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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#191037) Verfasst am: 10.10.2004, 20:31 Titel: Kriterien für Wirklichkeit |
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Hallo zusammen,
angeregt durch den Streit zwischen Realismus und radikalem Konstruktivismus möchte ich nochmal explizit die Frage nach unseren Kriterien für Wirklichkeit stellen. Wann bezeichnen wir etwas als wirklich?
Ich habe in diesem Zusammenhang meine Meinung etwas verschoben, von meiner früheren Definition basierend auf wahrnehmungsorientierter Kohärenz und Modellierbarkeit hin zu einer eher engeren informationstheoretischen Operationalisierung.
Aus meiner Sicht trifft es das folgende ganz gut:
Zitat: | Wenn eine Größe nach der einfachsten Erklärung komplex und autonom ist, dann bezeichnen wir sie als wirklich. |
nach der einfachsten Erklärung komplex: Unsere Erklärungen für eine hinreichend komplexe Größe würden verkompliziert, wenn wir diese Größe nicht für wirklich halten. Deswegen halten wir z.B. die Planenten für wirklich, weil wir sonst viel kompliziertere Erklärungen für kosmische Planetarien, Engel oder sowas finden müßten.
autonom: Die Größe bezieht ihre Komplexität nicht von anderer Seite. Nur komplex reicht nicht, sonmst würde man bspw. ein Spiegelbild für wirklich halten. (Natürlich ist die Illusion selbst wiederum wirklich in diesem Sinne.)
Etwas informationstheoretischer ausgedrückt, und den Bezug zur VR verdeutlichend:
Zitat: | Wenn umfassende Berechnungen nötig sind, damit wir die Illusion haben, eine bestimmte Größe sei wirklich, dann bezeichnen wir diese Größe als wirklich. |
Ich denke, der radikale Konstruktivismus ist mit dieser Definition nicht mehr vereinbar, denn ...
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Mit "wirklicher" ist der Versuch gemeint, die Widersprüche innerhalb des Kontexts der gedanklichen Konstrukte zu minimieren. Diese Widersprüche nennt der Naturwissenschaftler Probleme und freut sich deshalb. |
...scheitert am Komplexitätskriterium.
Was sind Eure Kriterien, um etwas als wirklich zu bezeichnen?
gruß/step
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Reschi registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.09.2004 Beiträge: 3073
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(#191044) Verfasst am: 10.10.2004, 20:38 Titel: |
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Solange ich es nicht sehen kann ist es nicht wirklich
_________________ You're not fanatical about something that you are sure about
(MacYoung)
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#191048) Verfasst am: 10.10.2004, 20:39 Titel: |
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Reschi hat folgendes geschrieben: | Solange ich es nicht sehen kann ist es nicht wirklich  |
Ja, für den Anfang schon ganz gut!
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Reichsbedenkenträger wechselhaft
Anmeldungsdatum: 13.07.2004 Beiträge: 1089
Wohnort: S-H
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(#191061) Verfasst am: 10.10.2004, 20:54 Titel: |
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Mann step, Du hast ja einen Haufen Fremdworte gelernt.
Aber ich versuchs mal als Normaldenkender zu formulieren.
Als wirklich im Sinne von real existierend sehe ich alles, was durch die Meßtechnik nachweisbar ist.
Die menschliche Wahrnehmung ist als Existensbeweis unzureichend, da z.B. durch Fehlwahrnehmungen, Halluzinationen ect. unzuverlässig.
Vielfach sind Dinge auch mit den menschlichen Sinnen nicht wahrnehmbar, aber dennoch existent. z.B. Strahlung
Man könnte sich auf Einstein berufen und alles, was eine Masse und demzufolge auch Energie hat als existent einstufen.
Der Nachweis der vorhandenen Masse wäre wiederum Aufgabe der Meßtechnik.
_________________ Wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein.
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Wygotsky registrierter User
Anmeldungsdatum: 25.01.2004 Beiträge: 5014
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(#191073) Verfasst am: 10.10.2004, 21:13 Titel: |
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Reichsbedenkenträger hat folgendes geschrieben: | Mann step, Du hast ja einen Haufen Fremdworte gelernt.
Aber ich versuchs mal als Normaldenkender zu formulieren.
Als wirklich im Sinne von real existierend sehe ich alles, was durch die Meßtechnik nachweisbar ist.
Die menschliche Wahrnehmung ist als Existensbeweis unzureichend, da z.B. durch Fehlwahrnehmungen, Halluzinationen ect. unzuverlässig.
Vielfach sind Dinge auch mit den menschlichen Sinnen nicht wahrnehmbar, aber dennoch existent. z.B. Strahlung
Man könnte sich auf Einstein berufen und alles, was eine Masse und demzufolge auch Energie hat als existent einstufen.
Der Nachweis der vorhandenen Masse wäre wiederum Aufgabe der Meßtechnik. |
Ein Messgerät stellt den Messwert in sinnlich wahrnehmbarer Form dar. Insofern stellt sich auch beim Messen die Frage nach der Verlässlichkeit oder Wirklichkeit sinnlicher Wahrnehmung.
Zum anderen ist die Frage, ob das Messen nicht eine eigene Form der Wirklichkeitskonstruktion ist. Wir messen bestimmte Eigenschaften der Wirklichkeit, die für uns damit wirklich werden. Andere Eigenschaften, die für uns nicht messbar sind, existieren für uns auch nicht.
Insofern bleibt auch beim Messen die Frage, was wirklich ist.
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Reichsbedenkenträger wechselhaft
Anmeldungsdatum: 13.07.2004 Beiträge: 1089
Wohnort: S-H
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(#191080) Verfasst am: 10.10.2004, 21:21 Titel: |
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Ihr wollt darauf hinaus, das wir evtl. alle auf einem riesigen Holodeck leben und eigentlich gar nicht wirklich existent sind.
Auch eine interessante These.
Auf geht´s, suchen wir den Ausgang.
_________________ Wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein.
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Lamarck Radikaler Konstruktivist
Anmeldungsdatum: 28.03.2004 Beiträge: 2148
Wohnort: Frankfurt am Main
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(#191086) Verfasst am: 10.10.2004, 21:28 Titel: Re: Kriterien für Wirklichkeit |
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Hi step!
step hat folgendes geschrieben: | Etwas informationstheoretischer ausgedrückt, und den Bezug zur VR verdeutlichend:
Zitat: | Wenn umfassende Berechnungen nötig sind, damit wir die Illusion haben, eine bestimmte Größe sei wirklich, dann bezeichnen wir diese Größe als wirklich. |
Ich denke, der radikale Konstruktivismus ist mit dieser Definition nicht mehr vereinbar, denn ...
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Mit "wirklicher" ist der Versuch gemeint, die Widersprüche innerhalb des Kontexts der gedanklichen Konstrukte zu minimieren. Diese Widersprüche nennt der Naturwissenschaftler Probleme und freut sich deshalb. |
...scheitert am Komplexitätskriterium. |
Der beabsichtigte Ansatz gefällt mir. Jedoch: Je komplexer ein System ist, desto schwieriger ist es aufrechtzuerhalten, wenn nicht gleichzeitig 'stabilisierende Elemente' hinzutreten (sprich: Ein System stabilisiert sich dadurch selber, dass es inhärent Freiheitsgrade reduziert). Und die genannten Minimierungen von Widersprüchen lassen sich demzufolge als Stabilisierungsversuche ansehen. Insofern ist Dein Komplexitätskriterium für ein Scheitern von radikalkonstruktivistischen Positionen nicht hinreichend. Dein VR-Satz scheint sich mir übrigens auch nicht auf eine bloße Größe reduzieren zu lassen.
Cheers,
Lamarck
_________________ „Nothing in Biology makes sense, except in the light of evolution.” (Theodosius Dobzhansky)
„If you can’t stand algebra, keep out of evolutionary biology.” (John Maynard Smith)
„Computers are to biology what mathematics is to physics.” (Harold Morowitz)
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#191118) Verfasst am: 10.10.2004, 22:07 Titel: Re: Kriterien für Wirklichkeit |
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Lamarck hat folgendes geschrieben: | Der beabsichtigte Ansatz gefällt mir. Jedoch: Je komplexer ein System ist, desto schwieriger ist es aufrechtzuerhalten, wenn nicht gleichzeitig 'stabilisierende Elemente' hinzutreten (sprich: Ein System stabilisiert sich dadurch selber, dass es inhärent Freiheitsgrade reduziert). Und die genannten Minimierungen von Widersprüchen lassen sich demzufolge als Stabilisierungsversuche ansehen. Insofern ist Dein Komplexitätskriterium für ein Scheitern von radikalkonstruktivistischen Positionen nicht hinreichend. |
Willst Du damit sagen, die Theorie einer Planetenbahn sei im Radikalen Konstruktivismus weniger komplex als im Realismus, obwohl die Ebene des Konstruierens dazukommt? Irgendwo hast Du mal geschrieben, gewisse "Strukturen" erzwängen bestimmte Konstrukte (oder so ähnlich). Ist es nicht daher so, daß der RK - zusätzlich zu seinen spezifischen Hypothesen - wieder bei denselben "effektiven Theorien" landet wie der hyp. Realismus? Ähnlich (nur subtiler) wie wenn jemand behauptet, das Gravitationsgesetz gelte nicht wirklich, sondern jemand lasse es nur ganz genauso aussehen, als ob es gälte. Meines Erachtens würde dies das Komplexitätskriterium verletzen.
Lamarck hat folgendes geschrieben: | Dein VR-Satz scheint sich mir übrigens auch nicht auf eine bloße Größe reduzieren zu lassen. |
Habe länger überlegt, was Du damit meinen könntest, bin aber leider auf keinen grünen Zweig gekommen ...
gruß/step
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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shiningthrough deaktiviert
Anmeldungsdatum: 08.11.2003 Beiträge: 1099
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(#191185) Verfasst am: 10.10.2004, 22:57 Titel: |
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Zitat: | Solange ich es nicht sehen kann ist es nicht wirklich |
Nicht wirklich für den Autor dieses Satzes - hingegen aber möglicherweise wirklich für einen anderen Beobachter.
Alles existiert nur kraft der Benennung - nichts existiert aus sich heraus.
Diese Erkenntnis aus der höchsten Lehrmeinung des Buddhismus hörte ich auch schon woanders in einem anderen kulturellen Kontext:
"Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Dies war im Anfang bei Gott.
Durch dieses ist alles geworden, und ohne es ward nichts von dem, was geworden ist."
Wie sich das doch alles ähnelt - verblüffend!
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nickchanger auf Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 07.06.2004 Beiträge: 1753
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(#191224) Verfasst am: 11.10.2004, 00:45 Titel: |
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grundsätzlich müsste man skeptiker sein (eventuell mit nem hang zum solipsismus, wobei der ja eigentlich zuviele annahmen trifft), und ausser der eigenen bewusstseinsexistenz nichts für wirklich halten.
ich halte das aber einfach nicht für umsetzbar.
natürlich können wir nicht beweisen, dass es sicherer ist einen lift zu benutzen, als aus dem 5. stock zu hüpfen (wir können ja nichtmal die existenz des hauses beweisen). aber wenn der skeptizismus so umgesetzt wird, dann löst die evolution sein problem
also halte ich eben schon das meiste was ich im zustand des wachseins (sofern es diesen gibt) sehe für real. am schönsten ist es, wenn sich das ganze auch noch mit dem was wir vernunft und logik nennen nachvollziehen oder wissenschaftlich "beweisen" lässt.
das ist vielleicht intellektuell nicht die redlichste auffassung, aber eine praktikable
_________________ RKK, Mafiosi, Kinderschänder, Hetzer, Massenmörder
-
den Zusammenhang kennt jeder hier, drum bleibt er unausgesprochen!
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Klaus-Peter auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 10.01.2004 Beiträge: 1534
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(#191228) Verfasst am: 11.10.2004, 00:57 Titel: Re: Kriterien für Wirklichkeit |
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Hallo Step,
step hat folgendes geschrieben: | angeregt durch den Streit zwischen Realismus und radikalem Konstruktivismus möchte ich nochmal explizit die Frage nach unseren Kriterien für Wirklichkeit stellen. Wann bezeichnen wir etwas als wirklich? |
ich denke, der Ansatz ist schon von vornherein daneben. Ich brauche diese ganzen Kopfstände nicht, weil ich nichts problematisieren muss, was nicht problematisch ist. Es gibt eine Realität. Punkt. Fertig.
Ich brauche auch kein Kriterium, um etwas als wirklich bezeichnen zu können. Ich habe einen "Begriff" von Wirklichkeit. Ich weiss was das ist. Das reicht. Ich brauche keine Definition, und kein Kriterium.
Dass Du solche Kopfstände machen musst, zeigt bereits, wie sehr Dein formalistischer Ansatz gegenüber einem Realismus im Nachteil ist.
Gruss
KP
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nickchanger auf Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 07.06.2004 Beiträge: 1753
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(#191255) Verfasst am: 11.10.2004, 06:45 Titel: Re: Kriterien für Wirklichkeit |
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Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Hallo Step,
step hat folgendes geschrieben: | angeregt durch den Streit zwischen Realismus und radikalem Konstruktivismus möchte ich nochmal explizit die Frage nach unseren Kriterien für Wirklichkeit stellen. Wann bezeichnen wir etwas als wirklich? |
ich denke, der Ansatz ist schon von vornherein daneben. Ich brauche diese ganzen Kopfstände nicht, weil ich nichts problematisieren muss, was nicht problematisch ist. Es gibt eine Realität. Punkt. Fertig.
Ich brauche auch kein Kriterium, um etwas als wirklich bezeichnen zu können. Ich habe einen "Begriff" von Wirklichkeit. Ich weiss was das ist. Das reicht. Ich brauche keine Definition, und kein Kriterium.
Dass Du solche Kopfstände machen musst, zeigt bereits, wie sehr Dein formalistischer Ansatz gegenüber einem Realismus im Nachteil ist.
Gruss
KP |
das ist auch ein sehr praktischer ansatz
aber wie schliesst du irrtümer aus? du hast dich sicher schonmal getäuscht oder?
_________________ RKK, Mafiosi, Kinderschänder, Hetzer, Massenmörder
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den Zusammenhang kennt jeder hier, drum bleibt er unausgesprochen!
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Klaus-Peter auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 10.01.2004 Beiträge: 1534
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(#191290) Verfasst am: 11.10.2004, 10:48 Titel: Re: Kriterien für Wirklichkeit |
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nickchanger hat folgendes geschrieben: |
das ist auch ein sehr praktischer ansatz
aber wie schliesst du irrtümer aus? du hast dich sicher schonmal getäuscht oder? |
Überhaupt nicht. Man kann Irrtümer nicht ausschliessen. Man kann seine Hypothesen nur möglichst kritisch prüfen, wenn etwas alle Prüfungen besteht, und trotzdem falsch ist, habe ich Pech gehabt. Dann kann es sein, dass ich etwas Falsches jahrhundertelang für wahr halte (Bsp: Newtons Gravitationstheorie). Vermutlich ist so ziemlich alles, was wir heute glauben, letztlich falsch. Aber wir haben halt nichts Besseres, müssen also damit leben.
Eine ethische Forderung, die sich daraus ableitet: Weil ich mich irren kann, muss ich auch die Folgen möglicher Irrtümer in meine Entscheidungen, was zu tun ist, einbeziehen. (Beispiele: Treibhausgase, CO2, Kernkraftwerke, ...) und womöglich Dinge bleiben lassen, bei denen ich mir sicher bin, dass nichts passiert, bei dem aber die Folgen eines Irrtums nicht tolerierbar wären.
Was den Realismus betrifft: Falls mal, während eine schöne Frau auf mir sitzt, statt der erwartetenn Wonnen plötzlich ein Schrift vor meinem Auge erscheint: "Game Over, Please insert Coin", dann werde ich wohl anfangen, am Realismus zu zweifeln.
Gruss
KP
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Reschi registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.09.2004 Beiträge: 3073
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(#191351) Verfasst am: 11.10.2004, 14:00 Titel: |
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Es ist unmöglich zu definieren, was Wirklichkeit ist, da wir es nicht wissen können.
Insofern hat hier der Solipsismus wirklich seine Berechtigung.
Alles wäre möglich !
Die phsyikalischen Gesetze etc. etc. sind ja auch nur eine Warnehmung und Interpretation des Menschen.
Ob es wirklich so ist, dass die Schwerkraft den Apfel zu Boden fallen lässt, oder es in Warheit nicht doch ganz anders ist, können wir nicht beweisen.
Wir können ja nicht einmal beweisen, dass der Apfel auch das nächste Mal, wenn ich ihn loslasse nach unten auf den Boden fallen wird.
_________________ You're not fanatical about something that you are sure about
(MacYoung)
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fingalo registrierter User
Anmeldungsdatum: 08.09.2004 Beiträge: 337
Wohnort: Wiesbaden
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(#191361) Verfasst am: 11.10.2004, 14:20 Titel: Re: Kriterien für Wirklichkeit |
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Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | nickchanger hat folgendes geschrieben: |
das ist auch ein sehr praktischer ansatz
aber wie schliesst du irrtümer aus? du hast dich sicher schonmal getäuscht oder? |
Überhaupt nicht. Man kann Irrtümer nicht ausschliessen. Man kann seine Hypothesen nur möglichst kritisch prüfen, wenn etwas alle Prüfungen besteht, und trotzdem falsch ist, habe ich Pech gehabt. Dann kann es sein, dass ich etwas Falsches jahrhundertelang für wahr halte (Bsp: Newtons Gravitationstheorie). Vermutlich ist so ziemlich alles, was wir heute glauben, letztlich falsch. Aber wir haben halt nichts Besseres, müssen also damit leben.
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Mir scheint diese scheinbar platte Ansicht in die richtige Richtung zu gehen:
Auch der Konstruktivist (nehmen wir mal den Solipsismus aus) muss ja von einem Anlass zur Konstruktion ausgehen. Dieser Anlass (=Sinnenreiz) kann ja nicht selbst konstruiert sein. Der ist also "wirklich". Kant nennt daher in der KrV B 266 Wirklichkeit eine Kategorie der Modalität; zu den empirischen Daten des Denkens gehört, dass wirklich ist, was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt.
Daraus konstruiert das Hirn eine Umwelt, die jedenfalls so weit mit dieser kongruent ist, dass unser Überleben und Zurechtfinden gesichert ist. Das Gehirn ist aber nicht in der Lage, auf Anhieb Außenreize und Binnenreize zu unterscheiden (Halluzinationen). Dadurch kommen auch Fehlkonstruktionen zu Stande.
fingalo
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#191371) Verfasst am: 11.10.2004, 15:01 Titel: |
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KP hat folgendes geschrieben: | Ich brauche diese ganzen Kopfstände nicht, weil ich nichts problematisieren muss, was nicht problematisch ist. Es gibt eine Realität. Punkt. Fertig. ... Dass Du solche Kopfstände machen musst, zeigt bereits, wie sehr Dein formalistischer Ansatz gegenüber einem Realismus im Nachteil ist. |
In bezug auf die Realität scheinst Du eine unwissenschaftliche, unrealistische, nahezu schamanistische Einstellung zu haben. So als ob die von Dir beschworene Schöne ständig auf Dir säße und Dich am Denken hinderte. Mein Ansatz ist insbesondere dann tatsächlich im Nachteil, wenn es ums schnelle Draufhauen geht.
@fingalo: Deine (bzw. Kants) Kriterien reichen mE nicht aus, um z.B. zu entscheiden, ob die Bewegung der Sonne um die Erde wirklich ist oder nicht.
gruß/step
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Klaus-Peter auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 10.01.2004 Beiträge: 1534
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(#191385) Verfasst am: 11.10.2004, 15:52 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: |
In bezug auf die Realität scheinst Du eine unwissenschaftliche, unrealistische, nahezu schamanistische Einstellung zu haben. |
Ja, genau. "Unwissenschaftlich" ist korrekt. "Unrealistisch" natürlich nicht (das wäre ein Widerspruch in sich). "Schamanistisch" heisst nur, dass Schamenen diese Einstellung auch haben. Da würde ich mal "ja" sagen. Bezüglich meines Realismus unterscheide ich mich nicht vom Schamanen. Lediglich bezüglich der Objekte, die meine Realität bewohnen (Gespenster gehören bei mir nicht dazu).
Zitat: | So als ob die von Dir beschworene Schöne ständig auf Dir säße und Dich am Denken hinderte. Mein Ansatz ist insbesondere dann tatsächlich im Nachteil, wenn es ums schnelle Draufhauen geht. |
Ich habe noch nicht verstanden, was für ein Problem Dein Ansatz löst, das mein "schamanischer" nicht lösen könnte. In der Tat denke ich nur über problematische Dinge nach. Über unproblematische Dinge erst, wenn mir einer zeugt, wo das Problem liegt.
Zitat: | @fingalo: Deine (bzw. Kants) Kriterien reichen mE. nicht aus, um z.B. zu entscheiden, ob die Bewegung der Sonne um die Erde wirklich ist oder nicht. |
Es gibt keine Kriterien. Der Solipsismus ist unwiderlegbar. Der Realist ist an wahren Theorien über seine Welt interessiert. (Wahr im naiven Sinne des Wortes).
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Klaus-Peter auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 10.01.2004 Beiträge: 1534
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(#191399) Verfasst am: 11.10.2004, 16:07 Titel: Re: Kriterien für Wirklichkeit |
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fingalo hat folgendes geschrieben: |
Mir scheint diese scheinbar platte Ansicht in die richtige Richtung zu gehen:
Auch der Konstruktivist (nehmen wir mal den Solipsismus aus) muss ja von einem Anlass zur Konstruktion ausgehen. Dieser Anlass (=Sinnenreiz) kann ja nicht selbst konstruiert sein. |
Doch. Hier hat der Konstruktivist eindeutig recht. Auch der Sinnenreiz ist konstruiert (weil das Auge, das ihn "erzeugt" konstruiert ist). Es gibt keine theoriefreie Beobachtung. (Besser: Ich kennen niemanden der so etwas kennt). Die Wechselwirkung der Konstruktion mit der Realität kommt nur dadurch zustande, dass eine Konstruktion nicht erfolgreich ist, dass sie scheitert. Solange unsere Konstruktionen erfolgreich sind, können wir sie nicht von der Realität unterscheiden. Genau das: Die entscheidende Rolle der "Kritik", des "Scheiterns von Hypothesen" in der Erkenntnis, hat der Radikale Konstruktivist nicht verstanden.
Zitat: | Daraus konstruiert das Hirn eine Umwelt, die jedenfalls so weit mit dieser kongruent ist, dass unser Überleben und Zurechtfinden gesichert ist. Das Gehirn ist aber nicht in der Lage, auf Anhieb Außenreize und Binnenreize zu unterscheiden (Halluzinationen). Dadurch kommen auch Fehlkonstruktionen zu Stande. |
Richtig. Wir benötigen (angeborene und/oder erlernte) Kriterien, um ("wirkliche" oder besser einer externen Wirklichkeit entsprechende) Aussenreize von ("halluzinierten") Binnenreizen zu unterscheiden. Das war aber (wie ich hoffentlich richtig verstanden habe) nicht die Intention Steps, als er nach Realitätskriterien fragte.
Gruss
KP
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#191415) Verfasst am: 11.10.2004, 16:36 Titel: Re: Kriterien für Wirklichkeit |
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Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Wir benötigen (angeborene und/oder erlernte) Kriterien, um ("wirkliche" oder besser einer externen Wirklichkeit entsprechende) Aussenreize von ("halluzinierten") Binnenreizen zu unterscheiden. Das war aber (wie ich hoffentlich richtig verstanden habe) nicht die Intention Steps, als er nach Realitätskriterien fragte. |
Ja, das hast Du richtig verstanden.
gruß/step
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fingalo registrierter User
Anmeldungsdatum: 08.09.2004 Beiträge: 337
Wohnort: Wiesbaden
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(#191578) Verfasst am: 11.10.2004, 20:16 Titel: Re: Kriterien für Wirklichkeit |
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Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | fingalo hat folgendes geschrieben: |
Mir scheint diese scheinbar platte Ansicht in die richtige Richtung zu gehen:
Auch der Konstruktivist (nehmen wir mal den Solipsismus aus) muss ja von einem Anlass zur Konstruktion ausgehen. Dieser Anlass (=Sinnenreiz) kann ja nicht selbst konstruiert sein. |
Doch. Hier hat der Konstruktivist eindeutig recht. Auch der Sinnenreiz ist konstruiert (weil das Auge, das ihn "erzeugt" konstruiert ist). |
Könntest Du den Satz mal aus dem Passiv ins Aktiv bringen, damit er ein Subjekt hat?
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Es gibt keine theoriefreie Beobachtung. | Der Sinnenreiz ist keine Beobachtung. Es handelt sich um den Stromstoß, der von der Netzhaut ins Gehirn geht. Welche Theorie hat die Fliege vom Lichteinfall?
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Die Wechselwirkung der Konstruktion mit der Realität kommt nur dadurch zustande, dass eine Konstruktion nicht erfolgreich ist, dass sie scheitert. | Da sind wir uns ja einig. Nur: Das Scheitern wird wie festgestellt?
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Solange unsere Konstruktionen erfolgreich sind, können wir sie nicht von der Realität unterscheiden. Genau das: Die entscheidende Rolle der "Kritik", des "Scheiterns von Hypothesen" in der Erkenntnis, hat der Radikale Konstruktivist nicht verstanden. | Eben. denn dazu bedarf es wieder eines aliuds zur Kostruktion, an dem der Erfolg oder das Scheitern festgestellt wird. Das wird aber wiederum nur durch den Sinnenreiz vermittelt.
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Daraus konstruiert das Hirn eine Umwelt, die jedenfalls so weit mit dieser kongruent ist, dass unser Überleben und Zurechtfinden gesichert ist. Das Gehirn ist aber nicht in der Lage, auf Anhieb Außenreize und Binnenreize zu unterscheiden (Halluzinationen). Dadurch kommen auch Fehlkonstruktionen zu Stande.
...
Richtig. Wir benötigen (angeborene und/oder erlernte) Kriterien, um ("wirkliche" oder besser einer externen Wirklichkeit entsprechende) Aussenreize von ("halluzinierten") Binnenreizen zu unterscheiden. Das war aber (wie ich hoffentlich richtig verstanden habe) nicht die Intention Steps, als er nach Realitätskriterien fragte. | Aber wie auch die Antwort auf ihn ausfallen mag, sie muss sich auch dieser Frage stellen.
Außerdem denke ich, dass es keine sichere Möglichkeit gibt, Außenreize von Binnenreizen zu unterscheiden, es sei denn, sie sind in sich widersprüchlich. Das "Sehgehirn" im Hinterkopf kann nicht unterscheiden, ob das, was der Sehnerv meldet, von außen kommt, oder im Nerv entstanden ist. Wenn er auf diese Weise eine Katze fliegen sieht, dann fliegt da zunächst eine Katze. Wenn der Mensch nun zugreift, und der Tastsinn meldet, dass da nichts ist, dann entsteht ein Widerspruch, der aufzulösen ist: Halluzination, Katzengeist usw. Auf jeden Fall steht dann fest, dass entgegen dem Augenschein dort keine körperliche Katze fliegt. Das kommt durch den Widerspruch zwischen den elektrischen Strömen aus dem Sehnerv, die real etwas bestimmtes melden, und den elektrischen Strömen aus den Tast-Nerven, die real etwas Gegenteiliges melden.
Gruss
fingalo
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Brochi registrierter User
Anmeldungsdatum: 26.07.2003 Beiträge: 93
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(#191581) Verfasst am: 11.10.2004, 20:17 Titel: Re: Kriterien für Wirklichkeit |
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step hat folgendes geschrieben: |
Wenn eine Größe nach der einfachsten Erklärung komplex und autonom ist, dann bezeichnen wir sie als wirklich. |
Zitat: |
nach der einfachsten Erklärung komplex: Unsere Erklärungen für eine hinreichend komplexe Größe würden verkompliziert, wenn wir diese Größe nicht für wirklich halten. Deswegen halten wir z.B. die Planenten für wirklich, weil wir sonst viel kompliziertere Erklärungen für kosmische Planetarien, Engel oder sowas finden müßten.] |
Ist das nicht gleichbedeutend damit, die aktuell beste Theorie zur Wirklichkeit zu erklären?
(Ich fürchte ich hab's nicht verstanden)
Grüße
Brochi
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#191679) Verfasst am: 11.10.2004, 22:19 Titel: |
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Hi Brochi,
Brochi hat folgendes geschrieben: | Ist das nicht gleichbedeutend damit, die aktuell beste Theorie zur Wirklichkeit zu erklären? |
Da ist nicht nur was dran, sondern das ist ganz wesentlich! Die von mir präsentierte Definition ähnelt in der Tat dem Ansatz, die Größen in den aktuell besten Theorien für wirklich zu halten, auch wenn ich es absichtlich anders formuliert habe. Die Definition soll auch nicht wirklich etwas neues sagen, sondern etwas eigentlich Bekanntes durch ungewohnten Perspektivwechsel klarer erscheinen lassen.
Solange niemand ein standhafteres Kriterium dafür einfällt, wann wir etwas "wirklich" nennen, legt dies mE sehr schön nahe, warum Realismus (meist) praktisch ist, aber die Simulation bzw. Berechenbarkeit aber das tiefere Konzept ist.
gruß/step
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Klaus-Peter auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 10.01.2004 Beiträge: 1534
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(#191703) Verfasst am: 11.10.2004, 22:44 Titel: Re: Kriterien für Wirklichkeit |
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fingalo hat folgendes geschrieben: | Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Auch der Sinnenreiz ist konstruiert (weil das Auge, das ihn "erzeugt" konstruiert ist). |
Könntest Du den Satz mal aus dem Passiv ins Aktiv bringen, damit er ein Subjekt hat? |
Hab ne Weile gebraucht, bis ich verstanden habe, was Du wolltest. Du willst wissen, wer der Konstrukteur ist? Antwort: Die Evolution. ("Der blinde Uhrmacher").
fingalo hat folgendes geschrieben: | Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Es gibt keine theoriefreie Beobachtung. | Der Sinnenreiz ist keine Beobachtung. Es handelt sich um den Stromstoß, der von der Netzhaut ins Gehirn geht. Welche Theorie hat die Fliege vom Lichteinfall? |
Wenn Du Dir ein Fliegenauge genau anschaust, wirst Du erkennen, wieviel "Kenntnis" der Physik da drinsteckt. Wo das Auge die Kenntnis her hat? Evolution!
fingalo hat folgendes geschrieben: | Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Die Wechselwirkung der Konstruktion mit der Realität kommt nur dadurch zustande, dass eine Konstruktion nicht erfolgreich ist, dass sie scheitert. | Da sind wir uns ja einig. Nur: Das Scheitern wird wie festgestellt? |
Indem eine Erwartung enttäuscht wird. Ein Auge erwartet, dass irgendwann ein Photon darauf trifft. Wenn dies nie passiert, dann ist die Konstruktion gescheitert (und ist zum Beispiel für Tiere die im Dunkeon leben, entbehrlich, weshalb deren Augen auch verkümmern). Eine Affenhand erwartet eine bestimmte Konsistenz des Astes, an dem sie sich anklammert. Wenn das nicht stimmt, scheitert die Konstruktion, und der Besitzer der Hand stirbt, womöglich ohne sich fortgepflanzt zu haben.
fingalo hat folgendes geschrieben: | Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Solange unsere Konstruktionen erfolgreich sind, können wir sie nicht von der Realität unterscheiden. Genau das: Die entscheidende Rolle der "Kritik", des "Scheiterns von Hypothesen" in der Erkenntnis, hat der Radikale Konstruktivist nicht verstanden. | Eben. denn dazu bedarf es wieder eines aliuds zur Kostruktion, an dem der Erfolg oder das Scheitern festgestellt wird. Das wird aber wiederum nur durch den Sinnenreiz vermittelt. |
Nein, nicht unbedingt. Der Affe, der wegen schlecht konstruierter Hand danebenlangt, ist tot, bevor er merkt warum (und wenn er es wüsste, wäre es nutzlos). Er braucht dazu keinen Sinnesreiz. Natürlich haben höhere Lebewesen höher entwickelte Fehlereliminationsverfahren, die den Tod des Individuums vermeiden (Diese "höheren Verfahren" nennt man "Lernen"). Diese höheren Verfahren arbeiten auf der Basis von Meldungen von Sinnesorganen. Aber auf der untersten, existentiellen Ebene braucht man keine Sinne.
fingalo hat folgendes geschrieben: | Außerdem denke ich, dass es keine sichere Möglichkeit gibt, Außenreize von Binnenreizen zu unterscheiden, es sei denn, sie sind in sich widersprüchlich. Das "Sehgehirn" im Hinterkopf kann nicht unterscheiden, ob das, was der Sehnerv meldet, von außen kommt, oder im Nerv entstanden ist. Wenn er auf diese Weise eine Katze fliegen sieht, dann fliegt da zunächst eine Katze. . |
Ja und nein. Wenn bei Dir die Meldung "da fliegt eine KAtze" ankommt, dann kannst Du getrost davon ausgehen, dass diese Meldung schon zahlreiche Fehlerkorrekturmechanismen in Deinem Wahrnehmungsapparat durchlaufen hat, die dafür sorgen, dass Du diese Meldung mit hoher Zuverlässigkeit bekommst. Aber wahrscheinlichmeinst Du etwas ähnliches.
Zitat: | Wenn der Mensch nun zugreift, und der Tastsinn meldet, dass da nichts ist, dann entsteht ein Widerspruch, der aufzulösen ist: Halluzination, Katzengeist usw. Auf jeden Fall steht dann fest, dass entgegen dem Augenschein dort keine körperliche Katze fliegt. Das kommt durch den Widerspruch zwischen den elektrischen Strömen aus dem Sehnerv, die real etwas bestimmtes melden, und den elektrischen Strömen aus den Tast-Nerven, die real etwas Gegenteiliges melden |
Ich glaube eher, dass Dein Gehirn (und der restliche Körper) laufend aktiv (und "absichtlich") nach solchen Widersprüchen sucht, um Dir ein möglichst gut geprüftes Bild der Wirklichkeit zu liefern. (Typisches Beispiel: Abgleich der Messungen im linken und im rechten Auge, um "Falschalarme" auszuschliessen. Deshalb sehen Einäugige bei Nacht schlechter als bloss halb so gut wie Zweiäugige). Die Radartechnik macht einen ähnlichen Trick, oder die Physik, wenn sie Neutrinos in unterirdischen Wassertanks misst.
Gruss
KP
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Lamarck Radikaler Konstruktivist
Anmeldungsdatum: 28.03.2004 Beiträge: 2148
Wohnort: Frankfurt am Main
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(#191814) Verfasst am: 12.10.2004, 01:06 Titel: Re: Kriterien für Wirklichkeit |
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Hi step!
step hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Der beabsichtigte Ansatz gefällt mir. Jedoch: Je komplexer ein System ist, desto schwieriger ist es aufrechtzuerhalten, wenn nicht gleichzeitig 'stabilisierende Elemente' hinzutreten (sprich: Ein System stabilisiert sich dadurch selber, dass es inhärent Freiheitsgrade reduziert). Und die genannten Minimierungen von Widersprüchen lassen sich demzufolge als Stabilisierungsversuche ansehen. Insofern ist Dein Komplexitätskriterium für ein Scheitern von radikalkonstruktivistischen Positionen nicht hinreichend. |
Willst Du damit sagen, die Theorie einer Planetenbahn sei im Radikalen Konstruktivismus weniger komplex als im Realismus, obwohl die Ebene des Konstruierens dazukommt? Irgendwo hast Du mal geschrieben, gewisse "Strukturen" erzwängen bestimmte Konstrukte (oder so ähnlich). Ist es nicht daher so, daß der RK - zusätzlich zu seinen spezifischen Hypothesen - wieder bei denselben "effektiven Theorien" landet wie der hyp. Realismus? Ähnlich (nur subtiler) wie wenn jemand behauptet, das Gravitationsgesetz gelte nicht wirklich, sondern jemand lasse es nur ganz genauso aussehen, als ob es gälte. Meines Erachtens würde dies das Komplexitätskriterium verletzen. |
Nein. Der Realist macht prinzipiell auch nichts anderes als der Konstruktivist. Ersterer ist aber noch nicht deswegen blind, weil er Analphabet ist.
Das andere wäre Generelle Systemtheorie. Vereinfachend mal als Beispiel Verkehrssysteme: Auf einer Fläche bewegen sich Fahrzeuge mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und Fahrtrichtungen. Mit Zunahme an Komplexität - d. h. Anzahl der Elemente (= Fahrzeugdichte) - werden sich Regeln etablieren müssen, um das System nicht durch Blockaden selbst zerstören zu lassen. Zunächst könnten Verkehrswege eingerichtet werden, um den Verkehrsfluß aufrecht zu erhalten. Als nächstes wird eine Fahrbahnseite bevorzugt werden müssen, um Kollissionen zu vermeiden. Daraus leitet sich dann auch eine Regel an Kreuzungen ab, z. B. 'rechts vor links' und bevorzugte Konstruktionen der Fahrzeuge (z. B. wegen der Fahrerseite). Schließlich werden stellenweise Ampeln den Verkehr regulieren müssen ... .
Also: Je komplexer ein System ('Kombinatorische Explosion') desto größer die Zunahme von (homogenisierenden, da Freiheitsgrade verringernden) Regeln. Das Prinzip 'rechts vor links' wäre demnach hier ein verkehrstechnisches Naturgesetz , obwohl niemand weiß, warum das Gesetz nicht 'links vor rechts' heißt.
step hat folgendes geschrieben: | Lamarck hat folgendes geschrieben: | Dein VR-Satz scheint sich mir übrigens auch nicht auf eine bloße Größe reduzieren zu lassen. |
Habe länger überlegt, was Du damit meinen könntest, bin aber leider auf keinen grünen Zweig gekommen ... |
Deine Rede handelte von "bestimmte Größen", ich vermutete daher, Du meinst damit in VR abgebildete physikalische Größen?
Für eine "realistische Totalillusion" müßte die Rechenstärke für die simulierte Umgebung bei weitem komplexer sein als die Rechenstärke des menschlichen Gehirns. Wenn etwa der Mensch sich hier für zwei Strategien A oder B entscheiden könnte, müßte er nur die Kapazität für eine der beiden Strategien aufbringen, die simulierende Maschine müßte aber die Kapazitäten für beide Strategien gleichzeitig vorhalten.
Cheers,
Lamarck
_________________ „Nothing in Biology makes sense, except in the light of evolution.” (Theodosius Dobzhansky)
„If you can’t stand algebra, keep out of evolutionary biology.” (John Maynard Smith)
„Computers are to biology what mathematics is to physics.” (Harold Morowitz)
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Yamato Teeist
Anmeldungsdatum: 21.08.2004 Beiträge: 4548
Wohnort: Singapore
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(#191816) Verfasst am: 12.10.2004, 01:13 Titel: |
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Reschi hat folgendes geschrieben: | Solange ich es nicht sehen kann ist es nicht wirklich  |
Siehst du mich? Zweifelst du an meiner Wirklichkeit?
Was ist mit dem Zentrum eines Schwarzen Loches? Du kannst es nicht sehn, aber ist es nicht trotzdem wirklich?
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rabenkrähe Gast
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(#191839) Verfasst am: 12.10.2004, 03:06 Titel: |
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Real ist für jeden das, was seiner Realität entspricht.
bin rabenkrähe
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fingalo registrierter User
Anmeldungsdatum: 08.09.2004 Beiträge: 337
Wohnort: Wiesbaden
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(#191889) Verfasst am: 12.10.2004, 09:21 Titel: Re: Kriterien für Wirklichkeit |
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Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | fingalo hat folgendes geschrieben: | Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Auch der Sinnenreiz ist konstruiert (weil das Auge, das ihn "erzeugt" konstruiert ist). |
Könntest Du den Satz mal aus dem Passiv ins Aktiv bringen, damit er ein Subjekt hat? |
Hab ne Weile gebraucht, bis ich verstanden habe, was Du wolltest. Du willst wissen, wer der Konstrukteur ist? Antwort: Die Evolution. ("Der blinde Uhrmacher"). |
Nein, ich meine nicht das Auge als Organ. Wer konstruiert den elektrischen Impuls im Sehnerv? Ich denke, der ist nämlich nicht konstruiert, sondern wirklich!
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | fingalo hat folgendes geschrieben: | Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Es gibt keine theoriefreie Beobachtung. | Der Sinnenreiz ist keine Beobachtung. Es handelt sich um den Stromstoß, der von der Netzhaut ins Gehirn geht. Welche Theorie hat die Fliege vom Lichteinfall? |
Wenn Du Dir ein Fliegenauge genau anschaust, wirst Du erkennen, wieviel "Kenntnis" der Physik da drinsteckt. Wo das Auge die Kenntnis her hat? Evolution! |
Auch hier geht die Antwort an der Frage vorbei. Es geht nicht darum, wie das alles zustande gekommen ist, sondern ob es etwas Wirkliches gibt, das nicht im Hirn erst konstruiert wird.
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | fingalo hat folgendes geschrieben: | Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Die Wechselwirkung der Konstruktion mit der Realität kommt nur dadurch zustande, dass eine Konstruktion nicht erfolgreich ist, dass sie scheitert. | Da sind wir uns ja einig. Nur: Das Scheitern wird wie festgestellt? |
Indem eine Erwartung enttäuscht wird. Ein Auge erwartet, dass irgendwann ein Photon darauf trifft. |
Das Auge erwartet gar nichts, so wenig, wie ein Regenschirm den Regen erwartet. Es ist einfach. Punkt. Aber das ist hier nicht das Thema. Es geht laut Überschrift um Kriterein für die Wirklichkeit. Es geht doch darum, ob unser Bild von der Wirklichkeit konstruiert ist oder die Wirklichkeit darstellt. Farben z.B. sind keine Wirklichkeit, sondern eine psychische Umsetzung von Reizen, die durch bestimmte Wellenlängen verursacht werden.
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Aber auf der untersten, existentiellen Ebene braucht man keine Sinne. | Ohne Sinne keine Reize. Ohne Reize keine Information. Ohne Information keine Konstruktionsmaterial. Ohne Konstruktionsmaterial keine Konstruktion. Dann hat sich das Thema aber erledigt.
Ich verstehe das Thema so, dass die Frage gestellt wird, ob die wahrgenommene Welt der wirklichen Welt entspricht und ob wir über die Übereinstimmung beider oder deren Differenz etwas aussagen können.
Daß Konstruktionen eine Rolle spielen, ist ja unbestreitbar. Das ergibt sich aus der Aufmerksamkeit, die zur selektiven Wahrnehmung führt. Möglicherweise ist das Bild von der Welt sogar geschlechtsspezifisch beeinflusst.
Aber es muss auf jeden Fall wahrnehmungsunabhängige Fakten geben (wie den elektrischen Impuls im Sehnerv), die der Konstruktion vorausliegen. Andernfalls haben wir den Solipsismus und träumen uns nur.
Gruß Fingalo
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#191893) Verfasst am: 12.10.2004, 09:28 Titel: Re: Kriterien für Wirklichkeit |
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Lamarck hat folgendes geschrieben: | Für eine "realistische Totalillusion" müßte die Rechenstärke für die simulierte Umgebung bei weitem komplexer sein als die Rechenstärke des menschlichen Gehirns. Wenn etwa der Mensch sich hier für zwei Strategien A oder B entscheiden könnte, müßte er nur die Kapazität für eine der beiden Strategien aufbringen, die simulierende Maschine müßte aber die Kapazitäten für beide Strategien gleichzeitig vorhalten. |
Dem stimme ich vollständig zu, darauf beruht u.a. die prinzipielle Detektierbarkeit vorgegaukelter Welten durch Wesen in ihnen.
Übrigens: Etwas von der Komplexität eines Elementarteilchens realistisch zu simulieren, wäre bereits so schwierig, daß die einfachste Weise, das zu tun, in der Physik selbst "realisiert" ist. Würde man beispielsweise mit einem Quantencomputer ein physikalisches Experiment simulieren, so würde die Berechnung - anders als in einem völlig überforderten klassischen Computer oder im Gehirn - das Experiment selbst auf physikalische Weise widerspiegeln. Es ist daher mE gerechtfertigt, den Ausdruck "Simulator" nicht nur für diesen Quantencomputer, sondern auch für die physikalische Welt zu verwenden.
Die klassische Epistemologie kommt mit dieser Situation nicht wirklich klar, sie wird - jedenfalls nach meiner Auffassung - gerade mal wieder von der Physik überholt.
gruß/step
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Klaus-Peter auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 10.01.2004 Beiträge: 1534
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(#191971) Verfasst am: 12.10.2004, 11:40 Titel: Re: Kriterien für Wirklichkeit |
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fingalo hat folgendes geschrieben: |
Aber es muss auf jeden Fall wahrnehmungsunabhängige Fakten geben (wie den elektrischen Impuls im Sehnerv), die der Konstruktion vorausliegen. Andernfalls haben wir den Solipsismus und träumen uns nur. |
Richtig. Genau das ist Realismus. Kleine Korrektur: Es muss ein "Ding an sich geben" (wie immer man es nennen mag, wie immer das "aussieht" und was immer das "ist"), das wir als "elektrischen Impuls" in einem "Sehnerv" konstruieren. Die beiden Begriffe sind schon wieder aus unserem Begriffsbereich und somit konstruiert. Es gibt aber ein "Etwas" (zu dem wir nach Konstruktion "Gehirn" sagen), das diese Konstruktionen durchführt. Die meisten dieser Konstruktionen sind so gut, dass wir sie für praktische Zwecke mit dem "Ding an Sich" identifizieren können. Aber streng genommen, ist das nicht richtig.
Übrigens geht dieser angebliche "Konstruktivismus" auf Altmeister Kant zurück, der das als erster erkannte. Er nannte es "a-priori-Kategorien", die wir der Welt "aufprägen". Neu ist heute "bloss", dass man diese a-priori Strukturen nicht als "von vornherein "transzendental existent", sondern (seit Popper) als "evolutionär entstanden" auffasst.
Neu am "Radikalen Konstruktivismus" ist gar nichts, ausser dass die Hauptprotagonisten ihre Wurzeln verschweigen (oder nicht kennen) und entweder nicht gerafft haben, wie wichtig das "Ding an Sich" für die Korrektur und Prüfung der Konstrukte ist (v. Foerster), oder aber sich so schwammig ausdrücken (Watzlawick, von dem weiss ich bis heute nicht, was er eigentlich genau behauptet), dass sich Leute wie Lamarck als "Radikale Konstruktivisten" bezeichnen, obwohl sie ganz gewöhnliche Realisten sind (wie jetzt im anderen Thread gesehen).
Gruss
KP
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zelig Kultürlich
Anmeldungsdatum: 31.03.2004 Beiträge: 25405
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(#191992) Verfasst am: 12.10.2004, 12:06 Titel: Re: Kriterien für Wirklichkeit |
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step hat folgendes geschrieben: | Wann bezeichnen wir etwas als wirklich? |
Hallo step,
ich würde gerne antworten indem ich gegenfrage: Wann bezeichnen wir etwas als nicht wirklich?
Grüße
zelig
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