Prana-Pommes, rot-weiß

[Ralf Rudolfy]

Liebe Gemeinde!

Ich schreibe ja fürs Erfurter Lokal-Radio eine regelmäßige Kolumne. Ihr dürft als erste lesen, was ich gerade für die nächste Folge verfaßt habe.



Prana-Pommes, rot-weiß

Deprimierend häufig ergibt sich die Gelegenheit, um festzustellen: was sie mit dem melonenförmigen Ding auf ihrem Hals und der darin enthaltenen grauen Zellmasse anstellen sollen, davon haben allzuviele Menschen keine Ahnung. Eine Betriebsanleitung wurde nicht mitgeliefert, und die benötigen sie aber. Selbständig denken, ohne Anleitung anderer, das können sie nicht, sie haben es weder gelernt, noch hatten sie jemals das Bedürfnis, es zu tun. So brauchen sie: Priester, Gurus, Führer. »Oh bitte bitte«, rufen sie denen zu, ohne sich das selbst einzugestehen, »kommt und nehmt mich bei der Hand! Meinen Kopf habe ich nur, weil ich die Mütze nicht am Hintern tragen kann! Kommt, und nutzt meine Orientierungslosigkeit und Lebensuntüchtigkeit aus!« Das tun die Angesprochenen bereitwillig und gern, beispielsweise, indem sie die mittlerweile meterlangen Esoterik-Regale der Buchläden füllen oder allerlei unlustige und wenig preisgünstige Seminare veranstalten.

Daß den Eso-Jüngern der Aberglauben der Eltern an Fegefeuer und Jungfrauengeburt sowie Erlösung von sogenannten Sünden zu spießig geworden ist, heißt noch lange nicht, daß es schon zu Vernunft reicht. Daß sie den Alten im Vatikan gegen einen dauergrinsenden Oberpfaffen aus Tibet eingetauscht haben, ändert nichts: nach wie vor herrschen Düsternis und Leere im Raum zwischen den Ohren. Um das Vakuum zu füllen, liegen allerlei Versatzstücke sogenannter »fernöstlicher Weisheit« bereit, und das Ausmaß der Gedankenabstinenz manifestiert sich bereits in dem Automatismus, mit dem der Begriff »fernöstlich« mit dem Begriff »Weisheit« assoziiert wird. Daß menschliche Doofheit und das Anliegen, Kollege Mitmensch übers Ohr zu hauen, im Großraum Fernost möglicherweise nicht weniger weit verbreitet sind als hierzulande, dieser an sich naheliegende Gedanke kommt ihnen erst gar nicht in den Sinn.

Der durch keine vernunftgeleitete Erwägung zu rechtfertigende Glauben, daß Lichtjahre entfernte Gestirne im großen weiten Universum einen Einfluß auf irdisches und alltägliches und ebenso unbedeutendes Tun und Lassen haben, stellt dabei verglichen mit manch anderen gerne geglaubten Durchgeknalltheiten auf dem vielfältigen Markt des Esoterik-Blödsinns noch die harmlosere Variante dar – wenngleich auch sie eigentlich zum sofortigen Aberkennen gegebenenfalls vorhandener höherer Schulabschlüsse führen müßte. Wer sich einen umfassenden Überblick über die Grenzenlosigkeit des kursierenden Irrsinns verschaffen möchte, dem sei Colin Goldners faktenreiches Buch »Die Psychoszene« empfohlen.

Daß gegen die Dummheit selbst Götter vergeblich kämpfen, ist ja hinlänglich bekannt; neu hingegen ist, daß sie via Internet früher nie gekannte Verbreitungsmöglichkeiten hat. So ist die ISDN-Steckdose in der Wand eine ergiebig sprudelnde Quelle nie gesehener Wahnideen, ohne die dem engagierten Verhaltensforscher manch Blick in den Abgrund verborgen bliebe.

Mit ihrer Hilfe stößt der Verhaltensforscher in immer neue, unbekannte Dimensionen der cerebralen Entkernung vor. Eine australische Ex-Sparkassenangestellte beispielsweise namens Ellen Greve, die sich jedoch Jasmusheen nennt und von sich behauptet, »Metaphysikerin« zu sein, schlägt allen, die derangiert genug sind, dergleichen zu glauben, vor, auf Fotosynthese umzusteigen und sich in ein biologisches Perpetuum Mobile zu verwandeln. Das nennt sich Prana-Ernährung oder auch Lichtnahrung. Und das liest sich dann so:

Es geht dabei darum, seine Nahrungsgewohnheiten von fester und flüssiger auf vergeistigte und unsichtbare Pranaernährung umzustellen, wie sie von vielen Mystikern gelebt wurde. Dadurch ergibt sich ein erweitertes Bewußtsein gepaart mit spirituellem Fortschritt, da man sich von der den Körper belastenden festen Nahrung frei macht und alten Denkballast (etwa ohne Nahrung zu sterben) frei macht.
Prana, so liest man weiter, ist der göttliche Stoff, der das ganze Universum durchwirkt und erhält.

Daß das, was da angeblich durchs Universum schwappt, näher erläutert wird, kann natürlich keiner erwarten – wie riecht es, wonach schmeckt es? Nach Schweinebraten mit Klößen, nach Roter Grütze oder nach Hühnercurry? Oder eher nach Döner »mit alles und Knoblauchsoße«? Prana-Pommes, rot-weiß? Wir erfahren es nicht. Auch Begriffe wie »Energie« sind beliebte Platzhalter für eine Sache, die man dem leichtgläubigen Kunden unterjubeln möchte, deren Beschaffenheit man aber lieber nicht näher erklären will. Unnötig ist es ebenfalls, zu erwähnen, daß besagte »Energien« oder »Stoffe« kein Physiker je messen oder analysieren wird. Aber das zu wollen, zeugt ja vermutlich bereits vom falschen Bewußtsein.

Es folgt eine Anleitung, in nur drei Wochen mit Hilfe von ein wenig Fruchtsaftschorle auf Lichtnahrung umzurüsten. Wurde dieses Programm absolviert, dann ist man, so die Botschaft, von konventioneller Nahrung unabhängig und wird aus dem Kosmos unentgeltlich mit Prana versorgt – eine tolle Sache! Zwar warnt deren Propagandistin solche, die noch Zweifel hegen, es sein zu lassen; daß jedoch schon mehrere bei dem Versuch den Löffel endgültig abgaben, ficht die Metaphysikerin indessen auch nicht an: es war dann eben ihr Schicksal, auf diese Weise abzutreten. Kann man halt nichts machen.

Auch daß Menschen in Afrika verschmachten, obwohl dort reichlich die Sonne scheint, sprich Lichtnahrung in Massen verfügbar ist, scheint kein Widerspruch zu sein. Sie haben eben das falsche Bewußtsein, schleppen alten Denkballast mit sich rum und sind letztendlich selbst schuld. Und hier entblößt sich der menschenfeindliche Kern des Ganzen: die Verantwortung für unzuträgliche Lebensumstände wird individulisiert, jedem wird ein »Selbst schuld!« zugerufen. Da vegetiert einer in den Slums von Sao Paulo? Tja, hat halt ein schlechtes Karma, der Bursche. Da wird eine andere von Freischärlern massakriert? Nun, hätte sie halt im früheren Leben besser aufpassen sollen! Nicht die ungleiche Verteilung der Reichtümer der Welt ist das Problem, nicht Hunger und Krankheiten, nicht Folter und politische Unterdrückung, und auch keine Kriege – nein, sondern allein, daß der Einzelne sein Bewußtsein noch nicht erweitert hat. Die Hungernden und Benachteiligten dieser Welt werden gewiß froh sein, das zu hören.

Die Stoßtruppen der Anti-Aufklärung kommen und gehen und wechseln ihre Namen, ihr Anliegen aber bleibt stets das gleiche: den Menschen dumm, abhängig, unselbständig und somit beherrsch- und ausbeutbar zu halten.
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Dadurch, daß ein Volk nicht mehr die Kraft oder Willen hat, sich in der Sphäre des Politischen zu halten, verschwindet das Politische nicht aus der Welt. Es verschwindet nur ein schwaches Volk. (Carl Schmitt)

[annox]

Wieviele Hoerer erreicht Deine Kolumne bzw. wer hoert sie?

Den Artikel finde ich uebrigens Klasse. Dieser Stil ist mir sowieso sehr sympathisch.
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Ich bin jenes Pferd, das unter der Peitsche der Kutscher den Wagen voller Gesindel hinter sich her ziehen muss.
[Sadegh Hedayat]

[zelig]

[Ralf Rudolfy]

[Blaubär]

Hallo Peter!





Gut gemacht, gibts davon demnächst mehr?

[L.E.N.]

[Rollimom]

[sascha]

[Rollimom]

[sascha]

[Nordseekrabbe]

[Falameezar]

Klasse Peter. Das ist seit langem der subtilste Zaunpfahl, den ich zu lesen/hören bekam. Auch wenn ich bezweifle, dass die Menschen, die es betrifft, nicht berührt. Wie du schon sagtest: Gegen Dummheit kämpfen selbst Götter vergebens.
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Wenn die Welt erst ehrlich genug geworden sein wird, um Kindern vor dem 15. Jahr keinen Religionsunterricht zu erteilen, dann wird etwas von ihr zu hoffen sein.

Arthur Schopenhauer (Philosoph, 1788-1860)

[Ralf Rudolfy]

[Heike N.]

[Fluse]

[hessefreak]

sehr sehr gut! Isch gugge.
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Nî túle ímen sire.

[Tarvoc]

Oh Mann, was denn als Nächstes? Prana-Abmagerungskuren?


"Die Prana-Energie aus der südlichen stellaren Hemisphäre soll weniger Fett haben als die der nördlichen. Weisst du, ob das stimmt, und kannst du sie empfehlen?"
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"Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte

[gwarpy]

[hessefreak]

so fängts an....
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Nî túle ímen sire.

[Tarvoc]

[gwarpy]

[Tarvoc]

[hessefreak]

dass man disskutiert , was die nächsten themen über prana-wasweißich sein könnten, dann noch so unrealistische, aber dennoch witzige themen..


@tarvoc:


LOL
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Nî túle ímen sire.

[Tarvoc]

[hessefreak]

gutgut
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Nî túle ímen sire.

[Tarvoc]

Ich habe mich noch einmal über die Ursprünge des Begriffes Prana informiert. Er kommt aus dem Indischen und bedeutet eigentlich nichts anderes als Welt, wobei damit die Synthese aus Innenwelt oder Psyche (Atman) und Aussenwelt (Brahman) gemeint ist, welche der Vorstellung nach auf dem höchsten Grad der Erleuchtung erreicht wird. So gesehen kann man Prana vielleicht mit dem kabbalistischen Malkut vergleichen.

Dass man sich von Prana ernähren kann, stimmt nur in so fern, als Äpfel, Brot, Döner, Pizzas, etc. Teil von Prana sind. Aber Prana ist ganz bestimmt keine obskure Lichtenergie, die man aufnehmen kann!!!

Aber heute werden ja sowieso jeden Tag von irgendwelchen Leuten irgendwelche Begriffe vergewaltigt, weil es sich gut anhört und man damit Kohle machen kann... mit Neoliberalismus war's ja das Gleiche...
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"Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte