zu sprechen. Seit 1921 gab es die sozialistische Mongolei, und diesen Verbündeten wollte man keine wilden mittelalterlichen Gebräuche nachsagen.
Als "Boney M." oder wie die hießen, mit ihrem Dschingis Khan-Titel kam, erschien ein Leitartikel in der"Jungen Welt": "Völkerhaß im Diskogewand".
Tataren nannte sich nur ein Teil der Oberschicht innerhalb des Stammesverbandes der Horde (orda). Auch hier wird mit dem Namen gleich die Abwertung mitgeliefert: "Orda" = wilde Horde.

Das Auftreten von Fomenko und Co. ist also auch mit der komplizierten nationalen Selbstfindung der Russen nach der staatsstreichartigen Auflösung des Sowjetimperiums Ende 1991 in Verbindung zu sehen.
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Danol
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Beiträge: 3027

Beitrag(#1664958) Verfasst am: 20.07.2011, 11:00    Titel: Re: Anatoly Fomenkos "New Chronology" Antworten mit Zitat

AXO hat folgendes geschrieben:
Kival hat folgendes geschrieben:
...oder hängt es gerade damit zusammen, dass er völlig ohne nachzudenken mathematische Methoden anwendet, ohne zu beachten, dass das hier so nicht funktionieren kann (wie manche behaupten)...


Blinde Anwendung von hochspezialisiertem Fachwissen ohne Berücksichtigung der außerhalb des
eigenen Fachgebietes liegenden Wechselwirkungen (landläufig als Fachidiotie bezeichnet) ist ja nun sooo selten nicht.


Welches hochspezialisierte Fachwissen denn? Statistik? lol ... das ist weder hochspezialisiert, noch hat es etwas mit seinem mathematischen Schwerpunkt zu tun, Fomenko hat über Differentialgeometrie, Topologie und Variationsrechnung gearbeitet ... darauf basiert aber seine Argumentation bei der Chronologiekritik nicht.
Ich hab mir mal eine seiner Veröffentlichungen (Geometrical and Statistical Methods of Analysis of Star Configurations. Dating of Ptolemy's Almagest) dazu durchgelesen, der mathematische Teil der Argumentation ist für jeden, der Mathe und Physik bis zum Abi belegt hat, grundsätzlich nachvollziehbar. Nix hochspezialisiertes Fachwissen. Aber hauptsache mal wieder über Fachidioten gefaselt Mit den Augen rollen
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Kival
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Anmeldungsdatum: 14.11.2006
Beiträge: 24071

Beitrag(#1665157) Verfasst am: 20.07.2011, 18:45    Titel: Re: Anatoly Fomenkos "New Chronology" Antworten mit Zitat

Danol hat folgendes geschrieben:

Ich hab mir mal eine seiner Veröffentlichungen (Geometrical and Statistical Methods of Analysis of Star Configurations. Dating of Ptolemy's Almagest) dazu durchgelesen, der mathematische Teil der Argumentation ist für jeden, der Mathe und Physik bis zum Abi belegt hat, grundsätzlich nachvollziehbar.


Hast Du einen Link dazu? Er soll ja durchaus auch schon Fehler im statistischen Teil machen nach der Kritik, indem er beispielsweise nur Fälle auswählt, die ihn bestätigen, anstatt eine zufällig Auswahl zu nehmen usw.
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Danol
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Anmeldungsdatum: 02.04.2007
Beiträge: 3027

Beitrag(#1665198) Verfasst am: 20.07.2011, 20:40    Titel: Re: Anatoly Fomenkos "New Chronology" Antworten mit Zitat

Kival hat folgendes geschrieben:
Danol hat folgendes geschrieben:

Ich hab mir mal eine seiner Veröffentlichungen (Geometrical and Statistical Methods of Analysis of Star Configurations. Dating of Ptolemy's Almagest) dazu durchgelesen, der mathematische Teil der Argumentation ist für jeden, der Mathe und Physik bis zum Abi belegt hat, grundsätzlich nachvollziehbar.


Hast Du einen Link dazu? Er soll ja durchaus auch schon Fehler im statistischen Teil machen nach der Kritik, indem er beispielsweise nur Fälle auswählt, die ihn bestätigen, anstatt eine zufällig Auswahl zu nehmen usw.


Ich glaube hier kann man es downloaden. Zumindest meine ich, es vorhin da runtergeladen zu haben. Wenn Dus nicht finden solltest, schick mir 'ne PN.
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