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Skeptiker "I can't breathe!"
Anmeldungsdatum: 14.01.2005 Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville
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(#1786020) Verfasst am: 03.10.2012, 15:56 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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step hat folgendes geschrieben: | Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Genau. Wenn also der fehlhandelnde Mafiosi sich vorstellen kann, dass der große Pate ihm einen Finger abschneidet, dann ist die Grundlage für den "inneren Auftrag", also für die *Moral* gelegt. |
Ja, zumindest denke ich, daß über solche Mechanismen Moral bei den Vormenschen entstanden ist. |
Die Vormenschen oder Frühmenschen hatten mit Sicherheit weder einen Begriff noch eine Vorstellung von Moral, ohne dass ich das jetzt bewerten möchte. Es ist einfach Ausdruck einer Notwendigkeit. Moralische Vorstellungen und Begriffe sind etwas originär Menschliches und sie entstanden nach und nach, während sich der Mensch langsam und mühsam aus der rein tierischen Welt heraus arbeitete, in der er allerdings weiterhin zur Hälfte steckt.
Die tierische Hälfte des Menschen ist das eine und die menschliche Hälfte das andere. Beides widerspricht sich durchaus nicht, wie einige Kulturpessimisten meinen.
Dass bereits Menschenaffen Schuldgefühle haben, sagt allerdings weniger über die Gründe dieser Schuldgefühle aus, sondern mehr über einen gewissen Gruppen-Konformismus, welcher an sich neutral gegenüber den Inhalten der Schuldgefühle ist.
Ich meine aber, dass man über Moral überhaupt nur diskutieren kann, wenn man auch den Gruppen- und Gesellschaftskonformismus grundsätzlich transzendiert.
Konformistisches Verhalten kann (über einen bestimmten Zeitraum) moralisch sein, muss es aber nicht.
Jedenfalls ist Gruppenkonformismus und Moral etwas verschiedenes.
Ich denke andererseits aber auch, dass eine objektive Moral, die sich an die menschlichen (und tierischen) Bedürfnisse koppelt, keine fixe Moral sein kann, indem sie nämlich Handeln, Umweltbedingungen und Gesellschaft stets an veränderte Gegebenheiten anpassen muss.
Ebenso gibt es ja auch keine ewigen objektiven Wahrheiten, sondern auch hier haben wir es im Zuge des fortschreitenden Erkenntnisprozesses mit einer ständigen Annäherung an die Welt zu tun. Ebenso verstehe ich Moral als einen ständigen Anpassungsprozess an das Mögliche und Wünschenwerte aus der Sicht der menschlichen Bedürfnisse (<> "Gruppenbedürfnisse"!).
Objektiv sind sicherlich ebendiese menschlichen Bedürfnisse - also nach Wohnung, Nahrung, Sexualität, usw. Dies allein kann die Basis einer objektiven (und variablen) Moral in Bezug auf Verhalten und Verhältnisse sein.
In platter Betrachtung bezeichnet man Moral als *selbstloses* (altruistisches) Handeln. Ich sehe jedoch keinen grundsätzlichen Widerspruch zwischen Egoismus und Moral, wenn man sich etwa gesellschaftliche Verhältnisse denkt, in denen die Selbst-Entfaltung des einen notwendiger und automatischer Weise mit der Selbstentfaltung des anderen zusammen fällt.
step hat folgendes geschrieben: | Die heutigen Mafiosi verwenden zur "moralischen Bildung" ihres Nachwuchses sicher auch augefeiltere Techniken, z.B. über familiäre Verpflichtungen, Schweigegelübde, positive Verstärkung usw. - und letzten Endes erlebe ich etwas sehr Ähnliches in der "normalen" Kindererziehung, in Religionen, Familien, Schulen usw. |
Das sind genau die richtigen Stichwörter. In der Tat hat die Mafiosi-"Moral" strukturelle Ähnlichkeiten mit der Religions"moral" und der heiligen Familie - sowie mit der Vormenschen-"Moral".
step hat folgendes geschrieben: | PS: Danke, daß es diesmal wenigstens kein Nazi war. |
Die Nazis mit ihrem "du bist nichts, die Gemeinschaft ist alles" stehen in der Tat auf der Ebene der Vormenschen-"Moral" und bilden somit quasi das unterste Ende der Moralskala schlechthin.
Aber wie gesagt, es gibt *mildere* Formen der Gemeinschaftsmoral, an denen sich die Differenz zwichen Moral und Konformismus veranschaulichen lässt ...-
_________________ °
K.I.Z - Frieden
Das ist Postmoderne Ideologie! Psychologe und Philosoph analysieren RASSISMUS-Video
Informationsstelle Militarisierung e.V.
Zuletzt bearbeitet von Skeptiker am 03.10.2012, 16:00, insgesamt einmal bearbeitet |
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26509
Wohnort: im Speckgürtel
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(#1786021) Verfasst am: 03.10.2012, 15:57 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Das Beispiel mit dem Affen, der Schuldgefühle wegen einer Vergewaltigung hat, kann man da gut nehmen, um das mal durchzuspielen. Antworte doch mal auf das hier:
Tarvoc hat folgendes geschrieben: | Ich glaube, dass in dem Moment, wo so etwas wie Schuldgefühl erlebt werden kann, auch schon die Fähigkeit bestehen muss, in irgendeiner Weise über das nachzudenken, was man getan hat. Wer wie ein Doktorfisch nur ein Gedächtnis von drei Sekunden hat, ist dazu natürlich nicht fähig, aber schon die Identifikation des gegenwärtigen Selbst mit einer vergangenen Handlung erfordert doch eine Denkleistung, oder etwa nicht? | |
Meiner Ansicht nach reicht es für den "inneren Auftrag" aus, wenn der Affe mit der intendierten Handlung eine negative soziale Asoziation verbindet. Dazu benötigt er
- Gedächtnis
- Simulationsstärke (sich vorstellen, was passiert)
- (evtl. etwas Empathie, vor allem wenn er die Bewertung seiner Handlung durch seine Artgenossen komplex antizipieren muß)
Rudimentäre Moral ist, wenn sich diese Assoziation verselbständigt, wenn sie also nicht mehr von der konkreten Situation abhängt, sondern zur Präferenz wird.
Du magst das "in irgendeiner Weise nachdenken" nennen, aber es ist mit Sicherheit kein kritisches Reflektieren, sondern findet auf sehr niedrigem, möglicherweise sogar unbewußten Niveau statt. |
Steps Post ist um zwei Nummern präziser ausgeführt, was ich hiermit sagen wollte:
fwo hat folgendes geschrieben: | ....Das heißt, dass Schimpansen gut oder böse nicht als Wertungen kennen, über die sie sich unterhalten können, aber sie kennen es als Erfahrungen z.B. durch einen Stimmungswechsel des Gegenübers - man kann sie vielleicht mit kleinen Kindern vergleichen, die auch bereits Verhaltensregeln lernen, bevor sie sprechen können. ... |
Aber zur Untermalung meiner Spekulation möchte ich mal auf eine aktuelle Reflektion moralischen Verhaltens verweisen, an der wir selbst verbal beteiligt sind.
Die Rollen: Eine unbeteiligte im Sinne von nicht handelnde Gruppe fordert eine handelnde Gruppe auf, ihre Regeln zu brechen bzw. zu ändern, was einen Bruch der alten Regeln bedeuten würde.
Die handelnde Gruppe reagiert aufgeregt und argumentiert, wir haben also eine Konfrontation, Reflektion, die auf der bewussten Ebene stattfindet. Die an der Handlung unbeteiligte Gruppe stellt zu ihrem Erstaunen! fest, dass die handelnde Gruppe nicht wirklich argumentiert, sondern auf intellektuell abenteuerlichste Weise nur das Festhalten am Alten rationalisiert. Die allgemeine Frage, die sich daraus ergibt ist, was die Reflektion eines Beteiligten wirklich zur Sache beisteuert. Für mich sieht es im Gegenteil sogar so aus, dass die Reflektion zur Sache nur dem gelingt, der nicht beteiligt ist.
Auflösung: Die moralische Forderung, um die es geht, ist der Gehorsam gegenüber Gott, die Handlung besteht in der Folter kleiner Kinder durch Beschneidung.
(Hier OT, aber ich möchte noch anmerken, dass das der Hintergrund dafür ist, dass die vor der Beschneidung geforderte Risikoaufklärung der Qualitätskontrolle bedarf. Wobei das Ziel dieser Aufklärung nur bedingt der aktuelle Fall ist, wirksam wird sie auf Dauer wahrscheinlich eher über die Störung der Tradition.)
fwo
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.
Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1786026) Verfasst am: 03.10.2012, 17:04 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: | Die allgemeine Frage, die sich daraus ergibt ist, was die Reflektion eines Beteiligten wirklich zur Sache beisteuert. Für mich sieht es im Gegenteil sogar so aus, dass die Reflektion zur Sache nur dem gelingt, der nicht beteiligt ist. |
Das sehe ich ebenso. Anders als Moral, erfordert kritische Reflektion, generell ethische Reflektion, eine innere Unabhängigkeit von einem eingeprägten moralischen Auftrag, eine zumindest temporäre Loslösung von Traditionen, Autoritäten und Über-Ich. Das ist oft schwierig für Leute, bei denen die moralische Prägung emotional sehr stark verankert ist.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1786028) Verfasst am: 03.10.2012, 17:34 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Die Vormenschen oder Frühmenschen hatten mit Sicherheit weder einen Begriff noch eine Vorstellung von Moral, ohne dass ich das jetzt bewerten möchte. |
Genau, sie hatten Moral, aber keinen Begriff davon.
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Dass bereits Menschenaffen Schuldgefühle haben, sagt allerdings weniger über die Gründe dieser Schuldgefühle aus, sondern mehr über einen gewissen Gruppen-Konformismus, welcher an sich neutral gegenüber den Inhalten der Schuldgefühle ist. |
Alle moralischen Mechanismen sind ziemlich neutral gegenüber den Inhalten. Illoyalität gegenüber dem Mafiapaten löst dasselbe Gefühl aus wie Illoyalität gegenüber dem Bürochef oder dem Parteikader.
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Ich meine aber, dass man über Moral überhaupt nur diskutieren kann, wenn man auch den Gruppen- und Gesellschaftskonformismus grundsätzlich transzendiert. |
Wenn es um die Festlegung der Inhalte geht, ja. In ethischen Diskussionen sollte man bestehende Mechanismen kritisch betrachten und an modernen gemeinsamen Zielen messen. Ich denke, da sind sich hier alle einig.
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Konformistisches Verhalten kann (über einen bestimmten Zeitraum) moralisch sein, muss es aber nicht. |
Das sehe ich anders. Mit den geltenden sozialen Regeln konformes Verhalten (Achtung: konform ungleich konformistisch, es wäre gut, wenn Du die ideologischen Kampfbegriffe mal weglassen könntest) ist immer moralisch "gut". Das heißt natürlich nicht, daß dieses Verhalten jedermann gut findet oder wünscht.
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Ich denke andererseits aber auch, dass eine objektive Moral, die sich an die menschlichen (und tierischen) Bedürfnisse koppelt, keine fixe Moral sein kann, indem sie nämlich Handeln, Umweltbedingungen und Gesellschaft stets an veränderte Gegebenheiten anpassen muss. |
Sehe ich ebenso, auch an veränderte Interessen.
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Objektiv sind sicherlich ebendiese menschlichen Bedürfnisse - also nach Wohnung, Nahrung, Sexualität, usw. Dies allein kann die Basis einer objektiven (und variablen) Moral in Bezug auf Verhalten und Verhältnisse sein. |
"allein" geht mir zu weit. Es geht ja schon damit los, daß die Interessen der Menschen unterschiedlich sind.
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Die heutigen Mafiosi verwenden zur "moralischen Bildung" ihres Nachwuchses sicher auch augefeiltere Techniken, z.B. über familiäre Verpflichtungen, Schweigegelübde, positive Verstärkung usw. - und letzten Endes erlebe ich etwas sehr Ähnliches in der "normalen" Kindererziehung, in Religionen, Familien, Schulen usw. | Das sind genau die richtigen Stichwörter. In der Tat hat die Mafiosi-"Moral" strukturelle Ähnlichkeiten mit der Religions"moral" und der heiligen Familie - sowie mit der Vormenschen-"Moral". |
Ein Schritt in eine moderne Ethik wäre also, Menschen, insbesondere Kinder, weniger zu manipulieren (nein, auch nicht in Deinem oder meinem Sinne), weniger zu erziehen, bzw. stärker zu fördern, wenn sie anderer Meinung als man selbst ist, wenn sie kritisch reflektieren, wenn sie mit Anderen gemeinsam sich auf neue Werte einigen, und dgl.
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Die Nazis mit ihrem "du bist nichts, die Gemeinschaft ist alles" stehen in der Tat auf der Ebene der Vormenschen-"Moral" und bilden somit quasi das unterste Ende der Moralskala schlechthin. |
Da wäre ich aber sehr vorsichtig. Der einzelne Nazi war ein Mensch wie Du und ich, auch wenn wir das ungern hören. Und wenn Du schon die kollektivistische Philosophie herausstellst, sind die Nazis da nicht unbedingt die extremsten gewesen - denk nur an einige kommunistische Systeme, aber auch bestimmte asiatische Gesellschaften. Extrem waren die Nazis wohl vor allem in ihrem Chauvinismus und ihrer Brutalität, jedenfalls für europäische Verhältnisse.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1786032) Verfasst am: 03.10.2012, 18:48 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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step hat folgendes geschrieben: |
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Dass bereits Menschenaffen Schuldgefühle haben, sagt allerdings weniger über die Gründe dieser Schuldgefühle aus, sondern mehr über einen gewissen Gruppen-Konformismus, welcher an sich neutral gegenüber den Inhalten der Schuldgefühle ist. |
Alle moralischen Mechanismen sind ziemlich neutral gegenüber den Inhalten. Illoyalität gegenüber dem Mafiapaten löst dasselbe Gefühl aus wie Illoyalität gegenüber dem Bürochef oder dem Parteikader.
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Das würde ich nicht "neutral gegenüber den Inhalten" nennen. Es geht eher um Reichweite. Die Moral der Mafia ist eine typische Binnenmoral, wie sie vom Prinzip alle menschlichen Gesellschaften kennen. Der Unterschied ist aber zum einen, daß es eine bloße Gruppenmoral innerhalb der Gesellschaft ist, und daß sie zum anderen mit Methoden durchgesetzt wird, die im Rest der Gesellschaft zu Recht als archaisch gelten.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1786038) Verfasst am: 03.10.2012, 19:08 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Alle moralischen Mechanismen sind ziemlich neutral gegenüber den Inhalten. Illoyalität gegenüber dem Mafiapaten löst dasselbe Gefühl aus wie Illoyalität gegenüber dem Bürochef oder dem Parteikader. | Das würde ich nicht "neutral gegenüber den Inhalten" nennen. Es geht eher um Reichweite. Die Moral der Mafia ist eine typische Binnenmoral, wie sie vom Prinzip alle menschlichen Gesellschaften kennen. Der Unterschied ist aber zum einen, daß es eine bloße Gruppenmoral innerhalb der Gesellschaft ist, und daß sie zum anderen mit Methoden durchgesetzt wird, die im Rest der Gesellschaft zu Recht als archaisch gelten. |
Das "mit Recht" würde ich streichen. Die Gesellschaft außenherum beurteilt das nach ihren Maßstäben, ja. Aber die sind ebenso "bloß eine Gruppenmoral" und ebenfalls neutral gegenüber den Inhalten.
Wenn Du moralische Inhalte findest, die in allen Gesellschaften gleich sind, dann kann man evtl. argumentieren, daß diese irgendwie "universell" seien, etwa aufgrund von Bedingungen (z.B. biologisch oder sozial), die eben in allen Gesellschaften zwangsweise vorliegen.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1786039) Verfasst am: 03.10.2012, 19:13 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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step hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Alle moralischen Mechanismen sind ziemlich neutral gegenüber den Inhalten. Illoyalität gegenüber dem Mafiapaten löst dasselbe Gefühl aus wie Illoyalität gegenüber dem Bürochef oder dem Parteikader. | Das würde ich nicht "neutral gegenüber den Inhalten" nennen. Es geht eher um Reichweite. Die Moral der Mafia ist eine typische Binnenmoral, wie sie vom Prinzip alle menschlichen Gesellschaften kennen. Der Unterschied ist aber zum einen, daß es eine bloße Gruppenmoral innerhalb der Gesellschaft ist, und daß sie zum anderen mit Methoden durchgesetzt wird, die im Rest der Gesellschaft zu Recht als archaisch gelten. |
Das "mit Recht" würde ich streichen. Die Gesellschaft außenherum beurteilt das nach ihren Maßstäben, ja. Aber die sind ebenso "bloß eine Gruppenmoral" und ebenfalls neutral gegenüber den Inhalten.
Wenn Du moralische Inhalte findest, die in allen Gesellschaften gleich sind, dann kann man evtl. argumentieren, daß diese irgendwie "universell" seien, etwa aufgrund von Bedingungen (z.B. biologisch oder sozial), die eben in allen Gesellschaften zwangsweise vorliegen. |
Nein, mit diesem "Nihilismus" kann ich nichts anfangen. Die "Moral" der Mafia ist dysfunktional. Sie lähmt schon seit ihren Anfängen im 18. Jh. die Entwicklung der südlichen Hälfte Italiens.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
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Skeptiker "I can't breathe!"
Anmeldungsdatum: 14.01.2005 Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville
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(#1786040) Verfasst am: 03.10.2012, 19:34 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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step hat folgendes geschrieben: | Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Die Vormenschen oder Frühmenschen hatten mit Sicherheit weder einen Begriff noch eine Vorstellung von Moral, ohne dass ich das jetzt bewerten möchte. |
Genau, sie hatten Moral, aber keinen Begriff davon. |
Ich würde die Vormenschen-Moral eher als "Vormoral" bezeichnen.
Marcellinus hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: |
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Dass bereits Menschenaffen Schuldgefühle haben, sagt allerdings weniger über die Gründe dieser Schuldgefühle aus, sondern mehr über einen gewissen Gruppen-Konformismus, welcher an sich neutral gegenüber den Inhalten der Schuldgefühle ist. |
Alle moralischen Mechanismen sind ziemlich neutral gegenüber den Inhalten. Illoyalität gegenüber dem Mafiapaten löst dasselbe Gefühl aus wie Illoyalität gegenüber dem Bürochef oder dem Parteikader. |
Das würde ich nicht "neutral gegenüber den Inhalten" nennen. Es geht eher um Reichweite. Die Moral der Mafia ist eine typische Binnenmoral, wie sie vom Prinzip alle menschlichen Gesellschaften kennen. Der Unterschied ist aber zum einen, daß es eine bloße Gruppenmoral innerhalb der Gesellschaft ist, und daß sie zum anderen mit Methoden durchgesetzt wird, die im Rest der Gesellschaft zu Recht als archaisch gelten. |
Kann man so sagen.
Ich würde ohnehin in bezug auf Moral
1. nicht immer nur auf die - wie step es nennt - "moralischen Mechanismen" fixiert sein, also auf die "Mechanismen" zur Durchsetzung erwünschter Verhaltensweisen, d.h. fremder Wünsche. Somit ist der sogenannte "moralische Mechanismus" selber nicht moralisch, sondern schlicht eine Machttechnik.
2. Auch in bezug auf Moral heiligt der moralische Zweck nicht jedes Mittel zur Durchsetzung des Zweckes.
Wenn z.B. Angst vor Strafen oder Ausstoßung aus einer Gruppe normale Mittel der Durchsetzung von Moral sein sollen, dann ist die Moral, die da durchgesetzt werden soll, wohl selber sehr fragwürdig.
Warum sollen denn nicht z.B. Freude oder menschliche Solidarität Anreize sein, um Moral *durchzusetzen*?
Um den Unterschied mal an einem Beispiel zu verdeutlichen: Es gibt zum einen die christliche Arbeitsmoral, die auch das Arbeiten mit saurem Gesicht heiligt und es gibt andererseits auch die Freude an Tätigkeiten, die der persönlichen Selbstentfaltung oder ähnlich wertvoller Dinge dienen können.
Marx hatte das ja mit der Arbeit als erstem Lebensbedürfnis umschrieben im Unterschied zur Arbeit für fremde Interessen und Zwecke und Arbeit als Ausbeutung selbst von Interessen und Talenten.
step hat folgendes geschrieben: | Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Konformistisches Verhalten kann (über einen bestimmten Zeitraum) moralisch sein, muss es aber nicht. |
Das sehe ich anders. Mit den geltenden sozialen Regeln konformes Verhalten (Achtung: konform ungleich konformistisch, es wäre gut, wenn Du die ideologischen Kampfbegriffe mal weglassen könntest) ist immer moralisch "gut". Das heißt natürlich nicht, daß dieses Verhalten jedermann gut findet oder wünscht. |
Du meinst wahrscheinlich, dass soziales Verhalten gut ist. Das ist selbstverständlich etwas anderes als Konformismus.
Die Frage ist aber auch hier, inwieweit ein bestimmtes soziales Verhalten lediglich die Oberfläche eines Konformismus, also der Einfügung in Herrschaftssicherung ist, etwa in Form einer Verzichtsmoral der Beherrschten zugunsten der Herrschenden. Da muss man schon genau hingucken.
step hat folgendes geschrieben: | Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Objektiv sind sicherlich ebendiese menschlichen Bedürfnisse - also nach Wohnung, Nahrung, Sexualität, usw. Dies allein kann die Basis einer objektiven (und variablen) Moral in Bezug auf Verhalten und Verhältnisse sein. |
"allein" geht mir zu weit. Es geht ja schon damit los, daß die Interessen der Menschen unterschiedlich sind. |
Wieso? Wohnung, Nahrung, Sexualität usw. brauchen Alle. Darüber hinaus gibt es natürlich individuelle Interessen. Jeder Mensch hat sowohl allgemeine als auch besondere Bedürfnisse.
step hat folgendes geschrieben: | Skeptiker hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Die heutigen Mafiosi verwenden zur "moralischen Bildung" ihres Nachwuchses sicher auch augefeiltere Techniken, z.B. über familiäre Verpflichtungen, Schweigegelübde, positive Verstärkung usw. - und letzten Endes erlebe ich etwas sehr Ähnliches in der "normalen" Kindererziehung, in Religionen, Familien, Schulen usw. | Das sind genau die richtigen Stichwörter. In der Tat hat die Mafiosi-"Moral" strukturelle Ähnlichkeiten mit der Religions"moral" und der heiligen Familie - sowie mit der Vormenschen-"Moral". |
Ein Schritt in eine moderne Ethik wäre also, Menschen, insbesondere Kinder, weniger zu manipulieren (nein, auch nicht in Deinem oder meinem Sinne), weniger zu erziehen, bzw. stärker zu fördern, wenn sie anderer Meinung als man selbst ist, wenn sie kritisch reflektieren, wenn sie mit Anderen gemeinsam sich auf neue Werte einigen, und dgl. |
Dazu müssen Kinder unabhängig von Gemeinschaften sein. Gemeinschaften (Mafiosi, Gangs, Kirchengemeinden, Familien, usw.) dürfen keine Macht über bewusste Lebewesen haben.
Ein Ausweg aus der stupiden bürgerlichen Familie ist die öffentliche Kindererziehung, bei der die Kinder sowohl in ihren allgemeinen sozialen Kompetenzen sowie ihren individuellen Interessen und Talenten optimal gefördert werden und zwar nicht als optimale Untertanen und ausbeutbares zurecht gezüchtetes Menschenmaterial oder Stimmvieh, sondern als soziale Menschen, welche die Fähigkeit besitzen, zusammen zu kommunizieren, zusammen zu arbeiten, zusammen zu genießen, usw.
step hat folgendes geschrieben: | Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Die Nazis mit ihrem "du bist nichts, die Gemeinschaft ist alles" stehen in der Tat auf der Ebene der Vormenschen-"Moral" und bilden somit quasi das unterste Ende der Moralskala schlechthin. |
Da wäre ich aber sehr vorsichtig. Der einzelne Nazi war ein Mensch wie Du und ich, auch wenn wir das ungern hören. |
Aber ohne Ausschöpfung ihres menschlichen und moralischen Potenzials und mit menschenfeindlichen Weltbildern, muss man hinzufügen.
step hat folgendes geschrieben: | Und wenn Du schon die kollektivistische Philosophie herausstellst, sind die Nazis da nicht unbedingt die extremsten gewesen - denk nur an einige kommunistische Systeme, aber auch bestimmte asiatische Gesellschaften. Extrem waren die Nazis wohl vor allem in ihrem Chauvinismus und ihrer Brutalität, jedenfalls für europäische Verhältnisse. |
Also, wenn du die Nazi-Moral "du bist nichts, die Gemeinschaft ist alles!" auf eine Stufe stellen möchtest mit der sozialistschen Moral "Jedem nach seinen (individuellen) Bedürfnissen, jeder nach seinen Fähigkeiten!" dann kannst du das ja meinetwegen tun. Es zeigt aber nur, dass du völlig ignorierst, dass Moral nur dann Moral genannt werden kann, wenn ihr Inhalt und ihr Zweck ein moralischer ist - und nur dann!
Das objektive an einer moralischen Zwecksetzung sind objektiv bestehende menschliche Bedürfnisse, welche höher stehen als die Bedürfnisse der Gemeinschaft oder die Bedürfnisse irgend welcher privater oder staatlicher Institutionen.
Das Variable an einer diesen objektiven Bedürfnissen verpflichteten Moral besteht aus meiner Sicht darin, dass die Mittel und Möglichkeiten, jene Bedürfnisse zu befriedigen ständig wachsen, weil die Produktivkräfte ständig verbessert werden.
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K.I.Z - Frieden
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Tom der Dino registrierter User
Anmeldungsdatum: 20.07.2011 Beiträge: 3949
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(#1786041) Verfasst am: 03.10.2012, 19:39 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Alle moralischen Mechanismen sind ziemlich neutral gegenüber den Inhalten. Illoyalität gegenüber dem Mafiapaten löst dasselbe Gefühl aus wie Illoyalität gegenüber dem Bürochef oder dem Parteikader. | Das würde ich nicht "neutral gegenüber den Inhalten" nennen. Es geht eher um Reichweite. Die Moral der Mafia ist eine typische Binnenmoral, wie sie vom Prinzip alle menschlichen Gesellschaften kennen. Der Unterschied ist aber zum einen, daß es eine bloße Gruppenmoral innerhalb der Gesellschaft ist, und daß sie zum anderen mit Methoden durchgesetzt wird, die im Rest der Gesellschaft zu Recht als archaisch gelten. |
Das "mit Recht" würde ich streichen. Die Gesellschaft außenherum beurteilt das nach ihren Maßstäben, ja. Aber die sind ebenso "bloß eine Gruppenmoral" und ebenfalls neutral gegenüber den Inhalten.
Wenn Du moralische Inhalte findest, die in allen Gesellschaften gleich sind, dann kann man evtl. argumentieren, daß diese irgendwie "universell" seien, etwa aufgrund von Bedingungen (z.B. biologisch oder sozial), die eben in allen Gesellschaften zwangsweise vorliegen. |
Nein, mit diesem "Nihilismus" kann ich nichts anfangen. Die "Moral" der Mafia ist dysfunktional. Sie lähmt schon seit ihren Anfängen im 18. Jh. die Entwicklung der südlichen Hälfte Italiens. |
Aber nicht die Entwicklung der Mafia.
_________________ Am Anfang war ......das Experiment.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1786043) Verfasst am: 03.10.2012, 19:57 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Nein, mit diesem "Nihilismus" kann ich nichts anfangen. Die "Moral" der Mafia ist dysfunktional. Sie lähmt schon seit ihren Anfängen im 18. Jh. die Entwicklung der südlichen Hälfte Italiens. |
Aber nicht die Entwicklung der Mafia. |
Ja, so kann man das natürlich sehen. Aber es zerstörte auch die Familien der Mafiosi. Es hat sich zu einer parasitären Lebensform entwickelt, die nur möglich ist, weil drumherum Menschen anders leben. Und als solche ist diese Organisationsform ja durchaus erfolgreich. Aber das sind Küchenschaben auch.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1786045) Verfasst am: 03.10.2012, 19:59 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Nein, mit diesem "Nihilismus" kann ich nichts anfangen. |
Nur um den Unterschied nochmal klar herauszustellen: Mein Relativismus beschreibt moralische Systeme, er bedeutet nicht, daß es mir egal ist, in welchem moralischen System ich selbst lebe.
Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Die "Moral" der Mafia ist dysfunktional. Sie lähmt schon seit ihren Anfängen im 18. Jh. die Entwicklung der südlichen Hälfte Italiens. |
Wie gesagt, die Mafia ist eine Gesellschaft in der Gesellschaft, ähnlich wie auch Sekten, Parteien, Religionen, Unternehmen, Motorradclubs, Familien, Parallelgesellschaften usw. - die nutzen die Gegebenheiten ihres Umfelds für ihre Interessen und haben oft eine eigene Mikromoral, die nicht konform ist mit den Regeln oder Wünschen des Umfelds.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Skeptiker "I can't breathe!"
Anmeldungsdatum: 14.01.2005 Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville
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(#1786046) Verfasst am: 03.10.2012, 20:00 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Nein, mit diesem "Nihilismus" kann ich nichts anfangen. Die "Moral" der Mafia ist dysfunktional. Sie lähmt schon seit ihren Anfängen im 18. Jh. die Entwicklung der südlichen Hälfte Italiens. |
Aber nicht die Entwicklung der Mafia. |
Ja, so kann man das natürlich sehen. Aber es zerstörte auch die Familien der Mafiosi. Es hat sich zu einer parasitären Lebensform entwickelt, die nur möglich ist, weil drumherum Menschen anders leben. Und als solche ist diese Organisationsform ja durchaus erfolgreich. Aber das sind Küchenschaben auch. |
Genau!
Und die Mafia ist sowas wie der unvermeidliche Pickel am Arsch der bürgerlichen Gesellschaft ...-
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K.I.Z - Frieden
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1786051) Verfasst am: 03.10.2012, 20:17 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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Skeptiker hat folgendes geschrieben: | ... 2. Auch in bezug auf Moral heiligt der moralische Zweck nicht jedes Mittel zur Durchsetzung des Zweckes. |
Da stimme ich selbstverständlich zu! Eine offene Gesellschaft denkender Menschen findet die Anwendung extremer Mittel, zu welchem Zweck auch immer, entwürdigend.
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Warum sollen denn nicht z.B. Freude oder menschliche Solidarität Anreize sein, um Moral *durchzusetzen*? |
Positive verstärkung hatte ich ja schon genannt. Solidarität ist schön, aber blöderweise geht es bei ethischen Dilemmata leider oft um Interessenskonflikte.
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Das objektive an einer moralischen Zwecksetzung sind objektiv bestehende menschliche Bedürfnisse, ... |
In bezug auf ganz basale Bedürfnisse von Mensch und Tier stimme ich Dir da zu. Hier folgt also tatsächlich ein (vernünftiges) Sollen mehr oder weniger faktsch aus dem Sein, ohne daß es sich um einen naturalistischen Fehlschluss handelt.
Viele darüberhinausgehende Bedürfnisse sind aber subjektiv. Sie sind durch nichts weiter legitimiert als dadurch, eben ein Bedürfnis zu sein. Ethische Wertsetzung muß das Unmögliche versuchen, nämlich einen für alle tragbaren Konsens herbeizuführen über die Grenze zwischen Partikular- und Allgemeininteressen.
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | ... welche höher stehen als die Bedürfnisse der Gemeinschaft ... |
"Die Gemeinschaft" steht in der Ethik für Interessen von unbekannten Dritten oder für Interessen von vielen. Zum Beispiel hat die Gemeinschaft (also die meisten Leute) ein Interesse daran, daß es auf der Straße nicht unnötig laut wird. Der Motorradfahrer möchte aber seinem Potenzkomplex am Sonntag mal gern so richtig laut begegnen.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1786052) Verfasst am: 03.10.2012, 20:20 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | [Die Mafia] hat sich zu einer parasitären Lebensform entwickelt, die nur möglich ist, weil drumherum Menschen anders leben. |
Klar, aber was zeigt das? Nicht daß die Mafia keine Moral hat, sondern daß wir keine parasitären Untergesellschaften in unserer Gesellschaft wollen.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1786053) Verfasst am: 03.10.2012, 20:23 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Nein, mit diesem "Nihilismus" kann ich nichts anfangen. Die "Moral" der Mafia ist dysfunktional. Sie lähmt schon seit ihren Anfängen im 18. Jh. die Entwicklung der südlichen Hälfte Italiens. |
Aber nicht die Entwicklung der Mafia. |
Ja, so kann man das natürlich sehen. Aber es zerstörte auch die Familien der Mafiosi. Es hat sich zu einer parasitären Lebensform entwickelt, die nur möglich ist, weil drumherum Menschen anders leben. Und als solche ist diese Organisationsform ja durchaus erfolgreich. Aber das sind Küchenschaben auch. |
Genau!
Und die Mafia ist sowas wie der unvermeidliche Pickel am Arsch der bürgerlichen Gesellschaft ...- |
Das ist vielleicht etwas unhistorisch gedacht. Es erklärt nämlich weder, warum sie dort entstanden ist, wo sie entstanden ist, noch, warum sie sich unterschiedlich erfolgreich ausgebreitet hat.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1786054) Verfasst am: 03.10.2012, 20:25 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Es erklärt nämlich weder, warum sie dort entstanden ist, wo sie entstanden ist, noch, warum sie sich unterschiedlich erfolgreich ausgebreitet hat. |
Zudem könnte man sie als Pickel auf einem noch viel größeren Pickel ansehen - der Menschheit.
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1786056) Verfasst am: 03.10.2012, 20:30 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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step hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: | [Die Mafia] hat sich zu einer parasitären Lebensform entwickelt, die nur möglich ist, weil drumherum Menschen anders leben. |
Klar, aber was zeigt das? Nicht daß die Mafia keine Moral hat, sondern daß wir keine parasitären Untergesellschaften in unserer Gesellschaft wollen. |
Nenn es nicht Moral, sondern allgemeiner Verhaltensstandards, dann sieht man vielleicht klarer, worum es geht. Und da sieht man eben, daß die Verhaltensstandards innerhalb der Mafia weitgehend auf roher Gewaltanwendung beruhen, etwas, das in einer modernen Industriegesellschaft ein No-go ist. Die Mafia hat darüber hinaus nur rudimentäre Verhaltensstandards, die sich im wesentlichen auf die Omertà reduzieren lassen, mit letzten Anklängen an Familie, Kirche und Heimat, die aber für einen guten "Geschäftsabsch(l)uß" gerne mal vergessen werden. Insofern hat die Mafia keine Moral, sondern nur Versatzstücke einer solchen.
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Friedrich Nietzsche
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1786057) Verfasst am: 03.10.2012, 20:31 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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step hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Es erklärt nämlich weder, warum sie dort entstanden ist, wo sie entstanden ist, noch, warum sie sich unterschiedlich erfolgreich ausgebreitet hat. |
Zudem könnte man sie als Pickel auf einem noch viel größeren Pickel ansehen - der Menschheit. |
Wenn du dich für den Teil eines Pickels hälst ...
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Friedrich Nietzsche
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1786061) Verfasst am: 03.10.2012, 20:52 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Und da sieht man eben, daß die Verhaltensstandards innerhalb der Mafia weitgehend auf roher Gewaltanwendung beruhen, etwas, das in einer modernen Industriegesellschaft ein No-go ist. |
Ja, richtig, sollte man meinen zumindest. Wir schneiden Gesetzesübertretern nicht Finger ab, sondern stecken sie ins Gefängnis.
Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Die Mafia hat darüber hinaus nur rudimentäre Verhaltensstandards, die sich im wesentlichen auf die Omertà reduzieren lassen, mit letzten Anklängen an Familie, Kirche und Heimat, die aber für einen guten "Geschäftsabsch(l)uß" gerne mal vergessen werden. Insofern hat die Mafia keine Moral, sondern nur Versatzstücke einer solchen. |
Mag sein, ich weiß nicht, wie zerrüttet die Moral der Mafia heutzutage ist, bzw. wie gut Regeln und Ehrenkodex dort noch funktionieren.
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26509
Wohnort: im Speckgürtel
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(#1786068) Verfasst am: 03.10.2012, 21:06 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | ...
Nenn es nicht Moral, sondern allgemeiner Verhaltensstandards, dann sieht man vielleicht klarer, worum es geht. .... |
Du willst doch bitte nicht mit so einer kleinlichen und kulturimperialistischen Begründung den Saudis die Moral absprechen? Gerade Du als moralunfähiger Ungläubiger!
Du bist xenophob. Rassist!
fwo
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.
Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44680
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(#1786074) Verfasst am: 03.10.2012, 21:15 Titel: |
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_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1786081) Verfasst am: 03.10.2012, 22:27 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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fwo hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: | ...
Nenn es nicht Moral, sondern allgemeiner Verhaltensstandards, dann sieht man vielleicht klarer, worum es geht. .... |
Du willst doch bitte nicht mit so einer kleinlichen und kulturimperialistischen Begründung den Saudis die Moral absprechen? Gerade Du als moralunfähiger Ungläubiger!
Du bist xenophob. Rassist!
fwo |
Doch, das will ich. Man sieht es leicht daran, welchen Aufwand die Saudis treiben müssen, um das, was sie als islamische Moral behaupten, in der Praxis durchzusetzten. Religionspolizei! Man faßt es nicht!
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Friedrich Nietzsche
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vrolijke Bekennender Pantheist

Anmeldungsdatum: 15.03.2007 Beiträge: 46732
Wohnort: Stuttgart
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(#1786082) Verfasst am: 03.10.2012, 22:31 Titel: |
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Ist Moral nicht, die Gesetze die eingehalten werden ohne dass Sanktionen eingesetzt werden?
_________________ Glück ist kein Geschenk der Götter; es ist die Frucht der inneren Einstellung.
Erich Fromm
Sich stets als unschuldiges Opfer äußerer Umstände oder anderer Menschen anzusehen ist die perfekte Strategie für lebenslanges Unglücklichsein.
Grenzen geben einem die Illusion, das Böse kommt von draußen
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1786091) Verfasst am: 03.10.2012, 22:48 Titel: |
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vrolijke hat folgendes geschrieben: | Ist Moral nicht, die Gesetze die eingehalten werden ohne dass Sanktionen eingesetzt werden? |
Moral ist das, was man tun sollte, Gesetze das, was verboten ist. Moral mit Gewalt zu erzwingen, ist ein Irrweg.
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26509
Wohnort: im Speckgürtel
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(#1786094) Verfasst am: 03.10.2012, 22:59 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | fwo hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: | ...
Nenn es nicht Moral, sondern allgemeiner Verhaltensstandards, dann sieht man vielleicht klarer, worum es geht. .... |
Du willst doch bitte nicht mit so einer kleinlichen und kulturimperialistischen Begründung den Saudis die Moral absprechen? Gerade Du als moralunfähiger Ungläubiger!
Du bist xenophob. Rassist!
fwo |
Doch, das will ich. Man sieht es leicht daran, welchen Aufwand die Saudis treiben müssen, um das, was sie als islamische Moral behaupten, in der Praxis durchzusetzten. Religionspolizei! Man faßt es nicht! |
Um auf den Thread zurückzukommen:
Du möchtest das Wort Moral nur benutzen, wenn die Regeln und die Mittel zu ihrer Durchsetzung "gut" sind. Wer bestimmt dieses "gut"? Haben wir sie da doch - die absolute, die objektive Moral?
Ich hatte das Wort Moral ja mit Absicht ohne Wertung einfach im Sinne gruppenspezifischer Regeln benutzt, so dass ich damit weder bei der Mafia noch den Saudis Probleme habe.
Die Mafia ist allerdings insofern eine Sonderfall, als die Gruppe eine abgesetzte Teilgruppe innerhalb einer größeren ist und hier eine doppelte Sozialisierung stattfindet, deren Regelwerke sich gegenseitig widersprechen.
Bei den Saudis ist das anders - die so sozialisierten Männer haben wenig Verständnis dafür, dass ausgerechnet Du ihnen sagst, sie hätten keine Moral. Sie sagen das selbe von dir. Allerdings haben wir hier auch ein Beispiel für die Virulenz von Information, die in diesen Ländern plötzlich zu einem Freiheitsbedürfnis führt, das vorher in dieser Art unvorstellbar war.
Was passiert da? Wenn ich mir ansehe, dass die ihre Regierung stürzen und anschließend islamistisch wählen, bin ich versucht, das in dem von mir beschriebenen Muster zu interpretieren: Da ist zu erst die Handlung außerhalb der Moral, wobei diese Grenzüberschreitung selbst nicht wirklich wahrgenommen zu werden scheint. Die geistige Auseinandersetzung wird anschließend folgen müssen, wenn die alten Regeln von der neuen Regierung wieder eingefordert werden.
fwo
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44680
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(#1786098) Verfasst am: 03.10.2012, 23:16 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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fwo hat folgendes geschrieben: | Ich hatte das Wort Moral ja mit Absicht ohne Wertung einfach im Sinne gruppenspezifischer Regeln benutzt. |
Das Ganze bekommt aber doch einen recht anderen Dreh, wenn man es z.B. mit dem Thema Gewalt verbindet.
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#1786099) Verfasst am: 03.10.2012, 23:33 Titel: Re: Der "innere Auftrag" und die Moral |
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fwo hat folgendes geschrieben: |
Du möchtest das Wort Moral nur benutzen, wenn die Regeln und die Mittel zu ihrer Durchsetzung "gut" sind. Wer bestimmt dieses "gut"? Haben wir sie da doch - die absolute, die objektive Moral?
Ich hatte das Wort Moral ja mit Absicht ohne Wertung einfach im Sinne gruppenspezifischer Regeln benutzt, so dass ich damit weder bei der Mafia noch den Saudis Probleme habe.
Die Mafia ist allerdings insofern eine Sonderfall, als die Gruppe eine abgesetzte Teilgruppe innerhalb einer größeren ist und hier eine doppelte Sozialisierung stattfindet, deren Regelwerke sich gegenseitig widersprechen.
Bei den Saudis ist das anders - die so sozialisierten Männer haben wenig Verständnis dafür, dass ausgerechnet Du ihnen sagst, sie hätten keine Moral. Sie sagen das selbe von dir. Allerdings haben wir hier auch ein Beispiel für die Virulenz von Information, die in diesen Ländern plötzlich zu einem Freiheitsbedürfnis führt, das vorher in dieser Art unvorstellbar war.
Was passiert da? Wenn ich mir ansehe, dass die ihre Regierung stürzen und anschließend islamistisch wählen, bin ich versucht, das in dem von mir beschriebenen Muster zu interpretieren: Da ist zu erst die Handlung außerhalb der Moral, wobei diese Grenzüberschreitung selbst nicht wirklich wahrgenommen zu werden scheint. Die geistige Auseinandersetzung wird anschließend folgen müssen, wenn die alten Regeln von der neuen Regierung wieder eingefordert werden.
fwo |
Nein, ich möchte das Wort Moral am liebsten überhaupt nicht verwenden, eben weil es mit einer bestimmten Wertung verbunden wird. Verhaltensstandards ist neutraler.
Was das konkrete Beispiel Saudi-Arabien betrifft, haben wir einen besonderen Fall einer Regierung, die im Dienste eine islamistischen Sekte das Verhalten der Menschen gesetzlich zu regeln versucht. Daran, daß das mit polizeilichen Mitteln erfolgt, sehe ich, daß die Menschen dieses geforderte Verhalten eben nicht verinnerlicht haben, sondern sich zumindest eine gewisse Gruppe, die offenbar bis in die Gruppe der saudischen Prinzen reicht (die immerhin aus ein paar tausend Leuten besteht), nur unter Zwang diesen Vorschriften beugen, was eigentlich verwunderlich ist, wenn man bedenkt, wie lange die Wahhabiten dort schon regieren. Na, andererseits auch nicht. Ich hab schon vor über 30 Jahren saudische Touristen in Ägypten getroffen, die mit der offiziellen "Moral" Saudi-Arabiens erkennbar nichts an der Kufiya hatten.
Welche Verhaltensstandards sich herausbilden würden, wenn die Regierung aufhörte, sich einzumischen, läßt sich im Moment nicht sagen. Sicher jedoch werden es andere sein als die jetzt erzwungenen.
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Friedrich Nietzsche
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26509
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(#1786112) Verfasst am: 04.10.2012, 00:58 Titel: spielerische Pirouette |
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Tarvoc hat folgendes geschrieben: | fwo hat folgendes geschrieben: | Ich hatte das Wort Moral ja mit Absicht ohne Wertung einfach im Sinne gruppenspezifischer Regeln benutzt. |
Das Ganze bekommt aber doch einen recht anderen Dreh, wenn man es z.B. mit dem Thema Gewalt verbindet. |
Wie kommst Du darauf? Wenn Gott die Gewalt befielt, ist sie natürlich gut und stellt überhaupt kein Problem dar. (Ich glaube das zwar nicht, aber die Gewalt, die ich bräuchte, um mich gegen eine von Gott befohlene zu widersetzen, wäre für mich auch nicht negativ besetzt.)
Allerdings wird bei der Frage klar, in welcher Kultur Du stehst (ganz nebenbei, da stehen wir wahrscheinlich gemeinsam), es ist keine der "natürlichen", es ist die synthetische des Abendlandes, die nicht einfach per Tradition aus gottgegebenen Vorgängern entwickelt hat, sondern auf der Idee der universellen Menschenrechte beruht, und das Ziel einer gewaltfreien Gesellschaft anstrebt. Ob die Moral aber dadurch objektiv wird, dass sie nicht mehr der Willkür eines Gottes unterworfen wird, wage ich zu bezweifeln. Und dadurch, dass wir sie uns ausdenken, ist sie noch nicht verinnerlicht - es ist noch nicht einmal sicher, dass sie in dieser Form dauerhaft traditionsfähig ist.
Es würde mich nicht wundern, wenn die systematische Verletzung der Kinder durch die Eltern deshalb in so vielen Kulturen vorkommt. weil sie über die psychischen Mechanismen für eine Erhöhung der Traditionssicherheit sorgt. Wenn das stimmt, sichert sie das Überleben der kulturellen Gemeinschaft und ist damit in diesem Sinne gut. Und ein Ablehnen dieser Gewalt ist damit ein Angriff auf das Überleben dieser (kulturell definierten) Gemeinschaft und damit ein Akt der Gewalt.
Wie heißt es doch so schön: Fanatische Menschenrechtler sind da am Werk. Wie definieren wir Gewalt? Subjektiv oder objektiv?
fwo
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44680
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(#1786132) Verfasst am: 04.10.2012, 07:36 Titel: Stillstellung |
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fwo hat folgendes geschrieben: | Wie heißt es doch so schön: Fanatische Menschenrechtler sind da am Werk. |
Ja, aber auf welcher Seite? Die Position des Naturrechtlers ist es gerade, beliebige Mittel durch die Gerechtigkeit der Zwecke zu rechtfertigen.
Dass es mir primär um die "Rechte" der Opfer gehen würde, ist übrigens eine Unterstellung. Wenn der Täter nicht gerade ein Psychopath ist, ist Gewalt nämlich auch für ihn vielleicht zu höheren Zwecken notwendig, aber nicht als solche wünschenswert.
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26509
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(#1786178) Verfasst am: 04.10.2012, 14:31 Titel: Re: Stillstellung |
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Tarvoc hat folgendes geschrieben: | ....Wenn der Täter nicht gerade ein Psychopath ist, ist Gewalt nämlich auch für ihn vielleicht zu höheren Zwecken notwendig, aber nicht als solche wünschenswert. |
Nicht unbedingt wünschenswert, aber gerechtfertigt und damit gut. Das erinnert mich übrigens spontan an ein Interview mit einem NS-Täter (aus Landsmanns "Shoa"?), der seine Taten auch deshalb für sehr edel hielt, weil er sie "unter Schmerzen" für die höhere Sache ausführte. Da waren die Gefühle für das Opfer der innere Schweinehund, der überwunden werden musste. Wobei ich nicht mehr weiß, ob diese höhere Sache das Halten seines Eides oder der Kampf für das eigenen Volk war.
Der Post von mir war zwar eine Antwort auf deinen, bezog sich aber nicht speziell auf deine Argumentation, sondern war eine mehr spielerische Vermischung der Betrachtungsebenen, um zu sehen/zeigen, was da alles möglich ist.
fwo
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