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Progressives vs. Konservatives Weltbild: Notwendige Grundsatzdebate ?

 
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Mahone
registrierter User



Anmeldungsdatum: 22.12.2008
Beiträge: 842
Wohnort: Munich

Beitrag(#1765538) Verfasst am: 09.07.2012, 18:24    Titel: Progressives vs. Konservatives Weltbild: Notwendige Grundsatzdebate ? Antworten mit Zitat

Hmmm,
hallo Allerseits.

Ich möchte mich vielleicht schon im Voraus, für eine gewisse Länge und Inkonstistenz entschuldigen,
es geht mir im folgenden nicht darum eine klare Aussage zu irgendwas zu machen,
sondern einfach ein paar grobe Ideen die bei mir so die letzten Jahre gewachsen sind hinaustragen,
und schauen was so an Feedback ankommt.
Ich bitte darum mich nicht gleich als Crank abzustempeln, und danke für eventuelle Leser.

Ich bin ja als Kind von 68-Eltern im Grunde mit einem starkem Focus auf einen gewissem
Focus auf gesellschaftskritische Sichtweisen gross geworden, habe mir da schon mit 14,15 die ersten Bücher aus dem Schrank gezogen, und irgendwie war mir das Thema immer wichtig.

Aber:
Während ich vor ein paar Jahren noch ziemlich klar Stellung am linksäusseren Rand beziehen konnte,
wenn ich auch schon immer einer gewissen idealistisch-ideologiefreien Subgruppe, die imho im linken Mainstream ein wenig unter geht, angehörte,
habe sich meine Ansichten die letzten Jahre doch sehr verschoben.

Ich verfolge diese ganze Hartz4/Bundesgrundeinkommen/Sarrazin-gegen-alle-anderen-
Debatte jetzt einige Jahre, in Diskussionsforen und in den Printmedien,
aber beteilige mich (primär aus Ennui und Bluthochdrucksgründen) eigentlich fast gar nicht mehr.


Irgendwie hat sich die letzten bei mir eine Sichtweise gebildet, dass sich die Diskussion,
so wie ich sie verfolge, am eigentlichen Kern der Sache vorbeigeht.

Es scheint mir als wenn immer wenn die Diskussion hochkocht,
verbeissen sich alle sofort mit vollster Überzeugung an irgendwelchen Detailfragen,
und irgendwelchen Machbarkeits-Studien,
während dabei aber die zugrundeliegenden grundsätzlichen Philosophien und Wertvorstellungen völlig
unangetastet bleiben.
Eben dieses wäre aber unerlässlich um die Diskussion irgend wann mal in eine positive Richtung zu lenken.

Desweiteren habe ich das Gefühl dass dass viel der Emotionalität der Debatten,
weniger aus einer prinzipiellen Unvereinbarkeit der Positionen entstammt,
sondern sehr stark aus einem absoluten Unverständniss der gegenseitigen Positionen heraus.

Hier mal vielleicht ein paar der Punkte die zum meinem Umschwung geführt haben.

1.
Wenn man sich mal grob dichotomisch die verschiedenen Positionen der Teilnehmer ansieht:
- auf der einen Seite , z. bsp:
A: "Diese Gesellschaft schuldet jedem ihrer Mitglieder ein menschenwürdiges Dasein"
oder:
B: "Okay, aber ich arbeite halt auch hart, das Leben ist kein Zuckerschlecken,
und ich find es einfach nicht fair wenn das alles mal eben umverteilt wird".
finde ich diese beiden Standpunkte beide erst einmal ziemlich nachvollziehbar.

1b.
Je mehr man sich mal mit wirklicher Ethik auseinandersetzt,
wird klar dass es "die" Moral,
sondern im Prinzip eben einfach irgendwo willkürlich Axiome gesetzt werden.
Zumindest war das bisher noch nie anders.
Diese Axiome müssen eben mal in einem demokratischen Prozess diskutiert,
und auf einen für die verschiedenen Schichten hinnehmbaren Kompromiss hingearbeitet werden.
Im Moment ist das meiner Meinung nach nicht wirklich gegeben.

2.
Man muss auch einfach mal einen Schritt zurück gehen und das ganze mit der kühlen Brille
des Soziologen betrachten.
Wenn man das tut, erscheinen mir viele der zahlreichen Probleme mit denen sich unsere Gesellschaft plagt,
einfach wie logische Schlussfolgerungen unserer Entwicklung, die es eben zu lösen gilt anstatt wie moralische Streitfragen.

Vor Grade mal 60-70 Jahren waren,
ein Grossteil unserer Bevölkerung noch Landwirte , 1960 war der normale Einstieg ins Berufsleben einfach noch der Hauptschulabschluss, und darauf folgende Lehre,
und jetzt wundert man sich warum der ihre Kinder nicht alle easy durchs Ingenieurs/Medizin/etc..-Studium flutschen. (dramatisch gesagt).
Wir leben einfach in einer immer schneller beschleunigenden Hochindustrie,
und dass es immer mehr Leuten schwer fällt da mitzukommen ist imho sehr verständlich.
Und selbst wenn man die humanistischen Fragen die sich da aufdrängen erst mal komplet ignorieren wollte,
die Hirnforschung ist halt auch einfach nicht weit genug um das Ritalin da präzise genug dosiert zu verabreichen.

Je mehr ich mich in verschiedenen Gesellschaftsschichten bewge,
desto klarer wird mir dass, zum guten funktionieren in unseren hochkomplexen Zeiten,
auch ein sehr spezieller Charakter gehört, den eben viele, gerade aus den höheren Schichten,
eben traditionell haben, und viele eben auch nicht.


2b.
Ein Staat ist im Endeffekt ein versuch so ein kleines Ökösystem mit chaostheoretischen Elementen zu managen,
zu hochkomplex um es wirklich wissenschaftlich zu fassen.
Irgendwelche utopistischen Versuche da ein "ideales" System zu finden,
dass alles wieder heile macht, ist im Grunde müssig.
Der Versuch darauf hinzuarbeiten ist dagegen alles.

3.
Eine recht interessante Dichotomie im Weltbild ist mir neulich aufgefallen:
Während sich die linke Ideologie im Grunde darum dreht:
"Wie baue ich einen Staat auf, in dem es darum geht, dass es allen Mitgliedern gut geht"
ist der grob gesagt eher konservative Standpunkt:
"Wie schaue ich dass es mir selberbesser geht, und einen Staat habe, der mir da möglichst wenig im Weg steht, die anderen sind erst mal für sich selber verantwortlich."
(Letzteres in Reinstform natürlich sehr schön beobachtbar in Staatsideologie- und Rhetorik der USA.)
Beide dieser Positionen haben imho gewisse unsympathsche Seiten,
im Fall der konservativen, natürlich eine gewisse empathielosigkeit, mit der gebeutelten Unterschicht (worauf von der linken Seite auch auf sehr energiereiche Weise herum geritten)
von der linken Seite eine polemisch gesagt, leicht infantile Anspruchshaltung,
dass der Staat doch bitte jedem angemessen Taschengeld zu bezahlen hat,
aber doch finde ich ist beiden Seiten gewissermassen gemeinsam dass es ihnen um eine Gesellschaft geht, in dem sich die Mehrheit der Mitglieder wohl füht, und fair behandelt.
(Wobei hier imho, die unterschiedlichen Auffassungen von "fair", natürlich einen wenn nicht den wesentlichen Angelpunkt der Debate darstellen.)

4.
Ich finde dass wenn man sich die Diskussionsbeiträge durchliest ein wesentlicher Teil
der Erhitztheit, aus einer wirklichen Ignoranz der gegenseitigen Lebensrealitäten stammt.
Die Rhetorik der konservativen Seite, neigt stark zu einem immer wieder kehrenden:
"Ja ich hab halt auch was studiert, wenn du dich da weigerst, was soll ich da machen",
während halt Leute aud der Unter- und unteren Mittelschicht links und rechts,
im Prinzip gute gut meinende Leute links und rechts runterfallen.

Und was es wirklich heisst sich da im gegenwärtigen System aus dem Sumpf zu ziehen,
wenn es mal schlecht läuft, ist denke ich für Viele vom oberen Rande wirklich nicht nach zu vollziehen, das merkt man deutlich.

Umgekehrt habe ich oft das Gefühl, wenn man hört wie die linke eben gegen die Oberschicht hetzt,
hat man sehr oft das Gefühl die haben noch nie jemanden aus dieser Gehaltsschicht kennengelernt.
Ich muss zugeben,
es hat auch erst mal ein paar Jahre nach dem Abi gebraucht, und musste erst mal ein bisschen rumkommen
dass ich mal ein paar Leute mit +6stelligem Gehalt kennengelernt habe, und gecheckt habe, was das für Leute sind.
Hocheffiziente Intelligenzbolzen von denen einfach jede Art Aktivität stark profitiert,
und dabei einfach auch noch äusserst oft sehr bescheiden und bodenständig.

Diese Leute zu verteufeln macht einfach keinen Sinn. Ist so.

4b.
Vollidioten reichlich gibt es in jeder Schicht.
Äusserst respektable Menschen auch.


5.
Sowohl Egoismus als auch Altruismus, sind imho wesentliche Merkmale der menschlichen Natur,
und eine Gesellschaft die nur auf einem der Beiden fusst,
wird denke ich auf lange Zeit nicht funktionieren.
Diese beiden Motivatoren manifestierten sich in verschiedenen Formen,
im wesentlichen in den Ströhmungen Kommunismus und Kapitalismus,
und haben beide ihre unzulänglichkeiten grandios zur Schau gestellt, (der Real-Kommunismus natürlich noch etwas grandioser),
und meiner Meinung systemimmanent und völlig zurecht.
Seitdem gibt es da eben ein Vakuum, und im Moment gibt es eigentlich kaum noch jemand der meint er hätte eine wirklich gute Lösung anzubieten.
(Was vielleicht auch erstmal gar nicht so schlecht ist)

5b.
Die Bedürfnisse die es zu befriedigen, und in Einklang zu bringen gilt,
gehen meiner Meinung nach nicht entlang einem ideologischen Graben,
rein intuitiv sehe ich da eine grobe Einteilung von Leuten, die
A. Einfach ein gutes angenehmes Leben, mit einem passablem Job und nicht zuviel Stress, und
B. Die sozusagen, gerne etwas aufbauen, ihr Leben einem gewissem Ziel unter ordnen,
und dafür gern eine gewisse Annerkennung hätten.

Beides sind imho akzeptable Lebenseinstellungen,
und man muss sich überlegen wie man die in unserer allseits bescleunigenden Welt befriedigt und in Einklang bringt.

6.
Die im Moment im Grunde von fast allen geschluckte Meinung,
dass der Kapitalismus egal wie man zu ihm stehen mag, und selbst wenn man ihn auch ziemlich unschön findet, dank Globalisierung einfach ein nicht zu zähmendes Biest ist, eine notwendige Konsequenz der Natur,
ist aus meiner Sicht, zwar sehr nachvollziehbar, für einen logisch denkenden Menschen,
aber nichtsdesto trotz einfach nicht akzeptabel,
ein Hohn für die Werte von Demokratie und Humanismus.
Ich sehe ein dass es schwierig ist, aber hier die Fahne zu schwenken,
und den Kampf Aller gegen Alle auszurufen (wie imho weithin schon geschehen),
werte ich als völliges Versagen.

7.
Es gibt da so ein Bild als ob man mit an dem System auf keinen Fall grössere Änderungen vornehmen darf, sonst bricht alles zusammen, und es herscht auf einmal Ukraine 1924.
Meine Antwort:
Wir sind hier einfach ein gut situiertes Land mit einem gutem Klima, wo Gemüse wächst,
und einer gut ausgebildeten Bevölkerung mit im Prinzip doch anständigen Leuten,
die Respekt haben vor der hohen Kunst des Ingenieurs-Wesens, und des Handwerks,
und solange man hier keine totale Scheisse baut, wird der Laden irgendwie laufen,
und es wird keiner verhungern.
Alles was darüber hinaus geht ist meiner Meinung nach einfach zur Debatte zu stellen,
ob der materielle Vorteil den die rein von egoismus getriebene Marktwirtschaft,
die damit verbundenen Einbussen an Lebensqualität rechtfertigt.

So ungefähr mal ein paar Ansätze meinerseits,
wie gesagt das sind einfach so die Ansätze wie ich mir zu dem Thema Gedanken mache,
würde mich freuen zu was zu hören,
ich bin mir sicher es gibt auf dieser Ebene auch ein paar sehr interessante Blickwinkel,
die eben aus meiner beschränkten Weltsicht nicht so leicht ersichtlich sind.


Ich könnte auch noch ein paar Absätze zu diversen Nebenthemen schreiben,
aber ich lass es erst mal und schau ob sich jemand die Mühe macht.

Vielen Dank,

Mahone
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Anmeldungsdatum: 09.05.2009
Beiträge: 1339

Beitrag(#1765567) Verfasst am: 09.07.2012, 20:28    Titel: Re: Progressives vs. Konservatives Weltbild: Notwendige Grundsatzdebate ? Antworten mit Zitat

Mahone hat folgendes geschrieben:

Ich muss zugeben,
es hat auch erst mal ein paar Jahre nach dem Abi gebraucht, und musste erst mal ein bisschen rumkommen
dass ich mal ein paar Leute mit +6stelligem Gehalt kennengelernt habe, und gecheckt habe, was das für Leute sind.
Hocheffiziente Intelligenzbolzen von denen einfach jede Art Aktivität stark profitiert,
und dabei einfach auch noch äusserst oft sehr bescheiden und bodenständig.

Diese Leute zu verteufeln macht einfach keinen Sinn. Ist so.


Kann ich voll unterschreiben.
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Anmeldungsdatum: 12.06.2008
Beiträge: 2546

Beitrag(#1765569) Verfasst am: 09.07.2012, 20:40    Titel: Re: Progressives vs. Konservatives Weltbild: Notwendige Grundsatzdebate ? Antworten mit Zitat

Mahone hat folgendes geschrieben:
Hmmm,
hallo Allerseits.

Ich möchte mich vielleicht schon im Voraus, für eine gewisse Länge und Inkonstistenz entschuldigen,
es geht mir im folgenden nicht darum eine klare Aussage zu irgendwas zu machen,
sondern einfach ein paar grobe Ideen die bei mir so die letzten Jahre gewachsen sind hinaustragen,
und schauen was so an Feedback ankommt.
Ich bitte darum mich nicht gleich als Crank abzustempeln, und danke für eventuelle Leser.

Ich bin ja als Kind von 68-Eltern



So viele? .... bei mir waren es nur zwei zwinkern

Zitat:



im Grunde mit einem starkem Focus auf einen gewissem
Focus auf gesellschaftskritische Sichtweisen gross geworden, habe mir da schon mit 14,15 die ersten Bücher aus dem Schrank gezogen, und irgendwie war mir das Thema immer wichtig.

Aber:
Während ich vor ein paar Jahren noch ziemlich klar Stellung am linksäusseren Rand beziehen konnte,
wenn ich auch schon immer einer gewissen idealistisch-ideologiefreien Subgruppe, die imho im linken Mainstream ein wenig unter geht, angehörte,
habe sich meine Ansichten die letzten Jahre doch sehr verschoben.


Also nach dem ich dein Posting gelesen hatte, war mir immer noch nicht klar, welche Ansichten _DU_ denn jetzt überhaupt vertrittst...

Zitat:


Ich verfolge diese ganze Hartz4/Bundesgrundeinkommen/Sarrazin-gegen-alle-anderen-
Debatte jetzt einige Jahre, in Diskussionsforen und in den Printmedien,
aber beteilige mich (primär aus Ennui und Bluthochdrucksgründen) eigentlich fast gar nicht mehr.


...ja, es wiederholt sich. Aber vielleicht macht es dennoch Sinn, die eigenen Standpunkte zu vertreten, um eventuellen Mitstreitern als Beispiel eine Argumentationsbasis mit an die Hand zu geben...

Zitat:



Irgendwie hat sich die letzten bei mir eine Sichtweise gebildet, dass sich die Diskussion,
so wie ich sie verfolge, am eigentlichen Kern der Sache vorbeigeht.

Es scheint mir als wenn immer wenn die Diskussion hochkocht,
verbeissen sich alle sofort mit vollster Überzeugung an irgendwelchen Detailfragen,
und irgendwelchen Machbarkeits-Studien,
während dabei aber die zugrundeliegenden grundsätzlichen Philosophien und Wertvorstellungen völlig
unangetastet bleiben.



Halt eben Klassenkampf Smilie, jeder verteidigt seine Pfründe so gut es eben geht. Obwohl ich finde, dass es durch aus auch rationale Begründungen für Standpunkte geben kann, zumindest halte ich meine Standpunkte für rational begründet...

Zitat:

Eben dieses wäre aber unerlässlich um die Diskussion irgend wann mal in eine positive Richtung zu lenken.

Desweiteren habe ich das Gefühl dass dass viel der Emotionalität der Debatten,
weniger aus einer prinzipiellen Unvereinbarkeit der Positionen entstammt,
sondern sehr stark aus einem absoluten Unverständniss der gegenseitigen Positionen heraus.


Nun ja - beim Verteidigen der eigenen Pfründe - egal welchem Lager jemand angehört - geht es nun mal nicht um Verständnis der anderen Seite, sondern um Verteidigung der jeweils eigenen Interessen. Das ist bis zu einem gewissen Grade auch legitim, jedoch sollt dabei auch eine gewisse Sachlichkeit gewahrt bleiben, damit daraus ein gesellschaftlicher Konsens entstehen kann.
Zitat:

Hier mal vielleicht ein paar der Punkte die zum meinem Umschwung geführt haben.

1.
Wenn man sich mal grob dichotomisch die verschiedenen Positionen der Teilnehmer ansieht:
- auf der einen Seite , z. bsp:
A: "Diese Gesellschaft schuldet jedem ihrer Mitglieder ein menschenwürdiges Dasein"
oder:
B: "Okay, aber ich arbeite halt auch hart, das Leben ist kein Zuckerschlecken,
und ich find es einfach nicht fair wenn das alles mal eben umverteilt wird".
finde ich diese beiden Standpunkte beide erst einmal ziemlich nachvollziehbar.

1b.
Je mehr man sich mal mit wirklicher Ethik auseinandersetzt,
wird klar dass es "die" Moral,
sondern im Prinzip eben einfach irgendwo willkürlich Axiome gesetzt werden.



Moral ist m.M. die willkürliche Sichtweise des gesellschaftlichen Konsenzes. Der Anspruch, dass in der Moral eine metaphorische höhere Ethik zum Tragen kommen soll ist m.E. nur der Versuch, die selbstgesetzten Moralvorstellungen zur selbstverständlichen Norm zu erklären.

Und damit ist das, was als moralisch oder als ethisch gilt durchaus willkürlich und vom jeweiligen Zeitgeist und den gesellschaftlichen Verhältnissen abhängig.

Zitat:


Zumindest war das bisher noch nie anders.
Diese Axiome müssen eben mal in einem demokratischen Prozess diskutiert,
und auf einen für die verschiedenen Schichten hinnehmbaren Kompromiss hingearbeitet werden.
Im Moment ist das meiner Meinung nach nicht wirklich gegeben.

2.
Man muss auch einfach mal einen Schritt zurück gehen und das ganze mit der kühlen Brille
des Soziologen betrachten.
Wenn man das tut, erscheinen mir viele der zahlreichen Probleme mit denen sich unsere Gesellschaft plagt,
einfach wie logische Schlussfolgerungen unserer Entwicklung, die es eben zu lösen gilt anstatt wie moralische Streitfragen.

Vor Grade mal 60-70 Jahren waren,
ein Grossteil unserer Bevölkerung noch Landwirte , 1960 war der normale Einstieg ins Berufsleben einfach noch der Hauptschulabschluss, und darauf folgende Lehre,
und jetzt wundert man sich warum der ihre Kinder nicht alle easy durchs Ingenieurs/Medizin/etc..-Studium flutschen. (dramatisch gesagt).
Wir leben einfach in einer immer schneller beschleunigenden Hochindustrie,
und dass es immer mehr Leuten schwer fällt da mitzukommen ist imho sehr verständlich.


Vor allem leben wir in der Zeit des Wettbewerbs und der Aussiebung, und der Relativierung von Leistungen.

Es zählt nicht die absolute Leistung von jemandem - das wäre ja noch human, sondern es zählt, was jemand mehr leistet als der Andere, und damit ist Bildung zu einem Kampf von jedem gegen jeden geworden, und ist zu einem großen Teil zu einem Selbstzweck geworden, so nach dem Motto "Nur die Harten kommen in den Garten". Dieses ist zutiefst inhuman, und verbunden mit dem immer wieder wiederholten Motto, "....das jeder es schaffen kann" auch zutiefst verlogen und selbstgerecht.

Es kann nämlich nicht jeder schaffen, denn sobald mehr Leute "in den Garten" drängen, werden sofort die Anforderungen hochgeschraubt.

Zitat:


Und selbst wenn man die humanistischen Fragen die sich da aufdrängen erst mal komplet ignorieren wollte,
die Hirnforschung ist halt auch einfach nicht weit genug um das Ritalin da präzise genug dosiert zu verabreichen.

Je mehr ich mich in verschiedenen Gesellschaftsschichten bewge,
desto klarer wird mir dass, zum guten funktionieren in unseren hochkomplexen Zeiten,
auch ein sehr spezieller Charakter gehört, den eben viele, gerade aus den höheren Schichten,
eben traditionell haben, und viele eben auch nicht.



Vor allem kostet es erst einmal Engergie, Opferbereitschaft und Leidensfähigkeit, nur um überhaupt erstmal an die begehrten Tröge zu kommen...

Zitat:



2b.
Ein Staat ist im Endeffekt ein versuch so ein kleines Ökösystem mit chaostheoretischen Elementen zu managen,
zu hochkomplex um es wirklich wissenschaftlich zu fassen.
Irgendwelche utopistischen Versuche da ein "ideales" System zu finden,
dass alles wieder heile macht, ist im Grunde müssig.



Hier fängt es bereits an, interessant zu werden, denn es muss erst einmal beantwortet werden, wie sich ein "ideales System" definiert.

Und bereits an dem Punkt entscheidet sich, ob daraus eine humane oder zutiefst inhumane Gesellschaft(sstruktur) entsteht.

Ich denke, dass es sich hier sehr wohl lohnt, wenn möglichst viele Menschen über diese Frage (selbst!) nachdenken, und dann hoffentlich zu dem Schluß kommen, dass eine humane Gesellschaft des Ausgleichs in ihrem ureigenen egoistischen Interesse ist, denn nur in einer Gesellschaft, in der es den meisten Mitgliedern gut geht, ist die Wahrscheilichkeit, dass es einem selbst auch gut geht, am größten.

Deshalb verlange ich bei meinen Überlegungen überhaupt gar keine überhöhten Ansprüche an Moral und Ethik, man kann auch aus bankem Egoismus heraus zu humanistischen Überzeugungen kommen.

Denn in einer inhumanen Welt geht es nur den wenigen "gut", die es geschafft haben, und in den "Garten" gekommen sind, wobei die Frage, ob es ihnen dabei wirklich gut geht, noch offen ist, denn auch der Garten selbst ist noch eine "Schlangengrube", an der jeder am Stuhlbein von jedem sägt...

Zitat:



Der Versuch darauf hinzuarbeiten ist dagegen alles.

3.
Eine recht interessante Dichotomie im Weltbild ist mir neulich aufgefallen:
Während sich die linke Ideologie im Grunde darum dreht:
"Wie baue ich einen Staat auf, in dem es darum geht, dass es allen Mitgliedern gut geht"
ist der grob gesagt eher konservative Standpunkt:
"Wie schaue ich dass es mir selberbesser geht, und einen Staat habe, der mir da möglichst wenig im Weg steht, die anderen sind erst mal für sich selber verantwortlich."
(Letzteres in Reinstform natürlich sehr schön beobachtbar in Staatsideologie- und Rhetorik der USA.)
Beide dieser Positionen haben imho gewisse unsympathsche Seiten,
im Fall der konservativen, natürlich eine gewisse empathielosigkeit, mit der gebeutelten Unterschicht (worauf von der linken Seite auch auf sehr energiereiche Weise herum geritten)
von der linken Seite eine polemisch gesagt, leicht infantile Anspruchshaltung,
dass der Staat doch bitte jedem angemessen Taschengeld zu bezahlen hat,
aber doch finde ich ist beiden Seiten gewissermassen gemeinsam dass es ihnen um eine Gesellschaft geht, in dem sich die Mehrheit der Mitglieder wohl füht, und fair behandelt.



Wo kannst du in der konservativen Weltsicht den Aspekt erkennen, dass sich die Mehrheit der Mitglieder wohl fühlt und fair behandelt wird?

Die konservative Sicht ist nämlich übersetzt "Jeder ist sich selbst der nächste", und wer es nicht geschafft hat, "in den Garten zu kommen", der hat eben Pech gehabt.... oder in der selbstgerechten Version "ist selbst Schuld an seinem Unglück", weil es ja doch nach dem konservativen verlogenen Dogma ja angeblich "jeder schaffen kann".

Damit ist die konservative Sicht Egoismus in Reinkultur, und zwar von den Leuten, die es "geschafft haben", wobei ich mal behaupten möchte, dass die meisten von diesen Leuten es gar nicht selbst geschafft haben, sondern bereits mit dem "goldenen Löffeln" im Mund geboren sind. Es ist die Klassenkampfrhetorik der reichen Leute pur, die damit ihren Reichtum rechtfertigen.

Früher konnten die das noch ganz gut mit der Religion rechtfertigen "Adel von Gottes Gnaden", jedoch so dumm sind die Leute nicht mehr, sich davon veräppeln zu lassen, also rechtfertigen sie ihren Reichtum mit ihrer Leistung - ob jedoch tatsächlich deren Reichtum mit deren Leistung gerechtfertigt werden kann, ist im Einzellfall kaum nachprüfbar, dürfte aber auf die Mehrheit der Reichen nicht zutreffen, denn die haben ihren Reichtum nur aufgrund der für sie begünstigenden Spielregeln im hiesigen kapitalistisch geprägten Wirtschaftssystem.

Was die "infantile" Anspruchshaltung der Linken auf ein "Taschengeld" für jeden angeht, so ist zu sagen, dass es sich auch nur um einen einzigen Aspekt von sozialistischem Denken handelt, und es eben ein Fehler ist, so zu tun, als würde sich sozialistisches Denken ausschließlich darum drehen.

Es sind meist die Gegner des Sozialismus, die auf diese Weise versuchen, Sozialismus zu diskreditieren. Es ist aber unbestreitbarer Fakt, dass wir aufgrund unserer technologischen Entwicklung und unserer Produktivität ein Arbeitskräftepotential haben, was den Bedarf nach sinnvoller Arbeit bei weitem übersteigt, so dass sich auch schon aus diesem Blickwinkel die Frage nach einer angemessenen Verteilung von Arbeit und Einkommen stellt, und damit das bedinungslose Einkommen gar nicht so von der Hand zu weisen ist, denn wir haben gar nicht genug sinnvolle Arbeit für alle Menschen auf diesem Planeten.

....so, aus Zeitgründen muss ich das jetzt erst mal hier unterbrechen....

nv.
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Desperadox
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Beitrag(#1765611) Verfasst am: 10.07.2012, 01:28    Titel: Antworten mit Zitat

Ohne jetzt (auch wg der Uhrzeit) den gesamten Text zu verarbeiten, muss ich spontan an eines meiner Lieblingszitate denken."Wer mit 20 kein Sozialist ist, hat kein Herz.Wer mit 30 immer noch Sozialist ist, hat keinen Verstand.(Ursprung unklar, oft Fontane zugeschrieben)
Jedenfalls habe ich eine ähnliche Entwicklung durchgemacht.
_________________
SUUM CUIQUE
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Spartacus Leto
Ist hier raus!



Anmeldungsdatum: 27.08.2005
Beiträge: 5659

Beitrag(#1765629) Verfasst am: 10.07.2012, 05:25    Titel: Antworten mit Zitat

Desperadox hat folgendes geschrieben:
Ohne jetzt (auch wg der Uhrzeit) den gesamten Text zu verarbeiten, muss ich spontan an eines meiner Lieblingszitate denken."Wer mit 20 kein Sozialist ist, hat kein Herz.Wer mit 30 immer noch Sozialist ist, hat keinen Verstand.(Ursprung unklar, oft Fontane zugeschrieben)
Jedenfalls habe ich eine ähnliche Entwicklung durchgemacht.


Nur so eine Zwischenfrage: Gab es zwischenzeitlich eine Veränderung deiner Lebenssituation? Und wenn ja, wie sah diese aus?
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Vektral Proximus
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Beiträge: 1339

Beitrag(#1765743) Verfasst am: 10.07.2012, 15:47    Titel: Antworten mit Zitat

Spartacus Leto hat folgendes geschrieben:
Desperadox hat folgendes geschrieben:
Ohne jetzt (auch wg der Uhrzeit) den gesamten Text zu verarbeiten, muss ich spontan an eines meiner Lieblingszitate denken."Wer mit 20 kein Sozialist ist, hat kein Herz.Wer mit 30 immer noch Sozialist ist, hat keinen Verstand.(Ursprung unklar, oft Fontane zugeschrieben)
Jedenfalls habe ich eine ähnliche Entwicklung durchgemacht.


Nur so eine Zwischenfrage: Gab es zwischenzeitlich eine Veränderung deiner Lebenssituation? Und wenn ja, wie sah diese aus?



Bei der Signatur kann ich mir schon denken wie sie aussah.... Mit den Augen rollen
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Bliss
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Anmeldungsdatum: 07.03.2008
Beiträge: 312

Beitrag(#1765920) Verfasst am: 10.07.2012, 23:45    Titel: Antworten mit Zitat

Bin etwas kurz angebunden deswegen nur eine kurze Antwort:

Das ist das intelligenteste, dass ich seit langem zu diesem Thema gelesen habe. Ich habe dieses schwarz weiß denken ehrlich gesagt schon lange satt.
Ich habe aber die Befürchtung, dass das nicht nur dieses ein Thema ist, sondern grundsätzlich fast alle Themen betrifft:
Killerspiele vs völlig harmlos
Datenschutz vs Sicherheit
etc. vs pp.

Selten hört man da mal einen guten durchdachten Mittelweg. Und das ist ja nicht nur heute so. Früher haben sie sich auf der Staße für ihre Meinung gegenseitig über den Haufen geschossen (Kommis vs Nazis z.B.)

Um eine Lösung zu finden, müssen in dem kleinen Kreis der grau denkenden (vs schwarz weiß) ein paar dabei sein, die eine Lösungsidee haben. Und dann muss es in diesem kleiner Kreis noch Leute mit Charisma oder Macht geben, um die Idee publik zu machen.
_________________
Sorry, you'r not in my Monkeysphere
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Mahone
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Anmeldungsdatum: 22.12.2008
Beiträge: 842
Wohnort: Munich

Beitrag(#1765923) Verfasst am: 10.07.2012, 23:58    Titel: Re: Progressives vs. Konservatives Weltbild: Notwendige Grundsatzdebate ? Antworten mit Zitat

Navigator2 hat folgendes geschrieben:

Also nach dem ich dein Posting gelesen hatte, war mir immer noch nicht klar, welche Ansichten _DU_ denn jetzt überhaupt vertrittst...


Naja also also kurz gesagt:
ich schrieb
Zitat:
Die Bedürfnisse die es zu befriedigen, und in Einklang zu bringen gilt,
gehen meiner Meinung nach nicht entlang einem ideologischen Graben,
rein intuitiv sehe ich da eine grobe Einteilung von Leuten, die
A. Einfach ein gutes angenehmes Leben, mit einem passablem Job und nicht zuviel Stress, und
B. Die sozusagen, gerne etwas aufbauen, ihr Leben einem gewissem Ziel unter ordnen,
und dafür gern eine gewisse Annerkennung hätten.


Das ist imho eben der Kern der Debatte,
und ich bin eben der Meinung dass es zwischen diesen Leuten nicht unbedingt einen Interessenkonflikt geben muss.
Eine progressive Gesellschaft wie ich sie mir vorstelle, schafft es da einen Weg zu finden,
dass der Grossteil der Bevölkerung zufrieden ist, mit der Aufteilung von Ressourcen und Arbeit.

@Bliss:
Vielen Dank,
freut mich zu hören dass es jemand gibt der versteht worum es mir geht.


Bliss hat folgendes geschrieben:
dass das nicht nur dieses ein Thema ist, sondern grundsätzlich fast alle Themen betrifft:
Killerspiele vs völlig harmlos
Datenschutz vs Sicherheit
etc. vs pp.


Ganz schlimm finde ich es ja bei dieser Feminismus vs. Mensrights Geschichte.
Da wird aufeinander rumgehackt, und Feindbilder aufgebaut, anstatt einfach mal einen Schritt zurück zu gehen, und zu schauen was denn jetzt das Problem ist.
(Wobei ich da auch betonen muss, dass da auch gerade in der feministischen Ecke
einige äusserste vernünftige Stimmen gibt)

Zitat:

Um eine Lösung zu finden, müssen in dem kleinen Kreis der grau denkenden (vs schwarz weiß) ein paar dabei sein, die eine Lösungsidee haben. Und dann muss es in diesem kleiner Kreis noch Leute mit Charisma oder Macht geben, um die Idee publik zu machen.


Ich hatte ja am Anfang die Hoffnung,
dass sich die Piratenpartei in diese Richtung entwickelt.
Glaub ich jetzt aber auch nicht mehr. Traurig
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Anmeldungsdatum: 09.06.2010
Beiträge: 8557

Beitrag(#1766203) Verfasst am: 11.07.2012, 22:41    Titel: Antworten mit Zitat

Mahone hat folgendes geschrieben:
Navigator2 hat folgendes geschrieben:

Also nach dem ich dein Posting gelesen hatte, war mir immer noch nicht klar, welche Ansichten _DU_ denn jetzt überhaupt vertrittst...


Naja also also kurz gesagt:
ich schrieb
Zitat:
Die Bedürfnisse die es zu befriedigen, und in Einklang zu bringen gilt,
gehen meiner Meinung nach nicht entlang einem ideologischen Graben,
rein intuitiv sehe ich da eine grobe Einteilung von Leuten, die
A. Einfach ein gutes angenehmes Leben, mit einem passablem Job und nicht zuviel Stress, und
B. Die sozusagen, gerne etwas aufbauen, ihr Leben einem gewissem Ziel unter ordnen,
und dafür gern eine gewisse Annerkennung hätten.


Das ist imho eben der Kern der Debatte,
und ich bin eben der Meinung dass es zwischen diesen Leuten nicht unbedingt einen Interessenkonflikt geben muss.
Eine progressive Gesellschaft wie ich sie mir vorstelle, schafft es da einen Weg zu finden,
dass der Grossteil der Bevölkerung zufrieden ist, mit der Aufteilung von Ressourcen und Arbeit.


Ich habe mir jetzt mal diese Aussage als Quintessenz herausgepickt, um meine Sichtweise dazu darzulegen:

Ich kann dir darin ganz einfach zustimmen. Auch in meiner Vorstellung würde eine (aus meiner ideologischen Sicht) progressive Gesellschaft mit vielerlei Problemen einfacher fertig werden.

Progressivität hat da aber sicherlich für so Manchen eine unterschiedliche Bedeutung:
Ich mache das mal am Beispiel der Menschenrechte deutlich, weil dies ja der eigentliche wunde Punkt ist, bei dem grundsätzliche Auseinandersetzungen in Diskussionen gerade bei deinen gewählten Beispielen Hartz IV und Sarrazin garantiert sind.
Die Menschenrechte stellen sich mMn im Verlauf der jüngeren Menschheitsgeschichte als eine ziemlich progressive und vorausschauende Sache dar, die der Menschheit in ihrer Gesamtheit eine "Maßeinheit" im Umgang miteinander verleiht.
So sehen es zumindest (derzeit) progressiv ausgerichtete Kräfte und versuchen diese Errungenschaft gegen die Konservativen zu verteidigen. Soweit so gut und auch noch einfach.

Die Frage muss also zunächst einmal lauten: reden wir über eine rein progressivistische Ideologie (http://de.wikipedia.org/wiki/Progressivismus#Politischer_Progressivismus) oder die Ausrichtung in einem politischen Spektrum?
Ich denke jedoch Letzteres - und genau da liegt das Problem:
http://de.wikipedia.org/wiki/Ideologie#Ideologie_in_der_Politik
Zitat:
Politik ist immer mit Ideologie verbunden, eine unideologische, rein technokratische Politik ist realitätsfremd. Politische Programme basieren auf bestimmten Wertesystemen. [10] Die grundlegenden politischen Ideologien sind Liberalismus (Betonung der Freiheit), Sozialismus (Betonung der Gleichheit) und Konservatismus (Betonung von gesellschaftlichen Traditionen).
(fett durch mich)
+
http://de.wikipedia.org/wiki/Ideologie
Zitat:
Im allgemeinen Sprachgebrauch ist Ideologie ein System von Ideen, Vorstellungen, Werturteilen und Begriffen und kann synonym zu „Weltanschauung“ Verwendung finden.
(fett durch mich)

Ein System also, in dem jeder Mensch täglich (stündlich oder in noch kürzeren Zeitspannen) seine eignen Ideen, Vorstellungen und Werturteile gewichtet, durch eigene Entscheidungen auf den Prüfstand stellt und (zumindest theoretisch) auch im Hinblick auf Durchführbarkeiten und Unmöglichkeiten hinterfragt. Dabei darf man natürlich äußere Einflüsse, wie Lebensumstände, Lebensbegleiter und prägende Personen, Bildung und berufliche, wirtschaftliche oder partnerschaftliche Selbstverwirklichung nicht außer Acht lassen.

Ich denke schon, dass es immer Punkte gibt, über die man flexibel diskutieren und höflich debattieren kann. Aber eben auch, dass es ideologische Eckpfeiler gibt, deren Umstoßen oder auch nur Ankratzen, einer Aufgabe des eigenen Selbstverständnisses (oder der Selbstwahrnehmung) gleichkommt und für die betreffende Person eine nicht zu übertretende Hemmschwelle darstellt, was nicht nur dem bloßen Eingeständnis einer persönlichen Niederlage gleichkäme, sondern viel eher noch einer Selbstaufgabe - nichts, was ein Mensch ohne Widerstand zu tun gewillt ist.

Um den Kreis zu schließen, möchte ich nun wiederum meine persönliche (politisch ideologische) Sicht zu den Punkten Hartz IV und Sarrazin´s "Thesen" darlegen, um dies zu verdeutlichen.
Beide Punkte sind nach meinem humanistischen Werte- und Weltverständnis nicht mit den Menschenrechten (die wiederum einen Eckpfeiler meiner politischen Ideologie bilden) in Einklang zu bringen. Weder aus konservativer, noch aus progressiver oder neokonservativer Sicht. Hier kommen wir also mit der Betrachtung konservatives vs. progressives Weltbild nicht weiter, da es wiederum Zuspruch für diese Punkte aus wohl allen möglichen politisch ideologischen Ecken gab, von konservativ, über liberal bis sozialistisch, ich jedoch keinen dieser Befürworter für einen Hauch progressiv einordnen könnte.

Der Ansatz muss also auf einer anderen Ebene zu finden sein.
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Telliamed
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Beitrag(#1766291) Verfasst am: 12.07.2012, 10:10    Titel: Antworten mit Zitat

In den 1960/70er Jahren wuchs ich in der DDR in einer Gesellschaft auf, die sehr stark polarisierte. Die Staatsdoktrin sah vor: „Wir“, das ist die sich in dem durch eine Mauer abgeschlossenen System entwickelnde „sozialistische Menschengemeinschaft“ (wie sie Walter Ulbricht nannte) und ihre Verbündeten in der um die Sowjetunion gescharten sozialistischen Staatengemeinschaft.

„Die Anderen“, das sind das Großkapital, die Großbanken, die Großagrarier und ehemaligen Nazis im Westen, die sich ein Heer, eine Polizei und eine Justiz halten, die mit den USA verbündet sind, die seit Jahren, 1964 bis 1975 einen schmutzigen Krieg in Vietnam führten.

Die Polarisierung in „Arm“ (= normal, nicht begütert) und „Sehr Reich“ fand sich entsprechend der Staatsdoktrin im Gegensatz „Ost“ gegen „West“ wieder. Im Ernstfall hätte die Nationale Volksarmee auf die Angehörigen der Bundeswehr schießen müssen. Auf der einen Seite die Progressiven, die „Guten“ ("Wir sind die Sieger der Geschichte", hieß eine Losung der SED), auf der anderen Seite das "alte, überlebte System", das abgrundtief „Böse“, der "Klassenfeind". Einige Millionen Menschen dachten tatsächlich so, die überwiegende Mehrheit der Menschen aber überhaupt nicht. In ihrer Vorstellungswelt waren die traditionellen Bindungen über die Mauer hinweg präsent geblieben.

Wer Verwandte im Westen hatte und wem nicht verboten war, Kontakte zu Bundesbürgern zu unterhalten, lernte, dass auf der anderen Seite der Mauer Menschen wie Du und ich lebten. Für mich kam diese Erkenntnis erst später, erst ab 1989. Ich hatte überhaupt keine Verwandten im Westen und lernte durch meine Lebensumstände in Schule, Studium und Beruf auch niemanden von dort persönlich kennen.
Dafür kannte ich recht gut die Mentalität der Bewohner der Sowjetunion, nicht nur der Russen, sondern auch von tatarischen Menschen und Bewohnern des Kaukasus, unter denen ich für längere Zeit lebte.

Seit 1992, seit zwanzig Jahren, lebe und arbeite ich mitten unter denen, die in den ersten 35 Jahren meines Lebens „die Anderen“ waren. Ich habe unter ihnen prächtige Freunde gewonnen. In manchem fühle ich mich viel wohler als vor 1989, vieles aus der Zeit vor 1989 möchte ich nie wieder erleben. Manches erscheint mir hingegen noch heute sehr fremd, so die Stellung der Kirchen und der Religion, vor allem aber die Vergöttlichung und Verinnerlichung des Eigentums-Prinzips, der Umstand, dass man die Existenz von Milliardären als naturgegeben und völlig normal hinnimmt. Die Vorstellung erscheint absurd: würden die Milliardäre nur auf die Hälfte ihres nicht durch Arbeit erworbenen Besitzes verzichten, wäre Hartz.IV völlig vom Tisch, so einfach erschien das, doch absolut unmöglich.
Ein Milliardär, der es „gut meint“, ein Freund der Menschen und der Kunst, wollte dieser Tage in Potsdam eine Kunststätte schaffen, die Stadt ist gespalten. Die Jauch und Joop, ebenfalls Millionäre, die der Stadt angeblich neuen Flair verliehen haben, wettern gegen die kleinbürgerliche, kleingeistige Enge in der Stadt. Zu denen, die das Hotel-Hochhaus verteidigen, auf dessen Gelände die neue Kunststätte stehen soll (für meine Begriffe ein potthässlicher Betonklotz), gehören nicht nur Angehörige der „Linken“, sondern auch alternativ denkende Menschen aus westlich geprägten Milieus. Eine kulturelle Polarisierung der eher harmlosen Art entzweit hier die Gesellschaft.

Nach Zusammenbruch des Realsozialismus richteten etliche Angehörige der ehemals staatstragenden Partei und Jüngere ihre mit dem Sozialismus verbundenen Hoffnungen auf Lateinamerika, als würde dort das Vorbild für eine neue Gesellschaft heranwachsen, was eine um 30/40 Jahre verspätete Renaissance Che Guevaras bedeutet.
In Deutschland selbst muss man hingegen Kompromisse schließen, Koalitionsvereinbarungen treffen, aus nahe gelegenen Gründen vor allem mit den bis dahin fremd gebliebenen Sozialdemokraten, um in nahen Zeiträumen etwas Schritt für Schritt vor Ort zu bewirken. Was ist hier "progressiv", was "konservativ"?

Mein Vater, weit über die 80, lebt allein in einem kleinen Thüringer Ort, erwartet nichts weniger als den baldigen Weltuntergang, nach dieser Finanzkrise, dem Verlust aller Werte. Er hat den Zusammenbruch zweier Systeme erlebt, 1945 und 1989, der nächste steht für ihn in naher Zukunft fest. Für ihn gehöre ich schon fast zur Welt der „Anderen“, die in einem anderen System leben, das ihm fremd geblieben ist, einem System, in dem es wieder die Arbeitslosigkeit gibt, die er in seiner Kindheit noch erlebt hatte. Angst hat er nicht vor der Stasi, sondern vor der Vernichtung sozialer Existenzen durch den Kapitalismus.

Mir ist beim Lesen der Tagebücher des bekanntesten DDR-Schriftstellers Erwin Strittmatter (1912-1994) vor kurzem aufgefallen, wie sehr der Mann „anti-amerikanisch“ eingestellt war und darin in einer Kontinuität mit der Zeit 1933-1945 lebte. Aus Amerika kamen diese ganze fremde Musik, die Zerstörung der traditionellen Werte, das „Fremde“.

Wie @Mahone verfalle ich nicht dem geradezu apokalyptischen Zeitgeist, der einen völligen Zusammenbruch des Systems in naher Zukunft erwartet. In geographischer Hinsicht habe ich jahrzehntelang einen Weg von „West“ nach „Ost“ und wieder zurück, innerhalb Berlins von Ost nach West beschritten, bin ein Wanderer zwischen den Welten geblieben, was mich vielleicht bewahrt hat, zu stark zu polarisieren.
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