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Tom der Dino registrierter User
Anmeldungsdatum: 20.07.2011 Beiträge: 3949
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(#1875238) Verfasst am: 19.10.2013, 17:38 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Was die Sache noch spannender macht. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ist die Welt bis ins kleinste gequantelt, ja sogar für die Raumzeit könnte das gelten. Aber wird dadurch die Mathematik nicht einfacher? Unendlichkeiten fallen dadurch einfach heraus und diskrete Grenzen treten an deren Stelle. Soweit ich das verstanden habe, ist die Mathematik hinter der Schleifenquantengravitation auch einfacher als die der Stringtheorien (oder M-Theorie oder wie sie alle heißen). |
Achtung: Gequantelt sind nur die (manche) Erwartungswerte. Man könnte sagen, daß es nur deshalb Quanten gibt, weil irgendwelche (kontinuierlichen) Gleichungen nur diskrete Lösungen zulassen. |
Wieder einmal bin ich raus . Meiner Erinnerung nach war die Quantelung immer schon in den Gleichungen enthalten.
Kannst du mir ein Beispiel nennen für eine kontinuierliche Gleichung mit diskreten Lösungen?
_________________ Am Anfang war ......das Experiment.
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smallie resistent!?
Anmeldungsdatum: 02.04.2010 Beiträge: 3726
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(#1875243) Verfasst am: 19.10.2013, 18:15 Titel: |
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Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Wieder einmal bin ich raus . Meiner Erinnerung nach war die Quantelung immer schon in den Gleichungen enthalten.
Kannst du mir ein Beispiel nennen für eine kontinuierliche Gleichung mit diskreten Lösungen? |
Stehende Wellen zum Beispiel.
Die Schrödingergleichung für ein Wasserstoffatom ist eine stinknormale Wellengleichung mit der Randbedingung, daß die Elektronen "stehende Wellen" sind. Da sind dann nur diskrete Lösungen möglich, eben die gequantelten Energieniveaus von Elektronen.
_________________ "There are two hard things in computer science: cache invalidation, naming things, and off-by-one errors."
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Tom der Dino registrierter User
Anmeldungsdatum: 20.07.2011 Beiträge: 3949
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(#1875247) Verfasst am: 19.10.2013, 18:29 Titel: |
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smallie hat folgendes geschrieben: | Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | Wieder einmal bin ich raus . Meiner Erinnerung nach war die Quantelung immer schon in den Gleichungen enthalten.
Kannst du mir ein Beispiel nennen für eine kontinuierliche Gleichung mit diskreten Lösungen? |
Stehende Wellen zum Beispiel.
Die Schrödingergleichung für ein Wasserstoffatom ist eine stinknormale Wellengleichung mit der Randbedingung, daß die Elektronen "stehende Wellen" sind. Da sind dann nur diskrete Lösungen möglich, eben die gequantelten Energieniveaus von Elektronen. |
Ja, natürlich, aber die Randbedingungen gehen ja in die Gleichungen mit ein. Dadurch gelangt die Quantelung ja überhaupt erst dorthin. Oder ist es nicht üblich die Randbedingungen als Teil der Gleichung aufzufassen?
_________________ Am Anfang war ......das Experiment.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1875252) Verfasst am: 19.10.2013, 18:56 Titel: |
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Tom der Dino hat folgendes geschrieben: | ... Dadurch gelangt die Quantelung ja überhaupt erst dorthin. Oder ist es nicht üblich die Randbedingungen als Teil der Gleichung aufzufassen? |
Nee, das ist anders. Die Schrödingergleichung enthält zwar das Wirkungsquantum, aber es ist dort erstmal nur eine harmlose Konstante. Nun sind aber diese Gleichungen nicht für Zahlen, sondern für Operatoren (sowas wie spezielle Matrizen). Man hat also eine DGL für die Wellenfunktion mit Operatoren, speziell mit dem Hamiltonoperator H:
Wenn man solche Gleichungen löst, sucht man nach sog. Eigenwerten bzw. Eigenvektoren, das sind Lösungen, die durch die unitäre Zeitentwicklung (die Gleichung) auf sich selbst abgebildet werden, also zeitstabil sind. Denn das sind ja genau die Observablen, z.B. der Spin.
Nun haben Eigenwertprobleme mit endlichen Matrizen aus rein mathematischen Gründen meistens diskrete Lösungen, siehe etwa
http://de.wikipedia.org/wiki/Eigenvektor
... und so kommt es zur Quantelung der Observablen. Wohlgemerkt prinzipiell unabhängig davon, ob man einen Potentialtopf hat oder nicht. Ein frei fliegendes Photon etwa kann trotzdem nicht jeden Spin annehmen.
Hitorisch war es natürlich wieder mal umgekehrt: Man fand zuerst die Quantelung und hat dann nach einer Mathematik gesucht, die solche Lösungen erzwingt. Und war dann sehr erstaunt, wie elegant das ging.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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smallie resistent!?
Anmeldungsdatum: 02.04.2010 Beiträge: 3726
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(#1875416) Verfasst am: 20.10.2013, 18:48 Titel: |
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Kival hat folgendes geschrieben: | smallie hat folgendes geschrieben: | Da kontere ich mit dem Galton Board. Gaussche Normalverteilung liegt "in der Natur der Sache".
http://youtu.be/6YDHBFVIvIs [2:25 min Video] |
(Ohne das Video gesehen zu haben, dafür habe ich keine Zeit, falls interessant bitte Inhalt schriftlich wiedergeben/zusammenfassen) |
Das Video dauert zwar nur 2 min 25 sec und nicht 2 Stunden und 25 min, ich will aber trotzdem aufschreiben, was mir dazu einfällt, denn das findet sich natürlich nicht im Video.
Galton Box
Das Galton-Brett wurde etwa um 1860 von Sir Francis Galton erdacht.
Man läßt Kugeln auf regelmäßig angeordnete Stifte fallen. Die Kugeln fallen in Behälter, die ebenfalls regelmäßig angeordnet sind. Es ergibt sich annähernd eine Normalverteilung der Kugeln in den Behältern.
Daß sich keine perfekte Verteilung einstellt, liegt nicht an einem nur näherungsweise gültigen Modell, sondern daran, daß die Kugeln und Stifte nicht perfekt sind, daß die Anordnung nicht perfekt ist, und daß der Einwurfmechanismus nicht perfekt ist.
Könnte man all diese Komponenten perfekt herstellen und anordnen, so daß die Kugeln an jedem Stift mit genau 50% nach links oder nach rechts fallen, so würde sich auch eine perfekte Verteilung ergeben. Mittels eines kleinen Tricks läßt sich die 50/50-Wahrscheinlichkeit erzwingen. Man muß nur Schalter einbauen, die die Unregelmäßigkeiten ausbügeln.
Damit ergibt sich, bei passender Anzahl von Kugeln und Stiften, genau die Binominal-Verteilung - oder in anderen Worten, eine Zeile aus dem Pascalschen Dreieck. Letztlich beschreibt die Verteilung nur die Zahl der Wege, die in einen Korb führen.
http://www.karlsims.com/marbles/
Kival hat folgendes geschrieben: | Ich finde, Du machst hier den Fehler zu übersehen, dass die mathematischen Modelle immer nur Näherungen der Realität sind. In der Natur liegt eben keine Gausssche Normalverteilung vor, sondern die Gausssche Normalverteilung ist nur eine gute Approximation der realen Verteilungen. |
Wie wir die Wirklichkeit modellieren berührt die Wirklichkeit nicht. Ob die Wirklichkeit mathematisch regelhaft strukturiert ist, hängt nicht davon ab, wie gut unsere Modellierung ist.
Kival hat folgendes geschrieben: | Das ist alleine schon deshalb der Fall, weil die G. Normalverteilung eine unendliche Zahl an Ausprägungen voraussetzt! *Wenn* die Welt eine mathematische Struktur *ist*, dann sicher nicht die vereinfachten Modelle stetiger Verteilungen, sondern irgendwelche Formen diskreter Verteilungen. |
Ein berechtigter Einwand.
Mit solch schlampiger Ausdrucksweise wie meiner kann man fürchterlich auf die Schnauze fallen. In diesem Fall, also beim Übergang von diskreter Binomialverteilung zur kontinuierlichen Normalverteilung ist die Schlamperei nicht kritisch.
Siehe:
Der Graph sieht kontinuierlich aus, auch wenn er tatsächlich auf Pixelebene diskret ist.
Bei fieseren Funktionen, wie zum Beispiel sin(1/x) für x --> 0 macht man natürlich grobe Fehler, wenn man schlampt.
_________________ "There are two hard things in computer science: cache invalidation, naming things, and off-by-one errors."
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1877415) Verfasst am: 28.10.2013, 20:50 Titel: Re: Text zur Einführung in den Naturalismus |
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So, gestern war das Buch auf meiner Leseliste oben angekommen. Da es in einem Schwung locker lesbar ist, hier meine "Rezension":
Vorab: Meine Kommentare richten sich eher an Leute, die das Büchlein selbst gelesen haben und ihre Gedanken mit Anderen abgleichen möchten. Wer eine Zusammenfassung will, kann sich besser das Inhaltsverzeichnis herunterladen. Außerdem nenne ich hier vor allem meine kritischen Einwände, die lobenden Bemerkungen spare ich mir wie üblich.
Kap. 1 - Abstrakte Gegenstände
Die Vorrede über Logik, Ontologie, Mathematik usw. behandelt zwar interessante Themen, jedoch steht das Kapitel aus der Sicht der folgenden Abschnitte etwas zusammenhanglos da. Vollmer läßt sich nicht näher darüber aus, inwiefern z.B. Ontologie überhaupt notwendig ist für eine naturalitstische Haltung, also z.B. den Positivismusstreit.
Bei einigen berechtigten Einwänden etwa gegen den Platonismus versäumt Vollmer mE den Hinweis, daß auch der Realismus diese Probleme hat: So ist die Frage, woher wir wissen können, daß der Platonist wirklich die Ideen schaut, auf ein ähnliches Problem bezüglich der Dinge und ihrer Erscheinungen beim Realisten anwendbar.
Man sieht bereits in Kap.1, daß sich bei physikalischen Themen Ungenauigkeiten einschleichen. z.B. schreibt Vollmer, daß reale Objekte "in allen Fällen Ort und Energie" hätten. Es ist unklar, ob dies überhaupt stimmt, und ob es eine Definition von Realität sein soll oder ein empirisches Faktum.
"Auch für den Naturalisten ist Metaphysik unverzichtbar; schon der Realismus ist eine metaphysische Hypothese" - den ersten Teil halte ich für falsch. Vollmer begründet ihn auch nicht weiter, und spricht sich danach für möglichst wenig Metaphysik aus.
Kap. 2 - Probleme des Realismus
Ein guter Überblick über verschiedene Sorten des Realismus. Beim ontologischen Realismus weist Vollmer darauf hin, daß es ausreiche, wenn die Dinge, die wir benennen, nur so ungefähr existieren. Allerdings begründet er nicht, warum das kein Problem für ihre echte Realität darstellt, an die der ontologische Realist ja glaubt.
Kap. 3 - Der Aufbau der Welt
Zur Frage nach der Letztbegründung der Geltung der Naturgesetze: "Eine letzte Antwort auf die Geltungsfrage gibt es [aufgrund unendlichen Regresses] nicht" ist mE mit etwas Spitzfindigkeit nicht haltbar, da hier ein möglicherweise zu Großer Geltungsbereich kausaler Modelle hereingesteckt wird.
"Da Felder ausgedehnt sind, erfordert ihre Kenntnis wesentlich mehr Information als für ein Teilchen ..." - scheint mir falsch. Ebenso die Behauptung, sog. "kontinuierliche" Größen wie Ort, Zeit, Geschwindigkeit seien reelle Zahlen - das stimmt wohl eher nur in der klassischen Physik.
"Wie sollte ein Schöpfer wissen, was erst über absoluten Zufall wirklich wird? Er müsste dann irgendwie zeitlos sein; damit würde man jedoch den Rahmen rationaler Diskussion verlassen." - Das halte ich für kein gutes Argument, siehe Blockuniversum.
Kap. 4 - Kosmologie
Daß der Naturalist teleologische Erklärungen ablehne, weil er Absichten und Ziele nur Menschen und einigen höheren Tieren zuschreibe, finde ich problematisch - er kann nicht prinzipiell ausschließen, daß es mächtige natürliche Wesen gibt.
Zu den Multiversen: "Ein viel größerer Nachteil liegt darin, daß sich die Welt fortwährend unendlich auspaltet, eine ontologisch sehr aufwändige Konstruktion" - Diese Einschätzung ist nicht zwingend: Wie wir zuvor gesehen haben, ist die Einschätzung des "ontologischen Aufwands" sehr stark an mesokosmische Gewohnheiten gebunden, etwa die, daß Materie, Energie und Identität erhalten bleiben. Diese Sichtweise muss kosmologisch nicht zutreffen. Zudem müßte der Ontologe in der Kopenhagener Deutung analog das Problem erkennen, daß der dort notwendige unendliche magische Zustandskollaps ontologisch ebenfalls "sehr aufwändig" erscheint.
Kap. 5 - Evolution
algorithmische Komplexität - "es läßt sich jedoch nie beweisen, daß es sich um die kürzeste Beschreibung handelt" - gilt nur innerhalb des formalen Systems.
Kap. 6 - Leib-Seele-Problem
Keine Einwände.
Kap. 7 - Willensfreiheit
Sehr schön, wie Vollmer den Kompatibilismus einführt ("unsere Alltagssprache ist mit libertarischen Ausdrucksweisen durchsetzt, und die möchten wir beibehalten"). IdZ bringt er ein schönes Zitat von Wolfgang Büchel, das die (kopatibilistische) WF definiert: Willensfreiheit ist die Dominanz des rationalen Steuerungssystems über das triebhaft-intuitive" - wo das wohl noch mal endet im Androidenzeitalter ... danach übrigens ein lesenswerter Kurzabschnitt über das Strafrecht
Kap. 8 - Religion
Keine Einwände.
Kap. 9 - Moral
Hier fehlen mir Hinweise auf den Zusammenhang zwischen Ethik und Spieltheorie sowie den zwischen Ethik vs. sog. Naturrecht.
Kap. 10 - Para-, Pseudowissenschaften, Esoterik
und
Zusammenfassung - was gibt es für den Naturalisten alles nicht?
Keine Einwände.
Nachwort: Das Büchlein ist hervorragend kompakt und empfehlenswert. Meine Einwände sind meist eher geringfügiger Natur und könnten relativ leicht korrigiert werden. Ein Problem sehe ich darin, daß es von der Sprache zwar allgemeinverständlich ist, allerdings vom Inhalt her letztlich nur für Leute, die sich sowohl mit Wissenschaft wie auch mit Philosophie bereits befaßt haben.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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smallie resistent!?
Anmeldungsdatum: 02.04.2010 Beiträge: 3726
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(#1877470) Verfasst am: 28.10.2013, 23:41 Titel: Re: Text zur Einführung in den Naturalismus |
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step hat folgendes geschrieben: | Kap. 4 - Kosmologie
Daß der Naturalist teleologische Erklärungen ablehne, weil er Absichten und Ziele nur Menschen und einigen höheren Tieren zuschreibe, finde ich problematisch - er kann nicht prinzipiell ausschließen, daß es mächtige natürliche Wesen gibt. |
Kurze Zwischenfrage:
Ist es ein teleologischer Ansatz, wenn ich sage, daß alle System versuchen, den Zustand niedrigster Energie einzunehmen?
step hat folgendes geschrieben: | "Da Felder ausgedehnt sind, erfordert ihre Kenntnis wesentlich mehr Information als für ein Teilchen ..." - scheint mir falsch. |
In der Tat. Feynman schreibt in The Character of Physical Laws daß sich F = GmM/r² auch als Feld darstellen läßt, und daß diese beiden Beschreibungen äquivalent seien zu obiger "teleologischen" Darstellung.
Weiter schreibt er:
Zitat: | Do not keep saying to yourself, if you can possibly avoid it, "But how can it be like that?" because you will get "down the drain," into a blind alley from which nobody has yet escaped. Nobody knows how it can be like that. |
Das ist dann, im Jahre 2013, die Frage: warum genügen Elementarteilchen gewissen Symmetrien? Niemand weiß es. So schnell werden wir es auch nicht erfahren, falls überhaupt je.
_________________ "There are two hard things in computer science: cache invalidation, naming things, and off-by-one errors."
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Myron Mereoplethyntikologe
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3632
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(#1877478) Verfasst am: 29.10.2013, 00:04 Titel: |
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Mein Senf:
Es ist klar, dass Vollmers 90-seitiges Büchlein nur eine Skizze eines umfassenden naturalistischen Weltbildes sein kann. Komplizierte Spezialthemen wie das Leib-Seele-Problem, die Willensfreiheit und die Moral lassen sich nicht angemessen und tiefschürfend auf wenigen Seiten abhandeln. Das ist aber gar nicht Vollmers Absicht, sodass man ihm daraus keinen Vorwurf machen kann. Er betrachtet sein Büchlein als einen knappen "Katechismus des Naturalismus" (S. 9). Mit dem allgemeinen philosophischen Tenor seiner Aussagen bin ich als Naturalist völlig einverstanden; aber es kommen einzelne Äußerungen vor, die ich so nicht unterschreiben würde. Vollmer ist sich dessen bewusst, dass "sich Naturalisten nicht in allen Fragen einig [sind]" (S. 10), und dass "also letztlich der Naturalismus des Autors [dargestellt wird] – allerdings in der Hoffnung, den Auffassungen vieler weiterer Naturalisten gerecht zu werden" (S. 10).
– Kapitel 1: Logik&Mathematik.
Es gibt eine ganze Reihe von Theorien innerhalb der Philosophie der Logik/Mathematik, aber aus Vollmers Aussagen dazu geht klar hervor, dass sich der Naturalismus nicht mit dem logisch-mathematischen Platonismus verträgt. Naturalisten sind Nominalisten in Bezug auf abstrakte Objekte.
Siehe:
http://plato.stanford.edu/entries/nominalism-mathematics/
http://plato.stanford.edu/entries/nominalism-metaphysics/
– Kapitel 2: Realität und Wahrheit
Gegen seine Verteidigung des Realismus und seine korrepondenztheoretische Auffassung von Wahrheit habe ich nichts einzuwenden. In meinen Augen ist insbesondere der physikalische Realismus ein wesentlicher Teil des Naturalismus: Es gibt eine ontisch irreduzible physische Realität, die weder mit einer (rein) psychischen oder einer (rein) abstrakten Realität identisch ist.
– Kapitel 3: Naturgesetze und Determinismus
Der Naturalismus schließt per se weder den Determinismus noch den Indeterminismus ein.
In diesem Punkt sind sich wohl alle Naturalisten einig. Vollmer glaubt an objektive Zufälle, worunter er ursachenlose Ereignisse versteht. "Der Naturalist geht davon aus, dass es objektiven Zufall gibt" (S. 34). Als Beispiel führt er den radioaktiven Zerfall von Atomkernen an. Diese Meinung ist jedoch unter den Naturalisten umstritten, und auch ich bezweifle, dass Fälle von spontanem radioaktiven Zerfall wirklich ursachenlos sind. (Hier spielt natürlich die Bedeutung des Ursachenbegriffs eine maßgebliche Rolle.)
– Kapitel 4: Kosmologie
Zur Frage der Möglichkeit einer außerweltlichen Welterklärung schreibt Vollmer u.a.:
"Außerweltliches kann es schon aus begrifflichen Gründen nicht geben; denn die Welt umfasst ja schon alles, was es gibt. Das ist aber so leicht zu sehen, dass es sich dabei nicht wirkich um eine tiefe Frage handelt und dass deshalb auch keine tiefe Antwort zu erwarten ist" (S. 47)
Wenn "die Welt" als "die Gesamtheit des Seienden" definiert wird, dann können natürlich auch Theisten keine Gesamterklärung der Welt liefern, da ihr Gott Teil der zu erklärenden Gesamtwelt ist. Und wenn, wie die Naturalisten glauben, die natürliche Welt die ganze Welt ist, dann kann es keine ursächliche Gesamterklärung von ihr geben.
– Kapitel 5: Evolution
Passt schon. Er reißt die Themen Emergentismus vs. Reduktionismus und Teleologie vs. Teleonomie an. "Der moderne Naturalismus ist evolutionär: Er anerkennt das evolutionäre Gewordensein für alle realen Systeme, auch für den Kosmos als Ganzes" (S. 48 )
Das Werden des Kosmos als Ganzen könnte aber ein ewiges Werden ohne Anfang in der Vergangenheit sein.
Wenn er schreibt, dass der Naturalist teleologische Erklärungen ablehne, dann ist die folgende Unterscheidung zwischen "Teleomentalismus" und "Teleonaturalismus" bedeutsam: http://plato.stanford.edu/entries/teleology-biology/
– Kapitel 6: Leib-Seele-Problem
"Der Naturalist neigt zur Identitätstheorie" (S. 58 ) – Nein, der Naturalist tut das nicht. Nicht einmal alle Materialisten unter den Naturalisten vertreten die psychophysische Identitätstheorie. Außerdem schreibt er, dass Naturalisten die Frage nach der Möglichkeit von Zombies (im philosophischen Sinn) verneinen. – Nein, das tun nicht alle. Das derzeit bekannteste Gegenbeispiel ist der naturalistische Dualismus von David Chalmers. Man beachte, dass es sich dabei nicht um eine Form von Substanzdualismus, sondern um eine Form von Attributsdualismus handelt. Chalmers glaubt nicht an spirituelle Substanzen (Seelen/Geister). (Wenn er es täte, dann wäre sein Dualismus nicht mehr naturalistisch.)
Der (nicht einfach mit dem Materialismus gleichgesetzte) Naturalismus ist durchaus mit dem Attributs-/Eigenschaftsdualismus sowie mit dem Panpsychismus vereinbar.
– Kapitel 7: Willensfreiheit
Was dieses Thema betrifft, so können sich Naturalisten entweder für den Kompatibilismus oder den Inkompatibilismus entscheiden. Was sicher nicht mit dem Naturalismus vereinbar ist, ist die (fast nur von theistischen Moralphilosophen vertretene) Auffassung, dass wir über einen freien Willen im folgenden, libertären Sinn verfügen:
"[E]ach of us, when we act, is a prime mover unmoved. In doing what we do, we cause certain events to happen, and nothing—or no one—causes us to cause those events to happen."
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"Wenn wir handeln, ist jeder von uns ein unbewegter Erstbeweger. Indem wir tun, was wir tun, bewirken wir den Eintritt bestimmter Ereignisse, und nichts – oder niemand – bewirkt, dass wir den Eintritt jener Ereignisse bewirken."
(Chisholm, Roderick M. On Metaphysics. Minneapolis, MN: University of Minnesota Press, 1989. p. 12)
– Kapitel 8: Religion.
Passt schon. Allerdings missfällt mir seine Definition von "Atheist": "Der Atheist...behauptet, Gott oder Götter gebe es nicht" (S. 70). Das tun alle positiven Atheisten – die ich lieber als Antitheisten bezeichne –, aber nicht alle negativen Atheisten.
– Kapitel 9: Moral
Drei Seiten dazu sind natürlich äußerst magere Kost.
– Kapitel 10: Para- und Pseudowissenschaften, Esoterik
Passt. Enthält eine hilfreiche Auflistung.
Fazit:
Als preiswerte und auch für Nichtakademiker gut verständliche Einstiegslektüre in die naturalistische Thematik ist Vollmers Büchlein durchaus brauchbar und lesenswert. Da es derzeit auf dem deutschsprachigen Buchmarkt sonst nichts Vergleichbares gibt, bin ich für die Veröffentlichung dankbar. Ich hoffe allerdings auf weitere und noch bessere deutschsprachige (oder ins Deutsche übersetzte) Bücher über den philosophischen Naturalismus. Was ich bemängele, ist, dass Vollmers Büchlein am Schluss keine ausgewählten Literaturempfehlungen für Interessierte enthält, die sich eingehender mit dem Naturalismus als Weltanschauung befassen wollen. In den Anmerkungen kommen lediglich Literaturhinweise zu den spezielleren Kapitelthemen vor.
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Myron Mereoplethyntikologe
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3632
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(#1877486) Verfasst am: 29.10.2013, 00:11 Titel: Re: Text zur Einführung in den Naturalismus |
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step hat folgendes geschrieben: |
Kap. 4 - Kosmologie
Daß der Naturalist teleologische Erklärungen ablehne, weil er Absichten und Ziele nur Menschen und einigen höheren Tieren zuschreibe, finde ich problematisch - er kann nicht prinzipiell ausschließen, daß es mächtige natürliche Wesen gibt. |
Solche Wesen wären höhere Tiere.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1877491) Verfasst am: 29.10.2013, 00:40 Titel: Re: Text zur Einführung in den Naturalismus |
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smallie hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Kap. 4 - KosmologieDaß der Naturalist teleologische Erklärungen ablehne, weil er Absichten und Ziele nur Menschen und einigen höheren Tieren zuschreibe, finde ich problematisch - er kann nicht prinzipiell ausschließen, daß es mächtige natürliche Wesen gibt. | Kurze Zwischenfrage: Ist es ein teleologischer Ansatz, wenn ich sage, daß alle System versuchen, den Zustand niedrigster Energie einzunehmen? |
Naja - die Formulierung ist teleologisch, da sie eine Absicht suggeriert ("versucht"). Aber der Inhalt nicht, da man Deine Aussage in eine rein naturgesetzliche übersetzen könnte.
smallie hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | "Da Felder ausgedehnt sind, erfordert ihre Kenntnis wesentlich mehr Information als für ein Teilchen ..." - scheint mir falsch. | In der Tat. Feynman schreibt in The Character of Physical Laws daß sich F = GmM/r² auch als Feld darstellen läßt, und daß diese beiden Beschreibungen äquivalent seien zu obiger "teleologischen" Darstellung. |
Genau, so isses. Wundert mich, daß Vollmer das nicht weiß, er ist (auch) Physiker.
smallie hat folgendes geschrieben: | Weiter schreibt er:
Zitat: | Do not keep saying to yourself, if you can possibly avoid it, "But how can it be like that?" because you will get "down the drain," into a blind alley from which nobody has yet escaped. Nobody knows how it can be like that. | Das ist dann, im Jahre 2013, die Frage: warum genügen Elementarteilchen gewissen Symmetrien? Niemand weiß es. So schnell werden wir es auch nicht erfahren, falls überhaupt je. |
Ja, oder die ausgefrorenen Werte der Naturkonstanten.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1877492) Verfasst am: 29.10.2013, 00:42 Titel: Re: Text zur Einführung in den Naturalismus |
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Myron hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Kap. 4 - Kosmologie
Daß der Naturalist teleologische Erklärungen ablehne, weil er Absichten und Ziele nur Menschen und einigen höheren Tieren zuschreibe, finde ich problematisch - er kann nicht prinzipiell ausschließen, daß es mächtige natürliche Wesen gibt. | Solche Wesen wären höhere Tiere. |
Dann finde ich seine Terminologie unlogisch. Denn dann wären Menschen doch erst recht höhere Tiere.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1877496) Verfasst am: 29.10.2013, 00:51 Titel: |
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@Myron: Dem meisten stimme ich mehr oder weniger zu, nur mit dem Attributsdualismus, der kein Dualismus ist und echte Unterschiede zwischen Menschen und Zombies ermöglicht, habe ich ein Problem. Aber das ist vielleicht OT hier.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Myron Mereoplethyntikologe
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3632
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(#1877499) Verfasst am: 29.10.2013, 00:58 Titel: Re: Text zur Einführung in den Naturalismus |
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step hat folgendes geschrieben: |
Dann finde ich seine Terminologie unlogisch. Denn dann wären Menschen doch erst recht höhere Tiere. |
Für mich als Naturalisten sind Menschen Tiere: "Menschen und einige andere höhere Tiere..."
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Myron Mereoplethyntikologe
Anmeldungsdatum: 01.07.2007 Beiträge: 3632
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