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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#1791398) Verfasst am: 30.10.2012, 01:40 Titel: |
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FSM hat folgendes geschrieben: | El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Du kannst es auch so ausdrücken: Junker wollte eine evolutionäre Neuheit sehen, gezeigt wurde ihm eine Kombination von Bekanntem. |
Hier ist doch eine Schlüsselinnovation entstanden. |
in gewissem Maße schon. Aber es ging ja darum, was Junker einfordert. Wie weit das Ganze einen Selektionsvorteil bringt, siehst Du ja daran, dass der Wildtyp immer noch stark vertreten ist. Es macht im Aeroben wenig Sinn, Citrat gegen Succinat auszutauschen. Stell Dir mal vor, es wäre, beispielsweise durch die Mechanismen, die Du unten beschrieben hast, eine Pore entstanden, die 'einfach so' Citrat in die Zelle bringt. Das würde Junker vermutlich in Erklärungsnot bringen.
FSM hat folgendes geschrieben: | Richtig, dabei wurde auf genetischer Ebene auch mit bereits vorhandenen Genen gespielt. Aber das bedeutet doch nicht, dass es insgesamt nicht "neu" ist. Die Mutationen sind "neu". Die Duplikationen sind "neu". Die Fusion ist "neu". Die gesamte Konstellation ist "neu". |
Richtig, sie ist 'neu', aber eben nicht neu. Das ist Junkers Punkt, Du kannst das auch Notnagel nennen. Allerdings kein Goal Post Moving, denn Junker vertritt das konsistent seit langer Zeit.
Dann sehe ich nicht, warum das Lenski-Experiment für Junker irgendwelche Relevanz haben sollte. Das, was er einfordert, würde es dann ja schon geben.
Nicht vergessen, es ging konkret um den Begriff 'Goal Post Moving' und darum, ob Junker konsistent ist, und zwar im Kontext des Lenski-Experiments. Das ist ein anderer Thread als die allgemeine Frage, ob es Mechanismen gibt, nach denen Neuheiten in der Evolution entstehen.
Für mich ist aus einen noch ganz anderen Grund (der nichts mit der Kreationisten-Kabbelei zu tun hat), interessant, welche Rolle der Selektion bei allen diesen Prozessen zukommt. Der Hintergrund ist folgender: Lamarck, der die erste Evolutionstheorie aufstellte, ging von zwei Prozessen aus: einer 'Höher'entwicklung und einer Anpassungsentwicklung (es gibt eine ganze Reihe von Begriffen, um diesen 'dualistischen' Mechanismus zu bezeichnen). Der Geniestreich Darwins war dann angeblich, mit einem 'monistischen' Mechanismus auszukommen, eben dadurch, dass er die 'Höher'entwicklung durch die Anpassungsentwicklung erklärte. So funktioniert ja auch das 'Weasel-Programm', mit dem Dawkins die kumulative Selektion veranschaulichte. Das Lenski-Experiment scheint auf einen 'dualistischen' Mechanismus hinzuweisen. Das wäre dann ein Pyrrhus-Sieg für die Selektionstheorie. Und, gleich dazu gesagt, für die Diskussion mit Evolutionsgegnern ist diese Frage vollkommen ohne Belang, denn 'dualistisch' bedeutet nicht 'übernatürlich'.
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
Der Christengott ist immens schwach!
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FSM registrierter User
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 78
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(#1791402) Verfasst am: 30.10.2012, 02:34 Titel: |
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El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Das Lenski-Experiment scheint auf einen 'dualistischen' Mechanismus hinzuweisen |
Warum?
Auf der genetischen Ebene sammeln sich schrittweise kleine bis mittelgroße Veränderungen an, die neutral sind und irgendwann auch Vorteile bringen können. Es entsteht ein neuer Phänotyp, der sich in der Population hält und "E.coli" ermöglicht gewissermaßen in einer neuen "ökologischen Nische" weiterzuevolvieren (das Experiment geht weiter). Neue Fragen wird man stellen. Entsteht hier eine neue Art? Warten wir ab. Und die erste Mutation bzw. Mutationen sind noch nicht bekannt.
Ich seh hier bis jetzt keinen "dualistischen Mechanismus" oder irgendetwas was auf einen teuer erkauften Erfolg (für die EST) hinweisen würde.
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden
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(#1791422) Verfasst am: 30.10.2012, 10:47 Titel: |
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El Schwalmo hat folgendes geschrieben: |
Junker hat doch alle relevanten Details angeführt. Was fehlt Dir konkret? |
Dass es sich um eine Neuerung handelte, die so komplex ist, dass sie unter den Voraussetzungen der Berechnungen zur Unwahrscheinlichkeit von Evolutionsprozessen, die Evolutionsgegner ueblicherweise anstellen, gar nicht haette auftreten duerfen. Nicht vergessen, es handelte sich nicht um eine einfache Regulationsaenderung. Die Auspraegung des Phänotyps der Cit+-Mutante erforderte ein hochspezifisches Um-Arrangement von Genen:
1.) Es musste eine bestimmte, vermutlich recht komplizierte Mutation auftreten, welche die nachfolgenden Schritte ermöglichte.
2.) Unter mehreren 1000 Genen mussten zwei bestimmte Gene (citG, rnk) passend miteinander verschmelzen.
3.) Die Expression der Gene citG und citT musste dabei unter die Regulatorkontrolle von rnk geraten.
4.) Der Genkomplex musste mindestens einmal dupliziert werden um ein lebenserhaltendes Niveau zu erreichen.
Erst nachdem diese vier Schritte zusammen kamen, konnte die Selektion greifen.
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | Von der genetischen Komplexität dieser Veränderung ist dabei überhaupt nicht die Rede. Wenn man sich die Schritte und Bedingungen in der Gesamtheit betrachtet, die für diese Evolution erforderlich waren, kann das Beispiel locker mit solchen Beispielen "irreduzibler Komplexität" mithalten, die von W+W stets beliebig unwahrscheinlich "gerechnet" wurden. |
Welche konkreten Beispiele meinst Du? |
Siehe oben.
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Du kannst es auch so ausdrücken: Junker wollte eine evolutionäre Neuheit sehen, gezeigt wurde ihm eine Kombination von Bekanntem. Oben habe ich schon geschrieben, dass der Bastler in der Dritten Welt Rohmaterial benötigt, das er nicht selber schaffen kann. Genau um dieses Material geht es Junker, und dieses taucht im Lenski-Experiment nicht auf. |
Wie FSM schon schrieb, ist Evolution a priori die Neukombination von Bekanntem, sonst waere es nicht Evolution, sondern Schoepfung ex nihilo. Evolutive Neuheiten sind aus reduktionistischer Sicht nie wirklich neu, sondern Ausdruck von "Tinkering".
_________________ "Science is a candle in the dark." - Carl Sagan
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#1791465) Verfasst am: 30.10.2012, 14:05 Titel: |
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Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | El Schwalmo hat folgendes geschrieben: |
Junker hat doch alle relevanten Details angeführt. Was fehlt Dir konkret? |
Dass es sich um eine Neuerung handelte, die so komplex ist, dass sie unter den Voraussetzungen der Berechnungen zur Unwahrscheinlichkeit von Evolutionsprozessen, die Evolutionsgegner ueblicherweise anstellen, gar nicht haette auftreten duerfen. |
sind wir uns wenigstens einig, dass Du den Vorwurf des 'Goal Post Movings' fallen gelassen hast?
Junker hat einen Artikel auf der Basis dessen, was er konsistent seit Jahren schreibt, analysiert. Junker hat, wenn ich es richtig sehe, den Artikel korrekt paraphrasiert. Wenn ich richtig informiert bin, ist überhaupt nicht bekannt, wodurch der Phänotyp cit+ letztendlich möglich war. Daher macht es meiner Meinung nach keinen Sinn, die Wahrscheinlichkeiten abzuschätzen, von denen Du ausgehst.
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | Nicht vergessen, es handelte sich nicht um eine einfache Regulationsaenderung. Die Auspraegung des Phänotyps der Cit+-Mutante erforderte ein hochspezifisches Um-Arrangement von Genen:
1.) Es musste eine bestimmte, vermutlich recht komplizierte Mutation auftreten, welche die nachfolgenden Schritte ermöglichte. |
Meiner Meinung nach steht das im Text. Ich weiß aber nicht, ob 'vermutlich recht kompliziert' zutrifft. Bestenfalls kann man das daraus ableiten, dass es so lange gedauert hat, bis sie auftrat. Könnte sein, dass Behe seinen Wert für CCC anpassen müsste. Aber die Daten fehlen.
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | 2.) Unter mehreren 1000 Genen mussten zwei bestimmte Gene (citG, rnk) passend miteinander verschmelzen. |
Wenn Du gegen Junker argumentierst, hast Du auch schon geschrieben, dass es nicht nur eine Möglichkeit gibt, wie ein System entstehen kann.
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | 3.) Die Expression der Gene citG und citT musste dabei unter die Regulatorkontrolle von rnk geraten.
4.) Der Genkomplex musste mindestens einmal dupliziert werden um ein lebenserhaltendes Niveau zu erreichen. |
Ich denke, dass Junker alle diese Prozesse anerkennt, inklusive deren Leistungsfähigkeit. Er schreibt ja expressis verbis "Evolution ja ..." mit dem Zusatz "... aber von welcher Qualität?". Das ist genau die Linie, auf der Intelligent Design seit Anbeginn (hier wird oft
Zitat: | Thaxton, C.B.; Bradley, W.L.; Olsen, R.L. (1984) 'The Mystery of Life's Origins: Reassessing Current Theories' Dallas, Lewis and Stanley |
genannt) argumentiert. Junker macht auch nur das, was Du gerade machst: gewisse Ansprüche an eine Argumentation stellen bzw. diese 'gegen den Strich' zu lesen. Aus dieser Sicht fehlt dann halt eben auch was. Beispielsweise die durchgängige Rolle der Selektion, wenn man 'kumulative Selektion' als zentralen Mechanismus vertritt.
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | Erst nachdem diese vier Schritte zusammen kamen, konnte die Selektion greifen. |
Auch das kann man, vielleicht mit etwas 'gutem Willen', in Junkers Text finden.
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | Von der genetischen Komplexität dieser Veränderung ist dabei überhaupt nicht die Rede. Wenn man sich die Schritte und Bedingungen in der Gesamtheit betrachtet, die für diese Evolution erforderlich waren, kann das Beispiel locker mit solchen Beispielen "irreduzibler Komplexität" mithalten, die von W+W stets beliebig unwahrscheinlich "gerechnet" wurden. |
Welche konkreten Beispiele meinst Du? |
Siehe oben. |
Dort fand ich nur Angaben zum Lenski-Experiment. Mir ist nicht bekannt, dass Junker dort Wahrscheinlichkeitsabschätzungen angestellt hat, die dem entsprechen, was Du dort geschrieben hast. Kann aber sein, dass ich die nur nicht kenne.
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Du kannst es auch so ausdrücken: Junker wollte eine evolutionäre Neuheit sehen, gezeigt wurde ihm eine Kombination von Bekanntem. Oben habe ich schon geschrieben, dass der Bastler in der Dritten Welt Rohmaterial benötigt, das er nicht selber schaffen kann. Genau um dieses Material geht es Junker, und dieses taucht im Lenski-Experiment nicht auf. |
Wie FSM schon schrieb, ist Evolution a priori die Neukombination von Bekanntem, sonst waere es nicht Evolution, sondern Schoepfung ex nihilo. Evolutive Neuheiten sind aus reduktionistischer Sicht nie wirklich neu, sondern Ausdruck von "Tinkering". |
Können wir uns darauf einigen, dass Mahner einen nicht-reduktionistischen Emergentismus vertritt? Man kann problemlos als Naturalist von wirklichen Neuheiten ausgehen, die nichts mit 'bricolage' zu tun haben.
_________________ Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)
Der Christengott ist immens schwach!
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden
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(#1791482) Verfasst am: 30.10.2012, 17:13 Titel: |
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Eines vorab: Du hast meinen Artikel auf Facebook doch auch gelesen und fandest den (inklusive der Zusammenfassung) einigermaßen gelungen. In wesentlichen Punkten hast Du mir zugestimmt, zumindest meiner Konklusion nicht widersprochen. Ich frage mich dann, warum Du mir hier nun längelang kontra gibst.
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Wenn ich richtig informiert bin, ist überhaupt nicht bekannt, wodurch der Phänotyp cit+ letztendlich möglich war. |
Keine Ahnung wie Du auf diese Idee kommst. Die Details der Transformation sind so klar wie nie zuvor, wenn man mal von der ermöglichenden Mutation absieht. Diese kann die Komplexität des Gesamtgeschehens nur weiter erhöhen.
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Daher macht es meiner Meinung nach keinen Sinn, die Wahrscheinlichkeiten abzuschätzen, von denen Du ausgehst. |
Ich gehe von keinen Wahrscheinlichkeiten aus, ich orientiere mich an dem, was Evolutionsgegner tun. Bei der Flagelle ist noch weniger geklärt als in diesem Beispiel, und die wagen sich noch viel weiter aus dem Fenster.
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Wenn Du gegen Junker argumentierst, hast Du auch schon geschrieben, dass es nicht nur eine Möglichkeit gibt, wie ein System entstehen kann. |
Genau. Das ist ja hier gerade der Witz: Niemand hat gefordert, dass die cit+-Mutante entstehen müsse. Die A-priori-Wahrscheinlichkeit dieser Transformation wäre transastronomisch klein, wenn man GIGO-Berechnungen nach Beheschem Strickmuster anstellt.
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Mir ist nicht bekannt, dass Junker dort Wahrscheinlichkeitsabschätzungen angestellt hat, die dem entsprechen, was Du dort geschrieben hast. Kann aber sein, dass ich die nur nicht kenne. |
Ich habe das Gefühl, wir reden aneinander vorbei. Ich behaupte nicht, dass Junker diese Evolution für unwahrscheinlich hielt, ich behaupte, dass die Entstehung der cit+-Mutante hinsichlich der genetischen Komplexität und Spezifität locker mit Beispielen mithalten kann, die Evolutionsgegner beliebig unwahrscheinlich rechnen. Konkret: Die Schritte bei der Entstehung der cit+-Mutante sind, mal quick 'n dirty überschlagen, mindestens so komplex wie Behes "CCC". Deshalb gehe ich davon aus, dass Lenskis Experiment das Evolutionsverständnis der Evolutionsgegner bzw. deren Denkvoraussetzungen widerlegt. Dass Junker davon nichts wissen will und bewusst an der Oberfläche kratzt, ist ja nur logisch, weil eine Reflexion im Detail jene Wahrscheinlichkeitsüberlegungen, die er an anderer Stelle gerne anstellt, crashen würde.
El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Können wir uns darauf einigen, dass Mahner einen nicht-reduktionistischen Emergentismus vertritt? Man kann problemlos als Naturalist von wirklichen Neuheiten ausgehen, die nichts mit 'bricolage' zu tun haben. |
Es geht nicht darum, was Mahner vertritt, sondern um das, was Menschen wie Junker und Behe vertreten. Mahner hält die Unterscheidung zwischen "Mikro-" und "Makroevolution" sowie für Unsinn. Frag ihn doch mal, was er von der cit+-Mutante hält, ich bin mir ziemlich sicher, dass er es für eine evolutive Neuheit hält.
_________________ "Science is a candle in the dark." - Carl Sagan
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Zuletzt bearbeitet von Darwin Upheaval am 30.10.2012, 17:26, insgesamt einmal bearbeitet |
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#1791484) Verfasst am: 30.10.2012, 17:25 Titel: |
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Ich gehe davon aus, dass Du das Posting noch überarbeitest (hoffentlich nicht nur die Formatierung).
Vielleicht noch zur Klarheit:
Thread 1: die Aussagen des Artikels aus Nature über das Experiment
Thread 2: Dein Artikel auf FaceBook
Thread 3: Junkers Artikel zu 1
Thread 4: Dein Posting hier
In Thread 1 und 2 sind wir ziemlich einer Meinung. Hinsichtlich der Einschätzung von 3 unterscheiden wir uns. Streng genommen diskutieren wir hier 4.
Wenn ich es richtig sehe, ging es um 'goal post moving' und den Zusammenhang von 3 mit anderen Systemen, über die Junker etwas geschrieben hat, vor allem im Kontext Wahrscheinlichkeitsabschätzungen. Siehst Du das auch so?
[edit: okay, das Editieren hast Du, in beiden Punkten, inzwischen erledigt.]
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden
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(#1791485) Verfasst am: 30.10.2012, 17:41 Titel: |
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El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Wenn ich es richtig sehe, ging es um 'goal post moving' und den Zusammenhang von 3 mit anderen Systemen, über die Junker etwas geschrieben hat, vor allem im Kontext Wahrscheinlichkeitsabschätzungen. Siehst Du das auch so? |
Das sehe ich auch so. Koennen wir uns noch darauf verstaendigen, dass mit der cit+-Mutante eine Schluesselinnovation entstanden ist, die ein erstaunlich komplexes Rearrangement von Genen erforderte? Eventuell auch darauf, dass die Komplexitaet dieses Beispiels locker mit dem mithalten koennte, was Menschen wie Behe als "CCC" bezeichnen?
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#1791490) Verfasst am: 30.10.2012, 18:10 Titel: |
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Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | El Schwalmo hat folgendes geschrieben: | Wenn ich es richtig sehe, ging es um 'goal post moving' und den Zusammenhang von 3 mit anderen Systemen, über die Junker etwas geschrieben hat, vor allem im Kontext Wahrscheinlichkeitsabschätzungen. Siehst Du das auch so? |
Das sehe ich auch so. Koennen wir uns noch darauf verstaendigen, dass mit der cit+-Mutante eine Schluesselinnovation entstanden ist, die ein erstaunlich komplexes Rearrangement von Genen erforderte? |
kommt darauf an, was Du unter 'erstaunlich komplex' verstehst. Wie gesagt, viel hängt davon ab, was im ersten Schritt erfolgt ist. Wie komplex das ist, ist meines Wissens nicht bekannt.
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben: | Eventuell auch darauf, dass die Komplexitaet dieses Beispiels locker mit dem mithalten koennte, was Menschen wie Behe als "CCC" bezeichnen? |
Wie gesagt, in dem Artikel sind drei Schritte beschrieben, von denen der erste nicht bekannt ist. Duplikationen, Insertionen und so weiter werden von Behe auch anerkannt. Wenn man das 'two' im Titel von Behes Arbeit
Zitat: | Behe, M.J. (2009) 'Waiting Longer for Two Mutations' Genetics 181:819-920
URL: <http://www.genetics.org/cgi/content/full/181/2/819>, letzter Zugriff: 22.09.2009 |
nicht zu wörtlich nimmt, hat das Lenski-Experiment genau das gezeigt: nur in einer Population trat der Effekt auf, und selbst dort hat es recht lange gedauert.
Letztlich trennt uns aber immer derselbe Punkt: wie interpretiert man bestimmte Aussagen? Wenn man wie Du davon ausgeht, dass das Bild hinreichend vollständig ist, und ein Mosaiksteinchen 'so in etwa' passt, wertet man das als Erfolg. Wenn man wie Junker davon ausgeht, dass das Bild eben noch mehrdeutig ist und ein Mosaiksteinchen nur 'so in etwa' passt, sieht das noch nicht nach Niederlage aus. Wenn man wie ich irgendwo in der Mitte steht, sieht man halt Probleme auf beiden Seiten. Ich gehe davon aus, dass der Rahmen stimmt (das bedeutet, dass Junker nicht Recht hat und ich in diesem Punkt auf Deiner Seite stehe). Ich sehe aber noch nicht, dass das Bild eindeutig ist. Die Ergebnisse des Lenski-Experiments halte ich zwar für sehr interessant und wichtig, aber eben nicht so deutlich, dass ich von einem Autor wie Junker nun einfordern könnte, dass er in Sack und Asche geht oder auch nur einen Schritt in Richtung 'goal post moving' machen müsste.
Ich habe neulich einen recht interessanten Sammelband gelesen, den ich mir nur wegen einer Rezension (die ich gerade nicht finde, sorry) besorgt habe:
Zitat: | Jones, L.S.; Reiss, M.J. (2007) 'Teaching About Scientific Origins: Taking Account of Creationism' Frankfurt; mult., Peter Lang |
Der Rezensent hat sich mehr oder weniger darüber beschwert, dass man Intelligent Design zu ernst nimmt. In dem Buch wurde beschrieben, dass diese Diskussion einen Rattenschwanz an weit reichenden wissenschaftstheoretischen Grundlagenfragen hinter sich herzieht. In einem anderen Artikel
Zitat: | Carreño, Juan E.; Hansen, F.; Irarrázabal, M.; Philippi, R.; Correa, M.; Borja, F.; Adriasola, C.; Silva, F.; Serani, A. (2009) 'Some considerations about the theory of intelligent design' Biol. Res. 42:223-232 |
wird beklagt, dass die politische Komponente in der Diskussion verhindert, dass die eigentlich interessanten Fragen, die Intelligent Design aufwirft, diskutiert werden. Letztlich geht es darum, dass man den 'status quo' hinterfragen kann, also die Argumente von Intelligent Design aufgreift, aber nicht, um Evolution zu widerlegen, sondern weiter zu entwickeln. Es darf dabei keine Rolle spielen, ob man der falschen Seite Munition liefert, denn letztlich kann man nur dabei gewinnen. Die Kehrseite dieser Argumentation ist auch, dass man die eigenen Argumente gegen Intelligent Design kritischer prüft, eben weil wir noch nicht genug wissen. Da Intelligent Design an sich kein Gegner ist, sollte man sich das doch erlauben können.
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FSM registrierter User
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 78
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(#1791563) Verfasst am: 31.10.2012, 00:32 Titel: |
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In diesem Jahr wurde übrigens ein weiteres interessantes Experiment von Lenski veröffentlicht. Das hat gezeigt, dass Schlüsselinnovationen nur in wenigen Wochen durch Co-Evolution entstehen können.
Repeatability and Contingency in the Evolution of a Key Innovation in Phage Lambda
Für diese Schlüsselinnovation waren 4 Mutationen nötig:
Zitat: | In particular, all J alleles from phage able to infect through OmpF had the A-to-G mutation at nucleotide position 3034 and G-to-Amutation at position 3319. Also, all of them had a mutation at either position 3320 or 3321, affecting the same codon (amino acid residue 1107) as the mutation at position 3319. Finally, all J alleles had at least one mutation between positions 2969 and 2999 (amino acid residues 990 to 1000). |
Wie aus dem Artikel hervorgeht spielte bei der Entstehung dieser Schlüsselinnovation auch die Selektion eine Rolle:
Zitat: | In the l population that evolved to use OmpF in the initial experiment, the A3034G mutation was the fourth and final step, and it was clearly advantageous because it conferred the ability to infect the entire cell population. However, the all-or-none epistasis among the mutations means that selection for that new capacity per se was not responsible for the rise of the three prior mutations. Nonetheless, there are several lines of evidence that selection drove their rise [...] |
Es handelt sich dabei nicht um Loss-of-function-Mutationen. Natürlich wurden auch hier wieder bereits vorhandenen Moleküle verändert. Was anderes war auch hier nicht zu erwarten. Sollen die denn einfach vom Himmel fallen?
Zuletzt bearbeitet von FSM am 31.10.2012, 15:34, insgesamt 3-mal bearbeitet |
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#1791566) Verfasst am: 31.10.2012, 00:51 Titel: |
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danke für den Hinweis, ich habe mal kurz in den Artikel geschaut, muss ihn aber noch genauer lesen.
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FSM registrierter User
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 78
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(#1791567) Verfasst am: 31.10.2012, 01:01 Titel: |
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Hier noch ein Kommentar von John N. Thompson dazu.
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#1791568) Verfasst am: 31.10.2012, 01:14 Titel: |
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FSM hat folgendes geschrieben: | Hier noch ein Kommentar von John N. Thompson dazu. |
danke auch für diesen Link.
Ich glaube, dass ich daran genauer zeigen kann, was ich meine. Es geht nicht um Selektion ja oder nein, sondern um die Frage, ob das, was in diesen Arbeiten diskutiert wird, mit dem kompatibel ist, was im Rahmen der 'klassischen' STE vertreten wurde. Das betrifft vor allem die Rolle der Selektion.
Nach Gould gab es ja ein 'hardening' der STE. Aber auch schon vorher hatte die Pluralität an 'hoffähigen' Mechanismen eine Grenze: die anderen Faktoren durften die Rolle der Selektion nicht einschränken. Das, was ich gerade diagonal gelesen habe, scheint die Rolle der Selektion mehr einzuengen als der 'reinen Lehre' entspricht. Es ist kein Zufall, dass sich beispielsweise Dawkins mit EvoDevo bis heute nicht so richtig anfreunden kann.
Okay, aus der Sicht eines aktiven Forschers sind solche Überlegungen vermutlich sowieso wenig sinnvoll, denn der schert sich nicht besonders um theoretische Betrachtungen. Es wird aber problematisch, wenn man von dieser Warte aus bestimmte Diskurse führen will. Ich habe das mal damit verglichen, dass jemand stolz sagen kann: 'Ich habe keine Ahnung von Grammatik, dennoch habe ich Artikel geschrieben, die publiziert wurden'. Stimmt natürlich, aber auf dieser Ebene mit einem Linguisten über Grammatik zu diskutieren wird wohl wenig Sinn machen.
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FSM registrierter User
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 78
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El Schwalmo Naturalistischer Ignostiker
Anmeldungsdatum: 06.11.2003 Beiträge: 9073
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(#1795814) Verfasst am: 20.11.2012, 18:50 Titel: |
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vielen Dank für diese Links! Wie ich vermutet habe, wird diese Diskussion zwar auf der einen Seite sehr komplex (meiner Meinung nach haben die Wissenschaftstheoretiker durchaus Recht, die davon ausgehen, dass Intelligent Design dazu zwingt, bestimmte Konzepte wie 'Neuheit' präziser zu formulieren), aber man sieht, dass die Intelligent Design-Fraktion immer weiter mit dem Rücken zur Wand gerät. Das ist das Schöne an unserer Position: die Zeit spielt für uns.
Meiner Meinung nach ist es nur ein Fehler, zum Zeitpunkt x zu behaupten, alles sei geklärt, obwohl das erst zum Zeitpunkt y der Fall sein wird, und die Erklärung dann mit dem, was man behauptet hat, nicht mehr viel zu tun hat. Im Lauf der Geschichte der STE wurde schon mehrfach behauptet, dass es nur noch darum gehe, 'to cross the t's and dot the i's', obwohl das, in der Rückschau, durchaus naiv war.
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Darwin Upheaval Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator
Anmeldungsdatum: 23.01.2004 Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden
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(#1795922) Verfasst am: 21.11.2012, 00:06 Titel: |
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Vielen Dank für die Information! Anfangs war ich etwas skeptisch, ob es sich bei dieser Evolution tatsächlich um die Entstehung eines IC-Systems handelt, aber nach der Replik von Venema habe ich daran keine Zweifel mehr - zumindest, wenn man Behes Definition zugrunde legt.
Auf der Ebene des Phänotyps scheint das IC-System relativ einfach gestrickt zu sein (2-Komponentensystem: ein anaerober Citrat-Transporter wird passend mit einem aeroben Promotor verschaltet). Das wäre für Behe eventuell ein Schlupfloch, der ja die Entstehung von einfachen IC-Systemen nicht rundweg für unmöglich erklärt. Wenn man hingegen die genetisch-mechanismische Grundlage der Cit+-Mutanten betrachtet, sehe ich für Behe eher schwarz, denn die Evolution scheint relativ kompliziert (bzw. unwahrscheinlich, aus Behes Warte) gewesen zu sein, wenn man alle Teilschritte berücksichtigt. Jedenfalls habe ich Venemas Erwiderung auf Behe noch in meinen Text einfließen lassen.
_________________ "Science is a candle in the dark." - Carl Sagan
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