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W. F. Gutmann und die ‘Frankfurter Evolutionstheorie’ (FET)
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Klaus-Peter
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Anmeldungsdatum: 10.01.2004
Beiträge: 1534

Beitrag(#229012) Verfasst am: 16.12.2004, 14:59    Titel: Antworten mit Zitat

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
OK, man könnte die Frage auch etwas anders (sagen wir mal: "dawkins-gerechter") stellen: Welches Gen ist es denn, dessen Egoismus alle Säbelzahntiger aufgrund von Exzessivbildung in den Untergang trieb? Mr. Green

Witzige Antworten sind manchmal recht aufschlussreich. Du weisst sicher, dass diese Frage eine sehr dumme und Dawkins überhaupt nicht gerecht werdende ist, und hast sie nur aus Gründen des Effekts gebracht. Was den Säbelzahntiger in den Untergang trieb (wenn die These, dass es am exzessiv großen Säbelzahn lag, korrekt ist) war die spieltheoretische Gesamtsituation, die die an der Grösse des Zahnes beteiligten Gene dazu zwang, immer grössere Zähne zu entwickeln.

Zitat:
AFAIK entpuppten sich viele der vermeintlichen Anpassungen als "Präadaptationen".

Es wäre interessant, diese These an einem Beispiel einer vermuteten Präadaption zu untersuchen. Nach Meinung meiner Gewährsleute müssten Praäadaptionen äußertst selten sein und äußerst schwierig zu entdecken. Wenn Du also ein gutes Beispiel fürr Präadaption nennst, müsste ich womöglich den Dawkinismus aufgeben.

Zitat:
Eigentlich erscheint mir dies trivial: Jede evolutive Neuheit ist (in statu nascendi) zunächst einmal nicht adaptiv. Entweder erweist sich das Merkmal dann in einer bestimmten Umwelt als nützlich ("adaptiv"), schädlich ("maladaptiv") oder schlicht belanglos ("selektionsneutral").

Richtig. Aber diese Neuheit wäre dann noch so klein und unscheinbar, dass man sie nicht entdecken würde, dass sie nur für die Selektion sichtbar ist.

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Aber für "Goulds Gleichnis des Besoffenen" ist solches doch entbehrlich. Da fragt er nicht unbedingt nach Anpassung.


Klar. Allerdings könnte man den Begriff "Anpassung" ja auch weiter fassen im Sinne von "innerer" Passung.

Ich denke eher: Goulds Gleichnis vom Besoffenen ist ein Beispiel für ein Ergebnis, das nicht adaptiv ist. Genauso wie das Aussterben des Säbelzahntigers nicht adaptiv ist.
Zitat:
Eine Letalmutante wäre in diesem Sinn maladaptiv. Und ich vermute, daß der Besoffene im Rinnstein auch nicht von sich behaupten wird, soeben eine neue ökologische Nische erschlossen zu haben. Smilie

Eben. Adaptiv sind immer nur Dinge, die eine Funktion haben. Das Wort "maladaptiv" scheint mir aber sinnlos. Aussterben und im Rinnstein Liegen hat keine Funktion.

Gruss

KP

PS. Den Beitrag über die "Erklärung" habe ich nicht vergessen. Ich finde bloss nicht keinen Ansatz, an dem ich das, was ich für falsch halte festmachen kann.
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Darwin Upheaval
Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator



Anmeldungsdatum: 23.01.2004
Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden

Beitrag(#229040) Verfasst am: 16.12.2004, 17:09    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Klaus-Peter,

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
OK, man könnte die Frage auch etwas anders (sagen wir mal: "dawkins-gerechter") stellen: Welches Gen ist es denn, dessen Egoismus alle Säbelzahntiger aufgrund von Exzessivbildung in den Untergang trieb? Mr. Green

Witzige Antworten sind manchmal recht aufschlussreich. Du weisst sicher, dass diese Frage eine sehr dumme und Dawkins überhaupt nicht gerecht werdende ist, und hast sie nur aus Gründen des Effekts gebracht.


Jemand hat mal gesagt, daß es keine dummen Fragen gibt, höchtens dumme Antworten. Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr scheint mir, daß außer Dir selbst niemand Dawkins so recht verstanden hat - nicht einmal die Biologen vom Fach, die ihn kritisieren. Dawkins, der den Begriff vom "egoistischen Gen" erfunden hat, ist also ein "Systemdenker"... wirkt schon irgendwie komisch, meinst Du nicht? skeptisch

Aber es wäre vielleicht eine Frage für Lamarck, ob tatsächlich hunderte fachlich versierter Kritiker nur an Dawkins vorbeigeredet haben bzw. wer denn Dawkins nun eigentlich "richtig" verstanden hat.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Was den Säbelzahntiger in den Untergang trieb (wenn die These, dass es am exzessiv großen Säbelzahn lag, korrekt ist) war die spieltheoretische Gesamtsituation, die die an der Grösse des Zahnes beteiligten Gene dazu zwang, immer grössere Zähne zu entwickeln.


Sag' doch statt "spieltheoretisch" einfach "systemtheoretisch" und statt "Zwang" "constraints", dann sind wir uns einig. Von "Wortgeklingel" also keine Spur zwinkern


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
AFAIK entpuppten sich viele der vermeintlichen Anpassungen als "Präadaptationen".

Es wäre interessant, diese These an einem Beispiel einer vermuteten Präadaption zu untersuchen. Nach Meinung meiner Gewährsleute müssten Praäadaptionen äußertst selten sein und äußerst schwierig zu entdecken.


Eigentlich nicht. AFAIK wird heute davon ausgegangen, daß z.B. die ersten fünfstrahligen Extremitäten Präadaptationen waren. Wenn man einen Meeresbewohner findet, der sie besitzt, kann man davon ausgehen, daß es sich um eine solche handelt. Vermutlich kann Lamarck auch hierzu weitaus mehr sagen...


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Eigentlich erscheint mir dies trivial: Jede evolutive Neuheit ist (in statu nascendi) zunächst einmal nicht adaptiv. Entweder erweist sich das Merkmal dann in einer bestimmten Umwelt als nützlich ("adaptiv"), schädlich ("maladaptiv") oder schlicht belanglos ("selektionsneutral").

Richtig. Aber diese Neuheit wäre dann noch so klein und unscheinbar, dass man sie nicht entdecken würde, dass sie nur für die Selektion sichtbar ist.


Das wäre aber nur dann zutreffend, wenn es nur "kleine" Mutationen gäbe, die infolge positiver Selektion Schritt für Schritt zu größeren Unterschieden aufsummieren. Die Frage ist, ob diese Voraussetzungen immer gegeben sind. Hierzu ist das letzte Wort wohl noch lange nicht gesprochen.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Aber für "Goulds Gleichnis des Besoffenen" ist solches doch entbehrlich. Da fragt er nicht unbedingt nach Anpassung.


Klar. Allerdings könnte man den Begriff "Anpassung" ja auch weiter fassen im Sinne von "innerer" Passung.

Ich denke eher: Goulds Gleichnis vom Besoffenen ist ein Beispiel für ein Ergebnis, das nicht adaptiv ist. Genauso wie das Aussterben des Säbelzahntigers nicht adaptiv ist.


Genau. Wenn Exzessivbildungen nicht adaptiv sind, bedeutet das doch, daß die (Umwelt-) Selektion nicht der einzige richtende Faktor im Evolutionsgeschehen sein kann. Mehr wollte ich nicht sagen.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Eine Letalmutante wäre in diesem Sinn maladaptiv. Und ich vermute, daß der Besoffene im Rinnstein auch nicht von sich behaupten wird, soeben eine neue ökologische Nische erschlossen zu haben. Smilie

Eben. Adaptiv sind immer nur Dinge, die eine Funktion haben. Das Wort "maladaptiv" scheint mir aber sinnlos. Aussterben und im Rinnstein Liegen hat keine Funktion.


Naja, eine Funktion hat letztlich alles, was im epigenetischen System gehalten wird. Auch die sog. "rudimentären Organe" müssen eine wie auch immer geartete Funktion erfüllen - auch wenn sie nur darin besteht, daß ihr Vorhandensein die Expression von Genen bedingt, die für lebensnotwendige Funktionen verantwortlich sind.

Die Frage ist demnach nicht, ob etwas eine Funktion hat, sondern eher, wie man Funktionalität begründet. Zunächst einmal haben Merkmale eine innere Funktion, die externe Funktion ist immer nachgelagert. Das Problem der STE ist demnach, daß sie nur solche "nachgelagerte" Funktionen im Sinne eines bloßen "Fungierens" berücksichtigt. Man denke an den bekannten Kalauer, wonach die Nase nur deshalb evolvierte, weil sie uns das Tragen von Brillen ermöglicht. zwinkern


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
PS. Den Beitrag über die "Erklärung" habe ich nicht vergessen. Ich finde bloss nicht keinen Ansatz, an dem ich das, was ich für falsch halte festmachen kann.


Okay.

Grüße

Martin
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"Science is a candle in the dark." - Carl Sagan

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Klaus-Peter
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Anmeldungsdatum: 10.01.2004
Beiträge: 1534

Beitrag(#229088) Verfasst am: 16.12.2004, 19:21    Titel: Antworten mit Zitat

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Jemand hat mal gesagt, daß es keine dummen Fragen gibt, höchtens dumme Antworten. Aber je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr scheint mir, daß außer Dir selbst niemand Dawkins so recht verstanden hat - nicht einmal die Biologen vom Fach, die ihn kritisieren. Dawkins, der den Begriff vom "egoistischen Gen" erfunden hat, ist also ein "Systemdenker"... wirkt schon irgendwie komisch, meinst Du nicht? skeptisch

Du bist also der Meinung, Du hättest mit dieser Frage Dawkins angemessen erfasst? Das erklärt manches. Wenn Du mit Biologen vom Fach Gould meinst: Der hat den Witz an Dawkins Ansatz in der Tat nicht verstanden. Da bin ich mir nach Lektüre von "Illusion Fortschritt" sicher, und dazu muss man kein Biologe sein. Ich glaube wirklich, Du solltest dringend Dennett lesen. Der erklärt die Zusammenhänge hervorragend.

Zitat:
Aber es wäre vielleicht eine Frage für Lamarck, ob tatsächlich hunderte fachlich versierter Kritiker nur an Dawkins vorbeigeredet haben bzw. wer denn Dawkins nun eigentlich "richtig" verstanden hat.

Im Zweifelsfall ich. In aller Bescheidenheit. Das Problem der angeblich zahlreichen Biologen, die anscheinend Dawkins nicht verstanden haben (ich kenne eigentlich nur Gould und ein paar seiner Anhänger), ist wohl der, dass er zu viel Mathematik und Informatik reinsteckt. Und in der Tat, wenn etwas die Bezeichnung Systemdenke verdient, dann ist es der Ansatz des "egoistischen Gens".

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Was den Säbelzahntiger in den Untergang trieb (wenn die These, dass es am exzessiv großen Säbelzahn lag, korrekt ist) war die spieltheoretische Gesamtsituation, die die an der Grösse des Zahnes beteiligten Gene dazu zwang, immer grössere Zähne zu entwickeln.


Sag' doch statt "spieltheoretisch" einfach "systemtheoretisch" und statt "Zwang" "constraints", dann sind wir uns einig. Von "Wortgeklingel" also keine Spur zwinkern

Sind wir uns nicht, weil meine Behauptung eine direkte Folgerung aus der Tatsache ist, dass Gene den Phänotyp kausal hervorrufen und ich keine weitere Zusatzannahme brauche ("bookkeeping ist alles, was der Mensch braucht") und Du diese Behauptung eben gerade ablehnst. Man sollte nicht Gemeinsamkeiten konstatieren, wo keine sind.

Zitat:
AFAIK wird heute davon ausgegangen, daß z.B. die ersten fünfstrahligen Extremitäten Präadaptationen waren. Wenn man einen Meeresbewohner findet, der sie besitzt, kann man davon ausgehen, daß es sich um eine solche handelt. Vermutlich kann Lamarck auch hierzu weitaus mehr sagen...

Wie man das methodisch tun will, würde mich in der Tat interessieren. Ich kann es mir nicht vorstellen, wie das ginge (gerade deshalb interessiert es ich ja). Ich fürchte bloss, dass da Lamarck nicht viel dazu sagen kann, weil er bisher wenig gesagt hat, das ich als Argument verstehen würde.

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Aber diese Neuheit wäre dann noch so klein und unscheinbar, dass man sie nicht entdecken würde, dass sie nur für die Selektion sichtbar ist.


Das wäre aber nur dann zutreffend, wenn es nur "kleine" Mutationen gäbe, die infolge positiver Selektion Schritt für Schritt zu größeren Unterschieden aufsummieren. Die Frage ist, ob diese Voraussetzungen immer gegeben sind. Hierzu ist das letzte Wort wohl noch lange nicht gesprochen.

Das letzte Wort ist in der Wissenschaft nie gesprochen, und solche Beweise, die sogar kreationistenfest wären, gibt es eh nicht. Methodisch gesehen ist Hypothese der "kleinen Mutationen" die vernünftige Nullhypothese. Ich habe ja schon gesagt, wie man diese angreifen könnte: Indem man grosse Präadaptionen identifiziert.

Zitat:
Genau. Wenn Exzessivbildungen nicht adaptiv sind, bedeutet das doch, daß die (Umwelt-) Selektion nicht der einzige richtende Faktor im Evolutionsgeschehen sein kann. Mehr wollte ich nicht sagen.

Das habe ich nicht behauptet. Ich habe behauptet, dass das Aussterben (und das im Graben Landen) nicht adaptiv sind. Dass Elefanten gross und Bäume hoch sind, ist sehr wohl adaptiv. (Weil es in Form eines Wettrüstens untereinander stattfindet).

Zitat:
Naja, eine Funktion hat letztlich alles, was im epigenetischen System gehalten wird. Auch die sog. "rudimentären Organe" müssen eine wie auch immer geartete Funktion erfüllen - auch wenn sie nur darin besteht, daß ihr Vorhandensein die Expression von Genen bedingt, die für lebensnotwendige Funktionen verantwortlich sind.

Nein, das ist im Sinne des Wortes keine Funktion. Das ist ein funktionsloser Nebeneffekt. Für den wird entweder eine neue Funktion entdeckt, oder das Ding wird wegoptiniert (ausser es gibt Gegenkräfte, wie bbeim Wurmfortsatz, der ist quasi wieder funktional, indem er Entzündungen verhindert, dadurch dass er gross genug bleibt).

Zitat:
Die Frage ist demnach nicht, ob etwas eine Funktion hat, sondern eher, wie man Funktionalität begründet. Zunächst einmal haben Merkmale eine innere Funktion, die externe Funktion ist immer nachgelagert. Das Problem der STE ist demnach, daß sie nur solche "nachgelagerte" Funktionen im Sinne eines bloßen "Fungierens" berücksichtigt. Man denke an den bekannten Kalauer, wonach die Nase nur deshalb evolvierte, weil sie uns das Tragen von Brillen ermöglicht. zwinkern

Wir nähern uns womöglich dem Grundproblem: Das ist definitiv nicht der Begriff von Funktion, den man im Adaptionismus verwendet. Der von Dir verwednete Funktionsbegriff scheint mir eher ein Erklärungshindernis zu sein.

Gruss

KP
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Lamarck
Radikaler Konstruktivist



Anmeldungsdatum: 28.03.2004
Beiträge: 2148
Wohnort: Frankfurt am Main

Beitrag(#229249) Verfasst am: 17.12.2004, 04:09    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Klaus-Peter!

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
OK, man könnte die Frage auch etwas anders (sagen wir mal: "dawkins-gerechter") stellen: Welches Gen ist es denn, dessen Egoismus alle Säbelzahntiger aufgrund von Exzessivbildung in den Untergang trieb? Mr. Green

Witzige Antworten sind manchmal recht aufschlussreich. Du weisst sicher, dass diese Frage eine sehr dumme und Dawkins überhaupt nicht gerecht werdende ist, und hast sie nur aus Gründen des Effekts gebracht. Was den Säbelzahntiger in den Untergang trieb (wenn die These, dass es am exzessiv großen Säbelzahn lag, korrekt ist) war die spieltheoretische Gesamtsituation, die die an der Grösse des Zahnes beteiligten Gene dazu zwang, immer grössere Zähne zu entwickeln.


Die letzten Säbelzahnkatzen sind in Nordamerika erst vor Ende der letzten Eiszeit (vor ~ 10.000 Jahren) ausgestorben, die in Europa beheimateten Arten dagegen schon vor 40.000 Jahren. Bekannt ist ihre Existenz seit dem Oligozän, also seit etwa 34 Millionen Jahren. In Südamerika gab es gar einen ähnlich gestalteten Beutelsäuger. Das alles spricht nun nicht für die These: "Ausgestorben wg. Exzessivbildungen." Wenn hier wirklich eine Exzessivbildung vorliegen würde, hätte es nur ein entsprechendes Exemplar gegeben, das frühzeitig verstorben wäre. Auch dieser hier ist möglicherweise "mit der Gesamtsituation unzufrieden", aber er zeigt sich alles in allem nun bezüglich eines Aussterbens noch nicht so ganz überzeugt:




Gene sind nur in einem gewissen Kontext "sinn"voll. Da braucht das Gen auch nicht egoistisch zu sein. zwinkern


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
AFAIK entpuppten sich viele der vermeintlichen Anpassungen als "Präadaptationen".

Es wäre interessant, diese These an einem Beispiel einer vermuteten Präadaption zu untersuchen. Nach Meinung meiner Gewährsleute müssten Praäadaptionen äußertst selten sein und äußerst schwierig zu entdecken. Wenn Du also ein gutes Beispiel fürr Präadaption nennst, müsste ich womöglich den Dawkinismus aufgeben.


Die Probleme einer adaptationistischen Vorgehensweise habe ich ja schon zart angedeutet. Das wird mir dem Begriff "Präadaptation" nun nicht leichter. Das, was damit allgemein gemeint wird, kann viel besser mit dem Begriff Funktionswechsel (der organismischen Konstruktion) umschrieben werden.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Eigentlich erscheint mir dies trivial: Jede evolutive Neuheit ist (in statu nascendi) zunächst einmal nicht adaptiv. Entweder erweist sich das Merkmal dann in einer bestimmten Umwelt als nützlich ("adaptiv"), schädlich ("maladaptiv") oder schlicht belanglos ("selektionsneutral").

Richtig. Aber diese Neuheit wäre dann noch so klein und unscheinbar, dass man sie nicht entdecken würde, dass sie nur für die Selektion sichtbar ist.


Lustiger Satz:

SELEKTION hat folgendes geschrieben:
Ich sehe was, was Du nicht siehst ... .


Wenn Du Selektion nicht siehst, kannst Du auch nicht stichhaltig von Anpassung reden. Und vice versa. Und was ist in Deinem Sinne eine Neuheit?


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Aber für "Goulds Gleichnis des Besoffenen" ist solches doch entbehrlich. Da fragt er nicht unbedingt nach Anpassung.

Klar. Allerdings könnte man den Begriff "Anpassung" ja auch weiter fassen im Sinne von "innerer" Passung.

Ich denke eher: Goulds Gleichnis vom Besoffenen ist ein Beispiel für ein Ergebnis, das nicht adaptiv ist. Genauso wie das Aussterben des Säbelzahntigers nicht adaptiv ist.
Zitat:
Eine Letalmutante wäre in diesem Sinn maladaptiv. Und ich vermute, daß der Besoffene im Rinnstein auch nicht von sich behaupten wird, soeben eine neue ökologische Nische erschlossen zu haben. Smilie

Eben. Adaptiv sind immer nur Dinge, die eine Funktion haben. Das Wort "maladaptiv" scheint mir aber sinnlos. Aussterben und im Rinnstein Liegen hat keine Funktion.


Auch hier müsstest Du zunächst feststellen, was denn nun überhaupt eine Funktion hat. Um das Beispiel weiter aufzugreifen: Woher weißt Du denn, dass das liegen im Rinnstein ohne Funktion ist? Doch allein nur, weil Dir die Intention hier klar ist. Aber das könntest Du auch leicht ausweiten: Viellecht dient hier der Rinnstein irgendwie zur sexuellen Selektion? Die meisten Organismen sind übrigens nicht potentiell unsterblich. - Woran das wohl liegen mag?


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
PS. Den Beitrag über die "Erklärung" habe ich nicht vergessen. Ich finde bloss nicht keinen Ansatz, an dem ich das, was ich für falsch halte festmachen kann.


Vielleicht so: "Organismen passen sich passiv an ihre Umwelt an." - Richtig oder falsch?


Cheers,

Lamarck
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Klaus-Peter
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Anmeldungsdatum: 10.01.2004
Beiträge: 1534

Beitrag(#229299) Verfasst am: 17.12.2004, 11:43    Titel: Antworten mit Zitat

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Das alles spricht nun nicht für die These: "Ausgestorben wg. Exzessivbildungen." Wenn hier wirklich eine Exzessivbildung vorliegen würde, hätte es nur ein entsprechendes Exemplar gegeben, das frühzeitig verstorben wäre.

Wenn der Grund des Auussterbens keine Exzessivbildung war, dann ist meine Argumentation natürlich gegenstandslos. Deshalb schrieb ich ja wenn.

Zitat:
Gene sind nur in einem gewissen Kontext "sinn"voll. Da braucht das Gen auch nicht egoistisch zu sein. zwinkern

Solche Sätze legen die Vermutung nahe, dass Du nicht genau weisst, was die These vom egoistischen Gen besagt. Ich möchte fast wetten, Du kennst Dawkins nur aus kritischen Artikeln über ihn.

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
AFAIK entpuppten sich viele der vermeintlichen Anpassungen als "Präadaptationen".

Es wäre interessant, diese These an einem Beispiel einer vermuteten Präadaption zu untersuchen. Nach Meinung meiner Gewährsleute müssten Praäadaptionen äußertst selten sein und äußerst schwierig zu entdecken. Wenn Du also ein gutes Beispiel fürr Präadaption nennst, müsste ich womöglich den Dawkinismus aufgeben.


Zitat:
Die Probleme einer adaptationistischen Vorgehensweise habe ich ja schon zart angedeutet.

Ja, sehr zart und wenig überzeugend. Vor allem die Idee, das thermodynamische Chaos sei die optimale Anpassung, zeigt einen etwas eigenartigen Anpassungsbegriff, den Du anscheinend von Gutmann hast.

Zitat:
Das wird mir dem Begriff "Präadaptation" nun nicht leichter. Das, was damit allgemein gemeint wird, kann viel besser mit dem Begriff Funktionswechsel (der organismischen Konstruktion) umschrieben werden.

Ja, Bloss habe ich den unbestimmten VErdacht, dass Du etwas anderes damit meinst.

Zitat:
Wenn Du Selektion nicht siehst, kannst Du auch nicht stichhaltig von Anpassung reden. Und vice versa. Und was ist in Deinem Sinne eine Neuheit?

So etwas kannst Du immer erst hinterher. Ab wieviel Krümmung ist ein Stab ein Haken? Ab dem Moment, wo er zweifelsfrei die Funktion als Hakeb ausübt, kannst Du zurückgehen und schauen, wann die Eigenschaft "Hakigkeit" zum ersten Mal aufgetreten ist. So ist halt unser Erkenntnisvermögen beschaffen. Ein blinder Selektionsprozess würde daran schon "Prä-Hakigkeit erkennen, sobald es irgendeinen Vorteil gegenüber anderen Stäben hat, wenn irgendwas hängen bleibt.

Zitat:
Auch hier müsstest Du zunächst feststellen, was denn nun überhaupt eine Funktion hat. Um das Beispiel weiter aufzugreifen: Woher weißt Du denn, dass das liegen im Rinnstein ohne Funktion ist?

Weil es keinem Zweck dient. Es st natürlich klar, dass man den Zweck übersehen haben könnte, das ist das prinzipiell eProblem bei jeder Art von Erkenntnis.

Zitat:
Die meisten Organismen sind übrigens nicht potentiell unsterblich. - Woran das wohl liegen mag?

Das liegt daran, dass die Organismen keine Funktion mehr haben, nachdem sie Nachwuchs in die Welt gesetzt haben (Aus der Warte des Gens betrachtet sind sie nutzlos geworden. Investition in Langlebigkeit bringt den Gegen keine Vorteil - ausser bei komplexen Gesellschaften wie den unsrigen, wo die Jungen von den Alten was lernen können).

Zitat:
Vielleicht so: "Organismen passen sich passiv an ihre Umwelt an." - Richtig oder falsch?

Falsch. Anpassung ist ein aktiver Prozess, angetrieben vom "Interesse" der Gene.

Gruss

KP
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Anmeldungsdatum: 23.01.2004
Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden

Beitrag(#229370) Verfasst am: 17.12.2004, 14:45    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Klaus-Peter,

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Ich glaube wirklich, Du solltest dringend Dennett lesen. Der erklärt die Zusammenhänge hervorragend.


Kann sein, daß Dein Ratschlag auf ein paar Menschen, die nicht nur Dennett, sondern auch die einschlägigen Rezensionen zu Dennetts Buch gelesen haben, schon in der Vergangenheit befremdlich wirkte. Solange Du nicht zu einigen wichtigen Arbeiten und Rezensionen Stellungen bezogen hast (s.u.) oder sie einfach nur beiseite fegst und sterotyp wiederholst, man solle doch bitte Dennett lesen und gefälligst auch "richtig" verstehen, sehe ich keine sinnvollen Anknüpfungspunkte, um die Diskussion über Dawkins/Dennett zu vertiefen.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Aber es wäre vielleicht eine Frage für Lamarck, ob tatsächlich hunderte fachlich versierter Kritiker nur an Dawkins vorbeigeredet haben bzw. wer denn Dawkins nun eigentlich "richtig" verstanden hat.

Im Zweifelsfall ich. In aller Bescheidenheit.


Sorry, Du bist ebenso wenig (Fach-) Biologe wie ich. Und wenn sich ein ganzer Biologiezweig angesichts Dawkins und Dennetts "Erklärungen" ins Fäustchen lacht, vermute ich, daß Deine Selbsteinschätzung nicht ganz mit Deinem Fachwissen korrespondiert.

Thomas Waschke kann Dir sicherlich unter Bezugnahme auf zahlreiche Arbeiten verdeutlichen, wie komplex die ganze Materie (v.a. die Entwicklungsbiologie) ist. Einfach zu sagen, ICH und Dawkins/Dennett vertreten die richtige Sicht der Dinge, entspricht dem, was kürzlich jemand namens "Nuthouse" mit einem sehr treffenden Begriff belegt und von Dir höchstselbst als zutreffender Kommentar abgesegnet worden ist zwinkern


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Was den Säbelzahntiger in den Untergang trieb (wenn die These, dass es am exzessiv großen Säbelzahn lag, korrekt ist) war die spieltheoretische Gesamtsituation, die die an der Grösse des Zahnes beteiligten Gene dazu zwang, immer grössere Zähne zu entwickeln.


Sag' doch statt "spieltheoretisch" einfach "systemtheoretisch" und statt "Zwang" "constraints", dann sind wir uns einig. Von "Wortgeklingel" also keine Spur zwinkern

Sind wir uns nicht, weil meine Behauptung eine direkte Folgerung aus der Tatsache ist, dass Gene den Phänotyp kausal hervorrufen und ich keine weitere Zusatzannahme brauche ("bookkeeping ist alles, was der Mensch braucht") und Du diese Behauptung eben gerade ablehnst. Man sollte nicht Gemeinsamkeiten konstatieren, wo keine sind.


Das Problem ist, daß Du ein paar unproblematische Dinge problematisierst, um anderen ja nicht (wie war das: "nicht für alles GO(U)LD DER WELT?" zwinkern ) zustimmen zu müssen. Und was Du an den "Zusatzannahmen" zu bekritteln hast, ist mir noch immer schleierhaft. Denk doch mal über das nach, was ich Dir zum Thema "unvollständige mechanismische Erklärungen" geschrieben habe...


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
AFAIK wird heute davon ausgegangen, daß z.B. die ersten fünfstrahligen Extremitäten Präadaptationen waren. Wenn man einen Meeresbewohner findet, der sie besitzt, kann man davon ausgehen, daß es sich um eine solche handelt. Vermutlich kann Lamarck auch hierzu weitaus mehr sagen...

Wie man das methodisch tun will, würde mich in der Tat interessieren. Ich kann es mir nicht vorstellen, wie das ginge (gerade deshalb interessiert es ich ja). Ich fürchte bloss, dass da Lamarck nicht viel dazu sagen kann, weil er bisher wenig gesagt hat, das ich als Argument verstehen würde.


Nun, das muß nicht unbedingt nur an Lamarck liegen... Mr. Green

Nein, im Ernst: Es müßte doch mittlerweile klargeworden sein, daß bei jeder Mutante zunächst einmal die "innere" Funktion zählt. Das heißt, jede evolutionäre Neuheit entsteht aufgrund innerer Prinzipien und wird ebenso aufgrund innerer Prinzipien für tauglich oder für untauglich befunden. Die Frage der "äußeren" Tauglichkeit (Selektion durch das Außenmilieu) stellt sich zwar auch, ist der anderen Problematik aber deutlich nachgelagert. Lamarck hat die Sache schon richtig gesehen: Lebewesen passen sich aktiv an ihre Umwelt an, nicht passiv, wovon die STE ausgeht. Oder um es mit Deinem "Erzfeind" Gould auszudrücken:

Zitat:
Organisms are not billard balls, propelled by simple and measurable external factors to predictable new positions on life's pool table. Sufficiently complex systems have greater richness. Organisms have a history that constrains their future in myriad, subtile ways (...) Their complexity of form entails a host of functions incidental to whatever pressure of natural selection superintended the initial construction.


Gould, S.J. (1982): The Panda's Thumb. More Reflextions in Natural History. New York, London, S. 16


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Naja, eine Funktion hat letztlich alles, was im epigenetischen System gehalten wird. Auch die sog. "rudimentären Organe" müssen eine wie auch immer geartete Funktion erfüllen - auch wenn sie nur darin besteht, daß ihr Vorhandensein die Expression von Genen bedingt, die für lebensnotwendige Funktionen verantwortlich sind.

Nein, das ist im Sinne des Wortes keine Funktion. Das ist ein funktionsloser Nebeneffekt.


Du solltest Dich gelegentlich darüber informieren, wieviel und welche Funktionsbegriffe in der Biologie kursieren. Nur weil die STE einen davon aufschnappt und ihn verabsolutiert, bedeutet das nicht, daß es keine weiteren mehr gibt.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Für den wird entweder eine neue Funktion entdeckt, oder das Ding wird wegoptiniert (ausser es gibt Gegenkräfte, wie beim Wurmfortsatz, der ist quasi wieder funktional, indem er Entzündungen verhindert, dadurch dass er gross genug bleibt).


Das ist das köstliche an Dir und der STE: Euch fallen für alles irgendweldche "Darwinian stories" ein. Entzündungshemmung hin oder her: Wenn man davon ausgeht, daß mindestens jeder vierte Mensch ohne lebensrettende OP von einer akuten Blinddarmentzündung dahingerafft würde (ich selbst gehöre übrigens auch dazu), müßte klar sein, daß nach der STE ein extremer "Selektionsdruck" dieses Ding schon längst hätte ausmerzen müssen. Trotzdem ist dies nicht geschehen, was nur am epigenetischen System liegen kann. Die Liste suboptimaler Konstruktionen ließe sich im übrigen beliebig verlängern.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Die Frage ist demnach nicht, ob etwas eine Funktion hat, sondern eher, wie man Funktionalität begründet. Zunächst einmal haben Merkmale eine innere Funktion, die externe Funktion ist immer nachgelagert. Das Problem der STE ist demnach, daß sie nur solche "nachgelagerte" Funktionen im Sinne eines bloßen "Fungierens" berücksichtigt. Man denke an den bekannten Kalauer, wonach die Nase nur deshalb evolvierte, weil sie uns das Tragen von Brillen ermöglicht. zwinkern

Wir nähern uns womöglich dem Grundproblem: Das ist definitiv nicht der Begriff von Funktion, den man im Adaptionismus verwendet.


Ich fürchte, Du hast des Pudels Kern noch immer nicht verstanden: Noch einmal: es geht darum, inneren (Entwicklungs-) Prinzipien einen angemessenen Platz in der Erklärung einzuräumen. Die STE (genauer: der Adaptationismus) ist gegenüber solchen Prinzipien völlig "blind" und reduziert alles auf externe Faktoren. Solange die STE dies macht, ist sie hochgradig simplistisch, unvollständig und im Hinblick auf den Adaptationismus als "allein selig machendes Prinzip" einfach nur falsch. Lies doch bitte gelegentlich:

Gould, S.J.; Lewontin, R.C. (1979): The spandrels of San Marco and the Panglossian paradigm: a critique of the adaptationist programme. Proceedings of the Royal Society of London 205, 581-598.

Darin wird sehr schön erklärt, worin sich der Adaptationismus von entwicklungsbiologischen Erklärungen unterscheidet und warum die adaptationistische Erklärung nicht überzeugen kann. Es ist schlicht davon auszugehen, daß nicht die Umwelt, sondern das "innere" (epigenetische) System sowie die komplexen Regulationsmechanismen, die es hervorruft, den aktiven Part in der Selektion evolutiver Neuheiten übernimmt. Davon gehen heute alle Systembiologen aus. Wer das nicht versteht und in seinen Erklärungen entsprechend berücksichtigt, ist folglich keiner.

BTW, daß auch Dennett mit systemtheoretischen Gesichtspunkten nichts anzufangen weiß, hat er mit seinem Verriß der o.g. Arbeit von Gould & Lewontin hinreichend unter Beweis gestellt. Um das zu verstehen, müßtest Du allerdings die Rezension von Orr lesen, die Dir AFAIK schon einmal jemand ans Herz gelegt hat. Erstaunlich, daß Du seit damals Deinen Standpunkt nicht geändert hast...

Orr, H.A. (1996): Dennett's Strange Idea. Boston Review
http://www.bostonreview.net/BR21.3/Orr.html

Grüße

Martin
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Beitrag(#229381) Verfasst am: 17.12.2004, 16:24    Titel: Antworten mit Zitat

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Kann sein, daß Dein Ratschlag auf ein paar Menschen, die nicht nur Dennett, sondern auch die einschlägigen Rezensionen zu Dennetts Buch gelesen haben, schon in der Vergangenheit befremdlich wirkte.

Aber Du hast Dennett definitiv nicht gelesen. Oder irre ich mich? Und ob Thomas ihn gelesen hat, möchte ich angesichts seiner Äusserungen auch eher bezweifeln.

Zitat:
Solange Du nicht zu einigen wichtigen Arbeiten und Rezensionen Stellungen bezogen hast (s.u.) oder sie einfach nur beiseite fegst und sterotyp wiederholst, man solle doch bitte Dennett lesen und gefälligst auch "richtig" verstehen, sehe ich keine sinnvollen Anknüpfungspunkte, um die Diskussion über Dawkins/Dennett zu vertiefen.

Sorry, aber wenn man Dennett offensichtlichen Unsinn unterlegt, ist es wirklich sehr schwierig, etwas anderes als "das hat er nicht behauptet" zu sagen.

Zitat:
Sorry, Du bist ebenso wenig (Fach-) Biologe wie ich. Und wenn sich ein ganzer Biologiezweig angesichts Dawkins und Dennetts "Erklärungen" ins Fäustchen lacht, vermute ich, daß Deine Selbsteinschätzung nicht ganz mit Deinem Fachwissen korrespondiert.

Dass sich ein ganzer Zweig der Biologie (nämlich die, deren Biologie sich darauf beschränkt, zu zählen, wieviele Haare ein Käfer am Schniedel hat) mit dem analytischen Denken etwas schwer tut, habe ich schon während meines Studiums erfahren. Mit den anderen habe ich mich eigentlich immer ziemlich schnell geeinigt. Jedenfalls sind es nicht ddie biologischen Dinge, die von besagten Fachbiologen nicht verstanden werden. Offenbar hilft eine gewisse Grundbildung in Mathe und Informatik, um Dawkins besser zu verstehen.

Zitat:
Thomas Waschke kann Dir sicherlich unter Bezugnahme auf zahlreiche Arbeiten verdeutlichen, wie komplex die ganze Materie (v.a. die Entwicklungsbiologie) ist. Einfach zu sagen, ICH und Dawkins/Dennett vertreten die richtige Sicht der Dinge, entspricht dem, was kürzlich jemand namens "Nuthouse" mit einem sehr treffenden Begriff belegt und von Dir höchstselbst als zutreffender Kommentar abgesegnet worden ist zwinkern

Unterstelle mir keine Dinge, die ich nicht behauptet habe. Ich habe behauptet, dass ich Dennett und Dawkins verstanden habe. Nicht dass sie recht haben. Und dass ich die Kritik von Gould für unangemessen weil grob unverständig halte. Gould hat definitiv ein Problem mit der Mathematik (Sonst hätte er sein belangloses Baseball-Beispiel in "Illusion Fortschritt", dessen Pointe ein durchschnittlicher Mathematiker schon nach der ersten Schilderung des Problems sieht, nicht so maßlos aufgeblasen).

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Und was Du an den "Zusatzannahmen" zu bekritteln hast, ist mir noch immer schleierhaft.

Zusatzannahmen sind methodisch Mist. Sagte schon Herr Ockham. Weil Zusatzannahmen das Falsifizieren verhindern, und eine Immunisierung ermöglichen, wie ich später von Popper lernte. (Sprich Zusatzannahmen soll man erst verwenden, wenn der ursprüngliche Ansatz falsifiziert ist).

Zitat:
Denk doch mal über das nach, was ich Dir zum Thema "unvollständige mechanismische Erklärungen" geschrieben habe...

Wie ich schon sagte, halte ich das für falsch, kann es aber schwer fassen, weil irgendwelche Zusatzannahmen drinstecken, die ich nicht fassen kann. Wenn ich einen Zugang finde, werde ich was schreiben.

Zitat:
Es müßte doch mittlerweile klargeworden sein, daß bei jeder Mutante zunächst einmal die "innere" Funktion zählt. Das heißt, jede evolutionäre Neuheit entsteht aufgrund innerer Prinzipien und wird ebenso aufgrund innerer Prinzipien für tauglich oder für untauglich befunden. Die Frage der "äußeren" Tauglichkeit (Selektion durch das Außenmilieu) stellt sich zwar auch, ist der anderen Problematik aber deutlich nachgelagert.

Ich möchte diese Behauptung nicht für falsch erklären. Nur für methodisch komplett nutzlos. Das Reden von inneren Prinzipien ist heiße Luft, wenn man diese methodisch nicht fassen kann.

Zitat:
Lamarck hat die Sache schon richtig gesehen: Lebewesen passen sich aktiv an ihre Umwelt an, nicht passiv, wovon die STE ausgeht.

Wie ich ihm schon schrieb: Nach der Theorie des Genegoismus ist Anpassung etwas äusserst Aktives. Und der Motor dafür ist der Wettstreit miteinander konkurrierender Allele.

Zitat:
Oder um es mit Deinem "Erzfeind" Gould auszudrücken:

Zitat:
Organisms are not billard balls, propelled by simple and measurable external factors to predictable new positions on life's pool table. Sufficiently complex systems have greater richness. Organisms have a history that constrains their future in myriad, subtile ways (...) Their complexity of form entails a host of functions incidental to whatever pressure of natural selection superintended the initial construction.


Gould, S.J. (1982): The Panda's Thumb. More Reflextions in Natural History. New York, London, S. 16

Das ist es, was an Gould maßlos ärgerlich ist: Das Aufbauen von Strohmännern, die keiner vertritt, um sich selber besser als deren Bekämpfer in Szene zu setzen. Und damit ganze Fraktionen von Biologen zu verwirren.

Zitat:
Du solltest Dich gelegentlich darüber informieren, wieviel und welche Funktionsbegriffe in der Biologie kursieren. Nur weil die STE einen davon aufschnappt und ihn verabsolutiert, bedeutet das nicht, daß es keine weiteren mehr gibt.

Wieviele Funktionsbegriffe in der Biologie existieren, ist schnuppe. Jedenfalls kann man nicht den Funktionsbegriff des Adaptionismus damit kritisieren, dass irgendjemand anders einen anderen verwendet.

Zitat:
Das ist das köstliche an Dir und der STE: Euch fallen für alles irgendwelche "Darwinian stories" ein.

Richtig: Die einzig akzeptable Erklärung im Darwinismus ist die korrekte "darwinian story", nämlich die story, wie es wirklich war. Die einzige bekannte Methode, die "wahre" story zu finden, ist die, möglichst viele stories zu erfidnen, und die falschen wegzuschmeißen. Es sehe keinen akzeptablen Grund, warum man diese Vorgehensweise derartig abwerten sollte.

Zitat:
Entzündungshemmung hin oder her: Wenn man davon ausgeht, daß mindestens jeder vierte Mensch ohne lebensrettende OP von einer akuten Blinddarmentzündung dahingerafft würde (ich selbst gehöre übrigens auch dazu), müßte klar sein, daß nach der STE ein extremer "Selektionsdruck" dieses Ding schon längst hätte ausmerzen müssen. Trotzdem ist dies nicht geschehen, was nur am epigenetischen System liegen kann. Die Liste suboptimaler Konstruktionen ließe sich im übrigen beliebig verlängern.

Wenn es keinen überlebensfähigen Zwischenschritt zwischen dem langen Wurmfortsatz und dem fehlenen Wurmfortsatz gibt, dann kann der Selektionsdruck noch so gross sein, dann kann der Wurmfortsatz nicht wegselektiert werden. Darüber hinaus ist annzunehmen, dass der Wurmfortsatz noch eine weitere Funktion hat (die man noch finden muss). Zu behaupten, der Wurmfortsatz wäre da, weil die Zellen das halt nicht besser hinkriegen bei ihrer Wachserei, ist eine starke These, die mich sehr beindrucken würde, wenn es irgendwelche positiven Belege dafür gäbe. Solange es diese nicht gibt, ist es schlicht eine "just-so" Hypothese.

Zitat:
Gould, S.J.; Lewontin, R.C. (1979): The spandrels of San Marco and the Panglossian paradigm: a critique of the adaptationist programme. Proceedings of the Royal Society of London 205, 581-598.

Darin wird sehr schön erklärt, worin sich der Adaptationismus von entwicklungsbiologischen Erklärungen unterscheidet und warum die adaptationistische Erklärung nicht überzeugen kann.

Warum genau das in diesem Artikel nicht gezeigt wird, hat Dennett in seinem Buch sehr überzeugend dargelegt. Das war wohl der Grund für Orrs wütende Rezension.

Zitat:
BTW, daß auch Dennett mit systemtheoretischen Gesichtspunkten nichts anzufangen weiß, hat er mit seinem Verriß der o.g. Arbeit von Gould & Lewontin hinreichend unter Beweis gestellt. Um das zu verstehen, müßtest Du allerdings die Rezension von Orr lesen, die Dir AFAIK schon einmal jemand ans Herz gelegt hat. Erstaunlich, daß Du seit damals Deinen Standpunkt nicht geändert hast...

Orr, H.A. (1996): Dennett's Strange Idea. Boston Review
http://www.bostonreview.net/BR21.3/Orr.html

Orrs Rezension habe ich gelesen. Ich hätte mir vom Kopfschütteln beinahe eine Gehirnerschütterung geholt. Wie ich damit umgehen soll, dass die sehr überzeugende Antwort Dennetts darauf offenbar weder Dir noch Thomas einleuchtet, weiss ich nicht. Ich fürchte, da nützt es nicht viel, wenn ich auch noch meinen Senf dazugebe. Ich werde es aber trotzdem gelegentlich probieren, vor allem weil ich glaube, dass sich Orr mit seiner erneuten (nun wirklich bösartig-dummen) Replik böse blamiert hat - was Du aber offenbar auch anders siehst.

Gruss

KP
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El Schwalmo
Naturalistischer Ignostiker



Anmeldungsdatum: 06.11.2003
Beiträge: 9073

Beitrag(#229383) Verfasst am: 17.12.2004, 16:42    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Klaus-Peter,

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Kann sein, daß Dein Ratschlag auf ein paar Menschen, die nicht nur Dennett, sondern auch die einschlägigen Rezensionen zu Dennetts Buch gelesen haben, schon in der Vergangenheit befremdlich wirkte.

Aber Du hast Dennett definitiv nicht gelesen. Oder irre ich mich? Und ob Thomas ihn gelesen hat, möchte ich angesichts seiner Äusserungen auch eher bezweifeln.


Wie viele Bücher von Gould hast Du gelesen? Worauf stützt Du Dein Urteil über Gould? Wann bequemst Du Dich, den Unterschied zwischen book-keeping und Mechanismus zu verstehen? Was sagst Du zur Einschätzung Korthofs? Kommt mal was zu Orr?

Grüßle

Thomas
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Lamarck
Radikaler Konstruktivist



Anmeldungsdatum: 28.03.2004
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Wohnort: Frankfurt am Main

Beitrag(#229391) Verfasst am: 17.12.2004, 17:05    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Klaus-Peter!

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Das alles spricht nun nicht für die These: "Ausgestorben wg. Exzessivbildungen." Wenn hier wirklich eine Exzessivbildung vorliegen würde, hätte es nur ein entsprechendes Exemplar gegeben, das frühzeitig verstorben wäre.

Wenn der Grund des Auussterbens keine Exzessivbildung war, dann ist meine Argumentation natürlich gegenstandslos. Deshalb schrieb ich ja wenn.


Hier war es meine Absicht etwas geradezubiegen; dabei habe ich Martin noch "mitgenommen". Gleichzeitig habe ich doch damit noch einiges über Konstruktionsmorphologie übermittelt.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Gene sind nur in einem gewissen Kontext "sinn"voll. Da braucht das Gen auch nicht egoistisch zu sein. zwinkern

Solche Sätze legen die Vermutung nahe, dass Du nicht genau weisst, was die These vom egoistischen Gen besagt. Ich möchte fast wetten, Du kennst Dawkins nur aus kritischen Artikeln über ihn.


Mit mir jedenfalls solltest Du nicht unbedingt wetten. zwinkern Dawkins habe ich z. T. sogar mehrfach in meinen Regalen stehen (verschiedene Auflagen oder Sprachen).

Zwar wünscht Dawkins, "die Biologie sollte als ebenso aufregend wie eine Kriminalgeschichte empfunden werden" - womit ich mit ihm konform gehe - aber spätestens mit der reißerischen Titelwahl sind mit ihm die Pferde durchgegangen. Deswegen ist Dawkins auch genötigt, da und dort von Kritikern zu reden, die ihm "gar zu wörtlich" nehmen.


Zitat:
"Oberflächlich betrachtet scheinen aufeinanderfolgende Generationen von Stabheuschreckenkörpern eine Reihe von Kopien darzustellen. Wenn wir aber im Experiment ein Individuum in dieser Reihe verändern (beispielsweise indem wir ihm ein Bein entfernen), wird die Veränderung nicht an seine Nachkommen weitergegeben. Verändern wir dagegen experimentell ein Glied in einer Abfolge von Genomen (zum Beispiel durch Röntgenbestrahlung), so wird die Veränderung an die Folgegenerationen weitergegeben. Dies ist, eher als der fragmentierende Effekt der Meiose, der Hauptgrund für die Feststellung, daß der einzelne Organismus nicht die "Einheit der Selektion", also kein echter Replikator ist - eine der wichtigsten Konsequenzen der allgemein akzeptierten Tatsache, daß die Lamarcksche "Vererbungstheorie" falsch ist." (Dawkins, R. (1996): Das egoistische Gen. - 2. Aufl. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek, S. 432-433)


Dawkins vertritt hier 'nur' eine genzentrierte Betrachtungsweise - was nichts besonderes ist - originell ist hingegen die Verbindung mit der Soziobiologie und genau das hat ihm den gelegentlich geäußerten Vorwurf des 'Ultradarwinisten' eingebracht. Ich beschränke mich hier auf den ersteren Fall und bemerke zunächst: Wenn Dawkins Genzentrismus Yin ist, ist Gutmanns organismische Konstruktion Yang.

Es stellt sich hier allein die Frage, ob der Genzentrismus adäquat ist; wie sieht es im Vergleich hierzu mit Molekül, Protein, Individuum, Spezies, Population, Ökosystem oder gar Gaia aus?

In dem genannten Werk kommt übrigens nirgendwo der Begriff Anpassung vor; was nicht weiter verwunderlich ist, da Gene in dieser Betrachtungsweise als statisch angesehen werden müssen. Was vorliegt, ist aber nur eine Zeichenfolge, manifestiert in Sequenzmolekülen. Was nun ein Gen ist, wird nun statistisch bestimmt, sozusagen eine Homologie der Stabilität, vergleichbar mit den Ziffern und den Rest der Mathematik. Nach dem erfolgreichen Beschuss mit Röntgenstrahlung ist aber nun ein Gen nicht mehr das, was es vorher war. Ein Genzentrismus ist nur adäquat, falls sich dieser mit seinem Erklärungsanspruch eben nur auf die Genebene beschränkt (und wäre damit auch kein 'Zentrismus' mehr); für die Ebene der organismischen Konstruktion ist diese Haltung aber fehl am Platz. Hier wäre es nun unzulässiger Reduktionismus.

Womit Dawkins auf dieser Argumentationsbasis kaum zurechtkommen würde, wäre etwa somatische DNA, Krebs oder die Individualentwicklung. Was replizieren hier Replikatoren? - Jeder, der hier eine Antwort weiß, könnte genausogut das Atom als Replikator ansehen. Oder das Quant. Oder... .


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
AFAIK entpuppten sich viele der vermeintlichen Anpassungen als "Präadaptationen".

Es wäre interessant, diese These an einem Beispiel einer vermuteten Präadaption zu untersuchen. Nach Meinung meiner Gewährsleute müssten Praäadaptionen äußertst selten sein und äußerst schwierig zu entdecken. Wenn Du also ein gutes Beispiel fürr Präadaption nennst, müsste ich womöglich den Dawkinismus aufgeben.

Zitat:
Die Probleme einer adaptationistischen Vorgehensweise habe ich ja schon zart angedeutet.

Ja, sehr zart und wenig überzeugend. Vor allem die Idee, das thermodynamische Chaos sei die optimale Anpassung, zeigt einen etwas eigenartigen Anpassungsbegriff, den Du anscheinend von Gutmann hast.


Lachen Lachen Lachen

Du solltest nicht so leicht ins Blaue vermuten. Dann komm doch einfach mal rüber mit entsprechenden Definitionen und dann schaun mir mal, ob wir nicht noch ein paar eigenartige Anpassungsbegriffe finden ... .


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Das wird mir dem Begriff "Präadaptation" nun nicht leichter. Das, was damit allgemein gemeint wird, kann viel besser mit dem Begriff Funktionswechsel (der organismischen Konstruktion) umschrieben werden.

Ja, Bloss habe ich den unbestimmten VErdacht, dass Du etwas anderes damit meinst.


Nein.



Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Wenn Du Selektion nicht siehst, kannst Du auch nicht stichhaltig von Anpassung reden. Und vice versa. Und was ist in Deinem Sinne eine Neuheit?

So etwas kannst Du immer erst hinterher. Ab wieviel Krümmung ist ein Stab ein Haken? Ab dem Moment, wo er zweifelsfrei die Funktion als Hakeb ausübt, kannst Du zurückgehen und schauen, wann die Eigenschaft "Hakigkeit" zum ersten Mal aufgetreten ist. So ist halt unser Erkenntnisvermögen beschaffen. Ein blinder Selektionsprozess würde daran schon "Prä-Hakigkeit erkennen, sobald es irgendeinen Vorteil gegenüber anderen Stäben hat, wenn irgendwas hängen bleibt.


Offensichtlich siehst Du hier das zentrale Problem nicht. Zunächst: Nur Konstruktionen verfügen über Funktionen; d. h., die funktionale Betrachtungsweise ist immer sekundär. 'Neuheiten' kannst Du doch stufenlos auflösen bis bsw. zum Atom. Oder schau Dir zwei Menschen an und Du wirst selbst bei monozygotischen Zwillingen bei entsprechender Sorgfalt Unterschiede finden. Du kannst auch Allele betrachten. Wenn nun aber Selektion hier irgendwo ansetzen kann, aber nicht unbedingt muß, ist so eine kausale Begründung in Deinem Sinne nicht möglich. Mal abgesehen davon, das auch Du sehen wirst, ob an einem Stab etwas hängen bleibt oder nicht: Wie kommst Du also dazu, dies als genetisch-anpassungsselektiv zu deuten?


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Auch hier müsstest Du zunächst feststellen, was denn nun überhaupt eine Funktion hat. Um das Beispiel weiter aufzugreifen: Woher weißt Du denn, dass das liegen im Rinnstein ohne Funktion ist?

Weil es keinem Zweck dient. Es st natürlich klar, dass man den Zweck übersehen haben könnte, das ist das prinzipiell eProblem bei jeder Art von Erkenntnis.


Wie kannst Du denn etwas falsifizieren, ob etwas einen Zweck dient oder auch nicht?


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Die meisten Organismen sind übrigens nicht potentiell unsterblich. - Woran das wohl liegen mag?

Das liegt daran, dass die Organismen keine Funktion mehr haben, nachdem sie Nachwuchs in die Welt gesetzt haben (Aus der Warte des Gens betrachtet sind sie nutzlos geworden. Investition in Langlebigkeit bringt den Gegen keine Vorteil - ausser bei komplexen Gesellschaften wie den unsrigen, wo die Jungen von den Alten was lernen können).


Offenbar war es die freie Entscheidung der Gene, die Reproduktion auszusetzen? zwinkern

Ich weiß jetzt nicht, was Du unter langlebig verstehen willst, aber manche Organismen werden unter Umständen doch mehrere Tausend Jahre alt - reproduktiv, versteht sich. In Deinem Sinne müßten sich die Gene übrigens selbst in einem gewissen Wahn als nutzlos betrachten und daraufhin deprimiert ein wenig Suizid betreiben. Das wäre nun aber keine Umweltselektion. Teufel



Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Vielleicht so: "Organismen passen sich passiv an ihre Umwelt an." - Richtig oder falsch?

Falsch. Anpassung ist ein aktiver Prozess, angetrieben vom "Interesse" der Gene.


Okay. Das würde schon mal der Mehrheit der Vertreter der STE widersprechen. Dann weiter: Warum ist Anpassung aktiv und wo setzen da die Gene ein?


Cheers,

Lamarck
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„Nothing in Biology makes sense, except in the light of evolution.” (Theodosius Dobzhansky)

„If you can’t stand algebra, keep out of evolutionary biology.” (John Maynard Smith)

„Computers are to biology what mathematics is to physics.” (Harold Morowitz)
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Darwin Upheaval
Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator



Anmeldungsdatum: 23.01.2004
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Beitrag(#229412) Verfasst am: 17.12.2004, 18:30    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Lamarck,

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Das alles spricht nun nicht für die These: "Ausgestorben wg. Exzessivbildungen." Wenn hier wirklich eine Exzessivbildung vorliegen würde, hätte es nur ein entsprechendes Exemplar gegeben, das frühzeitig verstorben wäre.

Wenn der Grund des Auussterbens keine Exzessivbildung war, dann ist meine Argumentation natürlich gegenstandslos. Deshalb schrieb ich ja wenn.


Hier war es meine Absicht etwas geradezubiegen; dabei habe ich Martin noch "mitgenommen". Gleichzeitig habe ich doch damit noch einiges über Konstruktionsmorphologie übermittelt.


Die Exzessivbildung bei den Säbelzahntigern die (mutmaßlich) zu deren Aussterben führten war nur ein (fallibles zwinkern ) Beispiel - es werden sich andere finden lassen. Du kennst doch sicher auch etliche Arbeiten, in denen epigenetische Gründe für den Prozeß des Aussterbens verantwortlich gemacht werden. AFAIK hat Vrba (die Quelle müßte ich erst nachsehen) in dieser Richtung einiges geschrieben.


Lamarck hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Gene sind nur in einem gewissen Kontext "sinn"voll. Da braucht das Gen auch nicht egoistisch zu sein. zwinkern

Solche Sätze legen die Vermutung nahe, dass Du nicht genau weisst, was die These vom egoistischen Gen besagt. Ich möchte fast wetten, Du kennst Dawkins nur aus kritischen Artikeln über ihn.


Mit mir jedenfalls solltest Du nicht unbedingt wetten. zwinkern Dawkins habe ich z. T. sogar mehrfach in meinen Regalen stehen (verschiedene Auflagen oder Sprachen). Zwar wünscht Dawkins, "die Biologie sollte als ebenso aufregend wie eine Kriminalgeschichte empfunden werden" - womit ich mit ihm konform gehe - aber spätestens mit der reißerischen Titelwahl sind mit ihm die Pferde durchgegangen. Deswegen ist Dawkins auch genötigt, da und dort von Kritikern zu reden, die ihm "gar zu wörtlich" nehmen.


Was man Dawkins hier vorwerfen muß, ist, daß er erstens einen methodologischen Lapsus begangen hat. Wie Du selbst sagst, deckt sein "Genzentrismus" trivialerweise nur die genetische Ebene ab, erklärt aber das Verhalten der Supersysteme und den Prozeß ihrer Entstehung nicht oder allenfalls bruchstückhaft. Warum sich Dawkins nur auf "die unterste" Ebene konzentriert, aber all das, was eigentlich von Interesse wäre, konsequent aus seinen Erklärungen ausklammert, ist (vor allem aus heuristischer Sicht) einfach nicht zu begreifen.

Zweitens ist der Begriff vom "egoistischen Gen" vollkommen von der Rolle. Adäquat erscheint, wie AFAIK Mayr einmal gespöttelt hat, eine solche Ausdrucksweise allenfalls dem, der eine "genetische Bohnensack-Theorie" vertritt, wonach jedes Gen eine konkrete, distinkt unterscheidbare Aufgabe erfüllt. Sobald man sich aber klarmacht, daß Gene überhaupt nur im Zusammenspiel (sprich im "epigenetischen System") das bedingen, was man einen Phänotyp nennen kann, wird klar, daß es keine "egoistischen Aktionen" geben kann, weil ja auch eine "imitatorische Rückkopplungskausalität" ("Versklavung von oben her") existiert. Wie Mahner und Bunge erörtert haben, ist schon die ganze Terminologie von "egostischen Genen", "Design" etc. ontologisch mißformuliert. Wer ist denn da "egoistisch", wenn sich die Edukte in der Belousov-Zhabotinsky-Reaktion zu schnörkeligen Ringmustern organisieren? Mr. Green


Lamarck hat folgendes geschrieben:
Dawkins vertritt hier 'nur' eine genzentrierte Betrachtungsweise - was nichts besonderes ist - originell ist hingegen die Verbindung mit der Soziobiologie und genau das hat ihm den gelegentlich geäußerten Vorwurf des 'Ultradarwinisten' eingebracht. Ich beschränke mich hier auf den ersteren Fall und bemerke zunächst: Wenn Dawkins Genzentrismus Yin ist, ist Gutmanns organismische Konstruktion Yang.


Hmm... in gewisser Hinsicht hast Du Recht. Was Dawkins in die eine Richtung übertreibt, übertreibt Gutmann in die andere. Folglich ist nur ein Ansatz akzeptabel, der mehrere Systemebenen miteinander verbindet. Wessen Ansatz da wohl infragekommt...
idee


Lamarck hat folgendes geschrieben:
Womit Dawkins auf dieser Argumentationsbasis kaum zurechtkommen würde, wäre etwa somatische DNA, Krebs oder die Individualentwicklung. Was replizieren hier Replikatoren? - Jeder, der hier eine Antwort weiß, könnte genausogut das Atom als Replikator ansehen. Oder das Quant. Oder... .


Wenn Dawkins konsequent zuende gedacht hätte, hätte er gleich eine Theorie des "egostischen Quarks" präsentiert, das seit Bestehen des Universums nichts anderes tat, als seine Interessen durchzusetzen und sich so zu immer komplexeren Systemen zu organisieren... Pillepalle


Lamarck hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Wenn Du Selektion nicht siehst, kannst Du auch nicht stichhaltig von Anpassung reden. Und vice versa. Und was ist in Deinem Sinne eine Neuheit?

So etwas kannst Du immer erst hinterher. Ab wieviel Krümmung ist ein Stab ein Haken? Ab dem Moment, wo er zweifelsfrei die Funktion als Hakeb ausübt, kannst Du zurückgehen und schauen, wann die Eigenschaft "Hakigkeit" zum ersten Mal aufgetreten ist. So ist halt unser Erkenntnisvermögen beschaffen. Ein blinder Selektionsprozess würde daran schon "Prä-Hakigkeit erkennen, sobald es irgendeinen Vorteil gegenüber anderen Stäben hat, wenn irgendwas hängen bleibt.


Offensichtlich siehst Du hier das zentrale Problem nicht. Zunächst: Nur Konstruktionen verfügen über Funktionen; d. h., die funktionale Betrachtungsweise ist immer sekundär. 'Neuheiten' kannst Du doch stufenlos auflösen bis bsw. zum Atom. Oder schau Dir zwei Menschen an und Du wirst selbst bei monozygotischen Zwillingen bei entsprechender Sorgfalt Unterschiede finden. Du kannst auch Allele betrachten. Wenn nun aber Selektion hier irgendwo ansetzen kann, aber nicht unbedingt muß, ist so eine kausale Begründung in Deinem Sinne nicht möglich.


Kurzum: Evolutionäre Neuheiten sind zunächst immer nichtadaptiv, wenn sie entstehen. Und ich behaupte, daß die "evolutiven Neuheiten" in den meisten Fällen völlig belanglos im Hinblick auf das Außenmilieu sind. Welcher Saurier einen Rückenkamm oder verkümmerte Vorderextremitäten hat, läßt sich nur schwerlich durch die Umwelt begründen, weil sie "intern" ausgemacht wird. Daher werden sich die (meisten) neuen Morphen erst hinterher (also "aktiv") eine passende ökologische Nische suchen.


Lamarck hat folgendes geschrieben:
Mal abgesehen davon, das auch Du sehen wirst, ob an einem Stab etwas hängen bleibt oder nicht: Wie kommst Du also dazu, dies als genetisch-anpassungsselektiv zu deuten?


Das Problem scheint mir hier im "Fungieren", weniger in den "internen (An-) Passung" zu liegen. Mit etwas gutem Willen und Phantasie, fungiert alles für irgend etwas, so daß es der STE nie an nichtfalsifizierbaren "stories" mangeln wird. Notfalls verkrüppelten halt die Vorderextremitäten von T. Rex, um den Geschlechtspartner damit zu kitzeln, wie Gould & Lewontin so gekonnt spöttelten. Interessanter wird die Sache, wenn es um die interne Funktion geht. Nicht nur die Systemtheorie sondern auch Gutmann zeigen, daß es hier schon sinnvoll ist, sich Gedanken über sie zu machen. Vor allen Dingen, weil die Fragestellung im Rahmen von "EvoDevo" kausalanalytisch und experimentell Ausrufezeichen anzugehen und so im Prinzip hypothetico-deduktiv testbar ist...


Lamarck hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Auch hier müsstest Du zunächst feststellen, was denn nun überhaupt eine Funktion hat. Um das Beispiel weiter aufzugreifen: Woher weißt Du denn, dass das liegen im Rinnstein ohne Funktion ist?

Weil es keinem Zweck dient. Es st natürlich klar, dass man den Zweck übersehen haben könnte, das ist das prinzipiell eProblem bei jeder Art von Erkenntnis.


Wie kannst Du denn etwas falsifizieren, ob etwas einen Zweck dient oder auch nicht?


Nein, wie kannst Du es wagen, einen Falsifkationisten mit einer falsifkationistischen Frage in die Enge zu treiben... Mr. Green


Lamarck hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Die meisten Organismen sind übrigens nicht potentiell unsterblich. - Woran das wohl liegen mag?

Das liegt daran, dass die Organismen keine Funktion mehr haben, nachdem sie Nachwuchs in die Welt gesetzt haben (Aus der Warte des Gens betrachtet sind sie nutzlos geworden. Investition in Langlebigkeit bringt den Gegen keine Vorteil - ausser bei komplexen Gesellschaften wie den unsrigen, wo die Jungen von den Alten was lernen können).


Offenbar war es die freie Entscheidung der Gene, die Reproduktion auszusetzen? zwinkern

Ich weiß jetzt nicht, was Du unter langlebig verstehen willst, aber manche Organismen werden unter Umständen doch mehrere Tausend Jahre alt - reproduktiv, versteht sich. In Deinem Sinne müßten sich die Gene übrigens selbst in einem gewissen Wahn als nutzlos betrachten und daraufhin deprimiert ein wenig Suizid betreiben. Das wäre nun aber keine Umweltselektion. Teufel


Gröhl...


Lamarck hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Vielleicht so: "Organismen passen sich passiv an ihre Umwelt an." - Richtig oder falsch?

Falsch. Anpassung ist ein aktiver Prozess, angetrieben vom "Interesse" der Gene.


Okay. Das würde schon mal der Mehrheit der Vertreter der STE widersprechen.


Stimmt. Vor allen Dingen, wenn man Goulds Begründung in "Pandas Thumb" berücksichtigt.

Grüße

Martin
_________________
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El Schwalmo
Naturalistischer Ignostiker



Anmeldungsdatum: 06.11.2003
Beiträge: 9073

Beitrag(#229418) Verfasst am: 17.12.2004, 18:45    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Martin,

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Die Exzessivbildung bei den Säbelzahntigern die (mutmaßlich) zu deren Aussterben führten war nur ein (fallibles :wink: ) Beispiel


soll ich Dir zitieren, was Simpson dazu schrieb? Sinngemäß: die Viecher brauchten 30 Millionen Jahre, bis sie merkten, dass sie eine Exzessivbildung hatten.

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
- es werden sich andere finden lassen


Die 'Klassiker' sind, neben dem Säbelzahntiger der Irische Riesenelch und Gryphaea. Gould konnte zeigen, dass beim Elch ein ganz normales allometrisches Wachstum vorlag (die Tatsache, dass jahrelang Freudenfeuer mit fossilen Geweihen abgefackelt wurden oder ganze Zäune aus den Dingern gebaut wurden spricht auch nicht für ein Aussterben _wegen_ der Geweihe). Auch das Beispiel Gryphaea wurde AFAIK widerlegt.

Reif hat sich gewundert, warum die Anhänger der STE immer versuchten, diese Beispiele (und andere der an die 100 klassischen Evolutions'gesetze') zu integrieren anstatt zu hinterfragen, ob die Befunde überhaupt richtig interpretiert wurden.

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Du kennst doch sicher auch etliche Arbeiten, in denen epigenetische Gründe für den Prozeß des Aussterbens verantwortlich gemacht werden. AFAIK hat Vrba (die Quelle müßte ich erst nachsehen) in dieser Richtung einiges geschrieben.


Vrba hat IIRC die Effekthypothese vertreten. Keine Ahnung, ob die auch zu epigenetischen Gründen des Aussterbens was geschrieben hat.

Grüßle

Thomas
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Darwin Upheaval
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Anmeldungsdatum: 23.01.2004
Beiträge: 5491
Wohnort: Tief im Süden

Beitrag(#229430) Verfasst am: 17.12.2004, 19:07    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Thomas,

Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Die Exzessivbildung bei den Säbelzahntigern die (mutmaßlich) zu deren Aussterben führten war nur ein (fallibles zwinkern ) Beispiel


soll ich Dir zitieren, was Simpson dazu schrieb? Sinngemäß: die Viecher brauchten 30 Millionen Jahre, bis sie merkten, dass sie eine Exzessivbildung hatten.


Die Frage ist, ob Simpsons Spöttelei (gegen wen eigentlich?) den Kern seines Problems überhaupt berührt. Mit welchem "Druck der Umwelt" will er solche Exzessivbildungen begründen? Oder will man hier alles der "sexuellen Selektion" in die Schuhe schieben? Und was ist mit dem Aussterbeprozeß? Sind hierfür immer "ökologische Katastrophen" verantwortlich?

AFAIK diente und dient bis heute als "Paradebeispiel" für eine gradualistische Entwicklungsreihe die Pferde-Evolution. Gould hat in "Illusion Fortschritt" Simpson zitiert und dann zwei Grafiken dargestellt, die zeigt, wie wenig gradualistisch die Entwicklung in Wirklichkeit verläuft. IMAO zeigen schon diese "Sprünge" überdeutlich, daß das epigenetische System und nicht das Regime der Umwelt die Fäden in der Hand hat. Könnte das nicht auch für Aussterbeprozesse gelten?


[...]

Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Reif hat sich gewundert, warum die Anhänger der STE immer versuchten, diese Beispiele (und andere der an die 100 klassischen Evolutions'gesetze') zu integrieren anstatt zu hinterfragen, ob die Befunde überhaupt richtig interpretiert wurden.


Sorry, ich versteh' Dich nicht ganz. Nach dem, was Du oben geschrieben hast, sprechen doch diese Beispiele eher für die Erklärung der STE, wonach eben nicht der konstruktive Zwang, sondern eine "ökologische Katastrophe" zum Aussterben von Arten führt. Ich suche doch mit den Säbelzahnkatzen Beispiele, die dagegen sprechen. Kennst Du nun welche? Beim Irischen Riesenelch und Gryphaea hast Du das verneint.


Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Du kennst doch sicher auch etliche Arbeiten, in denen epigenetische Gründe für den Prozeß des Aussterbens verantwortlich gemacht werden. AFAIK hat Vrba (die Quelle müßte ich erst nachsehen) in dieser Richtung einiges geschrieben.


Vrba hat IIRC die Effekthypothese vertreten. Keine Ahnung, ob die auch zu epigenetischen Gründen des Aussterbens was geschrieben hat.


Hmmm... kann sein, daß ich da etwas falsch verstanden habe. Zielte die "Effekthypothese" nicht auf eine Erklärung ab, die "innere Prinzipien" als Ursache des Aussterbens ins Zentrum rückt?

Grüße

Martin
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Klaus-Peter
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Beitrag(#229644) Verfasst am: 18.12.2004, 14:33    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo Martin (und implizit auch Lamarck),

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Was man Dawkins hier vorwerfen muß, ist, daß er erstens einen methodologischen Lapsus begangen hat. Wie Du selbst sagst, deckt sein "Genzentrismus" trivialerweise nur die genetische Ebene ab, erklärt aber das Verhalten der Supersysteme und den Prozeß ihrer Entstehung nicht oder allenfalls bruchstückhaft. Warum sich Dawkins nur auf "die unterste" Ebene konzentriert, aber all das, was eigentlich von Interesse wäre, konsequent aus seinen Erklärungen ausklammert, ist (vor allem aus heuristischer Sicht) einfach nicht zu begreifen.

Entschuldige, aber das ist Unsinn. Wie gross die Reichweite der Gene ist, kannst Du in "The Extended Phenotype" nachlesen. Selbst die Tatsache, dass Biber Dämme bauen und wie sie dies tun, ist in deren Genen verankert. Ich kann Dir versichern, das ist zu begreifen, wenn man sich anstrengt.

Zitat:
Zweitens ist der Begriff vom "egoistischen Gen" vollkommen von der Rolle. Adäquat erscheint, wie AFAIK Mayr einmal gespöttelt hat, eine solche Ausdrucksweise allenfalls dem, der eine "genetische Bohnensack-Theorie" vertritt, wonach jedes Gen eine konkrete, distinkt unterscheidbare Aufgabe erfüllt.

Auch das ist falsch. Sollte Mayr sich so ausgedrückt haben, wäre das peinlich für Mayr, aber ob seines Alters verzeihlich. Analytik lässt mit dem Alter nach. Wenn ich meine eigene Performance extrapoliere, ist anzunehmen, dass ich solche Fehler in 30 Jahren auch mache. Der Begriff egoistisch ist definiert für eine einzelne Replikator-Einheit. Diese ist egoistisch, wenn sie danach "strebt" sich möglichst oft identisch zu replizieren. Das ist eine eindeutige Definition, und die Bezeichnung "egoistisch" für diesen Umstand eine treffende Metapher, nicht mehr und nicht weniger.

Zitat:
Sobald man sich aber klarmacht, daß Gene überhaupt nur im Zusammenspiel (sprich im "epigenetischen System") das bedingen, was man einen Phänotyp nennen kann, wird klar, daß es keine "egoistischen Aktionen" geben kann, weil ja auch eine "imitatorische Rückkopplungskausalität" ("Versklavung von oben her") existiert.

Wie Du weisst, stehe ich der Idee einer Top-down-Kausalität durchaus aufgeschlossen gegenüber. Aber so geht das nicht! Der Fehler: Egoistische Einzelgene (im o.a. Sinne) werden und müssen kooperieren, da sie "in einem Boot sitzen", weil sie sich durch den selben Ausgang (Die Keimbahn) vermehren. Ein Gen konkurriert also primär mit den Genen, die an der selben Stelle im Boot sitzen (seinen Allelen) und wird in erster Näherung mit den anderen kooperieren - ausser er kannn auf Kosten der andereneinen Vorteil erringen. (das macht er natürlich unbewusst, er vermehrt sich nur. Das ist wieder eine rein spieltheoretisch zu untersuchende Sache. Mit der muss man sich beschäftigen, anstatt das mit oberflächlichen Gemeinplätzen abzutun.

Zitat:
Wie Mahner und Bunge erörtert haben, ist schon die ganze Terminologie von "egostischen Genen", "Design" etc. ontologisch mißformuliert. Wer ist denn da "egoistisch", wenn sich die Edukte in der Belousov-Zhabotinsky-Reaktion zu schnörkeligen Ringmustern organisieren? Mr. Green

Haben die das behauptet? Das klingt nicht gut für Mahner und Bunge.

Zitat:
Wenn Dawkins konsequent zuende gedacht hätte, hätte er gleich eine Theorie des "egostischen Quarks" präsentiert, das seit Bestehen des Universums nichts anderes tat, als seine Interessen durchzusetzen und sich so zu immer komplexeren Systemen zu organisieren... Pillepalle

Jetzt wird es wirklich peinlich. Der Begriff "Egoismus" lässt sich ausschliesslich für Replikatoren verwenden. Ein Quark ist kein Replikator.

Zitat:
Kurzum: Evolutionäre Neuheiten sind zunächst immer nichtadaptiv, wenn sie entstehen.

Das ist trivial. Sonst wäre es keine Neuheit.

Zitat:
Und ich behaupte, daß die "evolutiven Neuheiten" in den meisten Fällen völlig belanglos im Hinblick auf das Außenmilieu sind.

Diese Behauptung schreit nach einer Begründung.

Zitat:
Welcher Saurier einen Rückenkamm oder verkümmerte Vorderextremitäten hat, läßt sich nur schwerlich durch die Umwelt begründen, weil sie "intern" ausgemacht wird. Daher werden sich die (meisten) neuen Morphen erst hinterher (also "aktiv") eine passende ökologische Nische suchen.

Wie sucht ein Morph?

Zitat:
Mit etwas gutem Willen und Phantasie, fungiert alles für irgend etwas, so daß es der STE nie an nichtfalsifizierbaren "stories" mangeln wird. Notfalls verkrüppelten halt die Vorderextremitäten von T. Rex, um den Geschlechtspartner damit zu kitzeln, wie Gould & Lewontin so gekonnt spöttelten.

Spott kann auch entlarven.

Zitat:
Interessanter wird die Sache, wenn es um die interne Funktion geht. Nicht nur die Systemtheorie sondern auch Gutmann zeigen, daß es hier schon sinnvoll ist, sich Gedanken über sie zu machen. Vor allen Dingen, weil die Fragestellung im Rahmen von "EvoDevo" kausalanalytisch und experimentell Ausrufezeichen anzugehen und so im Prinzip hypothetico-deduktiv testbar ist...

Klingelingeling.
[...]
Den Rest skippe ich vorsichthalber, ...

Halt das noch:

Zitat:
Lamarck hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Vielleicht so: "Organismen passen sich passiv an ihre Umwelt an." - Richtig oder falsch?

Falsch. Anpassung ist ein aktiver Prozess, angetrieben vom "Interesse" der Gene.


Okay. Das würde schon mal der Mehrheit der Vertreter der STE widersprechen.


Stimmt. Vor allen Dingen, wenn man Goulds Begründung in "Pandas Thumb" berücksichtigt.

Wie kann eine Aussage von Gould etwas bestätigen, was angeblich die Mehrheit der STE Vertreter glaubt? Ist Gould deren Sprecher? Ich bestreite übrigens schlicht, dass die Mehrheit widersprechen würde.

Fazit: Ich fände es schon dringend erforderlich, das Konzept des "egoistischen Gens" etwas besser zu durchdringen, statt hier bloß auf den unzutreffenden Vorurteilen herumzuhacken.

Gruß

KP
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Klaus-Peter
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Beitrag(#230549) Verfasst am: 20.12.2004, 18:49    Titel: Antworten mit Zitat

Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Wie viele Bücher von Gould hast Du gelesen?

Ich weiss zwar nicht, was die Frage, ob ich Gould gelesen oder verstanden habe, mit der Frage zu tun hat, ob Du Dennett gelesen und verstanden hast. Aber ich habe genau gleichviele Bücher von Gould gelesen wie von Dennett: 3.

Zitat:
Worauf stützt Du Dein Urteil über Gould?

Hauptsächlich auf seine Artikel mit Lewontin (Die Spandrillen und das abgebrochene Gleichgewicht). Und auf das, was viele seiner Anhänger glauben, dass er in diesen Artikeln gezeigt hat: Nämlich, dass er angeblich gezeigt habe, dass Gradualismus und Adaptionismus falsch wären.

Zitat:
Wann bequemst Du Dich, den Unterschied zwischen book-keeping und Mechanismus zu verstehen?

Ich denke, ich habe ihn verstanden. Dieser "Unterschied" ist zunächst eine Behauptung. Nämlich die Behauptung der Gouldianer, die Gene seien nicht kausal für den evolutionären Erfolg oder Misserfolg eines Lebewesens verantwortlich, und man bräuchte da noch zusätzliche kausale Mechanismen. Den Beweis bleibt er schuldig, da man die geheimnisvollen Mechanismen noch nicht kennt. Ich stelle mit einer gewissen Verwunderung fest, dass, wie es aussieht, alle meine drei Opponenten hier im Thread den Primat der Gene bei der kausalen Entwicklung eines Lebewesens in Frage stellen. Lysenko lässt grüßen.

Zitat:
Was sagst Du zur Einschätzung Korthofs?

Was soll ich dazu sagen? Ich teile sie: "Dennett durchdringt die Evolutionstheorie philosophisch und stellt ihre Begriffe in einen erkenntnistheoretischen Kontext. Wem das zu analytisch ist und wer lieber zählt, wieviele Haare ein Käfer am Schniedel hat, dem wird das Buch nicht gefallen." Korthoff schreibt weiter, dass man etwas anderes von einem Philosophen auch nicht erwarten sollte. (Ich gehe davon aus, dass die Wortverdopplung in "don't expect facts facts from a philosopher" ein Tippfehler ist - ausser es wäre holländisch-englisch und hätte noch irgendeine Spezialbedeutung, die ich nicht kenne).

Zitat:
Kommt mal was zu Orr?

Ja.

Gruß

KP
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El Schwalmo
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Beitrag(#230568) Verfasst am: 20.12.2004, 19:36    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Klaus-Peter,

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Wie viele Bücher von Gould hast Du gelesen?

Ich weiss zwar nicht, was die Frage, ob ich Gould gelesen oder verstanden habe, mit der Frage zu tun hat, ob Du Dennett gelesen und verstanden hast.


es sollte nur dezent andeuten, dass Deine Blitze in der Hand nicht dem Donner Deines Mundes adäquat sind. Aber das hatten wir schon.

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Aber ich habe genau gleichviele Bücher von Gould gelesen wie von Dennett: 3.


Danke für die Information.

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Worauf stützt Du Dein Urteil über Gould?

Hauptsächlich auf seine Artikel mit Lewontin (Die Spandrillen und das abgebrochene Gleichgewicht).


Der Plural ist interessant. Zudem scheinst Du auch noch Artikel und nicht nur Bücher gelesen zu haben. 'Abgebrochene Gleichgewichte' ist eine interessante Übertragung. Wo hast Du die gelesen?

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Und auf das, was viele seiner Anhänger glauben, dass er in diesen Artikeln gezeigt hat: Nämlich, dass er angeblich gezeigt habe, dass Gradualismus und Adaptionismus falsch wären.


Seine Anhänger scheinen nicht gerade selten zu sein. Sowohl Gradualismus als auch Adaptationismus sind durchaus nicht Konsens.

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Wann bequemst Du Dich, den Unterschied zwischen book-keeping und Mechanismus zu verstehen?

Ich denke, ich habe ihn verstanden.


Darauf, dass Du das denkst, können wir uns einigen.

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Dieser "Unterschied" ist zunächst eine Behauptung. Nämlich die Behauptung der Gouldianer, die Gene seien nicht kausal für den evolutionären Erfolg oder Misserfolg eines Lebewesens verantwortlich, und man bräuchte da noch zusätzliche kausale Mechanismen.


Genau. EvoDevo beispielsweise.

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Den Beweis bleibt er schuldig, da man die geheimnisvollen Mechanismen noch nicht kennt. Ich stelle mit einer gewissen Verwunderung fest, dass, wie es aussieht, alle meine drei Opponenten hier im Thread den Primat der Gene bei der kausalen Entwicklung eines Lebewesens in Frage stellen. Lysenko lässt grüßen.


Mitschurin hast Du vergessen?

Vergiss eins nicht: Dawkins zeigt gar nicht die _Wirkung_ der Gene, sondern deren _Transmission_. Vielleicht solltest Du das gelegentlich bedenken. Dann wird Dir vielleicht klarer, was 'book-keeping' bedeuten könnte.

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Was sagst Du zur Einschätzung Korthofs?

Was soll ich dazu sagen? Ich teile sie: "Dennett durchdringt die Evolutionstheorie philosophisch und stellt ihre Begriffe in einen erkenntnistheoretischen Kontext. Wem das zu analytisch ist und wer lieber zählt, wieviele Haare ein Käfer am Schniedel hat, dem wird das Buch nicht gefallen." Korthoff schreibt weiter, dass man etwas anderes von einem Philosophen auch nicht erwarten sollte. (Ich gehe davon aus, dass die Wortverdopplung in "don't expect facts facts from a philosopher" ein Tippfehler ist - ausser es wäre holländisch-englisch und hätte noch irgendeine Spezialbedeutung, die ich nicht kenne).[/quote]

Du erfreust Dich am Zuckerguss, ich sehe die bittere Pille.

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Kommt mal was zu Orr?

Ja.


Bin gespannt. Vermutlich hat Orr Dennett auch nur nicht verstanden.

Grüßle

Thomas
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Darwin Upheaval
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Beitrag(#230598) Verfasst am: 20.12.2004, 20:25    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Klaus-Peter,

[...]

Vielleicht ein Tip: Lies mal die Kritik von Mahner/Bunge an Dawkins Genzentrismus. Die dürfte vielleicht auch für Dich ganz interessant sein. Neben philosophischen Einwänden ist auch ein biologischer Einwand dabei, den man IMAO nicht einfach von der Hand weisen kann. Bei Bedarf (muß mal sehen, ob ich das morgen noch schaffe...) kann ich Dir gerne die Stelle nachliefern. Thomas kann sie Dir aber auch heraussuchen.

Grüße

Martin
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El Schwalmo
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Beiträge: 9073

Beitrag(#230606) Verfasst am: 20.12.2004, 20:40    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Martin,

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Thomas kann sie Dir aber auch heraussuchen


da Klaus-Peter davon ausgeht, dass wer Dennett kritisiert, ihn nicht verstanden hat, sehe ich eigentlich wenig Sinn dahinter.

Mahner, M.; Bunge, M. (2000) 'Philosophische Grundlagen der Biologie' Berlin; mult., Springer

Die Kritik an Dennett findet man auf S. 339 f

Ob DNA das 'primum movens' ist auf S. 281 f

Keine Ahnung, ob er das liest.

Klaus-Peter hat mir schon mal vorgeworfen, dass ich mich hinter Literatur verstecke, daher habe ich darauf verzichtet, ihm noch ein paar Kritiken des Ansatzes von Dawkins oder gar Dennett zu nennen. Er soll erst mal anhand des Orr-Artikels zeigen, was ihm dazu einfällt.

Grüßle

Thomas
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Beiträge: 1534

Beitrag(#230626) Verfasst am: 20.12.2004, 21:08    Titel: Antworten mit Zitat

Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
es sollte nur dezent andeuten, dass Deine Blitze in der Hand nicht dem Donner Deines Mundes adäquat sind. Aber das hatten wir schon.

Um zu wissen, dass Gould Probleme mit der Logik hat, reicht es, "Illusion Fortschritt" zu lesen. Seine außerordentlichen Detailkenntnisse habe ich nie angezweifelt.

Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Worauf stützt Du Dein Urteil über Gould?

Hauptsächlich auf seine Artikel mit Lewontin (Die Spandrillen und das abgebrochene Gleichgewicht).


Der Plural ist interessant.

Ja, ich habe Eldredge verschluckt. Und jetzt?

Zitat:
'Abgebrochene Gleichgewichte' ist eine interessante Übertragung. Wo hast Du die gelesen?

Die habe ich mir selber erlaubt. Um die Künstlichkeit des von Gould gesetzten Satzzeichens anzudeuten. Es war despektierlich gemeint.
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Und auf das, was viele seiner Anhänger glauben, dass er in diesen Artikeln gezeigt hat: Nämlich, dass er angeblich gezeigt habe, dass Gradualismus und Adaptionismus falsch wären.


Seine Anhänger scheinen nicht gerade selten zu sein. Sowohl Gradualismus als auch Adaptationismus sind durchaus nicht Konsens.

Das weiss ich. Wenn der Dis-Konsens allerdings nur auf Goulds Artikel beruht, dann steht er auf arg dünnen Beinen. Denn selbstverständlich widerlegt ein unterbrochenes Gleichgewicht keinesfalls den Gradualismus. Es würde höchstens einen Gleichgeschwindigkeitsevolutionsismus widerlegen, den aber meines Wissens kein vernünftiger Mensch je behauptet hat.
Zitat:

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Dieser "Unterschied" ist zunächst eine Behauptung. Nämlich die Behauptung der Gouldianer, die Gene seien nicht kausal für den evolutionären Erfolg oder Misserfolg eines Lebewesens verantwortlich, und man bräuchte da noch zusätzliche kausale Mechanismen.


Genau. EvoDevo beispielsweise.

Auch für Evo-Devo sind die Gene kausal. Dass die biochemischen Prozesse, mit Hilfe derer aus DNA schliesslich ein Phänotypus entsteht, äusserst komplex sind (und erst langsam verstanden werden) will ich gerne zugeben (ich wüsste auch nicht, wer je anderes behauptet hat).

Aber auch wenn man diese Zusammenhänge nicht kennt, bleibt eines wahr, und das ist das Entscheidende: Wenn man ein Allel durch ein anderes ersetzt, dann hat dieses einen statistischen Einfluss auf die mittlere Fitness der jeweils entstehenden Lebewesen, was dann zurückwirkend wieder einen Effekt auf die Häufigkeit des Allels hat. Die Effekte werden unterschiedlich sein, je nach innerer und äußerer Umgebung, das ist die Selektion. Damit ist der Zusammenhang zwischen evolutionärem Vorteil des Allels und der Umgebung streng kausal, ohne dass ich die genauen Mechanismen dazwischen (das "Evo-Devo") kennen müsste, um das zu konstatieren. Evo-Devo bleibt ein interessantes Gebiet, aber irrelevant für die Kausalität der zugrundeliegenden evolutionären Mechanismen. Genau genommen sind die von uns entdeckten Evo-Devo-Mechanismen nur Menschenwerk, während Gene auch ohne unser Zutun "objektiv" existieren.

Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Vergiss eins nicht: Dawkins zeigt gar nicht die _Wirkung_ der Gene, sondern deren _Transmission_. Vielleicht solltest Du das gelegentlich bedenken. Dann wird Dir vielleicht klarer, was 'book-keeping' bedeuten könnte.

Das ist explizit falsch. Die Entwicklung eines Armes oder eines Auges ist kausal auf die Wirkung der daran beteiligten Gene zurückzuführen. Das ist die Kernaussage der Genetik, und nur diese braucht man. Diese Kernaussage der Genetik bleibt wahr, auch wenn man die höchstkomplexen biochemischen Prozesse noch nicht kennt. (Sie war schon wahr, als Fischer die Idee hatte, wie man Darwin und Mendel unter einen Hut bekommen könnte, obwohl noch kein Mensch die Cricksche Entdeckung vorherahnen konnte.). Die Transmission der Gene ist eine direkte Konsequenz ihrer Wirkung.

[quote="Thomas Waschke"]
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
"Korthof"...
Du erfreust Dich am Zuckerguss, ich sehe die bittere Pille.

Das dürfte mit unseren Vorlieben zu tun haben. Haare und so, ...zwinkern

Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Kommt mal was zu Orr?

Ja.


Bin gespannt. Vermutlich hat Orr Dennett auch nur nicht verstanden.

In der Tat, darauf läuft es letztlich hinaus.

Gruss

KP
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Lamarck
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Anmeldungsdatum: 28.03.2004
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Beitrag(#230663) Verfasst am: 20.12.2004, 22:27    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Klaus-Peter!

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Auch das ist falsch. Sollte Mayr sich so ausgedrückt haben, wäre das peinlich für Mayr, aber ob seines Alters verzeihlich. Analytik lässt mit dem Alter nach. Wenn ich meine eigene Performance extrapoliere, ist anzunehmen, dass ich solche Fehler in 30 Jahren auch mache.


Aber hallo! Mit anderen Worten: Mayr als debiler alter Tattergreis ist deswegen sowieso nicht ernst zu nehmen und dies ist nun auch auf gar keinen Fall ( Lachen ) ein argumentum ad hominem, denn es wird auch Dir wohl passieren. Allerdings aber erst in 30 Jahren und bis dahin hast Du uneingeschränkt und grundsätzlich recht!


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Ich stelle mit einer gewissen Verwunderung fest, dass, wie es aussieht, alle meine drei Opponenten hier im Thread den Primat der Gene bei der kausalen Entwicklung eines Lebewesens in Frage stellen. Lysenko lässt grüßen.


Und jetzt bemühst Du auch noch Lyssenko ("Gene sind unsozialistisch") zu Deiner "Unterstützung." - Usw., usf.

Nicht, das ich nun besonders empfindlich wäre - da bin ich aus dem politischen Raum doch schon ganz andere Dinge gewohnt. Und das Dein Stil nun nicht der allerbeste ist, wird Dir sicherlich auch schon da und dort aufgegangen sein. Ich verstehe nur nicht, warum Dir nicht klar ist, das Du Dich so selbst demontierst. Und dieser Negativ-Eindruck wird selbst dann nicht verblassen, wenn Du "nebenbei" eine nobelpreisverdächtige Argumentation anbringst.


Cheers,

Lamarck
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El Schwalmo
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Beiträge: 9073

Beitrag(#230669) Verfasst am: 20.12.2004, 22:40    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Klaus-Peter,

[ ... ]


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:

Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Kommt mal was zu Orr?

Ja.


Bin gespannt. Vermutlich hat Orr Dennett auch nur nicht verstanden.

In der Tat, darauf läuft es letztlich hinaus.


ich denke, wir sollten uns darauf konzentrieren. Vielleicht wird dann der Rest deutlicher.

BTW, jetzt fehlt noch Martin Neukamm. Dann hat Dir jeder gesagt, was zum Stil Deiner Postings zu sagen ist. Und zwei von uns dreien dürften sich in Genetik mindestens so gut auskennen wie Du.

Grüßle

Thomas
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Beiträge: 1534

Beitrag(#230812) Verfasst am: 21.12.2004, 02:06    Titel: Antworten mit Zitat

Lamarck hat folgendes geschrieben:
Hi Klaus-Peter!

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Auch das ist falsch. Sollte Mayr sich so ausgedrückt haben, wäre das peinlich für Mayr, aber ob seines Alters verzeihlich. Analytik lässt mit dem Alter nach. Wenn ich meine eigene Performance extrapoliere, ist anzunehmen, dass ich solche Fehler in 30 Jahren auch mache.


Aber hallo! Mit anderen Worten: Mayr als debiler alter Tattergreis ist deswegen sowieso nicht ernst zu nehmen und dies ist nun auch auf gar keinen Fall ( Lachen ) ein argumentum ad hominem, denn es wird auch Dir wohl passieren. Allerdings aber erst in 30 Jahren und bis dahin hast Du uneingeschränkt und grundsätzlich recht!

Auch hier hast Du unrecht. Das "ad hominem" hat derjenige gebracht, der hier Mayr als Autorität zitiert. Ich war lediglich nicht in der Lage, die Authentizität des Zitates zu überprüfen. Ich glaube nach wie vor, dass Mayr so einen Unsinn nicht behauptet. Und wenn doch, wäre es ob seines Alters verzeihlich. Mehr habe ich nicht behauptet.

Zitat:
Und jetzt bemühst Du auch noch Lyssenko ("Gene sind unsozialistisch") zu Deiner "Unterstützung." - Usw., usf.

Nicht, das ich nun besonders empfindlich wäre - da bin ich aus dem politischen Raum doch schon ganz andere Dinge gewohnt. Und das Dein Stil nun nicht der allerbeste ist, wird Dir sicherlich auch schon da und dort aufgegangen sein. Ich verstehe nur nicht, warum Dir nicht klar ist, das Du Dich so selbst demontierst. Und dieser Negativ-Eindruck wird selbst dann nicht verblassen, wenn Du "nebenbei" eine nobelpreisverdächtige Argumentation anbringst.

Entweder man akzeptiert die Genetik oder nicht. Ich habe in der Tat den Eindruck, als ob ihr alle drei die Genetik nicht akzeptiert. Ob das zu sagen unfein ist oder nicht, ist mir ziemlich wurst. Nur kann ich nicht erkennen, wie jemand die Ergebnisse der Genetik akzeptieren und gleichzeitig so einen Unsinn über "Genreduktionismus" schreiben kann. Das ist für mich eine Frage der Konsistenz, nicht der Höflichkeit.

Da übrigens Wahrheit keine Frage der Mehrheitsentscheidungen ist: Hat eigentlich einer von Euch schon mal seine interessanten Thesen einem Experten vorgelegt? (Was sagt zum Beispiel ein Kutschera zu den hier von Thomas und Martin vorgetragenen Thesen über Evolution - von den Lamarckschen mal ganz zu schweigen).

Gruß

KP
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El Schwalmo
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Beitrag(#230836) Verfasst am: 21.12.2004, 06:50    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Klaus-Peter

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Entweder man akzeptiert die Genetik oder nicht. Ich habe in der Tat den Eindruck, als ob ihr alle drei die Genetik nicht akzeptiert.


als Nicht-Biologe sitzt Du auf einem verdammt hohen Ross. Was heißt denn 'Genetik akzeptieren' in concreto?

Zeige mir gelegentlich das Gen, das bestimmt, wo beim Embryo 'vorn' ist. Oder das, welches die Papillarleisten der Fingerbeere codiert, oder meinethalben den fetten Hintern beim Schaf.

Grüßle

Thomas
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Darwin Upheaval
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Anmeldungsdatum: 23.01.2004
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Beitrag(#230948) Verfasst am: 21.12.2004, 12:59    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Thomas,

Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
BTW, jetzt fehlt noch Martin Neukamm. Dann hat Dir jeder gesagt, was zum Stil Deiner Postings zu sagen ist.


Sorry, mir ist es zu dumm, mich mit Anhängern eines "Vulgär-Darwinismus" herumzustreiten, denen außer ad hominen-Argumenten nichts einfällt, sobald man ihnen Arbeiten ans Herz legt, von denen sie lernen könnten. Wenn KP meint, daß Gene alles sind und epigenetische Mechanismen "von Menschen gemacht" Geschockt, und daß es genügt, alle offenen Fragen der Evolution mit ein paar grotesk-oberflächlichen "darwinian stories, angesicht deren Popper schon das Grausen gepackt hat, vom Tisch zu fegen, soll er mit der Meinung glücklich werden.

AFAIK bestand die Grundidee des Falsifikationismus darin, eine Theorie nicht bis zum letzten mit Hilfshypothesen (hier: darwinian stories) zu immunisieren, sondern (darin besteht IMAO der Sinn der Forschung) den theoretischen Rahmen stetig zu überarbeiten. Wenn statt dessen für jede Anomalie, die die STE im Prinzip falsifizieren könnte, eine selektionistische Pseudo-Erklärung ausgepackt wird, bleibt die Theorie natürlich statisch, womit es zu keiner Erweiterung der STE kommt. Unter diesem Vorzeichen kann ich schon verstehen, daß Popper die Selektionstheorie als "fast tautologisch" bezeichnet hatte.

Glücklicherweise pfeifen es aber schon die Spatzen von den Dächern, daß die STE unvollkommene mechanismische Erklärungen liefert, weil sie Organismen auf einzelne Merkmale oder Gene reduziert und nur die Organismus/Umwelt-Wechselwirkung unter Vernachlässigung der innere Struktur berücksichtigt. Viele Biologen wissen daher, daß wir tiefere Erklärungen brauchen und dazu an einer Revision der STE arbeiten müssen. Aber auf KPs Reaktion auf mein Posting (Stichwort: mechanismische Erklärung) warte ich bis heute.

In diesem Sinne... frohes Fest und guten Rutsch! Prost

Grüße

Martin
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Wohnort: Tief im Süden

Beitrag(#230958) Verfasst am: 21.12.2004, 13:41    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Thomas,

OK, einer geht noch...

Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Entweder man akzeptiert die Genetik oder nicht. Ich habe in der Tat den Eindruck, als ob ihr alle drei die Genetik nicht akzeptiert.


als Nicht-Biologe sitzt Du auf einem verdammt hohen Ross. Was heißt denn 'Genetik akzeptieren' in concreto?

Zeige mir gelegentlich das Gen, das bestimmt, wo beim Embryo 'vorn' ist. Oder das, welches die Papillarleisten der Fingerbeere codiert, oder meinethalben den fetten Hintern beim Schaf.


Oder das Gen, welches die vordere Hirnwindung in der Wernicke-Region codiert... zwinkern

Interessant ist, daß Dawkins dauernd behauptet, keinen "gefräßigen Reduktionismus" zu vertreten. Wenn er jedoch ausgerechnet das Gen zum Angriffspunkt der Selektion macht, ist das IMAO nichts anderes, als ein unhaltbarer Mikroreduktionismus. Mahner und Bunge haben sich dazu ja klar geäußert: Weder replizieren sich Gene von selbst, noch sind diese für sich betrachtet Gegenstand der Selektion. Selektiert und repliziert wird immer der Organismus. Jeder sollte sich daher im Klaren darüber sein, daß die Aussage "Gen x hat Selektionskoeffizient y", eine Vereinfachung ist. Genauso gut könnte man jedes x-beliebige Subsystem eines Organismus als "Gegenstand der Selektion" sowie als "Replikator" auffassen, um dann in Dawkinscher Manier etwa folgendes zu behaupten:

Zitat:
"selektiert werden hochevolvierte Gehirne, die das egoistische Interesse haben, sich so zu strukturieren, um möglichst häufig repliziert zu werden..."


Von Dawkins' Ontologie, die nur wieder einmal mehr im Gewand des Platonismus daherkommt, will ich gar nicht erst anfangen. Warum Gene keine Interessen haben können, Dawkins in Wahrheit nicht "Gene", sondern "Gensorten" meint (wobei ein immaterieller Sortenbegriff schwerlich egoistisch handeln kann), kann KP bei Bedarf selber nachlesen. Mr. Green

Grüße

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Beitrag(#230963) Verfasst am: 21.12.2004, 14:12    Titel: Antworten mit Zitat

Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
als Nicht-Biologe sitzt Du auf einem verdammt hohen Ross. Was heißt denn 'Genetik akzeptieren' in concreto?

Das heisst ganz konkret, dass man den Eindruck hat, als ob ihr der Meinung seid, die Gene seien nicht kausal dafür verantwortlich, wie der Phänotypus eines Lebewesens aussieht. Als ob im Einfluss der Umwelt noch irgendetwas wäre, das über den Zufall hinausgeht.

Zitat:
Zeige mir gelegentlich das Gen, das bestimmt, wo beim Embryo 'vorn' ist. Oder das, welches die Papillarleisten der Fingerbeere codiert, oder meinethalben den fetten Hintern beim Schaf.

Selbstverständlich gibt es kein Gen, das definiert, wo beim Embryo vorne ist. Weil man das nicht braucht. Dagegen gibt es garantiert ein Gen oder mehrere, die für die Dicke des Hinterns bei Schafen kausal verantwortlich sind - herausfindbar dadurch, dass Schafe, bei denen andere Allele an entsprechenden Stellen sitzen, signifikant dünnere Ärsche hätten.

Bei den Fingerkuppen dürfte die Wahrheit dazwichen sitzen: Gewisse Grundmuster sind genetisch festgelegt, der Rest ist getrieben von Zufälligkeiten während der Entwicklung. Ich möchte wetten, dass eine weitaus höhere Festlegung möglich wäre, wenn es evolutionär erforderlich wäre - beim Gesicht geht es ja auch, wo eine hohe Familienähnlichkeit vorhanden ist. Wobei ich da nicht sicher bin, ob das an den Genen liegt, die die Gesichtsform festlegen, oder an denen, die dafür sorgen, dass unser Gehirn besonders gut im Mustererkennen von Gesichtern ist, und die Familienähnlichkeit nur ein Nebeneffekt der Tatsache, dass man nahe verwandt ist. Womöglich besteht bei Fingerkuppen und Ärschen eine ähnliche Familienähnlichkeit, die wir bloss nicht so leicht erkennen, weil unser Gehirn auf Gesichter geht.

Gruß

KP
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Klaus-Peter
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Beitrag(#230972) Verfasst am: 21.12.2004, 14:46    Titel: Antworten mit Zitat

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Sorry, mir ist es zu dumm, mich mit Anhängern eines "Vulgär-Darwinismus" herumzustreiten, denen außer ad hominen-Argumenten nichts einfällt, sobald man ihnen Arbeiten ans Herz legt, von denen sie lernen könnten. Wenn KP meint, daß Gene alles sind und epigenetische Mechanismen "von Menschen gemacht" Geschockt, und daß es genügt, alle offenen Fragen der Evolution mit ein paar grotesk-oberflächlichen "darwinian stories, angesicht deren Popper schon das Grausen gepackt hat, vom Tisch zu fegen, soll er mit der Meinung glücklich werden.

Vielleicht könntest Du von mir auch was lernen. Dazu müsstest Du Dir allerdings abgewöhnen, meine Aussagen so grotesk zu verdrehen. Dass epigenetische Mechanismen oder überhaupt alles, was wir in der Biochemie an Erfindungen der Natur entdecken, eigentlich lediglich Rekonstruktionen des Menschen sind, Übersetzungen des menschlichen Ingenieurs in seine menschliche Denkweise, gehört zu den tieferen Einsichten, die ich bei Dennett gewonnen habe, und die Du von mir hättest lernen können.


Zitat:
AFAIK bestand die Grundidee des Falsifikationismus darin, eine Theorie nicht bis zum letzten mit Hilfshypothesen (hier: darwinian stories) zu immunisieren, sondern (darin besteht IMAO der Sinn der Forschung) den theoretischen Rahmen stetig zu überarbeiten. Wenn statt dessen für jede Anomalie, die die STE im Prinzip falsifizieren könnte, eine selektionistische Pseudo-Erklärung ausgepackt wird, bleibt die Theorie natürlich statisch, womit es zu keiner Erweiterung der STE kommt. Unter diesem Vorzeichen kann ich schon verstehen, daß Popper die Selektionstheorie als "fast tautologisch" bezeichnet hatte.

Das ist Unsinn. Eine "Darwinian Story" ist keine immunisierende Hilfshypothese. Im Gegenteil. Es gibt eine und nur eine Erklärung für (z.B.) die Geissel des Bakteriums E. Coli: Diese Erklärung bestünde in genau der wahren "Darwinian Story" des E. Coli, in der tatsächlichen Entwicklungsgeschichte von der geissellosen Bakterie (oder was immer der Vorläufer war) zur begeisselten. Im Übrigen sind genau die "Darwinian Stories" das, was den Selektionismus falsifizierbar macht. Und gibt nun auch endlich den Ansatz für Deine mechanismische Erklärung: Du scheinst zu meinen, wenn Du den genauen biochenischen Mechanismus kennen würdest, nach dem sich aus der DNA eine Bakteriengeissel entwickelt, dann hättest Du die Evolution verstanden. Hättest Du aber natürlich nicht: Ohne die historischen Zwischenschritte (die darwiniam story) hast Du nichts über die Evolution erfahren. Die Biochemie der DNA bis zum Phänotypus mag interessant sein. Aber sie lehrt uns nichts über die Evolution. Weil man nämlich davon ausgehen muss, dass jeder einzelne entschlüsselte biochemische Mechanismus eine eigenständige Erfindung der Gene ist - es sei denn, sie verwenden erfolgreiche Mechanismen wieder - was sie häufig tun, was man aber wieder nur über die Historie aufklären kann.

Gruß

KP
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Beitrag(#230991) Verfasst am: 21.12.2004, 15:35    Titel: Antworten mit Zitat

Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Interessant ist, daß Dawkins dauernd behauptet, keinen "gefräßigen Reduktionismus" zu vertreten.

Wenn man versteht, was Dawkins behauptet, dann sieht man leicht, dass er keinen gefräßigen Rduktionismus vertritt.

Zitat:
Wenn er jedoch ausgerechnet das Gen zum Angriffspunkt der Selektion macht, ist das IMAO nichts anderes, als ein unhaltbarer Mikroreduktionismus.

Dawkins tut das nicht. Der Angriffspunkt der Selektion ist der Phänotyp. Gene programmieren ihre Phänotypen, was dazu führt, dass Gene, die erfolgreiche Phänotypen programmieren später zahlreicher sind.

Zitat:
Mahner und Bunge haben sich dazu ja klar geäußert: Weder replizieren sich Gene von selbst, noch sind diese für sich betrachtet Gegenstand der Selektion. Selektiert und repliziert wird immer der Organismus.

Selbstverständlich replizieren Gene sich nicht selber, sondern bauen ihre Replikationsmaschinen. Und selbstverständlich (siehe oben) werden nicht die Gene selektiert, sondern der Organismus. Die Selektion des Organismus schlägt aber sofort und direkt nach unten durch - zu den Genen. Nur erfolgreiche Organismen bringen ihre Gene in die nächste Runde. Aber selbstverständlich werden nicht Organismen repliziert. Diese Idee ist grottenfalsch. Es gibt keine denkbare Äquivalenzrelation zwischen zwei Organismen, die es erlauben würde, von Replikation von Organismen zu sprechen. Jeder Organismus ist anders. Die einzige sinnvolle Äquivalenzrelation ist die zwischen zwei Genen. Zwei Gene sind äquivalent, wenn sie Basenpaar für Basenpaar identisch sind. Das und nur das ist ja der Witz am Dawkinsschen Ansatz, und das ist der Grund, warum das ganze als Erklärung funktioniert.

Zitat:
Jeder sollte sich daher im Klaren darüber sein, daß die Aussage "Gen x hat Selektionskoeffizient y", eine Vereinfachung ist. Genauso gut könnte man jedes x-beliebige Subsystem eines Organismus als "Gegenstand der Selektion" sowie als "Replikator" auffassen, um dann in Dawkinscher Manier etwa folgendes zu behaupten:

Zitat:
"selektiert werden hochevolvierte Gehirne, die das egoistische Interesse haben, sich so zu strukturieren, um möglichst häufig repliziert zu werden..."

Das ist Unsinn. Es gibt auch keine sinnvolle Äquivalenzrelation zwischen Gehirnen. Es gibt überhaupt keine sinnvollen Äquivalenzrelationen zwischen irgendwelchen Subsystemen eines Organismus, die es erlauben würden, diese als Replkator aufzufassen. Das erste, das sich wieder als Replikator eignen würde, sind die Meme: Zwei Meme sind äquivalent, wenn der Konsens aller qualifiziert Urteilenden Mesnchen sie für äquivalent hält. (Beispiel: Das Mem "ta ta ta taaaaa" aus der 5. Symphonie von Beethoven. Das erkennt man gesummt, gepfiffen, gespielt, oder sogar hier tonlos aufgeschrieben).

Zitat:
Von Dawkins' Ontologie, die nur wieder einmal mehr im Gewand des Platonismus daherkommt, will ich gar nicht erst anfangen.

Das dürfte eine schlimme Fehlinterprtation sein. Ich kann keinen Platonismus erkennen. Die erwähnte Äquivalenzrelation zwischen Genen hat mit Platonismus aber auch gar nichts zu tun. Ich wüsste nicht, was man sonst als Platonismus bezeichnen wollte.

Zitat:
Warum Gene keine Interessen haben können, Dawkins in Wahrheit nicht "Gene", sondern "Gensorten" meint (wobei ein immaterieller Sortenbegriff schwerlich egoistisch handeln kann), kann KP bei Bedarf selber nachlesen. Mr. Green

Ich kenne in der Tat Dawkins Genbegriff. Ich weiss allerdings nicht genau, was Du mit "Sorte" meinst. Zwei Gene sind nur dann identisch, wenn sie Basenpaar für Basenpaar identisch sind. Ein Allel, das auch nur an einer Stelle abbweicht, ist ein Konkurrent des ursprünglichen Gens, der mit ihm um die Replikation konkurriert, weil sie vermutlich in den entsprechenden Lebewesen an der selben Stelle sitzen. Das ist der entscheidende Motor der Evolution: Die Konkurrenz nah verwandter Gene.

Dass ein Replikator, qua seiner Natur, sich so verhält, als hätte er das Interesse, sich möglichst oft zu vermehren, (weshalb man ihn egoistisch nennen könnte), ist eine triviale mathematische Folgerung seiner Eigenschaft, Replikator zu sein. Ich frage mich wirklich, was daran so schwer zu verstehen ist, dass jeder immer wieder davon anfängt.

Gruß

KP
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El Schwalmo
Naturalistischer Ignostiker



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Beitrag(#231001) Verfasst am: 21.12.2004, 16:05    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Klaus-Peter,

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
als Nicht-Biologe sitzt Du auf einem verdammt hohen Ross. Was heißt denn 'Genetik akzeptieren' in concreto?

Das heisst ganz konkret, dass man den Eindruck hat, als ob ihr der Meinung seid, die Gene seien nicht kausal dafür verantwortlich, wie der Phänotypus eines Lebewesens aussieht. Als ob im Einfluss der Umwelt noch irgendetwas wäre, das über den Zufall hinausgeht.


exakt. Falls Du das Ganze zwischen zwei Buchdeckeln haben möchtest:

West-Eberhard, M.J. (2003) 'Developmental Plasticity and Evolution' Oxford; mult., Oxford University Press

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Zeige mir gelegentlich das Gen, das bestimmt, wo beim Embryo 'vorn' ist. Oder das, welches die Papillarleisten der Fingerbeere codiert, oder meinethalben den fetten Hintern beim Schaf.

Selbstverständlich gibt es kein Gen, das definiert, wo beim Embryo vorne ist.


Warum 'selbstverständlich'?

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Weil man das nicht braucht.


Warum nicht?

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Dagegen gibt es garantiert ein Gen oder mehrere, die für die Dicke des Hinterns bei Schafen kausal verantwortlich sind - herausfindbar dadurch, dass Schafe, bei denen andere Allele an entsprechenden Stellen sitzen, signifikant dünnere Ärsche hätten.


Du kommst doch an Spektrum heran. Dort steht das ganz genau:

Gibbs, W.G. (2004) 'DNA ist nicht alles. Teil II: Epigenetik' Spektrum (3):68-75

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Bei den Fingerkuppen dürfte die Wahrheit dazwichen sitzen: Gewisse Grundmuster sind genetisch festgelegt, der Rest ist getrieben von Zufälligkeiten während der Entwicklung. Ich möchte wetten, dass eine weitaus höhere Festlegung möglich wäre, wenn es evolutionär erforderlich wäre - beim Gesicht geht es ja auch, wo eine hohe Familienähnlichkeit vorhanden ist.


Ups.

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Wobei ich da nicht sicher bin, ob das an den Genen liegt, die die Gesichtsform festlegen, oder an denen, die dafür sorgen, dass unser Gehirn besonders gut im Mustererkennen von Gesichtern ist, und die Familienähnlichkeit nur ein Nebeneffekt der Tatsache, dass man nahe verwandt ist. Womöglich besteht bei Fingerkuppen und Ärschen eine ähnliche Familienähnlichkeit, die wir bloss nicht so leicht erkennen, weil unser Gehirn auf Gesichter geht.


Hübsches Beispiel für 'darwinian stories'.

Klaus-Peter, ganz ehrlich, dieses Posting hättest Du besser gelassen.

Grüßle

Thomas
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Klaus-Peter
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Beiträge: 1534

Beitrag(#231075) Verfasst am: 21.12.2004, 19:27    Titel: Antworten mit Zitat

Thomas Waschke hat folgendes geschrieben:
Klaus-Peter, ganz ehrlich, dieses Posting hättest Du besser gelassen.

Du bist ein interessantes Beispiel für einen, der vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht. Keines Deiner Beispiele widerlegt die kleinste Kleinigkeit von dem was ich gesagt habe. Der Gibbs-Artikel ist ein faszinierendes Beispiel dafür, dass man mit Entschlüsselung der DNA noch lange nicht alle Details der Vererbung kennt. Gene, die nicht in der DNA sitzen, sind wirklich interessant. Eine Deutung dieser Gene als parasitäre Gene, die sich im Laufe der Zeit an ihren Wirt angepasst haben (weil sie mit ihm den Vererbungs-Bottleneck teilen) und mit ihren Wirtsgenen kooperieren, ist übrigens voll mit der Theorie vom egoistischen Gen kompatibel. Spieltheoretisch würde man genau so ein Verhalten voraussagen.

Gruß

KP
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Darwin Upheaval
Evo-Devo-Darwinist & Wissenschaftskommunikator



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Beiträge: 5491
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Beitrag(#231078) Verfasst am: 21.12.2004, 19:30    Titel: Antworten mit Zitat

Hi Klaus-Peter,

Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Martin Neukamm hat folgendes geschrieben:
Interessant ist, daß Dawkins dauernd behauptet, keinen "gefräßigen Reduktionismus" zu vertreten.

Wenn man versteht, was Dawkins behauptet, dann sieht man leicht, dass er keinen gefräßigen Rduktionismus vertritt.

Zitat:
Wenn er jedoch ausgerechnet das Gen zum Angriffspunkt der Selektion macht, ist das IMAO nichts anderes, als ein unhaltbarer Mikroreduktionismus.

Dawkins tut das nicht. Der Angriffspunkt der Selektion ist der Phänotyp.


Dir ist doch bekannt, daß Dawkins die Gene als fundamentale Einheiten der Selektion betrachtet und in Organismen lediglich "Behälter" sieht, die von den "egoistischen" Genen (Replikatoren) als "Vermehrungsmaschine" (Vehikel) mißbraucht werden. Die Replikation von Genmaterial kann aber nicht im "Interesse" der "Replikatoren" selbst liegen, weil Replikation rein gar nichts mit dem "Überleben" dieser Replikatoren zu tun hat: Ein repliziertes Gen A ist eben eine Kopie dieses Gens und nicht dasselbe Gen. Was sich mit anderen Worten bei den Nachkommen wiederfindet, ist nicht das konkrete Gen XY, sondern der Gen(o)typus also dieselben Klassen (Sorten) von Genen. Hier muß man sich eben im Klaren darüber sein, daß Begriffe wie "überleben" von Genen nur metaphorisch zu verstehen sind.

Wenn man - wie Dawkins - solche Aussagen aber wörtlich nimmt bzw. einem (abstrakten) "Typus" Prädikate wie "egoistisch" o.ä. zur Seite stellt, ist das ganz klar eine Reifikation - eine Verdinglichung abstrakter Begriffe, die man mit jedem anderen "Merkmalstyp" genauso anstellen könnte. Denn so wie Gene das Ergebnis eines Reproduktionsvorganges sind, so wird man jedes andere Merkmal ebenso als das Ergebnis eines Reproduktionsvorganges (sprich: als "Replikatoren") ansehen können. Was also soll jemanden daran hindern, statt von "egoistischen Genen" von "egoistischen Hirnwindungen" zu sprechen, die den Organismus als "Behältnisse" mißbrauchen, um sich von diesem replizieren zu lassen?


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Mahner und Bunge haben sich dazu ja klar geäußert: Weder replizieren sich Gene von selbst, noch sind diese für sich betrachtet Gegenstand der Selektion. Selektiert und repliziert wird immer der Organismus.

Selbstverständlich replizieren Gene sich nicht selber, sondern bauen ihre Replikationsmaschinen.


Vielleicht solltest Du Dir endlich einmal die Dawkinschen Metaphern abgewöhnen und versuchen, Dir eine ontologische konsistente Ausdrucksweise anzueignen: Gene "bauen" überhaupt nichts, Organismen und ihre Subsysteme entstehen infolge komplizierter Regulationsprozesse in der Ontogenese. Die Gene sind lediglich ein Glied in der ontogenetischen Kaskade. Zwar bedingen sie, da hast Du recht, die Regulationsprozesse ("ultimate cause"), aber die Formbildung wird von den epigenetischen Bedingungen ("proximate cause") gesteuert.

Es macht mit einem Wort nicht den geringsten Sinn, die Gene ins Zentrum des Evolutionsgeschehens zu stellen, um sie mit irgendwelchen Metaphern wie "egoistisch" auszustatten und den Organismus zum bloßen "Vehikel" herabzustufen. Allein die Begriffe zeugen schon von einer Verkennung des Systemgeschehens.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Und selbstverständlich (siehe oben) werden nicht die Gene selektiert, sondern der Organismus.


Wie schön, daß wir uns wenigstens hier einig sind. Jetzt mußt Du nur noch zuzugeben, daß unter dieser Voraussetzung der Dawkinsche Genzentrismus nicht mehr den geringsten Sinn macht.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Die Selektion des Organismus schlägt aber sofort und direkt nach unten durch - zu den Genen. Nur erfolgreiche Organismen bringen ihre Gene in die nächste Runde.


Das kann ich von jedem x-beliebigen Merkmal behaupten. Wie gesagt: Bei der Vererbung wird auch ein bestimmter "Typ Gehirn" oder ein bestimmter "Typ Herz" in die "nächste Runde" kommen. Doch ebensowenig wie die (individuellen) elterlichen Gehirne und Herzen "in die nächste Runde" gelangen, gelangen die (individuellen) elterlichen Gene "in die nächste Runde".


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Aber selbstverständlich werden nicht Organismen repliziert. Diese Idee ist grottenfalsch. Es gibt keine denkbare Äquivalenzrelation zwischen zwei Organismen, die es erlauben würde, von Replikation von Organismen zu sprechen. Jeder Organismus ist anders.


Stimmt. So wie ein geklonter Mensch immer ein individuell anderer Mensch ist, ist auch jedes Gen ein individuell anderes Gen. Äquivalenzrelationen sind Ähnlichkeits-Relationen, bedeuten aber nicht Identität im Sinne von "ein und dasselbe Ding". Das gilt für Gene genauso wie für Gehirne, Menschen usw. Sorry, IMAO stehst Du auf verlorenem Posten.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Die einzige sinnvolle Äquivalenzrelation ist die zwischen zwei Genen. Zwei Gene sind äquivalent, wenn sie Basenpaar für Basenpaar identisch sind.


Nein. Noch einmal: Äquivalenz bedeutet nicht Identität! Und selbst eine 100%ige Übereinstimmung von Genen hinsichtlich der Nucleotidbasensequenz bedeutet nicht Identität der Gene. Lediglich die Gensorte ist identisch. Genauso wie eineiige Zwillinge im Hinblick auf den Geno- und Phänotyp zurselben Sorte gehören.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Das und nur das ist ja der Witz am Dawkinsschen Ansatz, und das ist der Grund, warum das ganze als Erklärung funktioniert.


Der einzige Witz am Dawkinsschen Ansatz ist, daß er ohne Grund das Gen zum zentralen Objekt des Evolutionsgeschehens macht und mit ein paar abseitigen Reifikationen garniert.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Jeder sollte sich daher im Klaren darüber sein, daß die Aussage "Gen x hat Selektionskoeffizient y", eine Vereinfachung ist. Genauso gut könnte man jedes x-beliebige Subsystem eines Organismus als "Gegenstand der Selektion" sowie als "Replikator" auffassen, um dann in Dawkinscher Manier etwa folgendes zu behaupten:

Zitat:
"selektiert werden hochevolvierte Gehirne, die das egoistische Interesse haben, sich so zu strukturieren, um möglichst häufig repliziert zu werden..."

Das ist Unsinn. Es gibt auch keine sinnvolle Äquivalenzrelation zwischen Gehirnen.
[/quote]

Dann solltest Du gelegentlich mit einem Menschen diskutieren, der Kladistik betreibt und den lieben langen Tag nichts anderes macht, als Organismen zu klassifizieren, indem er anhand ihrer Merkmale nach "sinnvollen Äquivalenzrelationen" sucht.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Es gibt überhaupt keine sinnvollen Äquivalenzrelationen zwischen irgendwelchen Subsystemen eines Organismus, die es erlauben würden, diese als Replkator aufzufassen.


Wenn sich die Replikation auf Gene beziehen kann, kann sie sich (wie oben gezeigt) genauso gut auch auf jedes x-beliebige andere Merkmale beziehen.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Das erste, das sich wieder als Replikator eignen würde, sind die Meme: Zwei Meme sind äquivalent, wenn der Konsens aller qualifiziert Urteilenden Mesnchen sie für äquivalent hält. (Beispiel: Das Mem "ta ta ta taaaaa" aus der 5. Symphonie von Beethoven. Das erkennt man gesummt, gepfiffen, gespielt, oder sogar hier tonlos aufgeschrieben).


Mal 'ne Zwischenfrage: Hast Du schon einmal ein "Mem an sich" gesehen? Oder kann es sein, daß der Begriff "Mem" wieder ein Klassenbegriff (im Sinne von "Äquivalenzklasse") darstellt? Genauso gut könnte ich auch sagen:

Zitat:
"So wie für Beethovens 5. Symphonie das Mem "ta ta ta taaaaa" charakteristisch ist, so ist für Vertebraten ein Herz mit Atrium und Ventrikel charakteristisch. Vertebraten gehören somit zur selben Äquivalenzklasse. Ergo handelt es sich bei Herzen mit Atrium und Ventrikel um ein Vertebraten-Mem"
Teufel


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Von Dawkins' Ontologie, die nur wieder einmal mehr im Gewand des Platonismus daherkommt, will ich gar nicht erst anfangen.

Das dürfte eine schlimme Fehlinterprtation sein. Ich kann keinen Platonismus erkennen. Die erwähnte Äquivalenzrelation zwischen Genen hat mit Platonismus aber auch gar nichts zu tun. Ich wüsste nicht, was man sonst als Platonismus bezeichnen wollte.


Um das Argument zu begreifen, muß man verstehen, worin der Unterschied zwischen einer (abstrakten) Klasse oder Sorte (wie z.B. "Genotyp") und einem (konkreten) Ding besteht. Dinge (wie Moleküle, Nucleotidbasen, Nucleotidstränge, Zellen, Organe und Organismen) sind materiell und haben einen ontologischen Status, Genotypen, Arten von Genen bzw. Gensorten bzw. Äquivalenzklassen dagegen nicht. Das fatale ist, daß Dawkins "Meme" solch immaterielle Objekte (sprich: Sorten) sind.


Klaus-Peter hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Warum Gene keine Interessen haben können, Dawkins in Wahrheit nicht "Gene", sondern "Gensorten" meint (wobei ein immaterieller Sortenbegriff schwerlich egoistisch handeln kann), kann KP bei Bedarf selber nachlesen. Mr. Green

Ich kenne in der Tat Dawkins Genbegriff. Ich weiss allerdings nicht genau, was Du mit "Sorte" meinst. Zwei Gene sind nur dann identisch, wenn sie Basenpaar für Basenpaar identisch sind.


Wie gesagt, in diesem Fall gehören beide Gene zur selben Äquivalenzklasse. Das heißt, Eltern und ihre Nachkommen besitzen nicht dieselben Gene, sondern dieselben Gensorten. Genauso wie Dawkins' Meme immer nur bestimmte "Sorten" von Dingen sind. Als abstrakte Begriffe haben "Sorten" aber keine Existenz und keine Prädikate, wie "egoistisch" und dgl. Daher ist die ganze Terminologie ontologisch mißformuliert, wenn man nicht gerade einem platonischen Idealismus nachhängt, wie dies Dawkins tut.

Grüße

Martin
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"Science is a candle in the dark." - Carl Sagan

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