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Ist die Philosophie tot?
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Tarvoc
would prefer not to.



Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44649

Beitrag(#2054613) Verfasst am: 06.05.2016, 18:21    Titel: Antworten mit Zitat

Hier mal ein paar Äußerungen von Marx zu Feuerbach aus der Deutschen Ideologie.

Es zeigt sich aus diesen Auseinandersetzungen auch, wie sehr Feuerbach sich täuscht, wenn er ("Wigand's Vierteljahrsschrift", 1845, Bd. 2) sich vermöge der Qualifikation "Gemeinmensch" für einen Kommunisten erklärt, in ein Prädikat "des" Menschen verwandelt, also das Wort Kommunist, das in der bestehenden Welt den Anhänger einer bestimmten revolutionären Partei bezeichnet, wieder in eine bloße Kategorie verwandeln zu können glaubt. Feuerbachs ganze Deduktion in Beziehung auf das Verhältnis der Menschen zueinander geht nur dahin, zu beweisen, daß die Menschen einander nötig haben und immer gehabt haben. Er will das Bewußtsein über diese Tatsache etablieren, er will also, wie die übrigen Theoretiker, nur ein richtiges Bewußtsein über ein bestehendes Faktum hervorbringen, während es dem wirklichen Kommunisten darauf ankommt, dies Bestehende umzustürzen.

Ist das der "revolutionäre Ansatz", den Marx von Feuerbach gewonnen hat?

Zu Feuerbachs Idealismus und zur Unwissenschaftlichkeit seines Ansatzes:

Feuerbachs "Auffassung" der sinnlichen Welt beschränkt sich einerseits auf die bloße Anschauung derselben und andrerseits auf die bloße Empfindung, er sagt "den Menschen" statt d[ie] "wirklichen historischen Menschen". "Der Mensch" ist realiter <in Wirklichkeit> "der Deutsche". Im ersten Falle, in der Anschauung der sinnlichen Welt, stößt er notwendig auf Dinge, die seinem Bewußtsein und seinem Gefühl widersprechen, die die von ihm vorausgesetzte Harmonie aller Teile der sinnlichen Welt und namentlich des Menschen mit der Natur stören. Um diese zu beseitigen, muß er dann zu einer doppelten Anschauung seine Zuflucht nehmen, zwischen einer profanen, die nur das "auf platter Hand Liegende", und einer höheren, philosophischen, die das "wahre Wesen" der Dinge erschaut.

Feuerbachs Philosophie ist nicht fähig, eine Kritik bügerlicher Verhältnisse zu geben, sondern endet in einer idealisierten Apologie:

Feuerbach hat allerdings den großen Vorzug vor den "reinen" Materialisten, daß er einsieht, wie auch der Mensch "sinnlicher Gegenstand" ist; aber abgesehen davon, daß er ihn nur als "sinnlichen Gegenstand", nicht als "sinnliche Tätigkeit" faßt, da er sich auch hierbei in der Theorie hält, die Menschen nicht in ihrem gegebenen gesellschaftlichen Zusammenhange, nicht unter ihren vorliegenden Lebensbedingungen, die sie zu Dem gemacht haben, was sie sind, auffaßt, so kommt er nie zu den wirklich existierenden, tätigen Menschen, sondern bleibt bei dem Abstraktum "der Mensch" stehen und bringt es nur dahin, den "wirklichen, individuellen, leibhaftigen Menschen" in der Empfindung anzuerkennen, d.h., er kennt keine andern "menschlichen Verhältnisse" "des Menschen zum Menschen", als Liebe und Freundschaft, und zwar idealisiert. Gibt keine Kritik der jetzigen Lebensverhältnisse. Er kommt also nie dazu, die sinnliche Welt als die gesamte lebendige sinnliche Tätigkeit der sie ausmachenden Individuen aufzufassen, und ist daher gezwungen, wenn er z.B. statt gesunder Menschen einen Haufen skrofulöser, überarbeiteter und schwindsüchtiger Hungerleider sieht, da zu der "höheren Anschauung" und zur ideellen "Ausgleichung in der Gattung" seine Zuflucht zu nehmen, also gerade da in den Idealismus zurückzufallen, wo der kommunistische Materialist die Notwendigkeit und zugleich die Bedingung einer Umgestaltung sowohl der Industrie wie der gesellschaftlichen Gliederung sieht.

http://www.mlwerke.de/me/me03/me03_017.htm#I_I
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"Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 06.05.2016, 18:24, insgesamt einmal bearbeitet
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Tarvoc
would prefer not to.



Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44649

Beitrag(#2054614) Verfasst am: 06.05.2016, 18:22    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
Die Frage der Nützlichkeit wird sowieso bedarfslogisch gestellt, um die Philosophie abzuwerten. Die Suche nach der TOE ist voraussichtlich auf alle Ewigkeit vollkommmen unnütz, die Beschäftigung mit Stringtheorie, die Musik sowieso, und Kunst auch. Es ist auch unnütz hier im Forum zu posten, oder Geld für teure öffentliche Skulpturen auszugeben. Das alles wird immer in mit der angeblich fehlenden Nützlichkeit in Frage gestellt, weil jemand mit einer Sache etwas nicht anfangen kann, oder wenn er was damit anfangen kann, dann nur eine private Abneigung pflegt. Es ist aber so, daß die Menschen neben dem Nutzen auch immer den Überfluß unnützer Tätigkeiten wie Erkenntnisgewinn pflegten. Es macht uns Menschen aus, daß wir Dinge wie Musik und Erkenntnis zweckfrei betreiben. Wie dumpf wären wir, wenn wir uns nur am Nutzbaren orientieren würden? Und wie wunderlich erscheint dieser Einwand aus der Feder von Leuten, die viel Zeit in das Forum investieren. Darauf hat Tarvoc von Beginn an abgezielt, indem er zurückspiegelt: Es ist hoffentlich so, daß die Philosophie sich keinem Nutzendenken unterwirft.

Genau so ist das. Überhaupt ist nicht klar, nach welchen Kriterien hier der Nutzen beurteilt werden soll. Wenn es nur um den subjektiven Privatnutzen geht, ist das ja sowieso jedermanns eigene Angelegenheit. Wenn es um etwas anderes gehen soll, fehlt hingegen jede inhaltliche Bestimmung und jedes Kriterium dieses Anderen.
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- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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smallie
resistent!?



Anmeldungsdatum: 02.04.2010
Beiträge: 3726

Beitrag(#2054629) Verfasst am: 06.05.2016, 22:19    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Die Frage der Nützlichkeit wird sowieso bedarfslogisch gestellt, um die Philosophie abzuwerten. Die Suche nach der TOE ist voraussichtlich auf alle Ewigkeit vollkommmen unnütz, die Beschäftigung mit Stringtheorie, die Musik sowieso, und Kunst auch. Es ist auch unnütz hier im Forum zu posten, oder Geld für teure öffentliche Skulpturen auszugeben. Das alles wird immer in mit der angeblich fehlenden Nützlichkeit in Frage gestellt, weil jemand mit einer Sache etwas nicht anfangen kann, oder wenn er was damit anfangen kann, dann nur eine private Abneigung pflegt. Es ist aber so, daß die Menschen neben dem Nutzen auch immer den Überfluß unnützer Tätigkeiten wie Erkenntnisgewinn pflegten. Es macht uns Menschen aus, daß wir Dinge wie Musik und Erkenntnis zweckfrei betreiben. Wie dumpf wären wir, wenn wir uns nur am Nutzbaren orientieren würden? Und wie wunderlich erscheint dieser Einwand aus der Feder von Leuten, die viel Zeit in das Forum investieren. Darauf hat Tarvoc von Beginn an abgezielt, indem er zurückspiegelt: Es ist hoffentlich so, daß die Philosophie sich keinem Nutzendenken unterwirft.

Genau so ist das. Überhaupt ist nicht klar, nach welchen Kriterien hier der Nutzen beurteilt werden soll. Wenn es nur um den subjektiven Privatnutzen geht, ist das ja sowieso jedermanns eigene Angelegenheit. Wenn es um etwas anderes gehen soll, fehlt hingegen jede inhaltliche Bestimmung und jedes Kriterium dieses Anderen.

Es gibt mindestens ein Kriterium.

Bevor sich die Nützlichkeit einer Aussage prüfen läßt, muß erst eine Aussage vorliegen. Der Lacansche phallische Signifikant erscheint mir inhaltsleer. Das hat vielleicht subjektiven Privatnutzen für Lacan, wenn er sich an seinen eigenen Worten aufgeilt. Oder für seine Adepten.

Bevor nicht klar ist, was ein phallische Signifikant überhaupt sein soll, läßt sich die Idee noch nicht einmal kritisieren. Es gibt keine Idee dahinter, die vermittelbar wäre. Die Idee ist ein Vakuum.

steps sig lautet: "Die Leere ist Fülle, wenn man sie sieht". Bei der Lacanschen Art von Inhaltsleere sehe ich allerdings nichts.
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"There are two hard things in computer science: cache invalidation, naming things, and off-by-one errors."
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Tarvoc
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Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44649

Beitrag(#2054636) Verfasst am: 06.05.2016, 22:59    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
Der Lacansche phallische Signifikant erscheint mir inhaltsleer.

Lachen Da stimmst du mit Lacan überein. zwinkern

Kleiner Witz am Rande. Das Lacansche Konzept des phallischen Signifikanten bezeichnet zunächst mal in der Tat ein Zeichen innerhalb eines Zeichensystems (z.B. einer Sprache), das nicht zur Bezeichnung von etwas dient (und insofern tatsächlich "leer" ist), sondern dessen Existenz eine funktionale Rolle innerhalb des Zeichensystems spielt. Üblicherweise handelt es sich um einen Signifikanten, der nicht einen weiteren Gegenstand bezeichnet, sondern lediglich die bisherige Signifikantenreihe nochmal zusammenfasst bzw. sie erst als zusammenhängende Reihe konstituiert. Er erzeugt die Reihe, indem er aus ihr herausfällt. Für allgemeinverständliche Beispiele bräuchte ich vielleicht etwas länger.

smallie hat folgendes geschrieben:
Bevor nicht klar ist, was ein phallische Signifikant überhaupt sein soll, läßt sich die Idee noch nicht einmal kritisieren. Es gibt keine Idee dahinter, die vermittelbar wäre. Die Idee ist ein Vakuum.

Naja, die Einsicht, dass es schwer fällt, den "Nutzen" von etwas zu beurteilen, mit dem man sich bisher noch nicht näher auseinandergesetzt hat, finde ich nun nicht so überraschend.

Das Zitat von Lacan wurde hier ja nicht gepostet, um eine Einführung in Lacans Ansatz zu geben. Ich bezweifle ernsthaft, dass unquest dazu überhaupt in der Lage wäre. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich mir selbt zutrauen würde, Lacan zu unterrichten. Es gibt einige Autoren, bei denen ich es mir zutrauen würde, sie zu unterrichten, u.A. Marx (über den ich in Bonn letztes Jahr schon Seminare gehalten habe), Wittgenstein, Zizek und möglicherweise Nietzsche - aber bei Lacan wäre ich mir unsicher, so intensiv habe ich mich mit ihm bisher auch noch nicht beschäftigt. Falls ich es versuchen würde, würde ich aber mit ziemlicher Sicherheit nicht gerade dieses Zitat nehmen, um das Konzept des phallischen Signifikanten zu erläutern.
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Myron
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Anmeldungsdatum: 01.07.2007
Beiträge: 3625

Beitrag(#2054639) Verfasst am: 06.05.2016, 23:27    Titel: Antworten mit Zitat

Totgesagte leben länger!

"Es gab eine Zeit und sie liegt noch nicht so gar weit hinter uns, wo die Ansicht weit verbreitet war, Philosophie sei eine Sache, die sich überlebt habe; an ihre Stelle seien die positiven Wissenschaften getreten. Als eine Art Vorstufe der wissenschaftlichen Erkenntnis möge sie ihre Zeit und ihr Recht gehabt haben; jetzt dagegen seien jene Versuche, durch allgemeine Spekulationen zur Erkenntnis der Welt und der Dinge zu gelangen, überlebt und abgetan. Nur als ein unschädliches Spiel für unfruchtbare, zu eigentlich wissenschaftlicher Arbeit nicht angelegte Köpfe möge sie noch eine Weile ein harmloses Dasein fristen, keineswegs aber könne die Beschäftigung mit ihr allen, die auf wissenschaftliche Bildung Anspruch machen, als Pflicht zugemutet werden.

Es kann hier unerörtert bleiben, ob die Philosophie an dieser Missachtung, der sie um die Mitte des Jahrhunderts verfallen war, selber einige Schuld hat. Es ist a priori wahrscheinlich. Nirgends war die Geringschätzung härter als in Deutschland; sie trat hier ein in zeitlicher Folge auf die Herrschaft der spekulativen Philosophie; es liegt nahe, einen ursächlichen Zusammenhang zu vermuten und in der Verachtung aller Philosophie die Reaktion gegen die Selbstüberhebung zu erblicken, mit der die spekulative Philosophie und ihre Jünger die wissenschaftliche Forschung nicht minder als den gesunden Menschenverstand beleidigt hatten. Nachdem sich der deutsche Leser lange genug durch harte Worte hatte einschüchtern, durch trüben Tiefsinn imponieren und durch den Vorwurf der Seichtigkeit das, was er verstand, verdächtig machen lassen, fasste er endlich doch ein Herz und entschloss sich, nun alles gering zu schätzen, was an jene peinlichen Erinnerungen rührte. Hätte Hegel Kants Alter erreicht, so hätte er selber noch den Rückschlag erlebt. Statt seiner litten nun andere, wie Fechner und Lotze, unter der Gleichgültigkeit, die sie nicht verschuldet und nicht verdient hatten.

Inzwischen ist eine neue Zeit herbeigekommen. Ist auch die Verachtung der Philosophie noch nicht ausgestorben, so darf man doch sagen, sie ist für das letzte Drittel des Jahrhunderts nicht mehr charakteristisch, wie sie es für das zweite war. Die Philosophie hat begonnen, von der öffentlichen Geringschätzung sich zu erholen; sie gewinnt wieder die Teilnahme größerer Kreise; im Besonderen ist auch ihr Verhältnis zur wissenschaftlichen Forschung wieder ein freundlicheres geworden.

Es kehrt damit der natürliche Zustand zurück. Denn in Wahrheit ist Philosophie so wenig eine Sache, die sich überlebt hat, oder die bloß einige leere und abstruse Köpfe angeht, dass sie vielmehr eine Angelegenheit aller Zeiten und aller Menschen ist. Ja, man kann sagen, Philosophie ist nicht eine Sache, die man haben oder auch nicht haben kann, auf gewisse Weise hat jeder Mensch, der sich über die Dumpfheit tierischen Dahinlebens erhebt, eine Philosophie. Es fragt sich bloß, was für eine, ob eine aus einigen zufälligen Wissensfragmenten und Gedankensplittern zusammengezimmerte, oder eine durchdachte und auf allseitiger Betrachtung der Wirklichkeit beruhende.

Was das intellektuelle Leben des Menschen von dem der Tiere unterscheidet, das ist die Fähigkeit theoretischer Betrachtung und die Richtung auf das Ganze. Das Tier sieht und hört, hat auch wohl Vorstellungen und Erinnerungen, aber es verweilt nicht dabei; sie kommen und gehen vereinzelt, wie es der Naturlauf fügt, sie haben ihre Bedeutung nur als Motive für den Willen. Im Menschen reißt sich die intellektuelle Tätigkeit vom Dienst des Bedürfnisses los; das theoretische Interesse erwacht; er sammelt und betrachtet die Elemente, welche die Wahrnehmung bietet, und kommt nicht zur Ruhe, bis er sie zu einer einheitlichen Gesamtanschauung der Dinge verknüpft hat. Praxis und Technik lassen an dem Einzelwissen sich genügen; das theoretische Interesse ist auf das Ganze gerichtet. So entsteht Philosophie. Sie ist im allgemeinsten Sinne des Wortes nichts anderes als der stets wiederholte Versuch, ein Ganzes von Vorstellungen und Gedanken über Gestalt und Zusammenhang, über Sinn und Bedeutung aller Dinge zu gewinnen.

Es ist offenbar, dass in diesem Sinne jedes Volk und jeder Mensch, wenigstens jeder normal entwickelte Mensch Philosophie hat. Auch der einfache Mann aus dem Volke hat eine Philosophie; sein Katechismus mag ihm die Grundzüge dazu geliefert haben; er weiß eine Antwort auf die Frage nach Ursprung und Bestimmung der Welt und des Menschenlebens. In diesem Sinne haben auch die Naturvölker eine Philosophie; auch der Indianer und Neuseeländer hatte sich eine Vorstellung von dem Weltganzen und seinem räumlichen Aufbau gemacht, er wusste eine Antwort auf die Frage nach dem Woher und Wohin der Dinge und sah zwischen den kosmischen Begebenheiten und dem menschlichen Leben einen sinnvollen Zusammenhang.

In diesem Sinne ist also Philosophie eine allgemein menschliche Funktion. Soweit es geistiges Leben gibt, so weit gibt es auch Philosophie."

(Paulsen, Friedrich. Einleitung in die Philosophie. 2. Aufl. Berlin: W. Hertz, 1893. S. 1-3)

"Die Zeit ruft alle ihre geistigen Kräfte auf, um einen neuen inneren Gehalt des Lebens zu erringen. In diesem Kampfe um einen neuen Lebensinhalt muss sie sich mit den großen Geistesführern der Vergangenheit verbünden. Und ihre Lebensanschauungen zu erneuern, ihre Gesinnung lebendig zu erhalten, ihr Werk fortzuführen, ist der nächste und wesentlichste Beruf der Philosophie als Geistesführung,—ist die Gegenwart dieser Philosophie.
Und so ist die Philosophie keine Sache bloß der Schule, sie ist eine Angelegenheit der Menschheit selbst, und darum hat sie sich nicht überlebt und wird sich nie überleben. Umsonst, dass der Mensch sich gleichgültig verhalten wollte zu den Problemen der Philosophie; sind es doch die wahren und wesentlichen Probleme seines Wissens und seines Lebens. Stetig muss die Menschheit fortschreiten in der Selbsterkenntnis der Vernunft und der Erkenntnis der Welt, im Streben nach einer auf dieser doppelten Erkenntnis beruhenden Weisheit: fortschreiten in philosophischer Wissenschaft und philosophischer Gesinnung."

(Riehl, Alois. Zur Einführung in die Philosophie der Gegenwart. 3. Aufl. Leipzig: B. G. Teubner, 1908. S. 273-4)
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unquest
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Anmeldungsdatum: 10.10.2010
Beiträge: 3326

Beitrag(#2054641) Verfasst am: 06.05.2016, 23:39    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Das Zitat von Lacan wurde hier ja nicht gepostet, um eine Einführung in Lacans Ansatz zu geben. Ich bezweifle ernsthaft, dass unquest dazu überhaupt in der Lage wäre.


Ich bin thematisch hier eh draußen. Hatte vor Jahren mal eine Einführung zu Lacan gelesen, als ich noch guten Willens war. Da er aber auf der Psychoanalyse aufbauen möchte und diese für mich nur eine veraltete Form von Scientology darstellt, ist der Drops für mich gelutscht. Was soll ich mit dem Namen-des-Vaters anfangen, wenn ich den Ödipuskomplex für ein Hirngespinst halte?
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Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#2054645) Verfasst am: 07.05.2016, 00:02    Titel: Antworten mit Zitat

Myron hat folgendes geschrieben:
Totgesagte leben länger!

Deine Zitate sind über 100 Jahre alt! Welche wissenschaftliche Darstellung aus der Zeit würde man heute noch zur Beurteilung des Werts oder Unwerts wissenschaftlicher Arbeit redlicherweise heranziehen?
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"Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

Friedrich Nietzsche
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Myron
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Anmeldungsdatum: 01.07.2007
Beiträge: 3625

Beitrag(#2054648) Verfasst am: 07.05.2016, 00:11    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Totgesagte leben länger!

Deine Zitate sind über 100 Jahre alt!


Na und?! Was Paulsen&Riehl damals über die unentbehrliche Rolle der Philosophie geschrieben haben, ist auch heute noch zutreffend.
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zelig
Kultürlich



Anmeldungsdatum: 31.03.2004
Beiträge: 25405

Beitrag(#2054649) Verfasst am: 07.05.2016, 00:15    Titel: Antworten mit Zitat

unquest hat folgendes geschrieben:
Ich lese gerade von Beckermann die Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes und bin begeistert von seinem Bemühen eine klare Sprache zu sprechen.


Gutes Buch.
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zelig
Kultürlich



Anmeldungsdatum: 31.03.2004
Beiträge: 25405

Beitrag(#2054651) Verfasst am: 07.05.2016, 00:34    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
steps sig lautet: "Die Leere ist Fülle, wenn man sie sieht". Bei der Lacanschen Art von Inhaltsleere sehe ich allerdings nichts.


Sie lautet jedoch:
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.

Sie verneint den Sinn, um einen zu geben.
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Tarvoc
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Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44649

Beitrag(#2054655) Verfasst am: 07.05.2016, 01:06    Titel: Antworten mit Zitat

unquest hat folgendes geschrieben:
Ich lese gerade von Beckermann die Analytische Einführung in die Philosophie des Geistes und bin begeistert von seinem Bemühen eine klare Sprache zu sprechen.

zelig hat folgendes geschrieben:
Gutes Buch.

Danke für die Empfehlung, kommt auf meine Liste.
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Zumsel
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Anmeldungsdatum: 08.03.2005
Beiträge: 4667

Beitrag(#2054672) Verfasst am: 07.05.2016, 10:32    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Totgesagte leben länger!

Deine Zitate sind über 100 Jahre alt!


Tja, der Positivismus freilich ist noch älter.
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Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#2054678) Verfasst am: 07.05.2016, 10:57    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Totgesagte leben länger!

Deine Zitate sind über 100 Jahre alt!


Tja, der Positivismus freilich ist noch älter.


Dann sag doch mal kurz, was du darunter verstehst, damit wir uns nicht um Worte streiten müssen.
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es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

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Myron
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Anmeldungsdatum: 01.07.2007
Beiträge: 3625

Beitrag(#2054704) Verfasst am: 07.05.2016, 15:48    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Tja, der Positivismus freilich ist noch älter.

Dann sag doch mal kurz, was du darunter verstehst, damit wir uns nicht um Worte streiten müssen.


Zunächst ist zwischen dem alten, ursprünglichen Positivismus und dem neuen Positivismus (dem Neopositivismus, dem logischen Positivismus/Empirismus der Wiener und Berliner Schule) zu unterscheiden.

Siehe:

http://www.philosophie-woerterbuch.de/online-woerterbuch/?title=Positivismus&tx_gbwbphilosophie_main[entry]=699&tx_gbwbphilosophie_main[action]=show&tx_gbwbphilosophie_main[controller]=Lexicon&cHash=504c56ff6884f65556cecbf39054b0e4

http://www.textlog.de/4871.html

http://www.textlog.de/6522.html
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Waldwuffel
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Anmeldungsdatum: 04.05.2016
Beiträge: 79

Beitrag(#2054708) Verfasst am: 07.05.2016, 16:31    Titel: Antworten mit Zitat

Naja, diese beiden langen Zitate zum Weiterleben der Philosophie sagen aber nicht wirklich etwas aus. Da stehen nur zwei Meinungen, die besagen, die Philosophie sei nicht tot. Was genau Philosophie ausmachen soll, wird aber eigentlich gar nicht beschrieben. Nur, dass es irgendwie um eine Erkenntnis "des Ganzen" gehen soll bzw. dass es um Selbst- und Welterkenntnis in Anknüpfung an eine Vergangenheit gehe. Ich finde, beide Ansichten sind fragwürdig. Auch Philosophie lässt sich m.E. am besten betreiben, wenn man ihre Probleme (die zu einem Großteil wirklich schon von Beginn an bekannt sind) sauber voneinander unterscheidet, um sie so einer möglichen Lösung zuzuführen, um ihre Zusammenhänge zu erkennen usw. Ein umfassendes Weltbild zu konstruieren (auf welcher Grundlage eigentlich?), gehört m.E. nicht zu ihren Aufgaben. Und eine Kenntnis der "Tradition", also der Texte, in denen diese Probleme zuerst beschrieben wurden, ist dabei meiner Ansicht nach auch nicht unbedingt nötig. Oft werden sie in aktuellen Arbeiten einfach viel klarer beschrieben. Warum sollte man dann einen mehr oder weniger obskuren alten Text lesen, wenn es einem in erster Linie um das Problem an sich geht und nicht um die Rekonstruktion seiner Geschichte?
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Myron
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Anmeldungsdatum: 01.07.2007
Beiträge: 3625

Beitrag(#2054715) Verfasst am: 07.05.2016, 17:38    Titel: Antworten mit Zitat

Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Naja, diese beiden langen Zitate zum Weiterleben der Philosophie sagen aber nicht wirklich etwas aus. Da stehen nur zwei Meinungen, die besagen, die Philosophie sei nicht tot. Was genau Philosophie ausmachen soll, wird aber eigentlich gar nicht beschrieben.


Falls du mehr erfahren willst, kannst du die beiden erwähnten Bücher kostenlos lesen:

* Paulsen: https://archive.org/details/einleitungindie00paul

* Riehl: https://archive.org/details/zureinfhrungind00riehgoog
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Myron
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Anmeldungsdatum: 01.07.2007
Beiträge: 3625

Beitrag(#2054722) Verfasst am: 07.05.2016, 18:10    Titel: Antworten mit Zitat

Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Naja, diese beiden langen Zitate zum Weiterleben der Philosophie sagen aber nicht wirklich etwas aus. Da stehen nur zwei Meinungen, die besagen, die Philosophie sei nicht tot. Was genau Philosophie ausmachen soll, wird aber eigentlich gar nicht beschrieben. Nur, dass es irgendwie um eine Erkenntnis "des Ganzen" gehen soll bzw. dass es um Selbst- und Welterkenntnis in Anknüpfung an eine Vergangenheit gehe. Ich finde, beide Ansichten sind fragwürdig. Auch Philosophie lässt sich m.E. am besten betreiben, wenn man ihre Probleme (die zu einem Großteil wirklich schon von Beginn an bekannt sind) sauber voneinander unterscheidet, um sie so einer möglichen Lösung zuzuführen, um ihre Zusammenhänge zu erkennen usw. Ein umfassendes Weltbild zu konstruieren (auf welcher Grundlage eigentlich?), gehört m.E. nicht zu ihren Aufgaben.


Doch, die Beschäftigung mit dem Großen und Ganzen ist von jeher Teil der Philosophie, wobei allgemein zwischen zwei metaphilosophischen Herangehensweisen zu unterscheiden ist: der analytischen, kritischen, deskriptiven und der synthetischen, synoptischen, konstruktiven. Die Aufgabe der Philosophie besteht nicht nur, wie es Jack Smart ausdrückt, in der analytischen Klärung der Begriffe und Gedanken ("clarification of thought") und der kritischen Ausschaltung von Unsinn ("elimination of nonsense"), sondern auch in der synthetisch-synoptischen Entwerfung eines (vorläufigen) Weltbildes (auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnis) ("tentative adumbration of a world view").

Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Und eine Kenntnis der "Tradition", also der Texte, in denen diese Probleme zuerst beschrieben wurden, ist dabei meiner Ansicht nach auch nicht unbedingt nötig. Oft werden sie in aktuellen Arbeiten einfach viel klarer beschrieben. Warum sollte man dann einen mehr oder weniger obskuren alten Text lesen, wenn es einem in erster Linie um das Problem an sich geht und nicht um die Rekonstruktion seiner Geschichte?


Zwischen "alt" und "obskur" besteht kein Bedeutungszusammenhang. Viele alte Texte sind viel weniger obskur als neue. Auch "wenn es einem in erster Linie um das Problem an sich geht", erweisen sich ältere Texte oft als besser und klarer. "Neuer" und "besser" sind jedenfalls keine Synonyme. Oben wird Beckermanns Einführung in die Philosophie des Geistes erwähnt. Wer sich insbesondere mit dem Leib-Seele-Problem befassen will, dem sei beispielsweise das folgende Buch von 1906 empfohlen, das hervorragend ist und in Bezug auf "das Problem an sich" auch im Jahre 2016 noch absolut lesenswert und bedeutsam ist:

* Eisler, Rudolf. Leib und Seele: Darstellung und Kritik der neueren Theorien des Verhältnisses zwischen physischem und psychischem Dasein. Leipzig: Barth, 1906.

Der Gesamttext ist kostenlos verfügbar: https://archive.org/details/bub_gb_E7MRAAAAYAAJ
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Waldwuffel
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Anmeldungsdatum: 04.05.2016
Beiträge: 79

Beitrag(#2054728) Verfasst am: 07.05.2016, 18:53    Titel: Antworten mit Zitat

Ich finde tatsächlich, dass Philosophie nur als Sprachanalyse auf eine Weise betrieben werden kann, die mit den Wissenschaften kompatibel ist, denn anders können die "philosophischen Gegenstände" (etwa Begriffe wie Gegenstand, Möglichkeit/Notwendigkeit, Wahrheit, Kausalität usw.) m.E. nicht so gefasst werden, dass sie intersubjektiv zugänglich sind. Aus diesem Grund halte ich auch ältere philosophische Texte für tendenziell obskurer. Da man hier noch versucht hat, diese Gegenstände etwa als Dinge an sich oder als mentale Gegenstände durch Reflexion auf das eigene Bewusstsein usw. zu modellieren. Natürlich können die entsprechenden Probleme, Lösungsversuche und Argumente auch sehr gut sein und die Texte entsprechend lesenswert, durch diese problematischen Herangehensweisen sind sie aber insgesamt eher unklar bzw. der Zugang wird erschwert, weil man sie gewissermaßen erstmal "in die heutige Sprache übersetzen" muss, wenn man wirklich mit ihnen arbeiten will (sie also nicht aus rein historischen Gründen studiert).
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Marcellinus
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Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#2054739) Verfasst am: 07.05.2016, 19:45    Titel: Antworten mit Zitat

Myron hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:

Tja, der Positivismus freilich ist noch älter.

Dann sag doch mal kurz, was du darunter verstehst, damit wir uns nicht um Worte streiten müssen.


Zunächst ist zwischen dem alten, ursprünglichen Positivismus und dem neuen Positivismus (dem Neopositivismus, dem logischen Positivismus/Empirismus der Wiener und Berliner Schule) zu unterscheiden.

Siehe:

http://www.philosophie-woerterbuch.de/online-woerterbuch/?title=Positivismus&tx_gbwbphilosophie_main[entry]=699&tx_gbwbphilosophie_main[action]=show&tx_gbwbphilosophie_main[controller]=Lexicon&cHash=504c56ff6884f65556cecbf39054b0e4

http://www.textlog.de/4871.html

http://www.textlog.de/6522.html


Nun hatte ich eigentlich Zumsel nach seiner Meinung gefragt. Ein Link auf Lexikon-Artikel ist da oft nicht hilfreich. Soweit ich das verstanden habe, versteht man unter einem Positivisten einen Vertreter der wissenschaftstheoretischen Vorstellung, daß man bei wissenschaftlicher Forschung oder bei Erkenntnisvorgängen überhaupt von "reinen" Beobachtungen ausgehen, aufgrund deren man dann nachträglich Theorien konstruiert. In diesem Sinne gilt Auguste Comte als der "Erzpositivist", was komisch ist, geäußert hat er sich ganz anders. 'Positiv' war für ihn einfach ein Synonym für 'wissenschaftlich':

„Denn wenn auch auf der einen Seite jede positive Theorie notwendigerweise auf Beobachtungen fundiert sein muß, so ist es auf der anderen Seite nicht weniger richtig, daß unser Verstand eine Theorie der einen oder anderen Art braucht, um zu beobachten. Wenn man bei der Betrachtung von Erscheinungen diese nicht unmittelbar in Beziehung zu gewissen Prinzipien setzen würde, wäre es nicht nur unmöglich für uns, diese isolierten Beobachtungen miteinander in Verbindung zu bringen ... wir würden sogar völlig unfähig sein, uns an die Tatsachen zu erinnern; man würde sie zum größten Teil nicht wahrnehmen.“ (Auguste Comte, Cours de Philosophie Positive, Band 1, Paris 1907)

Der positive, dh. wissenschaftliche Charakter aller Forschungsarbeit war für Comte eben diese wechselseitige Abhängigkeit von Theorie und Empirie.
_________________
"Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

Friedrich Nietzsche
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schtonk
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Beitrag(#2054775) Verfasst am: 07.05.2016, 21:40    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:

[...]

Der positive, dh. wissenschaftliche Charakter aller Forschungsarbeit war für Comte eben diese wechselseitige Abhängigkeit von Theorie und Empirie.

Ja, das war schon sehr fortschrittlich im ersten Drittel des 19. Jhdts. Auf ihn geht auch die "Soziologie" zurück. Bis dahin dachte man über gesellschaftliche Zusammenhänge
rein mechanistisch (soziale Physik). Das Positive/der Positivismus wurde ja über 100 Jahre später zuungunsten der reinen Logik der Empirie kritisch hinterfragt,
von Popper und Adorno, die sich teils einig, in grundlegenden Dingen aber uneinig waren. Hatte dieser Positivismusstreit auch Auswirkungen auf die Philosophie?
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Skeptiker
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Beitrag(#2054782) Verfasst am: 07.05.2016, 22:10    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Der Vergleich ist aber zumindest insofern nicht völlig falsch, als die ökonomisch-philosophischen Manuskripte in der Tat unwissenschaftlich sind und z.T. falsche Schlussfolgerungen beinhalten - übrigens nicht zuletzt gerade aufgrund der philosophischen Ansätze. Marx korrigiert diese Irrtümer in späteren Werken, und man muss auch im Kopf behalten, dass die Manuskripte selbst erst posthum veröffentlicht wurden und von Marx nie zur Veröffentlichung vorgesehen waren. Es gibt aber Gründe dafür, warum Marx das Wort Philosophie oder philosophisch in seinen späteren Werken nicht mehr zur Beschreibung der eigenen Tätigkeit verwendet. Die Deutsche Ideologie, vielleicht Marx' letztes im eigentlichen Sinne philosophisches Werk, beinhaltet sogar den expliziten Versuch einer Distanzierung gegen die Philosophie. Ebenso das Elend der Philosophie. Zumindest zur Kenntnis nehmen sollte man diese Tatsache.


Das stimmt doch so nicht. Weder hat sich Marx "distanziert", noch kann man seine späteren Werke von den Frühschriften trennen, ohne an Verständnisfähigkeit für seine gesamte Theorie einzubüßen.

Das, was schon Hegel mit dem Paradigma der Verwirklichung einer Idee durch dessen Aufhebung dialektisch formuliert hat, hat Marx nicht einfach verworfen. Das widerspricht der dialektischen Methode per se, die er - wie es heisst - "vom Kopf auf die Füße gestellt", also politisiert hat.

Aber nicht nur von Hegel, sondern auch von Feuerbach hat die marxistische Theorie ihren revolutionären Ansatz gewonnen.

Feuerbach hat folgendes geschrieben:
Die Philosophie zur Sache der Menschheit zu machen, das war mein erstes Bestreben. Aber wer einmal diesen Weg einschlägt, kommt notwendig zuletzt dahin, den Menschen zur Sache der Philosophie zu machen und die Philosophie selbst aufzuheben; denn sie wird nur dadurch Sache der Menschheit, dass sie eben aufhört, Philosophie zu sein.

Ludwig Feuerbach: Das Wesen des Christentums, Reclam, S. 391


Bei Marx findet sich das wie folgt wieder:

Zitat:
"Ihr könnt die Philosophie nicht aufheben, ohne sie zu verwirklichen. ... Die Philosophie kann sich nicht verwirklichen ohne die Aufhebung des Proletariats, das Proletariat kann sich nicht aufheben ohne die Verwirklichung der Philosophie."

Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung. MEW 1
http://kulturkritik.net/begriffe/begr_txt.php?lex=aufhebung


Stimmt nicht. Marx hat sich in der Deutschen Ideologie ganz klar vom Feuerbachschen Humanismus distanziert und ihn sogar höchst effektiv als Ideologie kritisiert, und nur vor dem theoretischen Hintergrund des Feuerbachschen Humanismus ergibt die Entfremdungstheorie der ök.-phil. Manuskripte überhaupt Sinn.


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Hier mal ein paar Äußerungen von Marx zu Feuerbach aus der Deutschen Ideologie.

Es zeigt sich aus diesen Auseinandersetzungen auch, wie sehr Feuerbach sich täuscht, wenn er ("Wigand's Vierteljahrsschrift", 1845, Bd. 2) sich vermöge der Qualifikation "Gemeinmensch" für einen Kommunisten erklärt, in ein Prädikat "des" Menschen verwandelt, also das Wort Kommunist, das in der bestehenden Welt den Anhänger einer bestimmten revolutionären Partei bezeichnet, wieder in eine bloße Kategorie verwandeln zu können glaubt. Feuerbachs ganze Deduktion in Beziehung auf das Verhältnis der Menschen zueinander geht nur dahin, zu beweisen, daß die Menschen einander nötig haben und immer gehabt haben. Er will das Bewußtsein über diese Tatsache etablieren, er will also, wie die übrigen Theoretiker, nur ein richtiges Bewußtsein über ein bestehendes Faktum hervorbringen, während es dem wirklichen Kommunisten darauf ankommt, dies Bestehende umzustürzen.

Ist das der "revolutionäre Ansatz", den Marx von Feuerbach gewonnen hat?

Zu Feuerbachs Idealismus und zur Unwissenschaftlichkeit seines Ansatzes:

Feuerbachs "Auffassung" der sinnlichen Welt beschränkt sich einerseits auf die bloße Anschauung derselben und andrerseits auf die bloße Empfindung, er sagt "den Menschen" statt d[ie] "wirklichen historischen Menschen". "Der Mensch" ist realiter <in Wirklichkeit> "der Deutsche". Im ersten Falle, in der Anschauung der sinnlichen Welt, stößt er notwendig auf Dinge, die seinem Bewußtsein und seinem Gefühl widersprechen, die die von ihm vorausgesetzte Harmonie aller Teile der sinnlichen Welt und namentlich des Menschen mit der Natur stören. Um diese zu beseitigen, muß er dann zu einer doppelten Anschauung seine Zuflucht nehmen, zwischen einer profanen, die nur das "auf platter Hand Liegende", und einer höheren, philosophischen, die das "wahre Wesen" der Dinge erschaut.

Feuerbachs Philosophie ist nicht fähig, eine Kritik bügerlicher Verhältnisse zu geben, sondern endet in einer idealisierten Apologie:

Feuerbach hat allerdings den großen Vorzug vor den "reinen" Materialisten, daß er einsieht, wie auch der Mensch "sinnlicher Gegenstand" ist; aber abgesehen davon, daß er ihn nur als "sinnlichen Gegenstand", nicht als "sinnliche Tätigkeit" faßt, da er sich auch hierbei in der Theorie hält, die Menschen nicht in ihrem gegebenen gesellschaftlichen Zusammenhange, nicht unter ihren vorliegenden Lebensbedingungen, die sie zu Dem gemacht haben, was sie sind, auffaßt, so kommt er nie zu den wirklich existierenden, tätigen Menschen, sondern bleibt bei dem Abstraktum "der Mensch" stehen und bringt es nur dahin, den "wirklichen, individuellen, leibhaftigen Menschen" in der Empfindung anzuerkennen, d.h., er kennt keine andern "menschlichen Verhältnisse" "des Menschen zum Menschen", als Liebe und Freundschaft, und zwar idealisiert. Gibt keine Kritik der jetzigen Lebensverhältnisse. Er kommt also nie dazu, die sinnliche Welt als die gesamte lebendige sinnliche Tätigkeit der sie ausmachenden Individuen aufzufassen, und ist daher gezwungen, wenn er z.B. statt gesunder Menschen einen Haufen skrofulöser, überarbeiteter und schwindsüchtiger Hungerleider sieht, da zu der "höheren Anschauung" und zur ideellen "Ausgleichung in der Gattung" seine Zuflucht zu nehmen, also gerade da in den Idealismus zurückzufallen, wo der kommunistische Materialist die Notwendigkeit und zugleich die Bedingung einer Umgestaltung sowohl der Industrie wie der gesellschaftlichen Gliederung sieht.

http://www.mlwerke.de/me/me03/me03_017.htm#I_I


Nun sind wir von der vermeintlichen Ablehnung Hegels und der gesamten Philosophie auch noch zur Kritik Marx' an Feuerbach gekommen. Das war nicht meine Absicht; ich hatte Feuerbachs Passage nur zitiert, um zu unterstreichen, dass Marx auch vom Vormärz-Revolutionär Feuerbach sehr wichtige Impulse aufgenommen hat, insbesondere Feuerbachs Religionskritik. Dessen Formulierung, "die Philosophie aufzuheben" findet sich denn auch bei Marx fast wörtlich wieder - mit einem entscheidenden Unterschied. Marx formuliert die nötige Aufhebung der Philosophie dialektisch: Aufhebung der Philosophie durch Verwirklicung der selben!

Ansonsten ist die Kritik der Beschränktheit Feuerbachs in Sachen Revolution völlig richtig, so wie auch Marx' umfassende früehe Kritiken an Hegels spekulativen und idealistischen Methoden, die für die Praxis untauglich und irrelevant seien.

So weit so gut erst mal.

Doch meine Aussage war eine andere. Ich habe dem Begriff "Distanzierung" widersprochen. Marx hat sich nicht von Hegels wertvollem Kern "distanziert". Dazu mehr weiter unten.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
noch kann man seine späteren Werke von den Frühschriften trennen, ohne an Verständnisfähigkeit für seine gesamte Theorie einzubüßen.


Dass man auch die Frühschriften kennen muss, um Marx voll zu verstehen, ist schon richtig. Natürlich habe ich nicht dazu geraten, die Frühschriften nicht zu lesen. Ihre Kenntnis sind selbstverständlich wichtig, um die Entwicklung des Marxschen Denkens nachzuvollziehen. Man darf sie nur nicht zu etwas machen, das sie nicht sind. Sie bilden weder die anthropologischen noch die philosophischen oder ethischen (und schon gleich gar nicht die ökonomischen!) Grundlagen der späteren Arbeiten.


Die Thematik der Entfremdung etwa in den Frühschriften taucht auch später als wichtiges, aber variiertes Thema auf. Die philosophischen Grundlagen finden sich auch im Kapital wieder, nur nicht mehr so offensichtlich. Was bei Hegel noch die Bewegung des Denkens war als eine Entwicklung innerer Widersprüche (- nicht bloß *logischer* Widersprüche! -) findet sich in Marx' Hauptwerk wieder als Bewegung des sich selbst verwertenden Kapitals anhand von dessen inneren Widersprüchen zwischen Wert und Gebrauchswert vor allem.

Ich hatte schon mal hier im Forum von Marx' dialektischer Methode geschrieben:

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Im folgenden antwortet Marx auf eine Rezension seines Buches "Das Kapital" (Band 1), in der seine dialektische Methode angesprochen wird:

Zitat:
Herr M. Block - "Les Théoriciens du Socialisme en Allemagne. Extrait du Journal des Économistes, juillet et août 1872" - entdeckt, daß meine Methode analytisch ist, und sagt u.a.:

"Par cet ouvrage M. Marx se classe parmi les esprits analytiques les plus éminents."
<"Durch dieses Werk reiht sich Herr Marx unter die bedeutendsten analytischen Denker ein.">

Die deutschen Rezensenten schreien natürlich über Hegelsche Sophistik. Der Petersburger "Europäischer Bote", in einem Artikel, der ausschließlich die Methode des "Kapital" behandelt (Mainummer 1872, p. 427-436), findet meine Forschungsmethode streng realistisch. Er sagt:

"Auf den ersten Blick, wenn man nach der äußern Form der Darstellung urteilt, ist Marx der größte Idealphilosoph, und zwar im deutschen, d.h. schlechten Sinn des Wortes. In der Tat aber ist er unendlich mehr Realist als alle seine Vorgänger im Geschäft der ökonomischen Kritik ... Man kann ihn in keiner Weise einen Idealisten nennen."

Ich kann dem Herrn Verfasser <I. I. Kaufmann> nicht besser antworten als durch einige Auszüge aus seiner eignen Kritik, die zudem manchen meiner Leser, dem das russische Original unzugänglich ist, interessieren mögen.

Nach einem Zitat aus meiner Vorrede zur "Kritik der Pol. Oek.", Berlin 1859, p. IV-VII <siehe Band 13, S. 8-10>, wo ich die materialistische Grundlage meiner Methode erörtert habe, fährt der Herr Verfasser fort:

"Für Marx ist nur eins wichtig: das Gesetz der Phänomene zu finden, mit deren Untersuchung er sich beschäftigt. Und ihm ist nicht nur das Gesetz wichtig, das sie beherrscht, soweit sie eine fertige Form haben und in einem Zusammenhang stehn, wie er in einer gegebnen Zeitperiode beobachtet wird. Für ihn ist noch vor allem wichtig das Gesetz ihrer Veränderung, ihrer Entwicklung, d.h. der Übergang aus einer Form in die andre, aus einer Ordnung des Zusamenhangs in eine andre.

Sobald er einmal dies Gesetz entdeckt hat, untersucht er im Detail die Folgen, worin es sich im gesellschaftlichen Leben kundgibt ... Demzufolge bemüht sich Marx nur um eins: durch genaue wissenschaftliche Untersuchung die Notwendigkeit bestimmter Ordnungen der gesellschaftlichen Verhältnisse nachzuweisen und soviel als möglich untadelhaft die Tatsachen zu konstatieren, die ihm zu Ausgangs- und Stützpunkten dienen. Hierzu ist vollständig hinreichend, wenn er mit der Notwendigkeit der gegenwärtigen Ordnung zugleich die Notwendigkeit einer andren Ordnung nachweist, worin die erste unvermeidlich übergehn muß, ganz gleichgültig, ob die Menschen das glauben oder nicht glauben, ob sie sich dessen bewußt oder nicht bewußt sind.

Marx betrachtet die gesellschaftliche Bewegung als einen naturgeschichtlichen Prozeß, den Gesetze lenken, die nicht nur von dem Willen, dem Bewußtsein und der Absicht der Menschen unabhängig sind, sondern vielmehr umgekehrt deren Wollen, Bewußtsein und Absichten bestimmen ... Wenn das bewußte Element in der Kulturgeschichte eine so untergeordnete Rolle spielt, dann versteht es sich von selbst, daß die Kritik, deren Gegenstand die Kultur selbst ist, weniger als irgend etwas andres, irgendeine Form oder irgendein Resultat des Bewußtseins zur Grundlage haben kann. Das heißt, nicht die Idee, sondern nur die äußere Erscheinung kann ihr als Ausgangspunkt dienen. Die Kritik wird sich beschränken auf die Vergleichung und Konfrontierung einer Tatsache nicht mit der Idee, sondern mit der andren Tatsache.

Für sie ist es nur wichtig, daß beide Tatsachen möglichst genau untersucht werden und wirklich die eine gegenüber der andren verschiedene Entwicklungsmomente bilden, vor allem aber wichtig, daß nicht minder genau die Serie der Ordnungen erforscht wird, die Aufeinanderfolge und Verbindung, worin die Entwicklungsstufen erscheinen. Aber, wird man sagen, die allgemeinen Gesetze des ökonomischen Lebens sind ein und dieselben; ganz gleichgültig, ob man sie auf Gegenwart oder Vergangenheit anwendet. Grade das leugnet Marx. Nach ihm existieren solche abstrakte Gesetze nicht ... Nach seiner Meinung besitzt im Gegenteil jede historische Periode ihre eignen Gesetze ...

Sobald das Leben eine gegebene Entwicklungsperiode überlebt hat, aus einem gegebnen Stadium in ein andres übertritt, beginnt es auch durch andre Gesetze gelenkt zu werden. Mit einem Wort, das ökonomische Leben bietet uns eine der Entwicklungsgeschichte auf andren Gebieten der Biologie analoge Erscheinung ... Die alten Ökonomen verkannten die Natur ökonomischer Gesetze, als sie dieselben mit den Gesetzen der Physik und Chemie verglichen ... Eine tiefere Analyse der Erscheinungen bewies, daß soziale Organismen sich voneinander ebenso gründlich unterscheiden als Pflanzen- und Tierorganismen ... Ja, eine und dieselbe Erscheinung unterliegt ganz und gar verschiednen Gesetzen infolge des verschiednen Gesamtbaus jener Organismen, der Abweichung ihrer einzelnen Organe, des Unterschieds der Bedingungen, worin sie funktionieren usw.

Marx leugnet z.B., daß das Bevölkerungsgesetz dasselbe ist zu allen Zeiten und an allen Orten. Er versichert im Gegenteil, daß jede Entwicklungsstufe ihr eignes Bevölkerungsgesetz hat ... Mit der verschiednen Entwicklung der Produktivkraft ändern sich die Verhältnisse und die sie regelnden Gesetze. Indem sich Marx das Ziel stellt, von diesem Gesichtspunkt aus die kapitalistische Wirtschaftsordnung zu erforschen und zu erklären, formuliert er nur streng wissenschaftlich das Ziel, welches jede genaue Untersuchung des ökonomischen Lebens haben muß ... Der wissenschaftliche Wert solcher Forschung liegt in der Aufklärung der besondren Gesetze, welche Entstehung, Existenz, Entwicklung, Tod eines gegebenen gesellschaftlichen Organismus und seinen Ersatz durch einen andren, höheren regeln. Und diesen Wert hat in der Tat das Buch von Marx."

Indem der Herr Verfasser das, was er meine wirkliche Methode nennt, so treffend und, soweit meine persönliche Anwendung derselben in Betracht kommt, so wohlwollend schildert, was andres hat er geschildert als die dialektische Methode?

Allerdings muß sich die Darstellungsweise formell von der Forschungsweise unterscheiden. Die Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueignen, seine verschiednen Entwicklungsformen zu analysieren und deren innres Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit vollbracht, kann die wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt werden. Gelingt dies und spiegelt sich nun das Leben des Stoffs ideell wider, so mag es aussehn, als habe man es mit einer Konstruktion a priori zu tun.

Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der Denkprozeß, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle.

Die mystifizierende Seite der Hegelschen Dialektik habe ich vor beinah 30 Jahren, zu einer Zeit kritisiert, wo sie noch Tagesmode war. Aber grade als ich den ersten Band des "Kapital" ausarbeitete, gefiel sich das verdrießliche, anmaßliche und mittelmäßige Epigonentum, welches jetzt im gebildeten Deutschland das große Wort führt, darin, Hegel zu behandeln, wie der brave Moses Mendelssohn zu Lessings Zeit den Spinoza behandelt hat, nämlich als "toten Hund". Ich bekannte mich daher offen als Schüler jenes großen Denkers und kokettierte sogar hier und da im Kapitel über die Werttheorie mit der ihm eigentümlichen Ausdrucksweise. Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet, verhindert in keiner Weise, daß er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewußter Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muß sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken.

In ihrer mystifizierten Form ward die Dialektik deutsche Mode, weil sie das Bestehende zu verklären schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie dem Bürgertum und seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein Greuel, weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschließt, jede gewordne Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffaßt, sich durch nichts imponieren läßt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist.

Die widerspruchsvolle Bewegung der kapitalistischen Gesellschaft macht sich dem praktischen Bourgeois am schlagendsten fühlbar in den Wechselfällen des periodischen Zyklus, den die moderne Industrie durchläuft, und deren Gipfelpunkt - die allgemeine Krise. Sie ist wieder im Anmarsch, obgleich noch begriffen in den Vorstadien, und wird durch die Allseitigkeit ihres Schauplatzes, wie die Intensität ihrer Wirkung, selbst den Glückspilzen des neuen heilige, preußisch-deutschen Reichs Dialektik einpauken.

London, 24. Januar 1873

Karl Marx


http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_018.htm


Wohlgemerkt Tarvoc: Das schreibt Marx als Nachwort zum ersten Band vom Kapital und nicht in irgend *unwissenschaftlichen* Frühschrift.

Und in einem früheren Brief an seinen Mitarbeiter und Mitstreiter Engels, während vorbereitender Arbeiten an seiner ökonomischen Theorie:

Zitat:
"Übrigens finde ich hübsche Entwicklungen. Z. B. die ganze Lehre vom Profit, wie sie bisher war, habe ich über den Haufen geworfen.

In der Methode des Bearbeitens hat es mir großen Dienst geleistet, dass ich durch bloßen Zufall - Freiligrath fand einige, ursprünglich dem Bakunin gehörige Bände Hegels und schickte sie mir als Präsent - Hegels ‚Logik’ wieder durchgeblättert hatte.

Wenn je wieder Zeit für solche Arbeiten kommt, hätte ich große Lust, in 2 oder 3 Druckbögen das Rationelle an der Methode, die Hegel entdeckt, aber zugleich mystifiziert hat, dem gemeinen Menschenverstand zugänglich zu machen."


Marx an Engels, Januar 1858, MEGA III/9, S. 24f.
(14 Jahre nach der "Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie")


Eine "Distanzierung" von Hegel und gar gleich der ganzen Philosophie liest sich - denke ich mal - etwas anders, doer wie siehst du das? zwinkern

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Überhaupt weichst du mit der rein philologischen Frage nach Kontinuität dem eigentlichen Problem aus. Ob nun Marx' spätere Schriften theoretisch auf seinen Frühschriften beruhen oder nicht: Dass die ök.-phil. Manuskripte unwissenschaftlich sind, ist eine Tatsache. Dass einiges in ihnen schlicht falsch ist, ebenfalls. Wenn du wirklich der Ansicht bist, dass die Manuskripte die Grundlage der späteren Arbeiten bilden, dann müssten auch diese Irrtümer im gesamten Werk identifizierbar sein. Das würde allerdings potentiell das gesamte Marxsche Werk grundlegend in Frage stellen. Wenn die Füße, auf denen das Marxsche Werk steht, die ökonomisch-philosophischen Manuskripte sind, dann sind es tönerne Füße. Dass sogar der junge Marx die Manuskripte bereits nicht für veröffentlichungsfähig gehalten hat, sollte eigentlich ein Indikator dafür sein, dass irgendwas mit ihnen nicht stimmt.


Nein. Marx und Engels habe die frühen philosophisch-ökonomischen Manuskripte ausdrücklich - wie sie es nannten - zur eigenen "Selbstvergewisserung" verfasst. Dass sie nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren, hatte sie zum Zeitpunkt des Schreibens bestimmt und nicht etwa zu einem späteren Zeitpunkt. Der Zweck diese Manuskripte war die begriffliche und thematisch Vorbereitung der geplanten Veröffentlichungen. Das ist alles.

Einen wissenschaftlichen Anspruch hatte dennoch die dort entwickelten Begriffe schon. Sie finden sich nämlich in der späteren Werken im wesentlichen wieder - ergänzt nun aber durch neue wissenschaftliche - darunter übrigens auch empiriche - Forschungen.

Also: Es ist nicht nur empfehlenswert, die Frühschriften zu kennen, sondern es ist unerlässlich, um überhaupt die Spätschriften zu verstehen.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Das, was schon Hegel mit dem Paradigma der Verwirklichung einer Idee durch dessen Aufhebung dialektisch formuliert hat, hat Marx nicht einfach verworfen.


Marx hat die Dialektik nicht einfach verworfen, richtig. Und? Was hat das mit den Frühschriften zu tun? Was du hier sagst, betrifft doch viel eher Marx' Verhältnis zu Hegel als das Verhältnis des späten Marx zu seinen eigenen Frühschriften. Oder willst du sagen, dass Marx die Ideen der ökonomisch-philosophischen Manuskripte dadurch dialektisch verwirklicht, dass er zuerst auf ihre Veröffentlichung verzichtet, dann ihre philosophische Grundlage in Grund und Boden kritisiert, und sie dann als Bezug komplett aufgibt? Klar, so könnte man natürlich argumentieren... Cool


Zum Gefetteten:

Marx hat die Dialektik nicht verworfen, sondern "das Rationelle an der Methode, die Hegel entdeckt, aber zugleich mystifiziert hat" - s.o.! - "vom Kopf auf die Füße gestellt" und für die Analyse des Kapitalverhältnisses angewandt.

Was das mit den Frühschriften zu tun hat? Dort hat er z.B. eine Kritik an Hegels Rechtsphilosophie betrieben, was man mit dem "vom Kopf auf die Füße stellen" umschreiben kann. Das aber war doch für Marx erst die Voraussetzung für die Anwendung der wertvollen Teile der Hegel'schen Philosophie auf die Kapitalanalyse.

Weder von einer "Distanzierung" zu Hegel noch von einem "in Grund und Boden"-Kritisieren seiner ins materialistisch und wissenschaftliche gewendeten Methode kann ernsthaft die Rede sein.

Anders als etwa bei max Stirner oder Malthus. Diese Figuren hat Marx mit Recht als Reaktionäre durch und durch charakterisiert und richtig erkannt, dass an deren Theorien schon von Grund auf nichts Richtiges dran ist. Überhaupt kein Vergleich zu seiner Art der Kritik an Hegel und Feuerbach.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Aber nicht nur von Hegel, sondern auch von Feuerbach hat die marxistische Theorie ihren revolutionären Ansatz gewonnen.


Ist das der Grund, warum Marx in der Deutschen Ideologie Feuerbachs Philosophie als nichtrevolutionär, seinen Humanismus als den Humanismus des deutschen Bürgers kritisiert? Marx sagt's ganz klar: Seinen revolutionären Ansatz gewinnt er nicht aus der Beschäftigung mit deutschen Philosophen, sondern primär aus der Beschäftigung mit und dem Kontakt zu den damals im Entstehen befindlichen sozialistischen und kommunistischen Revolutionsbewegungen. Oder anders gesagt: Den revolutionären Ansatz gewinnt Marx' Theorie durch die entsprechende Praxis.


Wobei seine Kritik an der Praxis die war, dass die Praxis eine theorielose Praxis war. Marx war in seiner politischen Tätigkeit stets ein solidarischer Kritiker der sozialistischen Bewegungen und Parteien. Die Verbindung, die Dialektik von Theorie und Praxis und deren gegenseitige Höherentwicklung war ihm ein Anliegen.

Richtig ist natürlich, dass Klassenkampf nicht in der Lösung theoretischer Widersprüche besteht. Es kommt also darauf an, die Welt praktisch zu verändern, nicht nur philosophisch zu interpretieren.

Doch die korrekte Analyse der realen Widersprüche und nicht bloß der Widersprüche des Denkens erfordert dennoch eine gründliche Theorie, welche etwa den Schleier der bürgerlichen Ideologien durchlöchert und die gesellschaftlichen Verhältnisse offen darstellt.

-------------

Es war ja übrigens so, dass etwa in den MEGA-Bänden die Frühschriften von Marx lange Zeit gar nicht enthalten waren. Für die Sowjetunion hat sich Stalin gegen ihre Herausgabe ausgesprochen. Und so dachte man auch unter *Experten* lange Zeit, die Frühschriften gehörten eigentlich gar nicht zum Marxismus; es reiche, sich die *reiferen* Werk anzusehen und *den Sozialismus zu verwirklichen*.

Das reicht meiner Ansicht nach nicht, sondern es verkürzt das Verstädnis auch und gerade von Marx & Engels *reiferen* Werken ...-

edit: "das Elend der Philosophie" richtete sich gegen Proudhon und seine Schrift "Die Philosophie des Elends", nicht gegen die Philosophie als solche.
_________________
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Tarvoc
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Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44649

Beitrag(#2054797) Verfasst am: 07.05.2016, 22:52    Titel: Antworten mit Zitat

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Nun sind wir von der vermeintlichen Ablehnung Hegels und der gesamten Philosophie auch noch zur Kritik Marx' an Feuerbach gekommen.

Wie bitte? Ich habe nie behauptet, Marx hätte Hegel abgelehnt. Was ich gesagt hatte, war, dass Marx sein eigenes Entfremdungskonzept aus den ök.-phil. Manuskripten aufgegeben hat.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Das war nicht meine Absicht; ich hatte Feuerbachs Passage nur zitiert, um zu unterstreichen, dass Marx auch vom Vormärz-Revolutionär Feuerbach sehr wichtige Impulse aufgenommen hat, insbesondere Feuerbachs Religionskritik.

Nun, Marx war mehr oder weniger von Anfang an Religionskritiker, und dafür gibt es sogar biographische Gründe, die ein ganzes Stück weiter zurück reichen als seine Bekanntschaft mit Feuerbach, und u.A. mit seiner Jugend und seinem Verhältnis zu seinem Vater zu tun haben, aber auch mit den politischen Verhältnissen, unter denen er aufwuchs. Es stimmt, dass Marx zunächst Feuerbachs Religionskritik aufnimmt. Es ist aber nicht so, dass er sie lediglich erweitert. Die Deutsche Ideologie eröffnet der Religionskritik der damaligen Zeit vielmehr einen neuen Blickwinkel, aus dem auch Feuerbachs Humanismus noch als im Grunde genommen religiöses Phänomen erscheint.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Doch meine Aussage war eine andere. Ich habe dem Begriff "Distanzierung" widersprochen.

In gewisser Weise passt der Begriff auch nicht, aber anders als du meinst. Distanzierung ist eine defensive Haltung. Marx' Angriff auf den Humanismus der Junghegelianer (Feuerbach inklusive) in der Deutschen Ideologie war hingegen außerordentlich offensiv und polemisch. Dass Marx mit Bauer und Stirner am schärfsten ins Gericht geht, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier auch eine Abkehr vom Feuerbachschen Humanismus stattfindet.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Marx hat sich nicht von Hegels wertvollem Kern "distanziert".

Das war auch nicht die Behauptung. Meine Behauptung war, Marx habe sich vom Humanismus Feuerbachscher Provenienz abgewendet. Natürlich kann man die Frage stellen, was Marx von Feuerbach mitnimmt. Aber der Marx nach der Deutschen Ideologie ist kein Feuerbachianer mehr. Seine ganze Herangehensweise an gesellschaftliche und ökonomische Themen ist nicht mehr feuerbachianisch - weshalb er eben auch den Entfremdungsbegriff der ök.-phil. Manuskripte nicht mehr systematisch aufnehmen kann. Dass er die selben Produktionsverhältnisse auch später wieder kritisch thematisiert, stimmt natürlich. Nur funktioniert die Kritik nicht mehr so wie in den ök.-phil. Manuskripten.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Einen wissenschaftlichen Anspruch hatte dennoch die dort entwickelten Begriffe schon. Sie finden sich nämlich in der späteren Werken im wesentlichen wieder - ergänzt nun aber durch neue wissenschaftliche - darunter übrigens auch empiriche - Forschungen.

Im Kontext dieser Diskussion ist die Frage entscheidend, was sich alles nicht wiederfindet. Wo es im Spätwerk eine systematische Entwicklung des Entfremdungsbegriffs gibt, wüsste ich nicht.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Also: Es ist nicht nur empfehlenswert, die Frühschriften zu kennen, sondern es ist unerlässlich, um überhaupt die Spätschriften zu verstehen.

Willst du damit ernsthaft behaupten, Marx und Engels hätten wissentlich Schriften veröffentlicht, die für sich alleine genommen völlig unverständlich sind, und gleichzeitig genau die Schriften zurückgehalten, die als einzige zu einem Verständnis der veröffentlichten Schriften führen könnten? Dir ist schon klar, dass du den beiden damit extreme intellektuelle Unredlichkeit unterstellst?

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Was das mit den Frühschriften zu tun hat? Dort hat er z.B. eine Kritik an Hegels Rechtsphilosophie betrieben, was man mit dem "vom Kopf auf die Füße stellen" umschreiben kann.

Vieles in den Frühschriften steht vor allem selbst noch auf dem Kopf. Überhaupt ist diese Metapher weniger aussagekräftig als sie aussieht.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Wobei seine Kritik an der Praxis die war, dass die Praxis eine theorielose Praxis war.

Nicht allgemein. Erstens gab es bereits sozialistische Theorie aus dem Umkreis der entsprechenden politischen und sozialen Bewegungen, die von Marx auch durchaus kritisch behandelt wurde, und zweitens hielt Marx das Proletariat noch bis zum Kommunistischen Manifest für weitestgehend illusionslos - ein Irrtum, von dem er sich erst später befreit hat. Marx hat Theorielosigkeit in den diversen revolutionären Bewegungen nur da kritisiert, wo er sie tatsächlich vorgefunden hat.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Es war ja übrigens so, dass etwa in den MEGA-Bänden die Frühschriften von Marx lange Zeit gar nicht enthalten waren. Für die Sowjetunion hat sich Stalin gegen ihre Herausgabe ausgesprochen. Und so dachte man auch unter *Experten* lange Zeit, die Frühschriften gehörten eigentlich gar nicht zum Marxismus; es reiche, sich die *reiferen* Werk anzusehen und *den Sozialismus zu verwirklichen*.

Ich spreche mich nicht dafür aus, die ök.-phil. Manuskripte nicht zu lesen oder nicht zu veröffentlichen. Man muss sie nur richtig einordnen. Die Manuskripte beinhalten eine Reihe von Irrtümern, die Marx später als solche erkannt hat - weshalb er die entsprechenden Konzepte nicht oder nicht systematisch wieder aufnimmt. Dass darüber hinaus auch Richtiges in den Manuskripten steht, ist sehr gut möglich. Dass die Kenntnis der Manuskripte Einsicht in die Entwicklung des Marxschen Denkens in dieser frühen Phase geben kann, sollte auch klar sein.

Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Das reicht meiner Ansicht nach nicht, sondern es verkürzt das Verstädnis auch und gerade von Marx & Engels *reiferen* Werken ...-

Vielleicht wäre es hilfreich, wenn du konkretisieren könntest, in welcher Weise es das Verständnis des Spätwerks verkürzt.

Kennst du übrigens Sahra Wagenknechts Arbeit über die ök.-phil. Manuskripte? Der Titel ist Vom Kopf auf die Füße? Zur Hegelrezeption des jungen Marx, oder: Das Problem einer dialektisch-materialistischen Wissenschaftsmethode. M.E. eine ganz ausgezeichnete Arbeit und definitiv mehr als einen Blick wert.
_________________
"Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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smallie
resistent!?



Anmeldungsdatum: 02.04.2010
Beiträge: 3726

Beitrag(#2054803) Verfasst am: 07.05.2016, 23:20    Titel: Antworten mit Zitat

schtonk hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:

[...]

Der positive, dh. wissenschaftliche Charakter aller Forschungsarbeit war für Comte eben diese wechselseitige Abhängigkeit von Theorie und Empirie.

Ja, das war schon sehr fortschrittlich im ersten Drittel des 19. Jhdts.

Wirklich?

Aristoteles, Alhazen, Grosseteste, Roger Bacon, Francis Bacon haben das Thema auch schon beharkt. Was hat Comte dem Neues hinzugefügt?

Vergleiche Francis Bacon:

smallie hat folgendes geschrieben:



Zitat:
Francis Bacon - Novum Organum (1620)

To move from the sensible to the real requires the correction of the senses, the tables of natural history, the abstraction of propositions and the induction of notions. In other words, the full carrying out of the inductive method is needed.

http://plato.stanford.edu/entries/francis-bacon/


Hume hat die induktive Methode später angegriffen und sinngemäß gesagt, daß Steine heute und gestern und vorgestern zu Boden gefallen sind, sei kein Beweis, daß sie auch morgen noch zu Boden fallen. Da hat er recht, und damit Poppers Argument vorweggenommen.

Ich müßte mich aber mit dem Klammerbeutel pudern, um auf ein Beispiel zu kommen, in dem Steine nach oben fallen.


schtonk hat folgendes geschrieben:
Auf ihn geht auch die "Soziologie" zurück.

Der Begriff geht auf Comte zurück, das Fachgebiet selbst ist älter. Das gab es schon bei Ibn Khaldun.

Ob Platons zoon politikon auch schon Soziologie ist?



schtonk hat folgendes geschrieben:
Bis dahin dachte man über gesellschaftliche Zusammenhänge rein mechanistisch (soziale Physik).

Das verstehe ich nicht.

Jede Theorie stellt einen mechanistischen Zusammenhang zwischen verschiedenen Größen fest. nee



schtonk hat folgendes geschrieben:
Das Positive/der Positivismus wurde ja über 100 Jahre später zuungunsten der reinen Logik der Empirie kritisch hinterfragt,
von Popper und Adorno, die sich teils einig, in grundlegenden Dingen aber uneinig waren. Hatte dieser Positivismusstreit auch Auswirkungen auf die Philosophie?

Das ist ein sehr gute Frage. Bin schon gespannt, ob und welche Antworten dazu kommen. Pfeifen


EDIT: Zitat korrigiert. Da ist mir ein aktueller Kommentar hineingerutscht.
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Zuletzt bearbeitet von smallie am 08.05.2016, 15:19, insgesamt einmal bearbeitet
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Tarvoc
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Beiträge: 44649

Beitrag(#2054811) Verfasst am: 08.05.2016, 00:35    Titel: Antworten mit Zitat

smallie hat folgendes geschrieben:
Ob Platons zoon politikon auch schon Soziologie ist?

Nein, das fällt unter philosophische Anthropologie und Staatsphilosophie.
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- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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Skeptiker
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Wohnort: 129 Goosebumpsville

Beitrag(#2054852) Verfasst am: 08.05.2016, 14:03    Titel: Antworten mit Zitat

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Nun sind wir von der vermeintlichen Ablehnung Hegels und der gesamten Philosophie auch noch zur Kritik Marx' an Feuerbach gekommen.

Wie bitte? Ich habe nie behauptet, Marx hätte Hegel abgelehnt. Was ich gesagt hatte, war, dass Marx sein eigenes Entfremdungskonzept aus den ök.-phil. Manuskripten aufgegeben hat.


Hat er das? Marx hat den Entfremdungsbegriff Hegels schon früh kritisiert und dargelegt, inwiefern dieser Hegel'sche Begriff bloß die Entfremdung vom menschlichen Selbstbewusstsein des Menschen als quasi *geistiges Wesen* betrifft, während Marx bereits früh klartellt, dass die materielle Lebens- und Produktionsweise des Menschen als Teil der Menschheit entscheidend ist. Dabei *entschuldigt* sich Marx quasi dafür, dass er bei der Formulierung dieses seine Gedankens anfangs noch eine philsophische Phraseologie benutzt, was aber nichts daran ändert, dass der Inhalt bereits von Anfang an in eine materialistische Richtung verweist, was auch der eigentliche Ansporn der Kritik Hegels ist. Diese Kritik war aber irgendwann abgeschlossen und damit auch die philsophische Phraseologie.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Doch meine Aussage war eine andere. Ich habe dem Begriff "Distanzierung" widersprochen.


In gewisser Weise passt der Begriff auch nicht, aber anders als du meinst. Distanzierung ist eine defensive Haltung. Marx' Angriff auf den Humanismus der Junghegelianer (Feuerbach inklusive) in der Deutschen Ideologie war hingegen außerordentlich offensiv und polemisch. Dass Marx mit Bauer und Stirner am schärfsten ins Gericht geht, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier auch eine Abkehr vom Feuerbachschen Humanismus stattfindet.


Die grundsätzliche Wertschäftzung und Dankbarkeit für Feuerbach blieb. Marx hatte ihm einiges zu verdanken, im Gegensatz zu Bauer und Stirner, die einfach nur völlig daneben waren, in einfach allem.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Marx hat sich nicht von Hegels wertvollem Kern "distanziert".


Das war auch nicht die Behauptung. Meine Behauptung war, Marx habe sich vom Humanismus Feuerbachscher Provenienz abgewendet. Natürlich kann man die Frage stellen, was Marx von Feuerbach mitnimmt. Aber der Marx nach der Deutschen Ideologie ist kein Feuerbachianer mehr. Seine ganze Herangehensweise an gesellschaftliche und ökonomische Themen ist nicht mehr feuerbachianisch - weshalb er eben auch den Entfremdungsbegriff der ök.-phil. Manuskripte nicht mehr systematisch aufnehmen kann. Dass er die selben Produktionsverhältnisse auch später wieder kritisch thematisiert, stimmt natürlich. Nur funktioniert die Kritik nicht mehr so wie in den ök.-phil. Manuskripten.


Das kann man so stehen lassen.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Einen wissenschaftlichen Anspruch hatte dennoch die dort entwickelten Begriffe schon. Sie finden sich nämlich in der späteren Werken im wesentlichen wieder - ergänzt nun aber durch neue wissenschaftliche - darunter übrigens auch empiriche - Forschungen.


Im Kontext dieser Diskussion ist die Frage entscheidend, was sich alles nicht wiederfindet. Wo es im Spätwerk eine systematische Entwicklung des Entfremdungsbegriffs gibt, wüsste ich nicht.


Marx hat in den Grundrissen bereits den Entfremdungsbegriff mit der bürgerlichen Arbeitsteilung und Lohnarbeit verknüpft, also mit dem Begriff der Arbeit unter den Bedingungen des Kapitals. Diese Konkretisierung war aber schon in ganh allgemeiner Form von Anfang an vorbereitet. Nun kam die wissenschaftliche Bestimmung der menschlichen Entfremdung, die er allerdings tatsächlich mehr implizit beschreibt, auch wenn hin und wieder direkt Aussagen dazu im Kapital aufblitzen:

Zitat:
Die Teilung der Arbeit vereinseitigt diese Arbeitskraft zum ganz partikularisierten Geschick, ein Teilwerkzeug zu führen. (...) Übrigens ist die "zeitliche" Wirkung der Maschinerie permanent, indem sie beständig neue Produktionsgebiete ergreift. Die verselbständigte und entfremdete Gestalt, welche die kapitalistische Produktionsweise überhaupt den Arbeitsbedingungen und dem Arbeitsprodukt gegenüber dem Arbeiter gibt, entwickelt sich also mit der Maschinerie zum vollständigen Gegensatz. Daher mit ihr zum erstenmal die brutale Revolte des Arbeiters gegen das Arbeitsmittel.

"Maschinerie und große Industrie", S. 455

Scheidung zwischen dem Arbeitsprodukt und der Arbeit selbst, zwischen den objektiven Arbeitsbedingungen und der subjektiven Arbeitskraft, war also die tatsächlich gegebne Grundlage, der Ausgangspunkt des kapitalistischen Produktionsprozesses. (...) Einerseits verwandelt der Produktionsprozeß fortwährend den stofflichen Reichtum in Kapital, in Verwertungs- und Genußmittel für den Kapitalisten. Andrerseits kommt der Arbeiter beständig aus dem Prozeß heraus, wie er in ihn eintrat - persönliche Quelle des Reichtums, aber entblößt von allen Mitteln, diesen Reichtum für sich zu verwirklichen.

Da vor seinem Eintritt in den Prozeß seine eigne Arbeit ihm selbst entfremdet, dem Kapitalisten angeeignet und dem Kapital einverleibt ist, vergegenständlicht sie sich während des Prozesses beständig in fremdem Produkt. Da der Produktionsprozeß zugleich der Konsumtionsprozeß der Arbeitskraft durch den Kapitalisten, verwandelt sich das Produkt des Arbeiters nicht nur fortwährend in Ware, sondern in Kapital, Wert, der die wertschöpfende Kraft aussaugt, Lebensmittel, die Personen kaufen, Produktionsmittel, die den Produzenten anwenden. Der Arbeiter selbst produziert daher beständig den objektiven Reichtum als Kapital, ihm fremde, ihn beherrschende und ausbeutende Macht, und der Kapitalist produziert ebenso beständig die Arbeitskraft als subjektive, von ihren eignen Vergegenständlichungs- und Verwirklichungsmitteln getrennte, abstrakte, in der bloßen Leiblichkeit des Arbeiters existierende Reichtumsquelle, kurz den Arbeiter als Lohnarbeiter.


"Der Akkumulationsprozeß des Kapitals", S. 596

Das stets wachsende Gewicht der im lebendigen Arbeitsprozeß unter der Form von Produktionsmitteln mitwirkenden vergangnen Arbeit wird also ihrer dem Arbeiter selbst, dessen vergangne und unbezahlte Arbeit sie ist, entfremdeten Gestalt zugeschrieben, ihrer Kapitalgestalt.

"Verwandlung von Mehrwert in Kapital", S. 635

Alle Zitate aus: MEW 23, "Das Kapital", Bd. I


Die Kategorien "Arbeitsteilung" - "Vergesellschaftsform der Arbeit" - "Abstraktion vom Arbeitszweck", aber auch "Verdinglichung" oder "Fetischisierung" werden hier im *Spätwerk* zu postphilosophischen Konkretisierungen des Entfremdungsthemas, welches deshalb kein bloßes *Relikt* früherer Zeiten ist, weil es Bezug zu Hauptwiderspruch des Kapitalverhältnisses hat, nämlich dem Widerspruch Tauschwert-Gebrauchwert.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Also: Es ist nicht nur empfehlenswert, die Frühschriften zu kennen, sondern es ist unerlässlich, um überhaupt die Spätschriften zu verstehen.

Willst du damit ernsthaft behaupten, Marx und Engels hätten wissentlich Schriften veröffentlicht, die für sich alleine genommen völlig unverständlich sind, und gleichzeitig genau die Schriften zurückgehalten, die als einzige zu einem Verständnis der veröffentlichten Schriften führen könnten? Dir ist schon klar, dass du den beiden damit extreme intellektuelle Unredlichkeit unterstellst?


Nein, diese Unterstellung einer Unterstellung muss ich zurückweisen.

Aber wenn man versucht, ein Buch allein aus seinen Schlusskapiteln zu verstehen, wird man oft nicht weit kommen. Das Marx'sche Werk ist nicht nur in seiner Entwicklung, sondern auch in seinen Kerninhalten meiner Ansicht nach als *Gesamtkunstwerk* zu betrachten - mit Fehlern, zweifellos, mit Korrekturen immer wieder, aber diese sind eben nie einfache Negationen (- "Distanzierungen", "in Grund und Boden kritisieren" -), das sollte man beachten.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Wobei seine Kritik an der Praxis die war, dass die Praxis eine theorielose Praxis war.


Nicht allgemein. Erstens gab es bereits sozialistische Theorie aus dem Umkreis der entsprechenden politischen und sozialen Bewegungen, die von Marx auch durchaus kritisch behandelt wurde, und zweitens hielt Marx das Proletariat noch bis zum Kommunistischen Manifest für weitestgehend illusionslos - ein Irrtum, von dem er sich erst später befreit hat. Marx hat Theorielosigkeit in den diversen revolutionären Bewegungen nur da kritisiert, wo er sie tatsächlich vorgefunden hat.


Er hat keine falschen Theorien kritisiert? Man kann wohl schlecht ene Theorie kritisieren, die noch nicht da ist. Wie gesagt, die solidarische Kritik an dem sozialen Bewegungen war die Methode seines politischen Eingreifens. Dabei kam es auch zu so lustigen Auseinandersetzungen wie mit den Anarchisten um Bakunin. Cool

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Es war ja übrigens so, dass etwa in den MEGA-Bänden die Frühschriften von Marx lange Zeit gar nicht enthalten waren. Für die Sowjetunion hat sich Stalin gegen ihre Herausgabe ausgesprochen. Und so dachte man auch unter *Experten* lange Zeit, die Frühschriften gehörten eigentlich gar nicht zum Marxismus; es reiche, sich die *reiferen* Werk anzusehen und *den Sozialismus zu verwirklichen*.


Ich spreche mich nicht dafür aus, die ök.-phil. Manuskripte nicht zu lesen oder nicht zu veröffentlichen. Man muss sie nur richtig einordnen. Die Manuskripte beinhalten eine Reihe von Irrtümern, die Marx später als solche erkannt hat - weshalb er die entsprechenden Konzepte nicht oder nicht systematisch wieder aufnimmt. Dass darüber hinaus auch Richtiges in den Manuskripten steht, ist sehr gut möglich. Dass die Kenntnis der Manuskripte Einsicht in die Entwicklung des Marxschen Denkens in dieser frühen Phase geben kann, sollte auch klar sein.


Die Manuskripte sind so etwas wie ein faszinierender Einblick in die Gedankenwerkstatt *der Beiden* und ist nur zu empfehlen. Man sollte sie nicht unterschätzen. Fast alle Keime späterer Gedanken sind darin schon enthalten oder deuten sich an.

In der von Barbara Zehnpfennig herausgegebenen Edition der "Ökonomisch-Philosophischen Manuskripte" schreibt sie im Einleitungstext:

Zitat:
Die frühen, erstmals 1932 aus dem Nachlaß publizierten "Ökonomisch-philosophischen Manuskripte" (auch: Pariser Manuskripte) bieten einen Schlüsseltext für das philosophische Verständnis des Marxschen Gesamtwerks, der Antrieb und Zielpunkt seines Denkens offenlegt, also das benennt, was in den ökonomischen Analysen der späteren Zeit vorausgesetzt, aber nicht mehr ausgesprochen wird.

https://meiner.de/oekonomisch-philosophische-manuskripte.html


Man kann m.E. von einem einheitlichen Forschungsprozeß der Untersuchung philosophischer und ökonomischer Fragestellungen ausgehen.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Skeptiker hat folgendes geschrieben:
Das reicht meiner Ansicht nach nicht, sondern es verkürzt das Verstädnis auch und gerade von Marx & Engels *reiferen* Werken ...-

Vielleicht wäre es hilfreich, wenn du konkretisieren könntest, in welcher Weise es das Verständnis des Spätwerks verkürzt.


Das kann man mit einem Film vergleichen, in dem viele versteckte Anspielungen auf frühere Episoden oder auch reale Ereignisse vorkommen und den man nur dann wirklich verstehen kann, wenn man jene Episoden oder Ereignisse bereits kennt.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Kennst du übrigens Sahra Wagenknechts Arbeit über die ök.-phil. Manuskripte? Der Titel ist Vom Kopf auf die Füße? Zur Hegelrezeption des jungen Marx, oder: Das Problem einer dialektisch-materialistischen Wissenschaftsmethode. M.E. eine ganz ausgezeichnete Arbeit und definitiv mehr als einen Blick wert.


Du meinst, Sahra Wagenknecht hat nach ihre letzten, etwas schwächeren Verlautbarungen auch mal eine vernünftige Arbeit hinbekommen? Und das soll ich glauben? Sehr glücklich

Nee, Spaß bei Seite. Ich denke, es ist ein wichtiges Buch zum Thema.

Aber ich habe da auch eine 60-seitige Arbeit, die ich dir empfehlen kann:

Ingo Elbe: Entfremdete und abstrakte Arbeit. Marx' Ökonomisch-philosophische Manuskripte im Vergleich zu seiner späteren Kritik der politischen Ökonomie

Sowohl Marx als auch Hegel sind m.E. philosophisch-theoretische Brocken, an denen man kaum vorbei kommt, wenn man politisch-ökonomische Ereignisse analysieren möchte.

Dagegen sieht jedenfalls der krude Positivismus (Comte) oder Empirismus (Mach, Avenarius) etwas blaß aus, würde ich sagen, aber auch die postmodernen Sprachshows, die offenbar nur für *Eingeweihte* verfasst werden und zum Verständnis der Welt wenig beitragen können ...-
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Myron
Pansomatist



Anmeldungsdatum: 01.07.2007
Beiträge: 3625

Beitrag(#2054870) Verfasst am: 08.05.2016, 17:31    Titel: Antworten mit Zitat

Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Ich finde tatsächlich, dass Philosophie nur als Sprachanalyse auf eine Weise betrieben werden kann, die mit den Wissenschaften kompatibel ist, denn anders können die "philosophischen Gegenstände" (etwa Begriffe wie Gegenstand, Möglichkeit/Notwendigkeit, Wahrheit, Kausalität usw.) m.E. nicht so gefasst werden, dass sie intersubjektiv zugänglich sind. Aus diesem Grund halte ich auch ältere philosophische Texte für tendenziell obskurer. Da man hier noch versucht hat, diese Gegenstände etwa als Dinge an sich oder als mentale Gegenstände durch Reflexion auf das eigene Bewusstsein usw. zu modellieren.


Dass die Philosophie und insbesondere die Metaphysik wissenschaftskompatibel sein soll, d.h. dass sie mit dem wissenschaftlichen Wissen vereinbar sein soll, steht außer Frage.

Die logischen Positivisten/Empiristen reduzierten die Philosophie auf Wissenschaftstheorie (-logik & -semantik). In meinen Augen ist die analytische Untersuchung und Klärung von Begriffen und Aussagen jedoch nur ein Mittel zum Zweck. Linguistik und Logik sind Hilfsdisziplinen der Metaphysik, aber kein Ersatz für sie. Denn die Metaphysik will nicht nur über das Sprechen über Gott und die Welt sprechen, sondern über Gott und die Welt.

Waldwuffel hat folgendes geschrieben:
Natürlich können die entsprechenden Probleme, Lösungsversuche und Argumente auch sehr gut sein und die Texte entsprechend lesenswert, durch diese problematischen Herangehensweisen sind sie aber insgesamt eher unklar bzw. der Zugang wird erschwert, weil man sie gewissermaßen erstmal "in die heutige Sprache übersetzen" muss, wenn man wirklich mit ihnen arbeiten will (sie also nicht aus rein historischen Gründen studiert).


Ja, je älter ein Text ist, desto unvertrauter ist die Sprache. Andererseits hat man bei älteren Texten die Gelegenheit, mal wieder richtig gutes Deutsch zu lesen (worin es noch nicht von Anglizismen wimmelt). Und mit deutschen Texten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sollte ein Muttersprachler eigentlich keine Schwierigkeiten haben.
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Myron
Pansomatist



Anmeldungsdatum: 01.07.2007
Beiträge: 3625

Beitrag(#2054872) Verfasst am: 08.05.2016, 17:36    Titel: Antworten mit Zitat

+++Die Marx-Hegel-Feuerbach-Diskussion ist hier fehl am Platze!+++
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schtonk
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Anmeldungsdatum: 17.12.2013
Beiträge: 12078

Beitrag(#2054878) Verfasst am: 08.05.2016, 18:10    Titel: Antworten mit Zitat

Myron hat folgendes geschrieben:
+++Die Marx-Hegel-Feuerbach-Diskussion ist hier fehl am Platze!+++

Wenn du eine Anregung hast, kannst du eine PN an die Moderation schicken.
Fettgedrucktes Besserwissertum muss nicht sein.
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Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#2054885) Verfasst am: 08.05.2016, 18:25    Titel: Antworten mit Zitat

Myron hat folgendes geschrieben:

Linguistik und Logik sind Hilfsdisziplinen der Metaphysik, aber kein Ersatz für sie. Denn die Metaphysik will nicht nur über das Sprechen über Gott und die Welt sprechen, sondern über Gott und die Welt.

Also so eine Art Religion.

Myron hat folgendes geschrieben:

Ja, je älter ein Text ist, desto unvertrauter ist die Sprache. Andererseits hat man bei älteren Texten die Gelegenheit, mal wieder richtig gutes Deutsch zu lesen (worin es noch nicht von Anglizismen wimmelt).

Ja, das Gefühl kann ich nachvollziehen. zwinkern

Myron hat folgendes geschrieben:

Und mit deutschen Texten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sollte ein Muttersprachler eigentlich keine Schwierigkeiten haben.

So, meinst du? Na, zumindest sollte man sich klar darüber sein, daß jemand der am Ende des 19. Jh. über Philosophie und Wissenschaften spricht, nicht die des 21. Jh. meinen kann.
_________________
"Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

Friedrich Nietzsche
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Waldwuffel
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Anmeldungsdatum: 04.05.2016
Beiträge: 79

Beitrag(#2054889) Verfasst am: 08.05.2016, 18:32    Titel: Antworten mit Zitat

Das "in die heutige Sprache übersetzen" habe ich ja bewusst in Anführungszeichen gesetzt. Ich meinte damit natürlich nicht, dass man das alte Deutsch erst übersetzen müsse, sondern dass man den alten, problematischen philosophischen (etwa bewusstseinsphilosophischen) Ansatz gewissermaßen in die heutige philosophische Sprache "übersetzen" muss, wenn man mit einem solchen Text wirklich philosophisch arbeiten will (ihn also nicht einfach als historisches Dokument studiert).

Und doch, ich finde, dass die Philosophie, wenn sie sinnvoll, v.a. wissenschaftskompatibel, sein soll, eher damit beschäftigt ist, wie "über Gott und die Welt gesprochen" wird. Bei Fragen wie: "was ist ein Gegenstand?", kann man erstmal antworten, dass "Gegenstand" ein Wort ist. Bzw. man kann diese Frage umformulieren in: "was bedeutet das Wort 'Gegenstand'?". Damit bleibt meiner Ansicht nach auch alles Wesentliche einer solchen philosophischen Frage erhalten, während problematische Annahmen wie etwa die, dass es so etwas wie "den Gegenstand" irgendwie als irgendein abstraktes Etwas irgendwo in der Welt geben könnte, von vornherein ausgeschlossen werden.
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