Telliamed registrierter User
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(#1934574) Verfasst am: 16.07.2014, 08:43 Titel: Die Universitätsbibliothek Leuven (Löwen) 1914 und 1940 |
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Romain Rolland: "Die Nachricht von der Zerstörung Leuvens macht mich krank."
Nach sechstägigem Austausch in Leuven (Belgien) wird es in der kommenden Woche noch ein Rundtischgespräch geben. Dem kann ich nicht gänzlich unbeschwert entgegen sehen, und ich kann verstehen, wie sich Rolland fühlte.
Die Tische in den Buchhandlungen biegen sich zur Zeit unter der Last der Literatur über den Ersten Weltkrieg 1914-1918. In der Tat bestand hier Nachholebedarf gegenüber dem Wissen über den Zweiten Weltkrieg. Aber jetzt wird sich wohl niemand mehr durch den Wust durchfinden.
In der Jugendzeit bezog man seine Eindrücke über den ersten großen "Krieg der weißen Männer" vor allem aus der Literatur.
Arnold Zweigs Romane "Junge Frau von 1914" und "Erziehung vor Verdun" wurden wohl auch verfilmt. Die Kolonne der Arbeitssoldaten zog mit Spaten in das düstere Fort von Douaimont, mit dem Gesang des Liedes vom "Argonnerwald", das von den Spartakisten 1919 umgedichtet und als "Büxenstein-Lied" zum Lieblingslied Erich Honeckers wurde. Ludwig Renns (eigentlich Arnold Vieth von Golzenau) Roman hieß schlicht "Krieg". Von Romain Rolland beeindruckte mich die Liebesgeschichte "Pierre et Luce". Das Paar kam um im Kirchenschiff beim Beschuss durch die deutschen Soldaten.
Und damit wäre ich beim Thema. Die Zerstörung der Universitätsbibliothek Leuven ist nur eine Episode in der Geschichte millionenfachen Sterbens und der Kriegszerstörungen. Geradezu verrückt ist, dass diese Bibliothek gleich zweimal fast vollständig zerstört wurde. Die kaiserliche Armee drang 1914 überraschend in Belgien ein. In der Siedlung Aerschot, 17 Kilometer nordöstlich von Leuven, wurden 156 Zivilisten erschossen. Es folgten in Tamines die Tötung von 257 Menschen durch die deutsche Soldateska, und in Dinant wurden mehr als 600 Zivilisten ermordet, darunter zahlreiche Kinder.
In der deutschen Armee ging die Angst vor sogenannten Franctireurs um, Zivilisten, die aus Häusern und Deckungen auf die deutschen Truppen schossen. Das erste Mal machte man diese Erfahrung im deutsch-französischen Krieg von 1870/71. Damals wurde am 24./25. August 1870 auch die Bibliothek von Strasbourg zerstört.
34 Jahre später, am 25. August 1914, rückten die kaiserlichen Truppen in Leuven ein, das 23 Kilometer von Brüssel entfernt liegt. Man weiß bis heute nicht genau, wie alles begann. Eine Version lautet, dass in der einbrechenden Dämmerung teilweise betrunkene deutsche Soldaten selber aufeinander geschossen hätten, weil sie sich für "Heckenschützen" hielten. Daraufhin begann die Vernichtungsorgie. Belgische Männer wurden aus ihren Häusern geholt und auf der Straße erschossen, insgesamt 209. Dann zündete man ihre Häuser an. Von etwa 9000 Wohnhäusern Leuvens wurden 1081 zerstört, vor allem in der historischen Innenstadt. Die Hauptkirche brannte - und auch die seit 1425 bestehende Universitätsbibliothek. Etwa 280.000 Bände bzw. bibliothekarische Einheiten wurden vernichtet.
Noch im Krieg begann eine internationale Sammlungsaktion. Neue Bücher für Leuven wurden angekauft, zum Teil gelangten sie auch als Kriegsreparationen nach dem Versailler Vertrag von 1919 nach Leuven.
Am 10. Mai 1940 begann der zweite deutsche Überfall auf Belgien und die Universitätsstadt Leuven. Vormittags waren hunderte Tote durch Wehrmachtsbeschuss zu verzeichnen, die meisten Einwohner der Stadt flohen. Am 17. Mai zog die Wehrmacht in Leuven ein. Die Bibliothek brannte nach dem Beschuß aus Flugzeugen und Geschützen wieder aus, mit ihr auch die inzwischen neu angeschafften Bücher. Löscharbeiten waren nicht mehr möglich, weil die gesamte städtische Infrastruktur zum Erliegen gekommen war.
Wer sich für diese Geschehnisse interessiert: Wolfgang Schivelbusch: Die Bibliothek von Löwen. Eine Episode aus der Zeit der Weltkriege. München / Wien 1988.
Morgen werde ich das erste Mal im Leben in Leuven erscheinen. Von Angehörigen amerikanischer und britischer Universitäten, die den Wiederaufbau der Bibliothek unterstützten, wurden symbolische Steininschriften angebracht. Von Inschriften aus Berlin, Göttingen, München oder Wolfenbüttel ist mir nichts bekannt.
Millionen Menschen sind umgekommen, und ganze Bibliotheken wurden durch Kriegseinwirkungen vernichtet. Die Zerstörung der Bibliothek von Alexandria durch eifrige "Nacheiferer" Muhammeds, die angeblich alles Geschriebene außer dem Koran für überflüssig hielten, dürfte wahrscheinlich eine erfundene, aber nichtsdestotrotz gern kolportierte Legende sein; wahrscheinlich wurden etliche altgriechische Handschriften schon zu Zeiten Julius Caesars und des Augustus vernichtet.
Wir erfuhren noch von der Zerstörung der Universitätsbibliothek im kroatischen Dubrovnik durch Beschuss der Serben des Milosevic 1992.
Ich höre auf. Die vielen Studenten mit ihren Fahrrädern, die wie in Leuven auch das Stadtbild von Göttingen oder Münster bevölkern, sind da weitgehend unbelastet, das ist auch völlig verständlich. Man wird viel Englisch zu hören bekommen und kann sich sein Russisch für bestimmte Gelegenheiten aufheben.
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