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Utilitarismus, Egoismus, Altruismus
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vrolijke
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Anmeldungsdatum: 15.03.2007
Beiträge: 46732
Wohnort: Stuttgart

Beitrag(#1822834) Verfasst am: 10.03.2013, 13:22    Titel: Antworten mit Zitat

Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:


Kival hat folgendes geschrieben:
Und ja, auch eine perfekte kommunistische Gesellschaft bräuchte immer noch Rücksichtnahme.


Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen einer Rücksichtsnahme aus Begeisterung und einer Rücksichtsnahme wegen äußerer und innerer Zwänge, so wie es auch Unterschiede gibt zwischen einer Tätigkeit aus Begeisterung und einer Tätigkeit aus äußeren oder inneren Zwängen.


Sind in einer perfekten kommunistischen Gesellschaft die Menschen dauerbegeistert?


Dass wäre der Idealzustand.
Daher die "Erziehungsmaßnahmen" auf Deibel komm raus.
Tatsächlich kann Kommunismus ohne äußere und inner Zwänge nicht funktionieren.
_________________
Glück ist kein Geschenk der Götter; es ist die Frucht der inneren Einstellung.
Erich Fromm

Sich stets als unschuldiges Opfer äußerer Umstände oder anderer Menschen anzusehen ist die perfekte Strategie für lebenslanges Unglücklichsein.

Grenzen geben einem die Illusion, das Böse kommt von draußen
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pera
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Anmeldungsdatum: 01.07.2009
Beiträge: 4256

Beitrag(#1822837) Verfasst am: 10.03.2013, 13:37    Titel: Antworten mit Zitat

vrolijke hat folgendes geschrieben:
Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:


Kival hat folgendes geschrieben:
Und ja, auch eine perfekte kommunistische Gesellschaft bräuchte immer noch Rücksichtnahme.


Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen einer Rücksichtsnahme aus Begeisterung und einer Rücksichtsnahme wegen äußerer und innerer Zwänge, so wie es auch Unterschiede gibt zwischen einer Tätigkeit aus Begeisterung und einer Tätigkeit aus äußeren oder inneren Zwängen.


Sind in einer perfekten kommunistischen Gesellschaft die Menschen dauerbegeistert?


Dass wäre der Idealzustand.
Daher die "Erziehungsmaßnahmen" auf Deibel komm raus.
Tatsächlich kann Kommunismus ohne äußere und inner Zwänge nicht funktionieren.


Ich denke überhaupt keine Gesellschaft funktioniert ohne äußere und innere Zwänge. (Wegen des Menschen, erst andere Menschen dann zwangfreie Gesellschaft.)
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Skeptiker
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Anmeldungsdatum: 14.01.2005
Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville

Beitrag(#1822841) Verfasst am: 10.03.2013, 13:50    Titel: Antworten mit Zitat

Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:


Kival hat folgendes geschrieben:
Und ja, auch eine perfekte kommunistische Gesellschaft bräuchte immer noch Rücksichtnahme.


Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen einer Rücksichtsnahme aus Begeisterung und einer Rücksichtsnahme wegen äußerer und innerer Zwänge, so wie es auch Unterschiede gibt zwischen einer Tätigkeit aus Begeisterung und einer Tätigkeit aus äußeren oder inneren Zwängen.


Sind in einer perfekten kommunistischen Gesellschaft die Menschen dauerbegeistert?


Nun, entscheidend ist der Wegfall der menschlichen Entfremdung.
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vrolijke
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Anmeldungsdatum: 15.03.2007
Beiträge: 46732
Wohnort: Stuttgart

Beitrag(#1822842) Verfasst am: 10.03.2013, 13:56    Titel: Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Waschmaschine777 hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:


Kival hat folgendes geschrieben:
Und ja, auch eine perfekte kommunistische Gesellschaft bräuchte immer noch Rücksichtnahme.


Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen einer Rücksichtsnahme aus Begeisterung und einer Rücksichtsnahme wegen äußerer und innerer Zwänge, so wie es auch Unterschiede gibt zwischen einer Tätigkeit aus Begeisterung und einer Tätigkeit aus äußeren oder inneren Zwängen.


Sind in einer perfekten kommunistischen Gesellschaft die Menschen dauerbegeistert?


Nun, entscheidend ist der Wegfall der menschlichen Entfremdung.




Dass setzt voraus, dass man weiß, wann Mensch Mensch ist. (Und ab wann nicht mehr).
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unquest
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Anmeldungsdatum: 10.10.2010
Beiträge: 3326

Beitrag(#1822854) Verfasst am: 10.03.2013, 14:49    Titel: Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Nun, entscheidend ist der Wegfall der menschlichen Entfremdung.

Ist der Begriff der Entfremdung nicht vielmehr das Zeugnis einer idealisierten Naturvorstellung?
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
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Beitrag(#1822856) Verfasst am: 10.03.2013, 15:00    Titel: Antworten mit Zitat

unquest hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Nun, entscheidend ist der Wegfall der menschlichen Entfremdung.
Ist der Begriff der Entfremdung nicht vielmehr das Zeugnis einer idealisierten Naturvorstellung?

Yep, ähnlich wie das biblische Paradies.
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
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Beitrag(#1822857) Verfasst am: 10.03.2013, 15:33    Titel: Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
So soziale der Utilitarismus zunächst daher humpelt, so reaktionär zeigt er sich im Falle von Interessenkonflikten.

Im Gegenteil, er versucht ihnen optimal Rechnung zu tragen (ob das so einfach möglich ist, ist mal eine andere Frage). Der sozialistische Ansatz dagegen basiert nmV auf der Vorstellung, (a) alle Menschen hätten von Natur aus die gleichen Bedürfnisse und Interessen, und (b) diese könnten nicht in Konflikt geraten, wenn der böse Kapitalismus mal weg sei. Beides ist faktisch falsch - was nicht heißt, daß man deshalb ein Freund des Kapitalismus sein muß.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
In Zeiten des Neoliberalismus, also der offeneren Kapitalmoral verwandelt sich die utilitarisch kalkulierte Gesamtmoral in einen neoliberalen Utilitarismus, in dem Menschen nach Kapital-Nützlichkeits-Erwägungen bewertet werden, was sich dann nicht nur auf ihr Verhalten beziehen muss.

Was Du da beschreibst, hat mit der Idee des Utilitarismus überhaupt gar nichts zu tun. Es geht beim Utilitarismus überhaupt nicht um die Nützlichkeit des Menschen, sondern um die Nützlichkeit von etwas für den Menschen. Wir leben gerade nicht in einer utilitaristisch-gerechten Gesellschaft, was man z.B. daran sieht, daß die Interessen mancher Menschen bei uns mehr zählen als die anderer.
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Kival
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Beiträge: 24071

Beitrag(#1822864) Verfasst am: 10.03.2013, 16:02    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Der sozialistische Ansatz dagegen basiert nmV auf der Vorstellung, (a) alle Menschen hätten von Natur aus die gleichen Bedürfnisse und Interessen, und (b) diese könnten nicht in Konflikt geraten, wenn der böse Kapitalismus mal weg sei.


Nö, das ist vielleicht Skeptikers Ansatz, aber dem Sozialismus nicht inhärent, m.E. nicht einmal dem Kommunismus.
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#1822883) Verfasst am: 10.03.2013, 17:51    Titel: Antworten mit Zitat

Kival hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Der sozialistische Ansatz dagegen basiert nmV auf der Vorstellung, (a) alle Menschen hätten von Natur aus die gleichen Bedürfnisse und Interessen, und (b) diese könnten nicht in Konflikt geraten, wenn der böse Kapitalismus mal weg sei.
Nö, das ist vielleicht Skeptikers Ansatz, aber dem Sozialismus nicht inhärent, m.E. nicht einmal dem Kommunismus.

Stimmt, ich habe da jetzt auch eher an Skeptikers Aussagen gedacht.

Hieß es nicht bei Marx "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ - was ist denn nun damit gemeint? Geht der Marxismus davon aus, daß dies erreichbar ist, oder daß - wie beim Präferenzutilitarismus - Kompromisse ausgehandelt werden müssen? Und was ist überhaupt die Haltung des Marxismus gegenüber Bedürfnissen, gibt es da eine Theorie der Bedürfnisse?
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smallie
resistent!?



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Beiträge: 3726

Beitrag(#1822889) Verfasst am: 10.03.2013, 18:46    Titel: Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Die Idee, dass ein natürlicher Egoismus durchaus auch mit einem sehr guten sozialen Miteinander kompatibel ist, kommt dem bürgerlichen Individuum erst gar nicht in den Kopf.

Ich dachte, die ganze Ideologie des Kapitalismus würde darauf beruhen, dass Egoismus letztlich gut für alle sei.


Die bürgerliche oder kapitalistische Ideologie sieht zunächst einmal im menschlichen Egoismus vor allem mal einen Grund für die Unmöglichkeit des Kommunismus und auf diese "Erkenntnis" bilden sich die Vertreter der bürgerlichen Philosophie und Ideologie sehr viel ein.

Da ist was dran. Zumindest für die Vergangenheit.

Die Deutungsgeschichte der Evolutionstheorie liefert dazu ein schönes Beispiel: im Westen wurde die Theorie oft als blutiger Kampf ums Dasein ausgelegt. Politisch schien sie Sozialdarwinismus nahezulegen.

Es war ein russischer Anarchist, Peter Kropotkin, der erstmals erkannte, daß diese Interpretationen lückenhaft waren. In Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt weist er darauf hin, daß Kooperation in der Evolution eine ebenso wichtige Rolle spielt, wie Konkurrenz.


step hat folgendes geschrieben:
Kival hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Die Idee, dass ein natürlicher Egoismus durchaus auch mit einem sehr guten sozialen Miteinander kompatibel ist, kommt dem bürgerlichen Individuum erst gar nicht in den Kopf.
Ich dachte, die ganze Ideologie des Kapitalismus würde darauf beruhen, dass Egoismus letztlich gut für alle sei.
Kapitalismus ist aber Egoismus bei ungleichen Machtverhältnissen.

Individueller Egoismus führt aufgrund asymmetrischer Umstände (z.B. Stärke, Intelligenz, Ressourcen usw.) automatisch zu ungleichen Machtverhältnissen. Die Frage ist, ob bzw. zu welchem Ausmaß die Gemeinschaft das hinnehmen will. Ein kollektivistischer Gesellschaftsansatz will das nmV nicht hinnehmen, er hofft, daß die Menschen freiwillig die Utopie des verheißenen kommunistischen Paradieses priorisieren, was aber in der sozialistischen Realität nicht unbedingt funktioniert hat.

Denken wir zwanzig tausend Jahre zurück. Bei steinzeitlichen Stämmen hat das schon mal funktioniert: sie waren egalitär organisiert. Zumindest läßt sich das aus den Bräuchen noch heute existierender Stämme auf Steinzeitniveau schließen.

(Steile These. Die müßte ich eigentlich belegen. Aber das würde gerade in Arbeit ausarten. Geschockt Also nur auf Verlangen. zwinkern )

Die Frage ist, warum das heute nicht mehr geht. Die Größe einer Gesellschaft, vom Stamm über das Dorf über die Stadt bis hin zu einer Nation von Millionen von Bürgern, dürfte hier eine Rolle spielen.


Kival hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:


step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Der Utilitarismus bedient den Egoismus bestimmter Gruppen und negiert den Egoismus anderer Gruppen, schränkt diesen also ein.

So ein Unsinn. Der Utilitarismus legt i.a. überhaupt keine Nutzenfunktion a priori fest.


Eigentlich schon:
http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/benthamsche-nutzenfunktion.html


f ist aber nicht definiert. Zudem gilt das nicht für jede Form des Utilitarismus. Aber was step - zu Recht - meinte, ist dass der klassische Utilitarismus keine *bestimmte* Nutzenfunktion definiert. Auch bei Bentham ist nur festgelegt, dass sich die Gesamtnutzenfunktion als Summe der individuellen Nutzenfunktionen konzipiert ist. Wie aber die individuellen Nutzenfunktionen berechnet werden, ist nicht festgelegt.

Was nutzt eine Theorie, die über eine Funktion spricht, ohne diese anzugeben? Mangels faktischer Behauptung kann man die Funktion noch nicht mal kritisieren. Ohne konkrete Aussage ist Utilitarismus ziemlich zahnlos.

Da stellt sich mir die Frage, was unterscheidet diesen Utilitarismus noch von dem Interessenausgleich, wie er in modernen Gesellschaft versucht wird?


step hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Der Utilitarismus muß die Bedürfnisse/Interessen gar nicht begründen, er konstatiert sie einfach.
a) welche und b) wessen Bedürfnisse werden konstatiert?

a) alle und b) die von Allen.

Da will ich eine meiner Lieblingsgeschichten auspacken.

Versuchspersonen bekamen Rotwein zu trinken. Die Proben waren beschildert mit 5 EUR, 10 EUR, 50 EUR. Übereinstimmend wurde meist der teure Wein als der beste eingeordnet. Das wäre wenig überraschend, aber: tatsächlich wurde nur ein Wein ausgeschenkt, die Preisschilder waren fingiert.

Und nicht nur das: bildgebende Verfahren schienen nahezulegen, daß der vermeintliche bessere Wein, den Versuchpersonen auch besser mundetet.

Wie baut man dieses Ergebnis in utilitaristische Überlegungen ein? Man müßte geradezu billigen Wein als teuer etikettieren, um den Genuss des Käufers zu erhöhen, bis zu dem Punkt, an dem sein persönliches Preislimit liegt. Oder wir übergehen das Meßergebnis und sagen, die Probanden leiden an geschmacklicher Dissonanz - das wäre hier problemlos möglich. Auf andere Beispiele bezogen könnte es schnell problematisch werden, klar geäußerte Präferenzen als nur eingebildet abtut.


Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Kival hat folgendes geschrieben:
Von welchem Utilitarismus sprichst Du jetzt? Singers Präferenzutilitarismus, dem benthamschen klassischen Utilitarismus... oder? Die Mathematisierung im Utiltarismus ist übrigens eher die Anwendung in der Wirtschafts- und insbes. Wohlfahrtstheorie. In der Philosophie des Utiltarismus findet man selten klar definierte Nutzenfunktionen. Diese Unterscheidung in höhere und niedrigere Bedürfnisse findet sich gerade eher bei Mill und nicht bei Bentham. Mill wiederum hat m.W. nichtmal eine mathematische Grundform der Nutzenfunktion angegeben.


Ich beziehe mich gar nicht auf eine bestimmte Nutzenfunktion, sondern auf den dahinter stehenden theoretischen Ansatz. Egal, welche mathematische Form der Utilitarismus annimmt, rasiert die Nutzenfunktion über alle Bedürfnisse hinweg zugunsten der Optimierung eines Gesamtnutzens.

Sehe ich auch so.

Um eine Nutzenfunktion angeben zu können, braucht es einen interdisziplinären Ansatz. Da einige beteiligte Wissenschaften nur statistische Aussagen bereitstellen, wird auch die Nutzenfunktion statistischer Natur sein.

Also wird früher oder später jemand kommen und sagen: "Hallo! Ich bin euch durch's Quantil gefallen."
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Tarvoc
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Beitrag(#1822894) Verfasst am: 10.03.2013, 19:33    Titel: Antworten mit Zitat

unquest hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Nun, entscheidend ist der Wegfall der menschlichen Entfremdung.

Ist der Begriff der Entfremdung nicht vielmehr das Zeugnis einer idealisierten Naturvorstellung?

Nein. Ich vermute mal, Skeptiker bezieht sich auf Marx, und bei dem ist der Mensch nicht pimär von der Natur entfremdet, sondern von seiner eigenen Tätigkeit und deren Produkten.

Der Begriff der Entfremdung ist zwar in der Tat nicht unproblematisch, aber zumindest deine Kritik springt zu kurz.
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step
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Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#1822895) Verfasst am: 10.03.2013, 19:42    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Individueller Egoismus führt aufgrund asymmetrischer Umstände (z.B. Stärke, Intelligenz, Ressourcen usw.) automatisch zu ungleichen Machtverhältnissen. Die Frage ist, ob bzw. zu welchem Ausmaß die Gemeinschaft das hinnehmen will. Ein kollektivistischer Gesellschaftsansatz will das nmV nicht hinnehmen, er hofft, daß die Menschen freiwillig die Utopie des verheißenen kommunistischen Paradieses priorisieren, was aber in der sozialistischen Realität nicht unbedingt funktioniert hat.
Denken wir zwanzig tausend Jahre zurück. Bei steinzeitlichen Stämmen hat das schon mal funktioniert: sie waren egalitär organisiert. Zumindest läßt sich das aus den Bräuchen noch heute existierender Stämme auf Steinzeitniveau schließen.

Du meinst, in diesen Stämmen haben sich keine Hierarchien / Machtverhältnisse gebildet? Das möchte ich doch sehr bezweifeln. Auch bei Primatengesellschaften sieht man ja eher Gegenteiliges.

smallie hat folgendes geschrieben:
Die Frage ist, warum das heute nicht mehr geht. Die Größe einer Gesellschaft, vom Stamm über das Dorf über die Stadt bis hin zu einer Nation von Millionen von Bürgern, dürfte hier eine Rolle spielen.

Klar, dadurch verändert sich allerdings vor allem die Qualität und das Ausmaß der Asymmetrie der Machtverhältnisse. In der Steinzeit konnte niemand die Geschicke der Welt lenken, höchstens vielleicht die seiner Gruppe.

smallie hat folgendes geschrieben:
Was nutzt eine Theorie, die über eine Funktion spricht, ohne diese anzugeben? Mangels faktischer Behauptung kann man die Funktion noch nicht mal kritisieren. Ohne konkrete Aussage ist Utilitarismus ziemlich zahnlos.

Utilitarismus ist eine Art Meta-Ethik und gleichzeitig ein Sammelbegriff für verschiedene Nutzenfunktionen. Um zu einer praktischen Ethik oder einem demokratischen System zu kommen, müssen natürlich konkrete Nutzenfunktionen betrachtet werden. Und genau das wird auch gemacht. Auf kleineren, leichter formalisierbaren Teilgebieten (z.B. faire Wahlen) gibt es das schon lange.

smallie hat folgendes geschrieben:
Da stellt sich mir die Frage, was unterscheidet diesen Utilitarismus noch von dem Interessenausgleich, wie er in modernen Gesellschaft versucht wird?

Ja, diese Versuche enthalten bereits einiges an utilitaristischer Idee. Nur leider sind die Interessen bei uns nicht ausgeglichen berücksichtigt. Im allgemeinen kann ein ökonomisch armer Mensch bei uns weniger seiner wichtigsten Interessen durchsetzen als ein ökonomisch reicher.

smallie hat folgendes geschrieben:
... Wie baut man dieses Ergebnis in utilitaristische Überlegungen ein? Man müßte geradezu billigen Wein als teuer etikettieren, um den Genuss des Käufers zu erhöhen, bis zu dem Punkt, an dem sein persönliches Preislimit liegt. Oder wir übergehen das Meßergebnis und sagen, die Probanden leiden an geschmacklicher Dissonanz - das wäre hier problemlos möglich. Auf andere Beispiele bezogen könnte es schnell problematisch werden, klar geäußerte Präferenzen als nur eingebildet abtut.

Den Punkt "educated decision" hatte ich auch schon mal angesprochen - ja, man muß zum einen nach immer mehr Aufklärung streben, zum anderen die Präferenzen berücksichtigen, auch wenn sie aus Illusionen entspringen, weil die ethischen Subjekte sich sonst veralbert fühlen.

smallie hat folgendes geschrieben:
Also wird früher oder später jemand kommen und sagen: "Hallo! Ich bin euch durch's Quantil gefallen."

Das sehe ich anders.

Solange es sich um eine individuelle Präferenz handelt, die viele Andere einschränkt, ist es OK und ethisch-rational einsehbar, wenn sie "durchs Quantil fällt". Auch im Kommunismus fallen gewisse Präferenzen gewisser - als Feinde der Arbeiterklasse markierter - Personen durchs Raster.

Wenn es sich allerdings herausstellt, daß man keine Nutzenfunktion finden kann, die wenigstens die zentralen Grundbedürfnisse aller Gemeinschaftsmitglieder in Einklang bringen kann, dann kann dies durch einen nicht-utilitaristischen Ansatz (etwa einen christlichen oder sozialistischen) nicht besser werden.
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
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Beitrag(#1822896) Verfasst am: 10.03.2013, 19:48    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
unquest hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Nun, entscheidend ist der Wegfall der menschlichen Entfremdung.

Ist der Begriff der Entfremdung nicht vielmehr das Zeugnis einer idealisierten Naturvorstellung?
Nein. Ich vermute mal, Skeptiker bezieht sich auf Marx, und bei dem ist der Mensch nicht pimär von der Natur entfremdet, sondern von seiner eigenen Tätigkeit und deren Produkten.

Es ging aber idZ darum, ob der Mensch in auch in der utopischen kommunistischen Gesellschaft noch Rücksichtnahme brauche, ob er dann überhaupt noch äußere und innere Zwänge habe oder aus reiner Begeisterung Rücksicht nehme.
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fwo
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Beitrag(#1822899) Verfasst am: 10.03.2013, 20:18    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Individueller Egoismus führt aufgrund asymmetrischer Umstände (z.B. Stärke, Intelligenz, Ressourcen usw.) automatisch zu ungleichen Machtverhältnissen. Die Frage ist, ob bzw. zu welchem Ausmaß die Gemeinschaft das hinnehmen will. Ein kollektivistischer Gesellschaftsansatz will das nmV nicht hinnehmen, er hofft, daß die Menschen freiwillig die Utopie des verheißenen kommunistischen Paradieses priorisieren, was aber in der sozialistischen Realität nicht unbedingt funktioniert hat.
Denken wir zwanzig tausend Jahre zurück. Bei steinzeitlichen Stämmen hat das schon mal funktioniert: sie waren egalitär organisiert. Zumindest läßt sich das aus den Bräuchen noch heute existierender Stämme auf Steinzeitniveau schließen.

Du meinst, in diesen Stämmen haben sich keine Hierarchien / Machtverhältnisse gebildet? Das möchte ich doch sehr bezweifeln. Auch bei Primatengesellschaften sieht man ja eher Gegenteiliges.

smallie hat folgendes geschrieben:
Die Frage ist, warum das heute nicht mehr geht. Die Größe einer Gesellschaft, vom Stamm über das Dorf über die Stadt bis hin zu einer Nation von Millionen von Bürgern, dürfte hier eine Rolle spielen.

Klar, dadurch verändert sich allerdings vor allem die Qualität und das Ausmaß der Asymmetrie der Machtverhältnisse. In der Steinzeit konnte niemand die Geschicke der Welt lenken, höchstens vielleicht die seiner Gruppe.

Es hat in Steinzeitlichen Gesellschaften schon mal funktioniert hört sich so an, als könnte es nochmal funktionieren. Aber der Unterschied besteht nicht nur in der Größe der Organisationen. Das Wesentliche hat schon Marx in der Arbeitsteilung gesehen, die wir nicht werden zurückschrauben können. Diese Arbeitsteilung macht es für eine auch gefühlt gerechte Verteilung der Güter nämlich notwendig, die verschiedenen Arbeiten gegeneinander aufzurechnen. Mit der Arbeitsteilung erhält die natürliche Ungleichheit der Leistungsfähigkeit plötzlich Gewicht.
step hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
822889]... Wie baut man dieses Ergebnis in utilitaristische Überlegungen ein? Man müßte geradezu billigen Wein als teuer etikettieren, um den Genuss des Käufers zu erhöhen, bis zu dem Punkt, an dem sein persönliches Preislimit liegt. Oder wir übergehen das Meßergebnis und sagen, die Probanden leiden an geschmacklicher Dissonanz - das wäre hier problemlos möglich. Auf andere Beispiele bezogen könnte es schnell problematisch werden, klar geäußerte Präferenzen als nur eingebildet abtut.

Den Punkt "educated decision" hatte ich auch schon mal angesprochen - ja, man muß zum einen nach immer mehr Aufklärung streben, zum anderen die Präferenzen berücksichtigen, auch wenn sie aus Illusionen entspringen, weil die ethischen Subjekte sich sonst veralbert fühlen. ....

Das irrwitzige an den Test, den smallie da erzählt, ist ja, dass die subjektive Verschiedenheit keine Illusion ist, und das nicht nur wegen dieser Feststellung:
smallie hat folgendes geschrieben:
.....Und nicht nur das: bildgebende Verfahren schienen nahezulegen, daß der vermeintliche bessere Wein, den Versuchpersonen auch besser mundetet.....

Dass die subjektive Andersbewertung sich aus einer echten Erlebnisdifferenz speist, war schon vor dem Versuch zu erwarten: Bei identischen Reizen führen unterschiedliche Erwartungen zu unterschiedlichen Empfindungen, weil es einen Einfluss der Erwartung auf die Grenzwerte der Empfindung gibt: Eine bestimmte Erwartung kann die Empfindlichkeit für das Ereignis gewaltig steigern.

fwo
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Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.

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Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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step
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Beitrag(#1822906) Verfasst am: 10.03.2013, 20:43    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
Mit der Arbeitsteilung erhält die natürliche Ungleichheit der Leistungsfähigkeit plötzlich Gewicht.

Es gab sie aber auch zuvor schon. Der Stärkere oder der Attraktivere begattete mehr Weibchen, der Schlauere oder der Geschicktere kam vielleicht an besseres Essen heran, der Kranke starb usw. - es gab natürliche Ungleichheit.

fwo hat folgendes geschrieben:
Das irrwitzige an den Test, den smallie da erzählt, ist ja, dass die subjektive Verschiedenheit keine Illusion ist, und das nicht nur wegen dieser Feststellung:
smallie hat folgendes geschrieben:
.....Und nicht nur das: bildgebende Verfahren schienen nahezulegen, daß der vermeintliche bessere Wein, den Versuchpersonen auch besser mundetet.....

Dass die subjektive Andersbewertung sich aus einer echten Erlebnisdifferenz speist, war schon vor dem Versuch zu erwarten: Bei identischen Reizen führen unterschiedliche Erwartungen zu unterschiedlichen Empfindungen, weil es einen Einfluss der Erwartung auf die Grenzwerte der Empfindung gibt: Eine bestimmte Erwartung kann die Empfindlichkeit für das Ereignis gewaltig steigern.

Schön und gut, verstehe ich. Nur, worauf wollt Ihr hinaus? Geht es nur darum, daß es schwierig ist festzulegen, was nun eigentlich als Präferenz zählt? Der aufgeklärte Konsument könnte ja wählen, ob ihm das Erlebnis der ungeschminkten Fakten lieber ist oder das Erlebnis des Geschamcks. Ähnlich wie man etwa auch einem Azrt sagen könnte, ob man lieber die volle Diagnose wissen möchte oder nicht. Und vor allem: Was macht der sozialistische Ansatz idZ anders als der Präferenzutilitarismus?
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Tarvoc
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Beitrag(#1822911) Verfasst am: 10.03.2013, 21:01    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Es ging aber idZ darum, ob der Mensch in auch in der <s>utopischen</s> kommunistischen Gesellschaft noch Rücksichtnahme brauche, ob er dann überhaupt noch äußere und innere Zwänge habe oder aus reiner Begeisterung Rücksicht nehme.

Sobald man den von mir gebarrten Unsinn herausstreicht, wird das im Grunde zu einer empirisch-praktischen Frage. Anders gesagt: Das wird sich ja dann im konkreten Fall zeigen.
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Beitrag(#1822936) Verfasst am: 10.03.2013, 23:00    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Es ging aber idZ darum, ob der Mensch in auch in der <s>utopischen</s> kommunistischen Gesellschaft noch Rücksichtnahme brauche, ob er dann überhaupt noch äußere und innere Zwänge habe oder aus reiner Begeisterung Rücksicht nehme.
Sobald man den von mir gebarrten Unsinn herausstreicht, ...

Wieso?

wikipedia hat folgendes geschrieben:
Eine Utopie ... ist der Entwurf einer fiktiven Gesellschaftsordnung, die nicht an zeitgenössische historisch-kulturelle Rahmenbedingungen gebunden ist.

Also wenn das nicht auf den Kommunismus paßt ... EDIT: Also das paßt sehr gut auf den Kommunismus!

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
... wird das im Grunde zu einer empirisch-praktischen Frage. Anders gesagt: Das wird sich ja dann im konkreten Fall zeigen.

Ja, wenn es denn so weit kommt.
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Zuletzt bearbeitet von step am 10.03.2013, 23:12, insgesamt einmal bearbeitet
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Tarvoc
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Beitrag(#1822937) Verfasst am: 10.03.2013, 23:04    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Also wenn das nicht auf den Kommunismus paßt...

Was ist dann? Wenn der Satz noch so eine Art Argument werden soll, wäre es nicht schlecht, wenn du ihn beenden würdest.
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Beitrag(#1822939) Verfasst am: 10.03.2013, 23:12    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Also wenn das nicht auf den Kommunismus paßt...
Was ist dann? Wenn der Satz noch so eine Art Argument werden soll, wäre es nicht schlecht, wenn du ihn beenden würdest.

Hab die rhetorische Frege editiert.
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smallie
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Beitrag(#1822942) Verfasst am: 10.03.2013, 23:20    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Denken wir zwanzig tausend Jahre zurück. Bei steinzeitlichen Stämmen hat das schon mal funktioniert: sie waren egalitär organisiert. Zumindest läßt sich das aus den Bräuchen noch heute existierender Stämme auf Steinzeitniveau schließen.

Du meinst, in diesen Stämmen haben sich keine Hierarchien / Machtverhältnisse gebildet? Das möchte ich doch sehr bezweifeln.

Das scheint mir Konsens zu sein, soweit ich das überblicken kann. Werd' mal ein paar Quellen nachliefern, für's erste vertröste ich dich damit:

Zitat:
Social stratification

Evidence from archeology and comparative ethnography indicates that Middle Paleolithic/Middle Stone Age people lived in small egalitarian band societies similar to those of Upper Paleolithic societies and (some) existent Hunter gatherers such as the !Kung San and the Mbuti.

http://en.wikipedia.org/wiki/Middle_Paleolithic


Zitat:
A band society is the simplest form of human society. A band generally consists of a small kin group, no larger than an extended family or clan; it has been defined as consisting of no more than 100 individuals.

Bands have a loose organization. Their power structure is often egalitarian and has informal leadership; the older members of the band generally are looked to for guidance and advice, and decisions are often made on a consensus basis, but there are no written laws and none of the specialised coercive roles (e.g., police) typically seen in more complex societies.

http://en.wikipedia.org/wiki/Band_societies



step hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Was nutzt eine Theorie, die über eine Funktion spricht, ohne diese anzugeben? Mangels faktischer Behauptung kann man die Funktion noch nicht mal kritisieren. Ohne konkrete Aussage ist Utilitarismus ziemlich zahnlos.

Utilitarismus ist eine Art Meta-Ethik und gleichzeitig ein Sammelbegriff für verschiedene Nutzenfunktionen. Um zu einer praktischen Ethik oder einem demokratischen System zu kommen, müssen natürlich konkrete Nutzenfunktionen betrachtet werden. Und genau das wird auch gemacht. Auf kleineren, leichter formalisierbaren Teilgebieten (z.B. faire Wahlen) gibt es das schon lange.

Die Anwendung auf faire Wahlen leuchtet mir ein.

Jetzt könnte ich lästern und sagen: wie gut das funktioniert, sieht man daran, daß Bundesverfassungsgericht und die Landesgerichte hin- und wieder mal unfaire Wahlgesetze kassieren.

Formalisierbarkeit ist ein gutes Stichwort. Was unterscheidet den üblichen demokratischen Diskurs von einer Entscheidungsfindung per Utilitarismus? Die Diskussion über einzelne Parameter der Nutzenfunktion würde sich vielleicht gar nicht so sehr vom jetzigen Zustand unterscheiden.


step hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Da stellt sich mir die Frage, was unterscheidet diesen Utilitarismus noch von dem Interessenausgleich, wie er in modernen Gesellschaft versucht wird?

Ja, diese Versuche enthalten bereits einiges an utilitaristischer Idee. Nur leider sind die Interessen bei uns nicht ausgeglichen berücksichtigt. Im allgemeinen kann ein ökonomisch armer Mensch bei uns weniger seiner wichtigsten Interessen durchsetzen als ein ökonomisch reicher.

Ob die Mächtigeren ihre Macht abgeben werden, nur weil eine utilitaristische Idee das fordert?


step hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Also wird früher oder später jemand kommen und sagen: "Hallo! Ich bin euch durch's Quantil gefallen."

Das sehe ich anders.

Solange es sich um eine individuelle Präferenz handelt, die viele Andere einschränkt, ist es OK und ethisch-rational einsehbar, wenn sie "durchs Quantil fällt".

Deiner Formulierung kann ich nur zustimmen.

Meine Formulierung des "durch's Quantil fallen" hätte das Augenmerk auf die gegenteilige Situation gelegt: solange eine gesellschaftliche Präferenz das Individuum einschränkt, in Bereichen, die nur das Individuum betreffen, ist es nicht OK.

Was sagt Utilitarismus zu dieser Situation?


step hat folgendes geschrieben:
Auch im Kommunismus fallen gewisse Präferenzen gewisser - als Feinde der Arbeiterklasse markierter - Personen durchs Raster.

Die Kommunisten hatten einen Hang zur Autorität. Das hat man ihnen auch schon vor hundert Jahren vorgeworfen.

An der Stelle müßte jemand über die Geschichte der Menschewiki schreiben, der tatsächlich etwas darüber weiß. Ich belasse es dabei, das Wort fallengelassen zu haben.
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Tarvoc
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Beitrag(#1822948) Verfasst am: 10.03.2013, 23:33    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Hab die rhetorische Frege editiert.

Sehr schön. Ein Argument finde ich da aber immer noch nicht.
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- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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fwo
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Beitrag(#1822969) Verfasst am: 11.03.2013, 02:36    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Mit der Arbeitsteilung erhält die natürliche Ungleichheit der Leistungsfähigkeit plötzlich Gewicht.

Es gab sie aber auch zuvor schon. Der Stärkere oder der Attraktivere begattete mehr Weibchen, der Schlauere oder der Geschicktere kam vielleicht an besseres Essen heran, der Kranke starb usw. - es gab natürliche Ungleichheit.

Das geht gar nicht anders, das Natürliche ist die Ungleichheit und Gleichheit bedeutet immer eine Anstrengung.
Das Wesentliche an der Arbeitsteilung ist aber, dass sie gleichzeitig zu einer Bewertung der Arbeit führt und in der Konsequenz auch zu Geld, zum Eigentum als Institution, und mit dem Eigentum zu Macht als familiärer Tradition, also zu dynastischen Strukturen.

Das ist schon etwas anderes als über die persönlichen Unterschiede in jeder Generation neu auszuhandeln, wer gerade führt. Da auf der anderen Seite eine Rückkehr in diese Stufe nicht mehr möglich ist, ist es müßig, darauf hinzuweisen, dass der Kommunismus in der Steinzeit schon einmal funktioniert hat.
step hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Das irrwitzige an den Test, den smallie da erzählt, ist ja, dass die subjektive Verschiedenheit keine Illusion ist, und das nicht nur wegen dieser Feststellung:
smallie hat folgendes geschrieben:
.....Und nicht nur das: bildgebende Verfahren schienen nahezulegen, daß der vermeintliche bessere Wein, den Versuchpersonen auch besser mundetet.....

Dass die subjektive Andersbewertung sich aus einer echten Erlebnisdifferenz speist, war schon vor dem Versuch zu erwarten: Bei identischen Reizen führen unterschiedliche Erwartungen zu unterschiedlichen Empfindungen, weil es einen Einfluss der Erwartung auf die Grenzwerte der Empfindung gibt: Eine bestimmte Erwartung kann die Empfindlichkeit für das Ereignis gewaltig steigern.

Schön und gut, verstehe ich. Nur, worauf wollt Ihr hinaus? Geht es nur darum, daß es schwierig ist festzulegen, was nun eigentlich als Präferenz zählt? Der aufgeklärte Konsument könnte ja wählen, ob ihm das Erlebnis der ungeschminkten Fakten lieber ist oder das Erlebnis des Geschmacks. Ähnlich wie man etwa auch einem Arzt sagen könnte, ob man lieber die volle Diagnose wissen möchte oder nicht. Und vor allem: Was macht der sozialistische Ansatz idZ anders als der Präferenzutilitarismus?

smallie hatte seine Frage gestellt:
smallie hat folgendes geschrieben:
,,,,,
Wie baut man dieses Ergebnis in utilitaristische Überlegungen ein? Man müßte geradezu billigen Wein als teuer etikettieren, um den Genuss des Käufers zu erhöhen, bis zu dem Punkt, an dem sein persönliches Preislimit liegt. Oder wir übergehen das Meßergebnis und sagen, die Probanden leiden an geschmacklicher Dissonanz - das wäre hier problemlos möglich. Auf andere Beispiele bezogen könnte es schnell problematisch werden, klar geäußerte Präferenzen als nur eingebildet abtut......

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step
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Beitrag(#1822978) Verfasst am: 11.03.2013, 10:22    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
Das geht gar nicht anders, das Natürliche ist die Ungleichheit und Gleichheit bedeutet immer eine Anstrengung. Das Wesentliche an der Arbeitsteilung ist aber, dass sie gleichzeitig zu einer Bewertung der Arbeit führt und in der Konsequenz auch zu Geld, zum Eigentum als Institution, und mit dem Eigentum zu Macht als familiärer Tradition, also zu dynastischen Strukturen.

Das ist schon etwas anderes als über die persönlichen Unterschiede in jeder Generation neu auszuhandeln, wer gerade führt. Da auf der anderen Seite eine Rückkehr in diese Stufe nicht mehr möglich ist, ist es müßig, darauf hinzuweisen, dass der Kommunismus in der Steinzeit schon einmal funktioniert hat.

Dann sind wir uns da ja einig. Mir ging es bei meinem Einspruch vor allem gegen die Vorstellung, zwischen Steinzeitmenschen habe es kein Machtgefälle gegeben.
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Telliamed
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Beitrag(#1822979) Verfasst am: 11.03.2013, 10:27    Titel: Antworten mit Zitat

Nach 35 im realen Sozialismus verbrachten Lebensjahren, in denen man sich täglich auf Marx berief, habe ich nicht die geringste Lust zu theoretischen Debatten über in der Zukunft mögliche Gesellschaftsordnungen und einen irgendwann ausbrechenden Schub an zusätzlichem Altruismus, den ich in meinem einen Leben garantiert nicht mehr erleben werde.

Was nach 1990 einen so großen Schaden angerichtet hat, war ein unsägliches Schwarz-Weiß-Denken. Das wurde vor allem von Leuten im Innern gepflegt, die nicht anders denken konnten, wie der jetzige Bundespräsident. Der hatte aber durch seine Behörde 1991/92 für mindestens ein Jahrzehnt eine reale Macht geschaffen, alles abzubügeln, was irgendwie an alternativem Denken aus dem Osten noch kommen konnte, da nahezu jeder, der sich eigene Gedanken machte und forschte, irgendwann in seinem Leben mit diesem teuflischen real existierenden Ministerium (der Teufel in Behördengestalt) zu tun hatte. Zwei Generationen wurden in Schach gehalten, und westliches Denken setzte sich auf breiter Front durch, der Marxismus wurde nicht mehr an Universitäten gelehrt. Das war großartig organisiert, inzwischen wickelte die Treuhand die Wirtschaft durch Privatisierung ab, wodurch grandiose neue Monopole geschaffen wurden (Stromwirtschaft), vermutlich hätte sie auch gar nichts anderes tun können.

In Bausch und Bogen wurde verworfen, was in der DDR Realität geworden war, obwohl es in den 1980er Jahren eine durchaus interessierte Annäherung von westlicher Seite an die Erfahrungen der DDR gab. So kam es 1988 zu einem Austausch zwischen Pädagogen in Bamberg und Erfurt, die gemeinsam Vorzüge des finnischen Bildungswesens erörterten. 1990 kannte man die Kollegen aus dem Osten nicht mehr, die waren dann die bösen Handlanger des kommunistischen Systems, obwohl man vorher zu ihnen Kontakt aufgenommen hatte und durchaus lernwillig war.

So, nach dieser Vorrede, die mir aber notwendig erscheint, zwei Beiträge näher am Thema, aber nur aus der Praxis.

1.) In Berlin gab es bis 1990 einen Lehrstuhl an der Sektion Marxistisch-leninistische Philosophie, der erforschte, worin die Bedürfnisse der Menschen im Land bestanden. Die Lehrstuhlleiterin wurde um 1991/92 auch nicht verteufelt und gekündigt, sondern irgendwelche nüchternen Gutachter aus dem Westen hatten erkannt, dass das eigentlich eine interessante Forschungsrichtung war. Die Losung der Zeit hieß: "Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Werktätigen". Da man wusste, dass es bei den materiellen Bedürfnissen nach bestimmten Waren angesichts der Mangelwirtschaft immer zu Engpässen kommen würde, baute man die Vorstellung von den "kulturellen Bedürfnissen" aus. Die Menschen haben Bedürfnisse im unmittelbaren Lebensumfeld nach Nähe und Zuwendung, gegenseitiger Hilfe, nach Bestätigung und Anerkennung des Geleisteten, jedem nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen. Dann gab es auch Menschen, die nicht viel oder nichts "leisten" konnten. Jeder Mensch ist jedoch wertvoll für seine Menschen - das wurde damals nicht weiter vertieft und weitgehend den Kirchen überlassen, da das "Leistungsprinzip" derart beherrschend war und verinnerlicht wurde, dass man nicht wusste, wo man die Alten, Kranken und Behinderten, die anscheinend "Nutzlosen", in dieser Vorstellungswelt unterbringen sollte. Die Wende von 1989/90 befreite diese Kollegen von ihren Erklärungsnöten. Nunmehr hielt die Lehre Einzug, dass jeder Mensch wertvoll ist. Und Ihr seht, wie ein abstraktes Menschenbild, in dem das aus Mangel in einem Staatswesen mit Bürgerkrieg oder einem Betonzaun drumherum geborene "Leistungsprinzip" verabsolutiert wurde, unmenschlich zu werden drohte, bis das Staatswesen zusammenbrach.


2.) Das Zusammensein von Menschen im Wohngebiet und in Hausgemeinschaften hat es gegeben, und es war, entgegen landläufigen Meinungen, nicht nur eine Möglichkeit des Austauschs von Waren und Dienstleistungen angesichts der Mangelwirtschaft, sondern ein echtes Bedürfnis der Leute vor Ort. Und das Land war nicht nur eine einzige "Zwangsanstalt", wie Gauck, Birthler, Hubertus Knabe, der militante Prediger Arnold Vaatz und Co. weismachen wollen, sondern bot beträchtliche Freiräume für die Entfaltung der Gemeinschaft vor Ort (gemeinschaftliche Sporträume, Freizeiträume).

Wir hatten so eine Hausgemeinschaft im Osten nicht, wo man die Nachbarn nicht kannte und kaum grüßte, wohl aber nach dem Umzug in den Westen. Man traf sich regelmäßig, feierte zusammen, eine echte 'sozialistische Hausgemeinschaft' im Westen. Als die Wohnungen aber vom rot-roten Senat an eine Heuschreckenfirma verscherbelt wurden, die ganze Straßenzüge entmietete und die Mieten innerhalb weniger Jahre um 20 Prozent erhöhten, fiel die "Hausgemeinschaft" auseinander. Jede Familie prozessierte einzeln gegen die Wohnungsfirma, die hingegen in einem Pool organisiert war, während die vielen Anwälte der Mieter sich daran gesund verdienten, sich mit der Heuschreckenfirma zu vergleichen. Das Zusammenhaltsgefühl der Mieter war geschwunden, und man sah sich auf der Straße nur noch traurig an.

Nachtrag: wenn man hier über Jeremy Bentham (1748-1832) redet, dann darf man doch auch mal über das reden, was erst vor 30 Jahren in dieser Richtung Wirklichkeit geworden war. Auf den Arm nehmen
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smallie
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Beitrag(#1823151) Verfasst am: 11.03.2013, 23:39    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Mir ging es bei meinem Einspruch vor allem gegen die Vorstellung, zwischen Steinzeitmenschen habe es kein Machtgefälle gegeben.

Hier das Zitat, das weiter oben gefehlt hat.

Den letzten Absatz mit Beispielen, wie sich Gleichstellung (Egalitarianism) erzwingen läßt, habe ich übersetzt. Den Rest kann man auch überspringen, ohne Wesentliches zu verpassen. Eine Stelle erscheint mir hinterfragenswert: "he excluded obviously stratified societies". Da würde ich gerne wissen, wie das gemeint ist.


Zitat:
Unto Others
Sober, Wilson - 1998

Egalitarianism in Small-Scale Societies

Christopher Boehm is uniquely qualified to comment on the evolution of human social behaviour. He began his career as a cultural anthropologist and spent three years studying the feuding society of Montenegro. He then turned to the studoy of primates to explore the biological roots of human morality and is currently director of the Jane Goodall Research Center at the University of Southern California. In addition, he has continued to study human morality by reviewing and synthesizing ethnographies of cultures from around the world. Boehm's grasp of the anthropological literature makes our own sampling of cultures appear paltry indeed, and it is therefore gratifying that he comes to the same conclusions.

[...]

In a review of small-scale human societies, Boehm (1993) examined the ethnographic literature for "all locally autonomous small-scale communities that seemed to have a low level of ranking or stratification by class and an absence of authoritative leadership" (p. 228). From these he selected forty-eight societies that provided enough information to warrant further analysis. His survey is not a random sample and his analysis is based on qualitative interpretation rather than quantitative methods. As with our survey, however, the patterns that emerge are so strong that they will probably survive the application of more rigorous methods. In particular, the vast majority of these small-scale autonomous societies were egalitarian in character, at least in terms of interactions among adult males (see also Knauft 1991). These societies were egalitarian in character, not for a lack of a desire to become dominant, but because dominance was high on the list of behaviors considered to be immoral.

Although Boehm excluded obviously stratified societies from his sample, one might have expected the societies that he included to have displayed a range of non-egalitarian social structures. For example, one might expect a certain amount of overt competition within groups, which would lead to a strong dominance hierarchy in which a few individuals monopolize the resources. This is the most common social organization of nonhuman primates. The egalitarian nature of small human groups documented by Boehm and Knauft, therefore, is a radical departure from the social life exhibited by our own ancestors.

To enforce the ethic of egalitarianism, a society must emphasize two seemingly contradictory values. First, there must be an ethic of group welfare that causes individuals to work for the common good and avoid exploiting others (although members of other groups are fair game). Second, there must be an ethic of personal autonomy that prevents people from being told what to do. The social norms must be powerful, but they must also be agreed upon by consensus und not forced upon any member of the moral community. Abandoning personal authority opens the door to exploitation within groups.

Boehm provides many examples of behaviors and social conventions that limit status (and therefore fitness) differences within human social groups. These include gossip, criticism und ridicule, disobedience, ostracism, abandonment, and execution. The Kalahari San "cut down braggarts". Among the Hazda, "when a would-be 'chief' tried to persuade other Hazda to work for him, people openly make it clear that his efforts amused them". Among the Iban "if a chief tries to command, no one listens." Among the Nambicuara, "if a chief could not keep food in supply of was too exacting or monopolized the females, the families under him went to another band. Similarly, the Mescalero "would join other bands if their chief was dishonest, unreliable or a liar." Australian aborigines "traditionally eliminated aggressive men who tried to dominate them." In New Guinea, the "execution of a prominent individual who has overstepped his prerogatives is secretly arranged by other members of the multiclan community, who persuade the target's own kinsmen to accomplish the task.

Seite 184f.



Zitat:
Boehm gibt zahlreiche Beispiele, wie gesellschaftliche Gepflogenheiten Statusunterschiede in menschlichen Gesellschaften begrenzen. Dazu gehören Klatsch, Kritik, Spott, Ungehorsam, Verbannung, Auszug und Hinrichtung.

Die San der Kalahari "weisen Maulhelden in ihre Schranken". Unter den Hazda "wird einem Häuptling, der andere dazu anrichten möchte, für ihn zu arbeiten, öffentlich klar gemacht, daß seine Bemühungen belustigend sind." Unter den Iban "hört niemand zu, wenn ein Häuptling befiehlt." Bei den Nambicuara verlor "ein Häuptling, der die Vorrate ausgehen ließ, oder zu anspruchsvoll war, oder die Frauen für sich haben wollte, seine Untertanen an andere Stämme." Gleicher Weise schlossen sich Meskalero "anderen Stämmen an, falls ihr Häuptling unlauter, unzuverlässig oder ein Lügner war." Australische Eingeborene "beseitigten üblicherweise aggressive Menschen, die versuchten, sie zu beherrschen." In Neu Guinea, "wurde die Hinrichtung einer hervorgehobenen Person, die ihre Vorrechte überzogen hatte, im Geheimen von anderen Mitgliedern der Stammesgemeinschaften geplant. Die Ausführung der Tat wurde der Verwandtschaft des Opfers angetragen."


Noch ein Satz sei frei übersetzt:

Zitat:
These societies were egalitarian in character, not for a lack of a desire to become dominant, but because dominance was high on the list of behaviors considered to be immoral.

In diesen Gesellschaften herrschte Gleichheit, nicht aus fehlendem Bestreben, Herrscher zu werden, sondern weil Herrschaft weit oben stand auf der Liste unmoralischer Verhaltensweisen.

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Kival
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Beitrag(#1823165) Verfasst am: 12.03.2013, 01:20    Titel: Antworten mit Zitat

Das sind aber Beobachtungen heutiger Gesellschaften. Die Annahme, dass man von heutigen Gesellschaften irgendwie auf die Geselschaften der Steinzeit schließen können, macht ja vor allem auch Diamond. Das ist aber in der Anthropologie - vorsichtig gesagt - höchst umstritten. Kann das auch nochmal belegen, aber will darauf hinweisen, dass die Verbindung "heutige Stammesgesellschaften"="Steinzeitgesellschaften" keineswegs wissenschaftlicher Konsens ist.
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step
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Beitrag(#1823241) Verfasst am: 12.03.2013, 14:22    Titel: Antworten mit Zitat

@smallie: Interessante und teilweise sympathische Beispiele, ich muß zugeben, daß ich das in diesem Ausmaß nicht erwartet hätte. Dennoch: Sie zeigen nmV nicht, daß es kein Machtgefälle gab, sondern nur, daß es in einigen Gesellschaften Prozesse gab, dem Machtgefälle entgegenzuwirken bzw. es auf ein erträgliches Maß zu begrenzen.
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smallie
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Beitrag(#1823603) Verfasst am: 13.03.2013, 21:18    Titel: Antworten mit Zitat

fwo hat folgendes geschrieben:
Es hat in Steinzeitlichen Gesellschaften schon mal funktioniert hört sich so an, als könnte es nochmal funktionieren. Aber der Unterschied besteht nicht nur in der Größe der Organisationen. Das Wesentliche hat schon Marx in der Arbeitsteilung gesehen, die wir nicht werden zurückschrauben können. Diese Arbeitsteilung macht es für eine auch gefühlt gerechte Verteilung der Güter nämlich notwendig, die verschiedenen Arbeiten gegeneinander aufzurechnen. Mit der Arbeitsteilung erhält die natürliche Ungleichheit der Leistungsfähigkeit plötzlich Gewicht.

Da ist was dran. Ein gutes Gegenargument habe ich nicht. Aber zwei schlechte. Pfeifen

Ein Problem von Kommunismus und Anarchismus ist: wer macht die Drecksarbeit? Manche Theoretiker und noch mehr Science-Fiction-Autoren haben sich eine post scarcity economy ausgemalt, eine vollautomatische Wirtschaft, die für jeden genügend Güter bereitstellt. Dadurch entfiele sowohl Arbeitsteilung, wie auch Statusgewinn durch Besitz. Klingt gut; klingt aber zu gut, um wahr zu sein. Der Planet würde das nicht lange hergeben, zumindest nicht, ohne daß eine Menge technischer Utopien sich als machbar heraustellten.

Zum andere ist unsere moderne Lebensweise noch recht jung. Ich werfe mal die Eisenbahn als Zäsur in die Runde. Oder: seit ein paar Jahren leben mehr Menschen in Städten, als auf dem Land. Wir hatten also erst 150 Jahre Zeit, uns auf die neue Situation einzustellen. Das ist recht wenig, gerade mal eine handvoll Generationen, das letzte Wort ist hier noch nicht gesprochen.

Telliamed scheint meinen Beitrag vorhergesehen zu haben: zwinkern

Telliamed hat folgendes geschrieben:
Nach 35 im realen Sozialismus verbrachten Lebensjahren, in denen man sich täglich auf Marx berief, habe ich nicht die geringste Lust zu theoretischen Debatten über in der Zukunft mögliche Gesellschaftsordnungen und einen irgendwann ausbrechenden Schub an zusätzlichem Altruismus, den ich in meinem einen Leben garantiert nicht mehr erleben werde.


Telliamed hat folgendes geschrieben:
Was nach 1990 einen so großen Schaden angerichtet hat, war ein unsägliches Schwarz-Weiß-Denken.

Das spinne ich mal fort:

- wenn die Staatsquote in einem Land bei 50 Prozent liegt, darf man dieses Land zur Hälfte kommunistisch nennen?
- wenn es Konzerne gibt, mit einem Budget in Höhe eines afrikanischen Staates, zeigt das, daß auch große, geplante wirtschaftliche Einheiten möglich sind?
- darf man die Mondlandung als eine sozialistische Errungenschaft deuten?
- wenn Kommunisten im Geldsystem die Ursache des Übels finden, übersehen sie dann, daß es auch in einer Planwirtschaft Kennzahlen geben muß, die die Rohstoffzuteilung regelt?


Kival hat folgendes geschrieben:
Das sind aber Beobachtungen heutiger Gesellschaften. Die Annahme, dass man von heutigen Gesellschaften irgendwie auf die Geselschaften der Steinzeit schließen können, macht ja vor allem auch Diamond. Das ist aber in der Anthropologie - vorsichtig gesagt - höchst umstritten. Kann das auch nochmal belegen, aber will darauf hinweisen, dass die Verbindung "heutige Stammesgesellschaften"="Steinzeitgesellschaften" keineswegs wissenschaftlicher Konsens ist.

Meine politische Agenda würde nicht darunter leiden, wären egalitäre Stammesgesellschaften erst kürzlich entstanden. zwinkern

Wie Boehm und andere die Verbindung "heutige Stammesgesellschaften" = "Steinzeitgesellschaften" begründen, würde mich interessieren. Darüber weiß ich nichts. Wenn du dazu was hast, her damit.

Ich würde die Verbindung so begründen: die oben erwähnten Strategien der San, der Hazda, der Iban, ... sind naheliegend. Analoge Strategien findet man auch in der Biologie. Obwohl nicht eins zu eins übertragbar, ist die Ähnlichkeit frappierend. Die analogen Stellen habe ich gefettet:

smallie hat folgendes geschrieben:
Zitat:
there is increasing empirical support for a range of other mechanisms that enforce cooperation. These other possibilities have been termed punishment, policing, sanctions, partner switching. and partner choice.

Empirical examples include dominant female meerkats evicting subordinates that try to breed, Superb Fairy Wrens punishing subordinates that don't help, cleaner fish clients punishing and avoid cleaners who take a bite of their tissue, soybeans cutting off the supply of oxygen to rhizobia bacteria that fail to supply them with Nitrogen, a range of pollinator mutualisms where the plants abort overexploited flowers, and the policing of worker laid eggs in the social insects.

Das ist ein starkes Indiz. Natürlich muß im Einzellfall gezeigt werden, daß hier mehr als nur eine oberflächliche Analogie vorliegt.


step hat folgendes geschrieben:
Dennoch: Sie zeigen nmV nicht, daß es kein Machtgefälle gab, sondern nur, daß es in einigen Gesellschaften Prozesse gab, dem Machtgefälle entgegenzuwirken bzw. es auf ein erträgliches Maß zu begrenzen.

Darauf können wir uns einigen. Es ist müßig, darüber zu debattieren, ob eine Familie Macht ausübt, wenn sie damit droht, den Stamm zu verlassen. Ziemlich klar wird Macht angewandt, wenn man jemanden kollektiv verspottet. Völlig unstrittig ist die Ausübung von Macht beim Hinrichtungs-Zitat.

Für meine Agenda möchte ich festhalten: Hier wird Macht nur in Gegenwehr ausgeübt, nicht als Erstmaßnahme, wie es in strukturierteren Gesellschaften üblich ist.

Zitat: there must be an ethic of personal autonomy that prevents people from being told what to do. Diese Ethik ist bei uns teilweise verlorengegangen.
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Beiträge: 128

Beitrag(#1827661) Verfasst am: 27.03.2013, 15:38    Titel: Antworten mit Zitat

All die Vorteile des Utilitarismus, des Egoismus und des Altruismus verflüchtigen sich und machen den bekannten Nachteilen Platz, wenn Menschen unterschiedliche Maßstäbe benutzen für ihr Geben und Nehmen. Bis heute hat sich die menschliche Gesellschaft noch nicht auf einen allgemeingültigen Maßstab für Gerechtigkeit einigen können, weil alle glauben, die Selbsttäuschungen, mit denen die vielen Denkfehler produziert werden, hätten nur die anderen.

Würden wir die Definition nutzen, mit der die Evolution faszinierende Erfolge am laufenden Band produziert, könnten wir prinzipiell auf allen anderen Maßstäbe verzichten. Dann könnten wir auch zum Metzger gehen, mit dem Finger auf die Wurscht, das Fleisch zeigen, Geld auf die Theke legen, und wir bekämen so viel Ware, daß wir uns nie beklagen müßten.

Das aber nur zum Verdeutlichen unseres Irrsinns, "gerecht" mit "angemessen, fair" gleichzusetzen, was nicht nur Metzgern mit einem großen Messer in der Hand gestattet, sich beim Herunterschneiden auf ihre Waage zu lehnen. Denn in so großen Gesellschaften ist eine gewisse Ordnung und Rationalität dem Gemeinsinn förderlich, soweit der nicht durch Regeln beschnitten wird, die keiner mehr versteht, auch Juristen nicht, weil sie das Ziel GERECHTIGKEIT hinter allem verdrängen.

Der Utilitarismus hat sich selbst abgeschossen mit der Zielsetzung der Glücksmaximierung. Selbst Sarah Kuttner hat erkannt, daß sie keinen Dauerorgasmus schafft ... Es geht um Zufriedenheit, sonst nichts, und die erreichen nur über Konträrgefühle. Das Höhere entsteht automatisch, und Macht, die mißbraucht werden kann, durch ein Zuviel.
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