pyrrhon registrierter User
Anmeldungsdatum: 22.05.2004 Beiträge: 8770
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(#239207) Verfasst am: 07.01.2005, 00:16 Titel: Lew Semjonowitsch Wygotski |
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Weil ich gerade etwas Interessantes von Lew Semjonowitsch Wygotski (PDF) gefunden habe und es niemanden vorenthalten will:
Zur Psychologie und Pädagogik der kindlichen Defektivität (PDF)
Vygotskij verstehen: Eine Suche nach Synthese
Ich möchte jetzt aus dem zweitem Link die Stellen herausnehmen, wo es über Wygotski und Spinoza geht:
René van der Veer und Jaan Valsiner hat folgendes geschrieben: | Insbesondere die Art und Weise, wie DESCARTES das Leib-Seele-Problem löst bzw. formuliert hatte eine Aufteilung psychologischer Studien in zwei Lager zur Folge. Der Streit zwischen denen, die die Psychologie als Naturwissenschaften propagieren und jenen, welche die Psychologie zu einer Geisteswissenschaft erklären, hat seinen Ursprung in den Schriften DESCARTES. Dahingehend ist jener Konflikt zwischen Psychologen, welche eine Wissenschaft im Sinne einer Naturwissenschaft wünschten (im Studium des Verhaltens), und Psychologen, welche ein Verständnis menschlicher Pläne, Motive usw. ersuchten (unter Berücksichtigung derer Bedeutung) schon in den Arbeiten des französischen Philosophen präsent / (s. KENDLER 1981). Es war VYGOTSKIJs Überzeugung, dass dieser Konflikt in der Psychologie auf einer inadäquaten konzeptuellen Basis gründete, und er argumentiert, die Wurzel einer besseren philosophischen Analyse liege in den Arbeiten SPINOZAs. |
René van der Veer und Jaan Valsiner hat folgendes geschrieben: | Verschiedene Faktoren mögen zu dieser Faszination VYGOTSKIJs für die Schriften SPINOZAs geführt haben. In erster Linie sprach sich SPINOZA für eine monistische Lösung des Leib-Seele Problems aus. Körper und Geist seien zwei Seiten der einen Substanz. Sodann gab es auf der eine Seite keinen mechanistisch determinierten Körper und auf der anderen Seite keine nicht-determinierte Seele. |
In Spinoza's Ethik, die Wygotski häufig zitiert, steht zum Beispiel:
Spinoza (Vorrede zum 3. Teil der Ethik) hat folgendes geschrieben: | Die meisten, die über die Affekte und die Lebensweise der Menschen geschrieben haben, verfahren dabei, als ob sie nicht natürliche Dinge, die den gemeinsamen Gesetzen der Natur folgen, zu behandeln hätten, sondern Dinge, die außerhalb der Natur stehen; ja ersichtlich denken sie sich den Menschen in der Natur wie einen Staat im Staate. Denn sie glauben, dass der Mensch die Ordnung der Natur mehr störe als befolge, und dass er über seine Handlungen eine unbedingte Macht habe und von nirgends sonst her, als durch sich selbst bestimmt werde. |
Diesen Theorien stimmte Spinoza nicht zu und akzeptierte auch nicht die Existenz der freien, nicht-determinierten Seele nach Descartes. Vielmehr suchte Spinoza, das deterministische Verfahren auf alle Tätigkeiten des Menschen einerseits und auf den seelischen Bereich andererseits auszudehnen.
Wygotski schließt auf ein Zitat Spinozas folgend:
Wygotski (1984) hat folgendes geschrieben: | Aus diesem Grund ist es nicht möglich, das ungeheuer große Feld der Emotionen in zwei Teile zu teilen, von denen der eine verantwortlich ist für die peripheralen Hypothesen, und der andere nicht. Es existieren keine Gefühle, welche, weil sie ein Geburtsprivileg sind, zur höheren Klasse gehören und solche, welche wegen genau ihrer Natur der niederen Klasse zuzuzählen sind. Die einzige Differenz ist eine Differenz an Reichtum und Komplexität und alle unsere Emotionen sind fähig, sämtlich Stufen der emotionalen Evolution zu erklimmen. |
René van der Veer und Jaan Valsiner hat folgendes geschrieben: | Ist nun der Ansatz, der VYGOTSKIJ vorschwebte, in den Schriften SPINOZAs wiederfinden? Richtig ist, dass SPINOZA sich gegen eine prinzipielle Unterscheidung niederer (emotionaler) und höherer (intellektueller) Prozesse ausspricht, und ebenso spricht er sich für eine kausale Erklärung beider aus. SPINOZAs Überzeugung der Einheit von Körper und Geist und seine Parteinahme für einen Determinismus spiegelt sich in VYGOTSKIJs Versuch einer neuen Psychologie der Emotionen wider. Jedoch bleiben Zweifel, ob das Studium der Schriften SPINOZAs eine genetische Theorie der Emotionen befördern kann, fehlt doch diese genetische Perspektive in seinen Arbeiten völlig (CALHOUN/SOLOMON 1984) und haben seine Schriften einen reduktionistischen Beigeschmack (HARRÉ 1986, 3). Auch kann man die Bedeutung VYGOTSKIJs Lösung des grundlegenden ontologischen Leib-Seele Problems in Frage stellen. Ist eine hierarchische Theorie des Geistes, mit welcher die niederen psychischen Prozesse in den höheren „aufgehoben“ sind, tatsächlich relevant für dieses ontologische Problem des Leib-Seele Duaismus? Ist nicht in der Unterscheidung zwischen niederen und höheren psychischen Prozessen ebenso eine Form von Dualismus enthalten? Diese Fragen bleiben unbeantwortet. In diesem Kapitel haben wir uns das bescheidenere Ziel gesetzt, VYGOTSKIJs „eher naiven und befremdlichen“ (VYGOTSKIJ 1984b, 138) Versuch darzustellen, klassische Philosophie und moderne psychologische Forschung zu verbinden. |
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Wygotsky registrierter User
Anmeldungsdatum: 25.01.2004 Beiträge: 5014
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(#239252) Verfasst am: 07.01.2005, 02:08 Titel: |
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An Lew Wygotsky schätze ich vor allem seine Beiträge zur Entwicklungspsychologie.
Hier sind sie vergleichsweise einfach und knapp zusammengefasst.
Zitat: | Während Piaget (1952) beschrieb, dass Lerner Bedeutung hauptsächlich durch ihre eigene Tätigkeit in der Umwelt konstruieren, hob Vygotsky (1978) den Wert der Kultur und der sozialen Kontexte als Quellen der Anleitung und der Unterstützung des Lernens hervor. |
Zitat: | Das Kind ist aktiv im Lernprozess, aber agiert nicht alleine. Es lernt zu denken, indem es konstruiert oder „co-konstruiert“ und indem es nach und nach adäquatere Versionen von intellektuellen Werkzeugen der Kultur internalisiert, die von Fortgeschritteneren modelliert oder aktiv gelehrt werden. |
Zitat: | Interaktionen die Entwicklung fördern, können aktives „scaffolding“, „gelenkte Partizipation“ oder „Brückenbauen“ von Seiten eines Erwachsenen oder eines erfahreneren Peers beinhalten. Die erfahrenere Person unterstützt das Kind, indem er Hinweise, Anhaltspunkte, Modelle, Fragen, Strategien und andere Hilfen zur Verfügung stellt, die dem Kind erlauben, Aufgaben zu vollenden, die es noch nicht stelbständig vollenden kann. |
Zitat: | Vygotskys Theorie wird in den Klassenzimmern demonstriert, in denen soziale Interaktion angeregt wird, wo Lehrer sich mit Kindern unterhalten und Sprache verwenden, um ihr Lernen zu vermitteln, wo Kinder angeregt werden, sich sowohl mündlich wie schriftlich auszudrücken und wo Gespräche unter den Mitgliedern der Gruppe angeregt und geschätzt werden. |
In der Ausbildung deutscher Erzieherinnen spielt Lew Wygotsky leider keine Rolle. In der Fachschule musste ich erfahren, dass man ihn besser nicht erwähnt. Das Paradigma in der deutschen Erzieherausbildung ist, dass Kinder in der aktiven Auseinandersetzung mit ihrer (unbelebten) Umwelt Wissen selbst konstruieren. Die Weitergabe von Wissen durch Erwachsene oder kompetente Peers wird als Widerspruch zur Eigenaktivität und Eigenkonstruktion des Kindes empfunden. Die Rolle der Erzieherin sieht man daher darin, eine anregende Lernumgebung zu schaffen, und sich ansonsten möglichst rauszuhalten. Dieses Rollenverständnis stellt man besser nicht in Frage, wenn man seine Ausbildung mit guten Noten abschließen will.
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