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Kritische Fragen zum evolutionstheoretischen Fundament
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Darwin Upheaval
Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator



Anmeldungsdatum: 23.01.2004
Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden

Beitrag(#1812881) Verfasst am: 01.02.2013, 00:31    Titel: Antworten mit Zitat

Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
@ Larmarck:

..

Wäre Dir dankbar, wenn Du zeigen könntest, wie das graduell vonstatten ging! Oder weshalb beißt man sich diesbezüglich so hartnäckig die Zähne aus?..



.


Mit carnivoren Pflanzen habe ich mich noch nicht beschäftigt. Geht es Dir um einen prinzipiellen Mechanismus, wie es dazu gekommen sein könnte ?


()


Ja, der Mechanismus. Und daran geknüpft die Frage, ob die Evolution gradualistisch verlaufen sein kann. Wenn dem so ist, müsste prinzipiell eine Reihe von Zwischenformen existieren (halb Reusenfalle, halb Saugfalle zum Beispiel). Die Literatur hält sich mit Modellen sehr bedeckt, weil es offensichtlich kaum möglich ist, eine Reusenfalle schrittweise in eine Saugfalle umzubauen. Ich gehe davon aus, dass die Transformation "sprunghaft" erfolgte, etwa im Sinne einer Heterochronie o.ä. Denn interessanterweise sind sich die Entwicklungsprogramme von Genlisea und Utricularia relativ ähnlich. Dummerweise hat man derartige Heterochronien bis heute nicht beobachtet. Nicht ohne Grund hat sich Lönnig gerade dieses Beispiel heraus gesucht. Raffiniert, das muss man schon sagen.
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Tso Wang
Vergiß es



Anmeldungsdatum: 21.09.2003
Beiträge: 1433

Beitrag(#1812910) Verfasst am: 01.02.2013, 02:11    Titel: Antworten mit Zitat

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
@ Larmarck:

..

Wäre Dir dankbar, wenn Du zeigen könntest, wie das graduell vonstatten ging! Oder weshalb beißt man sich diesbezüglich so hartnäckig die Zähne aus?..



.


Mit carnivoren Pflanzen habe ich mich noch nicht beschäftigt. Geht es Dir um einen prinzipiellen Mechanismus, wie es dazu gekommen sein könnte ?


()


Ja, der Mechanismus. Und daran geknüpft die Frage, ob die Evolution gradualistisch verlaufen sein kann. Wenn dem so ist, müsste prinzipiell eine Reihe von Zwischenformen existieren (halb Reusenfalle, halb Saugfalle zum Beispiel). Die Literatur hält sich mit Modellen sehr bedeckt, weil es offensichtlich kaum möglich ist, eine Reusenfalle schrittweise in eine Saugfalle umzubauen. Ich gehe davon aus, dass die Transformation "sprunghaft" erfolgte, etwa im Sinne einer Heterochronie o.ä. Denn interessanterweise sind sich die Entwicklungsprogramme von Genlisea und Utricularia relativ ähnlich. Dummerweise hat man derartige Heterochronien bis heute nicht beobachtet. Nicht ohne Grund hat sich Lönnig gerade dieses Beispiel heraus gesucht. Raffiniert, das muss man schon sagen.



.


Ich hab mir mal eine Grafik herausgesucht,







um mir einen kleinen Überblick zu verschaffen. Sie stammt aus diesem Artikel


http://jxb.oxfordjournals.org/content/60/1/19.full


dieser scheint auch recht interessant zu sein, lese mich erst noch ein:


http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3241575/


Vielleicht kannst Du ja damit etwas anfangen. Was mich mal ganz allgemein interessieren würde, ist, ob es Untersuchungen über die morphologische Vielfalt der carnivoren Pflanzen bezüglich der den HOX-Genen analogen KNOX-Genen gibt und inwieweit koevolutive Prozesse ("Einverleibung eines Wirtes") evtl. eine Rolle bei der Entwicklung gespielt haben könnten. Gibt es darüber schon Erkenntnisse ?


()
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Eklatant
Selbstwiderspruch



Anmeldungsdatum: 25.07.2005
Beiträge: 535

Beitrag(#1812923) Verfasst am: 01.02.2013, 06:45    Titel: Antworten mit Zitat

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Ein Hornschnabel bleibt nach rein quantitativer Modifikation ein Hornschnabel, egal wie lang/kurz/dick oder dünn er ist. Das ist das, was viele als "Mikroevolution" definieren – die quantitative Änderung einer bestehenden Eigenschaft (Länge, Dicke, Größe, Gewicht etc.).


Das ist doch eigentlich nur menschengemachte Verallgemeinerung. Ein langer dünner "Hornschnabel" ist etwas deutlich anderes als ein kurzer dicker.
Nicht nur wegen der Ernährung und auch anderer Bakterienkulturen die sich im Magen-Darmtrakt ansiedeln würden als Folge davon -
Das eine wäre z.Bsp. eher eine Stichwaffe - Das andere eher ein guter Briefbeschwerer.
Und würde das Gewicht zunehmen, beeinflusst der Schnabel die Flugfähigkeit, den Kreislauf und noch mehr drastisch und ginge das ad infinitum so weiter (was natürlich unrealistisch wäre) würde seine Gravitation alsbald Ebbe und Flut beeinflussen. Lachen

So verändern sich bei der Änderung von "Länge", "Dicke", "Gewicht" in Wirklichkeit noch unzählige tausend "versteckte" Eigenschaften, die aber nur dann "sichtbar" werden wenn bestimmte Situation diese plötzlich "offensichtlich" werden lassen.
_________________
Die Annäherung an die Wirklichkeit und die pragmatische Relevanz derselbigen gelingt nur mittels jederzeit wiederholbaren Experimenten...
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El Schwalmo
Naturalistischer Ignostiker



Anmeldungsdatum: 06.11.2003
Beiträge: 9073

Beitrag(#1812924) Verfasst am: 01.02.2013, 07:26    Titel: Re: Kritische Fragen zum evolutionstheoretischen Fundament Antworten mit Zitat

Lamarck hat folgendes geschrieben:
El Schwalmo hat folgendes geschrieben:

das Problem besteht IMAO darin, dass 'irreduzibel komplex' in (mindestens) zwei Bedeutungen verwendet wird, und zwar von beiden Seiten:

1. System, dessen Funktion vollkommen verschwindet, wenn man ein beliebiges Teil entfernt

2. System, das ohne Design nicht entstehen kann.

Dass es Systeme im ersten Sinn gibt, scheint mir sicher zu sein, obwohl selbst Junker einräumt, dass bisher noch von keinem System experimentell gezeigt werden konnte, dass es in diesem Sinn irreduzibel komplex ist.


Eine Funktion findet sich nur bei Subsystemen, ...


Du problematisierst Begriffe, anstatt das Konzept zu analysieren. Ich habe präzise angegeben, wo das Problem liegt, dazu hast Du nichts geschrieben, worauf es sich lohnte, einzugehen.
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Ein seliges und unvergängliches Wesen (die Gottheit) trägt weder selbst Mühsal, noch belädt es ein anderes Wesen damit. Darum kennt es weder Zorn noch Wohlwollen. Dergleichen gibt es nur bei einem schwachen Wesen. (Epikur)

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El Schwalmo
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Anmeldungsdatum: 06.11.2003
Beiträge: 9073

Beitrag(#1812927) Verfasst am: 01.02.2013, 07:43    Titel: Re: Kritische Fragen zum evolutionstheoretischen Fundament Antworten mit Zitat

Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Muss denn komplexe Entwicklung prinzipiell im Sinne von "nach oben" betrachtet werden ? Kann denn Entwicklung nicht auch aus dem Blickwinkel in Richtung "nach unten" betrachtet werden, wie beispielsweise ein Gebirgsfluss, der aus einem engen Flussbett plötzlich auf ein großes breites Tal trifft und sich dort "entfalten" kann (Delta) ?

das war nur eine Metapher. Letztlich geht es doch im Irreduzible Komplexität, womit Du Dich, wie Du ja schon geschrieben hast, noch nicht intensiver befasst hast.

Damals war Dawkins 'Blind Watchmaker' in der Öffentlichkeit so mit der Standard, wie man sich Evolution mechanismisch vorstellte. Dawkins hielt dann 1991 die Weihnachtsvorlesung (kann man als DVD 'Growing Up in the Universe' kaufen), daraus entstand dann das Buch 'Climbing Mount Improbable'. Dazwischen erschien noch 'River Out Of Eden'. In diesen drei Arbeiten formulierte Dawkins für eine breite Öffentlichkeit seine Vorstellung von Evolution, die davon ausging, dass komplexe Systeme in kleinen Schritten erfolgt, die jeweils selektionspositiv sind. Seine Antwort auf die Frage 'Wozu ist ein halber Flügel gut' war: er ist besser als ein Flügel, der nur 49 Prozent leistet, und ein Flügel, der ein Prozent leistet, ist besser als gar kein Flügel. Den Mechanismus dazu beschrieb er als Erklimmen eines Bergs, wobei zufällig Schritte gemacht werden und dann in die Richtung weiter gegangen wird, die 'nach oben' führt.

In 'The Blind Watchmaker' formulierte Dawkins dann explizit eine mögliche Falsifikation seiner Auffassung, und genau diese nahm Behe als Grundlage für die Formulierung seiner Irreduziblen Komplexität. Derartige Systeme können tatsächlich nicht so evolvieren, eben weil die Funktionalität nicht als Gradient modelliert werden kann. Im Bild wäre kein Flügel genauso selektionspositiv wie ein Flügel mit 50 Prozent Leistung, und sogar einer mit 99 Prozent. Die Selektion findet einfach keinen Ansatzpunkt. Diese Argumentation stammt zwar aus Darwins Zeit, Behe präzisierte das Argument aber auf der biochemischen Ebene. Auf der einen Seite kann es so präzise geprüft werden, auf der anderen Seite ist es dort schwerer, über Doppelfunktionen oder Funktionswechsel zu einer Funktionalität zu gelangen.

Letztlich scheitert Behe aber an einer Trivialität (auf die Lamarck auch hingewiesen hat): aus dem Fehlen einer Erklärung folgt nicht das Wirken eines Designers. Oder, wie ich es ab und an mal formuliert habe: An der Grenze des Wissens beginnt Nichtwissen, nicht Wissen um Design.

Behe hat Forschungsbedarf aufgezeigt, mehr gibt sein Argument prinzipiell nicht her, selbst wenn er in allen Punkten Recht hätte.
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El Schwalmo
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Beitrag(#1812929) Verfasst am: 01.02.2013, 07:48    Titel: Antworten mit Zitat

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Die Literatur hält sich mit Modellen sehr bedeckt, weil es offensichtlich kaum möglich ist, eine Reusenfalle schrittweise in eine Saugfalle umzubauen. Ich gehe davon aus, dass die Transformation "sprunghaft" erfolgte, etwa im Sinne einer Heterochronie o.ä.

Dawkins hat an mehreren Stellen expressis verbis geschrieben, dass ein Sprung in seinem Weltbild äquivalent dem Eingreifen eines Schöpfers ist. Das erklärt, warum er auf kleinen Schritten bestehen muss.
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El Schwalmo
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Beiträge: 9073

Beitrag(#1812931) Verfasst am: 01.02.2013, 07:53    Titel: Antworten mit Zitat

Eklatant hat folgendes geschrieben:
So verändern sich bei der Änderung von "Länge", "Dicke", "Gewicht" in Wirklichkeit noch unzählige tausend "versteckte" Eigenschaften, die aber nur dann "sichtbar" werden wenn bestimmte Situation diese plötzlich "offensichtlich" werden lassen.

das ist exakt der Punkt, der den Gradualismus der Selektionstheorie crasht: die Selektion schafft dann die Systeme nicht mehr, sondern bewertet nur die entstandenen. Selektion ist dann nicht mehr schöpferisch, sondern Ausmerze.

Streng genommen ist es egal, ob die so entstandenen Systeme irreduzibel komplex sind oder nicht, aber irreduzibel komplexe Systeme können nur so entstehen. Das Problem für Behe ist, dass daraus nicht folgt, dass Design vorliegen muss.
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FSM
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Beiträge: 78

Beitrag(#1813003) Verfasst am: 01.02.2013, 13:29    Titel: Antworten mit Zitat

El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
Dawkins hat an mehreren Stellen expressis verbis geschrieben, dass ein Sprung in seinem Weltbild äquivalent dem Eingreifen eines Schöpfers ist. Das erklärt, warum er auf kleinen Schritten bestehen muss.


Wenn ich Dawkins richtig verstanden habe, dann differenziert er zwischen einer "Boeing 747 Makromutationen" und der "Stretched Jetliner DC-8 Makromutation". Letztere hält er sogar für wahrscheinlich. Und Heterochronie (wie die Neotenie) erwähnt er in seinen Büchern ebenfalls. Ich bezweifle stark, dass Dawkins solche "Sprünge" wirklich als "Eingreifen eines Schöpfers" deutet.
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El Schwalmo
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Anmeldungsdatum: 06.11.2003
Beiträge: 9073

Beitrag(#1813018) Verfasst am: 01.02.2013, 14:19    Titel: Antworten mit Zitat

FSM hat folgendes geschrieben:
El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
Dawkins hat an mehreren Stellen expressis verbis geschrieben, dass ein Sprung in seinem Weltbild äquivalent dem Eingreifen eines Schöpfers ist. Das erklärt, warum er auf kleinen Schritten bestehen muss.


Wenn ich Dawkins richtig verstanden habe, dann differenziert er zwischen einer "Boeing 747 Makromutationen" und der "Stretched Jetliner DC-8 Makromutation". Letztere hält er sogar für wahrscheinlich. Und Heterochronie (wie die Neotenie) erwähnt er in seinen Büchern ebenfalls. Ich bezweifle stark, dass Dawkins solche "Sprünge" wirklich als "Eingreifen eines Schöpfers" deutet.

selbstverständlich nicht. Aber es ging ja um die Sprünge, die mit Dawkins Weltbild nicht kompatibel sind.

Wie schon gesagt, 'The Blind Watchmaker' war die Vorlage für Behes 'Darwin's Black Box'. Vielen Autoren ist aufgefallen, dass Dawkins zwar geschildert hat, wie komplexe Systeme entstehen können, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Er hat aber nie gezeigt, dass das der Fall ist. Und dabei nicht vergessen: Dawkins hat expressis verbis betont, und zwar an der prominentesten Stelle, die ein Buch hat, nämlich den ersten Worten, dass geklärt sei, wie komplexe Systeme entstehen. Irreduzibel komplexe Systeme können aber nach diesem Mechanismus nicht entstehen. Wenn Dawkins andere anerkennt, hat er sich selber widersprochen. Zumindest müsste er einräumen, dass er damals viel zu blauäugig war.

Die moderne Evolutionsbiologie stellt alles andere als Fußnoten zu Darwin und Wallace dar.
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Darwin Upheaval
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Beitrag(#1813069) Verfasst am: 01.02.2013, 16:27    Titel: Antworten mit Zitat

Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Ich hab mir mal eine Grafik herausgesucht, um mir einen kleinen Überblick zu verschaffen. Sie stammt aus diesem Artikel

http://jxb.oxfordjournals.org/content/60/1/19.full

dieser scheint auch recht interessant zu sein, lese mich erst noch ein:

http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3241575/

Vielleicht kannst Du ja damit etwas anfangen.


Danke, aber das Phylogramm der Lentibulariaceae war mir schon bekannt. Genlisea und Utricularia sind Schwestergruppen, und trotzdem sind die Fallentypen recht unterschiedlich. Die Frage ist, welches entwicklungsgenetische Modell hier Licht ins Dunkel bringen kann. Der von Dir genannte Artikel scheint den Sachverhalt auch nicht wesentlich zu erhellen.

Tso Wang hat folgendes geschrieben:

Was mich mal ganz allgemein interessieren würde, ist, ob es Untersuchungen über die morphologische Vielfalt der carnivoren Pflanzen bezüglich der den HOX-Genen analogen KNOX-Genen gibt und inwieweit koevolutive Prozesse ("Einverleibung eines Wirtes") evtl. eine Rolle bei der Entwicklung gespielt haben könnten. Gibt es darüber schon Erkenntnisse ?


Gute Frage, ich bin kein Experte. Man müsste die Literatur wohl eingehender studieren.
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FSM
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Anmeldungsdatum: 01.07.2007
Beiträge: 78

Beitrag(#1813102) Verfasst am: 01.02.2013, 16:56    Titel: Antworten mit Zitat

El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
selbstverständlich nicht. Aber es ging ja um die Sprünge, die mit Dawkins Weltbild nicht kompatibel sind


Und die wären welche? Dawkins schließt Sprünge aus, die der Boeing-747-Makromutation nahekommen. Wurden diese "Sprünge", die Dawkins nicht akzeptieren würde, von der modernen Evolutionsbiologie tatsächlich nachgewiesen? Sind die "Sprünge" nicht vielmehr "offene Fragen"? Man hat noch nicht die Details der genetischen und entwicklungsbiologischen Veränderungen bei Utricularia & Co. untersucht. Hierbei handelt es sich ja nicht um Standard-Modellorganismen, die schon über viele Jahrzehnte hinweg beackert werden.
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FSM
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Anmeldungsdatum: 01.07.2007
Beiträge: 78

Beitrag(#1813118) Verfasst am: 01.02.2013, 17:08    Titel: Antworten mit Zitat

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Gute Frage, ich bin kein Experte. Man müsste die Literatur wohl eingehender studieren.


Vielleicht erfährt man von diesen Leuten mehr:

http://biology.buffalo.edu/Faculty/Albert/albert.html
http://www.ethnobiology.ch/fr/personnes/rutishauser_rolf.html
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Tso Wang
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Beiträge: 1433

Beitrag(#1813130) Verfasst am: 01.02.2013, 17:21    Titel: Re: Kritische Fragen zum evolutionstheoretischen Fundament Antworten mit Zitat

El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Muss denn komplexe Entwicklung prinzipiell im Sinne von "nach oben" betrachtet werden ? Kann denn Entwicklung nicht auch aus dem Blickwinkel in Richtung "nach unten" betrachtet werden, wie beispielsweise ein Gebirgsfluss, der aus einem engen Flussbett plötzlich auf ein großes breites Tal trifft und sich dort "entfalten" kann (Delta) ?

das war nur eine Metapher. Letztlich geht es doch im Irreduzible Komplexität, womit Du Dich, wie Du ja schon geschrieben hast, noch nicht intensiver befasst hast.

Damals war Dawkins 'Blind Watchmaker' in der Öffentlichkeit so mit der Standard, wie man sich Evolution mechanismisch vorstellte. Dawkins hielt dann 1991 die Weihnachtsvorlesung (kann man als DVD 'Growing Up in the Universe' kaufen), daraus entstand dann das Buch 'Climbing Mount Improbable'. Dazwischen erschien noch 'River Out Of Eden'. In diesen drei Arbeiten formulierte Dawkins für eine breite Öffentlichkeit seine Vorstellung von Evolution, die davon ausging, dass komplexe Systeme in kleinen Schritten erfolgt, die jeweils selektionspositiv sind. Seine Antwort auf die Frage 'Wozu ist ein halber Flügel gut' war: er ist besser als ein Flügel, der nur 49 Prozent leistet, und ein Flügel, der ein Prozent leistet, ist besser als gar kein Flügel. Den Mechanismus dazu beschrieb er als Erklimmen eines Bergs, wobei zufällig Schritte gemacht werden und dann in die Richtung weiter gegangen wird, die 'nach oben' führt.

In 'The Blind Watchmaker' formulierte Dawkins dann explizit eine mögliche Falsifikation seiner Auffassung, und genau diese nahm Behe als Grundlage für die Formulierung seiner Irreduziblen Komplexität. Derartige Systeme können tatsächlich nicht so evolvieren, eben weil die Funktionalität nicht als Gradient modelliert werden kann. Im Bild wäre kein Flügel genauso selektionspositiv wie ein Flügel mit 50 Prozent Leistung, und sogar einer mit 99 Prozent. Die Selektion findet einfach keinen Ansatzpunkt. Diese Argumentation stammt zwar aus Darwins Zeit, Behe präzisierte das Argument aber auf der biochemischen Ebene. Auf der einen Seite kann es so präzise geprüft werden, auf der anderen Seite ist es dort schwerer, über Doppelfunktionen oder Funktionswechsel zu einer Funktionalität zu gelangen.

Letztlich scheitert Behe aber an einer Trivialität (auf die Lamarck auch hingewiesen hat): aus dem Fehlen einer Erklärung folgt nicht das Wirken eines Designers. Oder, wie ich es ab und an mal formuliert habe: An der Grenze des Wissens beginnt Nichtwissen, nicht Wissen um Design.

Behe hat Forschungsbedarf aufgezeigt, mehr gibt sein Argument prinzipiell nicht her, selbst wenn er in allen Punkten Recht hätte.




.


Danke für den Überblick, El Schwalmo !

Ich habe seit längerem "The God Dellusion" und "The greatest show on earth" bei mir herumliegen, bin aber berufsbedingt bis jetzt noch nicht dazu gekommen, mich da reinzulesen. Vielleicht finde ich dort etwas zu diesem Thema.


Mit meiner Metapher (Fluß-->Delta) wollte ich lediglich zum Ausdruck bringen, daß es nicht immer einer "Anstrengung" bedarf, um etwas hervorzubringen, das im Nachhinein wie eine nicht rückführbar komplexe Struktur ausssieht . in der Chemie ist es jedenfalls oft so. Es kommt halt nur auf die Umweltbedingungen wie z.B. Temperatur, Druck etc. an. Das Entstehen von schweren Elementen aus einfach aufgebauten während einer Sternenentwicklung ist genau eine Folge dieser Bedingungen, aber keine "Anstrengung" auf das Ziel hin, z.B. Eisen produzieren zu müssen. Deshalb würde ich einen solchen Prozess nicht als "Höherentwicklung" bezeichnen wollen, sondern einfach nur als "Entwicklung".


Zrzravy/Storch/Mihulka führen in ihrem Buch "Evolution" ein Beipiel an, in dem sie einen von Menschen "erschaffenen" Rundbogen beschreiben, dessen Funktion mit dem Entfernen eines Steines seine Bedeutung als solcher verliert.


Rundbögen sind m.E. doch nur Nachahmungen des Menschen aus der Natur.





Wäre ein natürliche Rundbogen auch irreduzibel komplex ?


Wenn ich nun beim Eisen ein Proton entferne, besitzt das übrige Element auch nicht mehr die Eigenschaften des Eisens. Wenn ich bei einer Aminosäure den Carboxylanteil entferne, besitzt das übriggebliebene Molekül auch nicht mehr die ursprünglichen Eigenschaften. Soll das etwa sowas wie "irreduzible Komplexität" sein ? Das wäre ein schlechter Witz. Denn das wäre ja eher eine verkappte Variante der Diskussion um Emergenz/Fulguration, einfach durch eine "Wortneuschöpfung". Oder beschreibt IC (irreducible complexity) noch etwas ganz anderes ?


Danke nochmal für Deine Anregungen. Ich werde mich mal bei Dawkins reinlesen.


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Tso Wang
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Beitrag(#1813137) Verfasst am: 01.02.2013, 17:29    Titel: Antworten mit Zitat

FSM hat folgendes geschrieben:
El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
selbstverständlich nicht. Aber es ging ja um die Sprünge, die mit Dawkins Weltbild nicht kompatibel sind


Und die wären welche? Dawkins schließt Sprünge aus, die der Boeing-747-Makromutation nahekommen. Wurden diese "Sprünge", die Dawkins nicht akzeptieren würde, von der modernen Evolutionsbiologie tatsächlich nachgewiesen? Sind die "Sprünge" nicht vielmehr "offene Fragen"?...


.


Das hört sich interessant an. Sprunghafte Veränderungen.... Gibt es in der Biologie soetwas wie eine "Quantentheorie der Evolution" ?


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Darwin Upheaval
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Beitrag(#1813159) Verfasst am: 01.02.2013, 18:12    Titel: Re: Kritische Fragen zum evolutionstheoretischen Fundament Antworten mit Zitat

Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Rundbögen sind m.E. doch nur Nachahmungen des Menschen aus der Natur.





Wäre ein natürliche Rundbogen auch irreduzibel komplex ?


Klar! Bereits Korthof hat damit gegen die angebliche Nicht-Evolvierbarkeit von IC-Systemen auf graduellem Weg argumentiert:

http://home.planet.nl/~gkorthof/korthof8.htm

;

finished stone arch.................... how it was constructed
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Darwin Upheaval
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Beitrag(#1813161) Verfasst am: 01.02.2013, 18:14    Titel: Re: Kritische Fragen zum evolutionstheoretischen Fundament Antworten mit Zitat

Tso Wang hat folgendes geschrieben:
Wenn ich nun beim Eisen ein Proton entferne, besitzt das übrige Element auch nicht mehr die Eigenschaften des Eisens. Wenn ich bei einer Aminosäure den Carboxylanteil entferne, besitzt das übriggebliebene Molekül auch nicht mehr die ursprünglichen Eigenschaften. Soll das etwa sowas wie "irreduzible Komplexität" sein ? Das wäre ein schlechter Witz.


Stimmt: Systeme sind per definitionem "irreduzibel komplex", denn sobald man eine essentielle Komponente entfernt, ist das System nicht mehr dasselbe System. Das ist genau das Prinzip der Emergenz, das Du beschreibst. Behe hat also eine Trivialität zu einem Schlagwort aufgebauscht. Noch witziger ist in diesem Zusammenhang, dass Biologen schon Lösungen für das Evolutionsproblem vorgeschlagen haben, Jahrzehnte, bevor Behe sich mit seinem Buch an die Öffentlichkeit wandte.
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Darwin Upheaval
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Beitrag(#1813167) Verfasst am: 01.02.2013, 18:43    Titel: Re: Kritische Fragen zum evolutionstheoretischen Fundament Antworten mit Zitat

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Hi Darwin Upheaval!

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:

Freilich glaubt Behe, wie alle übrigen IC-Vertreter, ans "herzallerliebste Jesulein", und es ist wissenschaftstheoretisch einfach zu zeigen, dass von der Empirie kein logisch kraftschlüssiger Weg von der Empirie zu einem übernatürlichen Agens hinführt. Formal ist aber zwischen der IC-Definition ("Systeme sind irreduzibel komplex, wenn..."), dem IC-Argument hinsichtlich der Unmöglichkeit einer schrittweisen (kumulativen) Evolution und dem Schluss auf Design zu unterscheiden. Soll heißen: Auch wenn Du dem Schluss auf ID wissenschaftstheoretisch das Wasser abgräbst, tangiert dies das IC-Argument zunächst einmal gar nicht.


Vermutlich ist dies eine Form von 'Vendor-Lock-In': Du möchtest die ganze Zeit über den Zaun klettern und hast Deine Probleme damit. Ich weise darauf hin, dass doch die Tür offensteht und Du reagierst darauf mit einem "Schön und gut, aber wie komme ich jetzt an dem Stacheldraht vorbei!" ... . zwinkern

Das IC-'Argument' scheitert grandios an der Logik - was kannst Du mehr wollen?


Vielleicht denke ich auch nur ein wenig weiter? Streich den Begriff "irreduzible Komplexität" und ersetze ihn meinethalben durch "labiles, hochgradig interdependentes System". G. Vollmer, der nicht in Verdacht steht, ID das Wort zu reden, sah bereits in den 1980ern ein grundsätzliches Problem darin, die Entstehung solcher Systeme gradualistisch zu erklären.

El Schwalmo hatte es erwähnt: Streng genommen kann die Selektion nur dann beliebig kleine Schritte "belohnen", wenn eine bereits vorhandene Funktion im Prinzip stufenlos optimiert werden kann. Wenn aber ein hochgradig interdependentes Systems mit einer neuen Funktion B aus einem Vorläufersystem mit der Funktion A entstehen soll, kann die Selektion nicht mehr beliebig kleine Veränderungsschritte belohnen - es sei denn, man kann zeigen, dass bei der stufenlosen Optimierung der Funktion A der Funktionszustand B nebenbei zur Funktionsreife gelangt. Das ist aber nicht unbedingt trivial.

Um auf das Wesentliche zurück zu kommen: Mein Punkt war, dass die Formel "Makroevolution = Mikroevolution", die in der hübschen Grafik verwurstet wurde, der Begründung bedurft hätte. Je nachdem, wie man Mikro- oder Makroevolution definiert (Du weißt, es gibt x unterschiedliche Definionen) kann diese Aussage zwischen "trivial" und "unsinnig" alles mögliche sein.

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:

Die Problemstellung ist also eine andere: Es geht nicht darum, aus ID die Luft heraus zu lassen (das ist einfach), sondern aus dem IC-Argument.


Noch einmal: Ich habe mich hier nur mit dem IC-'Argument' beschäftigt; es ist ein echtes Pseudo-Argument. Mehr als diese Erkenntnis braucht's dann nicht.


Als Pseudoargument ist es nur dann zu entlarven, wenn man "indirekte Evolutionswege" aufzeigen kann. Das kann man auf allgemeiner Ebene (z.B. mithilfe des Steinbogens o.ä.) tun. Auf der Detailebene wird das schon schwieriger. Aber Du hast freilich Recht, am Ende steht immer das "argumentum ad ignorantiam", weil sich die nicht mit allgemeinen Erklärungen (etwa Funktionswechsel) begnügen, sondern en detail "die Karten sehen" wollen.
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Zuletzt bearbeitet von Darwin Upheaval am 01.02.2013, 18:49, insgesamt einmal bearbeitet
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Beitrag(#1813169) Verfasst am: 01.02.2013, 18:48    Titel: Re: Kritische Fragen zum evolutionstheoretischen Fundament Antworten mit Zitat

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Klar! Bereits Korthof

das 'bereits' stört mich. Die Idee mit dem Bogen stammt von Cairns-Smith, der diesen Sachverhalt, incl. der Lösung, die Korthof vorstellt, ('scaffolding') schon vor Jahrzehnten, auch bevor er es publizierte, in Vorträgen verwendet hat. Dawkins hat es übernommen, und, wenn ich es richtig sehe, das Konzept der Irreduziblen Komplexität, das Behe später formulierte, in 'River out of Eden', unter dem Namen 'brittle' zum ersten Mal publiziert. Incl. des Beispiels mit dem Bogen.
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Darwin Upheaval
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Beitrag(#1813171) Verfasst am: 01.02.2013, 18:49    Titel: Re: Kritische Fragen zum evolutionstheoretischen Fundament Antworten mit Zitat

El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Klar! Bereits Korthof

das 'bereits' stört mich. Die Idee mit dem Bogen stammt von Cairns-Smith, der diesen Sachverhalt, incl. der Lösung, die Korthof vorstellt, ('scaffolding') schon vor Jahrzehnten, auch bevor er es publizierte, in Vorträgen verwendet hat. Dawkins hat es übernommen, und, wenn ich es richtig sehe, das Konzept der Irreduziblen Komplexität, das Behe später formulierte, in 'River out of Eden', unter dem Namen 'brittle' zum ersten Mal publiziert. Incl. des Beispiels mit dem Bogen.


Okay, hast Recht.
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El Schwalmo
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Beitrag(#1813175) Verfasst am: 01.02.2013, 19:07    Titel: Re: Kritische Fragen zum evolutionstheoretischen Fundament Antworten mit Zitat

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Streng genommen kann die Selektion nur dann beliebig kleine Schritte "belohnen", wenn eine bereits vorhandene Funktion im Prinzip stufenlos optimiert werden kann.

yepp, das ist der Punkt. O-Ton Dawkins (Dawkins, R. (1986) 'The Blind Watchmaker' Essex, Longman)

S. 84 hat folgendes geschrieben:
The important thing about light intensity, distance of insect from predator, distance of image from centre of retina, and similar variables, is that they are all continuous variables. They vary by insensible degrees all the way from the extreme of invisibility to the extreme of visibility. Such continuous variables foster continuous and gradual evolution.


Daraus leitet Dawkins dann sogar ein Falsifikationskriterium ab:

S. 19 hat folgendes geschrieben:
Darwin wrote (in The Origin of Species):

"If it could be demonstrated that any complex organ existed which could not possibly have been formed by numerous, successive, slight modifications, my theory would absolutely break down."

One hundred and twenty five years on, we know a lot more about animals and plants than Darwin did, and still not a single case is known to me of a complex organ that could not have been formed by numerous successive slight modifications. I do not believe that such a case will ever be found. If it is - it'll have to be a really complex organ, and, as we'll see in later chapters, you have to be sophisticated about what you mean by 'slight' - I shall cease to believe in Darwinism.


Nicht nur Behe (beispielsweise in seinem 'The Edge of Evolution') hat darauf hingewiesen, dass die Evolution komplexer Systeme, die aufgeklärt wurde, zwar auf der einen Seite naturalistische Erklärungen sind, auf der anderen Seite aber als Erklärungen genau diese Falsifikation liefern.

Aber das ist ja das Schöne: Darwin mag nicht immer und überall Recht gehabt haben, aber sind inzwischen weiter. Es ist typisch, dass die Evolutionsgegner auf Darwin herumhacken, immer von 'Darwinismus' oder 'blind watchmaker thesis' und so weiter reden, denn dann haben sie in gewissem Sinn Recht. Aber in etwa so, als würde jemand sagen, weil man mit der Newton-Mechanik kein GPS konstruieren könnte, bräuchte man einen Gott, um die Funktionsweise dieses Systems zu erklären.
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El Schwalmo
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Beitrag(#1813179) Verfasst am: 01.02.2013, 19:25    Titel: Antworten mit Zitat

FSM hat folgendes geschrieben:
El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
selbstverständlich nicht. Aber es ging ja um die Sprünge, die mit Dawkins Weltbild nicht kompatibel sind

Und die wären welche?

das ist natürlich ein weites Feld. Pauschal gesagt (und auf mein obiges Posting bezogen) Evolutionen, die eben keine 'continuous variables' enthalten. Typische Beispiele wären irreduzibel komplexe Systeme, beispielsweise T-URF oder auch das, was im Lenski-Experiment noch nicht geklärt ist, und auch das, was geklärt ist.

FSM hat folgendes geschrieben:
Dawkins schließt Sprünge aus, die der Boeing-747-Makromutation nahekommen. Wurden diese "Sprünge", die Dawkins nicht akzeptieren würde, von der modernen Evolutionsbiologie tatsächlich nachgewiesen? Sind die "Sprünge" nicht vielmehr "offene Fragen"? Man hat noch nicht die Details der genetischen und entwicklungsbiologischen Veränderungen bei Utricularia & Co. untersucht. Hierbei handelt es sich ja nicht um Standard-Modellorganismen, die schon über viele Jahrzehnte hinweg beackert werden.

Das Problem ist, dass Du das, was Dawkins vertritt (ich rede jetzt wissenschaftshistorisch und zwar von der Zeit, als die Intelligent Design-Bewegung aufkam und Irreduzible Komplexität als so wichtig angesehen wurde, dass Behes Buch in vielen erstklassigen Journalen von bekannten Forschern rezensiert wurde), niemals so voll der MainStream der Evolutionsbiologie war, aber beim Laien-Publikum als Standard angesehen wurde ('Laien-Publikum' umfasst hier alle Autoren, die sich nicht speziell mit Evolutionstheorie befassen). Sehr präzise hat Dawkins das im Blind Watchmaker und noch ausführlicher in seiner Weihnachtsvorlesung (Fünf Stunden, kann man auf DVD kaufen, IIRC findet man das meiste auch bei YouTube). Jeder Schritt, der nicht hinreichend plausibel durch Zufall vorstellbar ist, ist ein 'Sprung', der zumindest zwischen den beiden von Dawkins genannten Flugzeug-Modellen liegt.

Es geht noch einen Schritt weiter: der Mechanismus, den Dawkins vertritt, hat zwei Probleme, die man am Beispiel des Mount Improbable verdeutlichen kann. Einerseits Hindernisse auf der Rampe (also Tafelberge wie im Death Valley), dazu noch die weiten Ebenen davor. In beiden Fällen ist die Selektion als schöpferischer Faktor machtlos. Und genau das widerlegt Dawkins Auffassung, aber zum Glück gibt es noch viel mächtigere Evolutionstheorien als den Ultradarwinismus Dawkinsscher Prägung.
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El Schwalmo
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Beitrag(#1813186) Verfasst am: 01.02.2013, 19:31    Titel: Re: Kritische Fragen zum evolutionstheoretischen Fundament Antworten mit Zitat

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:

Noch einmal: Ich habe mich hier nur mit dem IC-'Argument' beschäftigt; es ist ein echtes Pseudo-Argument. Mehr als diese Erkenntnis braucht's dann nicht.


Als Pseudoargument ist es nur dann zu entlarven, wenn man "indirekte Evolutionswege" aufzeigen kann.

kommt darauf an, was Du als 'IC-Argument' bezeichnest. Wenn Du Dich an Junker orientierst, hat Lamarck Recht. Das 'IC-Argument' basiert zwar auf der Existenz irreduzibel komplexer Systeme, wäre aber trotzdem falsch, auch wenn gezeigt werden könnte, dass es irreduzibel komplexe Systeme gibt und auch wenn nicht gezeigt werden konnte, wie diese evolvieren. Denn es bleibt auch dann ein Ignoranz-Argument.

Das 'IC-Argument' kann man widerlegen, ohne auch nur ein einziges biologisches Detail zu kennen.

Das ist dann der Punkt, der mich oft nervt. Menschen verzetteln sich in biologischen Details, oft sogar, ohne genau zu wissen, was 'Irreduzible Komplexität' denn nun eigentlich konkret bedeutet, und liefern dem Gegner kistenweise Munition für das Eröffnen von Nebenkriegsschauplätzen, obwohl das Argument an sich schon lange mausetot ist.
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Darwin Upheaval
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Beitrag(#1813196) Verfasst am: 01.02.2013, 19:53    Titel: Re: Kritische Fragen zum evolutionstheoretischen Fundament Antworten mit Zitat

El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:

Noch einmal: Ich habe mich hier nur mit dem IC-'Argument' beschäftigt; es ist ein echtes Pseudo-Argument. Mehr als diese Erkenntnis braucht's dann nicht.


Als Pseudoargument ist es nur dann zu entlarven, wenn man "indirekte Evolutionswege" aufzeigen kann.

kommt darauf an, was Du als 'IC-Argument' bezeichnest. Wenn Du Dich an Junker orientierst, hat Lamarck Recht. Das 'IC-Argument' basiert zwar auf der Existenz irreduzibel komplexer Systeme, wäre aber trotzdem falsch, auch wenn gezeigt werden könnte, dass es irreduzibel komplexe Systeme gibt und auch wenn nicht gezeigt werden konnte, wie diese evolvieren. Denn es bleibt auch dann ein Ignoranz-Argument.


Jein. Das IC-Argument besagt ja zunächst einmal nur, dass eine schrittweise (kumulative) Evolution von IC-Systemen nicht möglich ist. Dieses Argument kann man tatsächlich nur durch biologische Fakten entkräften, zumindest durch Gedankenexperimente. [Edit: Und wenn ich mich recht erinnere, sagst Du sogar, dass dieses Argument korrekt sei.]

Davon zu trennen ist der "Schluss" auf Design, und der enthält noch eine weitere Komponente, nämlich die Analogie mit menschlichem Design. Allerdings verweisen ID-Befürworter im Rahmen dieser Analogie wiederum auf Eigenschaften wie Funktionalität und nichtreduzierbare Komplexität, um den Vergleich von zwei so fundamental verschiedenen Systemklassen (biologischen Systemen und menschlichen Artefakten) plausibel erscheinen zu lassen. Du hast also insofern recht, als sich der Analogieschluss gar nicht strikt vom IC-Argument trennen lässt, so dass ein "argumentum ad ignorantiam" übrig bleibt.
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El Schwalmo
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Beitrag(#1813231) Verfasst am: 01.02.2013, 20:27    Titel: Re: Kritische Fragen zum evolutionstheoretischen Fundament Antworten mit Zitat

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Jein. Das IC-Argument besagt ja zunächst einmal nur, dass eine schrittweise (kumulative) Evolution von IC-Systemen nicht möglich ist.

letztlich sagt es, dass eine Evolution überhaupt nicht möglich ist, wobei noch zu klären ist, ob kumulativ und schrittweise unbedingt gekoppelt sein müssen. Die Schritte können auch voneinander unabhängig sein, beispielsweise, wenn im Rahmen eines Funktionswechsels Systeme aus zwei verschiedenen Bereichen gekoppelt werden. Das ist dann zwar ein Schritt in Richtung Gesamtsystem, aber nicht unbedingt kumulativ in dem Sinn, wie Dawkins den Begriff verwendet.

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Dieses Argument kann man tatsächlich nur durch biologische Fakten entkräften, zumindest durch Gedankenexperimente. [Edit: Und wenn ich mich recht erinnere, sagst Du sogar, dass dieses Argument korrekt sei.]

Ja, aber das ist, wenn ich es richtig verstanden habe, nicht das IC-Argument, sondern dessen Vorstufe, nicht einmal unbedingt die Voraussetzung, denn rein theoretisch würde ein einziges nicht erklärtes Beispiel für die Argumentation hinreichen, daher sind noch so viele geklärte Beispiele letztlich belanglos. Klar, in der Praxis natürlich nicht, denn die Plausibilität ist dann nicht mehr gegeben. Mein Punkt ist nur, dass es zwar schön ist, diese Beispiele zu haben, aber dass es kein Problem wäre, hätte man sie nicht. Bevor ich nun anfange, mich über die Beispiele zu kabbeln, bleibt ich bei der wissenschaftstheoretischen Argumentation. Die ist hinreichend effektiv und verbaut Nebengleise.

Die Argumentation 'ist irreduzibel komplex, also kann es nicht evolviert sein' hingegen ist leicht widerlegbar. Dazu braucht man nicht lange nachdenken: man kann jedes redundant komplexe System problemlos zu einem irreduzibel komplexen machen. Daher bedeutet die Eigenschaft 'ist irreduzibel komplex' streng genommen nicht viel. Es sei denn, man meint wie Dawkins, dass alles geklärt sei und das mit Anspruch auf Geltung vertritt. Denn dann muss man erklären, woher die redundant komplexen Systeme stammen, und da haben wir teilweise aktuell noch ein Problem.

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:
Davon zu trennen ist der "Schluss" auf Design, und der enthält noch eine weitere Komponente, nämlich die Analogie mit menschlichem Design. Allerdings verweisen ID-Befürworter im Rahmen dieser Analogie wiederum auf Eigenschaften wie Funktionalität und nichtreduzierbare Komplexität, um den Vergleich von zwei so fundamental verschiedenen Systemklassen (biologischen Systemen und menschlichen Artefakten) plausibel erscheinen zu lassen. Du hast also insofern recht, als sich der Analogieschluss gar nicht strikt vom IC-Argument trennen lässt, so dass ein "argumentum ad ignorantiam" übrig bleibt.

Klar, kann sein, dass ich 'IC-Argument' anders verwende als Du. Für mich ist es das, was Du gerade beschrieben hast. Einig sind wir uns aber in der Einschätzung, dass das Argument nichts taugt.
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FSM
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Beitrag(#1813291) Verfasst am: 02.02.2013, 00:17    Titel: Antworten mit Zitat

El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
das ist natürlich ein weites Feld. Pauschal gesagt (und auf mein obiges Posting bezogen) Evolutionen, die eben keine 'continuous variables' enthalten.


Ok, gibt es diese nachweislich und lehnt Dawkins diese ab? Wenn ich zum Beispiel an die Endosymbiose denke. Ein relativ großer Sprung. Bereits im Uhrmacher beschreibt Dawkins diese Theorie (Margulis’ Theorie). Er lehnt sie nicht ab (257f). Ich glaube nicht, dass Dawkins Erklärungen, für die eindeutige Evidenzen sprechen, ablehnt.

El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
Typische Beispiele wären irreduzibel komplexe Systeme, beispielsweise T-URF oder auch das, was im Lenski-Experiment noch nicht geklärt ist, und auch das, was geklärt ist.


1) T-URF---> Hier spielten, soweit ich weiß, Duplikationen, Rekombination und Mutationen eine Rolle. Lehnt Dawkins diese "Sprünge" tatsächlich ab? Ist doch keine Boeing-747-Makromutation.

2) Lenski-Experiment ---> Auch hier spielten Mutationen ("Sprünge") eine Rolle, die Dawkins nicht ablehnt.

Du meinst sicher, dass nicht jeder Schritt "selektionspositiv" sein muss. In diesem Punkt gebe ich dir Recht. Über neutrale Evolution / Drift schreibt er zu wenig. Dennoch kann man bereits im Uhrmacher lesen, dass er auf molekularer Ebene "neutrale" Veränderungen akzeptiert.

Zitat:
Der Leser mag an dieser Stelle vielleicht durch eine scheinbare
Unvereinbarkeit verwirrt sein. In diesem ganzen Buch
haben wir die überragende Bedeutung der natürlichen Auslese
betont. Wie können wir nun die Zufälligkeit der evolutionären
Veränderung auf der Molekularebene hervorheben
? Um Kapitel
11 vorwegzunehmen: Es gibt keinen Streit über die Evolution
von Anpassungen, die das Hauptthema dieses Buches darstellen.
Nicht einmal der extremste Neutralist glaubt, daß komplexe
funktionsfähige Organe wie Augen und Hände sich durch
zufällige Verschiebungen der Genhäufigkeit entwickelt haben.
Jeder vernünftige Biologe stimmt mit mir darin überein, daß
diese Dinge nur durch natürliche Auslese entstanden sein
können. Es ist einfach so, daß die Neutralisten meinen – meiner
Ansicht nach zu Recht
–, solche Anpassungen seien nur die
Spitze des Eisbergs: die Mehrheit des evolutionären Wandels,
auf molekularer Ebene gesehen, ist wahrscheinlich nichtfunktional. (S. 395)


Zitat:
Selbst der eifrigste Neutralist stimmt bereitwillig zu, daß die
natürliche Auslese für alle Anpassungen verantwortlich ist. Er
sagt lediglich, daß der Großteil des evolutiven Wandels nicht
Adaptation ist. Er mag sehr wohl recht haben, obwohl es eine
Schule von Genetikern gibt, die dem nicht zustimmen. Wenn
ich eine Randbemerkung machen darf, meine eigene Hoffnung
ist, daß die Neutralisten gewinnen, denn das wird es soviel
leichter machen, evolutionäre Beziehungen und Evolutionsraten
auszurechnen. Alle, auf beiden Seiten, sind sich darin
einig, daß neutrale Evolution nicht zu adaptiver Verbesserung
führen kann, aus dem einfachen Grund, daß neutrale Evolution,
per definitionem, beliebig ist; und adaptive Verbesserung
ist, per definitionem, nicht beliebig. (S. 440)



Auch interessant:

Zitat:
Erstens muß ich spezifizieren, was es bedeutet, Leben zu
»erklären«. Natürlich gibt es viele Merkmale lebender Dinge,
die wir aufzählen könnten, und einige von ihnen könnten durch
andere Theorien ebenfalls erklärbar sein. Viele Fakten über
die Verbreitung von Proteinmolekülen könnten, wie wir gesehen
haben, durch neutrale genetische Mutation statt durch
Darwinsche Auslese bedingt sein. Es gibt jedoch ein spezielles
Merkmal lebendiger Dinge, das ich herausgreifen möchte, weil
es nur durch die Darwinsche Auslese erklärt werden kann.
Dieses Merkmal ist das in diesem Buch immer wieder auftretende
Thema: die adaptive Komplexität (S. 415)


Es geht ihm also um adaptive Komplexität.
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Darwin Upheaval
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Beitrag(#1813309) Verfasst am: 02.02.2013, 02:29    Titel: Antworten mit Zitat

FSM hat folgendes geschrieben:
1) T-URF---> Hier spielten, soweit ich weiß, Duplikationen, Rekombination und Mutationen eine Rolle. Lehnt Dawkins diese "Sprünge" tatsächlich ab? Ist doch keine Boeing-747-Makromutation.

2) Lenski-Experiment ---> Auch hier spielten Mutationen ("Sprünge") eine Rolle, die Dawkins nicht ablehnt.

Du meinst sicher, dass nicht jeder Schritt "selektionspositiv" sein muss. In diesem Punkt gebe ich dir Recht. Über neutrale Evolution / Drift schreibt er zu wenig. Dennoch kann man bereits im Uhrmacher lesen, dass er auf molekularer Ebene "neutrale" Veränderungen akzeptiert.


Nun, Dawkins popularisiert die Evolutionstheorie, da bleibt es nicht aus, dass komplizierte Detailargumente hier unter den Tisch fallen...

M.E. argumentiert Dawkins gegen "Saltationen" Goldschmidtschen Typs. Dass es solche nicht gibt, davon geht die Biologie heute aus, auch Evo-Devo-Vertreter üblicherweise. Gegen kleinere bis mittelgroße Sprünge (etwa von der Qualität einer Heterochronie) hat sicher auch Dawkins nichts einzuwenden. Im Gegenteil, er verweist ja ausdrücklich darauf. Daher ist meine Vermutung, dass das Argument der "gradual ramp" einfach nur der Popularisierung dient; es soll verdeutlichen, dass auch die komplexesten Neuerungen nie "als Ganzes" entstehen, sondern immer in mehreren, durch die Selektion begünstigten Etappen. Die Illustration anhand der Evolution des Wirbeltierauges bietet sich an, weil das Beispiel besonders eingängig ist. Würde Dawkins alle möglichen Aspekte thematisieren wie Funktionswechsel, neutrale Evolution/Drift u.dgl., wäre sein Konzept nicht mehr anschaulich und würde in den Augen des "breiten Publikums" an Intelligibilität einbüßen. Inzwischen scheint er aber einzusehen, dass er nicht mehr an solchen Aspekten vorbei kommt, im Zusammenhang mit dem Flagellenapparat etwa.
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Beitrag(#1813315) Verfasst am: 02.02.2013, 05:31    Titel: Antworten mit Zitat

Darwin Upheaval hat folgendes geschrieben:

Nun, Dawkins popularisiert die Evolutionstheorie, da bleibt es nicht aus, dass komplizierte Detailargumente hier unter den Tisch fallen...


Ich sehe das ebenfalls so.
Dawkinsche Exegese zu betreiben ist wohl völlig unsinnig.
Und wenn irgendwo auf einer Seite in seinem "Blind Watchmaker" etwas überspitzt formuliert sein mag, was irgendein Kreationist möglicherweise als Zitierfähige Angriffsfläche nutzen könnte, dem ist in der Regel kaum bis garnicht vor zu beugen, denn egal wie scharfzüngig und genial auch immer ein Text formuliert sein mag, wenn jemand wirklich will findet er sowieso immer irgendwas, was er irgendwo heraus reißen und ausschlachten kann.
Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Dawkins an seinen Buchstaben oder ganz bestimmten Formulierungen klebt.
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Beitrag(#1813316) Verfasst am: 02.02.2013, 05:35    Titel: Antworten mit Zitat

El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
Eklatant hat folgendes geschrieben:
So verändern sich bei der Änderung von "Länge", "Dicke", "Gewicht" in Wirklichkeit noch unzählige tausend "versteckte" Eigenschaften, die aber nur dann "sichtbar" werden wenn bestimmte Situation diese plötzlich "offensichtlich" werden lassen.

das ist exakt der Punkt, der den Gradualismus der Selektionstheorie crasht: die Selektion schafft dann die Systeme nicht mehr, sondern bewertet nur die entstandenen. Selektion ist dann nicht mehr schöpferisch, sondern Ausmerze.


Naja ich habe Selektion schon immer als Selektion gesehen.

Wer kam denn auf die Idee dahinter etwas "Schöpferisches" zu vermuten? Etwas "Sich-Veränderndes" sieht man lediglich.

Jede neue Generation die entsteht wird neu selektiert zu sehr ähnlichen oder eben völlig neuen Rahmenbedingungen und bringt das genetische Erbe mit, was vorher einfach nicht raus geflogen ist.
Die Verwandlung der Lebensformen ist dabei eben das was man bei diesem "Willkür-Ausmerzprozess" (z.Bsp. dass man als Bakterie 5 nanometer zu weit links geboren wurde und deswegen von der Sonne gebrutzelt wurde), ohne Sinn, Zweck und Verstand überblicken kann.

Dass aus dem Ganzen IC-Brimborium kein Design folgt, ist auch klar...naja es sollte zumindest klar sein.

Editiert.
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Beiträge: 9073

Beitrag(#1813321) Verfasst am: 02.02.2013, 08:24    Titel: Antworten mit Zitat

FSM hat folgendes geschrieben:
El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
das ist natürlich ein weites Feld. Pauschal gesagt (und auf mein obiges Posting bezogen) Evolutionen, die eben keine 'continuous variables' enthalten.

Ok, gibt es diese nachweislich und lehnt Dawkins diese ab?

ich habe mich vermutlich zu kurz ausgedrückt. Mein Punkt war, dass Dawkins einen Anspruch erhebt, eben den, den er im ersten Satz des 'Blind Watchmaker' formuliert (alle Angaben aus der ersten Auflage 1986 Essex, Longman):

S. ix hat folgendes geschrieben:
This book is written in the conviction that our own existence once presented the greatest of all mysteries, but that it is a mystery no longer because it is solved.

Das ist in meinen Augen eindeutig: es wird beansprucht, dass 'die Evolution' geklärt ist. Das Buch beginnt mit diesem Satz, das ist also eine zentrale Aussage. Der nächste Satz lautet:

S ix hat folgendes geschrieben:
Darwin and Wallace solved it, though we shall continue to add footnotes to their solution for a while yet.

Wie diese Lösung aussieht entfaltet Dawkins dann in den nächsten Kapiteln, speziell im Kapitel 4 ('Making tracks through animal space'), zu Sprüngen wird er am deutlichsten in seiner Kritik an PunkEek (Kapitel 9 'Puncturing punctualism', nur nebenbei, 'speedy gradualism' ist ein Missverständnis von PunkEek). Aus diesem Kapitel stammt dann auch die sehr gute Zusammenfassung:

S. 249 hat folgendes geschrieben:
Darwin was constantly battling against this source of incredulity [die Schwierigkeit, sich anbetrachts des Endzustands und eines möglichen Anfangszustands die Entstehung des Endzustands vorzustellen, E.S], and he constantly made use of the same weapon: the emphasis on gradual, almost imperceptible change, spread out over countless generations.

Okay, ich hätte nicht 'Dawkins lehnt ab' sondern 'ist mit dem Ansatz von Dawkins nicht kompatibel' schreiben müssen. Du hast natürlich Recht:

FSM hat folgendes geschrieben:
Wenn ich zum Beispiel an die Endosymbiose denke. Ein relativ großer Sprung. Bereits im Uhrmacher beschreibt Dawkins diese Theorie (Margulis’ Theorie). Er lehnt sie nicht ab (257f). Ich glaube nicht, dass Dawkins Erklärungen, für die eindeutige Evidenzen sprechen, ablehnt.

Aber aus der Sicht der Theorierekonstruktion betrachtet müsste Dawkins diesen Punkt ablehnen, oder aber zumindest den Geltungsanspruch seiner Theorie modifizieren. Es geht noch weiter. Dawkins konnte mit EvoDevo nie viel anfangen (eben aus dem oben genannten Grund). Aber schon im Blind Watchmaker schrieb er, dass Ontogenese, also Embryologie, eine enorme Rolle spielt, und in späteren Ausgaben schreibt er explizit ein Nachwort zu genau diesem Thema, weil ihm aufgefallen ist, dass er enormes Glück mit seinen Computersimulationen hatte, weil die das leisteten, was er wollte, und erst beim Überarbeiten fielen ihm die Probleme auf. Die erforderlichen Konsequenzen hat Dawkins aber meiner Meinung nach nicht gezogen.

El Schwalmo hat folgendes geschrieben:
Typische Beispiele wären irreduzibel komplexe Systeme, beispielsweise T-URF oder auch das, was im Lenski-Experiment noch nicht geklärt ist, und auch das, was geklärt ist.


[ ... ]

FSM hat folgendes geschrieben:
Du meinst sicher, dass nicht jeder Schritt "selektionspositiv" sein muss. In diesem Punkt gebe ich dir Recht. Über neutrale Evolution / Drift schreibt er zu wenig. Dennoch kann man bereits im Uhrmacher lesen, dass er auf molekularer Ebene "neutrale" Veränderungen akzeptiert.

Wie gesagt, mein Fehler, ich hätte anders formulieren müssen. Ist das jetzt geklärt?

[ übereinstimmungshalber gesnippt ]

FSM hat folgendes geschrieben:
Es geht ihm also um adaptive Komplexität.

Exakt, aber das ist ein Teilbereich der Evolution. Und durchaus interessant. Die erste Evoltionstheorie, die formuliert wurde (Lamarck) war 'dualistisch' in dem Sinn, dass zwei Mechanismen postuliert wurden: einer für die Höherentwicklung und einer für die Anpassungsentwicklung (nur nebenbei, die beiden können durchaus gegensätzlich 'Anforderungen' stellen, hochspezialisierte, also sehr gut angepasste, Formen sind, evolutionär gesehen, meist Sackgassen). Darwins Geniestreich war nun, eine 'monistische' Theorie zu entwickeln, die beide Aspekte durch einen Mechanismus, eben die Selektionstheorie, erklärte, und diesen Ansatz hat Dawkins zum Ultra-Darwinismus weiterentwickelt.

Wenn Du nun die Elemente, die Dawkins zwar anerkennt, aber nicht integriert, betrachtest, merkst Du, dass wir wieder langsam zu Lamarck zurückkommen: bevor die Selektion arbeiten kann, braucht sie 'Material' und das entsteht nicht durch die Wirkung der Selektion. Aber das ist gerade der Clou, denn die STE enthält als zentrales Element die schöpferische Selektion. Streng genommen kann man also mit dieser Theorie 'nur' die Anpassungsentwicklung erklären. Das ist natürlich ein enorm wichtiger Bereich, aber eben nur ein Bereich.
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Beitrag(#1813322) Verfasst am: 02.02.2013, 08:26    Titel: Antworten mit Zitat

Eklatant hat folgendes geschrieben:
Wer kam denn auf die Idee dahinter etwas "Schöpferisches" zu vermuten? Etwas "Sich-Veränderndes" sieht man lediglich.

die Gründungsväter der Synthetischen Theorie der Evolution, die gut 20 Jahre lang der Standard der Evolutionsbiologie war und in den Augen vieler Menschen auch heute noch ist.
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