Freigeisterhaus Foren-Übersicht
 FAQFAQ   SuchenSuchen   MitgliederlisteMitgliederliste   NutzungsbedingungenNutzungsbedingungen   BenutzergruppenBenutzergruppen   LinksLinks   RegistrierenRegistrieren 
 ProfilProfil   Einloggen, um private Nachrichten zu lesenEinloggen, um private Nachrichten zu lesen   LoginLogin 

Bewusstsein und Evolution
Gehe zu Seite Zurück  1, 2, 3 ... 22, 23, 24, 25, 26, 27  Weiter
 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen   Drucker freundliche Ansicht    Freigeisterhaus Foren-Übersicht -> Wissenschaft und Technik
Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  
Autor Nachricht
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22767
Wohnort: Germering

Beitrag(#2160771) Verfasst am: 25.12.2018, 13:02    Titel: Antworten mit Zitat

Babyface hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Du nimmst nicht den Baum wahr, sondern dein Gehirn assoziiert empfangene Form-, Farb- usw. -Signale mit einem gespeicherten Muster "Baum".
Ich verstehe das "sondern" nicht bzw. erkenne keinen Widerspruch. Könnte man nicht sagen, dass ich den Baum wahrnehme, indem (u.a.) mein Gehirn diese Dinge tut?

Naja, abkürzend/pragmatisch tut man ja genau das. Ist auch OK, solange wir nicht über das tiefere Wesen von Realität diskutieren oder uns in Bereichen befinden, wo diese Gleichsetzung nicht mehr trivial ist (z.B. Quantenphysik). Aber selbst in alltäglichen Situationen kann man sehen, daß das naive Realitätskonzept schwierig ist: Zum Beispiel wenn in der bereits mehrschichtigen Signalkette zwischen mir und dem Baum weitere Ebenen hinzukommen: Ein Spiegel etwa. Oder eine Livekamera. Oder eine Fotografie. Oder eine Zeichnung, eine Erzählung undosweiter. An welcher Stelle sollten wir sagen: "Hier nehhen wir nicht mehr den realen Baum wahr"?

Zumsel hat folgendes geschrieben:
... Die Realität wäre demnach der vorgestellte kohärente Gesamtzusammenhang aller möglichen Erkenntnisse.

Hast Du damit nicht wieder ein ähnliches Problem wie Babyface mit der Intersubjektivität? Was sind "mögliche Erkenntnisse", wenn es etwa keine erkenntnisfähigen Wesen gibt? Dennoch denke ich in eine ähnliche Richtung. Es gab ja hier auch schon mehrere Threads zu diesem Thema, ich würde eine prägnante und etwas provokante Formulierung wählen, die meines Erachtens auch in der Quantenphysik noch hält: Etwas ist wirklich, wenn es nicht einfacher simuliert werden kann.
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Babyface
Altmeister



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 11518

Beitrag(#2160772) Verfasst am: 25.12.2018, 13:10    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Der letzte Mensch auf Erden, hätte der kein Konzept mehr von Realität, weil ihm die Möglichkeit intersubjektiver Bestätigung fehlt?

Er hätte immer noch eines weil er es gelernt hat. Ich kann mir aber nicht vorstellen wie ein Subjekt ohne andere Subjekte ein Realitätskonzept erwerben könnte. Er könnte zwar lernen zwischen einer optischen Halluzination und einem für uns realen Feuer zu unterscheiden. Ein Realitätskonzept hat er damit aber noch nicht. Er hätte dann lediglich gelernt, dass es Feuer gibt an denen er sich die Finger verbrennen kann und solche wo das nicht passiert.
_________________
posted by Babyface
.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#2160775) Verfasst am: 25.12.2018, 13:45    Titel: Antworten mit Zitat

Babyface hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Der letzte Mensch auf Erden, hätte der kein Konzept mehr von Realität, weil ihm die Möglichkeit intersubjektiver Bestätigung fehlt?

Er hätte immer noch eines weil er es gelernt hat. Ich kann mir aber nicht vorstellen wie ein Subjekt ohne andere Subjekte ein Realitätskonzept erwerben könnte. Er könnte zwar lernen zwischen einer optischen Halluzination und einem für uns realen Feuer zu unterscheiden. Ein Realitätskonzept hat er damit aber noch nicht. Er hätte dann lediglich gelernt, dass es Feuer gibt an denen er sich die Finger verbrennen kann und solche wo das nicht passiert.

Ein einzelner Mensch ist eine (philosophische) Fiktion. Selbst vereinzeln können wir uns nur im Plural.
_________________
"Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

Friedrich Nietzsche
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Tarvoc
would prefer not to.



Anmeldungsdatum: 01.03.2004
Beiträge: 44143

Beitrag(#2160781) Verfasst am: 25.12.2018, 14:33    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Der letzte Mensch auf Erden, hätte der kein Konzept mehr von Realität, weil ihm die Möglichkeit intersubjektiver Bestätigung fehlt?

Am Anfang seiner Einsamkeit hätte er wohl noch eins. Dieses würde allerdings mit der Zeit zunehmend verfallen. Es ist bekannt, dass schon eine Woche in strikter Isolationshaft vergleichbare Folgen hat.
_________________
Geh mir aus der Sonne, Alexander!
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Babyface
Altmeister



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 11518

Beitrag(#2160782) Verfasst am: 25.12.2018, 14:38    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Du nimmst nicht den Baum wahr, sondern dein Gehirn assoziiert empfangene Form-, Farb- usw. -Signale mit einem gespeicherten Muster "Baum".
Ich verstehe das "sondern" nicht bzw. erkenne keinen Widerspruch. Könnte man nicht sagen, dass ich den Baum wahrnehme, indem (u.a.) mein Gehirn diese Dinge tut?

Naja, abkürzend/pragmatisch tut man ja genau das. Ist auch OK, solange wir nicht über das tiefere Wesen von Realität diskutieren oder uns in Bereichen befinden, wo diese Gleichsetzung nicht mehr trivial ist (z.B. Quantenphysik). Aber selbst in alltäglichen Situationen kann man sehen, daß das naive Realitätskonzept schwierig ist: Zum Beispiel wenn in der bereits mehrschichtigen Signalkette zwischen mir und dem Baum weitere Ebenen hinzukommen: Ein Spiegel etwa. Oder eine Livekamera. Oder eine Fotografie. Oder eine Zeichnung, eine Erzählung undosweiter. An welcher Stelle sollten wir sagen: "Hier nehhen wir nicht mehr den realen Baum wahr"?

Das hängt wohl davon ab wie "transparent" die Ebenen sind welche die Signale durchlaufen. Ein menschliches Gehirn ist sicher weit weniger transparent als ein Spiegel. Dennoch: je länger ich darüber nachdenke, desto weniger abstrus finde ich die Idee, dass wir auch durch eine Erzählung "hindurch" den realen Baum wahrnehmen können auf den sich das Subjekt bezieht.
_________________
posted by Babyface
.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22767
Wohnort: Germering

Beitrag(#2160783) Verfasst am: 25.12.2018, 15:26    Titel: Antworten mit Zitat

Babyface hat folgendes geschrieben:
je länger ich darüber nachdenke, desto weniger abstrus finde ich die Idee, dass wir auch durch eine Erzählung "hindurch" den realen Baum wahrnehmen können auf den sich das Subjekt bezieht.

Ja, so müßte an es wohl konsequenterweise als Realist ausdrücken.

An einer solchen "Wahrnehmung" wäre allerdings fast nichts mehr, das mit der "Realität" des Baumes zusammenhängt.

Jetzt treibe ich es aber noch etwas weiter: Jemand erzählt etwas über einen Baum, der erst in der Zukunft "real" werden wird, beispielsweise den er gestern gesät hat. Er beschreibt dessen zukünftige Äste, Blätter und Früchte. Nimmt der Zuhörer durch diese Beschreibung "den realen Baum wahr"?
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#2160788) Verfasst am: 25.12.2018, 18:50    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
je länger ich darüber nachdenke, desto weniger abstrus finde ich die Idee, dass wir auch durch eine Erzählung "hindurch" den realen Baum wahrnehmen können auf den sich das Subjekt bezieht.

Ja, so müßte an es wohl konsequenterweise als Realist ausdrücken.

An einer solchen "Wahrnehmung" wäre allerdings fast nichts mehr, das mit der "Realität" des Baumes zusammenhängt.

Jetzt treibe ich es aber noch etwas weiter: Jemand erzählt etwas über einen Baum, der erst in der Zukunft "real" werden wird, beispielsweise den er gestern gesät hat. Er beschreibt dessen zukünftige Äste, Blätter und Früchte. Nimmt der Zuhörer durch diese Beschreibung "den realen Baum wahr"?

Wie weit wollt ihr euch eigentlich noch versteigen? Natürlich gibt es die Realitiät, aber wir waren nich nie da, nicht einmal auf Besuch. zwinkern Wir orientieren uns in dieser Welt mit Bildern, Modellen, die wir in unserer Kindheit mit unserer Sprache lernen und miteinander abgleichen. Das ist kein bewußter Prozeß, sondern etwas, was uns in Fleisch und Blut übergegangen ist, wie es so schön heißt. Daniel Kahneman nennt das Schnelles Denken. Es ist soweit realistisch, wie es unserer Gesellschaft und den Menschen die sie bilden, das Überleben ermöglicht.

Es ist das Ergebnis generationenübergreifender Lern- und Erfahrungsprozesse, die jeder einzelnen von uns in seiner Kindheit im Schnelldurchlauf nachholt, wenn wir lernen, diese Welt zu „begreifen“. Wer einem Kleinkind dabei zugesehen hat, weiß was ich meine.

Ihr dagegen tut so, als wenn das bewußte Denkprozesse wäre, bei Kahneman heißen sie langsames Denken, in denen sich die Individuen voraussetzungslos und ganz allein für sich ein Bild von dieser Welt zu machen versuchen. Außerhalb von philosophischen Zirkeln glaubt das allerdings niemand. Insofern ist die Orientierung in dieser Welt ein kollektiver, kein individueller Prozeß.

Jeder Einzelne verwendet diese Orientierugsmittel gewissermaßen instinktiv. Entstanden sind sie im weitgehend unbewußten Austausch aller über Generationen hinweg. In jedem Einzelnen individualisieren sie sich in jeder Generation neu, und verändern sich in dem Maße, ob und wie die einzelnen damit neue Erfahrungen machen. Mit bewußtem, also langsamem Denken hat das allerdings kaum etwas zu tun.
_________________
"Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

Friedrich Nietzsche
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Zumsel
registrierter User



Anmeldungsdatum: 08.03.2005
Beiträge: 4667

Beitrag(#2160799) Verfasst am: 25.12.2018, 21:30    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
... Die Realität wäre demnach der vorgestellte kohärente Gesamtzusammenhang aller möglichen Erkenntnisse.

Hast Du damit nicht wieder ein ähnliches Problem wie Babyface mit der Intersubjektivität?


Ja, das ist halt der Selbstwiderspruch des Realitätskonzeptes, dass es einerseits auf etwas Übersubjektives nicht bloß verweist, sondern als übersubjektiv allein sinnvoll gedacht werden kann, andererseits der Bezug zur Realität aber immer subjektiv bleiben muss. Das zusätzliche Problem an der Idee, Realität an Intersubjektivität zu koppeln, ist aber, dass intersubjektive Übereinkünfte letztlich niemals anders als beliebig gedacht werden können. Und da scheint doch irgendwie etwas entscheidendes zu fehlen. Es kann für den Realitätsbegriff eben nicht egal sein, "worauf" sich Subjekte da intersubjektiv einigen, weil das den Begriff geradezu ad absurdum führt. Wenn es aber nicht egal ist, muss man auch Kriterien angeben können, die über bloße Intersubjektivität hinausweisen.

step hat folgendes geschrieben:
Was sind "mögliche Erkenntnisse", wenn es etwa keine erkenntnisfähigen Wesen gibt?


Na ja, sich die Erkenntnissubjekte nach den Prinzipien von Erkenntniszusammenhänge aus der Welt wegzudenken, stellt ja nun kein großes Problem dar.

step hat folgendes geschrieben:
Etwas ist wirklich, wenn es nicht einfacher simuliert werden kann.


Ja, da ist die Widersprüchlichkeit zumindest gleich offensichtlich in der Aussage selbst erkennbar: das gerade nicht als Simulation gedachte ist eine bestimmte Form der Simulation.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Wie weit wollt ihr euch eigentlich noch versteigen? Natürlich gibt es die Realitiät, aber wir waren nich nie da, nicht einmal auf Besuch. zwinkern


Das ist doch eine Nullaussage, aus der schlicht gar nichts folgt. Klingt im Grunde nach einer oberflächlichen Interpretationen des Kantischen "Ding an sich": Irgendwie da, aber nicht erkennbar. Was soll man damit anfangen?

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Wir orientieren uns in dieser Welt mit Bildern, Modellen, die wir in unserer Kindheit mit unserer Sprache lernen und miteinander abgleichen. Das ist kein bewußter Prozeß, sondern etwas, was uns in Fleisch und Blut übergegangen ist, wie es so schön heißt. Daniel Kahneman nennt das Schnelles Denken. Es ist soweit realistisch, wie es unserer Gesellschaft und den Menschen die sie bilden, das Überleben ermöglicht.


Mit dieser Definition fängst du den Gehalt des Begriffes "Realität" aber nicht mal im Ansatz ein. "Überleben" kann man auch in dem Bewusstsein, von Engeln umgeben zu sein. So platt waren die soziologischen Klassiker der Theorie der "gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit" nicht. Denn dort ging es vor allem um die Begrenzung der Aussagefähigkeit soziologischer Theorien, die man dann doch noch mal etwas anders verstehen muss als die Begrenzung der Aussagefähigkeit naturwissenschaftlicher Theorien.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#2160802) Verfasst am: 25.12.2018, 21:53    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Wie weit wollt ihr euch eigentlich noch versteigen? Natürlich gibt es die Realitiät, aber wir waren nich nie da, nicht einmal auf Besuch. zwinkern


Das ist doch eine Nullaussage, aus der schlicht gar nichts folgt. Klingt im Grunde nach einer oberflächlichen Interpretationen des Kantischen "Ding an sich": Irgendwie da, aber nicht erkennbar. Was soll man damit anfangen?

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Wir orientieren uns in dieser Welt mit Bildern, Modellen, die wir in unserer Kindheit mit unserer Sprache lernen und miteinander abgleichen. Das ist kein bewußter Prozeß, sondern etwas, was uns in Fleisch und Blut übergegangen ist, wie es so schön heißt. Daniel Kahneman nennt das Schnelles Denken. Es ist soweit realistisch, wie es unserer Gesellschaft und den Menschen die sie bilden, das Überleben ermöglicht.


Mit dieser Definition fängst du den Gehalt des Begriffes "Realität" aber nicht mal im Ansatz ein. "Überleben" kann man auch in dem Bewusstsein, von Engeln umgeben zu sein. So platt waren die soziologischen Klassiker der Theorie der "gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit" nicht. Denn dort ging es vor allem um die Begrenzung der Aussagefähigkeit soziologischer Theorien, die man dann doch noch mal etwas anders verstehen muss als die Begrenzung der Aussagefähigkeit naturwissenschaftlicher Theorien.


Ich hätte es auch anders schreiben können: Daß ich mich einfach nicht genügend langweile für solche Art von Debatten.
_________________
"Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

Friedrich Nietzsche
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
zelig
Kultürlich



Anmeldungsdatum: 31.03.2004
Beiträge: 25404

Beitrag(#2160830) Verfasst am: 26.12.2018, 14:33    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
je länger ich darüber nachdenke, desto weniger abstrus finde ich die Idee, dass wir auch durch eine Erzählung "hindurch" den realen Baum wahrnehmen können auf den sich das Subjekt bezieht.

Ja, so müßte an es wohl konsequenterweise als Realist ausdrücken.

An einer solchen "Wahrnehmung" wäre allerdings fast nichts mehr, das mit der "Realität" des Baumes zusammenhängt.

Jetzt treibe ich es aber noch etwas weiter: Jemand erzählt etwas über einen Baum, der erst in der Zukunft "real" werden wird, beispielsweise den er gestern gesät hat. Er beschreibt dessen zukünftige Äste, Blätter und Früchte. Nimmt der Zuhörer durch diese Beschreibung "den realen Baum wahr"?


Wahrnehmung setzt eine sinnliche Verarbeitung voraus. Daher kann ein zukünftiger Zustand nicht wahrgenommen werden. Es sei denn, man akzeptiert, daß Regungen, wie eine Ahnung zu haben, auch als Wahrnehmung der Realität eingestuft wird.
Die Schilderung eines Baums kann einen realistischen Eindruck vermitteln, aber man nimmt ihn trotzdem nicht wahr. Zeige ich ein Foto von einem Baum, dann wird letztlich das Foto wahrgenommen, nicht der Baum. Das Foto kann trotzdem einen qualitativ hochwertigen Eindruck vermitteln. Genau wie die Beschreibung des Baums auch. Aber es sind vermittelte Eindrücke, keine wahrgenommenen.
_________________
Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Skeptiker
"I can't breathe!"



Anmeldungsdatum: 14.01.2005
Beiträge: 16834
Wohnort: 129 Goosebumpsville

Beitrag(#2160831) Verfasst am: 26.12.2018, 15:02    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
... Die Realität wäre demnach der vorgestellte kohärente Gesamtzusammenhang aller möglichen Erkenntnisse.

Hast Du damit nicht wieder ein ähnliches Problem wie Babyface mit der Intersubjektivität?


Ja, das ist halt der Selbstwiderspruch des Realitätskonzeptes, dass es einerseits auf etwas Übersubjektives nicht bloß verweist, sondern als übersubjektiv allein sinnvoll gedacht werden kann, andererseits der Bezug zur Realität aber immer subjektiv bleiben muss. Das zusätzliche Problem an der Idee, Realität an Intersubjektivität zu koppeln, ist aber, dass intersubjektive Übereinkünfte letztlich niemals anders als beliebig gedacht werden können. Und da scheint doch irgendwie etwas entscheidendes zu fehlen. Es kann für den Realitätsbegriff eben nicht egal sein, "worauf" sich Subjekte da intersubjektiv einigen, weil das den Begriff geradezu ad absurdum führt. Wenn es aber nicht egal ist, muss man auch Kriterien angeben können, die über bloße Intersubjektivität hinausweisen.


Ich wollte auch schon etwas zu Van Hanegems unwissenschaftlicher These über die "Intersubjektivität" schreiben.

Aber besser als du hätte ich es nicht formulieren können.

Intersubjektivtät <> Objektivität.

Daran ändert auch die Quantenmechanik nichts.
_________________
Free Julian Assange! Lock up the Killers!

Populismus ist keine Verschwörungstheorie

Informationsstelle Militarisierung e.V.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Babyface
Altmeister



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 11518

Beitrag(#2160832) Verfasst am: 26.12.2018, 15:47    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
je länger ich darüber nachdenke, desto weniger abstrus finde ich die Idee, dass wir auch durch eine Erzählung "hindurch" den realen Baum wahrnehmen können auf den sich das Subjekt bezieht.

Ja, so müßte an es wohl konsequenterweise als Realist ausdrücken.

An einer solchen "Wahrnehmung" wäre allerdings fast nichts mehr, das mit der "Realität" des Baumes zusammenhängt.

Jetzt treibe ich es aber noch etwas weiter: Jemand erzählt etwas über einen Baum, der erst in der Zukunft "real" werden wird, beispielsweise den er gestern gesät hat. Er beschreibt dessen zukünftige Äste, Blätter und Früchte. Nimmt der Zuhörer durch diese Beschreibung "den realen Baum wahr"?


Wahrnehmung setzt eine sinnliche Verarbeitung voraus. Daher kann ein zukünftiger Zustand nicht wahrgenommen werden. Es sei denn, man akzeptiert, daß Regungen, wie eine Ahnung zu haben, auch als Wahrnehmung der Realität eingestuft wird.
Die Schilderung eines Baums kann einen realistischen Eindruck vermitteln, aber man nimmt ihn trotzdem nicht wahr. Zeige ich ein Foto von einem Baum, dann wird letztlich das Foto wahrgenommen, nicht der Baum. Das Foto kann trotzdem einen qualitativ hochwertigen Eindruck vermitteln. Genau wie die Beschreibung des Baums auch. Aber es sind vermittelte Eindrücke, keine wahrgenommenen.

Jede Wahrnehmung ist vermittelt. Das Gehirn ist nur die letzte Vermittlungsinstanz und vermittelt zwischen physikalischer Welt und Subjekt. Wahrnehmen bedeutet eine Beziehung zur Umwelt und den Objekten/anderen Subjekten herstellen. Dies geschieht mehr oder weniger direkt. Bsp) Nimm einen Bleistift und schreibe etwas auf Papier. Du wirst feststellen, dass Du die Oberfläche das Papiers an der Bleistiftspitze spürst, obwohl Du da eigentlich keine Sinnesrezeptoren hast.
_________________
posted by Babyface
.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
zelig
Kultürlich



Anmeldungsdatum: 31.03.2004
Beiträge: 25404

Beitrag(#2160842) Verfasst am: 26.12.2018, 16:47    Titel: Antworten mit Zitat

Babyface hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
je länger ich darüber nachdenke, desto weniger abstrus finde ich die Idee, dass wir auch durch eine Erzählung "hindurch" den realen Baum wahrnehmen können auf den sich das Subjekt bezieht.

Ja, so müßte an es wohl konsequenterweise als Realist ausdrücken.

An einer solchen "Wahrnehmung" wäre allerdings fast nichts mehr, das mit der "Realität" des Baumes zusammenhängt.

Jetzt treibe ich es aber noch etwas weiter: Jemand erzählt etwas über einen Baum, der erst in der Zukunft "real" werden wird, beispielsweise den er gestern gesät hat. Er beschreibt dessen zukünftige Äste, Blätter und Früchte. Nimmt der Zuhörer durch diese Beschreibung "den realen Baum wahr"?


Wahrnehmung setzt eine sinnliche Verarbeitung voraus. Daher kann ein zukünftiger Zustand nicht wahrgenommen werden. Es sei denn, man akzeptiert, daß Regungen, wie eine Ahnung zu haben, auch als Wahrnehmung der Realität eingestuft wird.
Die Schilderung eines Baums kann einen realistischen Eindruck vermitteln, aber man nimmt ihn trotzdem nicht wahr. Zeige ich ein Foto von einem Baum, dann wird letztlich das Foto wahrgenommen, nicht der Baum. Das Foto kann trotzdem einen qualitativ hochwertigen Eindruck vermitteln. Genau wie die Beschreibung des Baums auch. Aber es sind vermittelte Eindrücke, keine wahrgenommenen.

Jede Wahrnehmung ist vermittelt. Das Gehirn ist nur die letzte Vermittlungsinstanz und vermittelt zwischen physikalischer Welt und Subjekt. Wahrnehmen bedeutet eine Beziehung zur Umwelt und den Objekten/anderen Subjekten herstellen. Dies geschieht mehr oder weniger direkt. Bsp) Nimm einen Bleistift und schreibe etwas auf Papier. Du wirst feststellen, dass Du die Oberfläche das Papiers an der Bleistiftspitze spürst, obwohl Du da eigentlich keine Sinnesrezeptoren hast.


Sagen wir, Du hast einen Bündel von Attributen, die Du einem Baum zuordnest. Stamm, grüne Blätter, Wurzel, Rinde, Blütengeruch. Wird mir der Baum anhand dieser Attribute beschrieben, kann ich mir aufgrund meiner bereits erfahrenen Sinne eine Vorstellung von dem Baum bilden. Aber ich nehme ihn nach meinem Verständnis nicht wahr. Das verdeutlicht die Vermittlung an, oder auch die Wahrnehmung eines von Geburt an Blinden. Er kann den Baum über alle vorhandene Sinne wahrnehmen. Nur nicht die Farbe der Blätter. In diesem Sinn halte ich Wahrnehmung für etwas, das an die Sinne gebunden ist.
_________________
Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#2160847) Verfasst am: 26.12.2018, 19:26    Titel: Antworten mit Zitat

Wie lange wollt ihr euch hier noch im Kreise drehen, bis ihr einseht, daß das Problem des Verhältnisses zwischen Realität und individueller Wahrnehmung philosophisch nicht zu lösen ist?

Wir sehen Bäume (nur als Beispiel), wo keine sind und wir übersehen das, was für andere offenkundig ist. Unsere Wahrnehmung ist voll von Fehlern, und viele von ihnen sind sogar so systematisch, daß sie wissenschaftlich überprüfbar sind.

Wir verwenden Kategorien, die weder angeboren sind, noch von uns bewußt entwickelt wurden, und doch verwenden wir sie imstinktiv und selbstverständlich. Manche Menschen verbinden Farben mit Tönen, und manche Blinde können sich Farben überhaupt nicht vorstellen. Von der Wahrnehmung eines Einzelnen auf eine Realität zunschließen, geht ganz offensichtlich in die Irre.

Unsere Wahnehmung dient unserem Überleben, nicht der Erkenntnis. Die Frage, wie realistisch unsere Wahrnehmung und damit unsere Vorstellungen insgesamt sind, ist also nicht die Frage ob und inwieweit wir „die Welt an sich“ wahrnehmen (die Antwort ist klar: gar nicht!), sondern wie realistisch unser Bild von dieser Welt ist, will heißen: wieweit unsere Vorstellungen dieser Welt angemessen sind, wieweit sie uns das Überleben ermöglichen, das Leben schwerer oder leichter macht. Das ist eigentlich, worum es beim „Realismus“ geht: Vorstellungen von dieser Welt zu entwickeln, die so viele realistische Gehalte besitzen, daß sie nachprüfbar besser zu unserem Problem oder unserer Fragestellung passen.

Es ist also nicht die philosophische Frage, wie das Verhältnis zwischen den Bildern „drinnen“ in einem einzelnen Menschen und der Welt „da draußen“ ist, das was ich gern den Descartes‘schen Irrtum nenne, schon deshalb, weil es diese Abgrenzung zwischen „drinnen“ und „draußen“ gar nicht gibt. Für jeden Menschen sind die vielen anderen „draußen“. Und es sind schon gar nicht endgültige Antworten auf die Frage nach dem „Wesen von allem“. Die Gewißheit, nach der manche Philosophen suchen, gern auch „die Wahrheit“ genannt, ist eine Illusion.

Was wir dagegen wissen können, ist, wie unsere Vorstellungen entstanden sind, auf welchen Irrtümern sie beruhten, und inwieweit unsere heutigen Vorstellungen realistischer sind als vorhergegangene. Wir wissen, oder könnten zumindest wissen, daß unsere Vorstellungen von dieser Welt über Generationen entstanden sind, und zwar die Begriffe, mit denen wir sie beschreiben, die Kategorien, in die wir sie einteilen und die Haltungen, die wir zu ihnen einnehmen.

Wir wissen (oder besser: wir lernen zu wissen), was ein Baum ist, bevor wir noch je viele gesehen haben. Insofern ist ein Baum, dessen Foto wir sehen, erst einmal nicht weniger „real“ als einer, der in unserem Vorgarten steht.

Das Subjekt des Wissens, oder wenn man so will: der Erkenntnis, ist nicht ein einzelner Mensch, schon gar nicht „der Mensch“, sondern die Gesellschaft von Menschen. Niemand sieht diese Welt, „wie sie ist“, aber Gesellschaften von Menschen, und damit auch die einzelnen Menschen können ein mehr oder weniger realistisches Modell von dieser Welt haben, wobei sich dieser Realismus zwangsläufig nur auf die Punkte beziehen kann, von denen wir eine nachprüfbare Vorstellung haben können.

Der Rest ist Überbau, Metaphysik. Dieser Rest mag soziale Funktionen haben (Thomas Metzinger pflegt das „adaptive Mahnsystem“ zu nennen), insofern mag es Teil der sozialen Wirklichkeit sein, Teil der Realität ist das, was es beschreibt, nicht.

Dss macht diese philosopischen Debatten so fruchtlos. Sie gehen von einer Fiktion „des einzelnen Menschen“ aus, der alters- und voraussetzungslos, dafür aber mit einer „ewigen Vernunft“ ausgestattet, in der sich der Philosoph nur allzugern selbst wiedererkennt, einer erst einmal fremden, außerhalb von ihm liegenden Welt gegenübertritt, die er nun allein mit der Kraft seiner Gedanken zu ergründen sucht. Es sollte nicht schwer fallen, zu erkennen, daß dieser Versuch gescheitert ist, ja, scheitern mußte, einfach, weil die Voraussetzungen falsch waren und sind.

Diesen einzelnen Menschen gibt es nicht, Menschen kommen nur im Plural vor. Ihre Vorstellungen sind weder alters- noch voraussetzungslos, sondern wir haben die wichtigsten von Kindheit an gelernt, und damit sind unsere Vorausseztzungen die Ergebnisse des Denkens derjenigen, die vor uns kamen. Das, was uns als „Vernunft“ erscheint, ist nichts anderes als unsere heutige Art zu denken, die mit dem Wissen unserer Vorfahren entstanden ist, und damit ebenso ein Produkt der historischen Entwicklung wie unser Wissen selbst.
_________________
"Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

Friedrich Nietzsche
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Zumsel
registrierter User



Anmeldungsdatum: 08.03.2005
Beiträge: 4667

Beitrag(#2160893) Verfasst am: 27.12.2018, 12:09    Titel: Antworten mit Zitat

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Wie lange wollt ihr euch hier noch im Kreise drehen, bis ihr einseht, daß das Problem des Verhältnisses zwischen Realität und individueller Wahrnehmung philosophisch nicht zu lösen ist?


Die Aussage entbehrt nicht einer gewissen Komik, da das Problem selbst und seine Formulierung ja nun offensichtlich ein durch und durch philosophisches ist. Halbwegs plausibel (wenn auch nicht unbedingt glaubwürdig) wäre ja noch, das Realitätsproblem einfach für uninteressant zu erklären. Nur sollte man es dann besser unterlassen, an diese Feststellung ein halbes philosophisches Essay anzuschließen.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Unsere Wahnehmung dient unserem Überleben, nicht der Erkenntnis.


Na, dann verwende deine Zeit und Energie doch konsequent aufs "Überleben", anstatt hier erkenntnistheoretisch rumzuphilosophieren. Dass dir Selbstbezüglichkeit deiner Aussagen nicht ins Gesicht springen, ist wirklich bemerkenswert.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Dss macht diese philosopischen Debatten so fruchtlos. Sie gehen von einer Fiktion „des einzelnen Menschen“ aus, der alters- und voraussetzungslos, dafür aber mit einer „ewigen Vernunft“ ausgestattet, in der sich der Philosoph nur allzugern selbst wiedererkennt, einer erst einmal fremden, außerhalb von ihm liegenden Welt gegenübertritt, die er nun allein mit der Kraft seiner Gedanken zu ergründen sucht. Es sollte nicht schwer fallen, zu erkennen, daß dieser Versuch gescheitert ist, ja, scheitern mußte, einfach, weil die Voraussetzungen falsch waren und sind.



Also das, worum es hier geht, nämlich den Begriff von der "Realität der Welt" ist keine philosophische Voraussetzung, sondern zunächst mal eine alltäglich, die Realität der Welt ist schlichte Alltagserfahrung und deren Infragestellung kommt erst durch die philosophische Reflektion, d.h. über die denkende Bezugnahme auf die Voraussetzungen von dem, was man da eigentlich zu erkennen glaubt, in die Welt. Was bei derartigen Reflektionen immer bleibt, ist die analytische Frage nach dem Wesensgehalt von Begriffen. Und ich kann beim besten Willen nicht erkennen, wo diese Diskussion hier großartig über derartige Versuche hinausgegangen wäre und es darum notwendig wäre, hier von der Unhaltbarkeit irgendwelcher metaphysischen Überbauten oder der Illusion einer vom Menschen unabhängigen Weltvernunft oder dgl. zu schwadronieren.

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Das, was uns als „Vernunft“ erscheint, ist nichts anderes als unsere heutige Art zu denken, die mit dem Wissen unserer Vorfahren entstanden ist, und damit ebenso ein Produkt der historischen Entwicklung wie unser Wissen selbst.


Und das gilt für alle Resultate des Denkens außer den von dir hier formulierten? Oder weswegen sollen die jetzt irgendeinen vom bloßen Überlebensnutzen unabhängigen Wert haben? Dein ganzer Beitrag ist durchzogen von Widersprüchlichkeiten, Phrasen und halbgaren Gedanken. Schärfe erst mal deine Begriffe und ordne deine Gedanken, bevor du anfängst, andere zu belehren.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22767
Wohnort: Germering

Beitrag(#2160896) Verfasst am: 27.12.2018, 12:59    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Ja, das ist halt der Selbstwiderspruch des Realitätskonzeptes, dass es einerseits auf etwas Übersubjektives nicht bloß verweist, sondern als übersubjektiv allein sinnvoll gedacht werden kann, andererseits der Bezug zur Realität aber immer subjektiv bleiben muss. ...

Deshalb muß das metaphysische Realitätskonzept mE "reduziert" werden, also auf etwas zurückgeführt werden, das sich nicht prinzipiell von anderen Eigenschaften (wie z.B. Masse) unterscheidet.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Was sind "mögliche Erkenntnisse", wenn es etwa keine erkenntnisfähigen Wesen gibt?
Na ja, sich die Erkenntnissubjekte nach den Prinzipien von Erkenntniszusammenhänge aus der Welt wegzudenken, stellt ja nun kein großes Problem dar.

Doch, wenn man wie Du die "möglichen Erkenntnisse" in der Definition der Realität verwendet. Du hast den Widerspruch oben selbst benannt.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Etwas ist wirklich, wenn es nicht einfacher simuliert werden kann.
Ja, da ist die Widersprüchlichkeit zumindest gleich offensichtlich in der Aussage selbst erkennbar: das gerade nicht als Simulation gedachte ist eine bestimmte Form der Simulation.

Ja, wenn man "Simulation" als Gegenteil von "Realität" ansieht - hier ist jedoch etwas ganz Anderes gemeint: Man versteht unter Simulation so etwas wie eine "Herstellungsvorschrift" eines Phänomens - durchaus eines "realen" Phänomens. Die Idee kommt aus Bereichen, wo man zur Beschreibung eines Phänomens erwiesenermaßen virtuelle Entitäten benötigt und sich dann fragt, ob diese real sind. Antwort: Ja, wenn man sie benötigt. Auf diese Weise vermeidet man sowohl das weiter unten diskutierte Problem der Wahrnehmungskaskaden, als auch den Objektivitätswiderspruch. Gleichzeitig entmystifiziert man "Wirklichkeit" bzw. reiht sie in ein in die Liste intuitiver Fehlkonzepte.
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22767
Wohnort: Germering

Beitrag(#2160897) Verfasst am: 27.12.2018, 12:59    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
Sagen wir, Du hast einen Bündel von Attributen, die Du einem Baum zuordnest. Stamm, grüne Blätter, Wurzel, Rinde, Blütengeruch. Wird mir der Baum anhand dieser Attribute beschrieben, kann ich mir aufgrund meiner bereits erfahrenen Sinne eine Vorstellung von dem Baum bilden. Aber ich nehme ihn nach meinem Verständnis nicht wahr. Das verdeutlicht die Vermittlung an, oder auch die Wahrnehmung eines von Geburt an Blinden. Er kann den Baum über alle vorhandene Sinne wahrnehmen. Nur nicht die Farbe der Blätter. In diesem Sinn halte ich Wahrnehmung für etwas, das an die Sinne gebunden ist.

Das Problem liegt aber gar nicht im Konzept der Wahrnehmung, sondern in dem der Realität. Deswegen hatte ich ja auch Beispiele genannt, die unter "Wahrnehmung" fallen würden, etwa das Betrachten eines Fotos "dieses" Baumes. Dort nimmst Du einerseits "eingefangene" Signale des Ursprungsobjekts wahr, andererseits ist diese Wahrnehmung offensichtlich indirekt und unvollständig. Wenn Du hier zustimmst, können wir als nächstes den Fall betrachten, daß Du den Baum "selbst" betrachtest - auch hier nimmst Du einerseits eingefangene Signale des Ursprungsobjekts wahr, andererseits ist auch diese Wahrnehmung offensichtlich indirekt und unvollständig. Es ist also nur ein gradueller Unterschied, und - was entscheidender ist - es eignet sich nicht, um Realität zu entscheiden.
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
zelig
Kultürlich



Anmeldungsdatum: 31.03.2004
Beiträge: 25404

Beitrag(#2160901) Verfasst am: 27.12.2018, 15:10    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
es eignet sich nicht, um Realität zu entscheiden.


Behauptest Du etwa, ich hätte das Thema verfehlt? : )

Immerhin hat der Blinde nicht nur eine graduell abweichende Wahrnehmung. Die Realität eines grünen Blattes wird man nicht vermitteln können.
_________________
Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22767
Wohnort: Germering

Beitrag(#2160903) Verfasst am: 27.12.2018, 15:30    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
Immerhin hat der Blinde nicht nur eine graduell abweichende Wahrnehmung. Die Realität eines grünen Blattes wird man nicht vermitteln können.

Ich verstehe den Zusammenhang mit der Frage nach der Realität des Baumes (oder Blattes) nicht. Ein blinder Naiver Realist wird doch trotzdem behaupten, der Baum sei real, auch wenn er dessen Grünheit nicht wahrnehmen kann. Und hört er den realen Baum, wenn er dessen aufgenommenes Blätterrauschen hört?
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
zelig
Kultürlich



Anmeldungsdatum: 31.03.2004
Beiträge: 25404

Beitrag(#2160905) Verfasst am: 27.12.2018, 16:54    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Immerhin hat der Blinde nicht nur eine graduell abweichende Wahrnehmung. Die Realität eines grünen Blattes wird man nicht vermitteln können.

Ich verstehe den Zusammenhang mit der Frage nach der Realität des Baumes (oder Blattes) nicht. Ein blinder Naiver Realist wird doch trotzdem behaupten, der Baum sei real, auch wenn er dessen Grünheit nicht wahrnehmen kann. Und hört er den realen Baum, wenn er dessen aufgenommenes Blätterrauschen hört?


Ich sag ja nur, daß man nicht von der Wahrnehmung des Baums sprechen kann, wenn man das Foto des Baums betrachtet. Vielleicht ist das auch zu trivial und führt in eine Richtigung, die für die Diskussion, die ihr führt, nichts bringt. Dann lese ich lieber still, bis ich verstanden habe, worauf es in der Diskussion ankommt.
_________________
Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#2160918) Verfasst am: 27.12.2018, 20:42    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:

Also das, worum es hier geht, nämlich den Begriff von der "Realität der Welt" ist keine philosophische Voraussetzung, sondern zunächst mal eine alltäglich, die Realität der Welt ist schlichte Alltagserfahrung und deren Infragestellung kommt erst durch die philosophische Reflektion, d.h. über die denkende Bezugnahme auf die Voraussetzungen von dem, was man da eigentlich zu erkennen glaubt, in die Welt. Was bei derartigen Reflektionen immer bleibt, ist die analytische Frage nach dem Wesensgehalt von Begriffen. […]

Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Das, was uns als „Vernunft“ erscheint, ist nichts anderes als unsere heutige Art zu denken, die mit dem Wissen unserer Vorfahren entstanden ist, und damit ebenso ein Produkt der historischen Entwicklung wie unser Wissen selbst.


Und das gilt für alle Resultate des Denkens außer den von dir hier formulierten? Oder weswegen sollen die jetzt irgendeinen vom bloßen Überlebensnutzen unabhängigen Wert haben?


Könnte es sein, daß wir unterschiedliche Sprachen sprechen? Ja, ich bin der Ansicht, daß alle unsere Vorstellungen Produkt der historischen Entwicklung unseres Wissens sind, meine eigenen eingeschlossen, daß sie keinen von allem anderen unabhängigen Wert haben, sondern höchstens einen in Relation zu anderem. Die „analytische Frage nach dem Wesensgehalt von Begriffen“ kann nur zu der einen Erkenntnis führen, daß Begriffe keinen absoluten Wesensgehalt haben, sondern immer nur das bedeuten, was jeweils darunter verstanden wird, und das ist, wie man auch in diesem Forum an allen Ecken und Enden beobachten kann, durchaus unterschiedlich.

Kurzum, ich bin der Ansicht, daß „philosophische Reflektion, d.h. […] die denkende Bezugnahme auf die Voraussetzungen von dem, was man da eigentlich zu erkennen glaubt“ nicht anderes vermag als die Kritik anderer philosophischer oder religiöser Vorstellungen. Wissen über das hinaus, was sie schon mitbringt, schafft sie nicht.

Das können nur theoretisch-empirische Wissenschaften mit ihrer Abfolge von Tatsachenbeobachtungen und Theoriebildung. Ihre Grundlagen sind die Irrtümer der Vergangenheit, vorwissenschaftliche wie wissenschaftliche, oder wie Popper zu Recht sagte: "Wir sind mit der Wirklichkeit immer genau in den Momenten in Kontakt, in denen unsere Theorien an ihr scheitern“, und der Wert wissenschaftlicher Erkenntnisse besteht in ihrem Verhältnis zu anderem Wissen und darin, inwieweit es uns ermöglicht, uns besser in dieser Welt zu orientieren, wobei dieses „besser“ letztlich abhängt von den Wünschen und Interessen der Menschen.
_________________
"Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

Friedrich Nietzsche
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Marcellinus
Outsider



Anmeldungsdatum: 27.05.2009
Beiträge: 7429

Beitrag(#2160945) Verfasst am: 28.12.2018, 11:49    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
zelig hat folgendes geschrieben:
Immerhin hat der Blinde nicht nur eine graduell abweichende Wahrnehmung. Die Realität eines grünen Blattes wird man nicht vermitteln können.

Ich verstehe den Zusammenhang mit der Frage nach der Realität des Baumes (oder Blattes) nicht. Ein blinder Naiver Realist wird doch trotzdem behaupten, der Baum sei real, auch wenn er dessen Grünheit nicht wahrnehmen kann. Und hört er den realen Baum, wenn er dessen aufgenommenes Blätterrauschen hört?

Ein Blinder hört noch viel mehr, die Existenz eines Baumes in der Geräuschkulisse der Umgebung. Und ein grünes, frisches Blatt von einem welken, braunen am Gefühl zu unterscheiden, kannst sogar du als Sehender lernen, wenn du dich darauf konzentrierst.

Aber das sind doch alles Irrwege. Die Frage nach der Beobachtbarkeit der Wirklichkeit kommt man nur näher, wenn man sich klar macht, daß das beobachtende Subjekt die Gesellschaft der Menschen ist, nicht ein einzelnes, als isoliert gedachtes Individuum.
_________________
"Mangel an historischem Sinn ist der Erbfehler aller Philosophen ... Alles aber ist geworden;
es gibt keine ewigen Tatsachen: sowie es keine absoluten Wahrheiten gibt."

Friedrich Nietzsche
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Babyface
Altmeister



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 11518

Beitrag(#2160947) Verfasst am: 28.12.2018, 11:55    Titel: Antworten mit Zitat

zelig hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:

Jede Wahrnehmung ist vermittelt. Das Gehirn ist nur die letzte Vermittlungsinstanz und vermittelt zwischen physikalischer Welt und Subjekt. Wahrnehmen bedeutet eine Beziehung zur Umwelt und den Objekten/anderen Subjekten herstellen. Dies geschieht mehr oder weniger direkt. Bsp) Nimm einen Bleistift und schreibe etwas auf Papier. Du wirst feststellen, dass Du die Oberfläche das Papiers an der Bleistiftspitze spürst, obwohl Du da eigentlich keine Sinnesrezeptoren hast.


Sagen wir, Du hast einen Bündel von Attributen, die Du einem Baum zuordnest. Stamm, grüne Blätter, Wurzel, Rinde, Blütengeruch. Wird mir der Baum anhand dieser Attribute beschrieben, kann ich mir aufgrund meiner bereits erfahrenen Sinne eine Vorstellung von dem Baum bilden. Aber ich nehme ihn nach meinem Verständnis nicht wahr. Das verdeutlicht die Vermittlung an, oder auch die Wahrnehmung eines von Geburt an Blinden. Er kann den Baum über alle vorhandene Sinne wahrnehmen. Nur nicht die Farbe der Blätter. In diesem Sinn halte ich Wahrnehmung für etwas, das an die Sinne gebunden ist.

Mit Wahrnehmung meine ich in dem Fall nicht die bildhafte Vorstellung des Baumes. Diese ist nur eine durch die Wahrnehmung hervorgerufene Erinnerung. Was wir wahrnehmen sind akustische Laute, Wörter und Sätze, die sich zu einer Beschreibung zusammenfügen. Mein Gedanke ist nun, dass wir in der Beschreibung selbst den Baum wahrnehmen oder anders ausgedrückt: Der Baum zeigt sich uns in der akustischen Gestalt seiner Beschreibung vermittelt durch ein menschliches Gehirn (so ähnlich wie wir das Blatt Papier vermittelt durch den Körper des Bleistifts wahrnehmen). Dahinter steht die Idee, dass wir Dinge in Form von Gestalten wahrnehmen und dass sich die Dinge uns in unterschiedlicher Gestalt zeigen können. Was wir wahrnehmen sind jedoch keine Gestalten sondern reale Dinge, so wie sie uns in diesem Moment eben erscheinen: als akustische, visuelle, olfaktorische und/oder taktile vermittelte Gestalten. Das wird vielleicht klarer wenn man Wahrnehmung als ein aktives In-Beziehung-Treten zu den Dingen (oder anderen Subjekten) begreift, also den intentionalen Aspekt von Wahrnehmung einbezieht: Wenn ich mit Dir Telefoniere, nehme ich nicht das Telefon wahr, sondern Dich. zwinkern

Dass die Vorstellung schwerfällt, man nehme in der Beschreibung des Baumes den Baum selbst wahr, liegt meines Erachtens darin begründet, dass wir zumindest im Alltag intuitiv dann doch naive Realisten sind. D.h. wir unterstellen implizit, dass unmittelbare Wahrnehmung möglich sei, und damit theoretisch 1:1 Abbilder der Realität von denen sich einzelne Wahrnehmungsgestalten mehr oder weniger deutlich unterscheiden. Die Beschreibung eines Baumes wäre dann eine Gestalt, die zu stark von unserer Vorstellung des "Baumes an sich" abweicht. Oder wie step es ausgedrückt hat. Eine solche Wahrnehmung hätte fast nichts mehr von der "Realität" des Baumes.
_________________
posted by Babyface
.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22767
Wohnort: Germering

Beitrag(#2160950) Verfasst am: 28.12.2018, 13:58    Titel: Antworten mit Zitat

Babyface hat folgendes geschrieben:
Was wir wahrnehmen sind jedoch keine Gestalten sondern reale Dinge, so wie sie uns in diesem Moment eben erscheinen: als akustische, visuelle, olfaktorische und/oder taktile vermittelte Gestalten. Das wird vielleicht klarer wenn man Wahrnehmung als ein aktives In-Beziehung-Treten zu den Dingen (oder anderen Subjekten) begreift, also den intentionalen Aspekt von Wahrnehmung einbezieht: Wenn ich mit Dir Telefoniere, nehme ich nicht das Telefon wahr, sondern Dich.

Natürlich nimmst Du in diesem Fall nicht primär das Telefon wahr, sondern das, was und wie zelig gesagt, geatmet usw. hat. Der Grund dafür ist einfach, daß Du die Information recht gut von ihrem Transportmechanismus trennen kannst. Das bedeutet jedoch nicht ohne weiteres, daß Du den "realen zelig" wahrnimmst, sondern das Gehörte wird in Deinem Kopf in (gut begründbaren) Zusammenhang gebracht mit Deiner Vorstellung von zelig.

Babyface hat folgendes geschrieben:
Dass die Vorstellung schwerfällt, man nehme in der Beschreibung des Baumes den Baum selbst wahr, liegt meines Erachtens darin begründet, dass wir zumindest im Alltag intuitiv dann doch naive Realisten sind. D.h. wir unterstellen implizit, dass unmittelbare Wahrnehmung möglich sei, und damit theoretisch 1:1 Abbilder der Realität von denen sich einzelne Wahrnehmungsgestalten mehr oder weniger deutlich unterscheiden. ...

Als Ton-, Bild- und Filmaufnahmen noch ungewohnt waren, gab es regelmäßig Schreckeffekte im Konflikt mit dem naiven Realismus. Heute dagegen fließt unser komplexes Wissen (oder Annahmen) über Zeitverschiebung, Liveaufnahmen usw. ein.

Allerdings trifft der naivrealistische Fehlschluss, den Du beschreibst, ja viel schlimmer auf den Fall der direkteren Wahrnehmung zu. Man könnte argumentieren, daß, je "unmittelbarer" die Wahrnehmung ist, desto eher erliegen wir dem naiven Realismus.
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
zelig
Kultürlich



Anmeldungsdatum: 31.03.2004
Beiträge: 25404

Beitrag(#2161004) Verfasst am: 29.12.2018, 00:59    Titel: Antworten mit Zitat

Babyface hat folgendes geschrieben:
Was wir wahrnehmen sind akustische Laute, Wörter und Sätze, die sich zu einer Beschreibung zusammenfügen. Mein Gedanke ist nun, dass wir in der Beschreibung selbst den Baum wahrnehmen oder anders ausgedrückt: Der Baum zeigt sich uns in der akustischen Gestalt seiner Beschreibung vermittelt durch ein menschliches Gehirn (so ähnlich wie wir das Blatt Papier vermittelt durch den Körper des Bleistifts wahrnehmen). Dahinter steht die Idee, dass wir Dinge in Form von Gestalten wahrnehmen und dass sich die Dinge uns in unterschiedlicher Gestalt zeigen können. Was wir wahrnehmen sind jedoch keine Gestalten sondern reale Dinge, so wie sie uns in diesem Moment eben erscheinen: als akustische, visuelle, olfaktorische und/oder taktile vermittelte Gestalten. Das wird vielleicht klarer wenn man Wahrnehmung als ein aktives In-Beziehung-Treten zu den Dingen (oder anderen Subjekten) begreift, also den intentionalen Aspekt von Wahrnehmung einbezieht: Wenn ich mit Dir Telefoniere, nehme ich nicht das Telefon wahr, sondern Dich. :wink:

Dass die Vorstellung schwerfällt, man nehme in der Beschreibung des Baumes den Baum selbst wahr, liegt meines Erachtens darin begründet, dass wir zumindest im Alltag intuitiv dann doch naive Realisten sind. D.h. wir unterstellen implizit, dass unmittelbare Wahrnehmung möglich sei, und damit theoretisch 1:1 Abbilder der Realität von denen sich einzelne Wahrnehmungsgestalten mehr oder weniger deutlich unterscheiden. Die Beschreibung eines Baumes wäre dann eine Gestalt, die zu stark von unserer Vorstellung des "Baumes an sich" abweicht. Oder wie step es ausgedrückt hat. Eine solche Wahrnehmung hätte fast nichts mehr von der "Realität" des Baumes.



Mir fällt es schwer den Hebel in dieser Diskussion anzusetzen. Und mir ist noch nicht mal klar, warum das so ist. Vielleicht weil alle genannten Beispiele räumlich und zeitlich abgegrenzte Objekte voraussetzen, die wieder die Frage aufwerfen, ob sie aufgrund dieser Eigenschaft nicht sowieso schon immer eine Art Naiven Realismus voraussetzen.

Ich fürchte, ich bleibe bei meiner Auffassung, daß ich (vor dem Hintergrund dieser Diskussion) tatsächlich mit einem Gerät spreche, wenn Du mich anrufst. Und mir kommt es so vor, daß das eben genau nicht einen naiven Realismus voraussetzt, sondern das Wissen darüber, daß im Telefonapparat kein Babyface hockt. Das erzwingt zusätzlich eine Theorie, wieso man mit jemanden reden kann, obwohl er weit weg ist. Genau das, meine ich, ist der Grund dafür, warum wahrscheinlich niemand bewußter Naiver Realist ist: Neben der Wahrnehmung pflegen wir immer eine Theorie, die uns davon absehen lässt, daß zelig nicht die Stimme von Babyface wahrnimmt, sondern eine technische Simulation. Diese Theorie brauche ich nicht, wenn wir direkt über unsere Sinne kommunizieren.
_________________
Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Zumsel
registrierter User



Anmeldungsdatum: 08.03.2005
Beiträge: 4667

Beitrag(#2161030) Verfasst am: 29.12.2018, 13:01    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Ja, das ist halt der Selbstwiderspruch des Realitätskonzeptes, dass es einerseits auf etwas Übersubjektives nicht bloß verweist, sondern als übersubjektiv allein sinnvoll gedacht werden kann, andererseits der Bezug zur Realität aber immer subjektiv bleiben muss. ...

Deshalb muß das metaphysische Realitätskonzept mE "reduziert" werden, also auf etwas zurückgeführt werden, das sich nicht prinzipiell von anderen Eigenschaften (wie z.B. Masse) unterscheidet.


Vielleicht zeugt es ja schon von einem falschen Verständnis, das Realitätskonzept als "metaphysisch" aufzufassen. Klar ist, dass man mit "Realität" etwas von Willen und Wahrnehmung des Subjekts irgendwie Unabhängiges meint. Die Frage scheint mir aber zunächst mal, wie diese Unabhängigkeit überhaupt zu verstehen ist und überhaupt verstanden werden kann.


Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Aber das sind doch alles Irrwege. Die Frage nach der Beobachtbarkeit der Wirklichkeit kommt man nur näher, wenn man sich klar macht, daß das beobachtende Subjekt die Gesellschaft der Menschen ist, nicht ein einzelnes, als isoliert gedachtes Individuum.


Kannst du einen anerkannten Soziologen nennen, der tatsächlich einen derartigen epistemologischen Holismus vertritt? Klassiker wie Schütz tun das jedenfalls ganz klar nicht, dort wird viel mehr die wechselseitige Abhängigkeit von Individuen und Gesellschaft betont, bei Schütz sogar mit einer stärkeren Bedeutungszuschreibung des Individuums, dessen Betrachtung immer am Anfang stehen müsse. Und das scheint mir dem Gegenstand auch völlig angemessen, aber egal, wie stark man da nun im Einzelnen was wie gewichtet: ohne den "subjektiven Sinn" und der Klärung seines Verhältnisses zur "sozialen Umwelt" bleibt alles Gerede über "Prozessen" und "Strukturen", die die Gesellschaft, die Wirklichkeit insgesamt gar, "konstruieren", völlig hohl und phrasenhaft. Deine Beiträge gelangen (zumindest bisher) über dieses phrasenhafte Stadium nicht hinaus.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22767
Wohnort: Germering

Beitrag(#2161066) Verfasst am: 29.12.2018, 20:58    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Zumsel hat folgendes geschrieben:
Ja, das ist halt der Selbstwiderspruch des Realitätskonzeptes, dass es einerseits auf etwas Übersubjektives nicht bloß verweist, sondern als übersubjektiv allein sinnvoll gedacht werden kann, andererseits der Bezug zur Realität aber immer subjektiv bleiben muss. ...
Deshalb muß das metaphysische Realitätskonzept mE "reduziert" werden, also auf etwas zurückgeführt werden, das sich nicht prinzipiell von anderen Eigenschaften (wie z.B. Masse) unterscheidet.
Vielleicht zeugt es ja schon von einem falschen Verständnis, das Realitätskonzept als "metaphysisch" aufzufassen.

Mein Realitätskonzept ist ja gerade nicht metaphysisch, sondern physisch - und es führt auch nicht zu dem von Dir o.g. Selbstwiderspruch, da es ohne den subjektiven Bezug auskommt. Aber bei dem, was ich hier regelmäßig aufgetischt bekomme, frage ich mich, was dieses "objektiv" denn sein soll, wie man einen Baum "unmittelbar" wahrnimmt usw.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Klar ist, dass man mit "Realität" etwas von Willen und Wahrnehmung des Subjekts irgendwie Unabhängiges meint. Die Frage scheint mir aber zunächst mal, wie diese Unabhängigkeit überhaupt zu verstehen ist und überhaupt verstanden werden kann.

Ich habe ja früher schon mal David Deutsch zitiert - der fordert als Wirklichkeitskriterium neben der "Komplexität" (das was ich oben mit der Simulierbarkeit geschrieben habe) noch "Autonomie", das geht in die von Dir genannte Richtung.
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
smallie
resistent!?



Anmeldungsdatum: 02.04.2010
Beiträge: 3628

Beitrag(#2161071) Verfasst am: 29.12.2018, 22:51    Titel: Antworten mit Zitat

Was Babyface schreibt, kann ich im Großen und Ganzen nachvollziehen. Ich schlage "pragmatischer Realismus" als Etikett vor.

Einige unserer naiveren Vorstellungen sind großartig gescheitert, damit ist der naive Realismus erledigt. Der hypothetische Realismus kann zur Wahrheitsfindung nur das Prinzip beitragen, sich nicht auf bestimmte Vorstellungen zu versteifen.


Babyface hat folgendes geschrieben:
Dahinter steht die Idee, dass wir Dinge in Form von Gestalten wahrnehmen und dass sich die Dinge uns in unterschiedlicher Gestalt zeigen können. Was wir wahrnehmen sind jedoch keine Gestalten sondern reale Dinge, so wie sie uns in diesem Moment eben erscheinen: als akustische, visuelle, olfaktorische und/oder taktile vermittelte Gestalten.

Und sogar wenn eine Gestalt wegfällt oder eine dazukommt - Infrarot- oder Röntgenstrahlung - bleibt es das gleiche Ding.



Babyface hat folgendes geschrieben:
Das wird vielleicht klarer wenn man Wahrnehmung als ein aktives In-Beziehung-Treten zu den Dingen (oder anderen Subjekten) begreift, also den intentionalen Aspekt von Wahrnehmung einbezieht: ...

Der intentionale Aspekt von Wahrnehmung - sehr schön.

Um den Baum scharf zu sehen, muß ihn das Auge fokussieren. Um den Wind in den Blättern (besser) zu hören, muß man den Kopf drehen - Tiere würden die Ohren spitzen. Um ihn zu riechen, sollte man schnüffeln, wie ein Hund.





Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Natürlich gibt es die Realitiät, aber wir waren nich nie da, nicht einmal auf Besuch. zwinkern

Sehe ich ganz anders: Einmal auf die Schnauze gefallen, Autsch!, schon war man in Kontakt mit der Realität.

(Dem Rest schließe ich mich an.)




Zumsel hat folgendes geschrieben:
So platt waren die soziologischen Klassiker der Theorie der "gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit" nicht. Denn dort ging es vor allem um die Begrenzung der Aussagefähigkeit soziologischer Theorien, die man dann doch noch mal etwas anders verstehen muss als die Begrenzung der Aussagefähigkeit naturwissenschaftlicher Theorien.

Das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein. Physik oder Biologie haben jeweils mehrere theoretische Rahmen, die Einzelbeobachtungen sinnvoll verbinden. Thermodynamik, allgemeine Relativität, Quantenmechanik. Gibt es das auch in der klassischen Soziologie?

Bereits etablierte Messungen, Fakten und Objekte bleiben, auch wenn sich die Theorie dahinter ändert. zelig hat das erkannt.




zelig hat folgendes geschrieben:
Mir fällt es schwer den Hebel in dieser Diskussion anzusetzen. Und mir ist noch nicht mal klar, warum das so ist. Vielleicht weil alle genannten Beispiele räumlich und zeitlich abgegrenzte Objekte voraussetzen, die wieder die Frage aufwerfen, ob sie aufgrund dieser Eigenschaft nicht sowieso schon immer eine Art Naiven Realismus voraussetzen.

Unberührt von allen Diskussionen um ihr Wesen ist die Realität doch sehr hartnäckig.

Wie hartnäckig, zeigt sich gerade am CERN. Man hat mehrere Milliarden EUR ausgegeben und trotzdem nichts gefunden, das dem gegenwärtigen, naiven Bild der räumlich und zeitlich abgegrenzten Objekte widerspräche. Pfeifen



zelig hat folgendes geschrieben:
Ich fürchte, ich bleibe bei meiner Auffassung, daß ich (vor dem Hintergrund dieser Diskussion) tatsächlich mit einem Gerät spreche, wenn Du mich anrufst. Und mir kommt es so vor, daß das eben genau nicht einen naiven Realismus voraussetzt, sondern das Wissen darüber, daß im Telefonapparat kein Babyface hockt.

Babyface sitzt so wenig im Telefonapparat wie ich gerade in diesem Beitrag sitze.



zelig hat folgendes geschrieben:
Neben der Wahrnehmung pflegen wir immer eine Theorie, die uns davon absehen lässt, daß zelig nicht die Stimme von Babyface wahrnimmt, sondern eine technische Simulation. Diese Theorie brauche ich nicht, wenn wir direkt über unsere Sinne kommunizieren.

Du übersiehst den aufwendigen Apparat, der hinter der direkten Kommunikation steht. Es braucht:


    Ein Gehirn, das denkt und sprachfähig ist. Zwerchfell, Luftröhre, Stimmbänder, Rachen, Zunge und Lippen. Beim Empfänger: Ohren, Trommelfell, Cochlea und noch ein Gehirn, das der selben Sprache fähig ist.

Dieser Aufwand lohnt sich nur, wenn es auch etwas zu hören, zu sehen, zu riechen gibt. Von daher würde ich auch wie Babyface im Eingangsbeitrag vom Bellen auf den Hund schließen.
_________________
"There are two hard things in computer science: cache invalidation, naming things, and off-by-one errors."
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
smallie
resistent!?



Anmeldungsdatum: 02.04.2010
Beiträge: 3628

Beitrag(#2161074) Verfasst am: 30.12.2018, 00:01    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Marcellinus hat folgendes geschrieben:
Aber das sind doch alles Irrwege. Die Frage nach der Beobachtbarkeit der Wirklichkeit kommt man nur näher, wenn man sich klar macht, daß das beobachtende Subjekt die Gesellschaft der Menschen ist, nicht ein einzelnes, als isoliert gedachtes Individuum.


Kannst du einen anerkannten Soziologen nennen, der tatsächlich einen derartigen epistemologischen Holismus vertritt? Klassiker wie Schütz tun das jedenfalls ganz klar nicht, dort wird viel mehr die wechselseitige Abhängigkeit von Individuen und Gesellschaft betont, bei Schütz sogar mit einer stärkeren Bedeutungszuschreibung des Individuums, dessen Betrachtung immer am Anfang stehen müsse. ...

Marcellinus Formulierung "Gesellschaft als beobachtendes Subjekt" halte ich für unglücklich, deine Kritik daran ist berechtigt. Inhaltlich schließe ich mich Marcellinus an.

Dahinter steht der Gedanke, daß soziales Lernen zu einem guten Teil Nachahmen ist, siehe das Darwin-Zitat im anderen Thread. Marcellinus dürfte sich auf Daniel Kahneman beziehen, Psychologe und Ökonomie-Nobelpreisträger.

Auch Kahneman-Kritiker sehen das so. Tabelle 2 auf Seite 24 gibt einen Überblick.

smallie hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Homo Heuristicus: Why Biased Minds Make Better Inferences
Gerd Gigerenzer, Henry Brighton - 2009

http://library.mpib-berlin.mpg.de/ft/gg/GG_Homo_2009.pdf



Zumsel hat folgendes geschrieben:
... ohne den "subjektiven Sinn" und der Klärung seines Verhältnisses zur "sozialen Umwelt" bleibt alles Gerede über "Prozessen" und "Strukturen", die die Gesellschaft, die Wirklichkeit insgesamt gar, "konstruieren", völlig hohl und phrasenhaft. Deine Beiträge gelangen (zumindest bisher) über dieses phrasenhafte Stadium nicht hinaus.

Es erscheint nur als Phrase, weil sich diese neuen Ansätze in der klassischen Soziologie noch nicht herumgesprochen haben.
_________________
"There are two hard things in computer science: cache invalidation, naming things, and off-by-one errors."
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
step
registriert



Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22767
Wohnort: Germering

Beitrag(#2161090) Verfasst am: 30.12.2018, 09:13    Titel: Antworten mit Zitat

Die Frage, was "wirklich" ist oder wie ein System Information über ein anderes System erhält, primär soziologisch zu betrachten, führt in die Irre, und zwar egal ob auf Individuum oder Gesellschaft bezogen. Ein Wirklichkeitskonzept muß auch anwendbar sein auf eine Situation ohne Personenbeteiligung.
_________________
Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen   Drucker freundliche Ansicht    Freigeisterhaus Foren-Übersicht -> Wissenschaft und Technik Alle Zeiten sind GMT + 1 Stunde
Gehe zu Seite Zurück  1, 2, 3 ... 22, 23, 24, 25, 26, 27  Weiter
Seite 23 von 27

 
Gehe zu:  
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht mitmachen.



Impressum & Datenschutz


Powered by phpBB © 2001, 2005 phpBB Group