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Das Prekariat und die Individualisierungstheorie

 
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Ratio
huhu



Anmeldungsdatum: 13.10.2014
Beiträge: 1482

Beitrag(#1982795) Verfasst am: 03.02.2015, 12:17    Titel: Das Prekariat und die Individualisierungstheorie Antworten mit Zitat

Grundlage für meine Frage sind die folgenden Theorien, mit denen ich mich beschäftige:

http://de.wikipedia.org/wiki/Individualisierung

und der

http://de.wikipedia.org/wiki/Fahrstuhleffekt


So wird im Absatz zu den zwei Phasen der Individualisierungstheorie unter anderem gesagt, dass

"[...]Dem Zerfall traditioneller Bindungen steht eine zunehmende Selbstbestimmung des Individuums gegenüber.[...]"

Durchaus eine Beobachtung, die man anhand der Realität nachvollziehen kann, gerade auch, wenn man die sonstigen Erläuterungen beachtet.

Aber gibt es diesen Zugewinn an Freiheit und Selbstbestimmung wirklich quer durch alle Schichten,
so wie es der Fahrstuhleffekt vermutet? Ist es nicht vielmehr so, dass - orientieren wir uns an Deutschland - die Schicht des

http://de.wikipedia.org/wiki/Prekariat

immer größer wird und die Leute, die man zu dieser Schicht zählen würde, durch ihre Not und ihre Abhängigkeit vom Staat gar nicht die Möglichkeit zu dieser Individualisierung ( nicht im selben Maße ) haben?`Trifft der Fahrstuhleffekt allgemein nicht zu, oder sind es sekundäre Einflüsse, die die positiven Auswirkungen negieren?
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sünnerklaas
Mietzekatzenkater - treibt den Kessel



Anmeldungsdatum: 30.09.2006
Beiträge: 11051
Wohnort: Da, wo noch Ruhe ist

Beitrag(#1982797) Verfasst am: 03.02.2015, 12:27    Titel: Re: Das Prekariat und die Individualisierungstheorie Antworten mit Zitat

Ratio hat folgendes geschrieben:

immer größer wird und die Leute, die man zu dieser Schicht zählen würde, durch ihre Not und ihre Abhängigkeit vom Staat gar nicht die Möglichkeit zu dieser Individualisierung ( nicht im selben Maße ) haben?`Trifft der Fahrstuhleffekt allgemein nicht zu, oder sind es sekundäre Einflüsse, die die positiven Auswirkungen negieren?


Dahinter steht die Auffassung, dass jeder einzelne seines eigenen Glückes Schmied sei. Oder kurz gesagt: wer Prekariat ist, ist selber schuld. Und mehr noch - es steht der Vorwurf im Raum, er sei an seiner Situation nicht unschuldig bzw. der einzig Schuldige. Er habe sich ja nicht (ausreichend) bemüht, sondern sich "freiwillig" ins Prekariat begeben.
_________________
"Bullshit ist eine dritte Kategorie zwischen Wahrheit und Lüge" (Harry Frankfurt)

Ausser Hypochondrie habe ich alle Krankheiten.

Ich fordere: JEDEM VOLLPFOSTEN SEIN EIGENES "Mimi-Mimi!"
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Ratio
huhu



Anmeldungsdatum: 13.10.2014
Beiträge: 1482

Beitrag(#1983316) Verfasst am: 05.02.2015, 10:32    Titel: Re: Das Prekariat und die Individualisierungstheorie Antworten mit Zitat

sünnerklaas hat folgendes geschrieben:
Ratio hat folgendes geschrieben:

immer größer wird und die Leute, die man zu dieser Schicht zählen würde, durch ihre Not und ihre Abhängigkeit vom Staat gar nicht die Möglichkeit zu dieser Individualisierung ( nicht im selben Maße ) haben?`Trifft der Fahrstuhleffekt allgemein nicht zu, oder sind es sekundäre Einflüsse, die die positiven Auswirkungen negieren?


Dahinter steht die Auffassung, dass jeder einzelne seines eigenen Glückes Schmied sei. Oder kurz gesagt: wer Prekariat ist, ist selber schuld. Und mehr noch - es steht der Vorwurf im Raum, er sei an seiner Situation nicht unschuldig bzw. der einzig Schuldige. Er habe sich ja nicht (ausreichend) bemüht, sondern sich "freiwillig" ins Prekariat begeben.


Nun, so sehen es sicher einige. Sofern das Leben weitestgehend selbstbestimmt wäre würde ich es ähnlich sehen (was es jedoch nicht ist, da durch das korrupte Solidarsystem keine "faire" Verteilung erreicht wird). Hinsichtlich der Grundfrage zum Punkt "Individualisierungstheorie" ist das Problem gerade deswegen auch nicht individueller oder persönlicher, sondern struktureller Natur.

Gibt es den Fahrstuhleffekt (in Deutschland?)? Ist er positiv zu verstehen?
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Pfirsich
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Anmeldungsdatum: 11.05.2014
Beiträge: 781

Beitrag(#1983334) Verfasst am: 05.02.2015, 12:06    Titel: Antworten mit Zitat

... Und falls ja - ab welchem Jahrgang in etwa ist er positiv zu verstehen?

Herzlichen Dank für Deinen Anstoß, ratio! Ich werde nämlich endlich das Buch "Wir Kinder der Kriegskinder" von Anne-Ev Ustorf lesen, das schon lang hier liegt. "Der Bericht über eine ganze Generation, die im langen Schatten des Krieges aufwuchs" (Klappentext) soll zur "Versöhnung" zwischen dieser und der Generation ihrer Eltern beitragen.
Anscheinend geht es hier um den Preis der Fahrt aus dem Keller an´s Tageslicht (bezogen auf den Threadtitel, der ja auf das Prekariat abzielt).

Und noch ein Buch werde ich lesen: "Die Uhr, die nicht tickt: Kinderlos glücklich" von Sarah Diehl. Um zu sehen, ob die Umsetzung des Wunsches nach keinen Kindern mit dem angeblichen Etagenwechsel nach dem Krieg zusammenhängt


Zuletzt bearbeitet von Pfirsich am 05.02.2015, 13:29, insgesamt 3-mal bearbeitet
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Pfirsich
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Anmeldungsdatum: 11.05.2014
Beiträge: 781

Beitrag(#1983338) Verfasst am: 05.02.2015, 12:26    Titel: Re: Das Prekariat und die Individualisierungstheorie Antworten mit Zitat

Mal was anderes - jetzt nicht bezogen auf den Fahrstuhleffekt, aber auf die Individualisierung bei uns Heutigen: Ein Thema, mit dem ich mich mal beschäftigt habe, ist das https://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitskraftunternehmer -tum.
Und zumindest diesen Wiki-Artikel sollte, finde ich, gelesen haben, wer heute über Individualisierung mitreden möchte.
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Pfirsich
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Anmeldungsdatum: 11.05.2014
Beiträge: 781

Beitrag(#1983402) Verfasst am: 05.02.2015, 15:53    Titel: Re: Das Prekariat und die Individualisierungstheorie Antworten mit Zitat

sünnerklaas hat folgendes geschrieben:

Dahinter steht die Auffassung, dass jeder einzelne seines eigenen Glückes Schmied sei. Oder kurz gesagt: wer Prekariat ist, ist selber schuld. Und mehr noch - es steht der Vorwurf im Raum, er sei an seiner Situation nicht unschuldig bzw. der einzig Schuldige. Er habe sich ja nicht (ausreichend) bemüht, sondern sich "freiwillig" ins Prekariat begeben.


Ich weiß ja nicht, wie alt Du bist. Ich gehe auf die 50 zu und bin kinderlos glücklich.
Deshalb habe ich auch keine Möglichkeit, nachzufragen, wie verwurzelt die Angst, einmal zum Prekariat zu gehören, in der jungen Generation ist.
Aber ich erinnere mich gut, vor ein paar Jahren von einem Soziologie-Professor gelesen zu haben, der seine - ich meine: 17-jährige - Tochter um ein entsprechendes Statement gebeten hatte - und von der Antwort ganz erschlagen war.

- Sich nicht (ausreichend) bemüht? Sich freiwillig ins Prekariat begeben? Ich glaube nicht, dass solche Schuldzuweisungen bei Hörern aus der jüngeren Generation noch fruchten.
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Pfirsich
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Anmeldungsdatum: 11.05.2014
Beiträge: 781

Beitrag(#1983439) Verfasst am: 05.02.2015, 18:18    Titel: Antworten mit Zitat

@ Ratio:
Ein Letztes für heute: Ich habe mir ältere Beiträge von Dir reingezogen.
Und ja, wir haben das Thema "Frauenquote" hier bereits diskutiert: Guckstdu "Genderismus und Erziehung". Dort schrieb ich:

Zitat:
Was ich hier mit Bildung meine, fängt weit unterhalb des Diploms an. Z. B. das Erkennen der Bedeutung einer erfolgreich absolvierten Meisterschule für den Grips und das Selbstbewusstsein.

Und schließlich: Kennt jemand hier die Quoten bei den Studienanfängern in der sozialen Arbeit? Nach meinen Informationen ist das ein beliebter Einstieg von - ich sag mal - Familien aus den nichtakademischen Bereichen in das akademische Umfeld.

Du hast von Studienanfängerinnen gesprochen. Was es braucht, ist, dass das Diplom nicht nur etwas ist, was sich Papa über´s Bett hängt oder in´s Büro, sondern dass die Inhaberinnen die Unterstützung bei der Tätigkeit, die es ermöglicht, vom familiären Unterbau erhalten und auch vom Partner einfordern. Dass die Familie / der Partner ein Interesse daran hat, dass die Betriebswirtschaftlerin ihr Leben nach der Babypause nicht als Buchhalterin weiter-"gestaltet". Dann würden die von Dir angesprochenen Wiedereinstiegshilfen ganz anders eingefordert werden.


Diesen Beitrag habe ich mir für hier ausgesucht, weil er evtl. einen Hinweis darauf gibt, an wie vielen Stellschrauben es hängt, ob jemand von der Wohlstandsexplosion profitieren kann oder nicht: das Diplom, das sich Papa über´s Bett hängt. Und die BWLerin, die nach der Babypause ihr weiteres Arbeitsleben als Buchhalterin fristet, kann sehr verschiedene Beweggründe haben.

Vielleicht ist dies auch ein Grund für die schwache Beteiligung an diesem Thread: weil die Ursachen, warum jemand den Abgrund vor sich gähnen sieht (was ja schon ausreicht, um einigermaßen paralysiert zu sein) oder tatsächlich hineinrutscht, so vielfältig sind, dass es den Rahmen eines Threads sprengt.

Die Voraussetzungen, um heraus zu finden, hängen heute, meine ich, in hohem Maße von dem ab, was einem die Natur mitgegeben hat (oder auch nicht): nämlich letztlich von der Fähigkeit zum Netzwerken.
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Pfirsich
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Anmeldungsdatum: 11.05.2014
Beiträge: 781

Beitrag(#1983645) Verfasst am: 06.02.2015, 15:29    Titel: Antworten mit Zitat

Ratio hat folgendes geschrieben:
Pfirsich hat folgendes geschrieben:
Ratio hat folgendes geschrieben:
Feststellend lassen sich ihnen also gute Absichten und durchaus einen gewissen positiven Einfluss zuschreiben. Für mich persönlich kann die eigentliche Lösung jedoch nur über eine grundlegende Änderung des Systems verlaufen, also über die Politik. Da ich aber gleichzeitig sehe, dass alleine schon die ausreichend detaillierte Auseinandersetzung mit Politik mehr Zeit beansprucht als etwas, das "jeder" Mensch nebenbei mal eben leisten kann, müsste man darüber nachdenken, inwiefern Friedensbewegungen eine "Das eine kann ich nicht, aber vielleicht mache ich mich immerhin über diesen Weg nützlich"- Lösung darstellen.


Also, soviel ich Dich verstehe, geht es Dir ganz allgemein um die Mitwirkungsmöglichkeiten (neudeutsch: Partizipationsoptionen) derer, die aus irgendeinem Grund "überstimmt" zu werden drohen: Prekariat, bei Volksabstimmungen Unterlegene, jene, denen die Zeit oder sonstwas für die aktive Einmischung in die Politik fehlt, richtig?

Eine (von wem?) geleistete Erforschung der Frage, inwiefern Friedensbewegungen eine niederschwellige Mitwirkungs(chance/)-Chimäre darstellen, müsste demnach in Versuche münden, den Mitläufern echte politische Mitwirkungsmöglichkeiten zu eröffen?


Ja, genau. Es fehlt nur eine Zwischenerkenntnis. Zuvor muss erkannt werden, dass ein System ähnlich dem jetzigen nur funktionieren kann, wenn die Möglichkeit besteht, dass es eine Regierung gibt, die nicht mit der Zeit (oder von Anfang an) korrumpiert und die durchgängig im Interesse des Wählers handelt. Ich persönlich zweifle das an. Deswegen müssen die Entscheidungsebenen so weit wie möglich heruntergebrochen und die staatliche Lenkung so weit wie möglich reduziert werden, damit überhaupt erst die Transparenz und Simplexität gegeben ist, die, zusammen mit der neugewonnen erweiterten Selbstbestimmung aufgrund verringerter staatlicher Kompetenzen, dazu führt, dass auch der einfache Bürger Politik versteht, ergo sieht, wen er weswegen wählt und was seine Entscheidungen für Auswirkungen haben. Darum ergänzt ist die von dir formulierte Konklusion zutreffend.

Das ist natürlich nur meine Meinung. Mit dem Wunsch nach lean Government und maximaler Subsidiarität stehe ich hier im Forum wohl beinahe alleine Smilie


So, das Ganze erstmal aus dem Thread über die Friedensbewegung hierher verpflanzt, weil dies hier Dein Thread ist (Puh - 5 Beiträge von mir am Stück! Einsamer Rekord!). So, und jetzt wird editiert und editiert...


Zuletzt bearbeitet von Pfirsich am 06.02.2015, 15:46, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Ratio
huhu



Anmeldungsdatum: 13.10.2014
Beiträge: 1482

Beitrag(#1983648) Verfasst am: 06.02.2015, 15:33    Titel: Antworten mit Zitat

Smilie ich will gerne dafür sorgen, dass er nicht mehr "einsam" ist. Allerdings muss ich meine Antworten auf Montag vertagen. Ich begebe mich gleich in den verdienten Feierabend.

In dem Sinne - ein schönes Wochenende Winken
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Pfirsich
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Anmeldungsdatum: 11.05.2014
Beiträge: 781

Beitrag(#1983652) Verfasst am: 06.02.2015, 15:48    Titel: Antworten mit Zitat

Ja, Dir auch ein schönes Wochenende! Sehr glücklich

Und meine Editierung hier gleich als abgeschlossenen Beitrag:

" Tja, wo setzt man an? Bei den "Haves" für Lean Government zu werben ist der Erbhof der FDP.

Du möchtest das jetzt bei den Not-Haves tun. Aber wie? Ich meine - ohne dass irgendeine neugegründete NGO Dir dazwischenfunkt, indem sie diesen Leuten weis macht, ihnen das Selber-Denken, zu dem Du sie gerade ermuntert hast, zu ersparen?

Denn wenn es auch für ein Akademikerkind, das möglicherweise selber studiert hat, denkbar ist, dass es sich auf seinem weiteren Lebensweg derart verfranst, dass es irgendwann nicht mehr weiß, woher die nächste Monatsmiete kommen soll - in erster Linie trifft das doch die im Selber-Denken nicht so Bewanderten.

(Ich sage extra: "Bewanderten" und nicht "Fähigen". Im Fernsehen wurde mal ein junger Strafgefangener vorgestellt, dem eine gute Sozialprognose bescheinigt wurde (IQ: 150). Man müsse ihm, so der Tenor, nur abgewöhnen, seine Abneigung gegen Nazis (oder wen er dafür hält) in Form von Gewalt auszudrücken.)

Ich meine: Du müsstest vielen von ihnen erst das Selberdenken-Wollen beibringen. Und vielleicht ein Gefühl der Gruppensolidarität gegenüber jenen, die darin wirklich nicht so gut sind. Denn von den Besitzstandswahrern aus dem alten (heutigen) System kannst Du das nicht erwarten.

Oder Du machst den Besitzstandswahrern plausibel, dass sie zumindest nichts verlieren, wenn sie jenen, bei denen oder deren Eltern der Fahrstuhl nicht so recht funktioniert hat, das Erlebnis nachreichen.

Jedenfalls dürftest Du Dich ganz schön zerreißen..."
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Ratio
huhu



Anmeldungsdatum: 13.10.2014
Beiträge: 1482

Beitrag(#1984471) Verfasst am: 10.02.2015, 13:37    Titel: Antworten mit Zitat

Pfirsich hat folgendes geschrieben:
Ja, Dir auch ein schönes Wochenende! Sehr glücklich

Und meine Editierung hier gleich als abgeschlossenen Beitrag:

" Tja, wo setzt man an? Bei den "Haves" für Lean Government zu werben ist der Erbhof der FDP.

Du möchtest das jetzt bei den Not-Haves tun. Aber wie? Ich meine - ohne dass irgendeine neugegründete NGO Dir dazwischenfunkt, indem sie diesen Leuten weis macht, ihnen das Selber-Denken, zu dem Du sie gerade ermuntert hast, zu ersparen?

Denn wenn es auch für ein Akademikerkind, das möglicherweise selber studiert hat, denkbar ist, dass es sich auf seinem weiteren Lebensweg derart verfranst, dass es irgendwann nicht mehr weiß, woher die nächste Monatsmiete kommen soll - in erster Linie trifft das doch die im Selber-Denken nicht so Bewanderten.

(Ich sage extra: "Bewanderten" und nicht "Fähigen". Im Fernsehen wurde mal ein junger Strafgefangener vorgestellt, dem eine gute Sozialprognose bescheinigt wurde (IQ: 150). Man müsse ihm, so der Tenor, nur abgewöhnen, seine Abneigung gegen Nazis (oder wen er dafür hält) in Form von Gewalt auszudrücken.)

Ich meine: Du müsstest vielen von ihnen erst das Selberdenken-Wollen beibringen. Und vielleicht ein Gefühl der Gruppensolidarität gegenüber jenen, die darin wirklich nicht so gut sind. Denn von den Besitzstandswahrern aus dem alten (heutigen) System kannst Du das nicht erwarten.

Oder Du machst den Besitzstandswahrern plausibel, dass sie zumindest nichts verlieren, wenn sie jenen, bei denen oder deren Eltern der Fahrstuhl nicht so recht funktioniert hat, das Erlebnis nachreichen.

Jedenfalls dürftest Du Dich ganz schön zerreißen..."


Nun, Werbung für libertäre Positionen bei den Have nots zu machen ist nahezu aussichtslos. Das liegt schon in den vorherrschenden Bildern der verschiedenen politischen Ausrichtungen begründet. Für den Großteil der Menschen besitzt Sozialismus eine positive Konnotation. Kapitalismus dagegen könnte nicht negativer konnotiert sein als er es ist. Die übliche Reden über die böse Wirtschaft und die machthungrigen Unternehmer tun dann ihr Letztes und übertragen diese negative Wertung dann allgemein auf jede Position, die generell für weniger Regulation eintritt. Erfolgreiche Politik begeistert die Massen, und die größtenteils politisch unkundige Masse neigt eher dazu anzunehmen, dass ein Mindestlohn (Hey, da will jemand dass ich genug Geld habe) und ein starker Staat, der aufpasst und die schwierigen Aufgaben übernimmt, besser ist als eine Reduzierung der staatlichen Interventionen und Regulationen und indirekt auch als eine Verringerung der Restriktionen für die Wirtschaft.

Was die Leute richtig erkennen ist, dass die Wirtschaft eine Chance zum Geld verdienen nutzt, wenn sie sie kriegt. Was die Leute nicht sehen ist, wer diese Chance zur Ausbeutung überhaupt erzeugt - nämlich das Geflecht aus Lobby und Gevatter Staat, der Mächte über dich besitzt, der bei der Ausbeutung des einfachen Manns durch Gesetze aushilft und sich deines Geldes bedient, dass du im Gutglauben, es würde zur gerechten Verteilung genutzt, mehr oder minder freiwillig über Steuern abgibst.

Natürlich gibt es Staaten nicht ohne Grund und sie haben durchaus eine Funktion und bieten gewisse Vorteile. Letztendlich ist es nichts weiter als eine Form der Verwaltung. Jedoch werden die negativen Aspekte generell vollkommen ausgeblendet. Gerade durch das immer weitere Stärken des Staates wird die Armut weiter vorangetrieben. Lustig ist dabei, wie dann noch Rettungspakete für die Banken als Argumente gegen den Kapitalismus verkauft werden Sehr glücklich Und die oberen 5% Haves lachen sich ins Fäustchen.

Liberale Positionen sind unpopulär. Natürlich müsste ich mich da zerreißen. Viel besser wäre es ja, wenn man die Freiheit hätte sich auch territorial zu separieren und sich unabhängig zu machen. Aber das ist natürlich nicht gegeben.

In gewisser Weise ist die Frage nach dem Wachstum des Prekariats diffizil; denn wenn man so möchte, dann nimmt es tatsächlich, zumindest in Deutschland, aufgrund der Absicherung durch Arbeitslosengeld nicht zu, sondern verringert sich (zumindest was tatsächliche "Überlebensängste" betrifft). Viel Raum für Individualisierung bleibt diesen Menschen aber nicht mehr.


Zuletzt bearbeitet von Ratio am 10.02.2015, 14:47, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Ratio
huhu



Anmeldungsdatum: 13.10.2014
Beiträge: 1482

Beitrag(#1984472) Verfasst am: 10.02.2015, 13:44    Titel: Re: Das Prekariat und die Individualisierungstheorie Antworten mit Zitat

Pfirsich hat folgendes geschrieben:
Mal was anderes - jetzt nicht bezogen auf den Fahrstuhleffekt, aber auf die Individualisierung bei uns Heutigen: Ein Thema, mit dem ich mich mal beschäftigt habe, ist das https://de.wikipedia.org/wiki/Arbeitskraftunternehmer -tum.
Und zumindest diesen Wiki-Artikel sollte, finde ich, gelesen haben, wer heute über Individualisierung mitreden möchte.


Da Einfachsttätigkeiten sowieso kaum noch angeboten werden ist diese Selbstökonomisierung zwangsweise notwendig, ja. Das lustige ist ja, dass trotz fortschreitender Produktivität die Relation aus Arbeitsaufwand und eigenem Wohlstand zwar quantitativ noch steigt, qualitativ aber schon lange nicht mehr. Sprich - vor einiger Zeit konntest du selbst noch als Arbeiter in einer Bonbonfabrik ohne Vorkenntnisse eine Menge verdienen. Mittlerweile brauchst du mindestens eine Ausbildung für die einfachsten Tätigkeiten und siehst dich selbst dann noch unter Umständen mit allerlei finanziellen Problemen konfrontiert, oder würdest dich selbst zumindest alles andere als wohlhabend nennen.

Bis hierhin besteht dann wieder mit jedem ein Konsens - nur nicht bei der Frage, wo denn der Mehrgewinn bleibt, der erzielt wurde, den der Arbeiter aber nicht erhält.
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Pfirsich
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Anmeldungsdatum: 11.05.2014
Beiträge: 781

Beitrag(#1984505) Verfasst am: 10.02.2015, 16:23    Titel: Antworten mit Zitat

Ratio hat folgendes geschrieben:
Nun, Werbung für libertäre Positionen bei den Have nots zu machen ist nahezu aussichtslos.

[...]

Was die Leute richtig erkennen ist, dass die Wirtschaft eine Chance zum Geld verdienen nutzt, wenn sie sie kriegt. Was die Leute nicht sehen ist, wer diese Chance zur Ausbeutung überhaupt erzeugt - nämlich das Geflecht aus Lobby und Gevatter Staat, der Mächte über dich besitzt, der bei der Ausbeutung des einfachen Manns durch Gesetze aushilft und sich deines Geldes bedient, dass du im Gutglauben, es würde zur gerechten Verteilung genutzt, mehr oder minder freiwillig über Steuern abgibst.

[...] Banken [...]

Liberale Positionen sind unpopulär. Natürlich müsste ich mich da zerreißen. Viel besser wäre es ja, wenn man die Freiheit hätte sich auch territorial zu separieren und sich unabhängig zu machen. Aber das ist natürlich nicht gegeben.


Also, ich bin keine VWLerin. Ich kenne Banken nur aus der Unternehmerperspektive (KG). Und ich hatte einen Vater, der nach meiner allerersten Wahl (für die FDP) sagte: "Wenn ich gewusst hätte, dass die über die 5 % kommen, hätte ich sie auch gewählt."

Bei meiner Parteimitgliedschaft habe ich dann ausgerechnet die Westerwelle-Ära erwischt. (Für den Fall, dass Du Dich wunderst, warum ich in dem entsprechenden Thread gar so sehr mit-ätze.)
Und ich glaube nicht, dass Resteverwerter Lindner da was wuppt. Zumal die Hamburg-Wahl keine "Eisbrecher-Wahl" sein wird. Denn wenn die Neuen Liberalen für etwas gut sind, dann dafür, die FDP in HH klein zu halten.

Zitat:
Nach der im Dezember 2006 veröffentlichten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung Gesellschaft im Reformprozess[13] gehören zum Prekariat die Untergruppen des abgehängten Prekariats, die autoritätsorientierten Geringqualifizierten sowie ein Teil der selbstgenügsamen Traditionalisten.
(Wiki)

Glaubst Du, dass man alle 3 Gruppen dazu kriegen kann, in einer genügend kleinteilig organisierten Gesellschaft ebenfalls eine Interessenvertretung zu versuchen.. und dass sie es schaffen könnten, ohne - und hier wieder zu meiner Sorge - von anderen, Alerteren, für deren Zwecke vereinnahmt zu werden?

Hältst Du die 8 Jahre alte Studie noch für wert, sich damit zu beschäftigen, oder erwartest Du, dass eine Aktualisierung in absehbarer Zeit um´s Eck kommt?
Ich meine, allmählich ist ja auch die Frage, ob etwa das abgehängte Prekariat noch weiß, was Individualisierung sein kann, oder ob es sich schon allzu sehr mit den Placebos zufrieden gibt (etwa der blonden/dunklen/roten/lila Strähne im Haar).
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Pfirsich
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Anmeldungsdatum: 11.05.2014
Beiträge: 781

Beitrag(#1984547) Verfasst am: 10.02.2015, 19:47    Titel: Re: Das Prekariat und die Individualisierungstheorie Antworten mit Zitat

Ratio hat folgendes geschrieben:
Da Einfachsttätigkeiten sowieso kaum noch angeboten werden ist diese Selbstökonomisierung zwangsweise notwendig, ja. Das lustige ist ja, dass trotz fortschreitender Produktivität die Relation aus Arbeitsaufwand und eigenem Wohlstand zwar quantitativ noch steigt, qualitativ aber schon lange nicht mehr. Sprich - vor einiger Zeit konntest du selbst noch als Arbeiter in einer Bonbonfabrik ohne Vorkenntnisse eine Menge verdienen. Mittlerweile brauchst du mindestens eine Ausbildung für die einfachsten Tätigkeiten und siehst dich selbst dann noch unter Umständen mit allerlei finanziellen Problemen konfrontiert, oder würdest dich selbst zumindest alles andere als wohlhabend nennen.

Bis hierhin besteht dann wieder mit jedem ein Konsens - nur nicht bei der Frage, wo denn der Mehrgewinn bleibt, der erzielt wurde, den der Arbeiter aber nicht erhält.


Hab mich bei meinen Antwortversuchen leider zu sehr im Klein-Klein verloren. Wünschte von daher, Du würdest von Dir aus auf die Themen "Bildung(sträger)" und "Behinderte(nhilfe)" nebst -finanzierung zu sprechen kommen *hoff*.
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funkeimdunkeln
Bösmensch



Anmeldungsdatum: 12.05.2014
Beiträge: 878

Beitrag(#1985057) Verfasst am: 13.02.2015, 23:36    Titel: Antworten mit Zitat

Ratio hat folgendes geschrieben:

Nun, Werbung für libertäre Positionen bei den Have nots zu machen ist nahezu aussichtslos.


Das hängt von der Wahl der Mittel ab. Wir dürfen m.E. nicht den Fehler machen zu glauben, man könne mit Vernunft, Debatte und Diskussion etwas erreichen. Das ist eine Illusion. Mit Vernunft alleine wird man nie und nimmer Erfolg haben. Vernunft ist wichtig und die notwendige Grundlage, aber das Entscheidende ist das Marketing.

Zitat:
Was die Leute richtig erkennen ist, dass die Wirtschaft eine Chance zum Geld verdienen nutzt, wenn sie sie kriegt. Was die Leute nicht sehen ist, wer diese Chance zur Ausbeutung überhaupt erzeugt - nämlich das Geflecht aus Lobby und Gevatter Staat, der Mächte über dich besitzt, der bei der Ausbeutung des einfachen Manns durch Gesetze aushilft und sich deines Geldes bedient, dass du im Gutglauben, es würde zur gerechten Verteilung genutzt, mehr oder minder freiwillig über Steuern abgibst.


Es gibt dazu ein sehr schönes Zitat von Mario Draghi, welches meines Erachtens gut zu dieser These passt:

Mario Draghi hat folgendes geschrieben:
Und in der Tat deuten Umfragedaten klar darauf hin, dass die gedämpfte Nachfrage zur geringen Preissetzungsmacht der Unternehmen beiträgt.
Wir wissen auch, dass die Arbeitnehmer in vielen Euroländern aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit weniger Macht haben, höhere Löhne durchzusetzen, wodurch der Inflationsdruck sinkt.


https://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2014/html/sp141121.de.html

Einerseits enthüllt dieses Zitat ziemlich klar die Denkweise eines Mario Draghi. Andererseits - und das ist das große Problem - erfordert es nunmal eine gewisse Intelligenz, um dieses Denken zu durchschauen und es auch noch dem einfachen Bürger zu vermitteln. Dieses Zitat sagt m.E. ziemlich klar aus, dass Draghi hier einen direkten Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit herstellt.

Der Punkt ist allerdings nicht der, dass Draghi Mitleid mit den Arbeitslosen hätte, der Punkt ist ganz klar der, dass Draghi sich von den erhöhten Lohnen einen Wirtschaftsaufschwung erhoffen würde. Dieses kann in zweierlei Weise erfolgen
1. Die Arbeiter, die mehr Geld bekommen haben, geben dieses aus. Es kommt zum Konsum.
2. Die Unternehmen "kompensieren" den Verlust, den sie durch die erhöhten Lohnforderungen erfahren, indem sie Kredite aufnehmen. Die Kreditaufnahme wird nun durch die Gelddruckerei der Europäischen Zentralbank unterstützt, wodurch Inflation entsteht.

Draghi sagt in seinem Zitat auch ganz klar aus, dass vermehrter Konsum für die "Preissetzungsmacht" der Unternehmer eine wichtige Rolle spielt. Mir ist zwar unklar, was hier mit "Preissetzungsmacht" gemeint ist, jedoch kann ich auch darin die Theorie erkennen, dass Draghi zufolge das beständige Konsumieren ein wesentlicher Faktor für das Funktionieren einer Wirtschaft ist.

Das Problem mit dieser Theorie ist einfach, dass sie völlig krank ist. Und sich das klarzumachen, dass diese Theorie einfach krank ist, das ist im Grunde nicht schwer und bedarf einfach nur ein paar wesentlicher logischer Argumente. Ein wichtiges Argument ist nun mal dieses, dass Wirtschaftsaufschwung nicht durch Konsum entsteht, sondern durch Innovation, funktionierender Infrastruktur, kompetente und tatkräftige Unternehmer, hochqualitatives Wissen, Konkurrenz auf dem Markt usw.

Gleichzeitig ist es nahezu unmöglich diese einfache Logik sowohl den Primitiv-Gläubigen des Sozialismus auf der Straße als auch ihren pseudo-wissenschaftsgläubigen Theologen zu vermitteln. Warum? Weil hier - ähnlich wie beim Glauben - zutiefst existentielle geprägte Gefühle im Spiel sind.

Ein wichtiger Faktor ist der Angst vor dem Tod. Wenn wir uns die Geschichte der Religionen ansehen, dann sehen wir, dass Phantasien über die Zeit nach dem Tod ein wesentliches Kernelement der Religionen sind. Das Christentum und der Islam enthalten Fegefeuer-Phantasien. Der Hinduismus und der Buddhismus enthalten Wiedergeburts-Phantasien. Und der Erfolg dieser Religionen spricht dafür, dass Menschen ein zutiefst verwurzeltes Gefühl nach Sicherheit empfinden, welches sie durch den Glauben befriedigen wollen. Dagegen zu argumentieren wie mit Theodizee-Argumenten oder mit Evolutionstheorie ist aufgrund dieser existenziellen Bedeutung von Religion aussichtslos.

Nun ist es so, dass der Staat in gewisser Hinsicht die gleichen Bedürfnisse befriedigt. Nehmen wir das Rentensystem, das Verteidigungsministerium, das Gesundheitssystem, die Arbeitslosenunterstützung, das gesetzlich garantierte Existenzminimum. Das sind alles Lösungen zur Befriedigung existentieller Bedürfnisse nach Schutz und Stabilität. Und dagegen zu argumentieren ist genauso schwer wie der Versuch einem Gläubigen zu sagen, dass es doch unwahrscheinlich ist, dass ausgerechnet seine Religion die richtige sei, wenn es doch tausend verschiedene Religionen gibt. Dabei ist das Argument gegen den Staat fast das Gleiche: Es gibt tausende von potentiellen Lösungen, wie man Systeme organisieren kann, die dem Menschen ein Gefühl von Schutz und Sicherheit geben und die Anwendung des Gewaltmonopols ist nur eine davon.

Aber das ist eben ein logisches und kein emotionales Argument. Und damit kommt man bei 95 % aller Menschen nicht weiter.

Mit freundlichem Gruß,
Mirko
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Ratio
huhu



Anmeldungsdatum: 13.10.2014
Beiträge: 1482

Beitrag(#1985985) Verfasst am: 19.02.2015, 12:11    Titel: Antworten mit Zitat

Pfirsich hat folgendes geschrieben:


Also, ich bin keine VWLerin. Ich kenne Banken nur aus der Unternehmerperspektive (KG). Und ich hatte einen Vater, der nach meiner allerersten Wahl (für die FDP) sagte: "Wenn ich gewusst hätte, dass die über die 5 % kommen, hätte ich sie auch gewählt."

Bei meiner Parteimitgliedschaft habe ich dann ausgerechnet die Westerwelle-Ära erwischt. (Für den Fall, dass Du Dich wunderst, warum ich in dem entsprechenden Thread gar so sehr mit-ätze.)
Und ich glaube nicht, dass Resteverwerter Lindner da was wuppt. Zumal die Hamburg-Wahl keine "Eisbrecher-Wahl" sein wird. Denn wenn die Neuen Liberalen für etwas gut sind, dann dafür, die FDP in HH klein zu halten.

Ich denke auch nicht, dass Lindner nochmal großartig etwas an der Position der FDP ändern kann. Dafür müsste gegeben sein, dass der gemeine Wähler sich rationale und logische Gedanken bezueglich der Politik macht. Der überwiegende Teil folgt jedoch leider einfach seiner Intuition und lässt sich zusätzlich medial lenken. Und wie die mediale Präsenz der FDP ausfällt ist mehr als eindeutig Sehr glücklich Das werden die Leute nicht so schnell vergessen. Auf der Basis fehlt Eigenvermarktung einfach schwer, wenn sie nicht sogar unmöglich ist. Über den Grundwählerstamm, die Mittelständler, wird es kaum hinaus gehen.
Pfirsich hat folgendes geschrieben:

Zitat:
Nach der im Dezember 2006 veröffentlichten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung Gesellschaft im Reformprozess[13] gehören zum Prekariat die Untergruppen des abgehängten Prekariats, die autoritätsorientierten Geringqualifizierten sowie ein Teil der selbstgenügsamen Traditionalisten.
(Wiki)

Glaubst Du, dass man alle 3 Gruppen dazu kriegen kann, in einer genügend kleinteilig organisierten Gesellschaft ebenfalls eine Interessenvertretung zu versuchen.. und dass sie es schaffen könnten, ohne - und hier wieder zu meiner Sorge - von anderen, Alerteren, für deren Zwecke vereinnahmt zu werden?

Hältst Du die 8 Jahre alte Studie noch für wert, sich damit zu beschäftigen, oder erwartest Du, dass eine Aktualisierung in absehbarer Zeit um´s Eck kommt?
Ich meine, allmählich ist ja auch die Frage, ob etwa das abgehängte Prekariat noch weiß, was Individualisierung sein kann, oder ob es sich schon allzu sehr mit den Placebos zufrieden gibt (etwa der blonden/dunklen/roten/lila Strähne im Haar).


Zumindest graduell betrachtet würden diese drei Gruppen sich in einer genügend kleinteilig organisierten Gesellschaft wesentlich stärker mit sich selbst beschäftigen und dementsprechend auch eine Interessensvertretung versuchen. Alleine schon systemisch bedingt. Wenn sich dann wiederum jemand wieder vereinnahmen lässt ist er selbst Schuld. So lange er immer die Möglichkeit hat sich von dem, was auch immer ihn vereinnahmt, loszusagen, liegt die Entscheidung in seiner Hand.

Ich glaube nicht, dass die Studie nach 8 Jahren zu wesentlich neuen Erkenntnissen käme. Was Individualisierung sein kann, kann jeder jederzeit verstehen. Die Missstände über die wir hier reden sind ja eben recht simpler Natur - nur fehlt der Blick dafür. Hat eben auch mit den beschriebenen Placebos zu tun - nicht nur erscheint das Leben selbst den Ärmsten recht frei, sondern auch die notwendige Genügsamkeit wird an jeder Ecke gepredigt ("Was willst du denn? Uns geht es doch gut!")
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Ratio
huhu



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Beitrag(#1985986) Verfasst am: 19.02.2015, 12:27    Titel: Re: Das Prekariat und die Individualisierungstheorie Antworten mit Zitat

Pfirsich hat folgendes geschrieben:
Ratio hat folgendes geschrieben:
Da Einfachsttätigkeiten sowieso kaum noch angeboten werden ist diese Selbstökonomisierung zwangsweise notwendig, ja. Das lustige ist ja, dass trotz fortschreitender Produktivität die Relation aus Arbeitsaufwand und eigenem Wohlstand zwar quantitativ noch steigt, qualitativ aber schon lange nicht mehr. Sprich - vor einiger Zeit konntest du selbst noch als Arbeiter in einer Bonbonfabrik ohne Vorkenntnisse eine Menge verdienen. Mittlerweile brauchst du mindestens eine Ausbildung für die einfachsten Tätigkeiten und siehst dich selbst dann noch unter Umständen mit allerlei finanziellen Problemen konfrontiert, oder würdest dich selbst zumindest alles andere als wohlhabend nennen.

Bis hierhin besteht dann wieder mit jedem ein Konsens - nur nicht bei der Frage, wo denn der Mehrgewinn bleibt, der erzielt wurde, den der Arbeiter aber nicht erhält.


Hab mich bei meinen Antwortversuchen leider zu sehr im Klein-Klein verloren. Wünschte von daher, Du würdest von Dir aus auf die Themen "Bildung(sträger)" und "Behinderte(nhilfe)" nebst -finanzierung zu sprechen kommen *hoff*.


Hm, du fragst, wie sich das in einer liberalen Gesellschaft gestalten würde bzw. sollte? Also nur mal als Einschub, damit du meine Äußerungen besser einordnen kannst - ich selbst bin erst 24 und alles andere als gefestigt, was meine Positionen und somit auch meine Vorstellungen betrifft. Gerade deswegen diskutiere ich in Foren wie dem Freigeisterhaus, um mit der Zeit ein klareres Bild meines Idealweges zu gewinnen.
Meine Äußerungen sollte man also mit Vorsicht genießen und keinesfalls als stellvertretend für den gemeinen Liberalen/Libertären aufnehmen.

Was die obigen beiden Punkte betrifft: Bezüglich der Bildung wäre ein erster Ansatz definitiv die Abschaffung der Schulpflicht. Damit einhergehen müsste für "Schulverweigerer" eine Steuerreduktion bzw. Rückzahlung. Im Schnitt kostet ein Schulkind nämlich in etwa 400 Euro pro Monat (Ich kann jedoch leider die Quelle aktuell nicht benennen). Wenn Eltern das Geld zur Verfügung stünde, dass sie sonst über Steuern abgeben mussten, damit die Kinder die wenig produktiven staatlichen Schulen besuchen dürfen, dann würden sich wesentlich mehr alternative Optionen in Form privater Schulen anbieten, die nun auch ärmeren Familien zugänglich wären. Mit der Zeit würden sich sehr schnell effizientere und beliebtere Schulformen- und Systeme auftun.

Behindertenhilfe könnte nach wie vor über Steuern gewährleistet werden. Anarchokapitalisten würden das eventuell anders sehen und komplett auf private Unterstützung setzen (heißt, Hilfe wird individuell organisiert), aber ob das zu einer ausreichenden Versorgung führen würde (wobei ausreichend zu definieren ist) kann ich nicht abschätzen.
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Ratio
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Beitrag(#1985988) Verfasst am: 19.02.2015, 12:38    Titel: Antworten mit Zitat

Nachtrag:

https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/BildungForschungKultur/BildungKulturFinanzen/BildungsfinanzberichtTabellenteil.html

Bildungsfinanzbericht - Ausgaben für Bildung - Tabellenteil - 2014

3.2 - Allgemein bildende und berufliche Schulen (Ausgaben je Einwohner)

2014: 775 Euro. Also noch einiges mehr, als ich im Sinn hatte.


Als beispielhaftes Gedankenspiel: 8 Eltern tun sich zusammen und lassen ihre Kinder durch einen Privatlehrer unterrichten. Budget: 5400€ . Klassengröße ist mit 8 Schülern 1/3 des üblichen Ausmaßes. Die Betreuung kann wesentlich individueller stattfinden, der Stoff besser auf die Schüler zurechtgeschnitten werden. Die Klassenkameraden können frei gewählt werden, Mobbing ist kaum möglich. Die Lernzeiten sind aufgrund der höheren Effizienz wesentlich geringer. 4Stunden am Tag reichen vollkommen. Macht 20 Wochenstunden, 80 Stunden im Monat. Bei 5400€ bleibt abzüglich eventueller Raummiete und Kosten für die Lehrmaterialien eine ganze Menge für den Lehrer. Da kann man sich eine Top Lehrkraft leisten.
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Pfirsich
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Beitrag(#1986112) Verfasst am: 20.02.2015, 05:54    Titel: Re: Das Prekariat und die Individualisierungstheorie Antworten mit Zitat

Ratio hat folgendes geschrieben:
Was die obigen beiden Punkte betrifft: Bezüglich der Bildung wäre ein erster Ansatz definitiv die Abschaffung der Schulpflicht. Damit einhergehen müsste für "Schulverweigerer" eine Steuerreduktion bzw. Rückzahlung. Im Schnitt kostet ein Schulkind nämlich in etwa 400 Euro pro Monat (Ich kann jedoch leider die Quelle aktuell nicht benennen). Wenn Eltern das Geld zur Verfügung stünde, dass sie sonst über Steuern abgeben mussten, damit die Kinder die wenig produktiven staatlichen Schulen besuchen dürfen, dann würden sich wesentlich mehr alternative Optionen in Form privater Schulen anbieten, die nun auch ärmeren Familien zugänglich wären. Mit der Zeit würden sich sehr schnell effizientere und beliebtere Schulformen- und Systeme auftun.


Also für jedes Kind erstmal ein IQ-Test - wobei da durchaus Fehler passieren können und ein ähnlicher IQ noch lange nicht heißt, dass die Kinder charakterlich zusammenpassen.
Da die Zusammensetzung der Klassen Sache der Eltern ist, würde sie deshalb mindestens jährlich wechseln. Es gäbe Internet-Portale, die den Eltern hülfen, die richtige Lerngruppe für ihr Kind (bis zu den nächsten Ferien) zu finden. Allerdings nicht für den Linken, den Moslem, den ZJler... im Dorf. Der müsste täglich -zig Kilometer fahren, um sein Kind unterzubringen und dann nehmen, was er kriegt.

Lehrer wären die neuen Arbeitsmigranten und hätten ähnliche Schwierigkeiten mit der Haftpflichtversicherung wie zuletzt die Hebammen.

Über eine "starke" und eine "schwache" Gruppe pro Jahrgang ließe ich noch mit ihr reden. Wobei Lehrer allerdings unbedingt den Beamtenstatus behalten müssten, damit es wenigstens noch irgendwas gibt, das den Beruf attraktiv macht. Dann hätte jede Klasse ca. 12 Mitglieder - und, ja, pro Kind würde die Chose noch mehr kosten.
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Pfirsich
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Beitrag(#1986115) Verfasst am: 20.02.2015, 06:04    Titel: Antworten mit Zitat

Ratio hat folgendes geschrieben:
Pfirsich hat folgendes geschrieben:

Zitat:
Nach der im Dezember 2006 veröffentlichten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung Gesellschaft im Reformprozess[13] gehören zum Prekariat die Untergruppen des abgehängten Prekariats, die autoritätsorientierten Geringqualifizierten sowie ein Teil der selbstgenügsamen Traditionalisten.
(Wiki)

Glaubst Du, dass man alle 3 Gruppen dazu kriegen kann, in einer genügend kleinteilig organisierten Gesellschaft ebenfalls eine Interessenvertretung zu versuchen.. und dass sie es schaffen könnten, ohne - und hier wieder zu meiner Sorge - von anderen, Alerteren, für deren Zwecke vereinnahmt zu werden?


Zumindest graduell betrachtet würden diese drei Gruppen sich in einer genügend kleinteilig organisierten Gesellschaft wesentlich stärker mit sich selbst beschäftigen und dementsprechend auch eine Interessensvertretung versuchen. Alleine schon systemisch bedingt. Wenn sich dann wiederum jemand wieder vereinnahmen lässt ist er selbst Schuld. So lange er immer die Möglichkeit hat sich von dem, was auch immer ihn vereinnahmt, loszusagen, liegt die Entscheidung in seiner Hand.


Also da teile ich Deinen Optimismus (ebenfalls) nicht. IMO gibt es Gruppen, die um noch oder wieder mitzukommen den Sozialarbeiter brauche wie die Luft zum Atmen...
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Ratio
huhu



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Beitrag(#1986138) Verfasst am: 20.02.2015, 11:21    Titel: Re: Das Prekariat und die Individualisierungstheorie Antworten mit Zitat

Pfirsich hat folgendes geschrieben:
Ratio hat folgendes geschrieben:
Was die obigen beiden Punkte betrifft: Bezüglich der Bildung wäre ein erster Ansatz definitiv die Abschaffung der Schulpflicht. Damit einhergehen müsste für "Schulverweigerer" eine Steuerreduktion bzw. Rückzahlung. Im Schnitt kostet ein Schulkind nämlich in etwa 400 Euro pro Monat (Ich kann jedoch leider die Quelle aktuell nicht benennen). Wenn Eltern das Geld zur Verfügung stünde, dass sie sonst über Steuern abgeben mussten, damit die Kinder die wenig produktiven staatlichen Schulen besuchen dürfen, dann würden sich wesentlich mehr alternative Optionen in Form privater Schulen anbieten, die nun auch ärmeren Familien zugänglich wären. Mit der Zeit würden sich sehr schnell effizientere und beliebtere Schulformen- und Systeme auftun.


Also für jedes Kind erstmal ein IQ-Test - wobei da durchaus Fehler passieren können und ein ähnlicher IQ noch lange nicht heißt, dass die Kinder charakterlich zusammenpassen.
Da die Zusammensetzung der Klassen Sache der Eltern ist, würde sie deshalb mindestens jährlich wechseln. Es gäbe Internet-Portale, die den Eltern hülfen, die richtige Lerngruppe für ihr Kind (bis zu den nächsten Ferien) zu finden. Allerdings nicht für den Linken, den Moslem, den ZJler... im Dorf. Der müsste täglich -zig Kilometer fahren, um sein Kind unterzubringen und dann nehmen, was er kriegt.

Lehrer wären die neuen Arbeitsmigranten und hätten ähnliche Schwierigkeiten mit der Haftpflichtversicherung wie zuletzt die Hebammen.

Über eine "starke" und eine "schwache" Gruppe pro Jahrgang ließe ich noch mit ihr reden. Wobei Lehrer allerdings unbedingt den Beamtenstatus behalten müssten, damit es wenigstens noch irgendwas gibt, das den Beruf attraktiv macht. Dann hätte jede Klasse ca. 12 Mitglieder - und, ja, pro Kind würde die Chose noch mehr kosten.


Nun, ob ein IQ Test vonnöten wäre kann ich nicht einschätzen. Eine übliche Einschätzung durch den Lehrer, der das Kind in den ersten Schuljahren betreut, scheint mir ausreichend. Der konventionelle Weg.
Wieso würde die Zusammensetzung der Klassen sich jährlich ändern?
Wenn Eltern besondere Anforderungen an die Lerngruppe hätten, dann könnte die Selektion durchaus schwieriger Fallen, klar. Aber immerhin haben sie die Wahl Smilie

Wie kommst du zu dem Rückschluss, dass der Beruf dadurch unattraktiver würde? Meiner Einschätzung nach würde er attraktiver. Die Gehälter wären höher und flexibel, Selbstvermarktung über die eigenen Qualitäten ist möglich. Die Einbringung der eigenen Vorstellungen und freiere Gestaltung des Unterrichts ist gegeben.
Ebenso wäre es für Eltern günstiger als bisher. Siehe dazu meine Milchmädchenrechnung aus dem vorherigen Beitrag.
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funkeimdunkeln
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Beitrag(#1986250) Verfasst am: 20.02.2015, 22:10    Titel: Re: Das Prekariat und die Individualisierungstheorie Antworten mit Zitat

Ratio hat folgendes geschrieben:

Hm, du fragst, wie sich das in einer liberalen Gesellschaft gestalten würde bzw. sollte? Also nur mal als Einschub, damit du meine Äußerungen besser einordnen kannst - ich selbst bin erst 24 und alles andere als gefestigt, was meine Positionen und somit auch meine Vorstellungen betrifft. Gerade deswegen diskutiere ich in Foren wie dem Freigeisterhaus, um mit der Zeit ein klareres Bild meines Idealweges zu gewinnen.
Meine Äußerungen sollte man also mit Vorsicht genießen und keinesfalls als stellvertretend für den gemeinen Liberalen/Libertären aufnehmen.


Mach dir keine Sorgen. Ich kann in deinen Beiträgen eigentlich immergute Denkanregungen entdecken. Das ist viel wichtiger als ob sie "richtig" oder "falsch" sind. Und ich bin auch erst 24! Smilie

Zitat:

Behindertenhilfe könnte nach wie vor über Steuern gewährleistet werden. Anarchokapitalisten würden das eventuell anders sehen und komplett auf private Unterstützung setzen (heißt, Hilfe wird individuell organisiert), aber ob das zu einer ausreichenden Versorgung führen würde (wobei ausreichend zu definieren ist) kann ich nicht abschätzen.


Das "würde" bei den Anarchokapitalisten solltest du streichen und den Konjunktiv durch ein Indikativ ersetzen. Was die "ausreichende Versorgung" angeht: Würde der Staat von heute auf morgen komplett jegliche Unterstützung einstellen, würde es wahrscheinlich zu massiven Problemen kommen. Eine Umstellung des Systems muss also schrittweise geschehen und - das ist noch viel wichtiger - durch Bewusstseinsbildung, durch die Verbreitung libertaristischer Ideen, durch das Planen von Projekten, etc. ich selber plane eine Filmveranstaltung für Behinderte Menschen, was ich natürlich in erster Linie als solidarische Veranstaltung zur Gemeinschaftsbildung und zum gegenseitigen Kennenlernen, in letzter Konsequenz aber auch als Vorstufe zu einer libertaristischen Utopie betrachtet werden kann.

Was mir jedoch auffällt, ist deine Verwendung des Wortes "ausreichend". Das führt zu der Frage, wer definiert, was "ausreichend" ist? Du? Ich? Ein Beamter? Grundsätzlich wird es keine objektive Definition geben, aber man kann davon ausgehen, dass es einen Konsens bezüglich dieser Frage gibt, nämlich, dass Behinderte Unterstützung brauchen. Dieser Konsens ist entgegen aller verbreiteten Vorurteile über die Habsüchtigkeit und die Rücksichtslosigkeit der Menschen massiv. Gerade eben hat in Schottland eine Mehrheit von 97 % sich dafür entschieden eine Aktion eines Behinderten Jungen mit Down-Syndrom zum Tor des Monats zu wählen.

Das Ziel ist klar, das Problem ist jedoch der Weg dahin. Und da gibt es eben völlig unterschiedliche Meinungen. Das Fatale am Staat ist nun, dass eine bestimmte Fraktion ihre Meinung durchsetzen und dadurch andere Meinungen unterdrücken kann. Und das kann zu massiven Schaden führen und auch dafür gibt es ein sehr aktuelles Beispiel. Es werden in den Schulen von NRW und Niedersachsen behinderte Kinder zwangsinkludiert, d.h. in Regelschulen eingegliedert gegen den Willen der Lehrer, Eltern und Schulen, und dafür die Förderschulen geschlossen. Die Pädagogen berichten von großer Überforderung sowohl auf ihrer als auch auf der Seite der Schüler selber. Eltern haben keine Wahl mehr, ob sie ihren behinderten Kindern eher die herausfordernde Umgebung einer Regelschule oder die behütende Umgebung einer Förderschule zumuten möchten. Dies ist eines der katastrophen Folgen des Gewaltmonopol des Staates. Durch privat organisierte Solidarität werden hingegen solche Prokrustres-Brett artige Lösungen vermieden, weil die Beteiligten Individuen sich nicht nach den Vorgaben des Staates richten müssen, sondern sich nach den Vorgaben der Situation.

Ich habe vor einiger Zeit mal einen Thread dazu aufgemacht, wo ich das Problem der Inklusion eingehend erörtert habe. Dort finden sich auch weitergehende Links.

Mit freundlichen Grüßen,
Mirko
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funkeimdunkeln
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Anmeldungsdatum: 12.05.2014
Beiträge: 878

Beitrag(#1986256) Verfasst am: 20.02.2015, 22:36    Titel: Re: Das Prekariat und die Individualisierungstheorie Antworten mit Zitat

Pfirsich hat folgendes geschrieben:

Also für jedes Kind erstmal ein IQ-Test - wobei da durchaus Fehler passieren können und ein ähnlicher IQ noch lange nicht heißt, dass die Kinder charakterlich zusammenpassen.


Wieso das denn?

Dass es in einem privaten Schulsystem zu einer Segregation kommen würde, das halte ich für ziemlich wahrscheinlich. Und mit gesundem Menschenverstand kann man auch erahnen, wie die ungefähr aussehen würde. Es würde Eltern geben, die Wert auf Unterricht mit christlichem Hintergrund legen, andere Eltern würden dagegen einen egalitaristischen Hintergrund wollen und wieder andere würden den Leistungsgedanken im Unterricht gerne verwirklicht sehen.
Und der Linke, der Moslem, der ZJler und was dergleich Exoten mehr sein mögen, würden dann mit Internet und Fernunterricht arbeiten.

Wir können nicht erahnen, was passieren wird. In dieser Hinsicht breitet die Zukunft ihre Schatten aus und diese Ungewissheit ist es, die uns Angst macht. Diese Ungewissheit und die Furcht vor dem Schrecklichen, was kommen mag, wenn man die Fesseln des Staates lösen wird, die ist der eigentliche Grund für die Staatsgläubigkeit der Menschen.

Erich Fromm hat in seinem Werke "Haben oder Sein" zwei unterschiedliche Bewusstseinszustände der Menschen beschrieben. Der eine Bewusstseinszustand ist der des "Haben"s, also die Orientierung an sicheren Zuständen, an festen Gewissheiten, eben an die Wahrheiten, die man "hat", an die materiellen Grundlagen, die man "hat", usw. Es ist eine Charakterhaltung, in der das Bedürfnis nach Sicherheit und nach Bequemlichkeit dominiert.
Demgegenüber stellte er den Zustand des "Sein", in dem der Mensch nach Selbstverwirklichung strebt. Das Dumme ist nur, dass Selbstverwirklichung als ein in die Zukunft gerichtetes Streben eine Erkenntnis der Unvollkommenheit der jetzigen Situation mit sich bringt und die Bereitschaft erfordert, aktiv Schritte und Anstrengungen zu unternehmen, um daraus etwas Besseres zu machen. Außerdem bringt der Zustand des "Sein"s Risiken mit sich, weil man Fehler machen könnte, weil man Scheitern könnte. Und genau diese Befürchtungen sind es, die die Menschen davon abhalten den Joch des Staates abzuwerfen. Freilich ist es viel befriedigender sich auf seine eigenen Kräfte zu verlassen, zu wachsen, zu lernen, zu entdecken, etwas aufzubauen, als sich auf einem Polster auszuruhen.

Mit freundlichem Gruß,
Mirko
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