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Frage zum freien Willen und der Quantenphysik
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Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#1693580) Verfasst am: 03.10.2011, 22:07    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Womit wir wieder bei einer Glaubensfrage wären, nämlich der, alles sei reduzierbar. Geht zwar bisher nicht, kann auch nicht bewiesen werden, wird aber geglaubt. Ist letztlich keine wissenschaftliche Aussage, oder eine über unsere Wirklichkeit, sondern eine Behauptung über das "Wesen" dieser Wirklichkeit. Nicht meine Baustelle. Bin nun mal ein Ungläubiger.
Du glaubst also auch nicht, daß es etwas gibt, daß irreduzibel ist?

Ich glaube gar nichts. Ich weiß nur, daß Wissenschaften nicht möglich wären, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse nur durch Reduktion auf ihre Bestandteile zu gewinnen wären. Oder um es mit Robert B. Laughlin zu formulieren: "Die Aussage, daß Ganze sei mehr als die Summe seiner Teile, bezeichnet also - das jedenfalls hat uns die wissenschaftliche Physik mitzuteilen - nicht nur eine bloße Vorstellung, sondern ein physikalisches Phänomen."
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"Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

Friedrich Nietzsche
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#1693590) Verfasst am: 03.10.2011, 22:36    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Ich weiß nur, daß Wissenschaften nicht möglich wären, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse nur durch Reduktion auf ihre Bestandteile zu gewinnen wären.

Hat das jemand behauptet?

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Oder um es mit Robert B. Laughlin zu formulieren: "Die Aussage, daß Ganze sei mehr als die Summe seiner Teile, bezeichnet also - das jedenfalls hat uns die wissenschaftliche Physik mitzuteilen - nicht nur eine bloße Vorstellung, sondern ein physikalisches Phänomen."

Ja, das ist ja für uns Reduktionisten nichts Neues.
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Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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zelig
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Anmeldungsdatum: 31.03.2004
Beiträge: 25405

Beitrag(#1693594) Verfasst am: 03.10.2011, 23:01    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Die Einlassung Kutscheras war übrigens schon Gegenstand heftiger Diskussionen im FGH. Ich finde sie eigentlich ganz gut, weil sie, plakativ wie sie ist, zeigt, wogegen man sich als Humanist zu wenden hat.

Hab mich grad an meinem Glas Wein verschluckt ... verstehe ich das richtig, jemand sagt etwas über ein vermeintliches IST, und der Humanist sieht das als Gefahr für sein SOLL?


Naja, komm.

Zitat:
In einer Replik auf Kritiker verweist Kutschera darauf, dass Denken „ein biologischer Vorgang und das Verständnis seiner Produkte deswegen Sache der Biologie“ sei.


Es macht schon den entscheidenden Unterschied aus, ob ich über ein Gehirn nachdenke, und dessen Gedanken als Objekte der Biowissenschaften bezeichne, oder ob ich sie als Äußerungen eines selbstbestimmten Wesens wahrnehme. Ich habe ja nichts gegen die Neurowissenschaften, nur gegen den unbegründeten Anspruch, den einige ihrer Vertreter erheben. Kutschera hat sich da als Fachfremder sowieso ins Abseits gestoßen.
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Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
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AgentProvocateur
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Anmeldungsdatum: 09.01.2005
Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1693597) Verfasst am: 03.10.2011, 23:07    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Naja, aber vorher müssten wir erst mal festlegen, was überhaupt wie reduziert werden soll / kann.

Ich dachte an sowas wie "alle emergenten Phänomene auf Theorien niedriegerer Ebene". Aber ein paar prominente Beispiele aus verschiedenen Ebenen würden auch erstmal reichen, glaube ich.

Evolution, Selektion, Sprache, Logik, Mathematik, phänomenales Erleben.

step hat folgendes geschrieben:
Was sind denn abstrakte Phänomene?

Z.B. Logik, Mathematik, Universalien, Gefühle, Wahrheit (von Sätzen), Demokratie, Abstraktion, Theorien.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Diese Frage - was ist eine erfolgreiche Reduktion? - ist schon schwierig zu beantworten. Weiß nicht, ob es da Einigung drüber gibt, ich denke eher nicht. Thomas Nagel hat dazu wohl sogenannte "Brückenprinzipien" vorgeschlagen, aber das ist strittig.

Naja, beim Wasser hab ich es mal genauer definiert.

Wo und wie?

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Umgekehrt könnte ich nach dem Argument fragen, wieso aus dem ontologischen R. prinzipiell ein epistemischer R. folgen sollte - das ist ja nicht selbstverständlich.

Wenn alles mit rechten Dingen zugeht (Naturalismus) und deterministisch evolviert, so ist alles durch Naturgesetze kausal bestimmt. Es gibt sozusagen einen unitären Entwicklungsoperator. Daraus folgt, daß es (prinzipiell) mindestens ein gutes Modell geben muß, nämlich eben die Entwicklungsgleichung mit diesem Operator. Es bleibt also nur noch die Frage, ob eine forschende Intelligenz Kenntnis von diesem Modell erhalten kann oder ob das aus prinzipiellen (!) Gründen der Wissensaquisition in gewissen Fällen unmöglich ist.

Ich verstehe dann noch nicht, was 'prinzipiell' hier bedeuten soll, wenn damit nicht die hypothetische Erkenntnis eines hypothetischen allwissenden und allintelligenten Wesens gemeint sein soll.

Wer also hier gemeint ist als derjenige, der die Reduktion vornehmen kann. Wer der Beobachter, der Auswerter sein soll.

step hat folgendes geschrieben:
Aus meiner Sicht muß der Anti-Reduktionist also entweder solche Gründe finden / nennen, wenn er seine These belegen will, [...]

Das Haupt-Argument der Anti-Reduktionisten ist die Multi-Realisierbarkeit. D.h. Schmerz z.B. ist nicht einfach die Disjunktion aller neuronal realisierten Instanzen von Schmerz, es reicht nicht als Erklärung, all diese einfach aufzulisten. Man muss ein Prinzip, eine Funktionsweise, eine Gemeinsamkeit all dieser neuronalen Zustände finden, aus der sich der Schmerz ergibt, aus grundlegenden Eigenschaften der Materie ableiten.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Naja, wie gesagt, der Antireduktionist kann gar nichts 'prinzipiell' zeigen, wenn der Reduktionist darauf antwortet: "ja, das gilt vielleicht nach heutigem Wissen, aber morgen könnte es ein völlig anderes Wissen geben, einen Quantensprung, einen Paradigmenwechsel, das kannst Du nicht beweisen, dass es das nicht geben könnte".

Das sehe ich anders, es könnte schon eine prinzipielle Widerlegung des R. geben. Eine Möglichkeit hatte ich weiter oben schon genannt. Eine weitere wäre, wenn sich etwa herausstellte, daß bestimmte emergente Phänomene die physikalischen Gesetze verändern. Und es gibt noch mehr Möglichkeiten, denke ich.

Ja, wenn mit 'prinzipiell' nicht gemeint sein sollte: "nach allem hypothetischen zukünftigem (und daher heute unbekanntem Wissen), sondern wenn damit nur gemeint sein sollte: "nach heutigem Wissen (und darauf aufbauenden Argumenten)", dann ist eine Diskussion darüber sinnvoll möglich. Im anderen Falle nicht.


Zuletzt bearbeitet von AgentProvocateur am 03.10.2011, 23:08, insgesamt einmal bearbeitet
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zelig
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Beiträge: 25405

Beitrag(#1693598) Verfasst am: 03.10.2011, 23:08    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Ich glaube, ich verstehe Deinen Standpunkt. Ich bin allerdings skeptisch gegenüber der Aussage, daß alles, was existiert, durch physikalische Prozesse realisiert ist. Glaubst Du, daß Dinge wie Strukturen und Relationen prinzipiell aus physikalischen Prozessen resultieren?

Ja, ich bin Naturalist, naturalistischer Substanzmonist.


Ja. Ich stelle mir jedoch vor, daß Naturalist zu sein nicht unbedingt im Widerspruch zu der Anschauung steht, daß Dinge wie Symmetrien oder Strukturen Grundlagen der Wirklichkeit sind. Das spielt nach meiner Meinung beispielsweise dann eine Rolle, wenn mathematische Metastrukturen entworfen werden, die die Frage aufwerfen, in welchen Teilen dieser Strukturen überhaupt eine physikalische Realität existiert. Vielleicht formuliere ich gerade etwas unbeholfen.
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zelig
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Beiträge: 25405

Beitrag(#1693599) Verfasst am: 03.10.2011, 23:12    Titel: Antworten mit Zitat

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:


zelig hat folgendes geschrieben:
5: Ein wenig mehr Bescheidenheit auf Basis der realen Verhältnisse in den Wissenschaften wäre auch nicht schlecht


Wie meinst du das? Die Physik bildet die realen Verhältnisse besser ab, als alles andere Menschengemachte. Wir können der Wirklichkeit nicht näher kommen, als es die Physik tut.


Aber ja, solange sie im Deskriptiven bleibt, haben wir nichts Besseres.
Ich ziele damit auf Äußerungen wie die von Kutschera ab.
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AgentProvocateur
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Beitrag(#1693601) Verfasst am: 03.10.2011, 23:17    Titel: Antworten mit Zitat

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Alles: jedes den Experimenten zugängliche Phänomen
prinzipiell: vom Wesen her, nicht durch Unwissenheit beschränkt.
reduzierbar: auf Bestandteile und deren Eigenschaften zurückführbar

Ist z.B. 'Schmerz' einem Experiment zugänglich?
Was heißt 'vom Wesen her'? Ist 'vom Wesen her' reduzierbar? Und wie stellt man das Wesen fest? Und wie kann man feststellen, ob etwas durch Unwissenheit beschränkt ist oder nicht?
reduzierbar: okay, keine Frage, wenn das gelingt, ist das unbestritten reduziert.
Schmerz ist natürlich einem Experiment zugänglich, wieso denn nicht? Geschockt

Na gut, aber wie unterscheidet man nun: "X ist einem Experiment zugänglich' und 'X ist nicht einem Experiment zugänglich'? Beispiele?

Ist denn o.g. 'das Wesen' einem Experiment zugänglich? Ist Logik einem Experiment zugänglich? Sprache? Universalien?

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
D.h. Reduktion erfordert Verstehen. Zusammenstecken impliziert das aber nicht, Zusammenstecken ergibt also keinen epistemischen Reduktionismus, sondern lediglich ein ontologischer Reduktionismus, (= die Eigenschaften der oberen Ebene können durch Elemente einer unteren Ebene realisiert werden).

Das versteh ich nicht. Wenn ich zeige, dass durch Zusammenstecken von Elementen einer unteren Ebene inklusive deren Eigenschaften, die Eigenschaften der nächsthöheren Ebene entstehen, ist doch gezeigt, dass die Eigenschaften der höheren Ebene sich auf die Eigenschaften der nächstkleineren Ebene reduzieren lassen.

Ontologischer Reduktionismus ist damit gezeigt, aber nicht epistemischer Reduktionismus.
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Marcellinus
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Beiträge: 7429

Beitrag(#1693602) Verfasst am: 03.10.2011, 23:22    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Ich weiß nur, daß Wissenschaften nicht möglich wären, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse nur durch Reduktion auf ihre Bestandteile zu gewinnen wären.

Hat das jemand behauptet?

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Oder um es mit Robert B. Laughlin zu formulieren: "Die Aussage, daß Ganze sei mehr als die Summe seiner Teile, bezeichnet also - das jedenfalls hat uns die wissenschaftliche Physik mitzuteilen - nicht nur eine bloße Vorstellung, sondern ein physikalisches Phänomen."

Ja, das ist ja für uns Reduktionisten nichts Neues.

Vielleicht sollte man diesen Thread in den Bereich "Weltanschauungen und Religionen" verschieben.
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Marcellinus
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Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#1693605) Verfasst am: 03.10.2011, 23:28    Titel: Antworten mit Zitat

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:

Das versteh ich nicht. Wenn ich zeige, dass durch Zusammenstecken von Elementen einer unteren Ebene inklusive deren Eigenschaften, die Eigenschaften der nächsthöheren Ebene entstehen, ist doch gezeigt, dass die Eigenschaften der höheren Ebene sich auf die Eigenschaften der nächstkleineren Ebene reduzieren lassen.

Genau das ist der Punkt. Du verstehst es nicht, weil genau in der Art des Zusammensteckens der Elemente das Neue steckt. Es sind eben nicht die Eigenschaften der Elemente der unteren Ebene, die die Eigenschaften der höheren Ebene bestimmen, sondern die Anordnung der Elemente der unteren Ebene. Genau das ist der Grund, warum Reduktion nicht funktioniert.
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AgentProvocateur
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Anmeldungsdatum: 09.01.2005
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Beitrag(#1693608) Verfasst am: 03.10.2011, 23:41    Titel: Antworten mit Zitat

Mal zusammenfass': ich bin zwar Anti-Reduktionist, und zwar auf die epistemische Ebene bezogen, aber das ist eine reine Glaubenssache. Kann ich nicht beweisen, schon gar nicht bezogen auf eventuelles mir unbekanntes zukünftiges Wissen.

Ontologischen Realismus halte ich für richtig, (bin Naturalist), methodologischen Realismus aber, (im extremen Sinne: nur reduktionistische Erklärungen - reduziert auf die physikalische Ebene - seinen wissenserhöhende / einzig wahre Erklärungen) für falsch. (Na gut, das ist nun nichts Besonderes, das ist wie gesagt wohl Allgemeinmeinung - von einigen extremen Szientisten [z.B. Kutschera] und Eliminativisten mal abgesehen).

Streitpunkt ist also nur der epistemische Reduktionismus. Da gibt es nun einen großen philosophischen Streit darüber, wer recht hat - der Reduktionist oder der Anti-Reduktionist - aber dieser Streit geht, wenn man ihn ernsthaft führen will, sehr ins philosophische Detail, wird unendlich kompliziert.

(Übrigens, nur zur Info: es gibt einen AFAIK sehr angesehenen Philosophen, der den Reduktionismus vertritt und zwar Jaegwon Kim.)

Ich bin nun in dieser Frage eher Pragmatiker: diesen Streit halte ich nicht für besonders fruchtbar, ich sehe nicht so recht, was daraus praktisch folgen könnte oder sollte. Außerdem ist mir das letztlich zu kompliziert, wenn man wirklich philosophisch tief einsteigen will.

Ich glaube zwar nun nicht, dass ein (allgemeiner, umfassender) Reduktionismus oder gar Eliminativsmus erfolgreich sein kann, aber ich kann mich da auch irren.

Ich warte also einfach ab, was reduziert und / oder eliminiert werden kann. Dabei zählen keine Behauptungen über eine prinzipielle Möglichkeit, es zählen für mich die konkreten Reduzierungen / Eliminationen. Vorher sehe ich das als eine Diskussion um des Kaisers Bart.
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Tom der Dino
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Beiträge: 3949

Beitrag(#1693610) Verfasst am: 03.10.2011, 23:58    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Tom der Dino hat folgendes geschrieben:

Das versteh ich nicht. Wenn ich zeige, dass durch Zusammenstecken von Elementen einer unteren Ebene inklusive deren Eigenschaften, die Eigenschaften der nächsthöheren Ebene entstehen, ist doch gezeigt, dass die Eigenschaften der höheren Ebene sich auf die Eigenschaften der nächstkleineren Ebene reduzieren lassen.

Genau das ist der Punkt. Du verstehst es nicht, weil genau in der Art des Zusammensteckens der Elemente das Neue steckt. Es sind eben nicht die Eigenschaften der Elemente der unteren Ebene, die die Eigenschaften der höheren Ebene bestimmen, sondern die Anordnung der Elemente der unteren Ebene. Genau das ist der Grund, warum Reduktion nicht funktioniert.


Das neue, was sich nach Zusammenstecken ergibt, lässt sich berechnen. Beispiel Wasser.

Die Elektronegativitäten der einzelnen Atome ergeben im Wassermolekül polare Bindungen. Dadurch entsteht ein Dipol. Jedes Wassermolekül entspricht einem Dipol mit partiell positiver Ladung an den Wasserstoffatomen und partiell negativer Ladung am Sauerstoffatom. Diese Dipole werden, wenn ein weiteres Wassermolekül dazukommt, Wechselwirkungen mit diesem eingehen. (Dipol-Dipol-Wechselwirkung) Durch Kenntnis der Deprotonierungsenergie und der Protonierungsenergie kann man Rückschlüsse auf die Kraft zwischen zwei Wassermolekülen ziehen, die dadurch (Dipolwechselwirkung und Wasserstoffbrückenbindung) höher ist als zum Beispiel im Schwefelwasserstoff, (Schwefel steht direkt unter Sauerstoff im PSE bildet ähnliche Bindungen aus, wird also für Vergleiche gerne genommen). Diese Wechselwirkungen gelten auch wenn man ein 3. und ein 4. H2O-Molekül dazutut und so weiter. Am Ende hat man ein bestimmtes Volumen voll mit Wassermolekülen. Da man die Stärke der Wechselwirkungen kennt, kann man berechnen welche Temperatur nötig ist, damit die Bewegungsenergie ausreicht um Wassermoleküle aus diesem Volumen zu entfernen. Damit erhält man die Eigenschaft Flüssig bei Temperaturen zwischen 0 und 100°C bei Normaldruck. Die Anomalien des Wassers lassen sich auf Bindungswinkel etc. zurückführen. Die Bindungswinkel selbst kann man aus quantenmechanischen Berechnungen der Elektronenhüllen der einzelnen Atome erhalten.

Die emergente Eigenschaft "Flüssig" unter den genannten Parametern, ergibt sich aus den Bindungseigenschaften des H2O-Moleküls.
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Tom der Dino
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Anmeldungsdatum: 20.07.2011
Beiträge: 3949

Beitrag(#1693614) Verfasst am: 04.10.2011, 00:24    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich bin nun in dieser Frage eher Pragmatiker: diesen Streit halte ich nicht für besonders fruchtbar, ich sehe nicht so recht, was daraus praktisch folgen könnte oder sollte. Außerdem ist mir das letztlich zu kompliziert, wenn man wirklich philosophisch tief einsteigen will.


Wenn es tatsächlich eine Irreduzibilität gibt, die nicht mit dem Beginn der Physik zusammenfällt, dann haben die Wissenschaften ein mächtiges Problem. Das würde dem Grundprinzip der Kausalität widersprechen. Daraus würde folgen, dass das gesamte Wissen falsch ist bzw. man nicht sagen kann ob es falsch oder wahr ist. Die Logik selbst wäre im Arsch (sorry). Eine weitere Folge wäre, dass man bei einem Problem nicht mehr weiterdenkt, weil man es für nicht reduzierbar hält (obwohl es das ist). Es wäre aber auch nicht schlimm, die Aussage wäre eh nichtssagend.
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AgentProvocateur
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Anmeldungsdatum: 09.01.2005
Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1693617) Verfasst am: 04.10.2011, 00:34    Titel: Antworten mit Zitat

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich bin nun in dieser Frage eher Pragmatiker: diesen Streit halte ich nicht für besonders fruchtbar, ich sehe nicht so recht, was daraus praktisch folgen könnte oder sollte. Außerdem ist mir das letztlich zu kompliziert, wenn man wirklich philosophisch tief einsteigen will.

Wenn es tatsächlich eine Irreduzibilität gibt, die nicht mit dem Beginn der Physik zusammenfällt, dann haben die Wissenschaften ein mächtiges Problem. Das würde dem Grundprinzip der Kausalität widersprechen.

Wieso? Was meinst Du mit "die mit dem Beginn der Physik zusammenfällt"? Und welche Art der Reduktion meinst Du jetzt: ontologisch oder epistemisch?

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Daraus würde folgen, dass das gesamte Wissen falsch ist bzw. man nicht sagen kann ob es falsch oder wahr ist. Die Logik selbst wäre im Arsch (sorry).

Weil?

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Eine weitere Folge wäre, dass man bei einem Problem nicht mehr weiterdenkt, weil man es für nicht reduzierbar hält (obwohl es das ist). Es wäre aber auch nicht schlimm, die Aussage wäre eh nichtssagend.

Wieso?

Methodologischer Reduktionismus ist doch, wie gesagt, für viele Fragen zielführend für eine gute Erklärung, aber nicht in allen Fragen. Wenn man also eine hinreichende Erklärung für eine Frage hat, die nicht reduktionistisch ist, wieso sollte man dann zusätzlich eine reduktionistische Erklärung suchen? Und umgekehrt: wenn man keine hinreichende Erklärung für eine Frage hat und weiß, dass reduktionistische Erklärungen möglich sind, wieso sollte man die dann nicht suchen?
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Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#1693633) Verfasst am: 04.10.2011, 09:01    Titel: Antworten mit Zitat

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:

Da man die Stärke der Wechselwirkungen kennt, ...

Ja, wenn man die kennt. Im Falle des Wassers mag das einfach sein, in anderen Fälle entdeckt man Wechselwirkungen erst nachträglich. Aber es bleiben eben Wechselwirkungen, die sich erst aus einer bestimmten Anordnung ergeben, nicht Eigenschaften der Objekte selbst, so wie sich die Eigenschaften eines Rades aus seiner Form ergeben, nicht aus dem Material, aus dem es gemacht ist.
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Tom der Dino
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Anmeldungsdatum: 20.07.2011
Beiträge: 3949

Beitrag(#1693647) Verfasst am: 04.10.2011, 10:23    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich bin nun in dieser Frage eher Pragmatiker: diesen Streit halte ich nicht für besonders fruchtbar, ich sehe nicht so recht, was daraus praktisch folgen könnte oder sollte. Außerdem ist mir das letztlich zu kompliziert, wenn man wirklich philosophisch tief einsteigen will.

Wenn es tatsächlich eine Irreduzibilität gibt, die nicht mit dem Beginn der Physik zusammenfällt, dann haben die Wissenschaften ein mächtiges Problem. Das würde dem Grundprinzip der Kausalität widersprechen.

Wieso? Was meinst Du mit "die mit dem Beginn der Physik zusammenfällt"? Und welche Art der Reduktion meinst Du jetzt: ontologisch oder epistemisch?


Der Beginn der Physik ist der Moment der Bildung der in unserem Universum geltenden Naturkonstanten, der Urknall. In der allgemeinen Relativitätstheorie entstehen mit dem Urknall Raum und Zeit, in der weiterführenden Schleifen-Quantengravitation der Raum. Wie das in der String-, oder M- Theorie aussieht weiss ich nicht genau, es dürfte aber ebenso eine Art Urknall geben, da die ART ja ein Spezialfall der M-Theorie sein sollte. In allen Fällen fängt mit dem Urknall unsere jetzige Physik an, es ist also der Ursprung der Naturgesetze. Ab dem Urknall entwickelt sich alles, baut kausal aufeinander auf.
Daraus folgt, dass eine Reduktion im ontologischen Sinne möglich, ja gerade zu sicher ist, epistemischer Reduktionismus folgt daraus dann ebenfalls. Den methodologischen Reduktionismus
verstehe ich als möglich aber in der Praxis zu kompliziert. Damit verhält es sich nach meinem Verständnis ähnlich wie mit den Planck-Einheiten. Es ist möglich diese fundamentalen Einheiten zu nutzen allerdings ist es nicht wirklich "alltagstauglich".


AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Daraus würde folgen, dass das gesamte Wissen falsch ist bzw. man nicht sagen kann ob es falsch oder wahr ist. Die Logik selbst wäre im Arsch (sorry).

Weil?
Wenn es eine echte Irreduzibilität gäbe auf einer Ebene über dem Urknall, gäbe es Eigenschaften der darunterliegenden Ebene die eine andere Eigenschaft als die Irreduzible ergeben. Es gäbe für ein System vollkommen gleicher Konfiguration 2 oder mehr verschiedene Phänomene gleichzeitig. Also verschieden im Sinne von gleichzeitig Blau und Rot und zwar nach Zusammenbruch der Wellenfunktion. 2+3 könnte dann gleichzeitig 5 und "nicht 5" sein, da sich 5 plötzlich nicht mehr auf 2+3 reduzieren lässt. Man könnte nicht mehr entscheiden, ob etwas reduzierbar ist oder nicht.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Eine weitere Folge wäre, dass man bei einem Problem nicht mehr weiterdenkt, weil man es für nicht reduzierbar hält (obwohl es das ist). Es wäre aber auch nicht schlimm, die Aussage wäre eh nichtssagend.

Wieso?

Siehe oben

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Methodologischer Reduktionismus ist doch, wie gesagt, für viele Fragen zielführend für eine gute Erklärung, aber nicht in allen Fragen. Wenn man also eine hinreichende Erklärung für eine Frage hat, die nicht reduktionistisch ist, wieso sollte man dann zusätzlich eine reduktionistische Erklärung suchen? Und umgekehrt: wenn man keine hinreichende Erklärung für eine Frage hat und weiß, dass reduktionistische Erklärungen möglich sind, wieso sollte man die dann nicht suchen?

Eine Erklärung ist dann hinreichend wenn sie nicht irgendwelchen Erkenntnissen widerspricht. Sobald sie das tut, ist entweder die Erklärung falsch oder die Erkenntnisse sind es. Die Suche nach einer reduktionistischen Erklärung ist also immer die Probe ob die Erklärung stimmt.

Allein die Möglichkeit der Irreduzibilität gibt eine Antwort auf alle Fragen. Sie lautet: "Es ist eben so." Sie enthält keine Information, sie führt nur zur Einstellung des Forschens.
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Tom der Dino
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Beitrag(#1693648) Verfasst am: 04.10.2011, 10:34    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Tom der Dino hat folgendes geschrieben:

Da man die Stärke der Wechselwirkungen kennt, ...

Ja, wenn man die kennt. Im Falle des Wassers mag das einfach sein, in anderen Fälle entdeckt man Wechselwirkungen erst nachträglich. Aber es bleiben eben Wechselwirkungen, die sich erst aus einer bestimmten Anordnung ergeben, nicht Eigenschaften der Objekte selbst, so wie sich die Eigenschaften eines Rades aus seiner Form ergeben, nicht aus dem Material, aus dem es gemacht ist.


Der Zeitpunkt der Entdeckung der Wechselwirkung ist irrelevant. Sie bestand schon vorher.

Die Wechselwirkungen ergeben sich aus den Eigenschaften der Objekte. Wäre es nicht so, gäbe es keinen Grund dafür das Schwefelwasserstoff gasförmig ist, Wasser dagegen flüssig.

Eine Eigenschaft des Rades ist der feste Aggregatzustand. Du brauchst zumindest ein Material das fest ist. Das ergibt sich aus den molekularen Wechselwirkungen und den Umgebungsparametern wie Druck und Temperatur. Die Art und Weise wie das Rad seine Form erhält, ist auch eine physikalische.

Du könntest jetzt natürlich sagen, dass die Arbeit die du in das Hobeln, Biegen etc. eines Holzrades steckst, nicht in den "Holzmolekülen" liegt. Damit hast du recht. Allerdings sind die physikalischen Prozesse, die du angewendet hast, ebenfalls Einzelteile die zum System Rad gehören und damit ist das Rad reduzierbar.
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Marcellinus
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Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#1693649) Verfasst am: 04.10.2011, 10:43    Titel: Antworten mit Zitat

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Tom der Dino hat folgendes geschrieben:

Da man die Stärke der Wechselwirkungen kennt, ...

Ja, wenn man die kennt. Im Falle des Wassers mag das einfach sein, in anderen Fälle entdeckt man Wechselwirkungen erst nachträglich. Aber es bleiben eben Wechselwirkungen, die sich erst aus einer bestimmten Anordnung ergeben, nicht Eigenschaften der Objekte selbst, so wie sich die Eigenschaften eines Rades aus seiner Form ergeben, nicht aus dem Material, aus dem es gemacht ist.


Der Zeitpunkt der Entdeckung der Wechselwirkung ist irrelevant. Sie bestand schon vorher.

Die Wechselwirkungen ergeben sich aus den Eigenschaften der Objekte. Wäre es nicht so, gäbe es keinen Grund dafür das Schwefelwasserstoff gasförmig ist, Wasser dagegen flüssig.

Eine Eigenschaft des Rades ist der feste Aggregatzustand. Du brauchst zumindest ein Material das fest ist. Das ergibt sich aus den molekularen Wechselwirkungen und den Umgebungsparametern wie Druck und Temperatur. Die Art und Weise wie das Rad seine Form erhält, ist auch eine physikalische.

Du könntest jetzt natürlich sagen, dass die Arbeit die du in das Hobeln, Biegen etc. eines Holzrades steckst, nicht in den "Holzmolekülen" liegt. Damit hast du recht. Allerdings sind die physikalischen Prozesse, die du angewendet hast, ebenfalls Einzelteile die zum System Rad gehören und damit ist das Rad reduzierbar.

Eine Eigenschaft des Rades ist der feste Aggregatzustand, aber nicht alles, was fest ist, rollt auch. Es ist die Form, wesentlich der kreisförmige Querschnitt und die Achse in der Mitte, dazu die Aufhängung der Achse usw., die ein Rad ausmacht, nicht das Material, und die Form ist nicht Teil der Eigenschaften der einzelnen Elemente eines Rades.
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Tom der Dino
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Beitrag(#1693651) Verfasst am: 04.10.2011, 10:54    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Tom der Dino hat folgendes geschrieben:

Da man die Stärke der Wechselwirkungen kennt, ...

Ja, wenn man die kennt. Im Falle des Wassers mag das einfach sein, in anderen Fälle entdeckt man Wechselwirkungen erst nachträglich. Aber es bleiben eben Wechselwirkungen, die sich erst aus einer bestimmten Anordnung ergeben, nicht Eigenschaften der Objekte selbst, so wie sich die Eigenschaften eines Rades aus seiner Form ergeben, nicht aus dem Material, aus dem es gemacht ist.


Der Zeitpunkt der Entdeckung der Wechselwirkung ist irrelevant. Sie bestand schon vorher.

Die Wechselwirkungen ergeben sich aus den Eigenschaften der Objekte. Wäre es nicht so, gäbe es keinen Grund dafür das Schwefelwasserstoff gasförmig ist, Wasser dagegen flüssig.

Eine Eigenschaft des Rades ist der feste Aggregatzustand. Du brauchst zumindest ein Material das fest ist. Das ergibt sich aus den molekularen Wechselwirkungen und den Umgebungsparametern wie Druck und Temperatur. Die Art und Weise wie das Rad seine Form erhält, ist auch eine physikalische.

Du könntest jetzt natürlich sagen, dass die Arbeit die du in das Hobeln, Biegen etc. eines Holzrades steckst, nicht in den "Holzmolekülen" liegt. Damit hast du recht. Allerdings sind die physikalischen Prozesse, die du angewendet hast, ebenfalls Einzelteile die zum System Rad gehören und damit ist das Rad reduzierbar.

Eine Eigenschaft des Rades ist der feste Aggregatzustand, aber nicht alles, was fest ist, rollt auch. Es ist die Form, wesentlich der kreisförmige Querschnitt und die Achse in der Mitte, dazu die Aufhängung der Achse usw., die ein Rad ausmacht, nicht das Material, und die Form ist nicht Teil der Eigenschaften der einzelnen Elemente eines Rades.


Sicher nicht alles was fest ist, rollt. Aber alles was fest ist, kann rollen wenn es durch physikalische Prozesse wie Schleifen, Hobeln, Biegen, Brechen etc. in die Form eines Rades gebracht wird. Diese physikalischen Prozesse sind ebenfalls Bestandteile des Rades, neben den Molekülen. Diese Bestandteile dürfen nicht einfach subtrahiert werden. Klar kann ich sagen, etwas ist emergent, indem ich geflissentlich eine Eigenschaft der Bestandteile ignoriere, aber letztendlich ist es trotzdem falsch.
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Marcellinus
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Beitrag(#1693652) Verfasst am: 04.10.2011, 11:02    Titel: Antworten mit Zitat

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:

Sicher nicht alles was fest ist, rollt. Aber alles was fest ist, kann rollen wenn es durch physikalische Prozesse wie Schleifen, Hobeln, Biegen, Brechen etc. in die Form eines Rades gebracht wird. Diese physikalischen Prozesse sind ebenfalls Bestandteile des Rades, neben den Molekülen. Diese Bestandteile dürfen nicht einfach subtrahiert werden. Klar kann ich sagen, etwas ist emergent, indem ich geflissentlich eine Eigenschaft der Bestandteile ignoriere, aber letztendlich ist es trotzdem falsch.

Verstehst du nicht, worum es geht? Der Produktionsprozeß ist vollkommen ohne Belang. Die Form ist, was etwas zu einem Rad macht und diese Form läßt sich zwar herstellen, aber auch das Herstellen ist nicht Teil der Eigenschaften des Materials. Die Anordnung der Atome und Moleküle ist, was daraus ein Rad macht, und diese Anordnung ist etwas zusätzliches, und wenn es zum ersten Mal entsteht, sogar etwas Neues. Ich ignoriere die Eigenschaften der Bestandteile nicht, aber sie sind nicht hinreichend, um eine Rad zu bilden.
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Tom der Dino
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Beitrag(#1693655) Verfasst am: 04.10.2011, 11:33    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:

Der Produktionsprozeß ist vollkommen ohne Belang. Die Form ist, was etwas zu einem Rad macht und diese Form läßt sich zwar herstellen, aber auch das Herstellen ist nicht Teil der Eigenschaften des Materials. Die Anordnung der Atome und Moleküle ist, was daraus ein Rad macht, und diese Anordnung ist etwas zusätzliches, und wenn es zum ersten Mal entsteht, sogar etwas Neues. Ich ignoriere die Eigenschaften der Bestandteile nicht, aber sie sind nicht hinreichend, um eine Rad zu bilden.


Gut, ich versuche es nochmal anders. Wasser ist flüssig in einem bestimmten Temperaturbereich und in einem bestimmten Druckbereich. Die physikalischen Parameter Druck und Temperatur sind neben den Wassermolekülen Bestandteile des Systems "flüssiges Wasser". Diese physikalischen Parameter finden Ausdruck in der Bewegungsenergie der Moleküle. Änderst du diese Parameter, kann es passieren dass die Eigenschaft "flüssig" verschwindet und es entsteht die Eigenschaft "gasförmig". Über die Parameter änderst du die Eigenschaften der Moleküle.

Beim Beispiel Rad änderst du durch das "In-Form-bringen" die Eigenschaften einiger Moleküle. Die Gesamtänderung führt am Ende zur Form des Rades.

Sicher ist es einfacher zu beschreiben, wenn man den Begriff Emergenz benutzt, man kann sicher auch besser einteilen in Materialien und Methoden zum Beispiel. Sicher kann dadurch auch etwas neues entstehen, aber selbst dieses Neue ist durch Material und Herstellungsvorschrift definiert.
Wenn du jetzt sagst die Eigenschaft eines Dinges ist verglichen mit den Eigenschaften des Materials eine neue, eine emergente Eigenschaft, hast du Recht. Du lässt dann aber die Herstellungsvorschrift unter den Tisch fallen. Damit ist Emergenz nur eine Definition, die zur einfacheren Erklärung taugt.
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Marcellinus
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Beitrag(#1693671) Verfasst am: 04.10.2011, 12:58    Titel: Antworten mit Zitat

In Robert B. Laughlins Buch "Abschied von der Weltformel" findet sich einiges zum Thema Emergenz, das er auch das Prinzip der Organisation nennt, eine hierarchische Ordnung von Gesetzen, die aus kollektiver Organisation ihrer jeweiligen Bestandteile hervorgehen, wobei die Gesetz der einen Ebene sich eben nicht zurückführen lassen auf die der Ebenen darunter. Die Newtons Gesetze, so schreibt er, seien eben nicht ein Grenzfall der Quantenmechanik.

Ähnlich ist es in der Biologie. Die Regeln der Evolution wären vermutlich kaum anders, wenn die Lebewesen, die sie bilden, nicht auf Kohlenstoff basieren würden, sondern auf einer anderen Chemie. Gleiches kann man für die Sozialwissenschaften sagen. Menschliche Gesellschaften werden von Menschen gebildet und ihren wechselseitigen Beziehungen und Abhängigkeiten untereinander, und doch haben diese Gesellschaften Eigenschaften, die sich nicht auf die ihrer einzelnen Mitglieder reduzieren lassen.
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Beitrag(#1693689) Verfasst am: 04.10.2011, 14:30    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
In Robert B. Laughlins Buch "Abschied von der Weltformel" findet sich einiges zum Thema Emergenz, das er auch das Prinzip der Organisation nennt, eine hierarchische Ordnung von Gesetzen, die aus kollektiver Organisation ihrer jeweiligen Bestandteile hervorgehen, wobei die Gesetz der einen Ebene sich eben nicht zurückführen lassen auf die der Ebenen darunter. Die Newtons Gesetze, so schreibt er, seien eben nicht ein Grenzfall der Quantenmechanik.
Das habe ich aber immer anders gelesen. Die Newtonsche Physik ist ein Spezialfall der QT und der ART. Das dem nicht so ist muss mir erstmal gezeigt werden.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Ähnlich ist es in der Biologie. Die Regeln der Evolution wären vermutlich kaum anders, wenn die Lebewesen, die sie bilden, nicht auf Kohlenstoff basieren würden, sondern auf einer anderen Chemie. Gleiches kann man für die Sozialwissenschaften sagen. Menschliche Gesellschaften werden von Menschen gebildet und ihren wechselseitigen Beziehungen und Abhängigkeiten untereinander, und doch haben diese Gesellschaften Eigenschaften, die sich nicht auf die ihrer einzelnen Mitglieder reduzieren lassen.

Die Regeln der Evolution sind im Grunde genommen Regeln die schon in der chemischen Kinetik und Thermodynamik angelegt sind. Sie entstehen nicht erst mit Entstehung des Lebens oder irgendwelcher komplexer Gebilde. Es ist eher so, dass sich das Kohlenstoff-basierte Leben auf die physikalischen Parameter zurückführen lässt. Die Regeln wären für Stickstoffbasierte Lebewesen vielleicht nicht anders aber die Bedingungen unter denen dieses Leben ent- und fortbesteht wären komplett verschieden.
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Marcellinus
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Beitrag(#1693706) Verfasst am: 04.10.2011, 16:20    Titel: Antworten mit Zitat

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Das habe ich aber immer anders gelesen. Die Newtonsche Physik ist ein Spezialfall der QT und der ART. Das dem nicht so ist muss mir erstmal gezeigt werden.

Newtonsche Physik und Quantenmechanik beziehen sich auf unterschiedliche Objekte. Ich denke, obwohl ich ganz ausdrücklich darauf hinweise, daß ich kein Physiker bin, daß der, der solch einen Spezialfall behauptet, dies beweisen sollte und soweit ich das verstanden habe, ist genau das bis heute nicht möglich.

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:

Die Regeln der Evolution sind im Grunde genommen Regeln die schon in der chemischen Kinetik und Thermodynamik angelegt sind. Sie entstehen nicht erst mit Entstehung des Lebens oder irgendwelcher komplexer Gebilde.

Auch hier wieder, ich bin kein studierter Biologe, aber soweit meine Biologiekenntnisse reichen, gehen die Mechanismen der biologischen Evolution durchaus über Regeln der Physik und Chemie hinaus.

Ich kann dir aber aus eigener Kenntnis vertrauensvoll versichern, daß es nicht möglich ist, zB die Entwicklung menschlicher Gesellschaften aus Physik und Chemie allein zu erklären, nicht einmal mit Hilfe der Biologie, die du ja als Reduktionist auch schon raushalten müßtest. Menschliche Gesellschaften bestehen ausschließlich aus Menschen, und doch haben sie Eigenschaften, die sich nicht auf die Eigenschaften der einzelnen Menschen reduzieren lassen, von denen sie gebildet werden. Es sind die wechselseitigen Abhängigkeiten und Beziehungen, die Machtgewichte, kurz die Figuration, die diese Menschen miteinander bilden, die den Entwicklungsprozeß von Gesellschaften bestimmen.
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Beitrag(#1693712) Verfasst am: 04.10.2011, 17:25    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
.....
Auch hier wieder, ich bin kein studierter Biologe, aber soweit meine Biologiekenntnisse reichen, gehen die Mechanismen der biologischen Evolution durchaus über Regeln der Physik und Chemie hinaus. ....

jaaaiiin. Sie basieren auf ihnen, finden aber auf einer anderen Ebene statt. Der für mich wesentliche Unterschied bei diesem Ebenenwechsel besteht darin, dass die Historie plötzlich wichtig wird, d.h. wir haben kumulatorische Effekte.

Das selbe gilt dann auch bei dem Ebenenwechsel von der Biologie zur Soziologie.

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Tom der Dino
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Beitrag(#1693713) Verfasst am: 04.10.2011, 17:32    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Das habe ich aber immer anders gelesen. Die Newtonsche Physik ist ein Spezialfall der QT und der ART. Das dem nicht so ist muss mir erstmal gezeigt werden.

Newtonsche Physik und Quantenmechanik beziehen sich auf unterschiedliche Objekte. Ich denke, obwohl ich ganz ausdrücklich darauf hinweise, daß ich kein Physiker bin, daß der, der solch einen Spezialfall behauptet, dies beweisen sollte und soweit ich das verstanden habe, ist genau das bis heute nicht möglich.
Das ist falsch. Jede neue physikalische Theorie sollte die alten zutreffenden als Spezialfall enthalten. Das nennt sich Korrespondenzprinzip. Das trifft auch auf die Übergänge zwischen Newtonscher und Quantenphysik zu.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Tom der Dino hat folgendes geschrieben:

Die Regeln der Evolution sind im Grunde genommen Regeln die schon in der chemischen Kinetik und Thermodynamik angelegt sind. Sie entstehen nicht erst mit Entstehung des Lebens oder irgendwelcher komplexer Gebilde.

Auch hier wieder, ich bin kein studierter Biologe, aber soweit meine Biologiekenntnisse reichen, gehen die Mechanismen der biologischen Evolution durchaus über Regeln der Physik und Chemie hinaus.
Guckst du hier.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Ich kann dir aber aus eigener Kenntnis vertrauensvoll versichern, daß es nicht möglich ist, zB die Entwicklung menschlicher Gesellschaften aus Physik und Chemie allein zu erklären, nicht einmal mit Hilfe der Biologie, die du ja als Reduktionist auch schon raushalten müßtest. Menschliche Gesellschaften bestehen ausschließlich aus Menschen, und doch haben sie Eigenschaften, die sich nicht auf die Eigenschaften der einzelnen Menschen reduzieren lassen, von denen sie gebildet werden. Es sind die wechselseitigen Abhängigkeiten und Beziehungen, die Machtgewichte, kurz die Figuration, die diese Menschen miteinander bilden, die den Entwicklungsprozeß von Gesellschaften bestimmen.
Ich muss die Biologie nicht heraushalten. Ich kann ja auch über die Gebiete der Wissenschaften ein Korrespondenzprinzip annehmen. Die Chemie ist gegründet auf die Physik. Die Biologie ist auf die Chemie gegründet und damit auch auf die Physik. Was menschliche Gesellschaften angeht, sind diese so ungemein komplex, dass es einfach unsinnig ist, alles auf die Physik zu reduzieren. Untersuchungen würden viel zu lange dauern und zu teuer werden. Aber ich würde erstmal behaupten, dass Gesellschaften, gerade die des Menschen, nicht nur durch die Menschen gebildet werden, sondern auch durch Ideen, durch ihre Vergangenheit und Kultur, durch ihre Beziehungen zu anderen Gesellschaften, durch den Zugang zu Ressourcen, durch geographische Gegebenheiten etc. pp.. Dadurch wird es so komplex, dass ein Top-Down Ansatz vielversprechender ist als ein Bottom-Up Ansatz. Der Bottom-Up Ansatz ist aber prinzipiell trotzdem möglich.
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step
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Beitrag(#1693739) Verfasst am: 04.10.2011, 18:54    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich warte also einfach ab, was reduziert und / oder eliminiert werden kann.

Das scheint mir praktisch gesehen durchaus eine vernünftige Einstellung.
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Beitrag(#1693744) Verfasst am: 04.10.2011, 19:05    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Was sind denn abstrakte Phänomene?
Z.B. Logik, Mathematik, Universalien, Gefühle, Wahrheit (von Sätzen), Demokratie, Abstraktion, Theorien.

Nur so OT: ich würde sagen, jedes davon ist entweder abstrakt oder ein Phänomen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ja, wenn mit 'prinzipiell' ... gemeint sein sollte: "nach heutigem Wissen (und darauf aufbauenden Argumenten)", dann ist eine Diskussion darüber sinnvoll möglich. Im anderen Falle nicht.

Ja natürlich. Es ist immer alles nur "nach heute bestem Wissen".
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Marcellinus
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Beitrag(#1693799) Verfasst am: 04.10.2011, 21:27    Titel: Antworten mit Zitat

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Das ist falsch. Jede neue physikalische Theorie sollte die alten zutreffenden als Spezialfall enthalten. Das nennt sich Korrespondenzprinzip. Das trifft auch auf die Übergänge zwischen Newtonscher und Quantenphysik zu.


Komisch, in dem Wiki-Artikel, den du zitierst, steht es anders:
Zitat:
Eines der großen Probleme des Theoriengebäudes der Physik besteht derzeit darin, dass seine beiden Säulen, die allgemeine Relativitätstheorie und die Quantenphysik, in ihrer Beziehung zueinander das Korrespondenzprinzip nicht erfüllen.
Quelle
Die Video scheint auch nicht unumstritten zu sein.

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:

Ich muss die Biologie nicht heraushalten. Ich kann ja auch über die Gebiete der Wissenschaften ein Korrespondenzprinzip annehmen. Die Chemie ist gegründet auf die Physik. Die Biologie ist auf die Chemie gegründet und damit auch auf die Physik. Was menschliche Gesellschaften angeht, sind diese so ungemein komplex, dass es einfach unsinnig ist, alles auf die Physik zu reduzieren. Untersuchungen würden viel zu lange dauern und zu teuer werden. Aber ich würde erstmal behaupten, dass Gesellschaften, gerade die des Menschen, nicht nur durch die Menschen gebildet werden, sondern auch durch Ideen, durch ihre Vergangenheit und Kultur, durch ihre Beziehungen zu anderen Gesellschaften, durch den Zugang zu Ressourcen, durch geographische Gegebenheiten etc. pp.. Dadurch wird es so komplex, dass ein Top-Down Ansatz vielversprechender ist als ein Bottom-Up Ansatz. Der Bottom-Up Ansatz ist aber prinzipiell trotzdem möglich.

Wenn ein Top-Down-Ansatz, wie du es nennst (was immer das sein soll) wissenschaftlich funktionieren soll, muß er erst einmal möglich sein. Daß Chemie auf Physik beruht, Biologie auf Chemie und Soziologie auf Biologie, bestreitet ja keiner, nur erschöpfen sie sich eben nicht darin, sondern gehen darüber hinaus, und das geht nur, weil es Emergenz auf den unterschiedlichen Ebenen gibt.

Fassen wir also zusammen: Du behauptest, alles ließe sich bis auf die unterste Ebene der Physik reduzieren, obwohl du dafür weder Beweise anbringen kannst, noch heute irgendjemand diese unterste Ebene der Physik kennt.

Ich stell dagegen fest, daß es Reduzierungen gibt, daß sie gelegentlich möglich und manchmal sogar notwendig sind. Nie gehen diese Reduzierungen bis auf eine sogenannte unterste Ebene der physikalischen Objekte, denn eine solche Ebene kennen wir bisher nicht, wenn sie denn existiert. Viele Phänomene aus dem Bereich der Biologie lassen sich dagegen ohne Reduzierung auf die Physik erklären und mit Reduzierung nicht. Gleiches gilt für die Beziehung zwischen Biologie und Soziologie.

Ich denke, meine Position ist so unvernünftig nicht.
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Beitrag(#1693812) Verfasst am: 04.10.2011, 21:44    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Das ist falsch. Jede neue physikalische Theorie sollte die alten zutreffenden als Spezialfall enthalten. Das nennt sich Korrespondenzprinzip. Das trifft auch auf die Übergänge zwischen Newtonscher und Quantenphysik zu.


Komisch, in dem Wiki-Artikel, den du zitierst, steht es anders:
Zitat:
Eines der großen Probleme des Theoriengebäudes der Physik besteht derzeit darin, dass seine beiden Säulen, die allgemeine Relativitätstheorie und die Quantenphysik, in ihrer Beziehung zueinander das Korrespondenzprinzip nicht erfüllen.

Deine Behauptung war trotzdem falsch.

Die SRT liefert Newton für kleine Geschwindigkeiten.
Die ART liefert die SRT für kleine Massen.
Die ART liefert Newton für kleine Massen und kleine Geschwindigkeiten.
Die QM liefert Newton für Ensemble-Mittelwerte von Observablen.

QM und SRT sind ganz unterschiedliche Theorien, keine folgt aus der anderen, aber es gibt inzwischen eine Theorie, die beide vereinheitlicht.

Und das ist eben mit QM und ART noch nicht gelungen. Kommt aber sicher bald ... zwinkern
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Beitrag(#1693816) Verfasst am: 04.10.2011, 22:07    Titel: Antworten mit Zitat

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:

Was menschliche Gesellschaften angeht, sind diese so ungemein komplex, dass es einfach unsinnig ist, alles auf die Physik zu reduzieren. Untersuchungen würden viel zu lange dauern und zu teuer werden. Aber ich würde erstmal behaupten, dass Gesellschaften, gerade die des Menschen, nicht nur durch die Menschen gebildet werden, sondern auch durch Ideen, durch ihre Vergangenheit und Kultur, durch ihre Beziehungen zu anderen Gesellschaften, durch den Zugang zu Ressourcen, durch geographische Gegebenheiten etc. pp..

Dazu muß ich noch gesondert etwas sagen. Gesellschaften werden also nur durch Menschen gebildet? Was sind denn Ideen deiner Ansicht nach, was ist Vergangenheit und Kultur?

Menschliche Gesellschaften werden natürlich ausschließlich von Menschen gebildet, und ihren Beziehungen zueinander und ihren Abhängigkeiten voneinander. Diese Menschen haben Vorstellungen, von sich, von anderen, von der Vergangenheit, und Träume von der Zukunft. All das bestimmt ihr Verhalten. Aber ihre Gesellschaften macht noch mehr aus, daß zwar unabhängig von den jeweils einzelnen Menschen, aber nicht von Menschen insgesamt.

Menschen bilden Figurationen, die länger existieren, als die einzelnen Menschen selbst. Menschen wachsen in diese Figurationen hinein, am Anfang unselbstängig, später immer selbständiger, bis sie dann die Figuration ausmachen, in die die nächste Generation hineinwächst. Die Figurationen prägt die Menschen, die in ihr leben, die sie bilden, aber die Figuration verändert sich auch mit den wechselnden Menschen, wenn auch langsamer, als die Menschen selbst. Unsere Sprache zeigt ziemlich gut, wie soetwas funktioniert, wie zB Dialekte weitergegeben, aber auch langsam verändert werden. Sprachen wie Ideen können nicht existieren ohne Menschen, die sie sprechen oder denken, und doch scheinen sie ein Eigenleben zu besitzen, sich mit anderer Geschwindigkeit und in anderen Zeitabläufen zu existieren als "ihre" Menschen.

Machtbeziehungen sind auch so eine Eigenschaft von Figurationen, die nicht Eigenschaften der vielen einzelnen Menschen sind, sondern ein Charakteristikum der Beziehungen zwischen ihnen, wobei es nicht um ein entweder-oder geht, sondern um ein mehr-oder-weniger. Niemand ist vollkommen machtlos, niemand ist allmächtig, mögen die Machtgefälle auch noch so groß sein.

Und schließlich gibt es Entwicklungsrichtungen von Figurationen. Wir erleben gerade einen Prozeß der zunehmenden Integration, der Ausweitung und Verstärkung von Interdependenzketten selbst über die Grenzen von Gesellschaften und Staaten hinweg (Stichwort: Globalisierung). Die verstärkt einerseits die wechselseitige Abhängigkeit (paradigmatisch zwischen an sich antogonistischen Staaten wie USA und China), andererseits vermehrt es aber auch Konflikte.

Manche dieser Entwicklungen sind uns bewußt, viele nicht, aber immer sind es ungeplante Prozesse, die aus dem geplanten Handeln der vielen einzelnen Menschen entstehen. Und obwohl diese Prozesse ausschließlich das Ergebnis der Handlungen vieler einzelner Menschen sind, ist jeder einzelne von uns ihnen in einer Weise ausgesetzt, die Naturgewalten nicht unähnlich ist.

Das alles läßt sich nicht nur nicht auf Physik reduzieren (obwohl jeder einzelne Mensch natürlich aus Atomen und Molekülen besteht), es geht auch über bloße Biologie weit hinaus, obwohl alle Menschen biologische Lebewesen sind und sich einige Eigentümlichkeiten menschlicher Gesellschaften sicherlich auch schon bei gruppenbildenden Primaten finden.

Vielleicht verstehst du nun etwas besser, warum mir diese Vorstellungen von Reduktionismus so fern liegen. Mich interessiert diese Welt im Ganzen, Physik, Biologie und Soziologie, die Welt der Dinge, der Lebewesen und der Menschen, mich interessiert die Entwicklung unserer Erkenntnisfähigkeit bis hin zu den modernen Wissenschaften, das Verhältnis von Glauben und Wissen, die Bedeutung von Fantasie und Weltanschauungen, und das Ganze in einer Weise, daß es einerseits realistisch und nachprüfbar ist und andererseits noch in einen durchaus begrenzten Kopf wie meinen paßt.
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