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Von den Folgen des "Magischen Denkens"

 
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Vobro
Privatnachdenker



Anmeldungsdatum: 10.11.2011
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Beitrag(#1863461) Verfasst am: 01.09.2013, 17:09    Titel: Von den Folgen des "Magischen Denkens" Antworten mit Zitat

Von den Folgen des "Magischen Denkens" - Ein Wuppertaler Mordprozess als Beispiel

Am 17. Oktober 2012 wurde in Wuppertal Barmen ein Juweliergeschäft von zwei Männern überfallen, wobei eine Verkäuferin durch zwei Pistolenschüsse getötet, eine andere durch einen Schuss lebensgefährlich verletzt wurde.
Beide Täter, wurden nach ihrer Flucht gefasst, es handelt sich um zwei Männer türkischer Abstammung im Alter von 22 u. 39 Jahren. Eigentlich sollte die Nationalität dieser beiden Männer keine besondere Erwähnung finden, alleine schon um etwaigen rassistischen Ressentiments vorzubeugen. Andererseits ist dieser Hinweis womöglich sehr entscheidend für das von den Tätern vorgelegte Tatmotiv.
Bei dem in der zurückliegenden Woche ersten Verhandlungstag dieses Mordprozesses ließ der jüngere der beiden Täter von seinem Rechtsanwalt eine geradezu unfassbare Erklärung verlesen. Darin war u.a. zu vernehmen, dass die beiden Täter Geld benötigten, damit einer von ihnen seiner Frau helfen könne. Nun könnte man an dieser Stelle trotz der Entsetzlichkeit des begangenen Verbrechens kurz innehalten und sich fragen, ob es womöglich bei einer möglichst sachlichen Betrachtung so etwas wie eine tragische Entwicklung im Hintergrund der Tat geben könne.

Was dann aber als konkreter Hintergrund verlesen wurde, ist an Ungeheuerlichkeit kaum noch zu steigern, denn, so steht es wörtlich in der verlesenen Erklärung, die Frau des einen Angeklagten sei "mit Magie beworfen worden" und seitdem "verrückt". Des weiteren heißt es, man habe "überall im Haus nach der Magie gesucht, sie aber nicht gefunden." Deshalb habe man "einen Zauberer gebraucht, der die Magie von ihr (der Ehefrau) nimmt." Dafür habe der Täter Geld gebraucht, um den Zauberer zu bezahlen. Für den anderen Täter, bei dem es sich um einen Cousin handelt sei es, so wörtlich, "eine Frage der Familienehre gewesen", bei dem Überfall zu helfen. So verabredeten die beiden Täter sich, um nach Wuppertal zu fahren, wo einer der beiden 14 Jahre lang gelebt hatte. Dort besorgten sie sich der Erklärung nach in Elberfeld zunächst Drogen ("Wir nehmen beide Heroin, Kokain und Haschisch") und fuhren nach Barmen, um das Juweliergeschäft zu überfallen.

Wie soll man eine solch groteske Erklärung kommentieren?

Zunächst könnte man sagen, dass es natürlich auch heute noch Kulturen auf der Welt gibt, in denen das magische Denken stark verwurzelt ist; wir sind global betrachtet äußerst weit davon entfernt, den Glauben an böse Geister und Dämonen und anderen Unfug überwunden zu haben. Andererseits lebten die beiden Täter immerhin seit vielen Jahren in unserer westlichen und weitestgehend aufgeklärten Kultur, so dass sie mit vernunftgelenktem Denken zumindest in Kontakt gekommen sein müssen. Demgegenüber kann natürlich nicht ausgeschlossen werden, dass der offenbar fleißig gepflegte Drogenkonsum der beiden Täter die psychotische Dimension des magischen Denkens verstärkt haben könnte.
Wie aber soll ein deutsches Gericht mit einer solchen Erklärung umgehen? Sicher scheint mir zu sein, dass Menschen, die aus solchen Motiven heraus eine Gefährdung für andere Menschen oder sich selber darstellen, natürlich umgehend in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen werden müssen.
Sollte es aber so sein, was ich durchaus für möglich halte, dass die verlesene Erklärung nur erfunden wurde, um möglicherweise auf so etwas wie verminderte Schuldfähigkeit aufgrund einer durch den Drogenkonsum verursachten zeitweisen Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren, gehören meiner Meinung nach sämtliche an einer solchen Erklärung Beteiligten ebenfalls umgehend und dringend in psychiatrische Behandlung.
Wie auch immer man die psychische Befindlichkeit der beiden Täter grundsätzlich und speziell während des Tatherganges beurteilen mag, den Opfern dieses Überfalls und deren Angehörigen ist damit in keinster Weise geholfen, ganz im Gegenteil sogar. Für Opfer eines Verbrechens kann es sich langfristig unter Umständen ein Stück weit entlastend auswirken, wenn ein echter tragischer Hintergrund einer Tat erkennbar wird, wo ein Täter selber sozusagen als das Opfer dieser tragischen Umstände erscheint. Allerdings vermag ich mir kaum vorzustellen, wie das möglich sein soll, wenn von mit "Magie beworfenen" Frauen und "Zauberern" die Rede ist. Darüber hinaus sollte man denken, wenn schon so hochtrabend von angeblicher „Familienehre“ die Rede ist, ob es nicht Ausdruck einer solchen sein könnte, auf den regelmäßigen Konsum von Drogen und den Ankauf von Schusswaffen zu verzichten, um der Frau von dem so eingesparten Geld hilfreich zur Seite zu stehen, und dann möglichst nicht durch einen vermeintlichem „Zauberer“, sondern wohl eher mit einer guten psychologischen oder psychiatrischen Behandlung.

Es wird, um über den Rahmen dieses Wuppertaler Mordprozesses hinauszugehen, allerdings deutlich, wie wichtig es ist, das magische Denken generell zu überwinden. Wie weit wir davon auch in unserer Kultur noch entfernt sind, wird besonders deutlich, wenn man immer wieder erstaunt zur Kenntnis nehmen muss, mit welch großer Ernsthaftigkeit und scheinbarer Selbstverständlichkeit nach wie vor innerhalb der christlich sich gebenden Kirchen – vornehmlich natürlich der Katholischen - vom "Heiligen Geist" die Rede ist. Wird das magische Denken, konkret der Glaube an Geister, wirklich dadurch besser, wenn es sich um vermeintlich "Heilige Geister" handelt? Wie auch immer man diese aberwitzige theologische Konstruktion innerkirchlich bewerten mag, sie führt ganz sicher nicht dazu, ein kulturelles Klima zu erzeugen, in welchem dem grotesken Aberglauben, welcher dem magischen Denken zugrunde liegt, der Nährboden dauerhaft entzogen werden kann.

Noch schlimmer wird dieser Tatbestand dadurch, dass katholischerseits Ex-Papst Ratzinger im September 2005 die Teilnehmer des „Nationalkongresses der italienischen Exorzisten“ (man glaubt kaum, dass es so etwas auch heute noch wirklich gibt!!!) dazu aufforderte, „mit ihrem wertvollen Dienst an der Kirche fortzufahren”. Auf seine bornierte Weise konsequent, ließ Ratzinger dementsprechend in der Folge rund 3000 neue Exorzisten ausbilden. - Wie ist es eigentlich wirklich um die geistige Verfassung unserer Kultur bestellt, wenn Menschen, die ein solches und erkennbar falsches Welt- und Menschenbild pflegen, nicht nur zu Päpsten gewählt, sondern auch hier in Deutschland vielfach mit vollkommen unreflektierter Verehrung bedacht werden können?
Und nochmals schlimmer fällt die Diagnose aus, wenn man zur Kenntnis nehmen muss, dass kein allgemeiner medialer Aufschrei erfolgte, als der neue Papst im März 2013 in seiner ersten Messe in der sixtinischen Kapelle freimütig erklärte, dass, wer nicht zu Christus betet, dem Teufel Wirklichkeit verleihen würde.

Das sind nicht gerade Paradebeispiele für ein aufgeklärtes Welt- und Menschenbild, dass uns von den Oberhäuptern der Katholischen Kirche und ihren willfährigen Claqueuren präsentiert wird. Natürlich behaupte ich nicht, dass das falsche Menschenbild der Kirche unmittelbar für derartige Verbrechen mitverantwortlich gemacht werden kann, wie sie in dem erwähnten Wuppertaler Mordprozess verhandelt werden, das wäre gewiss eine völlig überzogene Schlussfolgerung. Allerdings nur im Bezug zu unserer Kultur!
Denn wenn wir den Blick nach Nigeria oder andere Regionen in Südafrika richten, müssen wir seit vielen Jahren erschüttert zur Kenntnis nehmen, wie Pfingstkirchen, christliche Heils- und Freikirchen, charismatische Erweckungs- und Erneuerungsbewegungen, aber auch islamische und islamistische Glaubensbewegungen, Exorzismen und sogenannte Heilungsriten praktizieren, wobei verstärkt als Hexen verfolgte Frauen und als von Dämonen besessene Kinder als Opfer solcher Maßnahmen nicht selten zu Tode gefoltert werden.

Angesichts solcher abscheulicher Erscheinungen sollte es der immerhin größten und einflussreichsten Kirche der Welt doch ein sehr wichtiges Anliegen sein, mit aller Energie dagegen vorzugehen. Warum aber das gerade nicht geschieht, liegt auf der Hand, denn wenn die Katholische Kirche sich dem aufgeklärten Denken öffnen würde, das darin liegt, dass es keine bösen oder dämonischen Kräfte gibt, die aus einer über- oder ausserweltlichen Dimension, der Sphäre des Teufels also, von den Menschen Besitz ergreifen können, würde sie eines ihrer ursprünglichstes und wesentlichsten theologischen Fundamente aufgeben müssen. Das wirklich Schlimme aber liegt in der einfachen Erkenntnis, dass dies seit dem Beginn des Zeitalters der Aufklärung, spätestens aber mit dem Aufkommen der Psychoanalyse zu Beginn des 20. Jhs., längst hätte geschehen müssen!

Wie also ist es möglich, dass unsere vermeintlich aufgeklärte westliche Kultur eine kirchliche Institution duldet und mit sehr aufwändigen staatlichen Leistungen sogar aktiv fördert, die ein erkennbar falsches Welt- und Menschenbild nach wie vor pflegt und propagiert?

Diese Frage soll den Abschluss dieser Bemerkung markieren. Denn um einem Fortschreiten, oder gar einem Neuaufkommen des magischen Denkens in unserer Kultur entgegen zu wirken, müssen wir uns auf allen Ebenen darum bemühen, dass sich als einzig wirksames Gegenmittel ein vernunftbegründetes aufgeklärtes Denken etablieren kann. Weder esoterisch angehauchte Gemeinschaften, noch kirchliche Institution sollten es sich anmaßen dürfen, ein solches geistig fortschrittliches Denken aus ideologischen Gründen zu untergraben.
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"Es gibt so stumpfsinnige Menschen, dass jeder Gedanke, der auf der Oberfläche ihres Gehirns aufginge, sogleich aus Einsamkeit Selbstmord begehen würde." - Emile Cioran
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Ahriman
Tattergreis



Anmeldungsdatum: 31.03.2006
Beiträge: 17976
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Beitrag(#1863467) Verfasst am: 01.09.2013, 17:55    Titel: Antworten mit Zitat

Das ist dermaßen unglaublich. Ich habe auch den dringenden Verdacht, daß die beiden auf den Jagdschein aus sind.
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Tarvoc
would prefer not to.



Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44647

Beitrag(#1863498) Verfasst am: 01.09.2013, 20:32    Titel: Antworten mit Zitat

Mich interessieren eher die juristischen Implikationen. Was passiert mit dem Recht, wenn es auf ein so völlig von ihm selbst verschiedenes Weltbild trifft?
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"Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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esme
lebt ohne schützende Gänsefüßchen.



Anmeldungsdatum: 12.06.2005
Beiträge: 5667

Beitrag(#1863555) Verfasst am: 01.09.2013, 23:57    Titel: Antworten mit Zitat

Ahriman hat folgendes geschrieben:
Das ist dermaßen unglaublich. Ich habe auch den dringenden Verdacht, daß die beiden auf den Jagdschein aus sind.


Ich finde das nicht unglaublich. Ich habe in Frankreich jeden Monat einen Werbezettel von einem Zauberer im Postkasten liegen, der mir anbietet, verlorene Dinge oder Menschen durch Magie wieder zurückzubringen und ähnliches mehr.
Der angegebene Name klingt nach Einwanderer aus dem Maghreb.

In der Straßenbahn wird man mit Horoskopen auf dem Infoscreen zwangsbeglückt und manche Apotheken bieten laut Auslage "Homöopathie und Allopathie" an.
_________________
Gunkl über Intelligent Design:
Da hat sich die Kirche beim Rückzugsgefecht noch einmal grandios verstolpert und jetzt wollen sie auch noch Haltungsnoten für die argumentative Brez'n, die sie da gerissen haben.
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