Mautpreller Ortograf
Anmeldungsdatum: 17.02.2005 Beiträge: 246
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(#309754) Verfasst am: 29.06.2005, 10:55 Titel: |
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zelig hat folgendes geschrieben: | Mautpreller hat folgendes geschrieben: | Ich kann diese Überlegung nicht abwegig finden, obwohl ich nicht weiß, ob er recht hat (auch Lenin hat gern die Fragen der Demokratie und des Krieges in einen Topf geschmissen, in den sie wohl nicht ohne weiteres gehören). Jeder verantwortungsvolle Mensch sollte sich diese Frage zumindest stellen. |
Könntest Du das ein wenig erläutern? Für jemanden, der von Marxismus-Leninismus nicht viel Ahnung hat? |
Ich wills versuchen. - Marx' Vorstellung von einer nachrevolutionären Staatlichkeit war geprägt von den Erfahrungen der Pariser Commune. Die "Diktatur des Proletariats" sollte vor allem die Revolution verteidigen, im Wesentlichen gegen ihre Gegner aus der Bourgeoisie und den Landbesitzern. Da die Diktatur des Proletariats als (durchaus gewaltsame) Diktatur der großen Mehrheit der Bevölkerung gedacht war, geht es ihm dabei um ein rätedemokratisches System.
Trotzki spielt in seinem Text natürlich auf einiges andere an (vor allem die "Partei neuen Typs" von lenin, auf die ich hier nicht eingehen will). Interessant ist hier, dass aufgrund der besonderen Situation Russlands die Bauern eine zentrale Rolle spielen mussten - die ja meist eben nicht Proletarier waren. Bei der von Trotzki zitierten "alten" bolschewistischen Parole von der "demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern" handelte es sich eben um einen Versuch, die revolutionären Interessen dieser Klassen zu bündeln und in eine politische Bewegung und schließlich auch in eine Staatsform umzusetzen.
Was ich nun meine: Lenin und Trotzki, aber auch Liebknecht und Luxemburg standen unter dem unmittelbaren Eindruck, dass 1914 die Internationale zusammengebrochen war. Keineswegs nur aufgrund der Winkelzüge irgendwelcher Mächtigen, sondern weil es eine erhebliche Kriegsbegeisterung bei den Massen gab und auch die sozialdemokratischen Parteien sich den nationalen Imperativen unterordneten. Es gab eben Kriegszustimmung, Burgfrieden, Kriegskredite, Vaterlandsverteidigung. Das große Morden, das die Arbeiterbewegung (die doch "kein Vaterland" haben sollte!) vielleicht hätte verhindern können, fand im Wesentlichen mit ihrer Zustimmung und Beteiligung statt!
In dieser Situation muss die Frage sich aufdrängen: Ist es jetzt (!) sinnvoll, die Parole einer "demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern" auszugeben, wenn dies aller Voraussicht nach zur Fortdauer des Krieges und damit zur Fortsetzung des Mordens führt (zum Sieg der Vaterlandsverteidiger)? Ich meine, diese Frage musste sich jeder verantwortungsvolle Mensch stellen. Trotzki entscheidet sich für das Setzen auf eine Kerngruppe organisierter Proletarier (in den großen Städten), die ihm am ehesten die Chance zu bieten scheint, dass man den Krieg beenden kann. Das ist der bolschewistischen Revolution ja auch tatsächlich gelungen: sie haben 1917 den Krieg von russischer Seite beendet, um den Preis erhablicher Zugeständnisse an Deutschland.
Was ich mit den Fragen der "Demokratie" und des "Krieges" meine, die bei Lenin so oft zusammen auftauchen: Die eine Frage ist: Wie überwinde ich Krieg und Nationalismus, wie schaffe ich eine wirkliche Internationale als politische Kraft? (Schließt natürlich den Bruch mit dem herrschenden Staat ein; was die Brücke zur zweiten Frage bildet.) Die andere: Wie soll der "neue" (später ja "abzusterbende") Staat aussehen, welche Formen der Machtausübung werden angestrebt? Können und sollen die Organe der Revolution (die Sowjets, die Partei) zu Organen der Staatsmacht werden? Um beide Fragen ging es bei den großen Auseinandersetzungen zwischen Lenin, Trotzki, Luxemburg und den Revisionisten. Während die Revolutionäre sicherlich Recht hatten mit ihrer Kritik des Nationalismus und des Arrangements mit dem Staat, der den imperialistischen Krieg führt, ist die Sache bei den Fragen von Macht und Demokratie erheblich komplizierter. Lenin hat recht unbedenklich vertreten, dass selbstverständlich die revolutionären Organe zu Staatsorganen werden sollten (und damit zu Unterdrückungsorganen). Luxemburg sah hier ein großes Problem: dass die Diktatur einer Klasse zur Diktatur einer Partei werden könnte (was vielleicht während der Kämpfe notwendig, später aber gefährlich sein könnte). Kautsky bezweifelte prinzipiell, dass es die Diktatur einer Klasse geben könne. - Woran sicherlich so viel richtig ist, dass die Frage der politischen Machtausübung im Marxismus und in der Arbeiterbewegung nicht wirklich geklärt war und wohl auch deutlich unterschätzt wurde. Hier gibt es noch viel zu diskutieren.
_________________ Die niederen Alkanthiole sind widerlich riechende Flüssigkeiten ohne besondere praktische Bedeutung (Lautenschläger u.a. 1987, Chemie - Fakten und Gesetze). --- Die Ärmsten!
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