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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1693443) Verfasst am: 02.10.2011, 21:37 Titel: |
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zelig hat folgendes geschrieben: | Ich glaube, ich verstehe Deinen Standpunkt. Ich bin allerdings skeptisch gegenüber der Aussage, daß alles, was existiert, durch physikalische Prozesse realisiert ist. Glaubst Du, daß Dinge wie Strukturen und Relationen prinzipiell aus physikalischen Prozessen resultieren? |
Ja, ich bin Naturalist, naturalistischer Substanzmonist.
Es ist nur so: die Frage: "ist alles durch physikalische Prozesse realisiert"? kann auf zweierlei Weise verstanden werden:
1. "szientistisch": nur die unterste Ebene der physikalischen Prozesse sei real, alle anderen Ebenen seien irgendwie nicht real / wirklich / existierten in Wirklichkeit nicht / seien unwichtige / irrelevante Epiphänome, eine Illusion; daraus wird dann das Primat der Naturwissenschaften abgeleitet (was aber meiner Ansicht nach schlicht selbstwidersprüchlich und selbstaufhebend ist, denn diese Aussage befindet sich selber ja nicht auf der grundlegenden physikalischen Ebene und müsste daher ebenfalls ein irrelevantes Epiphänomen sein, kann also keine Geltung beanspruchen)
2. "ontologisch": es gibt keine andere Substanz als Elementarteilchen / Felder und daraus ist alles zusammengesetzt. Was aber nicht heißt, dass es nicht ebenso übergeordnete / emergente Ebenen gibt, auf denen eigene Gesetze gelten.
Ich bin nur Naturalist im zweiten Sinne und sehr skeptisch gegenüber der Behauptung, alles könne auf die unterste physikalische Ebene reduziert werden.
Ich halte das für falsch, aber beweisen kann ich das selbstverständlich nicht. Unser Wissen ist - zumindest bisher - schlicht nicht von der Art, dass man eine prinzipielle Unmöglichkeit beweisen könnte.
Gegen den Einwand: "könnte aber sein, dass wir morgen ganz neues Wissen haben und das dann doch möglich ist" kann man nichts ausrichten - denn über heute unbekanntes Wissen und was man damit tun kann, können wir nichts aussagen. Aber wenn man das als Argument akzeptiert, dann kann man überhaupt keine prinzipielle Unmöglichkeit beweisen. (Auch z.B. ein Perpetuum Mobile ist nur nach heutigem Wissen unmöglich, nicht aber prinzipiell unmöglich).
Umgekehrt kann man aber ebenso nicht beweisen, dass unser zukünftiges Wissen (oder ein hypothetich vollständiges Wissen) eine vollständige Reduktion aller Ebenen auf die grundlegende Ebene der physikalischen Prozesse erlauben wird.
Beide Positionen - der starke Reduktionismus als auch der Antireduktionismus - sind also letztlich eine Glaubensfrage, bzw. basieren auf Indizien, aber nicht auf Beweisen. So einen Beweis kann es nach heutigen Wissen nicht geben.
Aber ich bin auch skeptisch gegenüber der Annahme eines möglichen Omegapunktes / Gottes - falls das bedeuten soll, es könne überhaupt einen objektiven Standpunkt geben, (und ich glaube, das soll es bedeuten). Das aber glaube ich nicht, ich glaube, dass jeder Standpunkt schon gewisse Voraussetzungen erfordert und es einen Standpunkt ohne Voraussetzungen, irgendwie einen Standpunkt im Nichts - der hier anscheinend angenommen wird - nicht geben kann.
Ich verweise dazu nochmal auf diesen Thread.
Oder mal anders gesagt: es wird hier wohl implizit angenommen, dass Wissen hypothetisch endlich ist, es also eine endliche Menge von wahren Aussagen gibt, die das komplette Wissen abbilden kann. Aber auch diese Annahme halte ich nicht einfach so für selbstverständlich - ich halte die für falsch.
zelig hat folgendes geschrieben: | Die Einlassung Kutscheras war übrigens schon Gegenstand heftiger Diskussionen im FGH. Ich finde sie eigentlich ganz gut, weil sie, plakativ wie sie ist, zeigt, wogegen man sich als Humanist zu wenden hat. |
Naja, weiß nicht, ob man das nun normativ aufladen muss. Die Äußerungen Kutscheras sind einfach selbstwidersprüchlicher Blödsinn und das war es schon, mehr muss man dazu nicht sagen.
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zelig Kultürlich
Anmeldungsdatum: 31.03.2004 Beiträge: 25405
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(#1693447) Verfasst am: 02.10.2011, 23:07 Titel: |
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Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | These 1: Unsrige jetzige Welt hatte mit soetwas wie dem Urknall ihren Anfang.
Alle Elemente und Sterne und Planeten etc. entwickelten sich. Die Chemie auf unserem Planeten entwickelte sich aus den Gegebenheiten, das Leben folgte, wir Menschen entwickelten uns. Daraus folgt für mich zwingend, dass unsere Welt konsistent ist.
Ich sehe in diesem Szenario keine Unmöglichkeit eines wie auch immer gearteten Reduktionismus. Der einzige Zweifel der besteht, ist, dass wir Menschen clever genug sind, alles vollständig zu reduzieren.
These 2: Unsere jetzige Welt wurde ausgedacht und erschaffen.
Dann sollte es Hinweise auf Inkonsistenz und Irreduzierbarkeit geben. Bis jetzt sind mir diese nicht bekannt. Die, die man vorbringen könnte, lassen sich immer auf die menschliche Doofheit reduzieren. Viele von denen sind mittlerweile auch widerlegt.
These 3: Unsere jetzige Welt wurde ausgedacht, erschaffen und ist vollständig konsistent.
Dann ließe sich alles bis zum Erschaffungszeitpunkt reduzieren. Diesen Zeitpunkt könnte man Urknall nennen, was dann wiederum zu These 1 führt.
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Es ist unsinnig alles auf der physikalischen Ebene erklären zu wollen, also jemandem anderen erklären zu wollen. Das kostet nur Zeit und sicher einiges mehr wenn das Gegenüber nichts von Physik versteht.
Aber letztendlich basiert alles auf der Physik. Es gibt schlicht nichts anderes Sinnvolles, auf dem es basieren könnte.
Es ist wahr, dass man nur bis zum Beginn der Physik reduzieren kann und nicht darüber hinaus. Das wäre ähnlich unsinnig, wie die Frage was vor dem Anbeginn der Zeit war. |
4: Wir können begründet handeln.
4a: Wir wissen verdammt wenig
4b: Der Urknall wird vor dem Hintergrund dieser Diskussionen regelmäßig überschätzt
4c: Wir haben keine Ahnung davon, was Bewußtsein eigentlich ist
4d: Die Existenz emergenter Phänomene ist naturwissenschaftlich nicht ableitbar/vorhersagbar
5: Ein wenig mehr Bescheidenheit auf Basis der realen Verhältnisse in den Wissenschaften wäre auch nicht schlecht
_________________ Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
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zelig Kultürlich
Anmeldungsdatum: 31.03.2004 Beiträge: 25405
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(#1693449) Verfasst am: 02.10.2011, 23:11 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | Ich finde es schon bemerkenswert, daß jeder Antireduktionist ganz unterschiedliche Kriterien für Irreduzibilität angibt. |
Hm, scheint mir nicht weiter bemerkenswert zu sein. Eher eine übliche Vielfalt unterschiedlicher Anschauungen.
_________________ Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
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Lamarck Radikaler Konstruktivist
Anmeldungsdatum: 28.03.2004 Beiträge: 2148
Wohnort: Frankfurt am Main
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(#1693465) Verfasst am: 03.10.2011, 08:26 Titel: |
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Hi step!
step hat folgendes geschrieben: |
Ich finde es schon bemerkenswert, daß jeder Antireduktionist ganz unterschiedliche Kriterien für Irreduzibilität angibt. Bei zelig sind es die Gründe, AP nennt die Sprache bzw. Abstraktion, andererseits aber auch "Zwecke" bei Eigenschaften nichtsprachlicher Objekte, weist dann aber wieder darauf hin, daß man Irreduzibilität nicht zeigen könne, [..]
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Dies sind die klassischen (man könnte auch sagen: die echten) antireduktionistischen Vorstellungen, die allerdings auf einen Zirkelschluss beruhen ('Abstraktion' bzw.'Zweck' sind schon per Setzung mit Irreduzibilität "kontaminiert").
step hat folgendes geschrieben: |
[..] und wieder Andere nennen z.B. die Komplexität / Unberechenbarkeit als Kriterium, usw.
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Dies geht in meine Richtung; die Unterscheidung zwischen Reduktionismus und Antireduktionismus erweist sich hier allerdings als Scheinproblem. Eine Komplexitätstheorie kann nur die Randbedingung einer Informationstheorie sein und Kausalität wiederum steht mit 'Information' in einem komplementären Zusammenhang. Als Anschauung:
Die Kreiszahl π wird eindeutig durch Umfang und Durchmesser eines Kreises determiniert (Determination und Definition liegen hier dicht beieinander). Die konkrete Ziffer einer bestimmten Nachkommastelle ist allerdings auf einem anderem Wege als über die entsprechende Bildungsregel nicht vorhersagbar. Mit anderem Worten: Die konkrete Nachkommastelle entsteht echt zufällig und zwar genau dann, bis sie einem Beobachter in diesem Universum 'bewusst'-'geworden'-'ist'!
Beobachter und sein hierzu komplementäres Bewusstsein ist prinzipiell nichts anderes als ein hinreichend komplexer 'Fleißiger Biber' (Auch hier wieder: Ein 'Fleißiger Biber' ist die definitorische Setzung einer Komplexitätsstufe; diese Komplexitätsstufe kann niedriger liegen als dies für eine nicht-kontextfreie Sprache erforderlich wäre (kontextfrei ist genauer nur kontextarm)).
step hat folgendes geschrieben: |
Das Argument mit der Sprache halte ich für ungeeignet, ich sehe nicht, wieso aus "reiner Physik" nicht z.B. eine künstliche Intelligenz entstehen können sollte, die dann z.B. intern Symbole oder Sätze verwendet, um damit bestimmte Epiphänomene abstrakter zu repräsentieren.
In einem Punkt möchte ich aber auch Tom widersprechen: Als Verhinderer tatsächlicher Reduktion kommt nicht nur mangelnde Cleverness infrage, sondern es könnte auch sein, daß die Naturgesetze direkt zur Folge haben, daß eine vollständige Berechnung nicht möglich ist (also z.B. daß in unserem Universum keine Omegapunkte möglich sind). Allerdings wäre das kein Argument gegen die Reduzierbarkeit im wissenschaftlichen Alltag.
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Das Vorliegende ist ein Problem einer asymmetrischen Relation:
Die Berechnung der Kreiszahl π gelingt in determinierter Näherung 'rückwärts' (d. h. per Deduktion) - deshalb kann letztlich auch von einer bestimmten (= Definition!) Kreiszahl gesprochen werden.
Aus π selbst - also 'vorwärts' - geht allerdings nicht Umfang und Durchmesser eines Kreises direkt hervor (Der übliche Trick hierzu nennt sich Induktion, ist aber genauer besehen nur verlustbehaftete Deduktion); als konkrete Zahl passt sie nicht in das Universum ... .
Die Differenz zwischen 'rückwärts' und 'vorwärts' kann Emergenz genannt werden; der Weg 'rückwärts' "Determinismus"; der Weg 'vorwärts' hingegen enthält eine Komponente echten Zufalls; das Gesamtgebilde ist die Kausalität.
Und jedenfalls dürfte klar sein, warum die "Realwissenschaft" (Kutschera ... ) leicht auf reduktionistische Ideen kommt, die "Verbalwissenschaft" hingegen leicht auf holistische ... .
Cheers,
Lamarck
_________________ „Nothing in Biology makes sense, except in the light of evolution.” (Theodosius Dobzhansky)
„If you can’t stand algebra, keep out of evolutionary biology.” (John Maynard Smith)
„Computers are to biology what mathematics is to physics.” (Harold Morowitz)
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1693477) Verfasst am: 03.10.2011, 10:47 Titel: |
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Lamarck hat folgendes geschrieben: | Dies sind die klassischen ... antireduktionistischen Vorstellungen, die allerdings auf einen Zirkelschluss beruhen ('Abstraktion' bzw.'Zweck' sind schon per Setzung mit Irreduzibilität "kontaminiert"). |
Sehe ich ebenso, deshalb hätte ich sie gern "weg", damit man sich auf das eigentliche Problem konzentrieren kann.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Die Kreiszahl π wird eindeutig durch Umfang und Durchmesser eines Kreises determiniert (Determination und Definition liegen hier dicht beieinander). Die konkrete Ziffer einer bestimmten Nachkommastelle ist allerdings auf einem anderem Wege als über die entsprechende Bildungsregel nicht vorhersagbar. Mit anderem Worten: Die konkrete Nachkommastelle entsteht echt zufällig und zwar genau dann, bis sie einem Beobachter in diesem Universum 'bewusst'-'geworden'-'ist'! |
Hmm ... die n-te Ziffer von π ist aber gar kein natürliches Phänomen. Hier sind ja schon diverse Ebenen der Abstraktion vorgeschaltet:
- Ein natürliches Phänomen wäre z.B. die konstant gemessene Beziehung zwischen Planetenbahnumfang und Halbachse.
- Daraus wird ein mathematisches Modell mit abstrakten Größen (Kreise, Ellipsen, Punktmassen usw.), das seine Berechtigung dadurch erhält, daß es einigermaßen gute Voraussagen erlaubt. Es hat aber - nach momentanem Stand - keine ontologische Bedeutung, also es gibt die Ellipse nicht wirklich.
- Eine weitere Ebene wird erklommen, wenn man zur numerischen Berechnung schreitet: Geschlossene Darstellungen von π (z.B. als Reihe oder als Integral) enthalten nicht den von Dir genannten "Zufall" in den Dezimalstellenwerten. Dieser kommt erst dadurch zustande, daß man in einem bestimmten Zahlensystem ein ganz bestimmtes Restklassenverhalten produziert.
Etwas provokant könnte man also sagen: π gibt es gar nicht (was Du unten ja selbst schreibst), und die Dezimalstellen von π gibt es schon überhaupt nicht.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Beobachter und sein hierzu komplementäres Bewusstsein ist prinzipiell nichts anderes als ein hinreichend komplexer 'Fleißiger Biber' (Auch hier wieder: Ein 'Fleißiger Biber' ist die definitorische Setzung einer Komplexitätsstufe; diese Komplexitätsstufe kann niedriger liegen als dies für eine nicht-kontextfreie Sprache erforderlich wäre (kontextfrei ist genauer nur kontextarm)). |
Den Teil habe ich nicht wirklich verstanden .
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Die Berechnung der Kreiszahl π gelingt in determinierter Näherung 'rückwärts' (d. h. per Deduktion) - deshalb kann letztlich auch von einer bestimmten (= Definition!) Kreiszahl gesprochen werden. |
Wobei es doch auch ausreichen würde, zu zeigen, daß
(i) eine bestimmte Reihendarstellung das Verhältnis Umfang/Durchmesser repräsentiert
(ii) diese Reihe konvergiert
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Aus π selbst - also 'vorwärts' - geht allerdings nicht Umfang und Durchmesser eines Kreises direkt hervor (Der übliche Trick hierzu nennt sich Induktion, ist aber genauer besehen nur verlustbehaftete Deduktion); als konkrete Zahl passt sie nicht in das Universum ... . |
Aber könnte man nicht aus z.B. der Reihendarstellung der Zahl π (eine Dezimaldarstellung "gibt" es ja nicht) mit hinreichender Intelligenz ableiten, daß diese das Verhältnis aus Umfang und Radius jedes Kreises repräsentiert?
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Die Differenz zwischen 'rückwärts' und 'vorwärts' kann Emergenz genannt werden; der Weg 'rückwärts' "Determinismus"; der Weg 'vorwärts' hingegen enthält eine Komponente echten Zufalls; das Gesamtgebilde ist die Kausalität. |
Das erscheint mir dagegen ziemlich abwegig. Die Kreiszahl emergiert überhaupt nicht, denn sie existiert nicht.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Und jedenfalls dürfte klar sein, warum die "Realwissenschaft" (Kutschera ... ) leicht auf reduktionistische Ideen kommt, die "Verbalwissenschaft" hingegen leicht auf holistische ... |
Ja, wobei zumindest ich nicht behaupte, daß holistische Betrachtungen oder solche auf unreduzierten Ebenen nutzlos seien. Nur für die Behauptung, bestimmte real beobachtbare Phänomene ließen sich prinzipiell nicht aus darunterliegenden Schichten ableiten, möchte ich klare Kritierien und Belege.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1693478) Verfasst am: 03.10.2011, 10:51 Titel: |
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zelig hat folgendes geschrieben: | 4d: Die Existenz emergenter Phänomene ist naturwissenschaftlich nicht ableitbar/vorhersagbar |
Das ist aber eine steile These. Die Flüssigkeit von Wasser bei Raumtemperatur etwa ist doch eindeutig ein emergentes Phänomen, da sie keine Eigenschaft der einzelene Moleküle ist.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1693481) Verfasst am: 03.10.2011, 11:28 Titel: |
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zelig hat folgendes geschrieben: |
Ich glaube, ich verstehe Deinen Standpunkt. Ich bin allerdings skeptisch gegenüber der Aussage, daß alles, was existiert, durch physikalische Prozesse realisiert ist. Glaubst Du, daß Dinge wie Strukturen und Relationen prinzipiell aus physikalischen Prozessen resultieren?
Auch finde ich, daß die Sprache eine unterschätzte Rolle spielt, allerdings wäre das nicht mein wesentlicher Einwand gegen den Reduktionismus. Ich habe vielleicht auch keinen einzelnen wesentlichen Einwand, mehr so ein Bündel, der aus einer humanistischen Position kommt - und infolge dessen sich gegen die Art von Reduktionismus wendet, die den Humanismus auszuhebeln meint. Gewollt oder ungewollt.
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Nein, nicht alle Prozesse sind physikalisch. Das Stichwort ist wieder Emergenz. Die kleinsten Teilchen, die wir kennen, sind physikalisch. Sie bilden Zusammenhänge, die ab einer gewissen Stufe selbst nicht mehr physikalisch sind, sondern den Übergang zu biologischen Zusammenhängen markieren. Ob es da eine klare Grenze gibt, oder einen kontinuierlichen Übergang, soll uns erst einmal nicht interessieren.
Wir haben also an einer bestimmten Stelle biologische Objekte, deren Bestandteile physikalische Objekte sind. So werden aus physikalischen Prozessen biologische und das Gleiche erleben wir noch einmal an der Grenze zwischen biologischen und sozialen Objekten, wo biologische Lebewesen soziale Zusammenhänge bilden mit Eigentümlichkeiten, die ausschließlich von diesen Lebewesen gebildet werden, und doch nicht aus den Eigenschaften der einzelnen Lebewesen allein erklärt werden können, sondern nur aus den Eigentümlichkeiten, die in den wechselseitigen Beziehungen zwischen ihnen stecken.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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Tom der Dino registrierter User
Anmeldungsdatum: 20.07.2011 Beiträge: 3949
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(#1693491) Verfasst am: 03.10.2011, 12:34 Titel: |
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zelig hat folgendes geschrieben: |
4: Wir können begründet handeln.
4a: Wir wissen verdammt wenig
4b: Der Urknall wird vor dem Hintergrund dieser Diskussionen regelmäßig überschätzt
4c: Wir haben keine Ahnung davon, was Bewußtsein eigentlich ist
4d: Die Existenz emergenter Phänomene ist naturwissenschaftlich nicht ableitbar/vorhersagbar |
Mir geht es nicht darum zu zeigen, dass Reduktion unbedingt notwendig ist. Oder wie muss ich dich hier verstehen? Den Urknall nehme ich als Anfang der Physik an. Damit hätte auch die Reduktion ein natürliches Ende, ansonsten wäre es tatsächlich nicht möglich vollständig zu reduzieren, da es niemals ein Ende hätte. Allerdings zeigen alle Theorien den Urknall als Anfang der jetzigen Physik an. Die Schleifenquantengravitation lässt zwar Aussagen über eine Zeit vor dem Urknall zu, allerdings sieht auch sie einige wichtige Parameter dieses Universums erst für nach dem Urknall als definiert an. Die Zustand vor dem Urknall hat für uns aber (bis jetzt erkennbar) keine Auswirkungen.
zelig hat folgendes geschrieben: | 5: Ein wenig mehr Bescheidenheit auf Basis der realen Verhältnisse in den Wissenschaften wäre auch nicht schlecht |
Wie meinst du das? Die Physik bildet die realen Verhältnisse besser ab, als alles andere Menschengemachte. Wir können der Wirklichkeit nicht näher kommen, als es die Physik tut.
_________________ Am Anfang war ......das Experiment.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1693492) Verfasst am: 03.10.2011, 12:52 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Die kleinsten Teilchen, die wir kennen, sind physikalisch. Sie bilden Zusammenhänge, die ab einer gewissen Stufe selbst nicht mehr physikalisch sind, sondern den Übergang zu biologischen Zusammenhängen markieren. |
Also ich denke da jetzt an den einfachen Fadenwurm. Was soll das denn heißen, "die Zusammenhänge sind nicht mehr physikalisch"? Soll das heißen
a) die Zusammenhänge können ohne Reduktion auf die Physik für dieses Fachgebiet hinreichend gut modelliert werden?
oder
b) da wirken plötzlich neue, unphysikalische Grundkräfte?
Außerdem wüßte ich gerne, ob Du das auch schon beim Wasser oder bei der Kristallchemie so siehst, oder nur bei biologischen Systemen, und falls letzteres, mit welcher Begründung?
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Skeptiker "I can't breathe!"
Anmeldungsdatum: 14.01.2005 Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville
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(#1693496) Verfasst am: 03.10.2011, 14:07 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Die kleinsten Teilchen, die wir kennen, sind physikalisch. Sie bilden Zusammenhänge, die ab einer gewissen Stufe selbst nicht mehr physikalisch sind, sondern den Übergang zu biologischen Zusammenhängen markieren. |
Also ich denke da jetzt an den einfachen Fadenwurm. Was soll das denn heißen, "die Zusammenhänge sind nicht mehr physikalisch"? Soll das heißen
a) die Zusammenhänge können ohne Reduktion auf die Physik für dieses Fachgebiet hinreichend gut modelliert werden?
oder
b) da wirken plötzlich neue, unphysikalische Grundkräfte? |
Man sollte nicht den Fehler machen, nur die Strukturen zu betrachten. Der Fadenwurm hat das Potential der Fortpflanzung und der Entwicklung. Er ist nicht einfach ein einfacher Computer mit organischer Hardware drumherum. Diese Fixierung auf die Nervenorganisation ist ohnehin schon mal kreuzfalsch. Die Analogien zwischen Gehirn und Computer passen nicht.
step hat folgendes geschrieben: | Außerdem wüßte ich gerne, ob Du das auch schon beim Wasser oder bei der Kristallchemie so siehst, oder nur bei biologischen Systemen, und falls letzteres, mit welcher Begründung? |
Wasser als reines Wasser entfaltet seine Eigenschaften erst durch die Zahl seiner Moleküle. Unreines Wasser hat aber dieselben Eigenschaften wir unreines Wasser, wenn es als Meer existiert.
Da könnte man auch andere Flüssigkeiten nehmen, die einen Ozean bilden, etwa Öl.
Beide Flüssigkeiten können im Falle eines Seebebens einen Tsunami bilden, also das selbe (Partial-)Verhalten, obwohl unterschiedlich aufgebaut.
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Die Eigenschaft "flüssig" lässt sich auf vielerlei Arten herstellen. Die Farbe "rot" ebenso. Auch eine bestimmte Stellung in einem Schachspiel kann auf verschiedene Weisen zustanden kommen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie eine neue Eigenschaft aus Unterereignissen entsteht.
Auch Bewusstsein kann sicherlich auf verschiedene Arten entstehen. Das Bewusstsein, das wir kennen, ist im Grunde nur eine Realisierungsmöglichkeit unter wahrscheinlich mehreren.
Deshalb ist es nicht ohne weiteres möglich, von einer emergenten Eigenschaft auf deren Bausteine rückzuschließen, weil eben verschiedene Wege nach Rom führen.
Anders verhält es sich womöglich, wenn man das gesamten Eigenschaftsspektrum einer Sache nimmt. Eine Struktur hat ja nicht nur eine bestimmte Farbe, Bewusstsein ja/nein, Aggregatzustand a, Masse x, usw., sondern - im Sinne der vollständigen Objektbeschreibung Millionen von Parametern, die diese Struktur vollständig beschreiben.
Da ist dann die Frage, ob eine spezifische Struktur, die vielleicht so einzigartig ist, durch verschiedene Unterstrukturen zu bilden ist.
Falls dies nicht der Fall ist, dann hätten wir - wie Lamarck sagt - einen Determinismus rückwärts.
Übrigens bezweifle ich das. Denn auch der Determinismus rückwärts würde scheitern, wenn es keinen Determinismus vorwärts geben würde.
Wenn also aus dem Vorhandensein niederer/einfacher Elemente auch für einen Laplace'schen Dämon nicht vorraus berrechenbar wäre, was sich daraus entwickelt, dann steht zweierlei in Frage:
a) das "ob" einer bestimmten emergenten Struktur und
b) zumindest das "wann" dieser emergenten Struktur.
Und bereits beim fraglichen "wann" treten durch dann völlig andere Umweltbedingungen und Wechselbeziehungen mit bereit vorhandenen anderen Strukturen unvorhersehbare Rückkopplungen auf die Entstehung unserer emergenten Struktur auf.
Daraus folgt: Auch rückwirkend betrachtet, kann man nicht wissen, durch welche Prozesse und Wechselwirkungen die nun vorhandene emergenten Struktur denn genau entstanden ist. Wir wissen dann nicht, ob bestimmte Einflüsse notwendig waren oder man sie auch hätte weglassen können. wir wissen nicht, ob bestimmte Schlüsselzeitpunkte für bestimmte Kernentwicklungen nötig waren oder nicht, usw.
Oder um es allgemein zu formulieren: wir wissen dann auch rückwirkend betrachtet nicht, ob unsere spezifische emergente Struktur so notwendig war oder sie auch hätte versanden können.
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Das hat Bedeutung für den - auch christlichen - Anthropozentrismus.
Konkret ist die Annahme, dass man - einmal im Besitz des Stein der Weisen, also der Weltformel! - aus dem Urknall die Evolution bis ins Kleinste vorhersagen könnte, an die genannten Fragen gekoppelt. Übrigens müsste man die Evolution bis ins Kleinste Detail vorhersagen, weil man sie sonst nämlich überhaupt nicht vorhersagen könnte.
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Völlig außer Frage steht aus meiner Sicht, dass jede noch so *geistige* oder sonstwie *höhere* Eigenschaft der Materie eben materiell ist. Es gibt auf dieser Welt nur die Materie.
Jedoch kann die Physik allein die neu entstehenden Gesetzmäßigkeiten höherer Ebenen nicht erfassen und auch gar nicht vorhersehen. Ökonomische Gesetze, Evolutionsprozesse, verschiedene Synergien usw. sind nämlich eigene Gesetzmäßigkeiten, die gegen die niederen Strukturen, auf denen sie aufgebaut sind, neutral sind. Es entstehen tatsächlich aus den einfachen Gesetzen der Physik neue Gesetzmäßigkeiten, neue Bewegungsgesetze, die - das füge ich hinzu! - nicht vorhersehbar sind und gewissermaßen von ihren physischen Bestandteilen abstrahieren, ohne sich von diesen zu lösen ...-
_________________ °
K.I.Z - Frieden
Das ist Postmoderne Ideologie! Psychologe und Philosoph analysieren RASSISMUS-Video
Informationsstelle Militarisierung e.V.
Zuletzt bearbeitet von Skeptiker am 06.10.2011, 11:16, insgesamt einmal bearbeitet |
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1693506) Verfasst am: 03.10.2011, 15:26 Titel: |
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Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Der Fadenwurm hat das Potential der Fortpflanzung und der Entwicklung. |
Dieses "Potenzial" ist aber eine reine Folge von Strukturen und ihrem Kontext, z.B. DNA, Zellstruktur und Umgebung des Organismus.
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Die Analogien zwischen Gehirn und Computer passen nicht. |
Themawechsel oder was? Hier ging es nicht um Computer und auch nicht um Gehirne.
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Wasser als reines Wasser entfaltet seine Eigenschaften erst durch die Zahl seiner Moleküle. |
Ja natürlich, das ist ja trivial, daß emergente Phänomene eben nicht bei den Bestandteilen auftreten. Die Frage ist aber, ob man sie trotzdem voraussagen kann. Und bei Wasser kann man das.
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Die Eigenschaft "flüssig" lässt sich auf vielerlei Arten herstellen. ... |
Was soll das jetzt werden? Natürlich können verschiedene Dinge dieselbe Eigenschaft haben. Es können auch mehrere Rechnungen zu demselben Ergebnis führen oder sogar mehrere Aufgaben dieselbe Lösung haben. Keine Ahnung was das hier beitragen soll.
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | ... Deshalb ist es nicht ohne weiteres möglich, von einer emergenten Eigenschaft auf deren Bausteine rückzuschließen, weil eben verschiedene Wege nach Rom führen. |
Und wer hat behauptet, daß man das - ohne weiteres und eindeutig - kann? Der Punkt ist ja gerade, daß man die Eigenschaft "flüssig" von Wasser erst dann besser versteht, wenn man sie reduziert (erklärt). Natürlich kann man das nicht, indem man über Wasser meditiert, sondern indem man seine Bestandteile und deren Eigenschaften untersucht und versucht zu zeigen, daß aus diesen eindeutig folgt, daß Wasser die Eigenschaft "flüssig" haben muß.
Du drehst hier irgendwie die Behauptung um. Der Reduktionist behauptet nicht, daß es nur einen Weg nach Rom gibt, sondern daß er mit Kenntnis der Wege und des Ausgangspunktes voraussagen kann, daß man so nach Rom kommt.
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Da ist dann die Frage, ob eine spezifische Struktur, die vielleicht so einzigartig ist, durch verschiedene Unterstrukturen zu bilden ist. |
Willst Du damit sagen, daß z.B. Wasser manchmal auch aus etwas ganz anderem als H2O-Molekülen bestehen könnte, obwohl alle emergenten Eigenschaften gleich sind? Falls das der Fall wäre, würde man vermutlich zwar länger brauchen, bis man das merkt, aber gegen die Reduzierbarkeit würde es keineswegs sprechen.
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Wenn also aus dem Vorhandensein niederer/einfacher Elemente auch für einen Laplace'schen Dämon nicht vorraus berrechenbar wäre, was sich daraus entwickelt, dann ... |
Moment mal, jetzt drehst Du die Behauptung plötzlich wieder zurück! Du hast zuvor über die n->1 Möglichkeit geschrieben, und jetzt tust Du so, also ob Du 1->n gezeigt hättest. Damit ist Dein ganzer darauf folgender Abschnitt non sequitur.
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Es entstehen tatsächlich aus den einfachen Gesetzen der Physik neue Gesetzmäßigkeiten, neue Bewegungsgesetze, die - das füge ich hinzu! - nicht vorhersehbar sind und gewissermaßen von ihren physischen Bestandteilen abstrahieren, ohne sich von diesen zu lösen ...- |
Du mußt schon genauer sagen, wie diese aus der Physik "entstehen", ohne "vorhersehbar" zu sein. Sonst ist das einfach Transzendentalphilosophie.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1693521) Verfasst am: 03.10.2011, 17:48 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Dies sind die klassischen ... antireduktionistischen Vorstellungen, die allerdings auf einen Zirkelschluss beruhen ('Abstraktion' bzw.'Zweck' sind schon per Setzung mit Irreduzibilität "kontaminiert"). |
Sehe ich ebenso, deshalb hätte ich sie gern "weg", damit man sich auf das eigentliche Problem konzentrieren kann. |
Was ist denn Deiner Ansicht nach das eigentliche Problem?
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1693531) Verfasst am: 03.10.2011, 18:36 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Dies sind die klassischen ... antireduktionistischen Vorstellungen, die allerdings auf einen Zirkelschluss beruhen ('Abstraktion' bzw.'Zweck' sind schon per Setzung mit Irreduzibilität "kontaminiert"). | Sehe ich ebenso, deshalb hätte ich sie gern "weg", damit man sich auf das eigentliche Problem konzentrieren kann. | Was ist denn Deiner Ansicht nach das eigentliche Problem? |
1. Eingrenzung des Kriteriums, das nach Ansicht der Anti-Reduktionisten entscheidend für die Irreduzibilität ist (oder sagen wir eines hinreichenden Kriteriums). Ist jedes emergente Phänomen irreduzibel oder nur ab einer bestimmten Komplexität, oder nur das Bewußtsein, oder ...?
2. Diskussion dieses Kriteriums, u.a. indem die Reduktionisten versuchen, Gegenbeispiele zu finden.
Ich finde übrigens Deine Kategorisierung gar nicht schlecht, nur fehlt mir da ein Argument, wieso aus dem ontologischen R. nicht zumindest prinzipiell auch ein epistemischer R. folgen sollte - auch wenn es in der Praxis vielleicht in einigen Fällen unmöglich ist.
Ich denke, dann würde man sehen, daß es einen Bereich gibt, in dem der Antireduktionist nicht zeigen kann, daß eine Reduktion prinzipiell unmöglich ist, aber der Reduktionist auch kein Gegenbeispiel angeben kann. In bezug auf die Phänomene, die ein solches Kriterium erfüllen, müßte man die Frage dann offenlassen.
Mir geht es vor allem darum, daß Irreduzibilität nicht in bezug auf ein zu breites Spektrum an Phänomenen angenommen wird, da ich das offensichtlich falsch finde (z.B. das mit dem Wasser).
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1693535) Verfasst am: 03.10.2011, 19:27 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Was ist denn Deiner Ansicht nach das eigentliche Problem? |
1. Eingrenzung des Kriteriums, das nach Ansicht der Anti-Reduktionisten entscheidend für die Irreduzibilität ist (oder sagen wir eines hinreichenden Kriteriums). Ist jedes emergente Phänomen irreduzibel oder nur ab einer bestimmten Komplexität, oder nur das Bewußtsein, oder ...? |
Naja, aber vorher müssten wir erst mal festlegen, was überhaupt wie reduziert werden soll / kann.
Nur natürliche Phänomene - im Gegensatz zu abstrakten Phänomenen? Wie genau unterscheidet man das?
Nur wissenschaftliche Phänomene - wie unterscheidet man wissenschaftliche von nicht wissenschaftlichen Phänomenen?
Nur reale / wirkliche Phänomene - wann sind Phänomene real / wirklich, wann nicht real / nicht wirklich?
Oder nur Theorien einer höheren Ebene auf Theorien niedrigerer Ebene?
Und wann gilt etwas (egal, was dieses 'etwas' ist) eigentlich als 'vollständig reduziert'?
Ich habe da immer noch Verständnisschwierigkeiten, was überhaupt gemeint ist, wenn man sagt: "alles sei prinzipiell reduzierbar". Sowohl mit dem 'alles' auch mit dem 'reduzierbar' als auch mit dem 'prinzipiell'.
Zum Beispiel ist es nach meinem Verständnis keine Reduktion, wenn man Korrelationen zwischen zwei Ebenen findet. Und es ist auch noch keine Reduktion, wenn man Phänomene einer höheren Ebene durch Zusammenstecken / Kombination von Elementen einer niedrigeren Ebene herstellen kann - falls man nicht verstanden hat, wie die Eigenschaften der höheren Ebene sich aus den Eigenschaften der Elemente der niedrigeren Ebene ergeben.
Diese Frage - was ist eine erfolgreiche Reduktion? - ist schon schwierig zu beantworten. Weiß nicht, ob es da Einigung drüber gibt, ich denke eher nicht. Thomas Nagel hat dazu wohl sogenannte "Brückenprinzipien" vorgeschlagen, aber das ist strittig.
step hat folgendes geschrieben: | 2. Diskussion dieses Kriteriums, u.a. indem die Reduktionisten versuchen, Gegenbeispiele zu finden. |
Vorher müssen aber mE die anderen Fragen oben beantwortet werden.
step hat folgendes geschrieben: | Ich finde übrigens Deine Kategorisierung gar nicht schlecht, nur fehlt mir da ein Argument, wieso aus dem ontologischen R. nicht zumindest prinzipiell auch ein epistemischer R. folgen sollte - auch wenn es in der Praxis vielleicht in einigen Fällen unmöglich ist. |
Das ist natürlich nicht meine Kategorisierung, die habe nicht ich mir ausgedacht.
Umgekehrt könnte ich nach dem Argument fragen, wieso aus dem ontologischen R. prinzipielll ein epistemischer R. folgen sollte - das ist ja nicht selbstverständlich.
step hat folgendes geschrieben: | Ich denke, dann würde man sehen, daß es einen Bereich gibt, in dem der Antireduktionist nicht zeigen kann, daß eine Reduktion prinzipiell unmöglich ist, aber der Reduktionist auch kein Gegenbeispiel angeben kann. In bezug auf die Phänomene, die ein solches Kriterium erfüllen, müßte man die Frage dann offenlassen. |
Naja, wie gesagt, der Antireduktionist kann gar nichts 'prinzipiell' zeigen, wenn der Reduktionist darauf antwortet: "ja, das gilt vielleicht nach heutigem Wissen, aber morgen könnte es ein völlig anderes Wissen geben, einen Quantensprung, einen Paradigmenwechsel, das kannst Du nicht beweisen, dass es das nicht geben könnte". Und das stimmt, das kann ich nicht beweisen. Man kann also keine prinzipielle Unmöglichkeit in dem Sinne beweisen, es ist völlig witzlos, sich darüber zu unterhalten.
step hat folgendes geschrieben: | Mir geht es vor allem darum, daß Irreduzibilität nicht in bezug auf ein zu breites Spektrum an Phänomenen angenommen wird, da ich das offensichtlich falsch finde (z.B. das mit dem Wasser). |
Aber es wäre doch völlig unsinnig, zu behaupten, epistemische Reduzierung sei überhaupt nicht möglich oder zu behaupten, methodologischer Reduzierung sei nie eine erfolgreiche Vorgehensweise oder auch Eliminativismus sei nicht möglich. All dies ist ja nachgewiesenermaßen möglich. Zum Beispiel kann Wasser auf H2O reduziert werden, (in jedem Sinne, das ist unstrittig), oder die Phlogistontheorie wurde eliminiert.
Es kann daher kein rational vertretbarer Standpunkt sein, zu behauten, nichts sei reduzierbar und / oder nicht sei eliminierbar. Der Anti-Reduktionist bezweifelt lediglich die Behauptung: "alles ist epistemisch reduzierbar".
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Tom der Dino registrierter User
Anmeldungsdatum: 20.07.2011 Beiträge: 3949
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(#1693539) Verfasst am: 03.10.2011, 20:00 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Es kann daher kein rational vertretbarer Standpunkt sein, zu behauten, nichts sei reduzierbar und / oder nicht sei eliminierbar. Der Anti-Reduktionist bezweifelt lediglich die Behauptung: "alles ist epistemisch reduzierbar". |
Wir haben also, wenn ich das richtig sehe, 3 Standpunkte.
1. zeligs: Es gibt Fälle in denen nicht reduziert werden kann.
2. meiner: es kann alles bis auf eine niedrigste Ebene reduziert werden, da die Physik einen Anfang hatte
Und der 3. APs: es kann alles reduziert werden, die Reduktion wird niemals ein Ende haben, da es immer noch eine kleinere Ebene gibt auf die reduziert werden kann.
Steps Ansicht liegt entweder bei meiner oder bei AP oder irgendwo zwischendrin.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Was ist denn Deiner Ansicht nach das eigentliche Problem? |
1. Eingrenzung des Kriteriums, das nach Ansicht der Anti-Reduktionisten entscheidend für die Irreduzibilität ist (oder sagen wir eines hinreichenden Kriteriums). Ist jedes emergente Phänomen irreduzibel oder nur ab einer bestimmten Komplexität, oder nur das Bewußtsein, oder ...? |
Naja, aber vorher müssten wir erst mal festlegen, was überhaupt wie reduziert werden soll / kann. | Wir können ja um APs Standpunkt näher zu untersuchen mit dem Wasser anfangen. Der Reduktionsweg nach unten ist laut AP offen, das können wir diskutieren.
Danach können wir über den Fadenwurm nach oben gehen um zeligs Ansicht zu prüfen dass es irgendwo eine Ebene der Irreduzibilität gibt.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Nur natürliche Phänomene - im Gegensatz zu abstrakten Phänomenen? Wie genau unterscheidet man das?
Nur wissenschaftliche Phänomene - wie unterscheidet man wissenschaftliche von nicht wissenschaftlichen Phänomenen?
Nur reale / wirkliche Phänomene - wann sind Phänomene real / wirklich, wann nicht real / nicht wirklich? | Meine Antwort auf diese drei Fragen wäre: Phänomene die Experimenten zugänglich sind.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Oder nur Theorien einer höheren Ebene auf Theorien niedrigerer Ebene? | Die Reduktion sollte, so mein Verständnis, durch die Ebenen nach unten gehen und zwar durch alle.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Und wann gilt etwas (egal, was dieses 'etwas' ist) eigentlich als 'vollständig reduziert'? | Wenn sich die Bestandteile nicht weiter reduzieren lassen. Der Punkt an dem sie irreduzibar werden. Mit dem Unterschied, dass dieser Punkt aus meiner Sicht für jedes Phänomen der gleiche ist (Urknall, alles damit vergleichbare).
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Ich habe da immer noch Verständnisschwierigkeiten, was überhaupt gemeint ist, wenn man sagt: "alles sei prinzipiell reduzierbar". Sowohl mit dem 'alles' auch mit dem 'reduzierbar' als auch mit dem 'prinzipiell'. |
Alles: jedes den Experimenten zugängliche Phänomen
prinzipiell: vom Wesen her, nicht durch Unwissenheit beschränkt.
reduzierbar: auf Bestandteile und deren Eigenschaften zurückführbar
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Zum Beispiel ist es nach meinem Verständnis keine Reduktion, wenn man Korrelationen zwischen zwei Ebenen findet. Und es ist auch noch keine Reduktion, wenn man Phänomene einer höheren Ebene durch Zusammenstecken / Kombination von Elementen einer niedrigeren Ebene herstellen kann - falls man nicht verstanden hat, wie die Eigenschaften der höheren Ebene sich aus den Eigenschaften der Elemente der niedrigeren Ebene ergeben. | Korrelationen sind nicht Kausalitäten. Ansonsten ist das Reduzieren genau das Zusammenstecken.
_________________ Am Anfang war ......das Experiment.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1693540) Verfasst am: 03.10.2011, 20:00 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Naja, aber vorher müssten wir erst mal festlegen, was überhaupt wie reduziert werden soll / kann. |
Ich dachte an sowas wie "alle emergenten Phänomene auf Theorien niedriegerer Ebene". Aber ein paar prominente Beispiele aus verschiedenen Ebenen würden auch erstmal reichen, glaube ich.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Nur natürliche Phänomene - im Gegensatz zu abstrakten Phänomenen? Wie genau unterscheidet man das? |
Was sind denn abstrakte Phänomene? Falls Du damit so etwas wie Gedanken oder gedankliche Modelle meinst, würde ich sagen, sie sind aus Sicht des Reduktionisten natürlich nicht auf den Modellgegenstand reduzierbar, weil sie Phänomene des Hirns sind.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Diese Frage - was ist eine erfolgreiche Reduktion? - ist schon schwierig zu beantworten. Weiß nicht, ob es da Einigung drüber gibt, ich denke eher nicht. Thomas Nagel hat dazu wohl sogenannte "Brückenprinzipien" vorgeschlagen, aber das ist strittig. |
Naja, beim Wasser hab ich es mal genauer definiert. Man könnte sich bei einigen prominenten Beispielen auf eine fallbezogene Definition einigen. Z.B. beim Fadenwurm könnte man fordern, daß sein gesamtes Verhaltensspektrum aus seiner neuronalen verschaltung und den Reizen seiner Umgebung vorhersagbar sein soll.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Umgekehrt könnte ich nach dem Argument fragen, wieso aus dem ontologischen R. prinzipiell ein epistemischer R. folgen sollte - das ist ja nicht selbstverständlich. |
Wenn alles mit rechten Dingen zugeht (Naturalismus) und deterministisch evolviert, so ist alles durch Naturgesetze kausal bestimmt. Es gibt sozusagen einen unitären Entwicklungsoperator. Daraus folgt, daß es (prinzipiell) mindestens ein gutes Modell geben muß, nämlich eben die Entwicklungsgleichung mit diesem Operator. Es bleibt also nur noch die Frage, ob eine forschende Intelligenz Kenntnis von diesem Modell erhalten kann oder ob das aus prinzipiellen (!) Gründen der Wissensaquisition in gewissen Fällen unmöglich ist. Aus meiner Sicht muß der Anti-Reduktionist also entweder solche Gründe finden / nennen, wenn er seine These belegen will, oder er muß auch den ontologischen R. ablehnen (so wie zelig) - was allerdings wieder andere Probleme mit sich bringt.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Naja, wie gesagt, der Antireduktionist kann gar nichts 'prinzipiell' zeigen, wenn der Reduktionist darauf antwortet: "ja, das gilt vielleicht nach heutigem Wissen, aber morgen könnte es ein völlig anderes Wissen geben, einen Quantensprung, einen Paradigmenwechsel, das kannst Du nicht beweisen, dass es das nicht geben könnte". |
Das sehe ich anders, es könnte schon eine prinzipielle Widerlegung des R. geben. Eine Möglichkeit hatte ich weiter oben schon genannt. Eine weitere wäre, wenn sich etwa herausstellte, daß bestimmte emergente Phänomene die physikalischen Gesetze verändern. Und es gibt noch mehr Möglichkeiten, denke ich.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Zum Beispiel kann Wasser auf H2O reduziert werden, (in jedem Sinne, das ist unstrittig), oder die Phlogistontheorie wurde eliminiert. |
Gut, daß das da mal so steht. Da habe ich nämlich hier im thread aber auch schon andere Meinungen gehört ... ich erinnere nur an den Versuch, statt der Reduktion der Eigenschaften von Wasser einfach die Reduktion der Eigenschaften der Bedeutung des Begriffs "Wasser" mitsamt all seinem Kontext zu fordern. Oder zelig, der den ontologischen R. ablehnt, wenngleich ich nicht weiß, welche Folgen das sE für das Wasser hat. Oder Skeptiker, der Wasser vermutlich als einn Agenten im dialektischen Gegeneinander ansieht.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1693545) Verfasst am: 03.10.2011, 20:26 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Die kleinsten Teilchen, die wir kennen, sind physikalisch. Sie bilden Zusammenhänge, die ab einer gewissen Stufe selbst nicht mehr physikalisch sind, sondern den Übergang zu biologischen Zusammenhängen markieren. |
Also ich denke da jetzt an den einfachen Fadenwurm. Was soll das denn heißen, "die Zusammenhänge sind nicht mehr physikalisch"? Soll das heißen
a) die Zusammenhänge können ohne Reduktion auf die Physik für dieses Fachgebiet hinreichend gut modelliert werden?
oder
b) da wirken plötzlich neue, unphysikalische Grundkräfte?
Außerdem wüßte ich gerne, ob Du das auch schon beim Wasser oder bei der Kristallchemie so siehst, oder nur bei biologischen Systemen, und falls letzteres, mit welcher Begründung? |
Mach's doch nicht so kompliziert. Ein Zelle besteht aus allen möglichen Bestandteilen, letztlich aus Atomen und Molekülen, und doch kannst du die Eigenschaften einer solchen Zelle nicht reduzieren auf die physikalischen Eigenschaften dieser Atome und Moleküle. Sie sind in einer Weise angeordnet, die neue Eigenschaften bilden, die wir biologisch nennen, und auch mit ganz anderen Methoden untersuchen und mit anderen Modellen beschreiben. Die Tatsache, daß es eine eigene Klasse von biologischen Objekten gibt, mit biologischen Eigenschaften, die man mit speziellen Methoden untersucht und eigenen Theorien beschreibt, ist übrigens auch letztlich die Rechtfertigung für die Existenz der Biologie als Wissenschaft und dafür daß Biologen solche Phänomene untersuchen und nicht Physiker.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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Tom der Dino registrierter User
Anmeldungsdatum: 20.07.2011 Beiträge: 3949
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(#1693549) Verfasst am: 03.10.2011, 20:49 Titel: |
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Edit: Usprüngliche Antwort auf Marcellinhos Post:
Die Sache ist nur die, dass biologische Modelle oder Theorien die der Physik widersprechen, falsch sind. Die Falsifizierung einer biologischen Theorie ist durch ein Physik- oder Chemie-Experiment möglich.
Dann die Antwort auf Steps Einwand der im nachfolgenden Post kommt.
Marcellinus hat folgendes geschrieben: | ... und auch mit ganz anderen Methoden untersuchen und mit anderen Modellen beschreiben. Die Tatsache, daß es eine eigene Klasse von biologischen Objekten gibt, mit biologischen Eigenschaften, die man mit speziellen Methoden untersucht und eigenen Theorien beschreibt, ... |
Die Formulierung "eigenen Theorien" etc. klang für mich, wie von der Physik abgekoppelt. Halt was eigenes.
PS: die Zitat und Edit buttons sind echt dicht beeinander
_________________ Am Anfang war ......das Experiment.
Zuletzt bearbeitet von Tom der Dino am 03.10.2011, 21:43, insgesamt 2-mal bearbeitet |
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1693555) Verfasst am: 03.10.2011, 21:11 Titel: |
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Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: | ... Rechtfertigung für die Existenz der Biologie als Wissenschaft und dafür daß Biologen solche Phänomene untersuchen und nicht Physiker. | Die Sache ist nur die, dass biologische Modelle oder Theorien die der Physik widersprechen, falsch sind. Die Falsifizierung einer biologischen Theorie ist durch ein Physik- oder Chemie-Experiment möglich. |
Außerdem sagt Marcellinus Einwand nur aus, daß es sinnvoll / praktisch ist, Biologie emergent zu betreiben, nicht aber, daß Biologie nicht reduzierbar ist.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1693556) Verfasst am: 03.10.2011, 21:13 Titel: |
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Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Es kann daher kein rational vertretbarer Standpunkt sein, zu behauten, nichts sei reduzierbar und / oder nicht sei eliminierbar. Der Anti-Reduktionist bezweifelt lediglich die Behauptung: "alles ist epistemisch reduzierbar". |
Wir haben also, wenn ich das richtig sehe, 3 Standpunkte.
1. zeligs: Es gibt Fälle in denen nicht reduziert werden kann.
2. meiner: es kann alles bis auf eine niedrigste Ebene reduziert werden, da die Physik einen Anfang hatte
Und der 3. APs: es kann alles reduziert werden, die Reduktion wird niemals ein Ende haben, da es immer noch eine kleinere Ebene gibt auf die reduziert werden kann. |
Nein, das siehst Du falsch. Ich bin Anti-Reduktionist, d.h. ich glaube nicht, dass alle beobachtbaren Phänomene aus den Eigenschaften / Gesetzen der untersten Ebene der physikalischen Elementarteilchen hergeleitet / darauf zurückgeführt werden kann.
Mit anderen Worten: es gibt hier nicht 3 Standpunkte, sondern nur 2: den Reduktionisten und den Anti-Reduktionisten.
Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Ich habe da immer noch Verständnisschwierigkeiten, was überhaupt gemeint ist, wenn man sagt: "alles sei prinzipiell reduzierbar". Sowohl mit dem 'alles' auch mit dem 'reduzierbar' als auch mit dem 'prinzipiell'. |
Alles: jedes den Experimenten zugängliche Phänomen
prinzipiell: vom Wesen her, nicht durch Unwissenheit beschränkt.
reduzierbar: auf Bestandteile und deren Eigenschaften zurückführbar |
Ist z.B. 'Schmerz' einem Experiment zugänglich?
Was heißt 'vom Wesen her'? Ist 'vom Wesen her' reduzierbar? Und wie stellt man das Wesen fest? Und wie kann man feststellen, ob etwas durch Unwissenheit beschränkt ist oder nicht?
reduzierbar: okay, keine Frage, wenn das gelingt, ist das unbestritten reduziert.
Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Korrelationen sind nicht Kausalitäten. Ansonsten ist das Reduzieren genau das Zusammenstecken. |
Nein, finde ich nicht. Reduktion ist meiner Ansicht nach, wenn Gesetzmäßigkeiten / Eigenschaften einer oberen Ebene auf Gesetzmäßigkeiten / Eigenschaften einer unteren Ebene zurückgeführt / dadurch erklärt werden können. D.h. Reduktion erfordert Verstehen. Zusammenstecken impliziert das aber nicht, Zusammenstecken ergibt also keinen epistemischen Reduktionismus, sondern lediglich ein ontologischer Reduktionismus, (= die Eigenschaften der oberen Ebene können durch Elemente einer unteren Ebene realisiert werden).
Zuletzt bearbeitet von AgentProvocateur am 03.10.2011, 21:16, insgesamt einmal bearbeitet |
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1693557) Verfasst am: 03.10.2011, 21:14 Titel: |
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Tom der Dino hat folgendes geschrieben: |
Die Sache ist nur die, dass biologische Modelle oder Theorien die der Physik widersprechen, falsch sind. Die Falsifizierung einer biologischen Theorie ist durch ein Physik- oder Chemie-Experiment möglich. |
Was ist denn das für ein Einwand? Physikalische Theorien können in der Regel biologische Modelle nicht beschreiben. Also können sie sie auch nicht widerlegen.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1693559) Verfasst am: 03.10.2011, 21:17 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: | ... Rechtfertigung für die Existenz der Biologie als Wissenschaft und dafür daß Biologen solche Phänomene untersuchen und nicht Physiker. | Die Sache ist nur die, dass biologische Modelle oder Theorien die der Physik widersprechen, falsch sind. Die Falsifizierung einer biologischen Theorie ist durch ein Physik- oder Chemie-Experiment möglich. |
Außerdem sagt Marcellinus Einwand nur aus, daß es sinnvoll / praktisch ist, Biologie emergent zu betreiben, nicht aber, daß Biologie nicht reduzierbar ist. |
Womit wir wieder bei einer Glaubensfrage wären, nämlich der, alles sei reduzierbar. Geht zwar bisher nicht, kann auch nicht bewiesen werden, wird aber geglaubt. Ist letztlich keine wissenschaftliche Aussage, oder eine über unsere Wirklichkeit, sondern eine Behauptung über das "Wesen" dieser Wirklichkeit. Nicht meine Baustelle. Bin nun mal ein Ungläubiger.
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es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#1693563) Verfasst am: 03.10.2011, 21:22 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: | ... Rechtfertigung für die Existenz der Biologie als Wissenschaft und dafür daß Biologen solche Phänomene untersuchen und nicht Physiker. | Die Sache ist nur die, dass biologische Modelle oder Theorien die der Physik widersprechen, falsch sind. Die Falsifizierung einer biologischen Theorie ist durch ein Physik- oder Chemie-Experiment möglich. |
Außerdem sagt Marcellinus Einwand nur aus, daß es sinnvoll / praktisch ist, Biologie emergent zu betreiben, nicht aber, daß Biologie nicht reduzierbar ist. |
Ja, auf der einen Seite bezieht sich Marcellinus Einwand nur auf methodologischen Reduktionismus, (und es ist AFAIK ziemlich unstrittig, dass der falsch ist, wenn er so verstanden wird, dass nur reduktionistische Erklärungen [auf die physikalische/biochemische Ebene] Erkenntnis schaffen könnten - von Extrem-Szientisten/Eliminativisten mal abgesehen), aber auf der anderen Seite ist Tom der Dinos Einwand nicht ganz korrekt. Die Falsifizirung einer biologischen Theorie ist auf physikalischer / chemischer Ebene nur dann möglich, wenn die biologische Theorie den Erkenntnissen diesen Ebenen widerspricht. Also nicht nicht immer.
(Muss jetzt weg.)
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1693564) Verfasst am: 03.10.2011, 21:30 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Womit wir wieder bei einer Glaubensfrage wären, nämlich der, alles sei reduzierbar. Geht zwar bisher nicht, kann auch nicht bewiesen werden, wird aber geglaubt. Ist letztlich keine wissenschaftliche Aussage, oder eine über unsere Wirklichkeit, sondern eine Behauptung über das "Wesen" dieser Wirklichkeit. Nicht meine Baustelle. Bin nun mal ein Ungläubiger. | Du glaubst also auch nicht, daß es etwas gibt, daß irreduzibel ist?
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Tom der Dino registrierter User
Anmeldungsdatum: 20.07.2011 Beiträge: 3949
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(#1693565) Verfasst am: 03.10.2011, 21:34 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Tom der Dino hat folgendes geschrieben: |
Die Sache ist nur die, dass biologische Modelle oder Theorien die der Physik widersprechen, falsch sind. Die Falsifizierung einer biologischen Theorie ist durch ein Physik- oder Chemie-Experiment möglich. |
Was ist denn das für ein Einwand? Physikalische Theorien können in der Regel biologische Modelle nicht beschreiben. Also können sie sie auch nicht widerlegen. |
Versteh ich deine Ironie nicht?
Für den Fall, dass du das nicht ironisch meintest, Lamarck (der Biologe) wurde durch die Unflexibilität der DNA widerlegt. Mit Unflexibilität der DNA meine ich die individuelle Unveränderlichkeit der Gene (Basensequenz) und nicht die individuelle Regulierung dieser. Die DNA ist ein Molekül, jegliche Änderungen passieren durch andere Moleküle oder Änderung physikalischer Parameter wie Temperatur, Intensität der UV-Strahlung etc.
Wenn ein Aspekt einer biologischen Theorie aufgrund der Physik unmöglich ist, wie "das Blut durch den Körper teleportiert", dann ist die Theorie falsch.
_________________ Am Anfang war ......das Experiment.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1693569) Verfasst am: 03.10.2011, 21:43 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | ... aber auf der anderen Seite ist Tom der Dinos Einwand nicht ganz korrekt. Die Falsifizirung einer biologischen Theorie ist auf physikalischer / chemischer Ebene nur dann möglich, wenn die biologische Theorie den Erkenntnissen diesen Ebenen widerspricht. Also nicht nicht immer. |
Naja, natürlich ist es nur widerlegbar, wenn es widerspricht.
Nehmen wir mal die Chemie: Meinst Du, es gibt mehrere "Chemien", die alle für sich mit der Physik kompatibel sind?
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Tom der Dino registrierter User
Anmeldungsdatum: 20.07.2011 Beiträge: 3949
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(#1693574) Verfasst am: 03.10.2011, 21:58 Titel: |
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sorry doppelpost
_________________ Am Anfang war ......das Experiment.
Zuletzt bearbeitet von Tom der Dino am 03.10.2011, 22:25, insgesamt einmal bearbeitet |
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Tom der Dino registrierter User
Anmeldungsdatum: 20.07.2011 Beiträge: 3949
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(#1693575) Verfasst am: 03.10.2011, 22:00 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: |
Nein, das siehst Du falsch. Ich bin Anti-Reduktionist, d.h. ich glaube nicht, dass alle beobachtbaren Phänomene aus den Eigenschaften / Gesetzen der untersten Ebene der physikalischen Elementarteilchen hergeleitet / darauf zurückgeführt werden kann.
Mit anderen Worten: es gibt hier nicht 3 Standpunkte, sondern nur 2: den Reduktionisten und den Anti-Reduktionisten. | Danke für die Richtigstellung.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: |
Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Ich habe da immer noch Verständnisschwierigkeiten, was überhaupt gemeint ist, wenn man sagt: "alles sei prinzipiell reduzierbar". Sowohl mit dem 'alles' auch mit dem 'reduzierbar' als auch mit dem 'prinzipiell'. |
Alles: jedes den Experimenten zugängliche Phänomen
prinzipiell: vom Wesen her, nicht durch Unwissenheit beschränkt.
reduzierbar: auf Bestandteile und deren Eigenschaften zurückführbar |
Ist z.B. 'Schmerz' einem Experiment zugänglich?
Was heißt 'vom Wesen her'? Ist 'vom Wesen her' reduzierbar? Und wie stellt man das Wesen fest? Und wie kann man feststellen, ob etwas durch Unwissenheit beschränkt ist oder nicht?
reduzierbar: okay, keine Frage, wenn das gelingt, ist das unbestritten reduziert. | Schmerz ist natürlich einem Experiment zugänglich, wieso denn nicht?
Prinzip daraus:
Wiki hat folgendes geschrieben: | Ein Prinzip (Plural: Prinzipien; von lat. principium = Anfang, Ursprung) ist das, aus dem ein anderes seinen Ursprung hat.[1] Es stellt eine gegebene Gesetzmäßigkeit dar, die anderen Gesetzmäßigkeiten übergeordnet ist (wobei der Begriff Gesetzmäßigkeit ersetzbar ist durch die Begriffe Gesetz, Naturgesetz, Regel, Richtlinie, Verhaltensrichtlinie, Grundsatz, Postulat). Im klassischen Sinne steht das Prinzip zwingend an oberster Stelle, im alltäglichen Sprachgebrauch wird dies aber weniger streng gehandhabt. |
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Korrelationen sind nicht Kausalitäten. Ansonsten ist das Reduzieren genau das Zusammenstecken. |
Nein, finde ich nicht. Reduktion ist meiner Ansicht nach, wenn Gesetzmäßigkeiten / Eigenschaften einer oberen Ebene auf Gesetzmäßigkeiten / Eigenschaften einer unteren Ebene zurückgeführt / dadurch erklärt werden können. D.h. Reduktion erfordert Verstehen. Zusammenstecken impliziert das aber nicht, Zusammenstecken ergibt also keinen epistemischen Reduktionismus, sondern lediglich ein ontologischer Reduktionismus, (= die Eigenschaften der oberen Ebene können durch Elemente einer unteren Ebene realisiert werden). |
Das versteh ich nicht. Wenn ich zeige, dass durch Zusammenstecken von Elementen einer unteren Ebene inklusive deren Eigenschaften, die Eigenschaften der nächsthöheren Ebene entstehen, ist doch gezeigt, dass die Eigenschaften der höheren Ebene sich auf die Eigenschaften der nächstkleineren Ebene reduzieren lassen.
_________________ Am Anfang war ......das Experiment.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1693576) Verfasst am: 03.10.2011, 22:00 Titel: |
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Tom der Dino hat folgendes geschrieben: |
Wenn ein Aspekt einer biologischen Theorie aufgrund der Physik unmöglich ist, wie "das Blut durch den Körper teleportiert", dann ist die Theorie falsch. |
Lamarck (1744-1829) Was soll dieser Strohmann? Welcher Biologe vertritt heute solche Theorien?
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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Tom der Dino registrierter User
Anmeldungsdatum: 20.07.2011 Beiträge: 3949
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(#1693577) Verfasst am: 03.10.2011, 22:02 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Tom der Dino hat folgendes geschrieben: |
Wenn ein Aspekt einer biologischen Theorie aufgrund der Physik unmöglich ist, wie "das Blut durch den Körper teleportiert", dann ist die Theorie falsch. |
Lamarck (1744-1829) Was soll dieser Strohmann? Welcher Biologe vertritt heute solche Theorien? |
Niemand mehr, weil sie auch aufgrund der Erkenntnisse der Physik und der Chemie nicht mehr haltbar ist. Es war auch kein Strohmann, sondern ein Beispiel.
Das "das Blut durch den Körper teleportiert" war ein Beispiel für einen physikalisch nicht möglichen Effekt. Lamarck hat das meines Wissens nie gesagt. Ich wüsste auch nicht, dass irgendein Biologe soetwas gesagt hätte. Aber sollte einer soetwas sagen, und wäre der Rest noch so einleuchtend, wäre es falsch.
_________________ Am Anfang war ......das Experiment.
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