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vrolijke Bekennender Pantheist

Anmeldungsdatum: 15.03.2007 Beiträge: 46732
Wohnort: Stuttgart
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(#2039763) Verfasst am: 16.01.2016, 14:40 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
smallie hat folgendes geschrieben: |
Welche Machtmittel hat die Kirche, wenn ich mein Kind nicht taufen lasse?
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Hast du ungetaufte Kinder? Hast du auf dem Lande mal einen konfessionsfreien Kindergarten gesucht? |
Das ist aber kein Machtmittel der Kirche, sondern das Machtmittel der Masse, die nach einheitliche Konventionen drängt.
Deshalb das massenhafte "so tun alsob", und die Tatsache, dass die meisten ihre kleine Fluchten, abseits ins Allerprivatesten ausleben.
_________________ Glück ist kein Geschenk der Götter; es ist die Frucht der inneren Einstellung.
Erich Fromm
Sich stets als unschuldiges Opfer äußerer Umstände oder anderer Menschen anzusehen ist die perfekte Strategie für lebenslanges Unglücklichsein.
Grenzen geben einem die Illusion, das Böse kommt von draußen
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26444
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2039768) Verfasst am: 16.01.2016, 15:43 Titel: |
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zelig hat folgendes geschrieben: | fwo hat folgendes geschrieben: | ... fwo-Lyrik ... |
Entschuldige bitte, wenn ich relativ kurz antworte. Ich habe Deinen ganzen Beitrag gelesen.
1. Obacht! Das Programm ist eine Simulation und nicht die Wirklichkeit selber. Dessen Parametrierung erzeugt letztlich eine Simulation einer Wirklichkeit, wie sie der Programmierer sie sich vorstellt. Und führt daher zu einer Bestätigung oder Falsifizierung eines Modells, jedoch nicht der Wirklichkeit. |
Besser kurz als gar nicht.
Wenn die Evolutionstheorie nur eine zur Biologie wäre, hättest Du Recht. Aber diese allgemeine Form der Evolutionstheorie ist eine zu mathematischen Gegenständen, keine zu Gemüse und Viehzeug. Hier ist die Simulation die Realität.
zelig hat folgendes geschrieben: | 2. Dem "Speicher" fehlt es an einem Analogon zum Gen. Es gibt keine biochemischen Entitäten, auch nicht im Gehirn, die der Funktionalität eines Gens entsprechen. Die biochemische Replikation hat kein Analogon zur Weitergabe von Wissen. |
Was ist denn die Funktionalität des Gens? Die Expression seiner Information oder konkreter die Erzeugung von Eiweiß. Was aber will ich in meinem mathematischen Gegenstand mit Eiweiß? Das Gen ist eines der Steuerungselemente des Stoffwechsels und Stoffwechsel interessiert mich in meiner abstrakten Evolutionstheorie nicht, weil es keine der Biologie ist.
Aus der evolutionstheoretischen Sicht ist das Gen - abgesehen davon, dass es auch eine Evolution einzelner Gene gibt, völlig uninterressant. Was da interessiert, ist der gesamte genetische Apparat mit der Funktion, die er für den Ablauf der Evolution hat, und die hattest Du zu meiner Freude bereits genannt: Er kopiert das Wissen in die Tochtergenerationen und streut ab und zu mal einen Fehler ein. Ein Gen ist aus evolutionstheoretischer Sicht nur ein Stück Information auf einem Träger mit einem Basenalpabeth.
zelig hat folgendes geschrieben: | 3. Manchmal habe ich den Eindruck, ich denke viel naturalistischer als Naturalisten. Ich kann das einfach nicht ignorieren, daß die physische Wirklichkeit kein Ding, keine Entität vorweist, die man als Mem bezeichnen könnte, wie man das Ding bezeichnet, daß man Gen nennt. |
Ich glaube, Dein Eindruck ist richtig - speziell bei Dir wundert mich das. (Du erinnerst mich gerade an Biologen, die auch keinen Spaß mit mir hatten. Sie behaupteten, ich hätte eine Mathematikerseele.) Aber deine eigentliche Frage habe ich eben beantwortet: Ein Gen ist aus evolutionstheoretischer Sicht nur ein Stück distinkter Information auf einem Träger mit einem Basenalpabeth, physikalisch in einem "trinär" funktionierendem Medium gespeichert.
Wenn Du davon ausgehst, dass ein genaues Gegenstück dazu existieren muss, gehst Du gleichzeitig davon aus, dass alle Informationsverarbeitenden Systeme nur mit scharfer Information arbeiten. Wir wissen beide, das das falsch ist - "wir" habe es sogar geschafft, auf digitalen Systemen soetwas zu implementieren, das wir fuzzy logic nennen.
zelig hat folgendes geschrieben: | 4. Die Evolutionstheorie ist zwingend auf die Erklärbarkeit der biochemischen Grundlage angewiesen, wenn sie sich nicht als eine von mehreren Möglichen Anschauungen über die Entstehung der Arten, und somit des Menschen, angreifbar machen will. In dieser Hinsicht fühle ich mich wieder in Punkt 3. bestätigt. |
Nö. Es ist schön, dass wir die biochemische Grundlage kennen, weil wir so zeigen können, dass die Probleme im Großen und Ganzen lösbar sind, ohne dass ich einen Deus aus der Machina springen lassen muss. Aber auch vorher musstest Du schon nicht nur zeitliche Reihungen ignorieren usw. usw. Du musstest zusätzlich einen Gott postulieren, den wir nur von einigen Leuten kennen, die behaupteten mit ihm geredet zu haben. Mehr haben wir nicht. Was wir seitdem haben, ist nur unser Programm, den Mist unserer Eltern weiterzuerzählen (s.o.). Und (reiß Dich mal kurz zusammen und sieh genau hin, auf wen ich meine Pathologisierung beschränke) was wir heute haben, ist das Wissen, dass diese Propheten heilbar waren. Die Leute, die davonausgehen, dass da ein Gott seine Hände im Spiel hatte, sollen ruhig damit leben, dass sie gleichzeitig davon ausgehen müssen, dass dieser Gott sehr viel unternommen hat, um uns vorzugaukeln, wir bräuchten ihn nicht, um die Welt zu erklären. (Dabei fällt mir gerade auf: Wenn ich diese Mühe sehe, die er sich gegeben hat, sollte ich die eigentlich respektieren, wenn ich schon an ihn glaube.)
Darwin war nicht leichtsinnig darin, die Evolutionstheorie zu formulieren, ohne die Biochemie zu kennen. Sein Leichtsinn bestand darin, die Allgemeinheit dieser Theorie nicht stark genug hervorzuheben.
p.s. Du hattest dazu noch nichts gesagt: Was empfindest Du eigentlich be der Darstellung eines Stammbaumes der Sprachen, wo Dich die Anwendung einer evolutionären Sichtweise auf das Objekt Kultur so stört?
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.
Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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zelig Kultürlich
Anmeldungsdatum: 31.03.2004 Beiträge: 25405
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(#2039770) Verfasst am: 16.01.2016, 16:28 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: | p.s. Du hattest dazu noch nichts gesagt: Was empfindest Du eigentlich be der Darstellung eines Stammbaumes der Sprachen, wo Dich die Anwendung einer evolutionären Sichtweise auf das Objekt Kultur so stört? |
Super-Veranschaulichung! Für viele Dinge.
Für die die Enstehung der Arten jedoch eher nicht, da sie dazu verleitet, eine Hierarchie, und mit ihr den Menschen als Krönung der Evolution zu betrachten. Nach Gould wäre der Busch eine bessere Veranschaulichung.
Übrigens will ich nicht behaupten, daß die Menschheit dem evolutionären Selektionsdruck entzogen ist. Für ihn haben sich nach meiner Auffassung jedoch die Bedingungen verändert. Beim Schreiben fällt mir gerade ein Bericht über die Wahlmöglichkeiten ein, die man in Amerika inzwischen hat, wenn man ein Baby mit maßgeschneiderten Eigenschaften wünscht. Haarfarbe, Augenfarbe, Intelligenz usw sind keine biologisch-evolutionäre Resultate aus Zufall, langfristigem Selektionsdruck und Anpassung. Der (teleologische) Wunsch des Menschen beginnt das Steuer zu übernehmen.
Ich glaube, der Punkt an dem die Diskussion dann richtig interessant wird, wäre die Frage, ob man aus naturalistischer Sicht eine Vermutung begründen könnte, die dann auch den teleologischen Willen als eine den evolutionären Wirkkräften unterworfene Größe voraussetzt.
Diese Frage ist jedenfalls für mich die eigentliche Trennlinie zum Naturalismus in diesem Zusammenhang.
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Klaus-Peter auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 10.01.2004 Beiträge: 1534
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(#2039776) Verfasst am: 16.01.2016, 17:21 Titel: |
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zelig hat folgendes geschrieben: | fwo hat folgendes geschrieben: | p.s. Du hattest dazu noch nichts gesagt: Was empfindest Du eigentlich be der Darstellung eines Stammbaumes der Sprachen, wo Dich die Anwendung einer evolutionären Sichtweise auf das Objekt Kultur so stört? |
Super-Veranschaulichung! Für viele Dinge.
Für die die Enstehung der Arten jedoch eher nicht, da sie dazu verleitet, eine Hierarchie, und mit ihr den Menschen als Krönung der Evolution zu betrachten. Nach Gould wäre der Busch eine bessere Veranschaulichung. |
Mir scheint, diese "Busch"-Idee von Gould ist ein schönes Beispiel der Gründe, warum der Evolutionsbiologe John Maynard-Smith über Gould schrieb (Hervorhebung von mir):
John Maynard-Smith hat folgendes geschrieben: | Gould occupies a rather curious position, particularly on his side of the Atlantic. Because of the excellence of his essays, he has come to be seen by non-biologists as the preeminent evolutionary theorist. In contrast, the evolutionary biologists with whom I have discussed his work tend to see him as a man whose ideas are so confused as to be hardly worth bothering with, but as one who should not be publicly criticized because he is at least on our side against the creationists. |
Quelle
Zuletzt bearbeitet von Klaus-Peter am 16.01.2016, 17:23, insgesamt einmal bearbeitet |
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#2039777) Verfasst am: 16.01.2016, 17:22 Titel: |
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vrolijke hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
smallie hat folgendes geschrieben: |
Welche Machtmittel hat die Kirche, wenn ich mein Kind nicht taufen lasse?
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Hast du ungetaufte Kinder? Hast du auf dem Lande mal einen konfessionsfreien Kindergarten gesucht? |
Das ist aber kein Machtmittel der Kirche, sondern das Machtmittel der Masse, die nach einheitliche Konventionen drängt.
Deshalb das massenhafte "so tun alsob", und die Tatsache, dass die meisten ihre kleine Fluchten, abseits ins Allerprivatesten ausleben. |
Wer oder was ist "die Masse"? Wenn man einen konfessionsfreien Kindergarten gründen will, braucht man die Genehmigung der jeweiligen Gemeinde, um da, wie überall in der bundesdeutschen Politik, sitzen die Parteigänger der Kirchen.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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vrolijke Bekennender Pantheist

Anmeldungsdatum: 15.03.2007 Beiträge: 46732
Wohnort: Stuttgart
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(#2039778) Verfasst am: 16.01.2016, 17:28 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | vrolijke hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
smallie hat folgendes geschrieben: |
Welche Machtmittel hat die Kirche, wenn ich mein Kind nicht taufen lasse?
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Hast du ungetaufte Kinder? Hast du auf dem Lande mal einen konfessionsfreien Kindergarten gesucht? |
Das ist aber kein Machtmittel der Kirche, sondern das Machtmittel der Masse, die nach einheitliche Konventionen drängt.
Deshalb das massenhafte "so tun alsob", und die Tatsache, dass die meisten ihre kleine Fluchten, abseits ins Allerprivatesten ausleben. |
Wer oder was ist "die Masse"? |
Die Gemeinschaft, das Dorf, die Stadt, die Peergroup. Dort wo man zugehörig ist oder sein möchte.
Eine zu große Abweichung in einige Gebräuche, fürt zum Ausschluss daraus.
_________________ Glück ist kein Geschenk der Götter; es ist die Frucht der inneren Einstellung.
Erich Fromm
Sich stets als unschuldiges Opfer äußerer Umstände oder anderer Menschen anzusehen ist die perfekte Strategie für lebenslanges Unglücklichsein.
Grenzen geben einem die Illusion, das Böse kommt von draußen
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zelig Kultürlich
Anmeldungsdatum: 31.03.2004 Beiträge: 25405
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(#2039784) Verfasst am: 16.01.2016, 18:01 Titel: |
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Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | zelig hat folgendes geschrieben: | fwo hat folgendes geschrieben: | p.s. Du hattest dazu noch nichts gesagt: Was empfindest Du eigentlich be der Darstellung eines Stammbaumes der Sprachen, wo Dich die Anwendung einer evolutionären Sichtweise auf das Objekt Kultur so stört? |
Super-Veranschaulichung! Für viele Dinge.
Für die die Enstehung der Arten jedoch eher nicht, da sie dazu verleitet, eine Hierarchie, und mit ihr den Menschen als Krönung der Evolution zu betrachten. Nach Gould wäre der Busch eine bessere Veranschaulichung. |
Mir scheint, diese "Busch"-Idee von Gould ist ein schönes Beispiel der Gründe, warum der Evolutionsbiologe John Maynard-Smith über Gould schrieb (Hervorhebung von mir):
John Maynard-Smith hat folgendes geschrieben: | Gould occupies a rather curious position, particularly on his side of the Atlantic. Because of the excellence of his essays, he has come to be seen by non-biologists as the preeminent evolutionary theorist. In contrast, the evolutionary biologists with whom I have discussed his work tend to see him as a man whose ideas are so confused as to be hardly worth bothering with, but as one who should not be publicly criticized because he is at least on our side against the creationists. |
Quelle |
Ja, scheint Dir so? Dann begründe mal bitte. ; )
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Klaus-Peter auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 10.01.2004 Beiträge: 1534
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(#2039796) Verfasst am: 16.01.2016, 18:31 Titel: |
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zelig hat folgendes geschrieben: |
Ja, scheint Dir so? Dann begründe mal bitte. ; ) |
Die Begründung findest du in den vier Absätzen die in der von mir verlinkten Rezension von Maynard Smith auf den zitierten Text folgen. Dort steht die Kurzbegündung dafür, warum man am "Adaptionismus" nicht vorbeikommt. Goulds Ansichten über Adaptionismus sind einer der drei Punkte, die Maynard Smith für sein Urteil über Gould anführt. Wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass die Ablehnung der "Baumstruktur" durch Gould eins zu eins von seiner Ablehnung des Prinzips des Adaptionismus herrührt (weil die Qualität der Adaption als Maß für die "Höherentwicklung" dienen kann), ist die Begründung fertig.
Zuletzt bearbeitet von Klaus-Peter am 16.01.2016, 18:39, insgesamt einmal bearbeitet |
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zelig Kultürlich
Anmeldungsdatum: 31.03.2004 Beiträge: 25405
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(#2039797) Verfasst am: 16.01.2016, 18:36 Titel: |
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zelig hat folgendes geschrieben: | Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | zelig hat folgendes geschrieben: | fwo hat folgendes geschrieben: | p.s. Du hattest dazu noch nichts gesagt: Was empfindest Du eigentlich be der Darstellung eines Stammbaumes der Sprachen, wo Dich die Anwendung einer evolutionären Sichtweise auf das Objekt Kultur so stört? |
Super-Veranschaulichung! Für viele Dinge.
Für die die Enstehung der Arten jedoch eher nicht, da sie dazu verleitet, eine Hierarchie, und mit ihr den Menschen als Krönung der Evolution zu betrachten. Nach Gould wäre der Busch eine bessere Veranschaulichung. |
Mir scheint, diese "Busch"-Idee von Gould ist ein schönes Beispiel der Gründe, warum der Evolutionsbiologe John Maynard-Smith über Gould schrieb (Hervorhebung von mir):
John Maynard-Smith hat folgendes geschrieben: | Gould occupies a rather curious position, particularly on his side of the Atlantic. Because of the excellence of his essays, he has come to be seen by non-biologists as the preeminent evolutionary theorist. In contrast, the evolutionary biologists with whom I have discussed his work tend to see him as a man whose ideas are so confused as to be hardly worth bothering with, but as one who should not be publicly criticized because he is at least on our side against the creationists. |
Quelle |
Ja, scheint Dir so? Dann begründe mal bitte. ; ) |
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | zelig hat folgendes geschrieben: |
Ja, scheint Dir so? Dann begründe mal bitte. ; ) |
Die Begründung findest du in den vier Absätzen die in der von mir verlinkten Rezension von Maynard Smith auf den zitierten Text folgen. Dort steht die Kurzbegündung dafür, warum man am "Adaptionismus" nicht vorbeikommt. Goulds Begründung seiner Ablehnung des Adaptionismus ist einer der drei Punkte, die Maynard Smith für sein Urteil über Gould anführt. Wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass die Ablehnung der "Baumstruktur" durch Gould eins zu eins von seiner Ablehnung des Prinzips des Adaptionismus herrührt, ist die Begründung fertig. |
Aua aua.
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Klaus-Peter auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 10.01.2004 Beiträge: 1534
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(#2039798) Verfasst am: 16.01.2016, 18:40 Titel: |
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zelig hat folgendes geschrieben: |
Aua aua. |
Das ist nun allerdings profunde Argumentation.
Edit: Die folgende Passage ist übrigens eine wunderschöne Anekdote, die zwar nicht direkt gegen Gould geht, aber indirekt doch gegen die Leute, die so ähnlich ticken wie er:
I had particular difficulties with my paper on gaits, which may have been the first genuine “optimization” paper in biology. To find the optimal gait, the one that would minimize energy expenditure at a given speed, I wrote down a differential equation: (dw/dj=o). The editor, offended by this attempt to sully a respectable biological journal with mathematics, asked “Why don’t you cancel the d’s?” I fear that this story will amuse only some readers, but I want to get it on record.
Beim Schmunzeln über diese Anekdote ist mir ein Gedanke gekommen, warum du so verärgert reagiert haben könntest. Ich hatte geschrieben (sinngemäß in freier Übersetzung): "Mir scheint, John Maynard Smith hält Gould für einen biologischen Deppen, und dein "Busch"-Beispiel ist einer der Gründe dafür, dass er das tut". Und du hattest von mir dafür eine Begründung verlangt. Nun habe ich begründet, warum es mir scheint, dass Maynard Smith den lieben Gould für einen biologischen Deppen hält. Du scheinst bei mir aber nach einer Begründung verlangt zu haben, warum Gould ein Depp sei. Da ich das aber nie behauptet habe, habe ich auch nicht die Absicht, das zu begründen. Und warum Maynard Smith ihn für einen Deppen hält, kann man in meinem Link nachlesen (Dank deiner Nachfrage und meinem Nachprüfen daraufhin scheint es mir nicht nur so, sondern ich bin mir sicher, dass es so ist).
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Klaus-Peter auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 10.01.2004 Beiträge: 1534
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(#2039830) Verfasst am: 16.01.2016, 19:57 Titel: |
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Noch ein Beitrag zum Thema: Darwin und Philosophie (auch in der verlinkten Rezension gefunden):
He who understands baboon would do more toward metaphysics than Locke
Charles Darwin, 1838, Notebook M
Zu deutsch:
"Derjenige, der den Pavian versteht, würde mehr zur Metaphysik beitragen als [der Philosoph John] Locke."
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#2039837) Verfasst am: 16.01.2016, 20:31 Titel: |
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vrolijke hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: | vrolijke hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
smallie hat folgendes geschrieben: |
Welche Machtmittel hat die Kirche, wenn ich mein Kind nicht taufen lasse?
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Hast du ungetaufte Kinder? Hast du auf dem Lande mal einen konfessionsfreien Kindergarten gesucht? |
Das ist aber kein Machtmittel der Kirche, sondern das Machtmittel der Masse, die nach einheitliche Konventionen drängt.
Deshalb das massenhafte "so tun alsob", und die Tatsache, dass die meisten ihre kleine Fluchten, abseits ins Allerprivatesten ausleben. |
Wer oder was ist "die Masse"? |
Die Gemeinschaft, das Dorf, die Stadt, die Peergroup. Dort wo man zugehörig ist oder sein möchte.
Eine zu große Abweichung in einige Gebräuche, fürt zum Ausschluss daraus. |
Kannst du mir sagen, was du dir da zusammenfantasierst? Ich wohne in einer Kleinstadt von 30.000 Einwohnern, die Mehrheit luth., Minderheit kath., seit Ewigkeiten sozialdemokratisch regiert (Ewigkeit meint: seit Bürgermeister in unserer Stadt gewählt werden können) Heute haben wir (leider 30 Jahre zu spät) 3 AWO-Kindergärten, 8 ev., 3 Waldorf und 1 kath. So in der Art hätte ich das eigentlich gern überall. OK, die Waldorf-Kindergärten sind mir definitv zu esoterisch, und 8 ev. brauche ich auch nicht, aber es gibt wenigstens ein paar nichtkonfessionelle.
Als unsere Kinder klein waren, war das anders, aber das hatte nichts mit irgendwelchen "Fluchten" oder "Konventionen" oder "Gebräuchen" zu tun, sondern schlicht mit einem Quasi-Monopol der Kirchen (in diesem Falle der ev.) auf sozialem Gebiet zu tun. In unserer Stadt hat sich das geändert und das muß es im ganzen Land. So einfach ist das.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26444
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2039843) Verfasst am: 16.01.2016, 20:41 Titel: |
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zelig hat folgendes geschrieben: | fwo hat folgendes geschrieben: | p.s. Du hattest dazu noch nichts gesagt: Was empfindest Du eigentlich be der Darstellung eines Stammbaumes der Sprachen, wo Dich die Anwendung einer evolutionären Sichtweise auf das Objekt Kultur so stört? |
Super-Veranschaulichung! Für viele Dinge.
Für die die Enstehung der Arten jedoch eher nicht, da sie dazu verleitet, eine Hierarchie, und mit ihr den Menschen als Krönung der Evolution zu betrachten. Nach Gould wäre der Busch eine bessere Veranschaulichung.
Übrigens will ich nicht behaupten, daß die Menschheit dem evolutionären Selektionsdruck entzogen ist. Für ihn haben sich nach meiner Auffassung jedoch die Bedingungen verändert. Beim Schreiben fällt mir gerade ein Bericht über die Wahlmöglichkeiten ein, die man in Amerika inzwischen hat, wenn man ein Baby mit maßgeschneiderten Eigenschaften wünscht. Haarfarbe, Augenfarbe, Intelligenz usw sind keine biologisch-evolutionäre Resultate aus Zufall, langfristigem Selektionsdruck und Anpassung. Der (teleologische) Wunsch des Menschen beginnt das Steuer zu übernehmen.
Ich glaube, der Punkt an dem die Diskussion dann richtig interessant wird, wäre die Frage, ob man aus naturalistischer Sicht eine Vermutung begründen könnte, die dann auch den teleologischen Willen als eine den evolutionären Wirkkräften unterworfene Größe voraussetzt.
Diese Frage ist jedenfalls für mich die eigentliche Trennlinie zum Naturalismus in diesem Zusammenhang. |
fett von mir.
War das jetzt Absicht oder hast Du was übersehen?
Ich habe Sprachen als Beispiel gewählt, obwohl mir, ohne dass ich mich je weiter für Linguistik interessiert hätte, klar ist, dass dieses Beipiel problematisch ist, weil aufgrund historischer Prozesse (Wanderungen, Niederwerfungen, Inkorporierungen der ganzer Völker / Gruß an Marcellinus) heftigste horizontale Informationsflüsse stattfanden, die das Bild mit Sicherheit trüben. Aber trotz alledem reden die Linguisten von Verwandschaft, gar Genetik usw, ohne dass ich da viel von Aufregung über übergriffige Biologen vernehme. Das waren immer die Linguisten selbst, die da versucht haben Stammbäume zu malen, und es auch heute noch versuchen. Abgesehen davon, dass die Sicht in diesem Fall zwangsläufig etwas getrübt ist, ist die evolitionstheoretische Sicht bei der Sprache, der Mutter aller Kulturen, absolut üblich.
Ansonsten, bezogen auf das Bild des Stammbaumes selbst, sehe ich das mit der "Krone der Schöpfung" unverkniffen, mehr als ein Bild für die Sonderstellung, die wir in der Tat ja besitzen: Es existiert keine andere Art, mit der wir uns über dieses Problem unterhalten können. Durch unsere symbolische Weltverarbeitung sind wir die Weltmeister in der Anpassungsfähigkeit, oder, anders ausgedrückt, momentaner Endpunkt einer speziellen Optimierungsrichtung. Die momentane Frage ist allerdings, ob es uns gelingt, uns auch an die besonderen Folgen dieser Anpassungsfähigkeit anzupassen.
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.
Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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Klaus-Peter auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 10.01.2004 Beiträge: 1534
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(#2039873) Verfasst am: 16.01.2016, 23:05 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: |
Ich habe Sprachen als Beispiel gewählt, obwohl mir, ohne dass ich mich je weiter für Linguistik interessiert hätte, klar ist, dass dieses Beipiel problematisch ist, weil aufgrund historischer Prozesse (Wanderungen, Niederwerfungen, Inkorporierungen der ganzer Völker / Gruß an Marcellinus) heftigste horizontale Informationsflüsse stattfanden, die das Bild mit Sicherheit trüben. |
Ich finde das Beispiel ohne Abstriche gut, insbesondere verstehe ich nicht, wie das Bild durch "horizontale Informationsflüsse getrübt" werden könnte. Der Baum kann natürlich anderes aussehen als bei einer Vermehrung durch ungeschlechtliche Knospung. Aber das ist bei sexueller Fortplflanzung ja auch schon der Fall. Bei horizontalen Informationsflüssen kommen womöglich noch weitere Zweige hinzu, wie bei einem Kind mit 2 Vätern und 3 Müttern.
Hier noch ein Zitat von Charles Darwin aus der "Abstammung des Menschen", das mir heute in der Badewanne über den Weg gelaufen ist:
Max Müller hat sehr richtig bemerkt: „in jeder Sprache findet beständig ein Kampf um’s Dasein zwischen den Wörtern und grammatischen Formen statt: die besseren, kürzeren, leichteren Formen erlangen beständig die Oberhand, und sie verdanken ihren Erfolg ihrer eigenen inhärenten Kraft“. Diesen wichtigeren Ursachen des Ueberlebens gewisser Wörter lässt sich auch noch die blosse Neuheit und Mode hinzufügen; denn in dem Geiste aller Menschen besteht eine starke Vorliebe für unbedeutende Veränderungen in allen Dingen. Das Ueberleben oder die Beibehaltung gewisser begünstigter Wörter in dem Kampfe um’s Dasein ist natürliche Zuchtwahl.
Quelle, letzte 3 Sätze des ersten Absatzes auf dieser Seite. Der von Darwin zustimmend zitierte "Max Müller" ist dieser hier.
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26444
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2039878) Verfasst am: 17.01.2016, 00:03 Titel: |
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Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | fwo hat folgendes geschrieben: |
Ich habe Sprachen als Beispiel gewählt, obwohl mir, ohne dass ich mich je weiter für Linguistik interessiert hätte, klar ist, dass dieses Beipiel problematisch ist, weil aufgrund historischer Prozesse (Wanderungen, Niederwerfungen, Inkorporierungen der ganzer Völker / Gruß an Marcellinus) heftigste horizontale Informationsflüsse stattfanden, die das Bild mit Sicherheit trüben. |
Ich finde das Beispiel ohne Abstriche gut, insbesondere verstehe ich nicht, wie das Bild durch "horizontale Informationsflüsse getrübt" werden könnte. Der Baum kann natürlich anderes aussehen als bei einer Vermehrung durch ungeschlechtliche Knospung. Aber das ist bei sexueller Fortplflanzung ja auch schon der Fall. Bei horizontalen Informationsflüssen kommen womöglich noch weitere Zweige hinzu, wie bei einem Kind mit 2 Vätern und 3 Müttern.
Hier noch ein Zitat von Charles Darwin aus der "Abstammung des Menschen", das mir heute in der Badewanne über den Weg gelaufen ist:
Max Müller hat sehr richtig bemerkt: „in jeder Sprache findet beständig ein Kampf um’s Dasein zwischen den Wörtern und grammatischen Formen statt: die besseren, kürzeren, leichteren Formen erlangen beständig die Oberhand, und sie verdanken ihren Erfolg ihrer eigenen inhärenten Kraft“. Diesen wichtigeren Ursachen des Ueberlebens gewisser Wörter lässt sich auch noch die blosse Neuheit und Mode hinzufügen; denn in dem Geiste aller Menschen besteht eine starke Vorliebe für unbedeutende Veränderungen in allen Dingen. Das Ueberleben oder die Beibehaltung gewisser begünstigter Wörter in dem Kampfe um’s Dasein ist natürliche Zuchtwahl.
Quelle, letzte 3 Sätze des ersten Absatzes auf dieser Seite. Der von Darwin zustimmend zitierte "Max Müller" ist dieser hier. |
Wir betrachten bei dieser Einschätzung nicht nur unterschiedliche Stadien, sondern auch noch aus unterschiedlicher Blickrichtung.
Dein Zitat ist übrigens für mich bisher die klarste Darstellung kultureller Evolution bei Darwin, an der nichts umzudeuten ist, und mit dem Du unseren Fachmann Defätist ganz locker widerlegt hast:
Defätist hat folgendes geschrieben: | smallie hat folgendes geschrieben: | ............
Darwin selbst hat kulturelle Evolution ins Spiel gebracht. Das geriet lange Zeit in Vergessenheit, weil Darwin gerne auf die Entstehung der Arten reduziert wird.
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Dafür gibt es aber, mal ab von den in der englischsprachigen Wiki und von dir nunmehr aufgestellten Behauptungen keinerlei Beleg bei Darwin selbst.
Sonst wäre das ja eindeutig mit darwinschen Original-Zitaten belegbar.... | Mal sehen, ob er das merkt.
Was Darwin da sagt, sind Überlegungen zur Entstehung der Sprache zu dem Werkzeug, das wir heute vor uns haben. Es ist für mich überhaupt schwierig, das grundsätzlich anders zu sehen, als dass das als Evolution stattfand. Allerdings halte ich diese Fixierung auf das Wort für nicht für sehr glücklich: Als diese Affen anfingen, die Welt zu benamsen, war jedes Wort "richtig", weil bis dahin Laute höchstens Gefühle transportierten. Es gab bei der Lautwahl für einen Gegenstand nur geringe Einschränkungen:
1) Laute, die bereits als Gefühlssignale in Benutzung sind, nimmt man besser nicht bzw. nur für Gegenstände, die in einer direkten Beziehung zu diesem Gefühl stehen.
2.) Laute, die der untrainierte und vielleicht noch nicht perfekt geformte Lautapparat noch nicht hinreichend genau reproduzieren kann, nimmt man besser auch nicht.
3.) Laute, die bereits benutzten zu ähnlich sind, nimmt man besser auch nicht.
Das ist alles, weil es außerhalb dessen keine Einschränkung gibt, jeder Laut bzw, Lautfolge ist so gut wie jede andere, um eine Objekt zu signalisieren. Die Bedeutung entsteht nicht aus dem Laut - sonst wären alle Sprachen gleich, die Bedeutung entsteht aus dem gemeinsamen Gebrauch und die erste Zuordnung ist die richtige.
Der Wettbewerb findet nicht zwischen den Wörtern innerhalb der Kultur statt, er findet zwischen den Kulturen statt. Die Entwicklung der Sprache spiegelt den Erkenntnisfortschritt wieder, die mit der mächtigeren Sprache verfügen über mehr Wissen, können besser denken und sind lebenstüchtiger.
Da wir in der Sprache denken, handelt es sich hier also auch nicht um die in der Philosophie oft bestaunte Präadaptation des menschlichen Geistes, die genau so ist, dass wir die Natur so weit erkennen wie wir das tun. Die Passgenauigkeit des Denkens entsteht aus einer Anpassung der Sprache an die Natur, die es zu verstehen galt.
Etwas anderes ist es, heutige Sprachen zu untersuchen, was anderes können wir nicht, und aus evolutionärer Sicht sind auch die Texte der Griechen noch neu. Aber überleg mal, was seitdem alles passiert ist: Da sind zum Beispiel die Römer in Britannien gewesen und haben ihre Fußspuren auch in der Sprache hinterlassen, als Herrschaft stärker im Vokabular der Verwaltung als in der Landwirtschaft, was sich bei verwandschaftlichen Einordnungen von Texten in ulkigen Effekten bemerkbar macht, je nachdem aus welchem Bereich der Text kommt, den man analysiert.
Dein Vergleich mit der sexuellen Vermehrung hat zwar eine gewisse Berechtigung, aber wir haben Bei Sprachen schon ganz lange eben mehr als immer nur eine Vermählung zur Zeit, aus der dann ein Kind entsteht. Wir haben bei den Engländern eine wahrscheinlich keltische Urbevölkerung, römische Einflüsse, wiederholt Einwanderungen aus dem nord- und westgermanischen Raum ( Angeln, Chauken, Angrivarier und Cherusker) und anschließend nochmal Einwanderungen von Wikingern , zwischendurch haben auch mal ein paar Franzosen mitgemischt. Da fehlt die Eindeutigkeit der Eltern. Da will der Genetiker ein Aufstellung der Vorfahren machen und findet neben Papa und Mama noch ein Stück aus der Landespolizei, zwei Teile vom Milchmann, eines vom Postboten, viel zu viel vom Opa, und versucht dann diese Orgie in einem Stammbaum zusammenzufassen? Das bringt gewisse Schwierigkeiten.
In der klassischen Vererbung haben wir es nur mit einem vertikalen Fluss der Gene zu tun, auch die Zweigeschlechtlichkeit eines Erbganges ändert nichts daran, dass ein Kind maximal zwei Eltern hat - die Sache bleibt übersichtlich. Sobald ich aber Erbgut von irgendwoher und irgendwann dazugeben kann, bekomme ich ein unübersichtliches Bild - die Übersichtlichkeit des Genpools einer Population ist dann flöten und die Selektion ist dann nur noch auf der Ebene des Einzelnen vorhanden. Daraus wirst Du i.A. für die jüngere Vergangenheit kein klares Bild mehr machen können. Das ist dann evtl eher ein Fall für Geschichtswissenschaftler.
(Das war jetzt absichtlich etwas schwarz dargestellt, um die Schwierigkeiten zu verdeutlichen. Dass man auch da Methoden finden kann, um das Rauschen auszufiltern, ist ein anderes Thema.)
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.
Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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zelig Kultürlich
Anmeldungsdatum: 31.03.2004 Beiträge: 25405
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(#2039902) Verfasst am: 17.01.2016, 10:55 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: | zelig hat folgendes geschrieben: | fwo hat folgendes geschrieben: | p.s. Du hattest dazu noch nichts gesagt: Was empfindest Du eigentlich be der Darstellung eines Stammbaumes der Sprachen, wo Dich die Anwendung einer evolutionären Sichtweise auf das Objekt Kultur so stört? |
Super-Veranschaulichung! Für viele Dinge.
Für die die Enstehung der Arten jedoch eher nicht, da sie dazu verleitet, eine Hierarchie, und mit ihr den Menschen als Krönung der Evolution zu betrachten. Nach Gould wäre der Busch eine bessere Veranschaulichung.
Übrigens will ich nicht behaupten, daß die Menschheit dem evolutionären Selektionsdruck entzogen ist. Für ihn haben sich nach meiner Auffassung jedoch die Bedingungen verändert. Beim Schreiben fällt mir gerade ein Bericht über die Wahlmöglichkeiten ein, die man in Amerika inzwischen hat, wenn man ein Baby mit maßgeschneiderten Eigenschaften wünscht. Haarfarbe, Augenfarbe, Intelligenz usw sind keine biologisch-evolutionäre Resultate aus Zufall, langfristigem Selektionsdruck und Anpassung. Der (teleologische) Wunsch des Menschen beginnt das Steuer zu übernehmen.
Ich glaube, der Punkt an dem die Diskussion dann richtig interessant wird, wäre die Frage, ob man aus naturalistischer Sicht eine Vermutung begründen könnte, die dann auch den teleologischen Willen als eine den evolutionären Wirkkräften unterworfene Größe voraussetzt.
Diese Frage ist jedenfalls für mich die eigentliche Trennlinie zum Naturalismus in diesem Zusammenhang. |
:hmm: fett von mir.
War das jetzt Absicht oder hast Du was übersehen?
Ich habe Sprachen als Beispiel gewählt, obwohl mir, ohne dass ich mich je weiter für Linguistik interessiert hätte, klar ist, dass dieses Beipiel problematisch ist, weil aufgrund historischer Prozesse (Wanderungen, Niederwerfungen, Inkorporierungen der ganzer Völker / Gruß an Marcellinus) heftigste horizontale Informationsflüsse stattfanden, die das Bild mit Sicherheit trüben. Aber trotz alledem reden die Linguisten von Verwandschaft, gar Genetik usw, ohne dass ich da viel von Aufregung über übergriffige Biologen vernehme. Das waren immer die Linguisten selbst, die da versucht haben Stammbäume zu malen, und es auch heute noch versuchen. Abgesehen davon, dass die Sicht in diesem Fall zwangsläufig etwas getrübt ist, ist die evolitionstheoretische Sicht bei der Sprache, der Mutter aller Kulturen, absolut üblich.
Ansonsten, bezogen auf das Bild des Stammbaumes selbst, sehe ich das mit der "Krone der Schöpfung" unverkniffen, mehr als ein Bild für die Sonderstellung, die wir in der Tat ja besitzen: Es existiert keine andere Art, mit der wir uns über dieses Problem unterhalten können. Durch unsere symbolische Weltverarbeitung sind wir die Weltmeister in der Anpassungsfähigkeit, oder, anders ausgedrückt, momentaner Endpunkt einer speziellen Optimierungsrichtung. Die momentane Frage ist allerdings, ob es uns gelingt, uns auch an die besonderen Folgen dieser Anpassungsfähigkeit anzupassen. |
Wenn Du nach meiner Ansicht zur "Darstellung eines Stammbaumes" fragst, dann antworte ich auf das Thema "Darstellung eines Stammbaumes". Und nicht auf die Frage, ob ich der Meinung bin, daß Sprachentwicklung mit dem Instrumentarium der Evolutionstheorie erschöpfend beschrieben werden kann. Dazu habe ich keine fundierte Meinung, wäre aber eher skeptisch.
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Skeptiker "I can't breathe!"
Anmeldungsdatum: 14.01.2005 Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville
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(#2039910) Verfasst am: 17.01.2016, 12:09 Titel: |
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fwo hat folgendes geschrieben: | Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Hier noch ein Zitat von Charles Darwin aus der "Abstammung des Menschen", das mir heute in der Badewanne über den Weg gelaufen ist:
Max Müller hat sehr richtig bemerkt: „in jeder Sprache findet beständig ein Kampf um’s Dasein zwischen den Wörtern und grammatischen Formen statt: die besseren, kürzeren, leichteren Formen erlangen beständig die Oberhand, und sie verdanken ihren Erfolg ihrer eigenen inhärenten Kraft“. Diesen wichtigeren Ursachen des Ueberlebens gewisser Wörter lässt sich auch noch die blosse Neuheit und Mode hinzufügen; denn in dem Geiste aller Menschen besteht eine starke Vorliebe für unbedeutende Veränderungen in allen Dingen. Das Ueberleben oder die Beibehaltung gewisser begünstigter Wörter in dem Kampfe um’s Dasein ist natürliche Zuchtwahl.
Quelle, letzte 3 Sätze des ersten Absatzes auf dieser Seite. |
Der Wettbewerb findet nicht zwischen den Wörtern innerhalb der Kultur statt, er findet zwischen den Kulturen statt. Die Entwicklung der Sprache spiegelt den Erkenntnisfortschritt wieder, die mit der mächtigeren Sprache verfügen über mehr Wissen, können besser denken und sind lebenstüchtiger. |
Darwin schreibt "in jeder Sprache" (Kultur), du schreibst "zwischen den Kulturen". Damit gibst du der Darwin'schen Aussage eine ganz andere Bedeutung und deine ganz sanfte und auf den ersten Blick kaum merkliche Umdeutung führt dann sehr leicht in das Paradigma *clash of civilizations* oder auch *Leitkultur* etc.
Man darf das nicht verwechseln. Zum einen betont Darwin die Wichtigkeit sozialer Verhaltensweisen in den menschlichen Urgemeinschaften, womit sich selbige leichter gegen ander Gruppen, gegen gefährliche Tiere und überhaupt gegen unwirtliche Umweltbedingungen behaupten können.
Zum zweiten spricht Darwin von einer "natürlichen Zuchtwahl von Wörtern und grammatischen Formen in jeder Sprache".
Der Vergleich zwischen verschiedenen Sprachen, verschiedenen Kulturen muss berücksichtigen, dass eine Kultur und Sprache sich stets auch spezifischen Bedingungen a) der Umwelt und b) der Art der Auseinandersetzung mit der Umwelt anpassen muss. So kommt es zu Unterschieden zwischen verschiedenen Sprachen (und Kulturen), die dennoch nicht unbedingt eine Hierarchie zwischen ihnen ausdrücken müssen.
Also auch hier setzt sich nicht das abstrakt *Stärkste*, sondern das jeweils konkret Angepassteste durch.
Man kann das, was Darwin da schreibt durchaus als richtig ansehen, aber es ist - wie ich auch schon weiter oben schriebt - nicht ausreichend, um wirklich die Höherentwicklung immer größerer, differenzierterer und komplexerer Gesellschaften insgesamt zu erfassen.
Um diese Höherentwicklungen menschlicher Gesellschaften zu erforschen, muss man den Faktor der menschlichen Arbeit, der menschlichen Produktion mit einbeziehen, also der Auseinandersetzung mit der Natur, welche darüber etwas anderes schafft, also Kultur.
Die Entstehung von Sprache ist ein Produkt der Auseinandersetzung mit der Natur und schafft etwas, das selber nicht mehr Natur ist und auch plötzlich andere bzw. zusätzliche Gesetzmäßigkeiten ins Spiel bringt, will sagen: andere Zufälle, andere Notwendigkeiten.
Was in den heutigen Gesellschaften an Wissen, an Technologie, an Produktionsmethoden an politischen Methoden selektiert wird, entspringt neuartigen Wechselwirkungen zwischen Natur und Kultur. Die Kultur ist ja nicht nur Sprache - inklusive neuer Spezialsprachen (Wissenschaft, Medizin, IT) - sondern umfasst auch das ganze Universum menschlicher Theorien und Ideologien, welche selber gar keine eigenständige Evolution mehr besitzen, sondern quasi abhängige Variablen wissenschaftlicher, technischer und Produktivkraft-Innovationen sind, die ihrerseits grundsätzlich nicht vorhersehbar sind.
Sobald aber solche Innovationen sich kulturell - in der Sprache, im Bewusstsein, in der Lebensweise - der Menschen niederschlagen, bewirken sie tendenziell das Auftreten kultureller Brüche, die sich spontan verstärken können und eben nicht eine frühere Kultur fortsetzen und auch nicht einfach auf deren Bestandteilen aufbauen, sondern etwas neues, bisher nie dagewesenes darstellen.
Insofern haben innovative Theorien und auch neue Ideologien gar keine (eigene) Geschichte und durchlaufen auch keine Evolution.
Dennoch - in der Gesamtsicht - sind die Erkenntnisse von Charles Darwin revolutionär und wegweisend für die weitere Geschichte und Weiterentwicklung der menschlichen Zivilisation. Entscheidend ist nur, ihren Gültigkeitsbereich zu erkennen anstatt einem verkehrten und platten universellen Evolutionismus zu frönen, der eine fruchtbare Synthese mit weiterführenden wissenschaftlichen Erlenntnissen erschwert oder blockiert ...-!
_________________ °
K.I.Z - Frieden
Das ist Postmoderne Ideologie! Psychologe und Philosoph analysieren RASSISMUS-Video
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Arno Gebauer registrierter User
Anmeldungsdatum: 30.01.2005 Beiträge: 698
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(#2039916) Verfasst am: 17.01.2016, 12:57 Titel: |
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Guten Tag, Skeptiker,
Du schreibst: "Insofern haben innovative Theorien und auch neue Ideologien gar keine (eigene) Geschichte und durchlaufen auch keine Evolution. "
Davon bin ich wirklich nicht überzeugt!
Kurz:
In allem , was wir tun, gibt es eine Wirkung auf jede Ursache.
Das ist die Basis unserer Evolution,
oder die Basis unserer und aller anderen Selbstorganisationen und die Basis,
warum ein Gott überhaupt überflüssig ist.
Jede "Reaktion zur Ursache" bestimmt immer alle Folge-Aktionen.
So funktioniert die Biologie, das phsykalische, der soziale und der
kulturelle Bereich.
Viele Grüße
Arno Gebauer
_________________ Trennung von Staat und Kirche !
Die geistigen Brandstifter des Holocausts waren die Kirchen! Sie haben viele Jahrhunderte lang gegen die Juden gehetzt!
Nie mehr Zeit und Geld für reiche Kirchen!!!!
Keine Kinder mehr in Kirchenhände!
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26444
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2039922) Verfasst am: 17.01.2016, 13:12 Titel: |
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zelig hat folgendes geschrieben: | ....
Wenn Du nach meiner Ansicht zur "Darstellung eines Stammbaumes" fragst, dann antworte ich auf das Thema "Darstellung eines Stammbaumes". Und nicht auf die Frage, ob ich der Meinung bin, daß Sprachentwicklung mit dem Instrumentarium der Evolutionstheorie erschöpfend beschrieben werden kann. Dazu habe ich keine fundierte Meinung, wäre aber eher skeptisch. |
Das finde ich aber nun angesichts der von mir formulierten Frage als etwas dünn - bei anderen Themen bin ich von Dir eine Präzision im Denken gewöhnt, die um Größenordnungen höher ist. Mein Einduck ist in der Tat, dass Du hier eher gefühlsbetont antwortest statt nachdudenken. Deshalb hatte ich auch nicht mehr nach einer fundierten Meinung gefragt, sondern danach, was Du bei der Darstellung eines Stammbaumes der Sprachen empfindest.
Aber das Wort Stammbaum (oder vielleicht die Person des Fragers?) hat anscheinend Gefühlsinhalte, die Dich übersehen lassen, wie der Satz aussieht, in dem es steht. Ich bedaure, dass ich mir Deine Antworten auf meine Fragen hier nur über eine eher unsichere Interpretation holen kann.
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
The skills you use to produce the right answer are exactly the same skills you use to evaluate the answer. Isso.
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Er_Win dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 31.01.2008 Beiträge: 4482
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(#2039929) Verfasst am: 17.01.2016, 13:24 Titel: |
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Skeptiker hat folgendes geschrieben: |
Also auch hier setzt sich nicht das abstrakt *Stärkste*, sondern das jeweils konkret Angepassteste durch.
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ey Alda - hass'e voll krass recht
*scnr...
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#2039930) Verfasst am: 17.01.2016, 13:25 Titel: |
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Skeptiker hat folgendes geschrieben: |
Was in den heutigen Gesellschaften an Wissen, an Technologie, an Produktionsmethoden an politischen Methoden selektiert wird, entspringt neuartigen Wechselwirkungen zwischen Natur und Kultur. Die Kultur ist ja nicht nur Sprache - inklusive neuer Spezialsprachen (Wissenschaft, Medizin, IT) - sondern umfasst auch das ganze Universum menschlicher Theorien und Ideologien, welche selber gar keine eigenständige Evolution mehr besitzen, sondern quasi abhängige Variablen wissenschaftlicher, technischer und Produktivkraft-Innovationen sind, die ihrerseits grundsätzlich nicht vorhersehbar sind.
Sobald aber solche Innovationen sich kulturell - in der Sprache, im Bewusstsein, in der Lebensweise - der Menschen niederschlagen, bewirken sie tendenziell das Auftreten kultureller Brüche, die sich spontan verstärken können und eben nicht eine frühere Kultur fortsetzen und auch nicht einfach auf deren Bestandteilen aufbauen, sondern etwas neues, bisher nie dagewesenes darstellen.
Insofern haben innovative Theorien und auch neue Ideologien gar keine (eigene) Geschichte und durchlaufen auch keine Evolution.
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Sorry, aber diese Vorstellung finde ich bemerkenswert unhistorisch (vielleicht hast du es auch nur unglücklich formuliert). Gerade Neues baut auf Vorhandenem auf, ist im Gegenteil nicht möglich ohne das, was vorher kam, so wie Vielzeller nicht ohne Einzeller, oder Marx nicht ohne Hegel.
Recht hast du dagegen, wenn du sagst, daß sich Neues nicht auf seine Bestandteile reduzieren läßt, sondern Eigenschaften entwickelt, die so vorher nicht da waren, und daher auch in der wissenschaftlichen Betrachtung eigene Modelle von Zusammenhängen erfordern, eigene Theorien.
Nur ist das eben kein absoluter Bruch, sondern eine kontinuierliche Entwicklung, oder wenn du so willst eine kontinuierliche Abfolge von aufeinander aufbauenen Brüchen , zwar nicht vorhersehbar, aber durchaus strukturiert. (Hier wäre vielleicht mal der Augenblick, über den Scheingegensatz von Quantität und Qualität nachzudenken)
Und vielleicht noch eine Bemerkung: "die" Natur gibt es nicht, sie ist ein durchaus menschlicher Begriff, mit dem übrigens zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliches begriffen wurde. Somit ist auch der scheinbare Gegensatz von Natur und Kultur nichts anderes als der begriffliche Ausdruck der Dynamik menschlicher Gesellschaften und ihrer Auseinandersetzung mit sich selbst wie mit der sie umgebenden Welt.
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26444
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2039933) Verfasst am: 17.01.2016, 13:38 Titel: |
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Skeptiker hat folgendes geschrieben: | fwo hat folgendes geschrieben: | Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Hier noch ein Zitat von Charles Darwin aus der "Abstammung des Menschen", das mir heute in der Badewanne über den Weg gelaufen ist:
Max Müller hat sehr richtig bemerkt: „in jeder Sprache findet beständig ein Kampf um’s Dasein zwischen den Wörtern und grammatischen Formen statt: die besseren, kürzeren, leichteren Formen erlangen beständig die Oberhand, und sie verdanken ihren Erfolg ihrer eigenen inhärenten Kraft“. Diesen wichtigeren Ursachen des Ueberlebens gewisser Wörter lässt sich auch noch die blosse Neuheit und Mode hinzufügen; denn in dem Geiste aller Menschen besteht eine starke Vorliebe für unbedeutende Veränderungen in allen Dingen. Das Ueberleben oder die Beibehaltung gewisser begünstigter Wörter in dem Kampfe um’s Dasein ist natürliche Zuchtwahl.
Quelle, letzte 3 Sätze des ersten Absatzes auf dieser Seite. |
Der Wettbewerb findet nicht zwischen den Wörtern innerhalb der Kultur statt, er findet zwischen den Kulturen statt. Die Entwicklung der Sprache spiegelt den Erkenntnisfortschritt wieder, die mit der mächtigeren Sprache verfügen über mehr Wissen, können besser denken und sind lebenstüchtiger. |
Darwin schreibt "in jeder Sprache" (Kultur), du schreibst "zwischen den Kulturen". Damit gibst du der Darwin'schen Aussage eine ganz andere Bedeutung und deine ganz sanfte und auf den ersten Blick kaum merkliche Umdeutung führt dann sehr leicht in das Paradigma *clash of civilizations* oder auch *Leitkultur* etc. |
Nein. Ich widerspreche ihm. Und begründe das. Das andere ist dann so. Na und? (btw: Ich habe auch ausgeführt, dass es sich hier um eine Darstellung des Anfanges der Kulturentwicklung handelt und warum es heute schwieriger ist, diese Linie so klar zu vertreten. Ist es zuviel verlangt, auch Sätze, die nicht unmittelbar aufeinander folgen, in ihrem Zusammenahng zu verstehen?
Skeptiker hat folgendes geschrieben: |
......
Dennoch - in der Gesamtsicht - sind die Erkenntnisse von Charles Darwin revolutionär und wegweisend für die weitere Geschichte und Weiterentwicklung der menschlichen Zivilisation. Entscheidend ist nur, ihren Gültigkeitsbereich zu erkennen anstatt einem verkehrten und platten universellen Evolutionismus zu frönen, der eine fruchtbare Synthese mit weiterführenden wissenschaftlichen Erlenntnissen erschwert oder blockiert ...-! |
Gut, dass Du das nochmal gesagt hast.
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
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Er_Win dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 31.01.2008 Beiträge: 4482
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(#2039934) Verfasst am: 17.01.2016, 13:42 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Sorry, aber diese Vorstellung finde ich bemerkenswert unhistorisch (vielleicht hast du es auch nur unglücklich formuliert). Gerade Neues baut auf Vorhandenem auf, ist im Gegenteil nicht möglich ohne das, was vorher kam, so wie Vielzeller nicht ohne Einzeller, oder Marx nicht ohne Hegel.
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vielleicht sollte man das nicht nur historisch betrachten, sondern auch im Sinne von Kreavitität. Dazu meinte ja schon de Bono, dass kreativ Neues nur im Nachhinein logisch erscheint.
Denselben Ansatz verfolgen auch heutige Unternehmen:
Zitat: | Ist etwas Neues einmal erdacht und geschaffen worden, dann betrachten wir es meist als logisch, einleuchtend und offensichtlich. Hier liegt die zentrale Krux der Innovation: Das Neue ist immer nur im Nachhinein logisch, klar und einleuchtend, also nach dem es geschaffen wurde. Im Vorhinein ist es alles andere als logisch und klar. Das Phänomen, das Neue im Nachhinein zu rationalisieren und als logisch zu beschreiben, wird in der Psychologie „Hindsight Bias“ genannt, eine kognitive Verzerrung, die im Rückblick greift. |
http://www.capital.de/themen/abschied-von-der-effizienz-3914.html
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Marcellinus Outsider
Anmeldungsdatum: 27.05.2009 Beiträge: 7429
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(#2039936) Verfasst am: 17.01.2016, 13:56 Titel: |
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Die Frage ist nicht, ob Neues "logisch", sondern ob es voraussetzungslos ist (was es nicht ist).
_________________ "Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."
Friedrich Nietzsche
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26444
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2039946) Verfasst am: 17.01.2016, 14:24 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Skeptiker hat folgendes geschrieben: |
Was in den heutigen Gesellschaften an Wissen, an Technologie, an Produktionsmethoden an politischen Methoden selektiert wird, entspringt neuartigen Wechselwirkungen zwischen Natur und Kultur. Die Kultur ist ja nicht nur Sprache - inklusive neuer Spezialsprachen (Wissenschaft, Medizin, IT) - sondern umfasst auch das ganze Universum menschlicher Theorien und Ideologien, welche selber gar keine eigenständige Evolution mehr besitzen, sondern quasi abhängige Variablen wissenschaftlicher, technischer und Produktivkraft-Innovationen sind, die ihrerseits grundsätzlich nicht vorhersehbar sind.
Sobald aber solche Innovationen sich kulturell - in der Sprache, im Bewusstsein, in der Lebensweise - der Menschen niederschlagen, bewirken sie tendenziell das Auftreten kultureller Brüche, die sich spontan verstärken können und eben nicht eine frühere Kultur fortsetzen und auch nicht einfach auf deren Bestandteilen aufbauen, sondern etwas neues, bisher nie dagewesenes darstellen.
Insofern haben innovative Theorien und auch neue Ideologien gar keine (eigene) Geschichte und durchlaufen auch keine Evolution.
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Sorry, aber diese Vorstellung finde ich bemerkenswert unhistorisch (vielleicht hast du es auch nur unglücklich formuliert). Gerade Neues baut auf Vorhandenem auf, ist im Gegenteil nicht möglich ohne das, was vorher kam, so wie Vielzeller nicht ohne Einzeller, oder Marx nicht ohne Hegel.
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Es ist schon so. Skeptiker geht davon aus, dass Newton, statt sich mit der Schwerkraft zu befassen, auch das Smartphone hätte erfinden können.
Dass der das nicht konnte, bringst Du ihm nicht mehr bei.
_________________ Ich glaube an die Existenz der Welt in der ich lebe.
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Es gibt keinen Gott. Also: Jesus war nur ein Bankert und alle Propheten hatten einfach einen an der Waffel (wenn es sie überhaupt gab).
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smallie resistent!?
Anmeldungsdatum: 02.04.2010 Beiträge: 3726
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(#2039955) Verfasst am: 17.01.2016, 15:29 Titel: |
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Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | smallie hat folgendes geschrieben: | Die Elemente entstehen ja auch nicht durch Variation und Selektion. Die Mechanismen im Atom sind anders als die Mechanismen der Kosmologie, beide sind anders als die Mechanismen in einer Zelle.
Andererseits gibt es ein allgemeines Prinzip, das auf alle drei Ebenen anwendbar ist, nämlich Entropie. |
Erst mal Danke fürs Aufzeigen und Zusammenfassen der unterschiedlichen Begriffe von "Mechanismus" bei Marcelllinus und Fwo. Das erleichtert auch mir das Folgen. |
Gerne.
Es ist manchmal schwierig, nicht aneinander vorbei zu reden, eben weil man Begriffe unterschiedlich verwendet. Ist mir weiter oben mit Marcellinus passiert und dem Begriff "Weltanschauung". Ich würde darum am liebsten abstrakte Aussagen vermeiden, was natürlich schwierig ist, wenn ich allgemeingültige Aussagen machen will. Es bleibt eigentlich nur, alles Abstrakte möglichst mit Beispielen zu unterfüttern, dann fällt es schneller auf, ob man von ganz unterschiedlichen Dingen spricht.
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Die "Mechanismen" im Atom und im Kosmos würde ich auch eher unter "Naturgesetze" subsumieren. Und diese sind weitgehend deterministisch (mit einer wichtigen Prise Chaos). Da ist in der Tat kein Platz für "Evolution". Analog ist in den "Mechanismen", wie aus einer DNA am Ende ein Organismus wird, kein Platz für "Evolution". Da läuft, im Wechselspiel zwischen genetischem Programm und Umgebung, ein biochemischer Prozess ab, der weitgehend deterministisch einen Organismus hervorbringt. "Evolution" läuft nicht in diesem Mechanismus, sondern in einem Mechanismus von Variation und Selektion, der über Generationen hinweg die Lebewesen verändert und "anpasst". |
Jo. Das sehe ich auch genau so.
(Zum Rest in einem eigenen Beitrag, weil es etwas länger geworden ist.)
_________________ "There are two hard things in computer science: cache invalidation, naming things, and off-by-one errors."
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smallie resistent!?
Anmeldungsdatum: 02.04.2010 Beiträge: 3726
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(#2039957) Verfasst am: 17.01.2016, 15:33 Titel: |
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Klaus-Peter hat folgendes geschrieben: | Und in einem vergleichbaren Sinne ist es denkbar (bzw. womöglich sogar korrekt) anzunehmen, dass unsere heutigen Naturgesetze aus anderen, aus Vorläufern "evolutionär" entstanden sind. Dafür erforderliche evolutionäre Prozesse müssten sich allerdings im Maßstab des gesamten Universums (oder sogar mehrerer Universen) abgespielt haben, und sind aus diesem Grunde äußerst schwer zu erforschen. Wenn ich aber Laughlin richtig verstehe, dann könnte Effekte der heutigen Physik (vor allem in der Festkörperphysik gemeinsam der Tieftemperaturphysik, Beispiel Supraleitung) aufzeigen, wie das passieren kann, dass "Naturgesetze" emergent aus "Ordnung" entstehen. |
Eine schöne These. Lee Smolin vertritt ähnliches.
Zitat: | Lee Smolin - Kosmologische Vererbung
Lee Smolin entwickelte in seinem Buch Warum gibt es die Welt? die Idee einer kosmologischen Vererbung, die ein Beitrag zu grundlegenden kosmologischen und physikalischen Fragen wie nach der Feinabstimmung der Naturkonstanten leisten sollte. Dabei geht er davon aus, dass aus massiven Schwarzen Löchern eines Universums neue „Baby-Universen“ entstehen, die wesentliche Eigenschaften der „Mutter-Universen“ übernehmen könnten. Auf diese Weise könnte es zu einer „kosmologischen Evolution“ kommen, bei der sich „erfolgreiche“ Universen (z. B. in Hinsicht auf Langlebigkeit und damit die Möglichkeit, mehr Schwarze Löcher zu erzeugen) gegenüber anderen durchsetzen.
Obwohl diese Idee von anderen Wissenschaftlern wie John D. Barrow, Brian Greene und Martin Rees immer wieder aufgegriffen und in ihren Büchern besprochen wird, hat sie bis heute noch keine anerkannte Verbreitung gefunden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Lee_Smolin |
Laughlin kannte ich noch nicht. Zu seinem Testfall kann ich darum nichts sagen. Smolin behauptet ebenfalls, seine These sei überprüfbar. Das fand ich nicht überzeugend. Für mich fällt das erstmal unter Metaphysik.
Einen Aspekt der These greife ich heraus, es geht um die Entwicklung der Menschheit in der Neuzeit.
EVOLUTION IN ZEITEN EXPONENTIELLER VERMEHRUNG
Bei Smolin und vermutlich auch bei Laughlin gibt es keine Resourcenknappheit. Die Zahl von "Nachfolgeuniversen" scheint nach oben offen zu sein. Zwar nehmen die "erfolgreichen" Universen mit günstigen Eigenschaften in der Gesamtpopulation im Laufe der Zeit zu. Aber eine Selektion im strengen Sinn findet nicht statt - "ausgestorbene Vorläuferuniversen" fehlen in ihrem Modell.
In der Biologie wächst eine Population üblicherweise bis zur Tragkapazität ihres Habitats, danach muß die Art "lernen" mit begrenzten Resourcen umzugehen. Denk an exponentielles Wachstum von Bakterien in einer Petrischale. Wenn die Petrischale erst vollständig besiedelt ist, dann gelten plötzlich viel strengere Bedingungen für die weitere Entwicklung.
Auf die jüngste Menschheitsgeschichte übertragen: Fortschritte wie Landwirtschaft oder Medizin haben der Menschheit ein exponentielles Wachstum beschert. Der Verdacht liegt nahe, daß in dieser evolutionären Ausnahmesituation andere Eigenschaften nützlich sind, als in Zeiten der Resourcenknappheit. Aggressive Strategien könnten vorüberhend erfolgreicher sein, als kooperative. Zum Beispiel konnten die Europäer Amerika kolonialisieren, weil sie den amerikanischen Ureinwohner 5000 Jahre in der Entwicklung der Landwirtschaft voraus hatten. In einer Welt, die einen Gleichgewichtszustand oder meinetwegen die "Grenzen des Wachstums" erreicht hat, wäre das nicht mehr möglich.
Das soll auch eine späte, weitere Antwort zu zeligs Einwand sein, daß es faktisch keinen weltweiten Konsens gibt über bevorzugte gesellschaftliche und politische Systeme samt der dahinterstehenden Ethik. An dem Einwand knabbere ich immer noch. Daß es hier unterschiedliche Strategien gibt, wundert mich nicht, daß die Unterschiede so groß sind und einen (vermeintlichen) Grundkonsens verletzen, das wundert mich schon. Das gilt für Hinrichtungen in Saudi-Arabien und im Iran ebenso wie für die Beschneidungsdebatte, und, und und...
Wenn es tatsächlich eine Analogie zwischen biologischer und kultureller Evolution gibt, dann müssen sich auch kulturelle Merkmale weitgehend als adaptiv beschreiben lassen. Diese Sicht bringt mich in ein Dilemma. Entweder ich muß zeigen, daß die Lage in Saudi-Arabien etc. insgesamt von Nutzen für das Land ist. Oder ich muß zeigen, daß die Lage nur eine vorübergehende Fehlentwicklung ist. Ebenso müßte ich zeigen, daß die Verletzung "westlicher Werte" durch den Westen selbst nur eine vorübergehende Fehlentwicklung ist.
Das kann ich natürlich nicht. Hier mit "Fehlanpassung aufgrund exponentieller Vermehrung" zu winken, kommt mir als Ausflucht ganz recht.
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fwo Caterpillar D9
Anmeldungsdatum: 05.02.2008 Beiträge: 26444
Wohnort: im Speckgürtel
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(#2039969) Verfasst am: 17.01.2016, 17:10 Titel: |
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smallie hat folgendes geschrieben: | ....
Wenn es tatsächlich eine Analogie zwischen biologischer und kultureller Evolution gibt, dann müssen sich auch kulturelle Merkmale weitgehend als adaptiv beschreiben lassen. Diese Sicht bringt mich in ein Dilemma. Entweder ich muß zeigen, daß die Lage in Saudi-Arabien etc. insgesamt von Nutzen für das Land ist. Oder ich muß zeigen, daß die Lage nur eine vorübergehende Fehlentwicklung ist. Ebenso müßte ich zeigen, daß die Verletzung "westlicher Werte" durch den Westen selbst nur eine vorübergehende Fehlentwicklung ist. .... |
Der evolutionäre Erfolg eines jeden Systems kann nur daran gemessen werden, ob es überlebt oder nicht. Dazu kann es immer verschiedene Strategien geben - in der Evolution der Tiere haben sich auch nicht alle in eine Maximierung der Anpassungsgeschwindigkeit entwickelt, sondern eine andere Möglichkeit ist z.B., in einer Nische zu bleiben, die sich bewährt hat. Auch bei den menschlichen Gemeinschaften ist Demokratie, das heißt die freiwillige Kooperation aller, erst nötig, seit es die gottgewollte Führung Weniger nicht mehr gibt, sei es nun, dass der Gott verschissen hat oder der Adel oder beide. Kann es sein, dass Dein Dilemma darin besteht, dass Du meinst zu wissen, welches die richtige Lösung ist?
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(#2039977) Verfasst am: 17.01.2016, 17:36 Titel: |
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Marcellinus hat folgendes geschrieben: | Skeptiker hat folgendes geschrieben: |
Was in den heutigen Gesellschaften an Wissen, an Technologie, an Produktionsmethoden an politischen Methoden selektiert wird, entspringt neuartigen Wechselwirkungen zwischen Natur und Kultur. Die Kultur ist ja nicht nur Sprache - inklusive neuer Spezialsprachen (Wissenschaft, Medizin, IT) - sondern umfasst auch das ganze Universum menschlicher Theorien und Ideologien, welche selber gar keine eigenständige Evolution mehr besitzen, sondern quasi abhängige Variablen wissenschaftlicher, technischer und Produktivkraft-Innovationen sind, die ihrerseits grundsätzlich nicht vorhersehbar sind.
Sobald aber solche Innovationen sich kulturell - in der Sprache, im Bewusstsein, in der Lebensweise - der Menschen niederschlagen, bewirken sie tendenziell das Auftreten kultureller Brüche, die sich spontan verstärken können und eben nicht eine frühere Kultur fortsetzen und auch nicht einfach auf deren Bestandteilen aufbauen, sondern etwas neues, bisher nie dagewesenes darstellen.
Insofern haben innovative Theorien und auch neue Ideologien gar keine (eigene) Geschichte und durchlaufen auch keine Evolution.
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Sorry, aber diese Vorstellung finde ich bemerkenswert unhistorisch (vielleicht hast du es auch nur unglücklich formuliert). Gerade Neues baut auf Vorhandenem auf, ist im Gegenteil nicht möglich ohne das, was vorher kam, so wie Vielzeller nicht ohne Einzeller, oder Marx nicht ohne Hegel.
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Bei dem Thema "kulturelle Evolution" habe ich darauf hingewiesen, dass es eine solche als selbstständige Entwicklung nicht gibt. Damit will ich natürlich nicht sagen, dass kulturelle (Höher-)Entwicklung "voraussetzunglos" sei, sondern nur, dass die nötigen Voraussetzungen einer kulturellen Entwicklung - der Moral, der Philosophie, selbst der Sprache - außerhalb der Kultur selbst liegen.
Und auch die Wissenschaft hat nicht einfach eine "innere" Entwicklung, sondern ist abhängig von der Entwicklung bestehender Technologiestufen und gesellschaftlicher Bedingungen.
fwo hat folgendes geschrieben: | Es ist schon so. Skeptiker geht davon aus, dass Newton, statt sich mit der Schwerkraft zu befassen, auch das Smartphone hätte erfinden können.
Dass der das nicht konnte, bringst Du ihm nicht mehr bei. |
Ich habe genau das Gegenteil gesagt. Ohne entsprechende Voraussetzungen bestehender Technologien und gesellschaftlicher Verhältnisse gibt es keine wissenschaftliche Weiterentwicklung. Nur ist das Konzept der bloß "inneren Evolution" von Wissenschaft und Kultur eben falsch.
Der "universelle Evolutionismus" ist hier allzu naiv und versucht, biologische Analogien in der kulturellen Entwicklung zu konstruieren ohne aber die besonderen Wechselbeziehungen und Abhängigkeiten zwischen Kultur und Technologie etwa zu beachten und zu verstehen. Da hilft es auch nicht viel, zu erklären, Technologie sei auch nur Kultur.
Die Technologie ist hier nämlich die objektive materielle Rahmenbedingung und Triebfeder für die Entwicklung der Kulturelemente.
Wie schon am Beispiel mit der Wandlung der Speerwurfkultur in die Ackerbau- und Viehaltungkultur veranschaulicht, entstehen in Folge revolutionierter Nahrungsbeschaffungstechnologien *wie aus dem Nichts* völlig neue Gedanken, Fragen, Probleme und Lösungen ohne dass all diese auf entsprechende Vorstufen aufbauen mussten.
Oder knapp zusammen gefasst:
Die relativ homogene Entwicklung der Produktivkräfte - trotz gewisser Entwicklungssprünge - spiegelt sich nicht in einer ähnlich homogenen und stufenweisen Entwicklung der Kultur wieder, weshalb diese keine eigene/"innere" Geschichte hat, sondern nur eine abgeleitete ...-
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K.I.Z - Frieden
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Skeptiker "I can't breathe!"
Anmeldungsdatum: 14.01.2005 Beiträge: 16834
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(#2039986) Verfasst am: 17.01.2016, 18:34 Titel: |
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Er_Win hat folgendes geschrieben: | Marcellinus hat folgendes geschrieben: |
Sorry, aber diese Vorstellung finde ich bemerkenswert unhistorisch (vielleicht hast du es auch nur unglücklich formuliert). Gerade Neues baut auf Vorhandenem auf, ist im Gegenteil nicht möglich ohne das, was vorher kam, so wie Vielzeller nicht ohne Einzeller, oder Marx nicht ohne Hegel. |
vielleicht sollte man das nicht nur historisch betrachten, sondern auch im Sinne von Kreavitität. Dazu meinte ja schon de Bono, dass kreativ Neues nur im Nachhinein logisch erscheint.
Denselben Ansatz verfolgen auch heutige Unternehmen:
Zitat: | Ist etwas Neues einmal erdacht und geschaffen worden, dann betrachten wir es meist als logisch, einleuchtend und offensichtlich. Hier liegt die zentrale Krux der Innovation: Das Neue ist immer nur im Nachhinein logisch, klar und einleuchtend, also nach dem es geschaffen wurde. Im Vorhinein ist es alles andere als logisch und klar. Das Phänomen, das Neue im Nachhinein zu rationalisieren und als logisch zu beschreiben, wird in der Psychologie „Hindsight Bias“ genannt, eine kognitive Verzerrung, die im Rückblick greift. |
http://www.capital.de/themen/abschied-von-der-effizienz-3914.html |
Zitat aus diesem Artikel:
Zitat: | Es gab einmal ein schönes Gespräch zwischen dem inzwischen verstorbenen damaligen Apple-Chef Steve Jobs und dem damaligen Microsoft-CEO Steve Ballmer, in dem dieser sagte, dass das iPhone so besonders nicht sei, da die Technologie ja schon vorher da gewesen sei. Auch Microsoft hätte das iPhone erfinden können. Steve Jobs sagte nur lapidar: „Habt ihr aber nicht.“ |
Und trotzdem hatten beide natürlich Recht. Zum einen waren die technologischen Elemente der Innovation bereits geschaffen, zum anderen stellten diese Elemente lediglich die notwendigen, aber noch nicht hinreichenden Bedingungen für die Innovation dar.
Und so ist es halt mit vielen Innovationen, die die Menschheit nicht wagt, obwohl doch so viele Patente in den Schubladen liegen.
Was das Thema Effizienz vs. Innovation betrifft: Das können kapitalstärkere Konzerne natürlich viel risikoloser miteinander vereinbaren als KMUs. Diese verfahren oft eher nach dem Motto "Never change a running system."
Zur Zeit wird ja vor allem die Sau namens Industrie 4.0 durch Stadt und Land getrieben und viele Unternehmen fragen sich, ob/wie/wann sie auf diesen Zug aufspringen wollen. Dabei ist dieses *Konzept* so was von unausgegoren, dass man wohl noch viele Jahre die unzähligen *Modellprojekte* wird bestaunen dürfen, ehe dann vielleicht irgendwann doch die große Rationalierungsmaschinerie angeworfen wird ...-
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