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S.C. Morris - Kreationismus soft
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#169944) Verfasst am: 25.08.2004, 10:05    Titel: Antworten mit Zitat

Marvin hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Das eine Bewußtsein, das wir wahrnehmen, ist nach der MWI eine Stichprobe aus allen realisierten multiversalen Versionen unseres Bewußstseins. Wir wissen zwar in der Tat nicht, welches Bewußtsein wir "ziehen" (wir sind es ja selbst),...

Wenn das Multiversum sowas wie eine NTM ist, dann wäre unser Bewußtsein (unsere bewußt wahrgenommene Welt) darin ein "Rate-"Pfad. Im probabilistischen Maschinenmodell kann man ja nun entweder an jedem Konfigurationswechsel eine Münze werfen oder aber alle diese Münzwürfe vorwegnehmen uns als Bit-Rate-String einer DTM als (zusätzliche) Eingabe zu futtern geben - genauer: man kann zeigen, dass dies beides äquivalent ist.

Man darf die Äquivalenz nicht überstrapazieren: In der MWI sind alle Ratepfade realisiert, aber wir sehen rückblickend nur den einen, den die Vorfahren unserer jetzigen Bewußtseinskopie erlebten. Das ist übrigens nicht zwangsläufig so. Theoretisch könnte man auf Kopien von sich selbst treffen, etwa mittels Zeitmaschinen usw. - der Clou ist dabei, daß - wenn das Multiversum wirklich verallgemeinert turingartig ist - es zu keinen Paradoxa kommen kann.

Marvin hat folgendes geschrieben:
Die Frage um die es mir hier zu gehen scheint wäre dann: Ist unsere Welt "hinreichend Turingartig", als dass dies ebenfalls für unser Bewußtsein äquivalent ist?

Ja, der Determinist nimmt ann, daß die Welt hinreichend turingartig sei.

Marvin hat folgendes geschrieben:
Mit anderen Worten: Bekommen wir einmalig einen prägenden Bitrate-String aufgedrückt und arbeiten danach wie eine DTM? Und ist dies, wenn es denn so ist, äquivalent zu einzelnen Münzwürfen an jedem Konfigurationswechsel?

Das finde ich eher verwirrend. "einmalig aufgedrückt" suggeriert, es würde zuvor von etwas/jemand festgelegt, welche individuelle Personenkopie welche quantenmechanische Münzwurfrealisierung erleben wird. Das wäre aber nicht richtig. Vielmehr realisiert die multiversale Wellenfunktion beide Varianten als Superposition.

Marvin hat folgendes geschrieben:
Der Vorab-Ratestring erscheint uns lediglich weniger zufällig als unser "täglicher Münzwurf", d.h., obwohl wir in beiden Fällen vollständig determiniert werden, würde uns die 2. Vorstellung einfach besser gefallen im Sinne der Illusion eines freien Willens.

Ja, dieses Argument ähnelt dem Raumzeitargument, mit dem ich den klassischen Determinismus plausibel zu machen pflege. Der subjektiv erlebte Zeitfluss wird auf das reduziert, was er nach bester bekannter Physik ist: eine Dimension einer Mannigfaltigkeit, zwischen deren Punkten gewisse Naturgesetze gelten.

Marvin hat folgendes geschrieben:
Über "echten" oder pseudo-Zufall ist damit nebenbei nichts gesagt und dies spielt auch keine Rolle.

Es beginnt eine Rolle zu spielen, wenn ein (natürlich rein hypothetischer) Diskussionsgegner, nachdem die klassischen Argumente gegen den Determinismus ausgehen, sich auf die Quantenphysik zurückzieht, und mit der "objektiven Unbestimmtheit" der CI gegen den klassischen Determinismus argumentiert.

Marvin hat folgendes geschrieben:
Wenn nein, dann wäre unsere Welt (genauer: unser subjektive Pfad im MW) nicht deterministisch und dann wäre die MWI lediglich eine Umformulierung der Kopenhagener Deutung in folgendem Sinne:
Kopenhagener Deutung: Beobachter entscheidet über Tod oder Leben von Schrödingers Katze.
MWI: Tod oder Leben von Schrödingers Katze entscheidet über den Pfad des Bewußseins des Beobachters im MW.

Ich denke eher, MWI und Quantendeterminismus implizieren sich gegenseitig. Im nichtdeterministischen Fall macht die MWI keinen Sinn.

Marvin hat folgendes geschrieben:
Sowohl das scheinbare Paradoxon der Kopenhagender Deutung ("wer beobachtet den Beobachter?") als auch die scheinbare Umkehrung von Ursache und Wirkung gegenüber der MWI würde sich auflösen, wenn man das Postulat eines freien Willens wegläßt, denn nur ein solcher hätte die wundersame Macht, via "Geist" Materie zu beeinflussen (Kopenh. Deut.), bzw. die "tägliche Münze" in die eigene Hand zu nehmen (MWI).

Es ist richtig, daß Determinismus den "freien Willen" auf ein "Gefühl der Handlungsfreiheit" reduzieren würde. Jedoch um das scheinbar indeterministische Verhalten unbewußter Materie erklären zu können, bräuchte man in einem indeterministischen Weltbild zusätzlich den "echten metaphysischen Zufall", und das eigentliche Problem besteht darin, daß die CI keine Erklärung für diesen hat.

gruß/step
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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El Schwalmo
Naturalistischer Ignostiker



Anmeldungsdatum: 06.11.2003
Beiträge: 9073

Beitrag(#170108) Verfasst am: 25.08.2004, 15:46    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Lamarck,

[ ... ]

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Das zentrale Problem ist hier, was mit dem Begriff 'adaptiv' gemeint ist. Der erste Schritt ist auf jeden Fall nicht Adaption (was immer nun die verschiedenen Versionen der Evolutionstheorie damit genau verbinden), sondern Mutation. Und Mutation ist auf jeden Fall natürlich erst mal eine nichtadaptive Änderung in der betreffenden Keimbahn. Diese Änderung kann in der Folge neutrale bis gravierende Folgen haben.

Genau das habe ich implizit geschrieben und genau das sieht 'der Standard' anders.


Hast Du also implizit gemeint, dass der erste Schritt immer nicht adaptiv ist?


nein. Ich habe konstatiert (auf der Basis meiner Kenntnisse über die Entwicklung der Evolutionslehre von Darwin bis in die 1970er Jahre), dass diese Richtung mit der Selektionstheorie einen Weg gefunden zu haben glaubte, wie Evolution funktioniert. Auch von den Gegnern wurde anerkannt, dass so die _Anpassung_ erklärt werden kann. _Wenn_ die STE Recht hätte, könnte so auch die Entstehung von Neuheiten erklärt werden. Das scheint mir aber nicht der Fall zu sein, weil es für viele 'erste Schritte' einfach nicht vorstellbar ist, wie die adaptiv sein sollten. Bisher konnte die STE das zumindest nicht zeigen. Ob das 'immer' der Fall ist, ist wieder ein anderer Thread.

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Innerhalb der STE gibt es doch einiges an Auseinandersetzung, was überhaupt unter 'Adaption' zu verstehen ist. Und gar nicht so selten sind Aussagen wie bsw. "Anpassung an die tetrapode Lebensweise", die nun nicht das Geringste erklären. Es ist überhaupt schwierig, mit 'Adaption' im Fokus Evolution zu verstehen. - An was bist bsw. Du adaptiert? :wink:


Temperaturen in einem bestimmten Bereich, bestimmte Nahrungsmittel, Sauerstoff-Partialdruck etc.

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Das Ergebnis dieses Prozesses (d. h. zu einem willkürliche festgesetzten Zeitpunkt) kannst Du nun - wenn Du das unbedingt so willst - Adaption (oder "Ziel" :teufel: ) nennen.

Das mache ich eben _nicht_. Es ging um den _Mechanismus_, ganz konkret, ob die Mechanismen, die _Mikro_evolution bewirken, auch _Makro_evolution bewirken.


Wie gesagt: Wenn Du das so willst. Was machst Du also mit dem Begriff 'Adaption'?


Dort anwenden, wo er sinnvoll ist. Und mich fragen, ob die _Mechanismen_, welche Anpassungen bedingen, in der Lage sind, die Strukturen zu erzeugen, die 'feingetunt' werden.

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Die Unterscheidung von Mikro- & Makroevolution hat für mich nur einen heuristischen Gehalt (ähnlich wie die Unterscheidung von Mikro- & Makroökonomie).


Für mich auch. Zudem aber noch als ein 'memento', dass 'Mikro'evolution vielleicht doch nicht alles ist.

Lamarck hat folgendes geschrieben:


Na, ob das Mayr so sieht wie ich, glaub' ich nun nicht unbedingt ... . :mrgreen: [/quote]

Mein Punkt war jedenfalls, dass das Kernproblem der Evolution, wie nämlich Neuheiten (wie auch immer man die definieren mag) entstehen, von der STE vernachlässigt wurde. Mayr hat das explizit so dargestellt und auch die Gründe dafür genannt, warum das so war. Gelöst ist das Problem, soweit ich sehe, auch heute noch nicht.

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Des weiteren ist eine Änderung der Organismischen Konstruktion noch keine Bewertung. Theoretisch kann sie, was die prognostizierte Fitness betrifft, auch neutral sein. Des weiteren muß die genannte Organismische Konstruktion immer der Ausgangspunkt der Betrachtungen bleiben, wenn also etwas optimiert wird, dann doch Konstruktionen. Aber was sind Optimierungen? - Ist ein Vogel optimaler als ein Säuger, ist blond optimaler als rothaarig? Es kommt gegebenenfalls halt darauf an.

Ich sprach von Veränderungen _innerhalb_ eines 'Bauplans' vs. _Entstehung_ von neuen Bauplänen, genauer, deren _Mechanismen_. Die FET schweigt sich in allen Arbeiten, die ich kenne, vehement darüber aus, _wie_ die Konstruktionen denn eigentlich entstehen. Überall liest man immer nur, warum nur bestimmte Konstruktionen möglich sind und dass 'irgendwie' Mutationen auftreten, Internselektion erfolgt und so weiter. Aber auch in Ansätzen vermag ich keinerlei Mechanismen zu erkennen.

Als Vorwurf las ich das schon öfters, aber eine Antwort von Seiten der FET ist mir nicht bekannt.


Das ist ja auch kein Problem. Wenn Du Deine Abbildung von Sewertzoff betrachtest: Der Weg von a2 -> a5 ist genau so weit wie der Weg a2 -> b2.


Dann vergleiche das mit der äquivalenten Abbildung 8-2 (S. 236) in

Dobzhansky, T.; Ayala, F.J.; Stebbins, G.L.; Valentine, J.W. (1977) 'Evolution' San Francisco, W. H. Freeman ;-)

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Die Unterscheidung der Ebenen R und Q ist doch eine willkürliche Kategorisierung.


Kann sein, dass ein gerüttelt Maß an Willkür darin steckt, kann aber auch sein, dass hier ein echtes Problem vorliegt, das man gelegentlich angehen und nicht wegdefinieren sollte.

Mir scheint, dass wir hier beim selben Problem wie beim hypothetischen Realismus sind. Du lehnst etwas ab, nur weil es nicht klar genug definiert werden kann.

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Der Mechanismus der Evolution besteht aus Mutation und Selektion (= Basisalgorithmus) und gut ist's.


Klar. Das Schreiben eines Buchs besteht im Aneinanderreihen von Buchstaben mit nachträglicher Kontrolle. Irgendwie fehlt mir da noch eine Ebene.

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Die STE ist hier einseitig extern, die FET einseitig intern orientiert. Ich selbst mache das ein klein wenig anders, aber darüber wollen wir nicht allzu viele Worte verlieren. :D


Wäre echt interessant, zu lesen, was Du konkret vertrittst. Mein Problem ist, dass ich viele Ansätze kenne, aber keinen kenne, der _alle_ Phänomene erklären kann.

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Eine sehr schöne Analogie in diesem Zusammenhang ist m. E. die Rede vom 'Quantensprung': Hiermit ist ein Durchbruch gemeint; obgleich quantitativ nur marginale Änderungen zu verzeichnen sind, bedeutet dies doch andererseits gravierende qualitative Auswirkungen. Mit anderen Worten: Manche winzigen Modifikationen führen zu massiven Resultaten. Bsw. zur Entstehung von Mimikry.

Exakt das war _nicht_ der Punkt. Es ging nicht um die 'Größe' der Resultate, sondern um das Entstehen von 'Neuheiten'. Beispielsweise nicht darum, ob ein Viech mit Horn ein noch größeres entwickelt, sondern dass zuerst einmal überhaupt ein Horn entsteht. Genauer, dass das eben _nicht_ adaptiv ist und daher von der 'Standard-Theorie' nicht erklärt wird.


Exakt das ist der Punkt. Veränderungen im Zeitablauf sind immer 'Neuheiten'. Eine einzige Mutation ist schon Innovation! Und wie erkennst Du den Merkmale?


Ein Horn von keinem Horn kann ich durchaus unterscheiden.

Grüßle

Thomas
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Lamarck
Radikaler Konstruktivist



Anmeldungsdatum: 28.03.2004
Beiträge: 2148
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Beitrag(#170119) Verfasst am: 25.08.2004, 16:19    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Martin!

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
BTW, wie würdest Du nun das beurteilen, was ich oben zum "Optimierungs-/Konstruktionsproblem" geschrieben habe? Hälst Du den Diskurs über eine "Zweiphasen-Evolution" und einen daran aufgehängten Begriff der Makroevolution für sinnvoll oder nicht?

Nach meiner unmaßgeblichen Meinung ist die STE zwar insofern unvollständig, als sie - wie Du auch sagst - den Fokus einseitig auf externe Faktoren (Milieuselektion) richtet. Wenn man die "inneren Faktoren" noch mit berücksichtigt, bedeutet das IMAO nicht, daß die einheitliche Evolution plötzlich in zwei verschiedene "Prozeßwirklichkeiten" (in ein Mikro- und ein Makrogeschehen) auseinanderbricht, die zwei unterschiedliche Erklärungen brauchen. Warum sollen die Faktoren nicht über den gesamten Prozeß gleichmaßen wirksam sein? Aber ich kann natürlich auch schiefliegen... Am Kopf kratzen


Diskurse halte ich immer für sinnvoll und machen Spaß. zwinkern

Vo einer "Milieu-/Binnenselektion" zu reden ist etwa genau so wenig sinnvoll wie die Pseudobegriffe "innere/äußere Mathematik" - es gibt nur eine Selektion bzw. Mathematik (Du erinnerst Dich?). Und was "Optimierungs-/Konstruktionsprobleme betrifft, schau Dir folgendes an und ziehe Deine Schlüsse daraus:


Die Zeit hat folgendes geschrieben:
Morris: "Viele der Gene, die in unserem Gehirn aktiv sind, lassen sich bereits in Hefe nachweisen, obwohl diese kein Gehirn hat."


Eine Unterscheidung zwischen Mikro- und Makroevolution ist nur heuristisch sinnvoll; das Präparat unter dem Mikroskop bleibt identisch, auch wenn es mit unterschiedlichen Auflösungen betrachtet wird und Du deshalb gegebenenfalls andere Strukturen wahrnimmst.

Und natürlich gibt es überhaupt keine objektive Kriterien, die festlegen, was ein "Bauplan" ist. Nun ja, außer näherungsweise vielleicht die hier: Man nehme ein gutes Dutzend Stämme, damit diese eine einsemestrige wöchentliche Einführungsvorlesung in Zoologie abdecken können ... . Mr. Green


Cheers,

Lamarck
_________________
„Nothing in Biology makes sense, except in the light of evolution.” (Theodosius Dobzhansky)

„If you can’t stand algebra, keep out of evolutionary biology.” (John Maynard Smith)

„Computers are to biology what mathematics is to physics.” (Harold Morowitz)
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Lamarck
Radikaler Konstruktivist



Anmeldungsdatum: 28.03.2004
Beiträge: 2148
Wohnort: Frankfurt am Main

Beitrag(#170137) Verfasst am: 25.08.2004, 17:54    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Thomas!

Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Das zentrale Problem ist hier, was mit dem Begriff 'adaptiv' gemeint ist. Der erste Schritt ist auf jeden Fall nicht Adaption (was immer nun die verschiedenen Versionen der Evolutionstheorie damit genau verbinden), sondern Mutation. Und Mutation ist auf jeden Fall natürlich erst mal eine nichtadaptive Änderung in der betreffenden Keimbahn. Diese Änderung kann in der Folge neutrale bis gravierende Folgen haben.

Genau das habe ich implizit geschrieben und genau das sieht 'der Standard' anders.

Hast Du also implizit gemeint, dass der erste Schritt immer nicht adaptiv ist?

nein. Ich habe konstatiert (auf der Basis meiner Kenntnisse über die Entwicklung der Evolutionslehre von Darwin bis in die 1970er Jahre), dass diese Richtung mit der Selektionstheorie einen Weg gefunden zu haben glaubte, wie Evolution funktioniert. Auch von den Gegnern wurde anerkannt, dass so die _Anpassung_ erklärt werden kann. _Wenn_ die STE Recht hätte, könnte so auch die Entstehung von Neuheiten erklärt werden. Das scheint mir aber nicht der Fall zu sein, weil es für viele 'erste Schritte' einfach nicht vorstellbar ist, wie die adaptiv sein sollten. Bisher konnte die STE das zumindest nicht zeigen. Ob das 'immer' der Fall ist, ist wieder ein anderer Thread.


Eben. Die STE wird das nie zeigen können. Der erste Schritt ist immer Mutation, der zweite immer Selektion. Das Ergebnis nenne von mir aus "Anpassung". Der Umkehrschluß wird aber nicht gelingen.


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Innerhalb der STE gibt es doch einiges an Auseinandersetzung, was überhaupt unter 'Adaption' zu verstehen ist. Und gar nicht so selten sind Aussagen wie bsw. "Anpassung an die tetrapode Lebensweise", die nun nicht das Geringste erklären. Es ist überhaupt schwierig, mit 'Adaption' im Fokus Evolution zu verstehen. - An was bist bsw. Du adaptiert? zwinkern

Temperaturen in einem bestimmten Bereich, bestimmte Nahrungsmittel, Sauerstoff-Partialdruck etc.


Und noch einmal ein zwinkern : Wie grenzt Du Deine 'Adaptionen' im Vergleich zu mir oder einen Schimpansen ab? Und sind diese Optima?


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Das Ergebnis dieses Prozesses (d. h. zu einem willkürliche festgesetzten Zeitpunkt) kannst Du nun - wenn Du das unbedingt so willst - Adaption (oder "Ziel" Teufel ) nennen.

Das mache ich eben _nicht_. Es ging um den _Mechanismus_, ganz konkret, ob die Mechanismen, die _Mikro_evolution bewirken, auch _Makro_evolution bewirken.

Wie gesagt: Wenn Du das so willst. Was machst Du also mit dem Begriff 'Adaption'?

Dort anwenden, wo er sinnvoll ist. Und mich fragen, ob die _Mechanismen_, welche Anpassungen bedingen, in der Lage sind, die Strukturen zu erzeugen, die 'feingetunt' werden.


Und wo ist die Anwendung von 'Adaption' aus Deiner Sicht sinnvoll? Sinnvoller als 'Feintuning' ist die Frage, wie Strukturen erzeugt werden - auch eine 'feingetunte' Struktur wäre eine erzeugte Struktur. Und der Generator hierfür ist letztlich die Mutation. Wo sollen denn die Strukturen sonst herkommen und wo sollen sie sich manifestieren!?


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Die Unterscheidung von Mikro- & Makroevolution hat für mich nur einen heuristischen Gehalt (ähnlich wie die Unterscheidung von Mikro- & Makroökonomie).

Für mich auch. Zudem aber noch als ein 'memento', dass 'Mikro'evolution vielleicht doch nicht alles ist.


Dafür brauchst Du zumindest irgendeinen Anhaltspunkt.


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Na, ob das Mayr so sieht wie ich, glaub' ich nun nicht unbedingt ... . Mr. Green

Mein Punkt war jedenfalls, dass das Kernproblem der Evolution, wie nämlich Neuheiten (wie auch immer man die definieren mag) entstehen, von der STE vernachlässigt wurde. Mayr hat das explizit so dargestellt und auch die Gründe dafür genannt, warum das so war. Gelöst ist das Problem, soweit ich sehe, auch heute noch nicht.


Vereinfacht: Die STE sieht Umwelt als Auslöser für Neuheiten. Also: Unterschiedliche Umwelten -> Unterschiedliche Anpassungen = Innovation. Der Klassiker eben. Aus meiner Sicht nicht hinreichend, aber wo siehst Du da Dein Problem?


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Des weiteren ist eine Änderung der Organismischen Konstruktion noch keine Bewertung. Theoretisch kann sie, was die prognostizierte Fitness betrifft, auch neutral sein. Des weiteren muß die genannte Organismische Konstruktion immer der Ausgangspunkt der Betrachtungen bleiben, wenn also etwas optimiert wird, dann doch Konstruktionen. Aber was sind Optimierungen? - Ist ein Vogel optimaler als ein Säuger, ist blond optimaler als rothaarig? Es kommt gegebenenfalls halt darauf an.

Ich sprach von Veränderungen _innerhalb_ eines 'Bauplans' vs. _Entstehung_ von neuen Bauplänen, genauer, deren _Mechanismen_. Die FET schweigt sich in allen Arbeiten, die ich kenne, vehement darüber aus, _wie_ die Konstruktionen denn eigentlich entstehen. Überall liest man immer nur, warum nur bestimmte Konstruktionen möglich sind und dass 'irgendwie' Mutationen auftreten, Internselektion erfolgt und so weiter. Aber auch in Ansätzen vermag ich keinerlei Mechanismen zu erkennen.

Als Vorwurf las ich das schon öfters, aber eine Antwort von Seiten der FET ist mir nicht bekannt.

Das ist ja auch kein Problem. Wenn Du Deine Abbildung von Sewertzoff betrachtest: Der Weg von a2 -> a5 ist genau so weit wie der Weg a2 -> b2.

Dann vergleiche das mit der äquivalenten Abbildung 8-2 (S. 236) in

Dobzhansky, T.; Ayala, F.J.; Stebbins, G.L.; Valentine, J.W. (1977) 'Evolution' San Francisco, W. H. Freeman zwinkern


Habe ich nicht zur Hand. Traurig


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Die Unterscheidung der Ebenen R und Q ist doch eine willkürliche Kategorisierung.

Kann sein, dass ein gerüttelt Maß an Willkür darin steckt, kann aber auch sein, dass hier ein echtes Problem vorliegt, das man gelegentlich angehen und nicht wegdefinieren sollte.

Mir scheint, dass wir hier beim selben Problem wie beim hypothetischen Realismus sind. Du lehnst etwas ab, nur weil es nicht klar genug definiert werden kann.


Um ein Problem zu lösen, muß es zumindest auch vorhanden sein. Und falsche Annahmen bedingen keine richtigen Lösungen.


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Der Mechanismus der Evolution besteht aus Mutation und Selektion (= Basisalgorithmus) und gut ist's.

Klar. Das Schreiben eines Buchs besteht im Aneinanderreihen von Buchstaben mit nachträglicher Kontrolle. Irgendwie fehlt mir da noch eine Ebene.


Aber warum denn? Und was hat das mit dem Schreiben eines Buchs zu tun?


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Die STE ist hier einseitig extern, die FET einseitig intern orientiert. Ich selbst mache das ein klein wenig anders, aber darüber wollen wir nicht allzu viele Worte verlieren. Sehr glücklich

Wäre echt interessant, zu lesen, was Du konkret vertrittst. Mein Problem ist, dass ich viele Ansätze kenne, aber keinen kenne, der _alle_ Phänomene erklären kann.


Was ich konkret vertrete, wirst Du nächstes Jahr in Buchform lesen können. Ansätze sind Modelle und können schon deshalb nicht allerklärend sein. Aber welche Phänomene sind Dir unerklärlich?


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Eine sehr schöne Analogie in diesem Zusammenhang ist m. E. die Rede vom 'Quantensprung': Hiermit ist ein Durchbruch gemeint; obgleich quantitativ nur marginale Änderungen zu verzeichnen sind, bedeutet dies doch andererseits gravierende qualitative Auswirkungen. Mit anderen Worten: Manche winzigen Modifikationen führen zu massiven Resultaten. Bsw. zur Entstehung von Mimikry.

Exakt das war _nicht_ der Punkt. Es ging nicht um die 'Größe' der Resultate, sondern um das Entstehen von 'Neuheiten'. Beispielsweise nicht darum, ob ein Viech mit Horn ein noch größeres entwickelt, sondern dass zuerst einmal überhaupt ein Horn entsteht. Genauer, dass das eben _nicht_ adaptiv ist und daher von der 'Standard-Theorie' nicht erklärt wird.

Exakt das ist der Punkt. Veränderungen im Zeitablauf sind immer 'Neuheiten'. Eine einzige Mutation ist schon Innovation! Und wie erkennst Du den Merkmale?

Ein Horn von keinem Horn kann ich durchaus unterscheiden.


Wir kommen über die Mustererkennung nun endlich zum Radikalen Konstruktivismus ... . Mr. Green


Cheers,

Lamarck
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Darwin Upheaval
Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator



Anmeldungsdatum: 23.01.2004
Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden

Beitrag(#170160) Verfasst am: 25.08.2004, 19:30    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Lamarck,

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Vo einer "Milieu-/Binnenselektion" zu reden ist etwa genau so wenig sinnvoll wie die Pseudobegriffe "innere/äußere Mathematik" - es gibt nur eine Selektion bzw. Mathematik (Du erinnerst Dich?). Und was "Optimierungs-/Konstruktionsprobleme betrifft, schau Dir folgendes an und ziehe Deine Schlüsse daraus:

Die Zeit hat folgendes geschrieben:
Morris: "Viele der Gene, die in unserem Gehirn aktiv sind, lassen sich bereits in Hefe nachweisen, obwohl diese kein Gehirn hat."


OK, dann sind wir uns ja einig: Neue "Konstruktionen" sind stets "Optimierungen" des vorhandenen Materials, so wie umgekehrt auch "Optimierungen" (im Extremfall: Neutralmutationen) Neukonstruktionen mit neuen Funktionen darstellen können, wenn sich die ("interne, externe") Umwelt entsprechend ändert. (Das ist eigentlich trivial: Funktionen sind ja keine intrinsischen Eigenschaften von Dingen, sondern relationale Eigenschaften.)

Kurzum: Eine strikte Trennung beider Begriffe ist demnach ebenso wenig möglich, wie eine objektive Definition des Begriffs "Bauplan". Damit ist also auch der Begriff "Zweiphasenlehre" inadäquat. Es gibt nur eine einheitliche Evolution, nur die Mutationen haben unterschiedliche Wirkung auf den Phänotyp.


Lamarck hat folgendes geschrieben:
Eine Unterscheidung zwischen Mikro- und Makroevolution ist nur heuristisch sinnvoll;


Wobei die Frage im Raum steht, welche der ca. 50 Definitionen, die meines Wissens Thomas Waschke zusammengetragen hat, "heuristisch sinnvoll" sind. Angesichts des enormen Begriffsumfangs scheint mir nur festzustehen, daß die Begriffe keine ontologische Bedeutung haben können.

Grüße

Martin
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"Science is a candle in the dark." - Carl Sagan

www.ag-evolutionsbiologie.de
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Lamarck
Radikaler Konstruktivist



Anmeldungsdatum: 28.03.2004
Beiträge: 2148
Wohnort: Frankfurt am Main

Beitrag(#170255) Verfasst am: 26.08.2004, 02:20    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Martin!

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Vo einer "Milieu-/Binnenselektion" zu reden ist etwa genau so wenig sinnvoll wie die Pseudobegriffe "innere/äußere Mathematik" - es gibt nur eine Selektion bzw. Mathematik (Du erinnerst Dich?). Und was "Optimierungs-/Konstruktionsprobleme betrifft, schau Dir folgendes an und ziehe Deine Schlüsse daraus:

Die Zeit hat folgendes geschrieben:
Morris: "Viele der Gene, die in unserem Gehirn aktiv sind, lassen sich bereits in Hefe nachweisen, obwohl diese kein Gehirn hat."

OK, dann sind wir uns ja einig: Neue "Konstruktionen" sind stets "Optimierungen" des vorhandenen Materials, so wie umgekehrt auch "Optimierungen" (im Extremfall: Neutralmutationen) Neukonstruktionen mit neuen Funktionen darstellen können, wenn sich die ("interne, externe") Umwelt entsprechend ändert. (Das ist eigentlich trivial: Funktionen sind ja keine intrinsischen Eigenschaften von Dingen, sondern relationale Eigenschaften.)

Kurzum: Eine strikte Trennung beider Begriffe ist demnach ebenso wenig möglich, wie eine objektive Definition des Begriffs "Bauplan". Damit ist also auch der Begriff "Zweiphasenlehre" inadäquat. Es gibt nur eine einheitliche Evolution, nur die Mutationen haben unterschiedliche Wirkung auf den Phänotyp.


Fast. "Optimierungen" wirst Du selten eindeutig detektieren können. Nehmen wir an, Du wärst bsw. Tauben-Züchter und nehmen wir weiter an, Du möchtest auf ein bestimmtes Zuchtziel hinarbeiten. Das wäre also zunächst einmal durchaus - auch wenn es sich etwas seltsam anhört - eine Optimierung hin zu Deinen entsprechenden Vorstellungen. Nicht jedes Zuchtziel wird aber gelingen!

Und üblicherweise sind die Abhängigkeiten nicht so eindeutig, wie bei den Absichten des Züchters. Je komplexer eine (hier: organismische) Konstruktion ist, desto vielfältiger ist die Anzahl der Möglichkeiten, aber auch die Zahl der Limitierungen (Prinzip: Einfacheres verhält sich auch einfacher). Variationen sind zwar immanent, aber das dies letztlich zu großen biometrischen Abweichungen führt, ist dann vergleichsweise selten. Wenn aber der Durchbruch erst einmal gelungen ist, dann manifestiert sich dieses rasch.

Dieses Phänomen kannst Du auch in Wirtschaft, Kultur, Technikgeschichte etc. feststellen. Stelle Dir etwa vor, die Entwicklung der Computer grafisch mit den drei Achsen Zeit (die letzten 10.000 Jahre), Anzahl der Computer und durchschnittliche Rechenleistung darzustellen. Dann: Die Konstruktion 'Computer' mag noch relativ einfach bestimmbar sein. Und die Optimierungen? Okay: Rechenleistung, Grafikfähigkeiten, Ergonomie, Multimedia, Kühlung, Preis ... . - Also ein ganzes Geflecht von wechselseitigen Abhängigkeiten.

Und Konstruktion bestimmt Funktion - auch wenn es sehr menschlich ist, Konstruktionen funktional zu begreifen!


Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Eine Unterscheidung zwischen Mikro- und Makroevolution ist nur heuristisch sinnvoll;

Wobei die Frage im Raum steht, welche der ca. 50 Definitionen, die meines Wissens Thomas Waschke zusammengetragen hat, "heuristisch sinnvoll" sind. Angesichts des enormen Begriffsumfangs scheint mir nur festzustehen, daß die Begriffe keine ontologische Bedeutung haben können.


Deine Aussage, daß Begriffe keine ontologische Bedeutung haben können, ist mir doch sehr recht! Auf den Arm nehmen

Wenn es so viele Definitionen gibt, ist es wissenschaftshistorisch jedenfalls kaum zu unterschätzen: Was ist hierfür die Ursache? Mit 'nur heuristisch' verbinde ich übrigens keine Abwertung. Heuristik ist hier nämlich etwas großartiges, wie eine konstruktionsmorphologische Anekdote nahelegt:

Jean-Baptiste de Lamarck schläft und einige seiner Studenten wollen ihm - als Teufel verkleidet - einen Streich spielen. Sie stürmen also in sein Schlafzimmer und rufen: "Wir wollen Dich fressen!" Lamarck schreckt auf und sagt: Das kann nicht sein! Ihr habt Hörner und Hufe, also seid ihr Vegetarier!


Cheers,

Lamarck
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„Computers are to biology what mathematics is to physics.” (Harold Morowitz)
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Marvin
deterministischer deprimierter Automat



Anmeldungsdatum: 17.04.2004
Beiträge: 234

Beitrag(#170420) Verfasst am: 26.08.2004, 16:15    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo step,

step hat folgendes geschrieben:
Marvin hat folgendes geschrieben:
Wenn das Multiversum sowas wie eine NTM ist, dann wäre unser Bewußtsein (unsere bewußt wahrgenommene Welt) darin ein "Rate-"Pfad....

Man darf die Äquivalenz nicht überstrapazieren: In der MWI sind alle Ratepfade realisiert, aber wir sehen rückblickend nur den einen, den die Vorfahren unserer jetzigen Bewußtseinskopie erlebten.

Das mußte ich jetzt erst mal drüber nachgrübeln.
Mein erster Gedanke war:
Was bedeutet denn "realisert" anderes als "von uns wahrgenommen/wahrnehmbar"?
Dann wäre aber die Frage, warum (im "klassichen" Universum) eine Konfiguration A in B und nicht in B' übergeht nur umformuliert in die Frage, warum (im Multiversum) unser Ich-Empfinden den Pfad nach B und nicht nach B' "wählt".
Aber wenn ich Dich recht verstanden habe "existieren" (nach MWI) sowohl in Punkt B als auch in B' Bewußseinskopien von "uns" in Punkt A ?

Mal ganz blöd gefragt:
Gibt es einen step' der auf einem anderen Pfad in seinem letzten Posting nicht "Bewußtseinskopie" sondern "Bewusstseinskopie" geschrieben hat?


step hat folgendes geschrieben:
Es ist richtig, daß Determinismus den "freien Willen" auf ein "Gefühl der Handlungsfreiheit" reduzieren würde. Jedoch um das scheinbar indeterministische Verhalten unbewußter Materie erklären zu können, bräuchte man in einem indeterministischen Weltbild zusätzlich den "echten metaphysischen Zufall", und das eigentliche Problem besteht darin, daß die CI keine Erklärung für diesen hat.

Streng genommen kann es doch auch gar keine Erklärung für "echten"Zufall geben, denn eine Erklärung im herkömmlichen Sinne würde ein mechanistisches Modell erfordern, dass es ja per definitionem dafür gar nicht geben dürfte, womit der Zufall in einem Logikwölkchen verpuffen würde. zwinkern
Was bleibt ist ein dem Lückenbüßergott nicht unähnliches Hilfs-Postulat, das ebenfalls gottgleich schon eine Nichtwiderlegbarkeit eingebaut hat, also prinzipiell nicht falsifizierbar ist und somit nicht wissenschaftlich.


Gruß Marvin
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step
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Beitrag(#170423) Verfasst am: 26.08.2004, 16:20    Titel: Antworten mit Zitat

Marvin hat folgendes geschrieben:
Aber wenn ich Dich recht verstanden habe "existieren" (nach MWI) sowohl in Punkt B als auch in B' Bewußseinskopien von "uns" in Punkt A ?

Ja.

Marvin hat folgendes geschrieben:
Mal ganz blöd gefragt: Gibt es einen step' der auf einem anderen Pfad in seinem letzten Posting nicht "Bewußtseinskopie" sondern "Bewusstseinskopie" geschrieben hat?

Ja, wenn es zuvor eine Superposition aus beiden Möglichkeiten gab - mit anderen Worten, wenn es physikalisch möglich ist.

Marvin hat folgendes geschrieben:
Streng genommen kann es doch auch gar keine Erklärung für "echten"Zufall geben, denn eine Erklärung im herkömmlichen Sinne würde ein mechanistisches Modell erfordern, dass es ja per definitionem dafür gar nicht geben dürfte, womit der Zufall in einem Logikwölkchen verpuffen würde. zwinkern
Was bleibt ist ein dem Lückenbüßergott nicht unähnliches Hilfs-Postulat, das ebenfalls gottgleich schon eine Nichtwiderlegbarkeit eingebaut hat, also prinzipiell nicht falsifizierbar ist und somit nicht wissenschaftlich.

So sehe ich das auch.

gruß/step
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Beitrag(#170485) Verfasst am: 26.08.2004, 17:49    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Marvin hat folgendes geschrieben:
Streng genommen kann es doch auch gar keine Erklärung für "echten"Zufall geben, denn eine Erklärung im herkömmlichen Sinne würde ein mechanistisches Modell erfordern, dass es ja per definitionem dafür gar nicht geben dürfte, womit der Zufall in einem Logikwölkchen verpuffen würde. zwinkern
Was bleibt ist ein dem Lückenbüßergott nicht unähnliches Hilfs-Postulat, das ebenfalls gottgleich schon eine Nichtwiderlegbarkeit eingebaut hat, also prinzipiell nicht falsifizierbar ist und somit nicht wissenschaftlich.

So sehe ich das auch.

Ist so aber nicht unbedingt richtig. Richtig ist: Der Zufall ist p.d. keine Erklärung für irgendwelche Phänomene, auch nicht für scheinbar Zufälliges, da sonst tautologisch. Der Zufall kann aber bei genauer Betrachtung durchaus eine meta-wissenschaftliche Hypothese sein, nämlich dass es für bestimmte definierte Phänomene keine wissenschaftliche Erklärung gibt. Das kann aber widerlegt werden, indem man für jene Phänomene eine solche findet.
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Beitrag(#170493) Verfasst am: 26.08.2004, 17:55    Titel: Antworten mit Zitat

Babyface hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Marvin hat folgendes geschrieben:
Streng genommen kann es doch auch gar keine Erklärung für "echten"Zufall geben, denn eine Erklärung im herkömmlichen Sinne würde ein mechanistisches Modell erfordern, dass es ja per definitionem dafür gar nicht geben dürfte, womit der Zufall in einem Logikwölkchen verpuffen würde. zwinkern
Was bleibt ist ein dem Lückenbüßergott nicht unähnliches Hilfs-Postulat, das ebenfalls gottgleich schon eine Nichtwiderlegbarkeit eingebaut hat, also prinzipiell nicht falsifizierbar ist und somit nicht wissenschaftlich.

So sehe ich das auch.

Ist so aber nicht unbedingt richtig. Richtig ist: Der Zufall ist p.d. keine Erklärung für irgendwelche Phänomene, auch nicht für scheinbar Zufälliges, da sonst tautologisch. Der Zufall kann aber bei genauer Betrachtung durchaus eine meta-wissenschaftliche Hypothese sein, nämlich dass es für bestimmte definierte Phänomene keine wissenschaftliche Erklärung gibt. Das kann aber widerlegt werden, indem man für jene Phänomene eine solche findet.

Die Annahme eines echten Zufalls ist insofern nicht unwissenschaftlich, als sie als Metahypothese das Betreiben von Wissenschaft nicht verhindert, z.B. funktioniert der QM-Formalismus unabhängig davon.
Die Annahme eines echten Zufalls als "Erklärung" ist aber unwissenschaftlich, und dies hatte - jedenfalls nach meinem Verständnis - Marvin gemeint.

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Darwin Upheaval
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Beitrag(#170504) Verfasst am: 26.08.2004, 18:12    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Lamarck,

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
OK, dann sind wir uns ja einig: Neue "Konstruktionen" sind stets "Optimierungen" des vorhandenen Materials, so wie umgekehrt auch "Optimierungen" (im Extremfall: Neutralmutationen) Neukonstruktionen mit neuen Funktionen darstellen können, wenn sich die ("interne, externe") Umwelt entsprechend ändert. (Das ist eigentlich trivial: Funktionen sind ja keine intrinsischen Eigenschaften von Dingen, sondern relationale Eigenschaften.)

Kurzum: Eine strikte Trennung beider Begriffe ist demnach ebenso wenig möglich, wie eine objektive Definition des Begriffs "Bauplan". Damit ist also auch der Begriff "Zweiphasenlehre" inadäquat. Es gibt nur eine einheitliche Evolution, nur die Mutationen haben unterschiedliche Wirkung auf den Phänotyp.


Fast. "Optimierungen" wirst Du selten eindeutig detektieren können. Nehmen wir an, Du wärst bsw. Tauben-Züchter und nehmen wir weiter an, Du möchtest auf ein bestimmtes Zuchtziel hinarbeiten. Das wäre also zunächst einmal durchaus - auch wenn es sich etwas seltsam anhört - eine Optimierung hin zu Deinen entsprechenden Vorstellungen. Nicht jedes Zuchtziel wird aber gelingen!


Ja, sicher. Das liegt eben am epigenetischen System, das der evolutionären Entwicklung gewisse Zwänge auferlegt...


Lamarck hat folgendes geschrieben:
Und üblicherweise sind die Abhängigkeiten nicht so eindeutig, wie bei den Absichten des Züchters. Je komplexer eine (hier: organismische) Konstruktion ist, desto vielfältiger ist die Anzahl der Möglichkeiten, aber auch die Zahl der Limitierungen (Prinzip: Einfacheres verhält sich auch einfacher). Variationen sind zwar immanent, aber das dies letztlich zu großen biometrischen Abweichungen führt, ist dann vergleichsweise selten. Wenn aber der Durchbruch erst einmal gelungen ist, dann manifestiert sich dieses rasch.

Dieses Phänomen kannst Du auch in Wirtschaft, Kultur, Technikgeschichte etc. feststellen. Stelle Dir etwa vor, die Entwicklung der Computer grafisch mit den drei Achsen Zeit (die letzten 10.000 Jahre), Anzahl der Computer und durchschnittliche Rechenleistung darzustellen. Dann: Die Konstruktion 'Computer' mag noch relativ einfach bestimmbar sein. Und die Optimierungen? Okay: Rechenleistung, Grafikfähigkeiten, Ergonomie, Multimedia, Kühlung, Preis ... . - Also ein ganzes Geflecht von wechselseitigen Abhängigkeiten.

Und Konstruktion bestimmt Funktion - auch wenn es sehr menschlich ist, Konstruktionen funktional zu begreifen!


Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Eine Unterscheidung zwischen Mikro- und Makroevolution ist nur heuristisch sinnvoll;

Wobei die Frage im Raum steht, welche der ca. 50 Definitionen, die meines Wissens Thomas Waschke zusammengetragen hat, "heuristisch sinnvoll" sind. Angesichts des enormen Begriffsumfangs scheint mir nur festzustehen, daß die Begriffe keine ontologische Bedeutung haben können.


Deine Aussage, daß Begriffe keine ontologische Bedeutung haben können, ist mir doch sehr recht! Auf den Arm nehmen


Das wird allerdings ein Mensch, der typologisch denkt, anders sehen. Denk an Schindewolf's Zweiphasenlehre oder gar an die "Grundtypen" der Kreationisten! BTW, wie müßte es in Deiner Terminologie eigentlich heißen? Etwa: "Das Konstrukt ist für mein viables Weltkonstrukt ohne Relevanz"? Auf den Arm nehmen


Lamarck hat folgendes geschrieben:
Wenn es so viele Definitionen gibt, ist es wissenschaftshistorisch jedenfalls kaum zu unterschätzen: Was ist hierfür die Ursache? Mit 'nur heuristisch' verbinde ich übrigens keine Abwertung. Heuristik ist hier nämlich etwas großartiges, wie eine konstruktionsmorphologische Anekdote nahelegt:

Jean-Baptiste de Lamarck schläft und einige seiner Studenten wollen ihm - als Teufel verkleidet - einen Streich spielen. Sie stürmen also in sein Schlafzimmer und rufen: "Wir wollen Dich fressen!" Lamarck schreckt auf und sagt: Das kann nicht sein! Ihr habt Hörner und Hufe, also seid ihr Vegetarier!


Nette Geschichte! Aber noch einmal: Welche Definition ist denn nun Deiner Meinung heuristisch besonders wertvoll? Daß es diejenige nicht sein kann, die sich an der Begrifftrennung "Optimierungs-/Konstruktionsproblem" orientiert, hatten wir ja schon festgestellt. Manche verbinden mit dem Begriff "Makroevolution" auch die Entstehung qualitativer Neuheit. In diesem Fall ist die Unterscheidung aber überflüssig, weil ja der korrespondierende Begriff "Mikroevolution" nichts mehr mit Evolution zu tun hätte.

IIRC wird in Anlehnung an Schindewolf "Makroevolution" oft auch als Evolution "oberhalb des Arttaxons" bezeichnet. Beim Nachdenken ist aber auch diese Definition wenig sinnvoll: Evolution kann sich ja immer nur in Populationen (genauer: an konkreten Individuen) vollziehen und nicht an "höheren Taxa", die ja bloße Begriffe sind. (Hier ist also wieder derjenige im Vorteil, der das reale Individuum von begrifflichen Taxa unterscheiden kann zwinkern ).

Man kann natürlich Mikroevolution auch als Veränderungen innerhalb einer Biospezies, Makroevolution als transspezifische Evolution definieren. Diese Festlegung würde ich heuristisch noch für die sinnvollste halten. Allerdings gibt es ja auch phyletische Evolution, wonach selbst tiefgreifende phänotypische Veränderungen innerhalb einer Population als Mikroevolution gelten würden, wenn keine Artspaltung stattgefunden hat. Vielleicht wäre es daher doch besser, auf die Begriffe ganz zu verzichten.

Grüße

Martin
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Babyface
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Beitrag(#170506) Verfasst am: 26.08.2004, 18:13    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Marvin hat folgendes geschrieben:
Streng genommen kann es doch auch gar keine Erklärung für "echten"Zufall geben, denn eine Erklärung im herkömmlichen Sinne würde ein mechanistisches Modell erfordern, dass es ja per definitionem dafür gar nicht geben dürfte, womit der Zufall in einem Logikwölkchen verpuffen würde. zwinkern
Was bleibt ist ein dem Lückenbüßergott nicht unähnliches Hilfs-Postulat, das ebenfalls gottgleich schon eine Nichtwiderlegbarkeit eingebaut hat, also prinzipiell nicht falsifizierbar ist und somit nicht wissenschaftlich.

So sehe ich das auch.

Ist so aber nicht unbedingt richtig. Richtig ist: Der Zufall ist p.d. keine Erklärung für irgendwelche Phänomene, auch nicht für scheinbar Zufälliges, da sonst tautologisch. Der Zufall kann aber bei genauer Betrachtung durchaus eine meta-wissenschaftliche Hypothese sein, nämlich dass es für bestimmte definierte Phänomene keine wissenschaftliche Erklärung gibt. Das kann aber widerlegt werden, indem man für jene Phänomene eine solche findet.

Die Annahme eines echten Zufalls ist insofern nicht unwissenschaftlich, als sie als Metahypothese das Betreiben von Wissenschaft nicht verhindert, z.B. funktioniert der QM-Formalismus unabhängig davon.
Die Annahme eines echten Zufalls als "Erklärung" ist aber unwissenschaftlich, und dies hatte - jedenfalls nach meinem Verständnis - Marvin gemeint.

Ja. Aber die Begründung war falsch. Den Zufall als Erklärung für Pänomene heranzuziehen ist nicht deshalb unwissenschaftlich, weil Zufall prinzipiell nicht widerlegbar wäre, sondern weil es schlicht eine Tautologie ist.
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Beitrag(#170510) Verfasst am: 26.08.2004, 18:18    Titel: Antworten mit Zitat

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Man kann natürlich Mikroevolution auch als Veränderungen innerhalb einer Biospezies, Makroevolution als transspezifische Evolution definieren. Diese Festlegung würde ich heuristisch noch für die sinnvollste halten.

Das macht aber doch nur Sinn, wenn der Artbegriff eindeutig und operationalisierbar ist. Ist er das? (Da kenne ich mich wirklich nicht gut aus ...)

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Beitrag(#170511) Verfasst am: 26.08.2004, 18:21    Titel: Antworten mit Zitat

Babyface hat folgendes geschrieben:
Ja. Aber die Begründung war falsch. Den Zufall als Erklärung für Pänomene heranzuziehen ist nicht deshalb unwissenschaftlich, weil Zufall prinzipiell nicht widerlegbar wäre, sondern weil es schlicht eine Tautologie ist.

Ah, verstehe was Du meinst, und stimme zu.

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Marvin
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Beitrag(#170513) Verfasst am: 26.08.2004, 18:24    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo Babyface,

Babyface hat folgendes geschrieben:
Ja. Aber die Begründung war falsch. Den Zufall als Erklärung für Pänomene heranzuziehen ist nicht deshalb unwissenschaftlich, weil Zufall prinzipiell nicht widerlegbar wäre, sondern weil es schlicht eine Tautologie ist.

Hast recht.
Widerlegbar ist im Einzelfall natürlich auf genau die Weise, die Du beschrieben hast - durch Angabe einer wissenschaftlichen Erklärung.
Im Allgemeinen hingegen nicht, ausser man würde für alle bisher zufällig erscheinenden Phänomene eine solche angeben können.
Ich könnte also auch sagen: Zufall ist prinzipiell nicht beweisbar, aber was ist das schon...


Gruß Marvin
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Darwin Upheaval
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Beitrag(#170516) Verfasst am: 26.08.2004, 18:50    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Step,

step hat folgendes geschrieben:
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Man kann natürlich Mikroevolution auch als Veränderungen innerhalb einer Biospezies, Makroevolution als transspezifische Evolution definieren. Diese Festlegung würde ich heuristisch noch für die sinnvollste halten.

Das macht aber doch nur Sinn, wenn der Artbegriff eindeutig und operationalisierbar ist. Ist er das? (Da kenne ich mich wirklich nicht gut aus ...)


Wenn Du die Definition der Genospezies verwendest, scheint mir das der Fall zu sein. (Thomas und Lamarck können dazu aber kompetenter antworten.) Demnach gehören einfach alle Organismen zu einer Bio- oder Genospezies, wenn sie zu einer Fortpflanzungsgemeinschaft gehören und fertile Nachkommen hinterlassen. Aber wie gesagt, es gibt auch phyletische Speziation, also die Veränderung einer Fortpflanzungsgemeinschaft, ohne daß eine polytome Aufspaltung stattfindet. Außerdem kannst Du Organismen, die sich asexuell vermehren, ebensowenig unter die Kategorie subsumieren, wie Fossilien. Ohne einen Bestimmungsschlüssel, der sich am Phänotyp orientiert, wird das also sehr schwierig zwinkern

Aus Sicht der Kladistik, die Lebewesen unter konsequenter Berücksichtigung evolutionären Neuheiten klassifiziert, macht es allerdings überhaupt keinen Sinn mehr, mit dem Begriffspaar Mikro-/Makroevolution zu hantieren. Es gibt dort ja keine "getrennten Großgruppen" mehr, die durch "makroevolutionäre Sprünge[/b]" [i]überbrückt werden müssen (wie z.B. eine Gruppe "Reptilien" und eine Gruppe "Vögel"), sondern nur noch feinverästelte Verzweigungen. (So sind z.B. Vögel und Krocodile [ranggleiche] Schwestertaxa, die gemeinsam mit anderen "Reptilien" in das Taxon "Sauropsida" eingeschachtelt sind. Wollte man jetzt dort ein Taxon "Reptilia" und "Vögel" einführen und einen makroevolutionären Übergang "Reptilia -> Aves" fordern, wäre dies aus Sicht der Kladistik der blanke Unsinn.) Dort eine "Grenze" einzuführen, wäre Willkür. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Debatte um "Übergangsformen", wie sie Kreationisten führen, sinnlos. So lautet zumindest die Einschätzung von Mahner (pers. comm.) sowie eines anderen Menschen, der sich von berufs wegen mit Kladistik beschäftigt.

Grüße

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Babyface
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Beiträge: 11519

Beitrag(#170538) Verfasst am: 26.08.2004, 20:06    Titel: Antworten mit Zitat

Marvin hat folgendes geschrieben:
Widerlegbar ist im Einzelfall natürlich auf genau die Weise, die Du beschrieben hast - durch Angabe einer wissenschaftlichen Erklärung.
Im Allgemeinen hingegen nicht, ausser man würde für alle bisher zufällig erscheinenden Phänomene eine solche angeben können.

Das ist korrekt. Und deshalb ist die Hypothese "Es gibt den echten Zufall (aber ich sag nicht wo zwinkern )" eine praktisch unwiderlegbare Existenzhypothese. In diesem Fall hätte der Zufall allerdings nicht mehr die Funktion als Lückenbüßer.
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Lamarck
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Beitrag(#170563) Verfasst am: 26.08.2004, 21:18    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Martin!

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Das liegt eben am epigenetischen System, das der evolutionären Entwicklung gewisse Zwänge auferlegt...


Genau! Und die Epigenetik stellst Du nun einem multiplen Optimierungsbegriff gegenüber und schon kannst Du Deinen Chef aufgrund Deiner evolutionsbiologischen Kenntnisse mit vollem Recht um eine ordentliche Gehaltserhöhung angehen. zwinkern


Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Das wird allerdings ein Mensch, der typologisch denkt, anders sehen. Denk an Schindewolf's Zweiphasenlehre oder gar an die "Grundtypen" der Kreationisten! BTW, wie müßte es in Deiner Terminologie eigentlich heißen? Etwa: "Das Konstrukt ist für mein viables Weltkonstrukt ohne Relevanz"? Auf den Arm nehmen


Ja. Aber typologisches Denken ist nur eine metaphysische Verrenkung und kann deshalb mit relativ wenig intellektuellem Aufwand zerlegt werden. In viabler Hinsicht also nicht belastbar. Mr. Green


Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Aber noch einmal: Welche Definition ist denn nun Deiner Meinung heuristisch besonders wertvoll? Daß es diejenige nicht sein kann, die sich an der Begrifftrennung "Optimierungs-/Konstruktionsproblem" orientiert, hatten wir ja schon festgestellt. Manche verbinden mit dem Begriff "Makroevolution" auch die Entstehung qualitativer Neuheit. In diesem Fall ist die Unterscheidung aber überflüssig, weil ja der korrespondierende Begriff "Mikroevolution" nichts mehr mit Evolution zu tun hätte.

IIRC wird in Anlehnung an Schindewolf "Makroevolution" oft auch als Evolution "oberhalb des Arttaxons" bezeichnet. Beim Nachdenken ist aber auch diese Definition wenig sinnvoll: Evolution kann sich ja immer nur in Populationen (genauer: an konkreten Individuen) vollziehen und nicht an "höheren Taxa", die ja bloße Begriffe sind. (Hier ist also wieder derjenige im Vorteil, der das reale Individuum von begrifflichen Taxa unterscheiden kann zwinkern ).

Man kann natürlich Mikroevolution auch als Veränderungen innerhalb einer Biospezies, Makroevolution als transspezifische Evolution definieren. Diese Festlegung würde ich heuristisch noch für die sinnvollste halten. Allerdings gibt es ja auch phyletische Evolution, wonach selbst tiefgreifende phänotypische Veränderungen innerhalb einer Population als Mikroevolution gelten würden, wenn keine Artspaltung stattgefunden hat. Vielleicht wäre es daher doch besser, auf die Begriffe ganz zu verzichten.


Ich hatte es schon mal an anderer Stelle erwähnt: Ich verzichte auf diese Begriffe. Heuristisch sinnvoll ist für mich hier jede relative Aussage, die sich aus dem Kontext erschließt; z. B. kleine gegenüber große Veränderung im Zeitablauf. Auch die Erzeugung von Bildern wie "Lebende Fossilien" gehört hierher. Klar, die sich hieraus ergebende Argumentation ist - was die logische Konsistenz betrifft - nicht ungefährlich.

Deine Überlegungen hier geben in Kürze genau die betreffende Diskussion wieder.


Cheers,

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Lamarck
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Beitrag(#170565) Verfasst am: 26.08.2004, 21:19    Titel: Antworten mit Zitat

Hi step!

step hat folgendes geschrieben:
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Man kann natürlich Mikroevolution auch als Veränderungen innerhalb einer Biospezies, Makroevolution als transspezifische Evolution definieren. Diese Festlegung würde ich heuristisch noch für die sinnvollste halten.

Das macht aber doch nur Sinn, wenn der Artbegriff eindeutig und operationalisierbar ist. Ist er das? (Da kenne ich mich wirklich nicht gut aus ...)


Der Artbegriff ist nach jeweiliger zugrundeliegender Definition mehr oder weniger so eindeutig und operationalisierbar wie Isobare oder die Höhenlinien in einer Landkarte - eben eine diskretierte Vereinfachung.






Cheers,

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Beitrag(#170570) Verfasst am: 26.08.2004, 21:42    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Lamarck,

hmm ... obwohl die Isobaren ja sehr schön quantifizierbar sind, scheint mir Deine Analogie eher die Kontinuierlichkeit und Willkürlichkeit des Artbegriffs verdeutlichen zu wollen ... während es bei Martin eher nach einer "harten" Definition (Fertilität, Fortpflanzungsgemeinschaft) aussieht ...

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El Schwalmo
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Beitrag(#170610) Verfasst am: 26.08.2004, 22:33    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Lamarck,

[ Adaptation ]

irgendwie ist das nicht mein Problem. Mein Punkt war, dass ich zeigen wollte, dass der Ansatz, Evolution durch kleine, jeweils selektionspositive (AKA adaptive) Schritte zu erklären, nicht tragfähig ist.

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Und wo ist die Anwendung von 'Adaption' aus Deiner Sicht sinnvoll?


Beim Vergleich von Strukturen. Wenn ich Menschen von Titicacasee mit mir vergleiche, haben die Merkmale, die sich von meinen unterscheiden. Die kann man als Anpassung an Sauerstoffpartialdruckunterschiede deuten.

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Sinnvoller als 'Feintuning' ist die Frage, wie Strukturen erzeugt werden - auch eine 'feingetunte' Struktur wäre eine erzeugte Struktur.


Genau das war meine Frage, und genau die wird weder von der STE noch der FET oder irgendeiner anderen Evolutionstheorie, die ich kenne, befriedigend beantwortet.

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Und der Generator hierfür ist letztlich die Mutation. Wo sollen denn die Strukturen sonst herkommen und wo sollen sie sich manifestieren!?


Klar. Aber etwas genauer möchte ich es schon wissen. Was ist genau eine 'Mutation'? Welche erzeugen 'Neuheiten'? Das in etwa ist eine Erklärung. Aber einfach zu sagen: die entstehen halt, scheint mir ein Schritt zu wenig zu sein.

Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:

Für mich auch. Zudem aber noch als ein 'memento', dass 'Mikro'evolution vielleicht doch nicht alles ist.


Dafür brauchst Du zumindest irgendeinen Anhaltspunkt.


Wie gesagt, ein Thread, wie eine _bestehende_ Struktur optimiert wird, ein anderer, wie sie entsteht. Beidesmal sind es Mutationen. Ist das schon alles?

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Na, ob das Mayr so sieht wie ich, glaub' ich nun nicht unbedingt ... . :mrgreen:

Mein Punkt war jedenfalls, dass das Kernproblem der Evolution, wie nämlich Neuheiten (wie auch immer man die definieren mag) entstehen, von der STE vernachlässigt wurde. Mayr hat das explizit so dargestellt und auch die Gründe dafür genannt, warum das so war. Gelöst ist das Problem, soweit ich sehe, auch heute noch nicht.


Vereinfacht: Die STE sieht Umwelt als Auslöser für Neuheiten. Also: Unterschiedliche Umwelten -> Unterschiedliche Anpassungen = Innovation. Der Klassiker eben. Aus meiner Sicht nicht hinreichend, aber wo siehst Du da Dein Problem?


Dass in gleichen Umwelten verschiedene Lebensformen auftreten, und dass bestimmte Lebensformen in verschiedenen Umwelten vorkommen. Ich weiß nicht, wo sich beispielsweise Lingula in den letzen Jahrmillionen herumgetrieben hat, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das immer dieselbe Umwelt war.

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:

Das ist ja auch kein Problem. Wenn Du Deine Abbildung von Sewertzoff betrachtest: Der Weg von a2 -> a5 ist genau so weit wie der Weg a2 -> b2.

Dann vergleiche das mit der äquivalenten Abbildung 8-2 (S. 236) in

Dobzhansky, T.; Ayala, F.J.; Stebbins, G.L.; Valentine, J.W. (1977) 'Evolution' San Francisco, W. H. Freeman ;-)


Habe ich nicht zur Hand. :(


War auch nicht ernst gemeint. In dieser Abbildung war nur die Distanz zwischen den Ebenen größer gezeichnet.


Lamarck hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Die Unterscheidung der Ebenen R und Q ist doch eine willkürliche Kategorisierung.

Kann sein, dass ein gerüttelt Maß an Willkür darin steckt, kann aber auch sein, dass hier ein echtes Problem vorliegt, das man gelegentlich angehen und nicht wegdefinieren sollte.

Mir scheint, dass wir hier beim selben Problem wie beim hypothetischen Realismus sind. Du lehnst etwas ab, nur weil es nicht klar genug definiert werden kann.


Um ein Problem zu lösen, muß es zumindest auch vorhanden sein. Und falsche Annahmen bedingen keine richtigen Lösungen.


Stimmt. Ich sehe, dass mit den Mechanismen der Adaptiogenese die Phylogenese offensichtlich nicht erklärt werden kann. Und die Annahme, dass 'Mutation und das war es dann auch schon', scheint mir bestenfalls insuffizient zu sein. Bin mal gespannt, ob Du in Deinem Buch eine richtige Lösung auf dieser Basis vorlegst.

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Der Mechanismus der Evolution besteht aus Mutation und Selektion (= Basisalgorithmus) und gut ist's.

Klar. Das Schreiben eines Buchs besteht im Aneinanderreihen von Buchstaben mit nachträglicher Kontrolle. Irgendwie fehlt mir da noch eine Ebene.


Aber warum denn? Und was hat das mit dem Schreiben eines Buchs zu tun?


Nichts. Es war nur ein Versuch, zu zeigen, dass man zwar den grundlegenden Prozess kennt, daraus aber noch keine Erklärung zu erstellen vermag.

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Die STE ist hier einseitig extern, die FET einseitig intern orientiert. Ich selbst mache das ein klein wenig anders, aber darüber wollen wir nicht allzu viele Worte verlieren. :D

Wäre echt interessant, zu lesen, was Du konkret vertrittst. Mein Problem ist, dass ich viele Ansätze kenne, aber keinen kenne, der _alle_ Phänomene erklären kann.


Was ich konkret vertrete, wirst Du nächstes Jahr in Buchform lesen können.


Bin gespannt.

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Ansätze sind Modelle und können schon deshalb nicht allerklärend sein. Aber welche Phänomene sind Dir unerklärlich?


Beispielsweise unterschiedliche Evolutionsgeschwindigkeiten verschiedener Organismengruppen. Die Tatsache, dass in den letzten Jahrmillionen keine neue Form mehr entstanden ist, die man als neuen Bauplan bezeichnen müsste.

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Eine einzige Mutation ist schon Innovation! Und wie erkennst Du den Merkmale?

Ein Horn von keinem Horn kann ich durchaus unterscheiden.


Wir kommen über die Mustererkennung nun endlich zum Radikalen Konstruktivismus ... . :mrgreen:


Ich hoffe, dass ich hier schon ad nausam erklärt habe, dass ich Konstruktivist in dem Sinne, dass wir ein _Bild_ der Welt konstruieren, bin. Wenn Du aber die Welt als von uns konstruiert betrachtest, begrüße ich Dich im Club der Solipsisten. Für mich ist der hypothetische Realismus plausibler.

BTW, wir sind uns vermutlich einiger, als das auf den ersten Blick scheint. Natürlich ist die Grundlage für alle Veränderungen letztendlich durch Mutationen bedingt. Was mich jetzt interessiert, ist, wie das genau abläuft. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es sich irgendwann herausstellt, dass es einfach keine 'Erklärung' jenseits von 'das ist halt so' gibt. Auch wenn man noch so schön von Konstruktion, Membranschluss und so weiter redet und noch so eloquent konstruktive Notwendigkeiten aufzeigen kann, wäre es doch ganz interessant, zu erfahren, wie denn nun genau aus einer Konstruktion eine andere werden kann. Einfach 'Mutation' zu sagen scheint mir etwas zu dürftig zu sein.

Grüßle

Thomas
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Beitrag(#170626) Verfasst am: 26.08.2004, 23:24    Titel: Antworten mit Zitat

Hi step!

step hat folgendes geschrieben:
hmm ... obwohl die Isobaren ja sehr schön quantifizierbar sind, scheint mir Deine Analogie eher die Kontinuierlichkeit und Willkürlichkeit des Artbegriffs verdeutlichen zu wollen ... während es bei Martin eher nach einer "harten" Definition (Fertilität, Fortpflanzungsgemeinschaft) aussieht ...


Richtig: Die Isobaren sind wie die Arten quantifizierbar, aber die entsprechenden Stufen sind doch kontinuierlich. Die "Definition nach Martin" ist - jedenfalls für einen Teil der Fälle - schon entsprechend "hart". Was aber ist zu tun, wenn sich der Einzelfall nicht daran hält? Als Beispiel: Die Kreuzung zwischen Pferd und Esel gilt als steril. In seltenen Fällen ist das Ergebnis aber dann doch fertil!

Hier ein komplizierterer Fall: Die Abbildung zeigt den heimischen Teichfrosch Rana kl. esculenta. »kl.« steht für Klepton (von griech. klepto = ich stehle) und verdeutlicht den Status eines Sexualparasiten.





Vor etwa 20 Jahren wurde entdeckt, das die Zellen des Teichfroschs entweder zwei oder drei vollständige Chromosomensätze enthalten (diploid bzw. triploid). Es zeigte sich, dass Rana kl. esculenta ein Bastard aus dem Kleinen Wasserfrosch R. lessonae und dem Seefrosch R. ridibunda ist. Die resultierenden Hybriden - diploide und triploide Tiere - können sich nun beliebig kreuzen; dabei sind nur die Nachkommen lebensfähig, die mindestens jeweils ein Genom vom Kleinen Wasserfrosch sowie dem Seefrosch enthalten und demnach wieder Teichfrösche sind!

Also: Eindeutig ein Bastard, zudem fertil und bildet Fortpflanzungsgemeinschaften, die nur aus Teichfröschen bestehen und dies vermutlich seit der letzten Eiszeit.

Frage: Ist der Teichfrosch eine eigene Art (gleich, welche Definition hier zugrunde liegt) oder sind die drei dargestellten Taxa zu einer einzigen Art (mit welcher Begründung?) zusammenzufassen?


Cheers,

Lamarck
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step
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Beitrag(#170671) Verfasst am: 27.08.2004, 09:39    Titel: Antworten mit Zitat

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Also: Eindeutig ein Bastard, zudem fertil und bildet Fortpflanzungsgemeinschaften, die nur aus Teichfröschen bestehen und dies vermutlich seit der letzten Eiszeit.

Frage: Ist der Teichfrosch eine eigene Art (gleich, welche Definition hier zugrunde liegt) oder sind die drei dargestellten Taxa zu einer einzigen Art (mit welcher Begründung?) zusammenzufassen?

Keine Ahnung, aber danke für das Beispiel. Ich würde sagen, kl. Wasserfrosch und Seefrosch haben schwer gegen Gottes Gebote gesündigt, und dies vermutlich seit der letzten Eiszeit ...

gruß/step
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El Schwalmo
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Beitrag(#170707) Verfasst am: 27.08.2004, 11:07    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Lamarck, hi step

[ Problematik Art ]

die von Lamarck geschilderten Beispiele sind recht anschaulich. In einer Arbeit, die erst ein paar Jahre alt ist, werden über 20 Artdefinitionen aufgelistet, die in der aktuellen Literatur verwendet werden. Das zeigt schon überdeutlich, dass hier ein echtes Problem vorliegt, das vermutlich das Herz des Konstruktivisten höher schlagen lässt (es 'gibt' gar keine Arten, wir basteln uns nur welche).

Fakt scheint mir aber zu sein, dass es kein Formen_kontinuum_ gibt. Das bedeutet, dass nur bestimmte Kombinationen von Genen (die ja letztendlich die Form bestimmen) lebensfähig sind. Der 'morphospace' ist geclustert. Wie man nun genau diese Cluster erkennt, zusammenfasst und benamst ist wirklich eine spannende Frage.

Auch die Kladistik hilft hier nur bedingt weiter. Im Extremfall (Musterkladisten) kommen diese Menschen ja sogar ohne Evolution aus, weil man das Verfahren auch problemlos auf Bierdeckel oder Kaffeetassen anwenden kann.

Das komplexeste Problem in diesem Bereich scheinen mir diachrone Arten zu sein. Wie kann man beispielsweise entscheiden, ob ein Pfeilschwanzkrebs, der sich heute irgendwo im Pazifik tummelt, zur gleichen Art gehört wie ein morphologisch praktisch identisches Fossil, das vor Jahrmillionen gelebt hat?

Wenn ich es richtig verstanden habe, befasst sich die Kladistik explizit mit rezenten Formen bzw. solchen auf einer Zeitebene. Hennig, der dieses Verfahren begründete, hat das jedenfalls explizit so gesehen. Erst seine Epigonen haben aus dieser Methode mehr gemacht, als sie vermutlich leisten kann.

Grüßle

Thomas
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step
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Beitrag(#170736) Verfasst am: 27.08.2004, 11:30    Titel: Antworten mit Zitat

Meine (zugegeben von nicht sehr tiefem Fachwissen geprägte) Vorstellung war immer, daß die offensichtliche Diskontinuität der Formen zustandekommt durch die Tatsache, daß die einzelnen Basenpaare und selbst Gene multifunktional sind und der Aufbau des Phänotyps nur durch ein komplexes Zusammenspiel von mehrstufigen biochemischen Mechanismen erfolgt. Schon allein die Multifunktionalität würde nach meinem Verständnis eine etwaige Kontinuität der Formen durch Mutation in den meisten Fällen zerstören, ohne daß man dafür Selektion braucht. Das müßte man sogar relativ leicht simulieren können, weil es ein rein statistisches Argument ist.

Um kontinuierliche Formen zu erlauben, bräuchte man - vermute ich - viel mehr und dafür stärker unifunktionale (an einen best. Freiheitsgrad gebundene) Gene.

Vermutlich ist es viel komplizierter, aber ich wüßte mal gerne, was an einer so einfachen Erklärung falsch ist.

gruß/step
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Darwin Upheaval
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Beitrag(#170748) Verfasst am: 27.08.2004, 11:46    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Step,

step hat folgendes geschrieben:
Meine (zugegeben von nicht sehr tiefem Fachwissen geprägte) Vorstellung war immer, daß die offensichtliche Diskontinuität der Formen zustandekommt durch die Tatsache, daß die einzelnen Basenpaare und selbst Gene multifunktional sind und der Aufbau des Phänotyps nur durch ein komplexes Zusammenspiel von mehrstufigen biochemischen Mechanismen erfolgt. Schon allein die Multifunktionalität würde nach meinem Verständnis eine etwaige Kontinuität der Formen durch Mutation in den meisten Fällen zerstören, ohne daß man dafür Selektion braucht.


So ist es. Genauer: Das komplexe Zusammenspiel der Gene hat zur Folge, daß Mutationen meist Folgelasten mit sich bringen, die letal enden. Das heißt, daß nur ganz bestimmte "Entwicklungspfade" überhaupt beschritten werden können, die überlebensadäquat sind (Stichwort: constraints). Daher ist völlig unmöglich, daß sich die Arten kontinuierlich wandeln, weil das epigenetische System nur diskrete Änderungen zuläßt. Das Ergebnis ist dann weit mehr eine Merkmalskonstanz bzw. eine Mosaikevolution als ein Formenkontinuum. Dies gilt vor allem für phylogenetisch alte Merkmale, auf die bereits viele weitere Merkmale aufbauen (wie z.B. das ZNS, der Wirbelkanal oder das Herz). Diese können sich fast gar nicht mehr verändern, weil dadurch auch die untergeordneten Merkmale beeinträchtigt und so das Zusammenspiel aus dem Gefüge gerät. Auch hier ist die Erklärung der STE, daß Merkmalskonstanz durch konstante Umwelten verursacht wird, nicht sehr überzeugend.

Grüße

Martin
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Darwin Upheaval
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Beitrag(#170772) Verfasst am: 27.08.2004, 12:13    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Thomas,

Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
[ Adaptation ]

irgendwie ist das nicht mein Problem. Mein Punkt war, dass ich zeigen wollte, dass der Ansatz, Evolution durch kleine, jeweils selektionspositive (AKA adaptive) Schritte zu erklären, nicht tragfähig ist.


Wenn Du mit Selektion "Umweltselektion" (als einzigen Auslesefaktor) meinst, sind wir uns einig. Aber es gibt ja, wie ich Step eben schreib, auch so etwas wie eine "interne" Selektion, die Lamarck - wenn ich ihn nicht ganz mißverstanden habe – ebenfalls unter den allgemeinen Selektionsbegriff subsumiert. Klar, das hat mit dem naiven Adaptationismus der STE nichts mehr zu tun. Aber läßt sich deswegen pauschal sagen, daß die Basisfaktoren Mutation/Selektion die Phylogenese nicht (anstatt: unvollständig) erklären?


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Und wo ist die Anwendung von 'Adaption' aus Deiner Sicht sinnvoll?


Beim Vergleich von Strukturen. Wenn ich Menschen von Titicacasee mit mir vergleiche, haben die Merkmale, die sich von meinen unterscheiden. Die kann man als Anpassung an Sauerstoffpartialdruckunterschiede deuten.


So sehe ich das auch. Aber Du weißt ja, daß man den Begriff "Adaptation" weiter fassen kann, als die STE es tut: Merkmale sind ja auch an das "innere Milieu" adaptiert.


[...]

Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:

Für mich auch. Zudem aber noch als ein 'memento', dass 'Mikro'evolution vielleicht doch nicht alles ist.


Dafür brauchst Du zumindest irgendeinen Anhaltspunkt.


Wie gesagt, ein Thread, wie eine _bestehende_ Struktur optimiert wird, ein anderer, wie sie entsteht. Beidesmal sind es Mutationen. Ist das schon alles?


Hmmm... Kann etwas entstehen, ohne daß schon irgend etwas da ist, das sich wandelt? Wie schon einmal gefragt: Mithilfe welcher Kriterien willst Du den Prozeß der "Optimierung" von dem der "Konstruktion" abgrenzen? Auf der Basis idealistischen Denkens, wie es Schindewolf vertreten hat oder R. Junker mit seinen "Grundtypen" vertritt?


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Vereinfacht: Die STE sieht Umwelt als Auslöser für Neuheiten. Also: Unterschiedliche Umwelten -> Unterschiedliche Anpassungen = Innovation. Der Klassiker eben. Aus meiner Sicht nicht hinreichend, aber wo siehst Du da Dein Problem?


Dass in gleichen Umwelten verschiedene Lebensformen auftreten, und dass bestimmte Lebensformen in verschiedenen Umwelten vorkommen. Ich weiß nicht, wo sich beispielsweise Lingula in den letzen Jahrmillionen herumgetrieben hat, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das immer dieselbe Umwelt war.


Genau das kritisiere ich, wenn jemand meint, mithilfe der Anpassung an eine konstante Umwelt die Merkmalskonstanz erklären zu können (siehe meine Antwort an Step). Die Streitfrage ist doch nur, ob damit das Schema der STE zur Erklärung der Phylogenese widerlegt worden ist (wie z.B. die Anhänger der FET oder Kreationisten behaupten), oder ob das Erklärungsschema nur unvollständig ist, weil andere Faktoren mit hineinspielen. Welcher Antwort neigst Du also zu?


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Stimmt. Ich sehe, dass mit den Mechanismen der Adaptiogenese die Phylogenese offensichtlich nicht erklärt werden kann.


Ist "Variation und Auslese" keine (mechanismische) Erklärung? Natürlich ist die Erklärung sowohl allgemein als auch imperfekt. Das heißt IMAO aber nicht, daß sie falsch ist. Und mal ehrlich: Welche wissenschaftliche Erklärung ist nicht mehr oder minder unvollständig?


[...]

Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
BTW, wir sind uns vermutlich einiger, als das auf den ersten Blick scheint. Natürlich ist die Grundlage für alle Veränderungen letztendlich durch Mutationen bedingt. Was mich jetzt interessiert, ist, wie das genau abläuft. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es sich irgendwann herausstellt, dass es einfach keine 'Erklärung' jenseits von 'das ist halt so' gibt. Auch wenn man noch so schön von Konstruktion, Membranschluss und so weiter redet und noch so eloquent konstruktive Notwendigkeiten aufzeigen kann, wäre es doch ganz interessant, zu erfahren, wie denn nun genau aus einer Konstruktion eine andere werden kann. Einfach 'Mutation' zu sagen scheint mir etwas zu dürftig zu sein.


Wie gesagt, es gibt ja nicht nur die STE, sondern auch vollständigere Theorien, die im wahrsten Sinne des Wortes auch "tiefere" Erklärungen parat haben. Obwohl der Rahmen gewissermaßen erst noch mit "Fleisch" gefüllt werden muß, sind sie nicht auf dem Niveau "das ist halt so" stehengeblieben, wie Du das hast anklingen lassen. Daher noch einmal meine Frage: Ist eine unvollständige Erklärung in Deinen Augen keine Erklärung bzw. eine falsche?

Grüße

Martin
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Lamarck
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Beitrag(#170883) Verfasst am: 27.08.2004, 14:34    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Thomas!

Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
[ .. ] irgendwie ist das nicht mein Problem. Mein Punkt war, dass ich zeigen wollte, dass der Ansatz, Evolution durch kleine, jeweils selektionspositive (AKA adaptive) Schritte zu erklären, nicht tragfähig ist.


Okay, dann wollen wir versuchen, Deinem Problem zu Leibe zu rücken. Wie gesagt, ich weiß nicht so recht, was Du als problematisch ansiehst, aber vielleicht habe ich jetzt eine halbwegs zutreffende Vermutung. Zunächst: Deinen genannten 'Punkt' unterschreibe ich, ich vertrete aber hier nicht die herrschende Meinung.

Selektionspositiv könnte übrigens durchaus etwas anderes bedeuten als adaptiv, jedenfalls wenn Du den Blickwinkel mit in Betracht ziehst.


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Und wo ist die Anwendung von 'Adaption' aus Deiner Sicht sinnvoll?

Beim Vergleich von Strukturen. Wenn ich Menschen von Titicacasee mit mir vergleiche, haben die Merkmale, die sich von meinen unterscheiden. Die kann man als Anpassung an Sauerstoffpartialdruckunterschiede deuten.


Genau: Du sprichst von Deutung! Phänomene lassen sich durchaus 'deuten', aber läßt sich in der Umkehrung in einer 1 : 1 - Relation von einer Deutung auf ein Phänomen schließen? Das ist das grundsätzliche Problem der Hermeneutik. Also: Die Aussage

Mensch ⇔ Sauerstoffpartialdruck

ist hier offenbar bei weitem nicht hinreichend.


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Sinnvoller als 'Feintuning' ist die Frage, wie Strukturen erzeugt werden - auch eine 'feingetunte' Struktur wäre eine erzeugte Struktur.

Genau das war meine Frage, und genau die wird weder von der STE noch der FET oder irgendeiner anderen Evolutionstheorie, die ich kenne, befriedigend beantwortet.


Strukturen entstehen allgemein von selbst. - Aber schnell, bevor step mit mir schimpft: Strukturen sind systemimmanent.

Bsp. Schneeflocke. Die STE würde hier sagen: Die Gestalt der Schneeflocken läßt sich als eine Anpassung an Luftfeuchtigkeit und Temperatur deuten. Des weiteren sind Constraints zu verzeichnen - Schneeflocken haben aufgrund des Packungsproblems immer sechs Zweige. Unerklärlich ist uns aber, warum wir trotz ähnlicher Umweltbedingungen noch nie zwei identische Schneeflocken beobachtet haben ... . zwinkern






Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Und der Generator hierfür ist letztlich die Mutation. Wo sollen denn die Strukturen sonst herkommen und wo sollen sie sich manifestieren!?

Klar. Aber etwas genauer möchte ich es schon wissen. Was ist genau eine 'Mutation'? Welche erzeugen 'Neuheiten'? Das in etwa ist eine Erklärung. Aber einfach zu sagen: die entstehen halt, scheint mir ein Schritt zu wenig zu sein.


Jetzt können wir weiter in Richtung systemischer Biologie fortschreiten. Das nun folgende ist jetzt eher formal als anspruchsvoll. zwinkern

Natürlich weißt Du, was Mutationen sind. Aber vielleicht wolltest Du mit Deiner Bemerkung folgendes damit aussagen: Wenn Du über einen Ziffervorrat Z verfügst, ist dann die Anordnung Z1 etwas anderes als Z2? Wenn jetzt nicht gerade Z1 = Z2 gilt, ist die triviale Antwort: Ja. Wenn die Transformation Z1Z2 möglich ist, ist sie eine Funktion der Zeit. Und wenn Du den Zeitpfeil hast, kannst Du daran als Relation die Innovationen ablesen.

Wodurch wird die genannte Transformation induziert? - Die Transformation von Z1Z2 erfolgt aus dem System selbst, indem hier eine spontane Störung - bei Mutationen also die ganze Bandbreite zwischen Thermodynamik, ionisierende Strahlung, Viren etc. - einwirkt.

Da die genomische Sequenz autokatalytische Eigenschaften aufweist, kann sie als Schnittstelle aufgefaßt werden, die den informatorischen Schluß mit der Keimbahn gewährleistet. 'Störungen' in Form von Mutationen können nun folgendes bewirken:

a) irreparable Defekte >>> Systembeeinträchtigung/Systemzerstörung
b) reparable Defekte >>> Systemerhalt
c) Innovation 1: Informationsmüll >>> Systemerhalt/Systembeeinträchtigung
d) Innovation 2 >>> Systemerhalt/Systemstabilität

Auch wenn der Fall d), quantitativ gesehen, selten ist, hat er dafür aber um so mehr einen qualitativen Hebel! Und natürlich ist der Weg Innovation 1Innovation 2 der weitaus häufigere.

Selbstverständlich sind die organismischen Systemeigenschaften nicht auf das Genom beschränkt. Aber ich vermute, Dein Problem wird schon durch die Schnittstelleneigenschaften deutlich: Neuheiten umfassen komplett die Fälle c) und d), während Du offenbar nur den Spezialfall d') - Systemstabilität dafür reservierst.


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:

Für mich auch. Zudem aber noch als ein 'memento', dass 'Mikro'evolution vielleicht doch nicht alles ist.

Dafür brauchst Du zumindest irgendeinen Anhaltspunkt.

Wie gesagt, ein Thread, wie eine _bestehende_ Struktur optimiert wird, ein anderer, wie sie entsteht. Beidesmal sind es Mutationen. Ist das schon alles?


Machen wir es einmal so herum: Ist ausgehend von einer Struktur mit einer Komplexität ≥ 0 eine Strukturänderung eine Strukturoptimierung? Und was ist Dein Maßstab für Optimierung?


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Na, ob das Mayr so sieht wie ich, glaub' ich nun nicht unbedingt ... . Mr. Green

Mein Punkt war jedenfalls, dass das Kernproblem der Evolution, wie nämlich Neuheiten (wie auch immer man die definieren mag) entstehen, von der STE vernachlässigt wurde. Mayr hat das explizit so dargestellt und auch die Gründe dafür genannt, warum das so war. Gelöst ist das Problem, soweit ich sehe, auch heute noch nicht.

Vereinfacht: Die STE sieht Umwelt als Auslöser für Neuheiten. Also: Unterschiedliche Umwelten -> Unterschiedliche Anpassungen = Innovation. Der Klassiker eben. Aus meiner Sicht nicht hinreichend, aber wo siehst Du da Dein Problem?

Dass in gleichen Umwelten verschiedene Lebensformen auftreten, und dass bestimmte Lebensformen in verschiedenen Umwelten vorkommen. Ich weiß nicht, wo sich beispielsweise Lingula in den letzen Jahrmillionen herumgetrieben hat, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das immer dieselbe Umwelt war.


Richtig. Aber das Du mir nicht auch noch zum radikalkonstruktivistischen Atheisten wirst. Nein, so geht das nicht!


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:

Das ist ja auch kein Problem. Wenn Du Deine Abbildung von Sewertzoff betrachtest: Der Weg von a2 -> a5 ist genau so weit wie der Weg a2 -> b2.

Dann vergleiche das mit der äquivalenten Abbildung 8-2 (S. 236) in

Dobzhansky, T.; Ayala, F.J.; Stebbins, G.L.; Valentine, J.W. (1977) 'Evolution' San Francisco, W. H. Freeman zwinkern

Habe ich nicht zur Hand. Traurig

War auch nicht ernst gemeint. In dieser Abbildung war nur die Distanz zwischen den Ebenen größer gezeichnet.


Dann muß ich doch noch in die Deutsche Bibliothek.


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Die Unterscheidung der Ebenen R und Q ist doch eine willkürliche Kategorisierung.

Kann sein, dass ein gerüttelt Maß an Willkür darin steckt, kann aber auch sein, dass hier ein echtes Problem vorliegt, das man gelegentlich angehen und nicht wegdefinieren sollte.

Mir scheint, dass wir hier beim selben Problem wie beim hypothetischen Realismus sind. Du lehnst etwas ab, nur weil es nicht klar genug definiert werden kann.

Um ein Problem zu lösen, muß es zumindest auch vorhanden sein. Und falsche Annahmen bedingen keine richtigen Lösungen.

Stimmt. Ich sehe, dass mit den Mechanismen der Adaptiogenese die Phylogenese offensichtlich nicht erklärt werden kann. Und die Annahme, dass 'Mutation und das war es dann auch schon', scheint mir bestenfalls insuffizient zu sein. Bin mal gespannt, ob Du in Deinem Buch eine richtige Lösung auf dieser Basis vorlegst.


In der Diktion von Lamarck 2.00: Mutation, Selektion und eine Prise vom oben angedeuteten. Gut durchziehen lassen. Die STE verdirbt sich aber daran den Magen.


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Ansätze sind Modelle und können schon deshalb nicht allerklärend sein. Aber welche Phänomene sind Dir unerklärlich?

Beispielsweise unterschiedliche Evolutionsgeschwindigkeiten verschiedener Organismengruppen. Die Tatsache, dass in den letzten Jahrmillionen keine neue Form mehr entstanden ist, die man als neuen Bauplan bezeichnen müsste.


Wenn es Dir gelingt, Begriffe wie Evolutionsgeschwindigkeit oder Bauplan formal exakt zu definieren, liefere ich Dir die Erklärung hierzu mit links.


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Eine einzige Mutation ist schon Innovation! Und wie erkennst Du den Merkmale?

Ein Horn von keinem Horn kann ich durchaus unterscheiden.

Wir kommen über die Mustererkennung nun endlich zum Radikalen Konstruktivismus ... . Mr. Green

Ich hoffe, dass ich hier schon ad nausam erklärt habe, dass ich Konstruktivist in dem Sinne, dass wir ein _Bild_ der Welt konstruieren, bin. Wenn Du aber die Welt als von uns konstruiert betrachtest, begrüße ich Dich im Club der Solipsisten. Für mich ist der hypothetische Realismus plausibler.


Felix qui potuit rerum cognoscere causas (ad nausam klingt grausam). Eine Hypothese ist ein Konstrukt. Ergo ist eine hypothetische Realität
konstruierte Realität. Wie wahr kann eine konstruierte Realität denn sein?


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
BTW, wir sind uns vermutlich einiger, als das auf den ersten Blick scheint. Natürlich ist die Grundlage für alle Veränderungen letztendlich durch Mutationen bedingt. Was mich jetzt interessiert, ist, wie das genau abläuft. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es sich irgendwann herausstellt, dass es einfach keine 'Erklärung' jenseits von 'das ist halt so' gibt. Auch wenn man noch so schön von Konstruktion, Membranschluss und so weiter redet und noch so eloquent konstruktive Notwendigkeiten aufzeigen kann, wäre es doch ganz interessant, zu erfahren, wie denn nun genau aus einer Konstruktion eine andere werden kann. Einfach 'Mutation' zu sagen scheint mir etwas zu dürftig zu sein.


Es ist insgesamt komplex. Da geschieht es zum einen leicht, dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht und zum anderen, dass aufgrund vielfältiger Momente der Überblick verloren geht. Hier ist konzeptionelle Modellierung angesagt.


Cheers,

Lamarck
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Anmeldungsdatum: 28.03.2004
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Beitrag(#170898) Verfasst am: 27.08.2004, 15:04    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Thomas!

Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Fakt scheint mir aber zu sein, dass es kein Formen_kontinuum_ gibt. Das bedeutet, dass nur bestimmte Kombinationen von Genen (die ja letztendlich die Form bestimmen) lebensfähig sind. Der 'morphospace' ist geclustert. Wie man nun genau diese Cluster erkennt, zusammenfasst und benamst ist wirklich eine spannende Frage.


Du müßtest hierzu den ganzen Komplex vom Gen zum Phän holistisch zusammenführen. Hier eignet sich in der Tat der Vergleich mit einem Buch: Die Anordnung von Buchstaben ergibt nicht unbedingt ein Wort, die Anordnung von Wörtern ergibt noch nicht unbedingt einen Satz und die Anordnung von Sätzen ergeben auch nicht unbedingt schon ein Buch. Schon durch leichte Veränderungen läßt sich viel kaputt machen; aber im allgemeinen ist ein Buch auch noch lesbar, wenn darin einige Seiten fehlen. Und es lassen sich unendlich viele Bücher schreiben.


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Auch die Kladistik hilft hier nur bedingt weiter. Im Extremfall (Musterkladisten) kommen diese Menschen ja sogar ohne Evolution aus, weil man das Verfahren auch problemlos auf Bierdeckel oder Kaffeetassen anwenden kann.


Kladistik ist nicht unproblematisch, diese Systemunabhängigkeit ist aber ein Vorteil. Was Du damit machst, muß Deine Hypothese/Theorie leisten.


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Das komplexeste Problem in diesem Bereich scheinen mir diachrone Arten zu sein. Wie kann man beispielsweise entscheiden, ob ein Pfeilschwanzkrebs, der sich heute irgendwo im Pazifik tummelt, zur gleichen Art gehört wie ein morphologisch praktisch identisches Fossil, das vor Jahrmillionen gelebt hat?


Gar nicht. Aber Du benutzt hier das Ähnlichkeitskriterium. Bei genauem Hinschauen sind die Unterschiede gegebenfalls aber dann doch nicht so gering. besonders für Pfeilschwanzkrebse.







Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Wenn ich es richtig verstanden habe, befasst sich die Kladistik explizit mit rezenten Formen bzw. solchen auf einer Zeitebene. Hennig, der dieses Verfahren begründete, hat das jedenfalls explizit so gesehen. Erst seine Epigonen haben aus dieser Methode mehr gemacht, als sie vermutlich leisten kann.


Es kommt auf die Fragestellung an. Ein gravierendes Problem der Kladistik: Welches wichtige Merkmal eignet sich zur Scheidung?


Cheers,

Lamarck
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Beiträge: 5491
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Beitrag(#170909) Verfasst am: 27.08.2004, 15:14    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Lamarck,

Nur ein unbedeutender Einwurf am Rande...

Lamarck hat folgendes geschrieben:
...Struktur mit einer Komplexität ≥ 0 ...


Gelingt es Dir, eine Definition für "Struktur der Komplexität > Null" anzugeben? Gibt es auch Strukturen der Komplexität = (oder sogar <) Null? Oder besitzt ein Stück strukturierter Materie (ausgenommen einzelne Quarks, Leptonen und Eichbosonen) nicht a priori Komplexität? zwinkern

Grüße

Martin
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