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Kann Wissenschaft moralische Fragen beantworten?
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#1698716) Verfasst am: 23.10.2011, 19:49    Titel: Antworten mit Zitat

Landei hat folgendes geschrieben:
Wenn ich Harris richtig verstanden habe, ist Ethik für ihn (und für mich) eine "Halbordnung": In manchen Fällen ist objektiv nicht zu klären, welche Alternative besser ist, aber in vielen Fällen (deren Existenz viele "Relativisten" nicht eingestehen wollen) eben doch.

Für die Frage, ob man eine optimale Ethik aus dem Sein ableiten kann, ist es aber erstmal irrelevant, ob "die Ethik" (welche?) eine Halbordnung ist oder nicht. Das habe ich oben versucht zu zeigen.

Landei hat folgendes geschrieben:
Nehmen wir das "salomonische" Problem mit dem Kind und den zwei angeblichen Müttern. Wenn sich beide ungefähr gleich verhalten, kann nicht gesagt werden, dass die Entscheidung für eine besser als die für die andere ist. Was gesagt werden kann ist, dass die Entscheidung, das Kind in zwei Hälften zu zerteilen, mit Sicherheit schlechter ist als die beiden vorhergehenden. Und in Fällen, wo das nicht so klar ist wie hier, kann die Wissenschaft helfen, einen besseren Vergleich zwischen den Alternativen zu finden, so er denn möglich ist.

Ja, aber das alles setzt bereits eine Ethik voraus, die daher vorerst axiomatischer Natur bleibt.
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Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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smallie
resistent!?



Anmeldungsdatum: 02.04.2010
Beiträge: 3726

Beitrag(#1698761) Verfasst am: 23.10.2011, 22:28    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
... Was er nun aber sagt, ist, dass Wohlbefinden Einzelner angeblich ein objektiv feststellbares Faktum sei, unabhängig davon, ob der Einzelne das auch so sieht oder nicht und dass man dieses objektive Wohlbefinden irgendwie maximieren soll.

Obwohl ich auch der Ansicht bin, daß Wohlbefinden objektiv messbar ist, [...]

Auf den ersten Blick mag es einfach sein, Wohlbefinden zu messen. Mit dem zweiten Blick stellt man fest, daß uns die menschliche Psyche oft einen Streich spielt.

Vor etwa drei Jahren gab es dieses schöne Experiment: man gab Versuchspersonen verschiedene Weine zum Testen, die mit unterschiedlichen Preisschildern versehen waren. Nicht überraschend, wurden die teueren Weine als besser eingestuft. Allerdings hatte man die Versuchspersonen ausgetrickst und gleiche Weine mit unterschiedlichen Preisschildern versehen.

Das wirklich verblüffende an der Sache war aber, daß man mittels fMRT ein gestiegenes Wohlbefinden gemessen hatte, wenn die Versuchspersonen den vermeintlich teuren, aber tatsächlich gleichen Wein tranken.

Zitat:
Expensive Wine Tastes Better

The experiment, led by researchers at Cal-Tech and Stanford, was simple. [A free version of the study is here.] Twenty subjects tasted five wine samples which were distinguished solely by their retail price, with bottles ranging from $5 to $90. Although the subjects were told that all five wines were different, the scientists had actually only given them three different wines. This meant that the first two wines were used twice, but given two different price labels. For example, Wine 1 was labeled as a $35 dollar wine and a $5 wine. The subjects sipped the wines inside an fMRI machine.

Not surprisingly, the subjects consistently reported that the expensive wine tasted better. They preferred the taste of the $90 bottle to the $10 bottle, and thought the $45 bottle was more delicious than than the $5 wine.

What's interesting is that the brain scans reflected these subjective reports. In fact, when people drank more expensive wines a part of the prefrontal cortex called the medial orbitofrontal cortex (mOFC) got significantly more excited. The scientists argue that the activity of mOFC can be used as a neural correlate for pleasure, so that more expensive wines not only tasted better but actually provided us with more "subjective utility," as an economist might say.

http://scienceblogs.com/cortex/2008/01/expensive_wine_tastes_better.php


Wohlbefinden ist also eine äußerst subjektive Sache - und obendrein leicht manipulierbar.

step hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Was Paternalismus Tür und Tor öffnet, ("füge Dich, ist doch nur zu Deinem Besten, wissenschaftlich von ausgewiesenen Moral-Experten festgestellt, auch wenn Du das nicht einsiehst und wir müssen ja das Wohlbefinden aller maximieren, das ist das einzige Ziel aller Ethik").

Hier möchte ich einwenden, daß dem Paternalismus in allen bisherigen Ethiken ebenfalls Tür und Tor geöffnet sind. Sprüche wie die von Dir genannten haben wir in leicht abgewandelter Weise in allen Weltreligionen, im Kommunismus, Faschismus und auch in westlichen parlamentarischen Demokratien, in den meisten Erziehungsmodellen, im Gesundheitssystem, undsoweiter.

Hmm, im obigen Rabbi-Hillel-Zitat sehe ich keinen Paternalismus.

Ansonsten gebe ich dir Recht. Der alte Satz, daß zum Recht auf Freiheit auch das Recht auf Dummheit gehört, scheint immer mehr in Vergessenheit zu geraten.

step hat folgendes geschrieben:
Wenn überhaupt, müßte man einen Ansatz ähnlich einer Differentialgleichung machen, oder ein Eigenwertproblem, in dem auch die Eigenschaften / Präferenzen / Interessen der Subjekte potenziell veränderlich und beeinflußbar sind:

n = Individuum, t= Zeit

EPI = Eigenschaften / Präferenzen / Interessen
N = Nutzenfunktion

Für welchen Satz EPI(n, t) kann man ein N(EPI) finden, so daß N(EPI) über n,t optimierbar und über EPI optimal ist?

Dazu kommt, daß es sein könnte, daß trotz strenger Kausalität die entsprechenden Funktionen nicht stetig / differenzierbar sind, oder gar noch schlimmer.

Ich befürchte, daß auch hier eine Wertung durch die Hintertür hereinkommt.

Wohlbefinden ist keine monolithische Sache, sondern es setzt sich aus vielen Einzelkomponenten zusammen: Gesundheit, persönliche Erfüllung, materieller Wohlstand, Sicherheitwünsche, und so weiter.

Oft stehen diese Komponenten im Widerspruch zueinander: der Nervenkitzel auf einer Skipiste steht gegen Unfallgefahr, Krankenversicherungskosten und Arbeitsausfällen. Wie man diese Einzelkomponenten gewichtet, ist eine Wertentscheidung.


Noch eins fällt mir dazu ein: Arrows Unmöglichkeits-Theorem

Es besagt, daß es unmöglich ist, eine Liste von Präferenzen mehrerer Leute zur Deckung zu bringen. Um die Widersprüche aufzulösen braucht es - Wertentscheidungen.
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#1698802) Verfasst am: 24.10.2011, 10:22    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
... Das wirklich verblüffende an der Sache war aber, daß man mittels fMRT ein gestiegenes Wohlbefinden gemessen hatte, wenn die Versuchspersonen den vermeintlich teuren, aber tatsächlich gleichen Wein tranken. ... Wohlbefinden ist also eine äußerst subjektive Sache - und obendrein leicht manipulierbar.

Ja, freilich. Aber Dein Beispiel bestätigt die Meßbarkeit des Wohlbefindens ja sogar, und nur darauf bezog sich meine Behauptung.

smallie hat folgendes geschrieben:
Hmm, im obigen Rabbi-Hillel-Zitat sehe ich keinen Paternalismus.

Mir ging es nicht um ein Zitat von Rabbi Hillel, sondern darum, daß die Paternalismusgefahr bei herkömmlichen Ethiken nicht unbedingt kleiner ist.

smallie hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
... Für welchen Satz EPI(n, t) kann man ein N(EPI) finden, so daß N(EPI) über n,t optimierbar und über EPI optimal ist? ...
... Oft stehen diese Komponenten im Widerspruch zueinander: der Nervenkitzel auf einer Skipiste steht gegen Unfallgefahr, Krankenversicherungskosten und Arbeitsausfällen. Wie man diese Einzelkomponenten gewichtet, ist eine Wertentscheidung.

Richtig, aber gerade das wäre in meinem Ansatz ja prinzipiell berücksichtigt. Diese Werteentscheidungen (die an den EPIs hängen) würden selbst zu Parametern.

smallie hat folgendes geschrieben:
Noch eins fällt mir dazu ein: Arrows Unmöglichkeits-Theorem

Es besagt, daß es unmöglich ist, eine Liste von Präferenzen mehrerer Leute zur Deckung zu bringen. Um die Widersprüche aufzulösen braucht es - Wertentscheidungen.

Dito.

Übrigens wie gesagt, ich habe diesen Ansatz nur erwähnt, weil er nicht so offensichtlich falsch ist wie eine einfache Wohlbefindenssumme. Ich selbst habe Zweifel an seiner Praktikabilität, sowie auch theoretische Zweifel, ob eine Gleichung ähnlich der von mir angegebenen überhaupt stabile Lösungen hätte.
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AgentProvocateur
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Anmeldungsdatum: 09.01.2005
Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1699422) Verfasst am: 26.10.2011, 18:13    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Obwohl ich auch der Ansicht bin, daß Wohlbefinden objektiv messbar ist, [...]

Auf den ersten Blick mag es einfach sein, Wohlbefinden zu messen. Mit dem zweiten Blick stellt man fest, daß uns die menschliche Psyche oft einen Streich spielt. [...]
Zitat:
Expensive Wine Tastes Better

[...] The scientists argue that the activity of mOFC can be used as a neural correlate for pleasure, so that more expensive wines not only tasted better but actually provided us with more "subjective utility," as an economist might say.

http://scienceblogs.com/cortex/2008/01/expensive_wine_tastes_better.php

Wohlbefinden ist also eine äußerst subjektive Sache - und obendrein leicht manipulierbar.

Harris verwendet 'Wohlbefinden' (well-being) nicht im Sinne von 'pleasure' (Genuss, Freude, Glück):

When the drift of the argument presses him [Harris] towards defining well-being, he says that he is not talking about feelings of pleasure; instead, he tends to invoke ideas of deep satisfaction or fulfillment.

Meine Übersetzung: Wenn ein Argument ihn [Harris] dazu drängt, 'Wohlbefinden' näher zu definieren, dann sagt er, er würde nicht über Gefühle von Genuss reden, stattdessen neigt er dazu, sich auf die Ideen von tiefer Befriedigung oder Erfüllung zu berufen.

Das habe ich aber erst später gesehen, ich dachte auch erst, er würde es im Sinne von 'pleasure' verstehen. (Was aber seine ganze Argumentation per se hinfällig machen würde, denn das liefe dann auf einen primitiven hedonistischen Utilitarismus hinaus, der mE wenig plausibel ist. -> Paternalismus als moralisch richtige / gebotene Handlung, Glückspillen etc. pp.)

Nur ergibt sich nun ein anderes Problem: wir haben nicht mehr nur eine moralische Wertskala, deren aktuellen Werte wir messen können (Glück <-> Leid), sondern mehrere, die in einen Zusammenhang gebracht werden müssen, (z.B. Gerechtigkeit, Wahrheit, Freiheit, Würde, persönliche Integrität, Autonomie, Sicherheit, Stabilität der Gesellschaft etc.). Und das (den wünschenswerten Zusammenhang, die wahre Gewichtung der einzelnen Werte), kann man nicht im Gehirn messen, (ich wüsste jedenfalls nicht, wie) - das ist jedenfalls nicht auf 'pleasure' reduzierbar.

smallie hat folgendes geschrieben:
Wohlbefinden ist keine monolithische Sache, sondern es setzt sich aus vielen Einzelkomponenten zusammen: Gesundheit, persönliche Erfüllung, materieller Wohlstand, Sicherheitwünsche, und so weiter.

Oft stehen diese Komponenten im Widerspruch zueinander: der Nervenkitzel auf einer Skipiste steht gegen Unfallgefahr, Krankenversicherungskosten und Arbeitsausfällen. Wie man diese Einzelkomponenten gewichtet, ist eine Wertentscheidung.

Hm, wenn Moral einfach nur Glücksmaximierung/Leidminimierung wäre, dann könnte man eventuell zumindest optimale Durchschnitts-Lösungen berechnen. Wiewohl eine Durchschnittslösung auch nicht besonders viel weiterhelfen würde. Was ist besser: ein Leben mit Höhen und Tiefen oder ein Leben auf einem gleichbleibenden Niveau? Gibt es eine objektiv richtige Antwort auf diese Frage? Ich glaube nicht, lasse mich aber gerne vom Gegenteil überzeugen.

Moral ist aber nun nicht einfach nur - neuronal messbare - Glücksmaximierung/Leidminimierung, die vielen moralischen Werte können nicht auf Glück/Leid reduziert werden.

Und es ist nicht irrational/dumm, wenn jemand mit einer Handlung nicht Glücksmaximierung/Leidminimierung anstrebt (auch nicht für sich selber) - das wäre es nur dann, wenn man bereits voraussetzte, dass Glücksmaximierung/Leidminimierung angestrebt werden soll. Aber das wäre dann eine petitio principii, denn eben das wäre ja erst zu zeigen.

Aber wie gesagt: in diese Richtung argumentiert Harris auch nicht unbedingt. Nur bleibt dann leider unklar, in welche Richtung er eigentlich argumentiert.

Wenn man, so wie Harris, 'Wohlbefinden' sehr umfassend und unscharf auffasst, dann bleibt das unbefriedigend. Sehr viel besser wäre, die einzelnen moralischen Werte, die bei einer Moral eine Rolle spielen, explizit zu benennen.

Außerdem würde Harris dann nicht falsch verstanden werden, ich schätze, dass viele Leute 'well-being' mit 'pleasure' gleich setzen. Mir scheint z.B., dass der Autor des HPD-Artikels das ebenfalls in diesem Sinne versteht. Und ich muss nochmal sagen, dass ich von dem HPD-Artikel sehr enttäuscht bin, der läuft, so scheint mir, auf ein Schwarz-Weiß-Weltbild hinaus: da die Gläubigen und hier wir, die, mit dem wissenschaftlichen Weltbild. Das finde ich ziemlich abschreckend, spricht nicht für den HPD.

Und übrigens ist noch nicht mal klar, was Harris eigentlich mit 'science' meint. Wenn er damit: 'jedes begründete Argumentieren' meint, (sowas habe ich irgendwo gelesen, habe die Quelle aber nicht parat), dann fände ich das auch merkwürdig, weil missverständlich. Ich schätze, die meisten Leute verstehen unter 'science' 'Wissenschaft', (und einige - besonders im deutschsprachigen Raum - vielleicht auch nur 'Naturwissenschaft').
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Tom der Dino
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Beiträge: 3949

Beitrag(#1699444) Verfasst am: 26.10.2011, 20:10    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Hm, wenn Moral einfach nur Glücksmaximierung/Leidminimierung wäre, dann könnte man eventuell zumindest optimale Durchschnitts-Lösungen berechnen. Wiewohl eine Durchschnittslösung auch nicht besonders viel weiterhelfen würde. Was ist besser: ein Leben mit Höhen und Tiefen oder ein Leben auf einem gleichbleibenden Niveau? Gibt es eine objektiv richtige Antwort auf diese Frage? Ich glaube nicht, lasse mich aber gerne vom Gegenteil überzeugen.

Moral ist aber nun nicht einfach nur - neuronal messbare - Glücksmaximierung/Leidminimierung, die vielen moralischen Werte können nicht auf Glück/Leid reduziert werden.


Ich glaube hier begehst du einen Fehlschluss. Dadurch dass man eine "Durchschnittsmoral" "berechnet" bekommt man ja keine gefühlseingeebneten Menschen, sondern nur grobe Verhaltensregeln für die gesamte Gesellschaft. Trotz allem wird es Gestrauchelte geben, die sich nicht helfen lassen wollen, es wird Kriminelle geben, es wird Egomanen und Psychopathen geben und auch bis zur Menschen die altruistisch bis zur Selbstaufgabe sind. Und natürlich alles damang. Die Moral würde dann nur Umgangsformen prägen, die soviel wie möglich positiv abdeckt ohne gleichgültig zu werden.
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AgentProvocateur
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Anmeldungsdatum: 09.01.2005
Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1699452) Verfasst am: 26.10.2011, 20:43    Titel: Antworten mit Zitat

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Hm, wenn Moral einfach nur Glücksmaximierung/Leidminimierung wäre, dann könnte man eventuell zumindest optimale Durchschnitts-Lösungen berechnen. Wiewohl eine Durchschnittslösung auch nicht besonders viel weiterhelfen würde. Was ist besser: ein Leben mit Höhen und Tiefen oder ein Leben auf einem gleichbleibenden Niveau? Gibt es eine objektiv richtige Antwort auf diese Frage? Ich glaube nicht, lasse mich aber gerne vom Gegenteil überzeugen.

Moral ist aber nun nicht einfach nur - neuronal messbare - Glücksmaximierung/Leidminimierung, die vielen moralischen Werte können nicht auf Glück/Leid reduziert werden.

Ich glaube hier begehst du einen Fehlschluss.

Inwiefern? Am Kopf kratzen

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Dadurch dass man eine "Durchschnittsmoral" "berechnet" bekommt man ja keine gefühlseingeebneten Menschen, sondern nur grobe Verhaltensregeln für die gesamte Gesellschaft.

Wie berechnet man denn eine "Durchschnittsmoral" Deiner Ansicht nach, was ist das Ziel dieser Durchschnittsmoral, wie legt man die Werte und deren Beziehungen zueinander fest? Gibt es nur einen einzigen Wert (Glück <-> Leid) oder gibt es auch andere Werte, die berücksichtigt werden sollten?

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Die Moral würde dann nur Umgangsformen prägen, die soviel wie möglich positiv abdeckt ohne gleichgültig zu werden.

Aber die Frage ist hier doch, was 'positiv' ist und was 'negativ' und wie man das unterscheidet. Bei Extrembeispielen bekommst Du da schnell eine Einigung, ("wo willst Du lieber leben: in Somalia oder in Schweden?"), aber bei andere Fragen eben nicht. Und das sind die interessanten Fragen, nicht die Extrem-Fragen.

- wann darf ein Einzelner zum Wohle der Gemeinschaft geopfert werden?
- is it better to burn out than to fade away?
- ist Abtreibung moralisch richtig oder falsch?
- wie soll man im Trolley-Beispiel handeln?
- soll jemand sich an eine Glücksmaschine anschließen lassen, wenn ihm das in der Summe mehr (virtuelles) Glück beschert als sein Real-Leben?

Diese Fragen sind sehr leicht zu beantworten, wenn man Glücksmaximierung/Leidminimierung von bewussten Wesen einfach mit der einzig wahren Moral gleich setzt. Es fragt sich aber, warum man Glücksmaximierung/Leidminimierung von bewussten Wesen synonym zu Moral setzen sollte, denn das ist ja nicht einfach so in sich selbstverständlich.
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Tom der Dino
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Anmeldungsdatum: 20.07.2011
Beiträge: 3949

Beitrag(#1699460) Verfasst am: 26.10.2011, 21:11    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Hm, wenn Moral einfach nur Glücksmaximierung/Leidminimierung wäre, dann könnte man eventuell zumindest optimale Durchschnitts-Lösungen berechnen. Wiewohl eine Durchschnittslösung auch nicht besonders viel weiterhelfen würde. Was ist besser: ein Leben mit Höhen und Tiefen oder ein Leben auf einem gleichbleibenden Niveau? Gibt es eine objektiv richtige Antwort auf diese Frage? Ich glaube nicht, lasse mich aber gerne vom Gegenteil überzeugen.

Moral ist aber nun nicht einfach nur - neuronal messbare - Glücksmaximierung/Leidminimierung, die vielen moralischen Werte können nicht auf Glück/Leid reduziert werden.

Ich glaube hier begehst du einen Fehlschluss.

Inwiefern? Am Kopf kratzen


Du setzt Moral mit Gefühlsleben gleich. Moral ist die Gesamtheit der Verhaltensregeln einer Gesellschaft. Das gilt nicht explizit für das Individuum. Damit meine ich, dass Glückmaximierung/Leidminimierung individuell bedingt ist und zum größten Teil individuell erfolgt, während die Gesellschaft durch die Moral "nur" den Rahmen gibt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Dadurch dass man eine "Durchschnittsmoral" "berechnet" bekommt man ja keine gefühlseingeebneten Menschen, sondern nur grobe Verhaltensregeln für die gesamte Gesellschaft.

Wie berechnet man denn eine "Durchschnittsmoral" Deiner Ansicht nach, was ist das Ziel dieser Durchschnittsmoral, wie legt man die Werte und deren Beziehungen zueinander fest? Gibt es nur einen einzigen Wert (Glück <-> Leid) oder gibt es auch andere Werte, die berücksichtigt werden sollten?


Natürlich gibt es mehrere Werte. Aber gerade bei Glück steht nicht Leid dagegen, sondern Glück des einzelnen gegen Glück der Gesellschaft. Wobei mir die Wichtung nicht bekannt ist, in diesem speziellen Falle aber sicher anteilig beim Individuum höher liegt. Genauso muss "Leid des Individuums" <-> "Leid der Gesellschaft" gesehen werden. Aber auch "Geld des Individuums" (Gehalt)<-> "Geld der Gesellschaft" (Steuern) und auch "Pflichten des Individuums"<->"Pflichten der Gesellschaft" etc.
Die einzige Randbedingung, die ich im Moment sicher zu kennen glaube ist die Stabilität der Gesellschaft. Welche weiteren Randbedingungen es gibt, hab ich noch nicht durchdacht.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Die Moral würde dann nur Umgangsformen prägen, die soviel wie möglich positiv abdeckt ohne gleichgültig zu werden.

Aber die Frage ist hier doch, was 'positiv' ist und was 'negativ' und wie man das unterscheidet. Bei Extrembeispielen bekommst Du da schnell eine Einigung, ("wo willst Du lieber leben: in Somalia oder in Schweden?"), aber bei andere Fragen eben nicht. Und das sind die interessanten Fragen, nicht die Extrem-Fragen.

- wann darf ein Einzelner zum Wohle der Gemeinschaft geopfert werden?
- is it better to burn out than to fade away?
- ist Abtreibung moralisch richtig oder falsch?
- wie soll man im Trolley-Beispiel handeln?
- soll jemand sich an eine Glücksmaschine anschließen lassen, wenn ihm das in der Summe mehr (virtuelles) Glück beschert als sein Real-Leben?

Diese Fragen sind sehr leicht zu beantworten, wenn man Glücksmaximierung/Leidminimierung von bewussten Wesen einfach mit der einzig wahren Moral gleich setzt. Es fragt sich aber, warum man Glücksmaximierung/Leidminimierung von bewussten Wesen synonym zu Moral setzen sollte, denn das ist ja nicht einfach so in sich selbstverständlich.
Dem letzten Satz stimme ich voll und ganz zu. Ich hatte deinem vorigen Post nur so verstanden, dass du genau das meinst.
Steht die einzig wahre Moral schon fest? Ich gehe bisher davon aus, dass sie erst entwickelt werden muss. Ich schätze allerdings, dass diese Moral zumindest eine Orientierung geben wird, ob die Beantwortung der wirklich interessanten Fragen eine gesellschaftliche oder eine individuelle Aufgabe ist.
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Beitrag(#1699461) Verfasst am: 26.10.2011, 21:15    Titel: Antworten mit Zitat

Ich meine, Harris beschreibt mit dem Begriff "Wohlbefinden" so etwas ähnliches wie ich mit meinem Begriff der "Lebensbedürfnisse" bewusster Lebewesen.

Sein Grundansatz ist der, dass man das Kind mit dem Bade ausschüttet, wenn man neben der Religion auch noch die Moral abschaffen würde. Denn diese ist genau das Wertvolle, das man der Religion entreissen und in die Sphäre der Rationalität stellen muss. Moral ist gut begründbar, und zwar wissenschaftlich. Daumen hoch!
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AgentProvocateur
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Beitrag(#1699476) Verfasst am: 26.10.2011, 21:49    Titel: Antworten mit Zitat

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Du setzt Moral mit Gefühlsleben gleich.

Nein. Am Kopf kratzen

Mir ist wirklich unklar, wie man mich so falsch verstehen kann, das ist absolut jenseits meines Vorstellungsvermögens. Ich weiß zwar, dass man Texte auf verschiedene Weisen interpretieren kann, aber diese Interpretation kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen.

Da kann ich nur noch mit den Schultern zucken. Keine Ahnung, wie wir zueinander finden können, wenn Du noch nicht einmal im Ansatz verstehst, was ich gesagt habe.

Nochmal die Behauptungen, die ich hier tätigen will:

- aus dem Sein folgt kein Sollen
- moralischer Realismus (= moralische Aussagen sind objektiv wahr oder falsch) ist falsch
- es gibt keine 'einzig wahre Moral'
- Wissenschaft kann nicht Werte determinieren ("Can Science Tell us Right From Wrong?") -> No, science cannot do that, as well as religion cannot do this (Nein, Wissenschaft kann das nicht, ebensowenig wie Religion das kann)

Gehe darauf ein oder lasse es sein. Aber wenn Du mich weiter falsch verstehen willst, dann sehe ich keine weitere Gesprächsbasis. Dann redest Du über etwas anderes als ich, und das ist ungut.
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Tom der Dino
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Anmeldungsdatum: 20.07.2011
Beiträge: 3949

Beitrag(#1699509) Verfasst am: 26.10.2011, 22:52    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Du setzt Moral mit Gefühlsleben gleich.

Nein. Am Kopf kratzen

Mir ist wirklich unklar, wie man mich so falsch verstehen kann, das ist absolut jenseits meines Vorstellungsvermögens. Ich weiß zwar, dass man Texte auf verschiedene Weisen interpretieren kann, aber diese Interpretation kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen.

Zugegeben, der Satz war falsch formuliert. Ich habe nicht gesehen, dass du einen Unterschied zwischen Individuum und Gesellschaft machst. Das wollte ich eigentlich ausdrücken.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nochmal die Behauptungen, die ich hier tätigen will:

- aus dem Sein folgt kein Sollen

Da stimm ich dir zu.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- moralischer Realismus (= moralische Aussagen sind objektiv wahr oder falsch) ist falsch
Das seh ich anders. Nur ist die Antwort abhängig von der tatsächlichen Moral

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- es gibt keine 'einzig wahre Moral'

Das kann sein, bleibt aber zu zeigen.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- Wissenschaft kann nicht Werte determinieren ("Can Science Tell us Right From Wrong?") -> No, science cannot do that, as well as religion cannot do this (Nein, Wissenschaft kann das nicht, ebensowenig wie Religion das kann)
Warum nicht?
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AgentProvocateur
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Anmeldungsdatum: 09.01.2005
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Beitrag(#1699556) Verfasst am: 27.10.2011, 00:05    Titel: Antworten mit Zitat

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Ich habe nicht gesehen, dass du einen Unterschied zwischen Individuum und Gesellschaft machst. Das wollte ich eigentlich ausdrücken.

Meiner Ansicht betrifft Moral sowohl Individuum als auch Gesellschaft. Also sowohl: "wie soll ich handeln?" als auch "wie sollen wir handeln?"

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nochmal die Behauptungen, die ich hier tätigen will:

- aus dem Sein folgt kein Sollen

Da stimm ich dir zu.

Gut.

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- moralischer Realismus (= moralische Aussagen sind objektiv wahr oder falsch) ist falsch
Das seh ich anders. Nur ist die Antwort abhängig von der tatsächlichen Moral

Entweder ist die Antwort abhängig von der tatsächlichen Moral oder sie ist objektiv richtig / wahr. Aber beides zusammen: wie soll das gehen? Das halte ich für einen Widerspruch in sich.

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- es gibt keine 'einzig wahre Moral'

Das kann sein, bleibt aber zu zeigen.

Oder das Gegenteil bleibt zu zeigen. Ich glaube nicht, dass moralischer Realismus richtig ist, ich halte moralischen Relativismus für richtig:

"Es gibt moralische Meinungsunterschiede zwischen Menschen aus einer oder aus verschiedenen Gesellschaften, die weder durch Verweis auf (moralische oder nicht-moralische) Tatsachen noch durch rationale und vollständige Argumentation überwunden werden können."

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- Wissenschaft kann nicht Werte determinieren ("Can Science Tell us Right From Wrong?") -> No, science cannot do that, as well as religion cannot do this (Nein, Wissenschaft kann das nicht, ebensowenig wie Religion das kann)
Warum nicht?

Weil mMn 'gut' und 'schlecht' von individuellen Präferenzen, Wünschen, Absichten, Zielen etc. abhängen, die aber unterschiedlich sein können.
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Landei
Gesinnungspolizist



Anmeldungsdatum: 27.02.2011
Beiträge: 1180
Wohnort: Sandersdorf-Brehna

Beitrag(#1699561) Verfasst am: 27.10.2011, 00:24    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
- Wissenschaft kann nicht Werte determinieren ("Can Science Tell us Right From Wrong?") -> No, science cannot do that, as well as religion cannot do this (Nein, Wissenschaft kann das nicht, ebensowenig wie Religion das kann)
Warum nicht?

Weil mMn 'gut' und 'schlecht' von individuellen Präferenzen, Wünschen, Absichten, Zielen etc. abhängen, die aber unterschiedlich sein können.


Harris bringt die Analogie mit der Gesundheit: Es gibt keine exakte Definition von "Gesundheit", eventuell wird es die auch nie geben, aber ist das ein Grund, keine medizinische und pharmazeutische Forschung mehr zu betreiben und die Krankenhäuser zu schließen? Und würde irgendein Mediziner widersprechen, wenn ich behaupte, dass ich momentan gesünder bin als Christopher Hitchens?

Natürlich geht Harris von einem gewissen Grundkonsens aus, der seiner Meinung nach dadurch gegeben ist, dass wir keine abstrakten Geistwesen sind, sondern derselben Spezies in derselben Umgebung angehören, und deshalb im gewissen Umfang auch dieselben evolutionären Grund-Präferenzen besitzen. Diese Annahme ist minimal und vernünftig. Natürlich muss man sie nicht akzeptieren, aber dann landet man wieder bei den bekannten moralischen Luftschlössern, die die Welt zu einem "Sein" geführt haben, das kein gesunder Mensch "wollen" kann.
_________________
Der Islam gehört auf den Müllhaufen der Geschichte. Diese Gotteslehre eines unmoralischen Beduinen ist ein verwesender Kadaver, der unser Leben vergiftet. (Kemal Atatürk)
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AgentProvocateur
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Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin

Beitrag(#1699569) Verfasst am: 27.10.2011, 01:14    Titel: Antworten mit Zitat

Landei hat folgendes geschrieben:
Harris bringt die Analogie mit der Gesundheit: Es gibt keine exakte Definition von "Gesundheit",

Doch, gibt es:

Morality and Health hat folgendes geschrieben:
the condition of an organism or one of its parts in which it performs its vital functions normally or properly: the state of being sound in body or mind; freedom from physical disease and pain.

Fragt sich nun, ob es eine entsprechende Definition von Moral (bzw. von moralisch gut und schlecht) gibt (dann die bitte mal liefern) und wenn nicht: wie man Moral optimieren kann, wenn es keine derartige Definition gibt. Was man dann überhaupt optimieren will und wie, mit welchem Ziel, worauf das hinauslaufen soll und wieso. Und, last but not least: wer das Ziel (oder die Ziele und in dem Falle: die objektiv richtige Gewichtung der Ziele) bestimmen soll und wer nicht und wieso nicht. Der Wissenschaftler im weißen Kittel und die anderen haben zu folgen? So wie Harris nichts zur String-Theorie beitragen kann, dürfen wir nichts dazu beitragen, was wir tun sollen, sollen einfach nur denjenigen gehorchen, die sich im Elfenbeinturm was ausdenken? Nee, ne?

Auch der Arzt kann mir nur sagen, was ich tun soll, wenn ich gesund sein will oder wenn ich länger leben will. Er kann mir aber nicht sagen, dass ich gesund sein soll oder länger leben soll.

Landei hat folgendes geschrieben:
eventuell wird es die auch nie geben, aber ist das ein Grund, keine medizinische und pharmazeutische Forschung mehr zu betreiben und die Krankenhäuser zu schließen?

Nein, ebensowenig sollten wir aufhören, Moral zu untersuchen und gut von falsch zu unterscheiden - nach unseren Kriterien. Wir sollten dabei nur nicht nach objektiven moralischen Wahrheiten suchen, denn die werden wir mMn nicht finden.

Landei hat folgendes geschrieben:
Und würde irgendein Mediziner widersprechen, wenn ich behaupte, dass ich momentan gesünder bin als Christopher Hitchens?

Nein, und weiter?

Übrigens: wusstest Du, dass Homosexualität bis 1992 als Krankheit im ICD-Katalog der WHO aufgeführt wurde?

Landei hat folgendes geschrieben:
Natürlich geht Harris von einem gewissen Grundkonsens aus, der seiner Meinung nach dadurch gegeben ist, dass wir keine abstrakten Geistwesen sind, sondern derselben Spezies in derselben Umgebung angehören, und deshalb im gewissen Umfang auch dieselben evolutionären Grund-Präferenzen besitzen. Diese Annahme ist minimal und vernünftig.

Und, was hilft uns das genau bei moralischen Fragen, die strittig sind? Wie kann man die wissenschaftlich (deskriptiv / empirisch) beantworten? Wann z.B. genau darf ein Individuum zum Wohle der Gemeinschaft geopfert werden? Wie gesagt: die Frage, ob jemand lieber in Somalia oder in Schweden leben will, ist uninteressant. Wenn Du aber eine wissenschaftlich (empirisch) begründete Antwort auf die andere Frage hast: ich bin ganz Ohr. Du darfst herleiten, wie Du willst, aus neuronalen Gegebenheiten oder wie auch immer. Bitte tue es einfach.

Landei hat folgendes geschrieben:
Natürlich muss man sie nicht akzeptieren, aber dann landet man wieder bei den bekannten moralischen Luftschlössern, die die Welt zu einem "Sein" geführt haben, das kein gesunder Mensch "wollen" kann.

Beantworte meine moralische Frage, dann sehen wir weiter.

Es ist mehr als billig, anderen 'moralische Luftschlösser' vorzuwerfen und die 'ungesund' zu nennen, wenn die nicht der eigenen Meinung sind. Aber die Welt ist nicht lediglich schwarz und weiß, auch evolutionär entstandene Grundannahmen können unterschiedlich sein. Es gibt nicht nur 1 und 0, es ist mE sogar absurd, das zu meinen, das folgt mitnichten aus der Evolution.

Aber bitte, ich kann mich auch ganz grundsätzlich irren. Vielleicht hast Du recht, ich denke, das hängt nun sehr davon ab, ob und wie Du meine Frage: "Wann genau darf ein Individuum zum Wohle der Gemeinschaft geopfert (getötet) werden?" schlüssig und objektiv richtig Ausrufezeichen beantworten kannst.

Ich will's jetzt mal böse sagen: einige Leute möchten gerne die Autorität Gottes durch die Autorität der Wissenschaft ersetzen. Aber das fluppt nicht, es kann sein, dass es überhaupt keine übergeordnete Autorität gibt, die uns sagen kann, was wir tun sollen, weder Gott noch Wissenschaft, dass wir selber das aushandeln müssem. Auch wenn das eine schlechte Nachricht für viele Leute sein mag, die sie überhaupt nicht goutieren wollen: ist dennoch so. Finde Dich damit ab.
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Tom der Dino
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Beitrag(#1699582) Verfasst am: 27.10.2011, 08:57    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich will's jetzt mal böse sagen: einige Leute möchten gerne die Autorität Gottes durch die Autorität der Wissenschaft ersetzen. Aber das fluppt nicht, es kann sein, dass es überhaupt keine übergeordnete Autorität gibt, die uns sagen kann, was wir tun sollen, weder Gott noch Wissenschaft, dass wir selber das aushandeln müssem. Auch wenn das eine schlechte Nachricht für viele Leute sein mag, die sie überhaupt nicht goutieren wollen: ist dennoch so. Finde Dich damit ab.


Auf den Rest des Postes werde ich später eingehen, ich hab im Moment wenig Zeit.

Ich frage mich wie du auf "Autorität der Wissenschaft" kommst. Da scheinst du ein ziemlich schlechtes Bild von der Wissenschaft zu haben. Die Wissenschaft hat ja den Anspruch zu beschreiben, "wie was ist" und nicht zu bestimmen "wie was sein soll". Von daher gibt es keine Autorität der Wissenschaft. Wissenschaftlich oder objektiv betrachtet gibt es Optima bei der Abwägung von Gegensätzen. Ich denke, daraus ergibt sich eine (oder einige wenige) optimale Moral([Zeichen für die korrekte Mehrzahl]). Ob die verwirklicht wird, hängt aber von den Menschen ab.
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step
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Beitrag(#1699588) Verfasst am: 27.10.2011, 09:38    Titel: Antworten mit Zitat

@AP: Auch wenn ich insbesondere Deinen Kritikpunkt an der simplen Wohlbefindenssumme teile, habe ich diverse Einwände gegen Deine Argumentation zum Verhältnis von Moral und Fakten. Hab aber gerade wenig Zeit, also später.

Hier vorerst nur ein Fragenkomplex: Würdest Du zustimmen, daß es tendenziell so etwas wie moralischen Fortschritt gab, etwa wenn man unsere Gesellschaft mit der vor 5000 oder 1000 Jahren vergleicht? Deutest Du beispielsweise die abnehmende Diskriminierung von Homosexuellen, Frauen und Schwarzen eher als wissenschaftlichen oder/und als moralischen Fortschritt, oder was sonst? Und falls man dE von moralischem Fortschritt sprechen kann, an welchem für alle nachvollziehbaren Hauptkriterium macht der sich dE fest?
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Landei
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Beitrag(#1699608) Verfasst am: 27.10.2011, 11:23    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Landei hat folgendes geschrieben:
Harris bringt die Analogie mit der Gesundheit: Es gibt keine exakte Definition von "Gesundheit",

Doch, gibt es:

Morality and Health hat folgendes geschrieben:
the condition of an organism or one of its parts in which it performs its vital functions normally or properly: the state of being sound in body or mind; freedom from physical disease and pain.


Eine zirkuläre Definition: Was ist "normally or properly", was ist "the state of being sound", was ist "disease"?
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Beitrag(#1699644) Verfasst am: 27.10.2011, 14:55    Titel: Antworten mit Zitat

Landei hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Landei hat folgendes geschrieben:
Harris bringt die Analogie mit der Gesundheit: Es gibt keine exakte Definition von "Gesundheit",

Doch, gibt es:

Morality and Health hat folgendes geschrieben:
the condition of an organism or one of its parts in which it performs its vital functions normally or properly: the state of being sound in body or mind; freedom from physical disease and pain.


Eine zirkuläre Definition: Was ist "normally or properly", was ist "the state of being sound", was ist "disease"?


Nach der WHO-Definition ist Gesundheit mehr als nur die Abwesenheit von Krankheit, also etwa Funktionsstörungen des Herzens oder so. Um gesund zu sein, braucht es im Prinzip eine "artgerechte" bzw. der jeweiligen Lebensform angemessene Umwelt, die alles bietet, was das Lebewesen braucht bzw. woraus das Lebewesen machen kann, was es braucht. Das Lebewesen braucht die Freiheit, das zu produzieren, was es braucht. Außerdem muss die Umwelt genügend interessant und reizvoll sein. Und vieles mehr.

Ein Begriff, welcher Gesundheit nur als die Abwesenheit von Krankheit definiert (- wie ich dieses Definieren hasse! -), ist eigentlich eine Art von funktionale Definition in dem Sinne: "Der Organismus funktioniert" (wie eine Maschine). Das hat Bezug zu einem bestimmten Arbeits- und Gesellschaftsbegriff.

Der Ansatz von Harris ist smart. Er insistiert darauf, dass es nicht nötig ist, Gesundheit oder Moral zu *definieren*. Sondern: man kann beides feststellen, man kann erforschen, ob es vorhanden ist.

Demnach werden Gesundheit und Moral also gerade nicht gesetzt, sondern es wird geguckt, ob ein Lebewesen im Zusammenhang mit Verhalten & Verhältnissen gedeiht, ob dessen Lebensbedürfnisse so abgedeckt werden. (Das kann natürlich durch verschiedene Verhaltensweisen und Verhältnisse geschehen.) ...-
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AgentProvocateur
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Beitrag(#1699655) Verfasst am: 27.10.2011, 15:23    Titel: Antworten mit Zitat

Tom der Dino hat folgendes geschrieben:
Ich frage mich wie du auf "Autorität der Wissenschaft" kommst. Da scheinst du ein ziemlich schlechtes Bild von der Wissenschaft zu haben. Die Wissenschaft hat ja den Anspruch zu beschreiben, "wie was ist" und nicht zu bestimmen "wie was sein soll". Von daher gibt es keine Autorität der Wissenschaft.

Hm, aber Harris scheint Letzteres zu behaupten und ich dachte, eben darum dreht sich die Diskussion hier. Der Untertitel seines Buch lautet ja: "How Science Can Determine Human Values". (Wie Wissenschaft menschliche Werte bestimmen kann)

Dazu gibt es übrigens auch diese Debatte auf YouTube: The Great Debate - Can Science Tell us Right From Wrong? (Die große Debatte - Kann Wissenschaft uns sagen, was richtig und was falsch ist?)
----
@step

Ich sehe das als moralischen Fortschritt an. Es gibt mE kein Hauptkriterium, es gibt viele Kriterien, wie oben schon gesagt.
----
@Landei

Ich finde nicht, dass das eine zirkuäre Definition ist.

"normally or properly": z.B, ein Herz, das Aussetzer hat oder eine Hand, die gelähmt ist, funktionieren nicht normal / richtig.

"state of beeing sound": hm, bin mir nicht ganz sicher, vielleicht sowas wie "frei von Beschädigungen"

"disease" würde ich mit "Leid" übersetzen.
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klauswerner
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Beitrag(#1699657) Verfasst am: 27.10.2011, 15:59    Titel: - Antworten mit Zitat

Wird auch hier fleissig diskutiert:

http://blasphemieblog2.wordpress.com/2011/10/21/sam-harris-wissenschaft-kann-moralische-fragen-beantworten/
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Grüßle
klauswerner
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step
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Beitrag(#1699710) Verfasst am: 27.10.2011, 19:11    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich sehe das als moralischen Fortschritt an. Es gibt mE kein Hauptkriterium, es gibt viele Kriterien, wie oben schon gesagt.

Und sind diese Kriterien denn "neutral beobachtbar"? Also sind es Kriterien, die im wesentlichen aus dem Sein folgen? Du selbst hast ja mal geschrieben, daß aus Deiner Sicht die Moral u.a. dann Fortschritte macht, wenn die Menschen informierter, rationaler, präferenter und daher in Deinem Sinne autonomer entscheiden. Ich nehme an, Du meinst, daß dies aufgrund der Eigenschaften und des Umfelds der Menschen der Fall ist, und nicht nur zufällig aufgrund ihrer akuten Präferenz.

Was würde ein Alien sagen, der die menschliche und verschiedene andere Gesellschaften beobachtet? Er sieht eine Entwicklung der Moral (vielleicht auch nur temporär, das soll jetzt mal egal sein) und versucht, diese in Bezug zu den Gegebenheiten und Eigenschaften dieser Spezies zu setzen. Würde der Alien einen starken sytematischen Zusammenhang zwischen Sein und Ethik der jeweiligen Spezies erkennen, der vielleicht eine Optimierungsrelation erlaubt? Würde er vielleicht sogar einen speziesübergreifenden Zusammenhang erkennen?
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AgentProvocateur
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Beitrag(#1699733) Verfasst am: 27.10.2011, 20:15    Titel: Antworten mit Zitat

Diese Kriterien (z.B. Gerechtigkeit, Wahrheit, Gesundheit, Freiheit, Würde, persönliche Integrität, Autonomie, Sicherheit, Stabilität der Gesellschaft etc.) sind "neutral beobachtbar", (auch wenn nicht unbedingt absolut messbar, so doch zumindest vergleichbar: in der Gesellschaft X ist der Wert Y mehr realisiert als in Gesellschaft Z), und folgen gewissermaßen aus dem Sein, (Eigenschaften, Umfeld, Erfahrungen, rationalen Überlegungen / Begründungen etc.), ja, (wenn man denn Begründungen auch unter "Sein" subsummieren möchte - einfach so vom Sein vorgegeben sind sie jedenfalls nicht).

Was würde der Alien sagen? Nun ja, er könnte eine Entwicklung sehen und die in Bezug zu den Gegebenheiten und Eigenschaften setzen und so evtl. die Gründe für diese Entwicklung nachvollziehen.

Für eine Optimierungsfunktion benötigte er allerdings Zielvorgaben, er müsste wissen, welche Werte wie zueinander in Beziehung gesetzt werden sollen, damit eine optimale Lösung herauskommt, (die Frage ist: inwiefern optimal, in Bezug auf welche Ziele und in welcher Beziehung stehen diese Ziele zueinander?).

Ich denke (auf eine gewisse Weise) nicht, dass der Alien speziesübergreifende Zusammenhänge erkennen könnte, ich denke, das ist schon schwierig bei einer einzigen Spezies. Was ist besser: eine Ethik / ein Gesellschaftsmodell, die / das mehr auf Freiheit und Selbstbestimmung des Individuums setzt (im Groben: die westliche Auffassung) oder eine / eines, das mehr auf Harmonie und soziale Kohäsion setzt (im Groben: die (fern-)östliche Auffassung)? Woran genau, an welchem Ziel, bzw. an welchen Zielen, will man das messen, ohne schon bestimmte Axiome vorauszusetzen, die aber selber nicht begründet werden können?

Das Problem ist nun auch, dass bei völlig allgemein gehaltenen Aussagen wie: "eine Welt / Gesellschaft, in der das 'well-being' von bewussten Lebewesen eine große Rolle spielt, ist besser als eine Welt / Gesellschaft, in der das überhaupt keine Rolle spielt" oder "eine Welt / Gesellschaft ist besser, die floriert, ist besser" oder "eine Welt / Gesellschaft ist besser, die allen Lebewesen eine ihnen angemessene Umwelt bietet" jeder zustimmen kann. Aber der Teufel liegt dann im Detail: was bedeutet 'well-being', 'florieren' oder 'angemessene Umwelt für ein Lebewesen' genau? Es hilft nichts, sich dann zu weigern, das näher bestimmen zu wollen, denn dann versteht jeder etwas anderes darunter. Und ein Sollen folgt daraus auch noch nicht.

(Worauf willst Du eigentlich hinaus?)
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step
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Beitrag(#1699738) Verfasst am: 27.10.2011, 20:45    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Diese Kriterien (z.B. Gerechtigkeit, Wahrheit, Gesundheit, Freiheit, Würde, persönliche Integrität, Autonomie, Sicherheit, Stabilität der Gesellschaft etc.) sind "neutral beobachtbar", (auch wenn nicht unbedingt absolut messbar, so doch zumindest vergleichbar: in der Gesellschaft X ist der Wert Y mehr realisiert als in Gesellschaft Z), und folgen gewissermaßen aus dem Sein, (Eigenschaften, Umfeld, Erfahrungen, rationalen Überlegungen / Begründungen etc.), ja, (wenn man denn Begründungen auch unter "Sein" subsummieren möchte - einfach so vom Sein vorgegeben sind sie jedenfalls nicht).

Ja, nicht vorgegeben im teleologischen Sinne.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Was würde der Alien sagen? Nun ja, er könnte eine Entwicklung sehen und die in Bezug zu den Gegebenheiten und Eigenschaften setzen und so evtl. die Gründe für diese Entwicklung nachvollziehen.

Für eine Optimierungsfunktion benötigte er allerdings Zielvorgaben, er müsste wissen, welche Werte wie zueinander in Beziehung gesetzt werden sollen, damit eine optimale Lösung herauskommt, (die Frage ist: inwiefern optimal, in Bezug auf welche Ziele und in welcher Beziehung stehen diese Ziele zueinander?).

Das verstehe ich nicht ganz, wieso bräuchte er Zielvorgaben? Es geht ihm ja nicht darum, die Ethik (für sich) zu optimieren, sondern er ist in diesem Gedankenexperiment nur Wissenschaftler. Mein Ansatz ist hier: Wenn der Alien aus der Beobachtung des Seins die von Dir genannten Kriterien ableiten könnte, dann könnte er ja auch eine Art Optimierungskriterium (zumindest für diese beobachtete Gesellschaft) angeben, ohne daß seine eigenen Präferenzen eine Rolle spielten. Bis dahin scheint mir das erstmal trivial. Oder?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich denke (auf eine gewisse Weise) nicht, dass der Alien speziesübergreifende Zusammenhänge erkennen könnte, ich denke, das ist schon schwierig bei einer einzigen Spezies. Was ist besser: eine Ethik / ein Gesellschaftsmodell, die / das mehr auf Freiheit und Selbstbestimmung des Individuums setzt (im Groben: die westliche Auffassung) oder eine / eines, das mehr auf Harmonie und soziale Kohäsion setzt (im Groben: die (fern-)östliche Auffassung)? Woran genau, an welchem Ziel, bzw. an welchen Zielen, will man das messen, ohne schon bestimmte Axiome vorauszusetzen, die aber selber nicht begründet werden können?

Ich stimme Dir zu, daß das schwierig zu entscheiden ist und auch, daß die genauen Kriterien von der Spezies, von ihren Ressourcen, ihrem Lebensraum usw. abhängen. Andererseits gibt es schon auch sehr allgemeine Zusammenhänge, etwa aus der Spieltheorie, da ist es sehr schwer sich vorzustellen, daß eine diese Zusammenhänge ignorierende Ethik als optimal empfunden werden könnte, egal von welcher hinreichend intelligenten Spezies.

Noch etwas. Um bei Deinem Beispiel zu bleiben: Meinst Du, daß die ethische Gewichtung "soziale Kohäsion vs. Individualismus"
- (a) historischer Zufall und prinzipiell gleichwertig ist
- (b) eine Art Optimierung der jeweiligen Umstände darstellt
- (c) eine von beiden den Umständen besser angepaßt ist?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Das Problem ist nun auch, dass bei völlig allgemein gehaltenen Aussagen wie: "eine Welt / Gesellschaft, in der das 'well-being' von bewussten Lebewesen eine große Rolle spielt, ist besser als eine Welt / Gesellschaft, in der das überhaupt keine Rolle spielt" oder "eine Welt / Gesellschaft ist besser, die floriert, ist besser" oder "eine Welt / Gesellschaft ist besser, die allen Lebewesen eine ihnen angemessene Umwelt bietet, ist besser" jeder zustimmen kann.

Naja, immerhin. Ich finde schon das irgendwie bemerkenswert.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Aber der Teufel liegt dann im Detail: was bedeutet 'well-being', 'florieren' oder 'angemessene Umwelt für ein Lebewesen' genau? Es hilft nichts, sich dann zu weigern, das näher bestimmen zu wollen, denn dann versteht jeder etwas anderes darunter. Und ein Sollen folgt daraus auch noch nicht.

Natürlich, ein Sollen folgt aus überhaupt nichts, höchstens aus einem Befehl. Es würde für die (prinzipielle) Ableitbarkeit einer Ethik aber schon weiterhelfen, wenn das Wollen aus dem Sein folgt.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
(Worauf willst Du eigentlich hinaus?)

Ich will diskutieren, was man (in bezug auf unsere Frage hier) daraus ableiten kann, daß es systematische Zusammenhänge zwischen Moralsystemen und ihrem Lebensraum gibt.
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Myron
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Beitrag(#1699784) Verfasst am: 28.10.2011, 01:16    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Wie gesagt: ich bin moralischer Relativist. Ein moralischer Realist ist nun mE auf die Behauptung festgelegt, dass moralische Aussagen einen Wahrheitswert besitzen. Ich als moralischer Relativist aber nicht. Ich meine vielmehr, dass man alle Grundlagen eines moralischen / ethischen Systemes axiomatisch setzen muss (was aber nicht heißt: letztlich willkürlich, sondern die sind von unserern Bedürfnissen, Wünschen, Interessen, Wertungen etc. abhängig) und dass diese Axiome selber nicht wahr oder unwahr seien, sondern lediglich zustimmungsfähig / nicht zustimmungsfähig. Wichtig ist nur: diese Axiome können nicht rational aus dem Sein hergeleitet werden und sie sind nicht bei allen (exakt) gleich, wiewohl vieles übereinstimmen kann.


Dem moralischen Relativismus nach bedeutet "gut" "gesellschaftlich gutgeheißen"; und Aussagen darüber, was in welcher Gesellschaft gutgeheißen wird und was nicht, haben durchaus einen Wahrheitswert.
Ein Hauptproblem dieses Standpunktes ist, dass eine Äußerung wie "Es ist nicht alles gut, was gesellschaftlich gutgeheißen wird" in seinem Rahmen selbstwidersprüchlich ist, weil sie bedeutet: "Es wird nicht alles gesellschaftlich gutgeheißen, was gesellschaftlich gutgeheißen wird."
Der moralische Relativist kann also keine abweichende Meinung in Bezug auf die in seiner Gesellschaft herrschende Moral vertreten. Wenn die eigene Gesellschaft Rassismus gutheißt, dann ist das etwas Gutes, und der moralische Relativist muss das dann anerkennen und billigen. Und wenn eine andere, fremde Gesellschaft Rassismus gutheißt, dann muss er das zwar nicht selbst gutheißen, aber doch tolerieren, da "moralische Gutheit" in seinen Augen ja ein kulturrelativer Begriff ist.

Der ethische Kulturrelativismus führt also letztlich zu einer unkritischen Haltung und falscher Toleranz.
Denn dem ethischen Kulturrelativisten bleibt nicht anderes übrig, als diejenigen moralischen Grundsätze und Wertvorstellungen zu übernehmen, die er in seiner Gesellschaft als soziale Konventionen vorfindet und die von dieser (mehrheitlich) gutgeheißen werden.
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DerBernd
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Beitrag(#1699788) Verfasst am: 28.10.2011, 01:28    Titel: Antworten mit Zitat

Myron hat folgendes geschrieben:
Dem moralischen Relativismus nach bedeutet "gut" "gesellschaftlich gutgeheißen"; und Aussagen darüber, was in welcher Gesellschaft gutgeheißen wird und was nicht, haben durchaus einen Wahrheitswert.


Nein, das ist so, wie er das im Zitat schildert, lediglich eine meta-ethische Position.
Er kann für sich eine andere Bedeutung für "gut" ansetzen und von diesem Standpunkt aus die "gesellschaftlich gutgeheißenen" Auffassungen kritisieren.
Argumentationen gegen den Mainstream sind auch innerhalb des Rahmen des Mainstreams möglich; etwa indem er auf Selbstwidersprüche, Inkohärenzen und andere Dinge in ihres Systems hinweist.
Wenn der Mainstream natürlich solche fundamentalere Maßstäbe (konsistenz, kohärenz,...) nicht akzeptiert, dann ist die Diskussion in der Tat zu Ende.
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Myron
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Beitrag(#1699789) Verfasst am: 28.10.2011, 01:36    Titel: Antworten mit Zitat

DerBernd hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Dem moralischen Relativismus nach bedeutet "gut" "gesellschaftlich gutgeheißen"; und Aussagen darüber, was in welcher Gesellschaft gutgeheißen wird und was nicht, haben durchaus einen Wahrheitswert.


Nein, das ist so, wie er das im Zitat schildert, lediglich eine meta-ethische Position.
Er kann für sich eine andere Bedeutung für "gut" ansetzen und von diesem Standpunkt aus die "gesellschaftlich gutgeheißenen" Auffassungen kritisieren.


Ja, aber dann ist er kein ethischer Kulturrelativist, sondern vertritt einen anderen metaethischen Standpunkt.
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Beitrag(#1699790) Verfasst am: 28.10.2011, 01:37    Titel: Antworten mit Zitat

Myron hat folgendes geschrieben:
Dem moralischen Relativismus nach bedeutet "gut" "gesellschaftlich gutgeheißen"; und Aussagen darüber, was in welcher Gesellschaft gutgeheißen wird und was nicht, haben durchaus einen Wahrheitswert.

Nö, ich glaube, ich habe ziemlich gut erklärt, was ich unter moralischem Relativismus verstehe:

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
"Es gibt moralische Meinungsunterschiede zwischen Menschen aus einer oder aus verschiedenen Gesellschaften, die weder durch Verweis auf (moralische oder nicht-moralische) Tatsachen noch durch rationale und vollständige Argumentation überwunden werden können."

Mag ja sein, dass das nicht Deinem Begriff von moralischem Relativismus entspricht, dann bin ich eben nach Deinem Begriff von 'moralischem Relativismus' kein moralischer Relativist. Aber das ist mir völlig egal, ich bin einfach nur moralischer Relativist nach meinem Begriff und mehr muss ich auch nicht sein.

Ich finde es ehrlich gesagt ein bisschen unredlich, mir was anderes unterschieben zu wollen als das, was ich gesagt habe.
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Myron
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Beitrag(#1699793) Verfasst am: 28.10.2011, 01:49    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Nö, ich glaube, ich habe ziemlich gut erklärt, was ich unter moralischem Relativismus verstehe:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
"Es gibt moralische Meinungsunterschiede zwischen Menschen aus einer oder aus verschiedenen Gesellschaften, die weder durch Verweis auf (moralische oder nicht-moralische) Tatsachen noch durch rationale und vollständige Argumentation überwunden werden können."

Mag ja sein, dass das nicht Deinem Begriff von moralischem Relativismus entspricht, dann bin ich eben nach Deinem Begriff von 'moralischem Relativismus' kein moralischer Relativist. Aber das ist mir völlig egal, ich bin einfach nur moralischer Relativist nach meinem Begriff und mehr muss ich auch nicht sein.


Die bloße soziologische Feststellung eines faktisch herrschenden ethischen Meinungspluralismus stellt noch keinen ethischen Kulturrelativismus im Sinne einer metaethischen Position dar.
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AgentProvocateur
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Beitrag(#1699794) Verfasst am: 28.10.2011, 02:02    Titel: Antworten mit Zitat

Erstens habe ich nicht gesagt, dass ich 'ethischer Kulturrelativist' sei (wenn das bedeuten soll, dass jede beliebige moralische Auffassung als gleichwertig anzusehen sei) und zweitens habe ich mehr gesagt, als dass es lediglich einen faktisch herrschenden ethischen Meinungspluralismus gibt: ich habe zusätzlich gesagt, dass es vorkommen kann, dass ein solcher selbst durch eine rationale und vollständige Argumentation evtl. nicht aufgelöst werden kann, dass es also vorkommen kann, dass es in bestimmten Fragen keine objektiv wahre Lösung gibt. Und das ist es, was ich unter 'moralischem Relativismus' verstehe. Die Gegenposition dazu ist der moralische Realismus. (So verstehe ich das zumindest.)
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Myron
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Beitrag(#1699797) Verfasst am: 28.10.2011, 02:23    Titel: Antworten mit Zitat

Der moralische Relativismus hat drei Hauptaspekte:

"Descriptive Moral Relativism (DMR). As a matter of empirical fact, there are deep and widespread moral disagreements across different societies, and these disagreements are much more significant than whatever agreements there may be.

Metaethical Moral Relativism (MMR). The truth or falsity of moral judgments, or their justification, is not absolute or universal, but is relative to the traditions, convictions, or practices of a group of persons.

[Normative Moral Relativism (NMR).] Finally, the term ‘moral relativism’ is sometimes associated with a normative position concerning how we ought to think about, or behave towards, persons with whom we morally disagree. Usually the position is formulated in terms of tolerance. In particular, it is said that we should not interfere with the actions of persons that are based on moral judgments we reject, when the disagreement is not or cannot be rationally resolved. This is thought to apply especially to relationships between our society and those societies with which we have significant moral disagreements. Since tolerance so-understood is a normative thesis about what we morally ought to do, it is best regarded, not as a form of moral relativism per se, but as a thesis that has often been thought to be implied by relativist positions such as DMR and MMR. Despite the popularity of this thought, most philosophers believe it is mistaken. The question is what philosophical relationship, if any, obtains between moral relativism and tolerance."


(http://plato.stanford.edu/entries/moral-relativism)
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zelig
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Beiträge: 25405

Beitrag(#1699809) Verfasst am: 28.10.2011, 08:52    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:

Was würde der Alien sagen?

[...] Was ist besser: eine Ethik / ein Gesellschaftsmodell, die / das mehr auf Freiheit und Selbstbestimmung des Individuums setzt (im Groben: die westliche Auffassung) oder eine / eines, das mehr auf Harmonie und soziale Kohäsion setzt (im Groben: die (fern-)östliche Auffassung)? Woran genau, an welchem Ziel, bzw. an welchen Zielen, will man das messen, ohne schon bestimmte Axiome vorauszusetzen, die aber selber nicht begründet werden können?


Der Naturwissenschaftler-Alien als Idealtypus ist völlig blind in dieser Angelegenheit, und man kann nur hoffen, daß er sich seiner Blindheit bewußt ist, und somit auf jegliche Intervention verzichtet.
Es wäre nämlich denkbar, und darauf läuft die Diskussion meines Erachtens hinaus, daß die Wirklichkeit, also das Sein, einer Zielvorstellung angepasst wird, die eine Ethik implementiert, über die dann nicht mehr entschieden werden kann - da das Sein sie objektiv benötigt.

Daraus kann man nach meiner Auffassung bestimmte Metakriterien ableiten, die unverzichtbar sind. Dazu gehört der Konsens zum prozessualen Charakter der Ethik (und möglicherweise die gerade daraus folgende Einsicht, daß es eine universell gültige Ethik nicht geben kann), und die prinzipielle Berechtigung aller Beteiligten an diesem Prozess teilzuhaben. Wenn wir in diesen Punkten Einigkeit haben, dann müsste man alles, was die aktive Teilhabe der Beteiligten behindert oder ausschließt, ablehnen.

edit: satzbau
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