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Tizi registrierter User
Anmeldungsdatum: 10.06.2004 Beiträge: 19
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(#270482) Verfasst am: 05.03.2005, 14:02 Titel: Soziale Verantwortung, angeboren, oder woher wird diese hervorgebracht? |
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Was ist eure Meinung:
Steht der Mensch von Natur aus in einer sozialen Verantwortung, oder wird dieses Bestreben eher von außen kommend, z.B. von religiösen Einrichtungen heilsbringend indoktriniert?
Ich bin in dieser Frage selber noch unschlüssig.
Könnte ja auch sein, dass besonders jene nach sozialer Verantwortung rufen, die einst selber unter schlechten sozialen Lebensbedingungen gelitten haben.
Möglich auch, dass Gruppen, Staaten, Rassen, um des eigenen Selbsterhalt soziale geltende Vorgaben erstellen.
Hat jemand dazu ne Meinung?
Ciao Tizi
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loki registrierter User
Anmeldungsdatum: 12.08.2004 Beiträge: 64
Wohnort: Midgard
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(#270503) Verfasst am: 05.03.2005, 14:46 Titel: |
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Ich denke, das soziale Verantwortung für uns alle sehr wichtig ist. Als überzeugter Atheist sind mir dabei irgendwelche heilsbringenden Lehren absolut egal. Der Punkt ist einfach der, wir Menschen können nur in einer Gesellschaft, die gut funktioniert unseren Lebensstandard halten und verbessern. Diese Gesellschaft funktioniert aber nur gut, wenn alle ihren Beitrag dazu leisten. Das ist eine Art Geben und Nehmen. Unterscheidet sich dieser Beitrag (oder der Lohn) in gesellschaftlichen Untergruppen zu stark sind soziale Spannungen die Folge, die sich dann für alle negativ auswirken. Dabei muss man natürlich darauf achten, dass alles fair abläuft. Die so viel gepriesene "soziale Gerechtigkeit" ist z.B. in meinen Augen alles andere als gerecht, da sie häufig Leistungen für die Gemeinschaft effektiv bestraft. Ich denke dabei insbesondere an unser tolles Steuersystem. Jemand der sich den Arsch aufreist und 60h die Woche arbeitet (in der IT-Branche nicht unüblich) und dadurch mehr verdient als jemand, der den selben Job 40h macht, muss prozentual mehr Steuern zahlen. Warum bitteschön? Bei aller sozialen Verantwortung, darf die Leistungskomponente nicht zu kurz kommen. Das gilt natürlich nicht für Personen, die nicht dazu in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften (z.B. bei Krankheit). Hier muss die Gesellschaft unterstützen, schließlich kann es jeden von uns treffen.
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Tizi registrierter User
Anmeldungsdatum: 10.06.2004 Beiträge: 19
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(#270514) Verfasst am: 05.03.2005, 15:09 Titel: |
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Erstmal vielen Dank loki, für Deine Wortmeldung
Demnach könnte soziale Verantwortung als Synonym eigenen unbewußten Selbsterhaltsstrebens dienen, richtig?
Also nichts da von wegen selbstlosen Einsatz. Wohl eher im Sinne tiefgreifender Indoktrination, wie sie z.B. religiös ambitionierte Selbstmordattentäter gegenwärtig im Irak praktizieren, werden sich demnach entsprechend langer Einflussnahme Mensch im Glauben sozial und selbstlos handeln zu müssen, für andere einsetzen?
Demnach wird soziales Engagement doch eher von außen bestimmt als von sich selbst heraus, selbst wenn derlei Anstrengungen dem eignen Überleben dienen sollte.
Hmm...? bin mal auf weitere Statements gespannt.
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Othilic Gast
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(#270528) Verfasst am: 05.03.2005, 15:34 Titel: |
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Was ich mir zu dem Thema zusammengereimt habe:
Ob angeboren oder nicht, weiß ich nicht; aber ich denke, daß der Keim für soziale Verantwortung bei allen Menschen gleichermaßen entsteht, einfach deshalb, weil der Mensch am Anfang seines Lebens auf Hilfe angewiesen ist. Insofern wäre der Anfang von sozialer Verantwortung in einem bestimmten Alter eine universelle Eigenschaft des Menschen und man müßte dazu nicht erst von irgendwelchen Organisationen (ob nun Kirche, Partei oder Staat) indoktriniert werden.
Nochmal umformuliert: Meine Beobachtung: Fast alle Kinder im Vorschul/frühen Grundschulalter haben den Keim für das, was im Erwachsenenalter soziale Verantwortung werden könnte. Ob das angeboren ist, weiß ich nicht. Es kann auch daher kommen, daß sie seit ihrer Geburt Liebe, Umsorgtwerden und Hilfe erfahren haben (auch aufgrund des Kindchenschemas). Die einen haben mehr Hilfe bekommen, die anderen weniger. Dennoch: alle haben enorm viel bekommen, sonst wären sie schlicht und einfach nicht mehr am Leben. Für Kinder ist anderen-Helfen das normalste von der Welt. Auch wenn sie oft anders handeln: anderen Helfen ist ein Wert, den Kinder nicht hinterfragen und den Kinder unabhängig davon haben, ob sie Angst vor der Hölle haben oder nicht.
Die Frage ist nun, was passiert mit dem Keim im weiteren Verlauf des Lebens. Wird er zerstört? Wenn nein: auf welche Gruppe erstreckt sich das "anderen-Helfen-wollen" (Familie, Stamm, Stadt, Nation, ganze Welt .... )? Aber um diese Frage ging es Dir nicht, oder?
Zuletzt bearbeitet von Othilic am 05.03.2005, 15:35, insgesamt einmal bearbeitet |
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loki registrierter User
Anmeldungsdatum: 12.08.2004 Beiträge: 64
Wohnort: Midgard
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(#270529) Verfasst am: 05.03.2005, 15:34 Titel: |
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Tizi hat folgendes geschrieben: |
Demnach könnte soziale Verantwortung als Synonym eigenen unbewußten Selbsterhaltsstrebens dienen, richtig? Also nichts da von wegen selbstlosen Einsatz.
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Genau!
Tizi hat folgendes geschrieben: |
Wohl eher im Sinne tiefgreifender Indoktrination, wie sie z.B. religiös ambitionierte Selbstmordattentäter gegenwärtig im Irak praktizieren, werden sich demnach entsprechend langer Einflussnahme Mensch im Glauben sozial und selbstlos handeln zu müssen, für andere einsetzen?
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Nun ja, ich bin davon überzeugt, dass die Gründe, warum viele der heutigen Religionen Elemente wie Solidarität oder Nachstenliebe enthalten auf dieselben Ursachen wie z.B. unbewusstes Selbsterhaltungsstreben zurückzuführen sind. Der einzige Unterschied ist, das man sich als Gläubiger etwas vormacht, was auch in solchen Auswüchsen wie Selbstmordattentaten resultiert.
Tizi hat folgendes geschrieben: |
Demnach wird soziales Engagement doch eher von außen bestimmt als von sich selbst heraus, selbst wenn derlei Anstrengungen dem eignen Überleben dienen sollte.
Hmm...? bin mal auf weitere Statements gespannt. |
Diese Schlussfolgerung kann ich jetzt nicht ganz nachvollziehen. Wenn Du damit meinst, das mit sozialem Enagement immer (aber häufig nicht sichtbar oder indirekt) Hintergedanken verbunden sind, kann ich Dir zustimmen.
_________________ "Kenne keinen Atheisten, für den Shiva, Jahwe, Loki, Kromm, Sauron usw. nicht auf einer Stufe stehen." (GermanHeretic)
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Tizi registrierter User
Anmeldungsdatum: 10.06.2004 Beiträge: 19
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(#270904) Verfasst am: 06.03.2005, 15:07 Titel: |
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Konsequent zu Ende gedacht, können demnach Menschen, denen es bis in jüngste Kinderjahre zurückreichend kaum an etwas gemangelt hat, eigentlich gar kein sozial ausgeprägtes Gewissen entfalten, eben weil sie nie einen Mangel bezüglich Selbsterhalt verspürt haben.
Möglicherweise ein Indiz dafür, warum gutsituiert aufgewachsene und gebildete Menschen heutzutage in entscheidenen Managerpositionen, wenig Skrupel haben, immer mehr Arbeiter zu entlassen während sie sich gleichzeitig oppulente Gehaltsteigerungen genehmigen können.
Soziales Gewissen ist demnach eher ein beherrschendes Gedankenkonstrukt aus minderbemittelten Kreisen. Am Ende, völlig legitim, soweit sich doch jeder selbst der Nächste ist.
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Jolesch Freund des kleineren Übels
Anmeldungsdatum: 11.07.2004 Beiträge: 7390
Wohnort: Omicron Persei VIII
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(#270928) Verfasst am: 06.03.2005, 16:41 Titel: |
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eine sehr merkwürdige Argumentationslinie...
jede Mensch empfindet Mangel (Nahrung, Aufmerksamkeit, Nähe)
deine Vermischung von Klassenkampf und Evolutionspsychologie ist nicht sehr logisch
_________________ Storm by Tim Minchin
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Tizi registrierter User
Anmeldungsdatum: 10.06.2004 Beiträge: 19
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(#270951) Verfasst am: 06.03.2005, 17:49 Titel: |
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ei Tantchen
und.....? hast Du zum Thema auch konstruktive Argumente, mit dem Du die Eingangsfrage beantworten möchtest?
Ich wundere mich schon, über die etwas dünne Resonanz.
Dachte gerade hier im Freigeisterhaus-Forum vielfältig Antworten zu finden.
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Matti registrierter User
Anmeldungsdatum: 18.02.2005 Beiträge: 40
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(#270953) Verfasst am: 06.03.2005, 17:58 Titel: |
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Ein weites Thema, woher rührt "soziale Verantwortung" oder auch "prosoziales Verhalten". Ich versuch mich mal kurzgefasst daran und lass auch das Begriffsverständnis (vom Befreien aus einer Notlage bis hin zum "bloßen" Verschaffen von Erleichterung) außen vor.
Prosoziales Verhalten ist (wie jedes Verhalten) abhängig von der Persönlichkeit und der Umwelt/Situation. Aber auch von sozialen Rollen und Normen bei Helfern, Hilfsbedürftigen und evtl. Urheber der Notlage. Ob der/die Helfende nun letztlich mehr eigenen Überzeugungen/Einstellungen oder situationsspezifischen Normen folgt, lässt sich daher kaum verallgemeinern.
Zu Deiner Frage, ob dies vielleicht angeboren sei, fällt mir das sog. "Kindchenschema" ein. Nach Konrad Lorenz handelt es sich dabei um einen angeborenen Mechanismus/Instinkt: Relativ großer Kopf, große tiefliegende Augen, täppische Bewegungen usw. lösen bei Tieren und Menschen Pflege- und Schutzreaktionen aus. Allerdings bietet die Lerntheorie eine überzeugendere alternative Erklärung. Durch Konditionierung haben wir gelernt, Kindsgesichter mit Pausbacken usw. als niedlich und süß zu bezeichnen und reagieren entsprechend positiv darauf. Mit dem Kindchenschema arbeiten beispielsweise oft Organisationen, die um Spenden, Patenschaften usw. für notleidende Kinder werben.
Mit der Fragestellung "Prosoziales Verhalten" beschäftigen sich entwicklungs-, sozial- und individualpsychologische Ansätze. Als hilfreich zur Erklärung von Hilfeverhalten haben sich Austauschtheorien erwiesen. Diese versuchen Hilfeleistung auf der Basis von Kosten und Nutzen erklären. Personen nehmen eine Verrechnung von Vor-und Nachteilen vor und entscheiden sich für die gewinnbringendste Alternative, im Bezug auf prosoziales Verhalten, z. B. soziale Anerkennung, Freude jemandem geholfen zu haben, Vermeiden von Kritik wegen unterlassener Hilfeleistung usw.
Zitat: | Konsequent zu Ende gedacht, können demnach Menschen, denen es bis in jüngste Kinderjahre zurückreichend kaum an etwas gemangelt hat, eigentlich gar kein sozial ausgeprägtes Gewissen entfalten, eben weil sie nie einen Mangel bezüglich Selbsterhalt verspürt haben. |
Ich denke, dass das Mitfühlen bzw. das Miterleben der Gefühle einer anderen Person ein wichtiger Beweggrund für prosoziales Verhalten ist. Und dieses Einfühlen in die Bedürfnislage eines anderen ist nicht davon abhängig, selber schon einmal einer gleichen/ähnlichen Situation gewesen zu sein.
Wie gesagt, ein weites Feld. Damit soll´s mal genug sein.
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AlphaOmega registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2005 Beiträge: 145
Wohnort: Berlin
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(#270956) Verfasst am: 06.03.2005, 18:19 Titel: |
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Ich glaube an einen guten Teil im Menschen. Es ist Teil seiner Natur. Gehört es auch zu seiner Natur, dass er Kriege führt usw?
Was ist Gerechttigkeit? Wie kann ein Mensch gerecht sein? Gerecht sein, würde bedeuten, den Unterschied zwischen Gut und Böse zu kennen. Kennt ein Mensch das überhaupt? Weiß er immer den richtigen Weg?
Diesen zu bewahren ist in der "zivilisierten" Welt jedoch manchmal gar nicht mehr so einfach. Woher weißt du, ob ein Mensch eine "gute und sozial richtige Tat" vollbringt, weil er sie aus dem tiefsten inneren seines Selbst und Erlebens bringt - oder ob es nur eine zur-schau-getragende Gefühlsbewegung ist. Woher kannst du echte Gefühle von falschen unterscheiden. Schon von klein auf werden Menschen bei uns darauf konditioniert "richtiges Verhalten" darzubieten.
Manchmal tun Menschen dinge, von denen sie denken sie wären "sozial richtig". Das Milgram-Experiment hat gezeigt, dass von dem modernen Zivilisationsmenschen nicht erwartet werden kann, eigenstädig zu denken.
Sozial Richtig und den anderen Gutmütig kann nur erbracht werden, wenn einem selber Vertrauen entgegen gebracht wurde. Aus diesem Vertrauen, welches das Kleinkind aus der Mutter-Kind-Bindung erhält, erwächst etwas was die Pädagogen Urvertrauen nennen. Ohne dieses Urvertrauen, tritt Mißtrauen ein. Dann sind alle anderen kommenden psychosozialen Entwickungsstufen gefährdet.
Wir lieben unsere Kinder, sagen wir. Aber die Welt die wir kreieren, ist kinderfeindlich. Kinder können nicht mehr auf der Stasse spielen. Wo sind die Orte wo ein Kind frei entdecken kann, um seiner Phantasie freien lauf zu lassen? Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass wir den Lebensraum der Kinder einengen, weil wir den Autos höhere Priorität einräumen. Ein Kind darf nichts mehr ausprobieren, darf nicht mehr verändern, neu beginnen. Alles ist schon vergefertigt.
Das innere Leben der Kinder verkümmert, weil es sich nur noch in vorgefertigten Bereichen Bewegen kann und darf. Die Bedürfnisse der Kinder werden auf Bedürfnisse nach Konsumwaren, nach Käuflichen umgepolt. Daraus ergibt sich ganz logisch, dass man, wenn man das Geld für diese künstlich gezüchteten Statussymbole nicht hat, sie jedoch als die alleinseligmachenden Güter gelten, jederzeit dazu bereit ist, dafür zu zu stehlen oder zu lügen und zu schlagen. Wenn ein Kind auf diese Weise von sich selbst entfremdet ist, dann mag es nicht verwundertn, dass es auch kein Mitgefühl für andere hat. Der andere wird dann genau so wahrgenommen, wie man sich selbst wahrnimmt, als Maschine und Roboter, von Bedürfnissen gelenkt, die sich am Output der Fabriken orientieren. Gefühllosigkeit und als Folge davon kalte Gewalttätigkeit werden so charakteristisch für die Kinder unserer Zeit.
Das ist der Kern des Selbstzerstörerischen in unserer Gesellschaft. Dies einsehen ist schwer. Es ist das Dilemma des Zivilisationsmenschen, dass er versuch die innere Leere mit Konsumgüter von außen zu füllen. Aber von außen wird ihm dies niemals gelingen. Denn Menschsein bedeutet immer von innen nach außen tragen.
Loki, wie kommst du darauf das "soziale Gerechtigkeit" nur etwas mit dem Steuersystem, den Komsumwaren, dem Lebensstandart usw. Diese Sicht ist mir zu eng. Wie oben erwähnt ist ja gerade dies das Selbstzerstörerische in unserer Gesellschaft. "Eher kommt ein Kamel durchs Nadelöhr als ein Reicher in den Himmel!" Ich stelle das gesammte Konsumdenken in Frage. Für dich ist das absolut höchste Gut eine Gesellschaft die funktioniert und unseren Lebensstandart verbessert. Gibt es nicht noch andere Werte? Eine Gesellschaft ohne Werte ist Wertlos. Ich als "überzeugter Theist" halte Religion gerade in diesem Gesichtspunkt als äußert wertvoll.
Jesus sprach von Verantwortung sich selbst gegenüber, nicht gegen irgendeine Staatsmacht oder so. "Der Menschensohn ist Herr über den Sabbat!". Ich glaube, dass jedes soziale Engagement, dass nur darauf aus ist "richtig zu handeln" leer ist. Das ist der wahre Narzissmus. Sich selbst dafür zu lieben, weil man das "richtige tut". ... Sogar die NaZis konnten sich dafür "lieben" andere zu verachten, weil sie dachten das wäre "richtiges Verhalten".
Othilic, ich gehe auch mit dir Konform, wenn du vermutest das der Keim für soziale Verantwortung dadurch entsteht, da er im gegensatz zu anderen Tieren eine physiologische Frühgeburt ist. Er ist von anfang an auf einen guten Kontakt angewiesen. Ein positiver Kontakt erzeugt wieder das Urvertrauen. Und Urvertrauen ist das Senfkorn für liebe.. Wer sich selbst nicht vertraut, kann andere auch nicht lieben...
Ich glaube auch das der Kern dieser "universellen Eigenschaft" in jedem Menschen drinn ist. Jeder Mensch hat irgendwie ein Gewissen. Das Gewissen ist für mich sowas wie ein Echo von Gottes Stimme. Was in der Bibel (oder auch anderen heiligen Schriften steht) ist jedem Menschen sowieso klar. Jeder Mensch weiß das er nicht andere töten soll. Deshalb kann es nicht schaden, wenn man Menschen von der Bibel erzählt, finde ich.
Wenn die Menschen nur gutes Tun, weil sie Angst haben in die Hölle zu kommen. Hmmm... also aus Taten wird der Mensch niemals gerecht. Du kannst tun was du willst, gerechtfertigt wirst du dadurch nicht. Das ist Martin Luthers Gnaden- und Rechtfertigungslehre. Also gerettet allein aus "Gnade" nicht aus taten. Was macht es auch für einen Sinn, wenn ich nur den Leuten helfe, weil ich denke: "Boah, hoffentlich komm ich nicht in die Hölle!". Findest du nicht?
Ich glaub, ich kenn Kinder ganz gut. Kinder sind nicht immer soooo hilfsbereit. Gegen manche Kinder wirkt ein Ajatolle wie ein Weisenknabe so Fundamentalistisch sind ihre Ansichten. Das müssen sie ja auch noch lernen....Ich glaube, diese "soziale Kompetenz" entwickelt sich erst im Laufe des Lebens. Schau dir Jugendliche an... die sind meist das totale Gegenteil. In jeder anderen Phase des Lebens wäre das ein Zeichen eines krankhaften Zustandes. In der Jugendphase jedoch nur ein hinweis darauf, dass das ICH nach Lösungen sucht, diese aufnimmt und wieder verwirft. Das ICH aus der Kindheit war zu eng. Nun muss der Jugendliche sich eins aufbauen, welches in die Welt hineinpasst in der er lebt...
"Soziales Gewissen ist demnach eher ein beherrschendes Gedankenkonstrukt aus minderbemittelten Kreisen." Meinst du damit ein Gewissen zu haben ist unangebracht? Eine Geisteshaltung in der sich jeder selbst der Nächste ist, ist auf dauer ungesund für die Person. Wenn alle Menschen so handeln würden, dann wäre unsere Gemeinschaft sehr bald am Ende.
Welchen Stufen muss ein Mensch durchlaufen, bevor er die Eigenschaft der "sozialen Verantwortung" erlangt? Hierfür möchte ich Entwicklungspsychologische Erklärungsansätze vorlegen.
Adoleszenz: Die Adoleszenz als fünfte Stufe der psychosozialen Entwicklung nach Erikson wird bestimmt durch die Antithese Identität versus Identitätsdiffusion. Bei einer gelungenen Identitätsbildung gehen alle in der Kindheit gesammelten positiven Ich-Werte in das Identitätsgefühl ein in dem Sinne, daß man sich selbst als eine Person mit Einheitlichkeit und Kontinuität versteht und zugleich als jemanden, der darum auf andere angewiesen ist in der Gewißheit, daß diese auch ihn brauchen (vgl. unten). Insofern ist die Jugendzeit die Summe vorheriger Entwicklung: Man erhält eine erste "Quittung". Sind die vorbereitenden Identitätsbildungsprozesse in der Kindheit negativ verlaufen, tritt eine Identitätsdiffusion ein.
Erwachsenenalter: Den Eintritt in das Erwachsenenalter bezeichnet die Fähigkeit zur Intimität. Nach Erikson: "Man muß sich selbst mehr oder weniger gefunden haben, bevor man fähig ist, sich an jemand anders zu verlieren." Das Gegenteil wäre die Distanzierung, verstanden als Disposition, andere Menschen abzuwehren, sich zu isolieren und Beziehungen zu zerstören. Die gelungene Intimität ist Voraussetzung für die Fähigkeit zur Generativität (siebte Stufe), verstanden als Interesse an der Gründung und Erziehung einer neuen Generation. Das Gegenteil, die Selbst-Absorption, besteht in dem Verzicht auf reiche zwischenmenschliche Beziehungen und in einem Desinteresse auf vererbende Weitergabe kultureller, sozialer und sonstiger Traditionen. Die Letzte und achte Stufe kennzeichnet das reife Erwachsenenalter bis zum Tode. Entweder, man hat nun Integrität gewonnen, verstanden als "die Annahme seines einen und einzigen Lebenszyklus und der Menschen, die in ihm notwendig dasein mußten und durch keine anderen ersetzt werden können." Erfolge und Niederlagen, Krankheit und Gesundheit müssen nun gleicherweise bestanden werden - sonst tritt Lebens-Ekel ein als Zweifel an der Fähigkeit, dem eigenen Leben (und auch dem anderer) einen vernüftigen und hinreichenden Sinn zu geben.
Diese Generativität ist es was soziale Fähigkeit ausmacht. Wichtig ist es für uns Erwachsene eine Welt zu schaffen, in welcher Kinder diese auch entwickeln können. Eine Welt in der wir ihre wahren Bedürfnisse nicht auf Konsumgüter umpolen.
bis dann,
AO
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annox Grim Reaper
Anmeldungsdatum: 30.05.2004 Beiträge: 5800
Wohnort: Berlin
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(#270958) Verfasst am: 06.03.2005, 18:23 Titel: |
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Tizi hat folgendes geschrieben: | ei Tantchen
und.....? hast Du zum Thema auch konstruktive Argumente, mit dem Du die Eingangsfrage beantworten möchtest? |
Nur die Ruhe. Ich denke er hat recht. Die Assoziation zwischen Klassenkampf und sozialer Verantwortung halte ich in diesem Zusammenhang bestenfalls fuer korrelativ. Der Mensch ist als Herdentier veranlagt und sein Sozialverhalten wird durch die Gruppe, der er als Individuum angehoert, wesentlich gepraegt. Ueblicherweise handelt es sich bei so ziemlich allen Menschen primaer um die Gruppe 'Familie'. Ich nehme an, dass das Sozialverhalten innerhalb meiner Familie sich nicht wesentlich von dem der Familie Albrecht unterscheidet.
_________________ Ich bin jenes Pferd, das unter der Peitsche der Kutscher den Wagen voller Gesindel hinter sich her ziehen muss.
[Sadegh Hedayat]
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Jolesch Freund des kleineren Übels
Anmeldungsdatum: 11.07.2004 Beiträge: 7390
Wohnort: Omicron Persei VIII
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(#270959) Verfasst am: 06.03.2005, 18:24 Titel: |
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Tizi hat folgendes geschrieben: | ei Tantchen
und.....? hast Du zum Thema auch konstruktive Argumente, mit dem Du die Eingangsfrage beantworten möchtest?
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Dich auf Denkfehler aufmerksam zu machen ist doch konstruktiv
@Eingangsfrage Zitat: | Steht der Mensch von Natur aus in einer sozialen Verantwortung, oder wird dieses Bestreben eher von außen kommend, z.B. von religiösen Einrichtungen heilsbringend indoktriniert? |
Ich vermute, dass die Basis sozialen Handelns in unseren Genen verankert ist, wir als Spezies beherrschen unter anderem deshalb den Planeten, weil wir uns umeinander kümmern und sorgen.
_________________ Storm by Tim Minchin
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AlphaOmega registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2005 Beiträge: 145
Wohnort: Berlin
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(#270963) Verfasst am: 06.03.2005, 18:31 Titel: |
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hey, tizi und tante... warum blöfft ihr euch so an? Ist das jetzt etwa ein krönendes Beispiel von "angeborender sozialer Verantwortung"
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annox Grim Reaper
Anmeldungsdatum: 30.05.2004 Beiträge: 5800
Wohnort: Berlin
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(#270964) Verfasst am: 06.03.2005, 18:33 Titel: |
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AlphaOmega hat folgendes geschrieben: | Eine Gesellschaft ohne Werte ist Wertlos. Ich als "überzeugter Theist" halte Religion gerade in diesem Gesichtspunkt als äußert wertvoll. |
Fuer wen und wozu? Was haeltst Du fuer religioese Werte?
_________________ Ich bin jenes Pferd, das unter der Peitsche der Kutscher den Wagen voller Gesindel hinter sich her ziehen muss.
[Sadegh Hedayat]
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Jolesch Freund des kleineren Übels
Anmeldungsdatum: 11.07.2004 Beiträge: 7390
Wohnort: Omicron Persei VIII
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(#270969) Verfasst am: 06.03.2005, 18:55 Titel: |
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AlphaOmega hat folgendes geschrieben: | hey, tizi und tante... warum blöfft ihr euch so an? Ist das jetzt etwa ein krönendes Beispiel von "angeborender sozialer Verantwortung"  |
keine Sorge, wenn ich blöffe hört sich das anders an
_________________ Storm by Tim Minchin
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AlphaOmega registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2005 Beiträge: 145
Wohnort: Berlin
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(#270976) Verfasst am: 06.03.2005, 19:20 Titel: |
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Hallo Annox,
Ich bin dir dankbar, dass du mir diese Frage stellst. Jean-Jacques Rousseau war der Ansicht Kinder sollten frühestens mit dem 15. Lebensjahr in Kontakt mit Religion kommen.
Heute gehen viele Entwicklungspsychologen einen ganz anderen Weg: Religion kann schon für die Kleinsten der Kleinen sehr wichtig sein. Eine religiöse Erziehung kann Kindern neue Räume eröffnen - eine Welt, die mehr zu bieten hat als Konsum und die Befriedigung egoistischer Bedürfnisse.
"Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Leute zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern wecke in ihnen die Sehnsucht nach dem weiten, enlosen Meer."
Dieser wunderschöne Satz macht klar, wie wichtig religiöse Erziehung sein kann. Ein endloser Horizont und Werte, die nichts mit Machen oder mit Dingen zu tun haben:; eine Sicht auf die Dinge, auf die es im Leben schließlich (auch) ankommt. Jeder kann verspürt diese Sehnsucht nach dem "Mehr", nach einem unbegrenzteren Leben. Meine Ansicht nach füllt religiöse Erziehung den Raum, den Kinder in sich haben.
Kinder wollen beten. Um das herauszufinden, brauche ich nur Kinder zu beobachten. Wenn Eltern bereits mit ihren Babys beten, schafft das eine Atmosphäre des Vertrauens. Das Urvertrauen, das ich bereits erwähnte, wird verstärkt. Der Säugling erfährt die Geborgenheit, die für ihn und seine Entwicklung so wichtig ist.
Würden alle ihrer Religion entsprechend leben, gäbe es weit weniger Leid auf der Erde. ein guter Jude wird sicher ein Guter Mensch sein - aber um ein guter Mensch zu sein, muss man kein Jude sein. SChließlich ist jder Gläubige in erster Linie ein Mensch unter Menschen. Eine eigentlich banale Einsicht, sie von Fanatikern jedweder Glaubensrichtung konsequent übersehen wird. Immer zuerst den Menschen sehen...
Eine Umfrage ergab, dass knapp die Hölfte aller Westeuropär aus dem Glauben Kraft und Trost ziehen. Für unsere Zeit erstaunlich viele, meine ich.
Zu den christlichen WErten gehören die Freiheit, das Erlben von Sinn und - als der Wert aller Werte - die Liebe. Liebe ist sicherlich ein schweres Unternehmen, gerade in unserer Gesellschaft, in der meist der Starke das Sagen hat. Lieben heißt: immer bereit sein zu Vergeben; ständig den ersten Schritt tun; den Glauben nie aufgeben, dass die Liebe das Größte ist; in den Mitmenschen und auch in mir selbst das Gute erkennen; die Verletzungen immer wieder überwinden und heilen lassen; Vorurteile abbauen; auf die Einsicht statt auf Macht und Herrschaft setzen.
Beten ist auch eine Meditation und eine Art autogenes Training, das die Konzentrationsfähigkeit erhöht. Das stille Selbstgespräch stärkt das Wohlgefühl der Seele und das innere gleichgewicht.
Religiöse Erziehung ist auch jeden Fall ein Thema, mit dem sich Familien auseinander setzen sollten, die ihren Kindern Lebenssinn, ethische WErete und Geborgenheit mit auch den Weg geben wollen. Gerade in Zeiten des Wertepluralismus und der Unsicherheit vieler Menschen, auf welchen Werten sie ihr Leben gründen sollen, kann Religion helfen. Sie unterstützt Erwachsene wie Kinder bei der Sinnfindung sowie der Akzeptanz ethischer Werte.
Der nichtreligiöse Mensch muss sich und sein Leben ständig selbst definieren, muss Werte für sich finden und für sich begründen. Die verschiedenen Religionen haben solche werte und daraus abgeleitete Gebote und Lebensregeln längst erfungen. Werte wie Mitmenschlichkeit (liebe deinen nächsten wie dich selbst) oder Ehrlichkeit (du sollst nicht lügen) regeln seit Jahrtausenden das Zusammenleben der Menschen, die diesen Religionen angehören, und geben ihnen Orientierung.
Ich möchte einen "Defizit religiöser Erziehung" bei Kindern, kombiniert mit der Hilflosigkeit vieler Eltern angesichts der Thematik konstantieren. Ich bin überzeugt, dass religiöse Erziehung in der Familie mit verantwortlich ist für eine gesunde seelische Entwiclung des Kindes.
Natuerlich sollte man Kindern nur soviel Religiösetät vermitteln, wie man sie selber auch empfindet. Im Grunde genommen sind die Fragen zur Religion der Kinder, ja die gleichen wie die der Erwachsenen. z.B. Kalle fragt seine Mutter: "Glaubst du an Gott?" Mutter: "ääääääh"
ES liegt an uns, die Werte der Menschheit und der Religionen verständlich zu formulieren, damit die Jugend damit etwas anfangen kann. Zu Idolen dürfen wir, dürfen die Medien nicht solche hochstilisieren, die dies nicht menschlich und ethisch verdienen.
Wichtige Werte finde ich außerdem: Achtung, Aufmerksamkeit, Aufrichtigkeit, Bescheidenheit, Dankbarkeit, Ehrlichkeit, Fairness, Fleiß, Friedfertigkeit, Freundschaft, Gerechtigkeit, Hilfsbereitschaft, Höflichkeit, Mitgefühl, Mut, Umweltbewußtsein, Ordnungsliebe, Pünktlichkeit, Solidarität, Toleranz, Akzeptanz, Treue, Verantwortung, Zivilcourage, Zuverlässigkeit und last-but-not-least die Nächstenliebe...
Bis dann,
AO
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Tizi registrierter User
Anmeldungsdatum: 10.06.2004 Beiträge: 19
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(#270986) Verfasst am: 06.03.2005, 19:49 Titel: |
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Hi AO
Boahh...!!! Du und Rousseau!!
Find ich echt stark, wenn sich jemand wie Du offenbar so intensiv mit seiner Umwelt auseinandersetzt. Womit ich aber nicht gesagt haben möchte, dass jene die sein Buch über Emil pp nicht gelesen haben weniger interessiert sind.
Bin nur etwas erstaunt, hier noch jemanden zu treffen der mit dem etwas patinabehafteten Thesen noch etwas anfangen kann.
Aber daran sieht man mal wieder, derartige Gedanken scheinen wohl über Generationen hinweg die Menschen beschäftigt zu halten.
Ich finde Deine Beiträge jedenfalls durchaus konstruktiv, wenngleich ich nicht gleich allem beipflichten möchte. Werde mich später nochmal dazu melden, muss nur gerade weg.
Ach ja zu Tantchen, ich hoffe er/sie nimmt mir die Verkleinerungsform nicht übel, war wirklich nicht aggressiv gedacht, eher als Ansporn selber etwas beizutragen.
@Tantchen Worin siehst Du denn einen Denkfehler meinerseits begründet?
Scheint ja doch noch recht interessant hier zu werden.
Bis später wieder und danke für die bisherigen Beiträge.
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Othilic Gast
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(#271013) Verfasst am: 06.03.2005, 20:26 Titel: |
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AlphaOmega hat folgendes geschrieben: |
Othilic, ich gehe auch mit dir Konform, wenn du vermutest das der Keim für soziale Verantwortung dadurch entsteht, da er im gegensatz zu anderen Tieren eine physiologische Frühgeburt ist. Er ist von anfang an auf einen guten Kontakt angewiesen. Ein positiver Kontakt erzeugt wieder das Urvertrauen. Und Urvertrauen ist das Senfkorn für liebe.. Wer sich selbst nicht vertraut, kann andere auch nicht lieben...
Ich glaube auch das der Kern dieser "universellen Eigenschaft" in jedem Menschen drinn ist. Jeder Mensch hat irgendwie ein Gewissen. Das Gewissen ist für mich sowas wie ein Echo von Gottes Stimme. Was in der Bibel (oder auch anderen heiligen Schriften steht) ist jedem Menschen sowieso klar. Jeder Mensch weiß das er nicht andere töten soll. Deshalb kann es nicht schaden, wenn man Menschen von der Bibel erzählt, finde ich.
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AlphaOmega, wir haben in manchen Punkten ähnliche Ansichten. Gerne würde ich auf Vieles in Deinem Beitrag eingehen, möchte mich aber vorerst mal auf ein Thema konzentrieren:
Auch ich glaube an so etwas wie einen guten Teil im Menschen und denke auch, daß Urvertrauen bei der Entwicklung dieses guten Teils eine große Rolle spielt.
Allerdings gibt es, so scheint es mir, dennoch einen großen Unterschied zwischen unseren Meinungen. Ich habe Dir (im Fangfrage-Thread) bereits geschrieben, daß mich das Thema "guter Mensch sein" und "Glaube bzw Gott bzw Religion" interessiert. Für mich sind die Überlegungen, daß der Keim des Guten im Menschen an die Tatsache der "physiologischen Frühgeburt" des Menschen gekoppelt ist, ein sehr zentraler Gedanke, der es mir erlaubt, "guter Mensch sein" und "Religiös sein/Gott" voneinander zu trennen. Ich bestreite nicht, daß Religion jemanden zu einem "guten Menschen" machen kann. Ich bestreite jedoch, daß Religion unverzichtbar ist, um jemanden zu einem "guten Menschen" zu machen.
P.S: Ich bin mir nicht ganz sicher, bis wohin Dein Beitrag eine Antwort auf meinen war und ab wo er an Tizi gerichtet ist.
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AlphaOmega registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2005 Beiträge: 145
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(#271018) Verfasst am: 06.03.2005, 20:33 Titel: |
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Hallo Tizi,
Appropo Rousseau: Anders als die Masse der Aufklärer fordert Rousseau nicht, den Verstand zu gebrauchen. Vielmehr will er den Menschen dazu bringen, auf sein Gefühl zu vertrauen. Da für ihn jeder Mensch ein natürliches Kontrollorgan (Gewissen) besitzt, haben Entscheidungen, die er unbeeinflusst trifft stets gute Absichten. Die Übel, die man in der Welt findet, sind auf Handlungen zurückzuführen, die von der Gesellschaft beeinflusst wurden.
Der Mensch ist ergo durch die Vergesellschaftung ein Gefangener geworden. Aus diesem Grund forderte Rousseau die Volkssouveränität, da „der Gehorsam gegenüber dem Gesetz, das man sich selbst vorschreibt, Freiheit sei“.
Interessant finde ich im Zusammenhang mit Rousseau auch Pestalozzi, welcher ja maßgeblich von seinem Denken und Werken beeinflußt wurde. Folgende Gedanken von Pestalozzi, finde ich auch zur angesprochenden Thematik erwähnenswert. Natuerlich setzt diese Argumentation den Glauben an ein höheres Wesen vorraus. Ansonsten kann ein Mensch damit nichts anfangen. Erwähnenswert wäre des weiteren das Pestalozzi ein Mitglied im Illuminatenorden war.
So wie alle Gerechtigkeit auf Liebe ruht, so ruht auch Freiheit drauf. Reiner Kindersinn ist die wahre Quelle der Freiheit, die auf Gerechtigkeit ruht, und reiner Vatersinn ist die Quelle aller regierungskraft, die Gerechtigkeit zu tun und Freiheit zu lieben erhaben genug ist. Und die Quelle der Gerechtigkeit und alles Weltsegens, die Quelle der Liebe und des Brudersinns der Menschheit, diese beruht auf dem großen Gedanken der Religionen, daß wir Kinder Gottes sind und daß der Glaube an diese Wahrheit der sichere Grund alles Weltsegens sei. In diesem großen Gedanken der Religion liegt der innere Geist aller wahren Staatsweisheit, die reinen Volkssegen sucht, denn alle innere Kraft der Sittlichkeit, der Erleuchtung und Weltweisheit ruht auf diesem Grund des Glaubens der Menschheit an Gott. Und Gottvergessenheit, Verkenntnis der Kinderverhältnisse der Menschheit gegen die Gottheit, ist die Quelle, die alle Segenskraft der Sitten, der Erleuchtung und der Weisheit in alle Menschheit auflöst. Daher ist der verlorende Kindersinn der Menschheit gegen Gott das größte Unglück der Welt, indem es alle Vatererziehung Gottes unmöglich macht, und die Wiederherstellung dieses verlorenen Kindersinns ist Erlösung der verlorenen Gotteskinder auf Erden.
Der Mann Gottes, der mit Leiden und Sterben der Menschheit das allgemein verlorene Gefühl des Kindersinns gegen Gott wieder hergestellt, ist der Erlöser der Welt, er ist der geopferte Priester des Herrn, er ist Mittler zwischen Gott und der gottvergessenen Menschheit, seine Lehre ist reine Gerechtigkeit bildene Volksphilosophie, sie ist Offenbarung Gottes des Vaters an das verlorene Geschlecht seiner Kinder.
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AlphaOmega registrierter User
Anmeldungsdatum: 05.03.2005 Beiträge: 145
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(#271028) Verfasst am: 06.03.2005, 20:58 Titel: |
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Hallo Othilic,
das wir in manchen Punkten übereinstimmen, finde ich gut. Das es nicht alle sind aber genauso. Es ist doch ein Segen, dass jeder Mensch eine ganz andere Persönlichkeit hat. Jeder ist irgendwie anders gemacht. Vom Denken, Fühlen und Handeln. Gerade das ist doch die Herrausforderung, den anderen so anzunehmen wie er ist.
gerade das fromme Selbstbewußtsein im Christentum macht mich ja nicht zu "einem besseren Menschen". Eher umgekehrt ist es der Fall. Ein Christ ist sich bewußt geworden, dass er ein Sünder ist und die Gnadegabe Gottes nötig hat. So möchte ich nicht postulieren, dass der Glaube an Gott oder irgendeine Religion, den Menschen gleich "besser macht als Andere". Für mich sind alle Menschen gleich - gleich schlecht... in Relation zu "Gott"...(wenn man dran glaubt, gell?)
Die Frage nach Gut/Schlecht ist ja auch sehr tückenreich. Was ist Gut und was ist Schlecht? Wie wird das Definiert?
Das was in den Religionen vermittelt wird, ist jedem Menschen bewußt. Es kann meiner Meinung nach nicht Schaden von Jesus zu erzählen. Also ist sie nicht unverzichtbar, aber durchaus hilfreich und ein wahrer Segen. Es geht ja auch nicht unbedingt darum ihn zu einem "besseren Menschen" zu machen, sondern um ihn zu "erretten". Dies hat mehr mit dem Jenseitigen zu tun, als mit dem Diesseitigen. Es ist jedoch eine theologische Frage und keine moralische. Deswegen passt sie hier auch nicht rein.
"Für mich sind die Überlegungen, daß der Keim des Guten im Menschen an die Tatsache der "physiologischen Frühgeburt" des Menschen gekoppelt ist, ein sehr zentraler Gedanke, der es mir erlaubt, "guter Mensch sein" und "Religiös sein/Gott" voneinander zu trennen."
Wie meinst du das? Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Zum Schluss möchte ich noch Kant zitieren:
" Ein edler Mensch , der für sein Vaterland ,
ein edlerer , der um die Freiheit –
doch der edelste , der für Menschlichkeit kämpft ."
p.s. verzeih mir wenn ich mich in meiner Antwort nicht explicit zu einem oder dem anderen namen geäußert habe...
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annox Grim Reaper
Anmeldungsdatum: 30.05.2004 Beiträge: 5800
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(#271034) Verfasst am: 06.03.2005, 21:42 Titel: |
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AlphaOmega hat folgendes geschrieben: | Hallo Annox,
Ich bin dir dankbar, dass du mir diese Frage stellst. Jean-Jacques Rousseau war der Ansicht Kinder sollten frühestens mit dem 15. Lebensjahr in Kontakt mit Religion kommen. |
Danke fuer Deine ausfuehrliche Antwort. Rousseau hat sich schon etwas dabei gedacht. Kindern kann man so ziemlich alles 'verkaufen' z.B. auch den Glauben an den Weihnachtsmann, Osterhasen, Elfen, Feen, Orks, Trolle usw. Sie sind aber eben erst ab einem Alter von ca. 15 Jahren in der Lage zu reflektieren was man ihnen da untergeschoben hat bzw. was man ihnen unterschieben will. Religion vermittelt aber eben keine universellen Werte, sondern rein subjektive spezifische, die obendrein kulturell bedingt sehr stark von einander abweichen oder sogar Feindschaft und Unvereinbarkeit postulieren.
Zitat: | Heute gehen viele Entwicklungspsychologen einen ganz anderen Weg: Religion kann schon für die Kleinsten der Kleinen sehr wichtig sein. Eine religiöse Erziehung kann Kindern neue Räume eröffnen - eine Welt, die mehr zu bieten hat als Konsum und die Befriedigung egoistischer Bedürfnisse. |
Was sollen das fuer Raeume sein - Ora et labora..? Religion als Heilmittel gegen gesellschaftliche Zustaende des Spaetkapitalismus? Religion soll kurieren, was sie selbst foerdert und vorantreibt? Das halte ich fuer reichlich geschichts- und realitaetsfern. Der Raum, der da angeblich ausgefuellt wird, ist die Fantasie der Kinder. Dies macht sich Religion zu nutze.
Ich erlaube mir mal, Deinen Satz etwas zu veraendern:
Religionslosigkeit kann schon für die Kleinsten der Kleinen sehr wichtig sein. Eine religionslose Erziehung kann Kindern neue Räume eröffnen - eine Welt, die mehr zu bieten hat als substanzlose Jenseitsversprechungen, Selbstverleugnung, realitaetsferne Dogmen und sexuelle Unterdrueckung.
Zitat: | "Wenn du ein Schiff bauen willst, so trommle nicht Leute zusammen, um Holz zu beschaffen, Werkzeuge vorzubereiten, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern wecke in ihnen die Sehnsucht nach dem weiten, enlosen Meer."
Dieser wunderschöne Satz macht klar, wie wichtig religiöse Erziehung sein kann. Ein endloser Horizont und Werte, die nichts mit Machen oder mit Dingen zu tun haben:; eine Sicht auf die Dinge, auf die es im Leben schließlich (auch) ankommt. Jeder kann verspürt diese Sehnsucht nach dem "Mehr", nach einem unbegrenzteren Leben. Meine Ansicht nach füllt religiöse Erziehung den Raum, den Kinder in sich haben. |
Ja, ein schoener Satz, nur wird es nicht zur Kiellegung kommen, wenn alle nur am Strand herumstehen und traeumen. Das Meer, das Baumaterial, das Werkzeug und die Menschen sind real...
Zitat: | Kinder wollen beten. Um das herauszufinden, brauche ich nur Kinder zu beobachten. Wenn Eltern bereits mit ihren Babys beten, schafft das eine Atmosphäre des Vertrauens. Das Urvertrauen, das ich bereits erwähnte, wird verstärkt. Der Säugling erfährt die Geborgenheit, die für ihn und seine Entwicklung so wichtig ist. |
Du verwechselst da etwas: Kinder wollen betteln. Kinder wollen spielen, wollen Schokolade, wollen ihre kleine Welt erkunden und sind neugierig. Nichts davon kann Religion bieten. Fuer Geborgenheit bedarf es keiner Religion und ich weiss wovon ich spreche, schliesslich war ich selbst mal Kind, aber nie religioes.
Zitat: | Würden alle ihrer Religion entsprechend leben, gäbe es weit weniger Leid auf der Erde. ein guter Jude wird sicher ein Guter Mensch sein - aber um ein guter Mensch zu sein, muss man kein Jude sein. SChließlich ist jder Gläubige in erster Linie ein Mensch unter Menschen. Eine eigentlich banale Einsicht, sie von Fanatikern jedweder Glaubensrichtung konsequent übersehen wird. Immer zuerst den Menschen sehen... |
Das ist ein weit verbreiteter Irrtum und besonders die Buchreligionen kommen dabei grundsaetzlich in Erklaerungsnot, weil sie in sich widerspruechlich sind. Sie stellen Regeln auf, die fuer ein friedliches Miteinander aeusserst ungeeignet sind, sie geben Heilsversprechen, die sie weder einloesen konnen noch verifizierbar sind. Die Menschheit bedarf ausschliesslich humanistischer Werte und keiner religioesen. Die Religionen beweisen und bewiesen, dass sie das denkbar untauglichste Mittel zur Vermittlung humanistischer Werte sind und waren.
Zitat: | Eine Umfrage ergab, dass knapp die Hölfte aller Westeuropär aus dem Glauben Kraft und Trost ziehen. Für unsere Zeit erstaunlich viele, meine ich. |
Nun, ich bin Mitteleuropaer. Ist aber auch egal.
Eine Umfrage ergab, dass knapp die Haelfte aller Westeuropär aus Plecebos Kraft und Trost ziehen. Für unsere Zeit erstaunlich viele, meine ich.
Zitat: | Zu den christlichen WErten gehören die Freiheit, das Erlben von Sinn und - als der Wert aller Werte - die Liebe. Liebe ist sicherlich ein schweres Unternehmen, gerade in unserer Gesellschaft, in der meist der Starke das Sagen hat. Lieben heißt: immer bereit sein zu Vergeben; ständig den ersten Schritt tun; den Glauben nie aufgeben, dass die Liebe das Größte ist; in den Mitmenschen und auch in mir selbst das Gute erkennen; die Verletzungen immer wieder überwinden und heilen lassen; Vorurteile abbauen; auf die Einsicht statt auf Macht und Herrschaft setzen. |
Dann bin ich als Atheist offenbar nach christlichen Werten erzogen worden, und zwar von Atheisten und inzwischen in der 4.Generation. Ich halte es fuer reichlich anmassend, dass ausgerechnet das Christentum den Anspruch erhebt, humanistische Werte der Aufklaerung fuer sich reklamieren zu koennen.
Zitat: | Beten ist auch eine Meditation und eine Art autogenes Training, das die Konzentrationsfähigkeit erhöht. Das stille Selbstgespräch stärkt das Wohlgefühl der Seele und das innere gleichgewicht. |
Beten ist keine Form der Mediation, sondern schlichtes betteln. Ich aeussere eine Bitte prinzipiell nur einmal...
Zitat: | Religiöse Erziehung ist auch jeden Fall ein Thema, mit dem sich Familien auseinander setzen sollten, die ihren Kindern Lebenssinn, ethische WErete und Geborgenheit mit auch den Weg geben wollen. Gerade in Zeiten des Wertepluralismus und der Unsicherheit vieler Menschen, auf welchen Werten sie ihr Leben gründen sollen, kann Religion helfen. Sie unterstützt Erwachsene wie Kinder bei der Sinnfindung sowie der Akzeptanz ethischer Werte. |
Diese Aussagen unterschreibe ich glatt. Klar ist aber, dass ich das Befassen mit Religion ausschliesslich als Religionskritik betrachte.
Zitat: | Der nichtreligiöse Mensch muss sich und sein Leben ständig selbst definieren, muss Werte für sich finden und für sich begründen. Die verschiedenen Religionen haben solche werte und daraus abgeleitete Gebote und Lebensregeln längst erfungen. |
Selbst ist der Mann. Bewegen, nachdenken und neu hinterfragen gehoert zu einem selbstbewussten, kritischen und verantwortungsvollem Leben nicht nur dazu, sondern sind etwas Elementares. Stillstand ist Lethargie.
Zitat: | Werte wie Mitmenschlichkeit (liebe deinen nächsten wie dich selbst) oder Ehrlichkeit (du sollst nicht lügen) regeln seit Jahrtausenden das Zusammenleben der Menschen, die diesen Religionen angehören, und geben ihnen Orientierung. |
Das bedeutet gar nichts. Diese Werte existierten und existieren unabhaengig von Religionen.
Zitat: | Ich möchte einen "Defizit religiöser Erziehung" bei Kindern, kombiniert mit der Hilflosigkeit vieler Eltern angesichts der Thematik konstantieren. Ich bin überzeugt, dass religiöse Erziehung in der Familie mit verantwortlich ist für eine gesunde seelische Entwiclung des Kindes. |
Die Realitaet belegt eher das Gegenteil. Was fuer eine gesunde seelische Entwicklung soll das denn sein, wenn Kindern eingeimpft wird, dass Frauen an den Herd gehoeren, Sexualitaet etwas Schutziges ist, das nur der Fortpflanzung dienen darf; das Homosexualitaet abartig ist und jeder Foetus ausgekeimt werden muss..?
Zitat: | Natuerlich sollte man Kindern nur soviel Religiösetät vermitteln, wie man sie selber auch empfindet. Im Grunde genommen sind die Fragen zur Religion der Kinder, ja die gleichen wie die der Erwachsenen. z.B. Kalle fragt seine Mutter: "Glaubst du an Gott?" Mutter: "ääääääh" |
Mutter: "Aeh, warum sollte ich?"
Zitat: | ES liegt an uns, die Werte der Menschheit und der Religionen verständlich zu formulieren, damit die Jugend damit etwas anfangen kann. Zu Idolen dürfen wir, dürfen die Medien nicht solche hochstilisieren, die dies nicht menschlich und ethisch verdienen. |
Da stimme ich Dir zu, nur sollte man auch soviel Redlichkeit besitzen, Werte des Humanismus nicht als originaer religioese Werte zu verkaufen.
Zitat: | Wichtige Werte finde ich außerdem: Achtung, Aufmerksamkeit, Aufrichtigkeit, Bescheidenheit, Dankbarkeit, Ehrlichkeit, Fairness, Fleiß, Friedfertigkeit, Freundschaft, Gerechtigkeit, Hilfsbereitschaft, Höflichkeit, Mitgefühl, Mut, Umweltbewußtsein, Ordnungsliebe, Pünktlichkeit, Solidarität, Toleranz, Akzeptanz, Treue, Verantwortung, Zivilcourage, Zuverlässigkeit und last-but-not-least die Nächstenliebe... |
Keinen Einwand, nur eine Frage: Wozu bedarf es dafuer Religionen?
_________________ Ich bin jenes Pferd, das unter der Peitsche der Kutscher den Wagen voller Gesindel hinter sich her ziehen muss.
[Sadegh Hedayat]
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Matti registrierter User
Anmeldungsdatum: 18.02.2005 Beiträge: 40
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(#271039) Verfasst am: 06.03.2005, 22:02 Titel: |
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Einige Anmerkungen zu Rousseaus Emile:
Seinen Zögling wählte er als einen "Durchschnittsgeist", weil nur der Durchschnitt Erziehung brauche und als Beispiel dienen könne. Die anderen erziehen sich nach Rousseaus Ansicht selbst. Da die "Durchblutung des Gehirns" im Norden wie im Süden weniger vollkommen sei, wählte Rousseau seinen Weltbürger aus der gemäßigten Zone, aus Frankreich zum Beispiel eher als anderswoher. R. geht zwar davon aus, dass die natürliche Erziehung für alle Lebensumstände tauglich mache, er hält aber nur die Erziehung der Reichen für erforderlich. Der Arme werde durch seinen Stand erzogen.
Auch wenn Rousseau von einer natürlichen Ordnung ausgeht, in der alle Menschen gleich sind und in der für alle die gemeinsame Berufung sei, Mensch zu sein, sieht er Unterschiede zwischen Männern und Frauen schon in deren Bestimmung: "Steht dieser Grundsatz fest, so folgt daraus, dass die Frau eigens geschaffen ist, um dem Mann zu gefallen".
Die Erziehung behinderter und gebrechlicher Kinder lehnt Rousseau ab ("Ich würde mich nicht mit einem kränklichen und siechen Kind belasten, und wenn es achtzig Jahre alt würde"). Er glaubt nicht an ihre Fähigkeit zu geistiger Entwicklung.
Der Emile ist tief von Normalitätsvorstellungen geprägt. Unser heutiges Normalitätskonstrukt über den normalen Schüler (deutsch, männlich, hochdeutschsprachig, bürgerlich, christliche Religion, Vater erwerbstätig, Mutter Hausfrau, körperlich und psychisch gesund, nicht behindert usw.) beruht vermutlich zu einem erheblichen Teil auf derart tradierten Normalitätsvorstellungen.
Da es sich um einen nach wie vor zur Lektüre empfohlenen Pädagogen handelt bzw. um ein weit verbreitetes pädagogisches Werk handelt, ist es - unkritisch verbreitet - dazu geeignet, Normalitätsvorstellungen weiter zu tragen. Darin enthaltene pädagogische Theorien können ein pädagogisches Menschenbild prägen und als Normalisierungsinstrument benutzt werden.
Mich würde sehr interessieren, wie ihr dies seht
Zuletzt bearbeitet von Matti am 07.03.2005, 08:40, insgesamt einmal bearbeitet |
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kamelpeitsche Weapon of Mass Discussion
Anmeldungsdatum: 15.11.2003 Beiträge: 4555
Wohnort: Devil's Dancefloor
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(#271070) Verfasst am: 06.03.2005, 23:10 Titel: |
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Matti hat folgendes geschrieben: | Da es sich um einen nach wie vor zur Lektüre empfohlenen Pädagogen handelt bzw. um ein weit verbreitetes pädagogisches Werk handelt, ist es - unkritisch verbreitet - dazu geeignet, Normalitätsvorstellungen weiter zu tragen. Darin enthaltene pädagogische Theorien können ein pädagogisches Menschenbild prägen und als Normalisierungsinstrument benutzt werden. |
(Hervorhebung von mir)
Damit hast du m.E. den Nagel auf den Kopf getroffen. Leider habe ich mir die Werke des Guten noch nicht angetan, halte einige seiner Ideen (korrigiert mich, falls ich einen falschen Eindruck gewonnen haben sollte) fuer die damalige Zeit aber fuer durchaus revolutionaer und progressiv. Ich koennte mir gut vorstellen, dass die Empfehlung fuer Paedagogen mehr vor dem historischen Hintergrund des Werkes getaetigt wird und deshalb klar sein sollte, dass man keine auf moderner Wissenschaft beruhenden Analysen der kindlichen Psyche erwarten sollte.
_________________ "Was immer jeder Einzelne mitbringen will an Prägung oder Anderssein - einem kollektiven Imperativ enzieht es sich mit Sicherheit"
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Malone auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 02.09.2004 Beiträge: 5269
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Matti registrierter User
Anmeldungsdatum: 18.02.2005 Beiträge: 40
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(#271086) Verfasst am: 06.03.2005, 23:44 Titel: |
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Ich darf mich ausnahmsweise selbst zitieren
Zitat: | Prosoziales Verhalten ist (wie jedes Verhalten) abhängig von der Persönlichkeit und der Umwelt/Situation. Aber auch von sozialen Rollen und Normen bei Helfern, Hilfsbedürftigen und evtl. Urheber der Notlage. Ob der/die Helfende nun letztlich mehr eigenen Überzeugungen/Einstellungen oder situationsspezifischen Normen folgt, lässt sich daher kaum verallgemeinern....Zu Deiner Frage, ob dies vielleicht angeboren sei, fällt mir das sog. "Kindchenschema" ein. Nach Konrad Lorenz handelt es sich dabei um einen angeborenen Mechanismus/Instinkt: Relativ großer Kopf, große tiefliegende Augen, täppische Bewegungen usw. lösen bei Tieren und Menschen Pflege- und Schutzreaktionen aus. Allerdings bietet die Lerntheorie eine überzeugendere alternative Erklärung. Durch Konditionierung haben wir gelernt, Kindsgesichter mit Pausbacken usw. als niedlich und süß zu bezeichnen und reagieren entsprechend positiv darauf. |
Daher stimme ich Deiner Feststellung gerne zu:
Zitat: | Ein einfaches Formelverhältnis (...) gibt es eben nicht, das Verhältnis ist dynamisch und bei unterschiedlichen Menschen und verschiedenen menschlichen Eigenschaften stets anders ausgeprägt |
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Tizi registrierter User
Anmeldungsdatum: 10.06.2004 Beiträge: 19
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(#271088) Verfasst am: 06.03.2005, 23:51 Titel: |
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Hallo zusammen
Herzlichsten Dank für Eure recht prägnanten Beiträge.
Ich denke wir stimmen soweit überein, dass es nicht DIE Antwort auf meine Fragen geben kann.
Einfach weil eine Menge verschiedener Aspekte die hier vermutlich auch nur Teilweise erwähnt wurden in entsprechende Antworten einfließen.
Um die bisherigen Ansichten mal grob zusammen zu fassen, wären da:
1. Aus sich selbst heraus.
Also quasi als wäre es dem Menschen in die Wiege des Herzens gegeben Gutes zu tun.
Manno, ich kenne wohl auch Menschen, denen ich gern derartige Eigenschaften zusprechen würde, aber ehrlich gesagt bin ich eher davon überzeugt, dass ein ausgeprägter Sozialsinn sowohl durch die Familiengemeinschaft, wie auch über entsprechend friedfertige Gene vermittelt werden. Siehe die bekanntermaßen unterschiedlich ausgeprägte Aggressionsschwelle bei Hunden. Warum sollte die Rasse Mensch anders gestrickt sein?
2. Wie schon erwähnt durch gesellschaftliche Konditionierung.
Als besonders beispielhaft betrachte ich da gerade die überwiegend jungen islamischen Selbstmordattentäter, die genauso, wie einst japanische Kamikazepiloten im guten Glauben bereitwillig ihr eigenes Leben dem Gemeinwohl opferten. Zugegebenermaßen die höchste Form sozialen Handelns. Wobei hier natürlich außer Frage steht, dass diese Menschen vermutlich mehrheitlich durch einseitige Beeinflussung nie eine freie Entscheidung treffen konnten. Aber es erklärt zumindest warum für den einen, wie auch den anders denken und handelnden Menschen streng genommen die selben Bewertungsmaßstäbe angelegt werden müssten. Nämlich am besten keinen.
Was wiederum dem eigenen Selbsterhaltungstrieb zuwiderlaufend vollkommen utopisch erscheint.
3. Bewusst- bzw. unbewusster dem Selbsterhalt dienender Ausgleich von empfangener Hilfe.
Das heißt der Bereitschaft zum Geben, wenn erwartet werden darf zu einem künftigen Zeitpunkt ebenfalls Hilfe erwarten zu dürfen.
Da einzelne Menschen, Gruppen Völker, bzw. Rassen, selbst den Maßstab bilden, was sozial und Gewissenhaft definier wird, ergeben sich aus den unterschiedlichen Bewertungen anders aufgestellter Gruppen, Völker und Rassen, entsprechende Konflikte.
Gerade in theologischen Fragen dürften hier genügend Beispiele bekannt sein.
Als exemplarisches Beispiel möchte ich hier nur kurz den Kannibalismus erwähnen, der so gar nicht in das christlich geprägte Weltbild passen möchte, obwohl derartige Riten für die sogenannten Wilden sehr wohl einen sozialen Zweck erfüllten.
Gleiches dürfte für viele Indianische Völker gelten, wenn sie Göttern ihre eigenen Kinder opferten. Auf der anderen Seite brauch man die längere Vergangenheit gar nicht so bemühen, waren es doch noch in jüngerer Zeit christlich geprägte Deutsche die dem Gemeinsinn dienend, mit unvorstellbarer Rohheit, gleich ganze Volksgruppen aus ihren Reihen zu eliminieren trachtete.
Wenn ich es so recht betrachte, dann ergibt sich aus den Antworten wie selbstverständlich, dass wir besonders durch unser Umfeld geprägt werden,
a) was als sozial definiert wird.
b) wir uns dieser Definition unterzuordnen haben, wollen wir nicht Gefahr laufen, den Schutz der selbsterhaltdienenden Gemeinschaft zu verlieren
c) wir uns streng genommen, soweit wir die Freiheit besitzen, nur uns selbst gegenüber verpflichtet sind.
d) soziales Empfinden auch durch die Angst gebildet wird, selbst als Außenseiter behandelt zu werden.
Daher ja auch der pseudochristliche Anspruch: Was Du nicht willst dass man Dir tu, dass füg auch keinem anderen zu.
So im Großen und Ganzen sieht es mit der Selbstlosigkeit dann doch nicht so fein aus, wie es vielleicht nach außen hin wirken mag. Die sogenannte Mutter Theresa hatte ja auch nicht nur ihre strahlend hellen Seiten. Nein nein, tief im Innern füttert jeder von uns seinen eigenen Schweinehund und versucht möglicherweise mit sozialen Aktionismus die eigenen Schattenseiten zu kompensieren.
Ach ja Kinder, nein also die betrachte ich nicht wirklich als sozialverträgliche Wesen.
Wenn man sie nur unwidersprochen ließe, würden die sich wie die Erwachsenen auch gleich die Köpfe einschlagen, ohne nur mit der Wimper zu zucken. Erst durch die erzieherischen Lenkungsversuche bekommen sie doch erst ein Gespür für dass, was für sie als Recht oder Unrecht zu gelten hat.
Aber boahh, danke für die Beteiligung. Ich find es wirklich wahnsinnig interessant welche Meinungen hier doch so zusammenkommen. Genauso interessant wie Rousseau´s Gedankenwelt, wenngleich ich seine Thesen über die ich mehr zufällig gestolpert bin, weitgehend weltfremd empfand.
Schade hingegen auch, wenn derlei Diskussionen, obwohl ich mich nicht mal als Atheist begreife, ständig im religiösen Morast zu versinken drohen.
cu Tizi
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Matti registrierter User
Anmeldungsdatum: 18.02.2005 Beiträge: 40
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(#271092) Verfasst am: 07.03.2005, 00:00 Titel: |
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kamelpeitsche hat folgendes geschrieben: | Ich koennte mir gut vorstellen, dass die Empfehlung fuer Paedagogen mehr vor dem historischen Hintergrund des Werkes getaetigt wird und deshalb klar sein sollte, dass man keine auf moderner Wissenschaft beruhenden Analysen der kindlichen Psyche erwarten sollte. |
Vor dem Hintergrund des beschriebenen Bildes eines Zöglings finde ich es problematisch diesen Erziehungsroman heute in einem positiven Sinne als Epochenwerk mit fundamentaler Bedeutung für unser pädagogisches Menschenbild zu bezeichnen und als vorbildlich zu charakterisieren (so der Klappentext). Es geht mir nicht darum, Rousseau zu denunzieren noch einen über 200 Jahre alten Text umstandslos im Lichte heutiger Aufmerksamkeit zu zerlegen.
Rousseaus Werk war als Utopie angelegt und seine Ideen waren für die damalige Zeit - wie du auch schreibst - revolutionär. Mir ging es um implizite Normalitätsvorstellungen und Normalisierungen, die sich in vielen pädagogischen Theorien - auch bei Rousseaus Emile - finden und auf eine verdeckte Weise bis heute fortgesetzt werden.
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kamelpeitsche Weapon of Mass Discussion
Anmeldungsdatum: 15.11.2003 Beiträge: 4555
Wohnort: Devil's Dancefloor
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(#271094) Verfasst am: 07.03.2005, 00:07 Titel: |
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Matti hat folgendes geschrieben: | und als vorbildlich zu charakterisieren (so der Klappentext). |
Das ist allerdings fragwuerdig, da hast du Recht
_________________ "Was immer jeder Einzelne mitbringen will an Prägung oder Anderssein - einem kollektiven Imperativ enzieht es sich mit Sicherheit"
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Sermon panta rhei
Anmeldungsdatum: 16.07.2003 Beiträge: 18430
Wohnort: Sine Nomine
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(#271095) Verfasst am: 07.03.2005, 00:08 Titel: |
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Tizi hat folgendes geschrieben: | 2. Wie schon erwähnt durch gesellschaftliche Konditionierung.
Als besonders beispielhaft betrachte ich da gerade die überwiegend jungen islamischen Selbstmordattentäter, die genauso, wie einst japanische Kamikazepiloten im guten Glauben bereitwillig ihr eigenes Leben dem Gemeinwohl opferten. Zugegebenermaßen die höchste Form sozialen Handelns. |
Wer bereit ist, beim Massenmord das eigene Leben zu riskieren, handelt in unueberbietbarem Masze sozial? Offenbar ist Deine Hochachtung von vermeintlichen Sekundaertugenden voellig unabhaengig von primaeren ethischen Kriterien. Handlungen abstrakt ohne den Kontext zu bewerten, ist voellig inadaequat.
_________________ "Der Typ hat halt so seine Marotten" (Sermon über Sermon)
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Tizi registrierter User
Anmeldungsdatum: 10.06.2004 Beiträge: 19
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(#271103) Verfasst am: 07.03.2005, 00:37 Titel: |
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@Sermon
Wow, erstaunlich was Du so aus meinen Texten interpretierst.
Ein gelungenes Beispiel, um aufzuzeigen wie schnell man(n) doch bereit ist die eigene Ansicht, selbst wenn sie noch so eng gefasst ist aus der Hüfte heraus zu erwidern.
Da ich darum bemüht bin meinen Kopf zu gebrauchen, noch hier angetreten bin um verbale Schlachten zu führen, möchte ich Dich bitten meinen Text im Zusammenhang zu betrachten.
Ich denke dann sollte auch Dir meine Gedanke begreiflich werden.
Cu Tizi
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