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unnütze Institutionen und Staatsämter

 
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Cato
Der Freund der Bösen



Anmeldungsdatum: 13.08.2005
Beiträge: 970
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Beitrag(#527667) Verfasst am: 23.07.2006, 00:45    Titel: unnütze Institutionen und Staatsämter Antworten mit Zitat

Der Bundespräsident

Weimar und deine Folgen; das Scheitern der ersten deutschen Republik beinhaltet viele nützliche Lehren, um ein Scheitern der zweiten Republik zu vermeiden oder doch zumindest ernsthaft zu erschweren. Das Grundgesetz wurde ja fast ausschließlich unter dieser Prämisse verfasst – dennoch bleibt es eben ein unzulängliches Surrogat; ein kantscher Versuch, mittels von Gesetzen und Klauseln, Freiheit und Demokratie auf ewig festschreiben zu lassen. Unzulänglich ist dieser Versuch nicht nur allein deshalb, weil Papier eben geduldig ist und das auch noch so trefflich ausformulierte Ideal eben nicht dadurch Wirklichkeit wird, wenn man es zu Papier bringt, sondern auch dadurch, dass eine Demokratie eben nur dann dauerhaft sein kann, wenn ihre Werte den gesellschaftlichen Konsens darstellen: nur dann werden demokratische Entscheidungsprozesse und Prinzipen auch akzeptiert und verteidigt – in allen anderen Fällen scheitert die Demokratie bei der ersten ernsthaften Krise.

Die verfassungstheoretische Schwachstelle der Weimarer Republik wird schnell deutlich: Das Amt des Reichspräsidenten barg in seinem Kern bereits die Tyranis; vom Volk direkt auf sieben Jahre (sic!) gewählt, mit Oberbefehl über die Armee, dem Recht die Regierung zu ernennen und zu entlassen, das Parlament aufzulösen, Notverordnungen mit Gesetzescharakter zu erlassen und wesentliche Teile der Verfassung auszusetzen war es nur eine Frage der Zeit, bis sich diese unglaubliche Machtkonzentration gegen die Republik richten würde – mit der Wahl Hindenburgs wurde dann auch ein erklärter Feind der Demokratie in dieses Amt gewählt und selbst der Anstreicher versuchte sich 1932 durch die Wahl in dieses Amt die Möglichkeit zur "legalen" Errichtung der Tyranis zu verschaffen... der Rest ist bekannt und daher drückte man dieses zeitlich begrenzte Wahl- und Volkskönigtum – wie es noch heute in Amerika und Frankreich (wenn auch in wesentlich gemäßigter Form) vorkommt – auf eine rein zeremonielle Stellung herab; der quasimachtlose Bundespräsident als Gegenstück zum fast allmächtigen Reichspräsidenten. Es zeugt jedoch nicht gerade von politischen Weitblick, dass man derartige Machtkonzentrationen in den Händen eines Amtsträgers nun generell abschaffte, sondern man legte die Machtbefugnisse in die Hände des Kanzlers; da ist es ein schwacher Trost, dass dieser an die jeweilige Mehrheit im Bundestag gebunden ist. Denn dieses Kontrollinstrument ist ein höchst zweischneidiges Schwert und es setzt de facto die Gewaltenteilung und somit die gegenseitige Machtkontrolle zwischen Exekutive und Legislative aus; gerade durch das Parteienunwesen, dass den einzelnen Abgeordneten vom Volksvertreter zum Parteisoldaten degradiert, hat der Kanzler – gewöhnlich der Vorsitzende der größten Regierungspartei (damit gibt es nämlich erst Regierungs- und Oppositionsparteien) – hat fast automatisch eine Mehrheit hinter sich und kann somit gänzlich ohne Widerspruch seitens des Parlaments regieren, was ihm die gewünschten Beschlüsse, Budgets und Gesetze verschafft. Einzig am Wahltag hat das eigentlich souveräne Volk eine Möglichkeit gegen die quasidespotischen Irrsinn einzuschreiten, allerdings nur in der Form, dass man den einen Parteizar durch einen anderen ersetzen kann; ein Armutszeugnis für ein Staat der freiheitlich und demokratisch sein möchte... (doch ich laufe Gefahr abzuschweifen)

Neben der rein zeremonielle Rolle (von einigen wenigen unwichtigen Ausnahmen abgesehen), erhielt das das Amt des Bundespräsidenten noch weitere Funktionen; das Ausschalten politischer Rivalen beispielsweise, der Präsident bewirbt sich nun mal nicht um das Kanzleramt – daraus erklären sich auch Versuche Helmut Kohl oder Angela Merkel in dieses Amt wählen zu lassen. Die weitere ist die einer moralischen Instanz, der unparteiische der Über allen steht und hin und wieder den widerstreitenden Strömungen einige Worte ins Stammbuch schreibt; allerdings ein vergebliches Unterfangen, der erste Amtsinhaber - Theodor Heuss – stimmte als Abgeordneter für Hitlers Ermächtigungsgesetz und konnte als Ausrede nur den Fraktionszwang anführen; in anderen Ländern hätte ihn dies sicherlich das Bürgerrecht gekostet, aber in Adenauers Staat verwehrte ihm dieses würdelose Verhalten noch nicht einmal den Zugang zum formell höchsten Staatsamt; sein Nachfolger, Heinrich Lübke, hatte sich zwar weniger kompromittiert, sich aber ansonsten auch nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert. Gustav Heinemann, der dritte in der Runde nun verstand sich als "Bürgerpräsident", der liberale und demokratische Werte hochhielt und sich gegen das tiefverwurzelte obrigkeitsstaatliche Denken engagierte – so, wie Willy Brandt der einzige Kanzler, in der bisherigen Geschichte der Republik, war, für den regieren mehr bedeutete als bloßer Erfühlungsgehilfe von wirtschaftlichen und populistischen Begehrlichkeiten zu sein und schon gar kein Selbstzweck – wie bei Adenauer – sondern die bewusste und (teilweise auch) visionäre Weiterentwicklung und Umgestaltung der bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zustände, so, sah auch Heinemann in seinem Amt mehr als die sonst übliche politische Honorarprofessur. Mit Walter Scheel – fast zeitgleich mit Helmut Schmidts Kanzlerschaft – kehrte man, ganz dem bundespolitischen Trend folgend, in die alten Wege zurück – und hat sie seitdem nicht mehr verlassen, was auch der Grund ist, warum nun seit mehr als 30 Jahren alle Regierungen die im Grunde gleiche Politik betrieben haben... der Wechsel von Kohl auf Schmidt war ja nur ein Wechsel der Personen und nicht der Politik, so auch Karl Carstens, über den nichts nennenswertes zu berichten ist.

Richard von Weizsäckers Präsidentschaft markiert das Ende der Gnade der späten Geburt, von nun an werden die Reden unerträglicher, lachhafter und absurder, der endgültige Fall der moralischen Instanz kündigt sich an und tritt dann auch mit Roman Herzog ein:

http://www.bundespraesident.de/dokumente/-,2.15154/Rede/dokument.htm

Das Schöne, daran zu glauben, dass man ganz unten angekommen sei, liegt in der Gewissheit, nun nicht mehr tiefer sinken zu können; und wahrlich, Johannes Rau, der sich seinen Spottnamen "der Fromme" redlich verdient hatte, bewegte sich auf derselben niveaulosen Ebene wie Herzog – selbst eine mögliche Wahl Angela Merkels oder gar Edmund Stoibers schien keine weiteren Abgründe, in der wenig glanzlosen Geschichte dieses Amtes, aufreisen zu können – doch es sollte anders kommen: Mit Horst Köhler kam er über uns, der Bundeshorst. Horst & Eva Köhler symbolisieren so sehr die Nichtigkeit des postmodernen Deutschlands, dass sie Meica doch glatt auf die Verpackung ihrer Deutschländer Würstchen drucken könnte. Einige Kostproben von Köhlers bisherigem Wirken:

http://www.welt.de/data/2005/02/03/457721.html

Zitat:
Die Shoah [der systematische Massenmord der Nazis an den Juden] ist Teil der deutschen Identität


Ich wusste gar nicht, dass wir in einem Staat leben, in dem das Staatsoberhaupt die Identität des Staatsvolkes (und damit jeden Einzelnen) verbindlich festlegt; nebenbei: der Nationalsozialismus ist ebenso wie dessen Verbrechen ein Teil der deutschen Geschichte – mehr aber auch nicht (wir haben ja auch keine öffentlich normierte Identität im Bezug auf Sachsenkriege und Zwangschristianisierung, den Hexenwahn oder gar den Dreißigjährigen Krieg); ein Staat der seine Identität aus den Verbrechen seines Antipoden zieht ist ein absurdes Kuriosum; und die Bundesrepublik will ja in allem das Gegenteil des Dritten Reiches sein, ein Blick in die Verfassung genügt, um dies zu bemerken. Zumal Köhler auch ein eigenartiges Rechtsverständnis an den Tag legt: Weder kann die Bundesrepublik die Verantwortung für die Verbrechen des NS-Staates übernehmen noch die Bundesbürger. Da die Verantwortung ausschließlich die direkt oder indirekt Beteiligten an den NS-Verbrechen zu tragen haben; und die pflegt die Bundesrepublik ja noch heute mit Samthandschuhen anzufassen. Den Vorwurf der Heuchelei muss sich Köhler daher gefallen lassen... (zumindest tendieren seine Forderungen nach Sanktionen und Ächtungen überführter NS-Verbrecher gegen Null – nicht einmal zu posthumen Gesten lässt sich er sich hinreißen)

Aber wo wir gerade beim identitätsstiftenden der NS-Verbrechen sind; vielleicht könnte man den unseligen Gottesbezug, aus der Verfassung, streichen lassen und die Präambel wie folgt ändern:

Zitat:
Im Bewußtsein seiner Verantwortung für den Holocaust und vor den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.


Übrigens, unser aller Bundeshort:

http://www.ksta.de/html/artikel/1152086926142.shtml

Zitat:
Aber wir sollten auch aufpassen, dass es in der politischen Debatte keine Äußerungen gibt, durch die sich die Türken zurückgesetzt fühlen. Wir sollten nie vergessen: Die Türken sind ein stolzes, kraftvolles Volk. Und die Türkei ist für Europa ein wichtiger Partner.


Wie passt die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten mit diesem Totschweigen der gänzlich gleichartigen Verbrechen der Jungtürken an den Armeniern zusammen? (alle Unterschiede erklären sich durch Zeit, Ort und allein in dem quantitativen Ausmaß des Mordens – die Intention und Systematik des Tötens bleiben die gleiche... wobei noch anzumerken ist, dass der Völkermord an den Armeniern unter den Augen und mit Zustimmung bzw. reger Teilnahme der türkischen und kurdischen Bevölkerung von statten ging – während die Nazis peinlich genau darauf acht gaben, ihrer Bevölkerung weiß zu machen, bei den Deportationen in den Osten handele es sich um Umsiedlungsaktionen und die Existent der Tötungsmaschinerie wie Staatsgeheimnis hüteten.)

Verurteilt wurde keiner der türkischen Täter jemals; spricht man das Verbrechen in der Türkei an, so drohen Gefängnisstrafen und Übergriffe des nationalistischen Mobs – mehr noch, die Türkei besitzt sogar die Frechheit, auf Staaten Druck ausüben zu wollen, die das Verbrechen, als das was es ist - nämlich Völkermord, brandmarken; und einem so gesinnten Volk - es ist ja nicht die böse Regierung, die hier die unbequeme Wahrheit verschweigen will, sondern die Leugnung des Völkermords entspringt dem krankhaften Nationalstolz der breiten Massen – soll man nicht zu nahe treten? Und dies unter der Prämisse, dass die Türkei in keinem Fall die Kopenhagener Kriterien erfüllt und es daher eigentlich gar keine Beitrittsverhandlungen geben sollte...

Bevor ich noch mehr abschweife: Das Amt des Bundespräsidenten sollte ebenso wie das Kanzleramt abgeschafft werden; ersteres, weil es ohne echte Kompetenzen ist und letzteres, weil es schlichtweg zu mächtig und unkontrollierbar ist – die Exekutivgewalt sollte möglichst fragmentiert und zeitlich eng begrenzt sein...
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Im Übrigen bin ich dafür, dass der Monotheismus zerstört werden muss.
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Sermon
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Anmeldungsdatum: 16.07.2003
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Beitrag(#527682) Verfasst am: 23.07.2006, 01:13    Titel: Re: unnütze Institutionen und Staatsämter Antworten mit Zitat

1. Du begruendest eine Institutionenkritik mit einer Amtsinhaberkritik. Das ist nicht verfassungssystematisch, sondern personal gedacht.
2. Bei Deiner Amtsinhaberkritik entgeht Dir die eigentliche Pointe! ('Shoah' ist ein Begriff aus der juedischen Theologie, welcher von ahnungslosen Nichtjuden nachgeplappert verwendet wird, denen man gesagt hat, das der (was diese auch nicht wissen: aus der christlichen Apokalypse stammende) Begriff 'Holocaust' tatsaechlich unpassend sei - womit ein Mythosmurks durch einen anderen ersetzt wird, statt analytisch Klartext zu reden: "Die Ermordung der europaeischen Juden".)
3. Was wir erleben, ist die seit Jahren stattfindende Entmachtung demokratischer Strukturen. Was haben Mandatstraeger denn noch zu entscheiden? Wo sind denn politische Alternativen? Dagegen ausgerechnet eine kaum erreichbare Verfassungsaenderung - hinsichtlich einer Abschaffung des Amtes des Bundespraesidenten - zu fordern, ist ein ziemlich weltfremdes und leicht populistisches Ansinnen.
4. Voellig unklar ist, was denn statt der Kanzlerschaft kommen soll.
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"Der Typ hat halt so seine Marotten" (Sermon über Sermon) Der Typ hat so seine Macken
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Cato
Der Freund der Bösen



Anmeldungsdatum: 13.08.2005
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Beitrag(#527708) Verfasst am: 23.07.2006, 06:44    Titel: Re: unnütze Institutionen und Staatsämter Antworten mit Zitat

Sermon hat folgendes geschrieben:
1. Du begruendest eine Institutionenkritik mit einer Amtsinhaberkritik. Das ist nicht verfassungssystematisch, sondern personal gedacht.


Eigentlich nicht, da ich die Nichtigkeit des Amtes anfangs ausführe und mich später mit der Funktion des Präsidenten als moralische Instanz, als oberster Zeremonienmeister der Republik, befasse und dazu eben eine Amtsinhaberkritik unerlässlich ist...

Sermon hat folgendes geschrieben:
2. Bei Deiner Amtsinhaberkritik entgeht Dir die eigentliche Pointe! ('Shoah' ist ein Begriff aus der juedischen Theologie, welcher von ahnungslosen Nichtjuden nachgeplappert verwendet wird, denen man gesagt hat, das der (was diese auch nicht wissen: aus der christlichen Apokalypse stammende) Begriff 'Holocaust' tatsaechlich unpassend sei - womit ein Mythosmurks durch einen anderen ersetzt wird, statt analytisch Klartext zu reden: "Die Ermordung der europaeischen Juden".)


Zumindest für mich sind "Holocaust" und " Shoah" weitgehend synonym mit "der Vernichtung der europäischen Juden durch die Nazis", was auch für weite Teile der Öffentlichkeit zutreffen dürfte – selbst das Berliner Mahnmal firmiert unter dem Namen "Holocaust-Mahnmal"; daher...

Sermon hat folgendes geschrieben:
3. Was wir erleben, ist die seit Jahren stattfindende Entmachtung demokratischer Strukturen. Was haben Mandatstraeger denn noch zu entscheiden? Wo sind denn politische Alternativen? Dagegen ausgerechnet eine kaum erreichbare Verfassungsaenderung - hinsichtlich einer Abschaffung des Amtes des Bundespraesidenten - zu fordern, ist ein ziemlich weltfremdes und leicht populistisches Ansinnen.


Eine Selbstentmachtung der Volksvertreter wohlgemerkt und diese lässt sich eben nur durch die Hierarchien der Parteien und deren (kurzsichtige) Machtinteressen – die berühmte Fixierung auf die kommende Wahl – erklären; allenfalls die Verlagerung von Entscheidungskompetenzen nach Brüssel beschneidet die Macht des Parlaments auf ähnliche Weise, aber gerade gegen diese könnte sich die Regierung gegenwärtig am leichtesten zu Wehr setzen – und das Parlament hätte jedes Mittel, um sie dazu zu zwingen; tut es aber nicht.

Die Trennung von Exekutive und Legislative könnte sich hier durchaus als heilsam erweisen; beide Gewalten hängen dann nicht mehr von einander ab und das Primat der Regierung über die Gesetzgebung sollte ein Ende finden. Diese Reform kann natürlich nur als Element einer weitreichenden Neuorganisation wirkliche Früchte tragen – wie man die Macht der Fraktionen brechen kann und somit eine ergebnisoffene Debattenkultur, sprich einen wirklichen Parlamentarismus, etablieren kann bleibt allerdings offen. Mehr, als an die Vernunft und die Einsicht der Abgeordneten zu appellieren, auch einmal für einen Vorschlag der anderen Fraktionen zu stimmen, bleibt hier wohl nicht...

Sermon hat folgendes geschrieben:
4. Voellig unklar ist, was denn statt der Kanzlerschaft kommen soll.


Die Monopolisierung der Macht ist erstes gefährlich und zweitens ineffizient; Gefährlich deshalb, weil Macht immer missbraucht werden kann und ineffizient deshalb, weil niemand den Überblick über derart komplexe Politikfelder haben kann und somit nicht unbedingt die fähigsten Leute beruft – Annette Schavan, mit ihrem Kreuzzug gegen die Forschung mit embryonalen Stammzellen, als Ministerin für Bildung und Forschung, ist nur ein Beispiel für einen derart eklatanten Griff ins Klo; der Parteienkanzler ist zudem oft gezwungen verdiente Parteigenossen in die Ämter zu befördern, obwohl diese von der erforderlichen Materie relativ wenig Ahnung haben... ließe man nun die Position des Kanzlers direkt vom Volk wählen, so hätte man eine politisch bedingt unabhängigere, aber zugleich auch selbstherrlichere Vergabe der Ämter.

Als Alternative wäre zum einen ein direkt vom Volk gewähltes Kollegium (vergleichbar dem Bundesrat in der Schweiz) denkbar, das per Mehrheitsbeschluss die Regierungsgeschäfte führt und die Ministerämter besetzt und gegebenenfalls durch Misstrauensvotum vorzeitig aus dem Amt entlassen werden kann – dies macht eine vernunftmäßigere Besetzung der Ämter zumindest theoretisch wahrscheinlich. Weißt aber nahezu die gleichen Probleme auf wie das alte Kanzleramt. Die sinnvollste Alternative könnten direkt gewählte Kollegien als oberste Leitung der einzelnen Ressorts sein oder auch die Direktwahl der Ressortleiter durch das Volk; was allerdings wieder das Problem des Populismus und der Wahl des kleineren Übels aufwirft Zudem sich dann die Bürger über eine Vielzahl von Kandidaten für die einzelnen Tätigkeitsfelder befassen müssten und der organisatorische Aufwand für Wahlen größer wird. (Wahlausschüsse für diese Aufgabe sind nun wirklich keine wünschenswerte Option) Eine derartige Steigerung der politischen Mitwirkung ist ein höchst zweischneidiges Schwert: Entweder nimmt die Politikverdrossenheit zu oder es erfolgt endlich eine nachhaltige Politisierung der Massen.

Das große Ziel ist hin zu einer auf Konsens- und Diskussion basierenden Entscheidungsfindung und weg von der Spaltung des Landes in Regierung und Opposition; es ist ja auch völlig unsinnig, dass immer fast die Hälfte der Menschen in der Regierung kein Gehör finden sollen und jede Wahl einen radikalen Politikumschwung bringt – würden die großen Parteien sich hier spürbar konzeptionell unterscheiden, so würde man dies deutlich spüren, wenn vier Jahre SPD und Grüne eine ökologische Planwirtschaft einführen wollten und dann in den nächsten vier Jahren FDP und CDU ihre Vision einer deregulierten Marktwirtschaft...
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Raphael
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Anmeldungsdatum: 01.02.2004
Beiträge: 8362

Beitrag(#527753) Verfasst am: 23.07.2006, 11:39    Titel: Re: unnütze Institutionen und Staatsämter Antworten mit Zitat

Cato hat folgendes geschrieben:
Sermon hat folgendes geschrieben:
1. Du begruendest eine Institutionenkritik mit einer Amtsinhaberkritik. Das ist nicht verfassungssystematisch, sondern personal gedacht.


Eigentlich nicht, da ich die Nichtigkeit des Amtes anfangs ausführe und mich später mit der Funktion des Präsidenten als moralische Instanz, als oberster Zeremonienmeister der Republik, befasse und dazu eben eine Amtsinhaberkritik unerlässlich ist...

Sermon hat folgendes geschrieben:
2. Bei Deiner Amtsinhaberkritik entgeht Dir die eigentliche Pointe! ('Shoah' ist ein Begriff aus der juedischen Theologie, welcher von ahnungslosen Nichtjuden nachgeplappert verwendet wird, denen man gesagt hat, das der (was diese auch nicht wissen: aus der christlichen Apokalypse stammende) Begriff 'Holocaust' tatsaechlich unpassend sei - womit ein Mythosmurks durch einen anderen ersetzt wird, statt analytisch Klartext zu reden: "Die Ermordung der europaeischen Juden".)


Zumindest für mich sind "Holocaust" und " Shoah" weitgehend synonym mit "der Vernichtung der europäischen Juden durch die Nazis", was auch für weite Teile der Öffentlichkeit zutreffen dürfte – selbst das Berliner Mahnmal firmiert unter dem Namen "Holocaust-Mahnmal"; daher...


Ich glaube, der amtliche Name lautet "Mahnmal (Denkmal?) für die ermordeten Juden Europas", womit man beide fremdsprachliche Begriffe vermeidet.

Zitat:
Sermon hat folgendes geschrieben:
3. Was wir erleben, ist die seit Jahren stattfindende Entmachtung demokratischer Strukturen. Was haben Mandatstraeger denn noch zu entscheiden? Wo sind denn politische Alternativen? Dagegen ausgerechnet eine kaum erreichbare Verfassungsaenderung - hinsichtlich einer Abschaffung des Amtes des Bundespraesidenten - zu fordern, ist ein ziemlich weltfremdes und leicht populistisches Ansinnen.


Eine Selbstentmachtung der Volksvertreter wohlgemerkt und diese lässt sich eben nur durch die Hierarchien der Parteien und deren (kurzsichtige) Machtinteressen – die berühmte Fixierung auf die kommende Wahl – erklären; allenfalls die Verlagerung von Entscheidungskompetenzen nach Brüssel beschneidet die Macht des Parlaments auf ähnliche Weise, aber gerade gegen diese könnte sich die Regierung gegenwärtig am leichtesten zu Wehr setzen – und das Parlament hätte jedes Mittel, um sie dazu zu zwingen; tut es aber nicht.

Die Trennung von Exekutive und Legislative könnte sich hier durchaus als heilsam erweisen; beide Gewalten hängen dann nicht mehr von einander ab und das Primat der Regierung über die Gesetzgebung sollte ein Ende finden. Diese Reform kann natürlich nur als Element einer weitreichenden Neuorganisation wirkliche Früchte tragen – wie man die Macht der Fraktionen brechen kann und somit eine ergebnisoffene Debattenkultur, sprich einen wirklichen Parlamentarismus, etablieren kann bleibt allerdings offen. Mehr, als an die Vernunft und die Einsicht der Abgeordneten zu appellieren, auch einmal für einen Vorschlag der anderen Fraktionen zu stimmen, bleibt hier wohl nicht...


Gewaltenteilung, ein Grunderfordernis der repräsentativen Demokratie, lehnt das Grundgesetz strikt ab. Hier könnte die Bundesrepublik vom Kaiserreich lernen, das Parlament und Regierung strikt trennte.

[quote][quote="Sermon"]4. Voellig unklar ist, was denn statt der Kanzlerschaft kommen soll.
Zitat:


Die Monopolisierung der Macht ist erstes gefährlich und zweitens ineffizient; Gefährlich deshalb, weil Macht immer missbraucht werden kann und ineffizient deshalb, weil niemand den Überblick über derart komplexe Politikfelder haben kann und somit nicht unbedingt die fähigsten Leute beruft – Annette Schavan, mit ihrem Kreuzzug gegen die Forschung mit embryonalen Stammzellen, als Ministerin für Bildung und Forschung, ist nur ein Beispiel für einen derart eklatanten Griff ins Klo; der Parteienkanzler ist zudem oft gezwungen verdiente Parteigenossen in die Ämter zu befördern, obwohl diese von der erforderlichen Materie relativ wenig Ahnung haben... ließe man nun die Position des Kanzlers direkt vom Volk wählen, so hätte man eine politisch bedingt unabhängigere, aber zugleich auch selbstherrlichere Vergabe der Ämter.

Als Alternative wäre zum einen ein direkt vom Volk gewähltes Kollegium (vergleichbar dem Bundesrat in der Schweiz) denkbar, das per Mehrheitsbeschluss die Regierungsgeschäfte führt und die Ministerämter besetzt und gegebenenfalls durch Misstrauensvotum vorzeitig aus dem Amt entlassen werden kann – dies macht eine vernunftmäßigere Besetzung der Ämter zumindest theoretisch wahrscheinlich. Weißt aber nahezu die gleichen Probleme auf wie das alte Kanzleramt. Die sinnvollste Alternative könnten direkt gewählte Kollegien als oberste Leitung der einzelnen Ressorts sein oder auch die Direktwahl der Ressortleiter durch das Volk; was allerdings wieder das Problem des Populismus und der Wahl des kleineren Übels aufwirft Zudem sich dann die Bürger über eine Vielzahl von Kandidaten für die einzelnen Tätigkeitsfelder befassen müssten und der organisatorische Aufwand für Wahlen größer wird. (Wahlausschüsse für diese Aufgabe sind nun wirklich keine wünschenswerte Option) Eine derartige Steigerung der politischen Mitwirkung ist ein höchst zweischneidiges Schwert: Entweder nimmt die Politikverdrossenheit zu oder es erfolgt endlich eine nachhaltige Politisierung der Massen.


Entschuldige, aber wenn ich ein Schlagwort wie "Politisierung der Massen" höre, wird mir übel. Das klingt für mich nach Ochlokratie. Und das Schweizer System mutet mich an wie eine Allparteienkoalition ohne echte Opposition. Unser Problem in der Verfassungswirklichkeit des Grundgesetzes ist das fast völlige Fehlen demokratischer Elemente. Außer der in der Regel alle vier Jahre fälligen Bundestagswahl, deren demokratische Qualität fragwürdig ist, weil man nur an Hand vorgegebener Listen das Stärkeverhältnis der Fraktionen zu einander festlegen kann, kennt das Grundgesetz kein einziges auch nur annähernd als demokratisch zu bewertendes Element.

Zitat:
Das große Ziel ist hin zu einer auf Konsens- und Diskussion basierenden Entscheidungsfindung und weg von der Spaltung des Landes in Regierung und Opposition; es ist ja auch völlig unsinnig, dass immer fast die Hälfte der Menschen in der Regierung kein Gehör finden sollen und jede Wahl einen radikalen Politikumschwung bringt – würden die großen Parteien sich hier spürbar konzeptionell unterscheiden, so würde man dies deutlich spüren, wenn vier Jahre SPD und Grüne eine ökologische Planwirtschaft einführen wollten und dann in den nächsten vier Jahren FDP und CDU ihre Vision einer deregulierten Marktwirtschaft...


Derart grundlegende Veränderungen hat es allerdings in der Bundesrepublik nie gegeben und sind auch für die Zukunft sehr unwahrscheinlich.
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Beitrag(#527758) Verfasst am: 23.07.2006, 11:54    Titel: Re: unnütze Institutionen und Staatsämter Antworten mit Zitat

Dr. Degenhart Datterich hat folgendes geschrieben:
Ich glaube, der amtliche Name lautet "Mahnmal (Denkmal?) für die ermordeten Juden Europas", womit man beide fremdsprachliche Begriffe vermeidet.


Da wir damit hier OT sind in aller Kuerze: Meine Kritik an den Begriffen "Holocaust" oder "Shoah" bezieht sich ueberhaupt nicht darauf, dasz sie fremdsprachlich sind, sondern darauf, dasz deren Verwendung unbemerkt dem historischen Verbrechen eine religioes-apokalyptische Sinndeutung ueberstuelpt - statt analytisch zu sein, das Geschehen mythisiert.
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Beitrag(#527763) Verfasst am: 23.07.2006, 12:33    Titel: Re: unnütze Institutionen und Staatsämter Antworten mit Zitat

Sermon hat folgendes geschrieben:
Dr. Degenhart Datterich hat folgendes geschrieben:
Ich glaube, der amtliche Name lautet "Mahnmal (Denkmal?) für die ermordeten Juden Europas", womit man beide fremdsprachliche Begriffe vermeidet.


Da wir damit hier OT sind in aller Kuerze: Meine Kritik an den Begriffen "Holocaust" oder "Shoah" bezieht sich ueberhaupt nicht darauf, dasz sie fremdsprachlich sind, sondern darauf, dasz deren Verwendung unbemerkt dem historischen Verbrechen eine religioes-apokalyptische Sinndeutung ueberstuelpt - statt analytisch zu sein, das Geschehen mythisiert.


Ja, das meine ich auch. Ich sprach nur deshalb von "beiden fremdsprachlichen Begriffen", weil sie eben im Gegensatz zur amtlichen deutschen Benennung nicht eindeutig sind, sondern im Rahmen ihrer Übersetzung apokalyptischen Interpretationsspielraum lassen.
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Cato
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Beitrag(#528118) Verfasst am: 23.07.2006, 20:11    Titel: Re: unnütze Institutionen und Staatsämter Antworten mit Zitat

Dr. Degenhart Datterich hat folgendes geschrieben:
Gewaltenteilung, ein Grunderfordernis der repräsentativen Demokratie, lehnt das Grundgesetz strikt ab. Hier könnte die Bundesrepublik vom Kaiserreich lernen, das Parlament und Regierung strikt trennte.


Ob sie eine Grunderfordernis ist oder nicht, das sei nun mal dahingestellt: Sie mäßig und dezentralisiert die Macht im Staate und kann diesen so stabilisieren, kann ihn aber auch lähmen und handlungsunfähig machen – zumal es immer eine höchste Gewalt geben muss (die im gewissen Sinne despotisch und willkürlich entscheiden kann, da ihr Wort von letzter Gültigkeit im Staate ist); ich plädiere hier für das Volk, das mittels Volksabstimmungen Streitfragen zwischen den Gewalten entscheidet oder zumindest für die Legislative – ein Parlament von 600 Abgeordneten findet eher zur Vernunft als ein Richter- oder Regierungskollegium von 10 Leuten. (und von der Regierung des illegitimen Kaiserreichs kann die Bundesrepublik nichts lernen, da dessen Regierung nicht vom Volk ins Amt eingesetzt wurde.)

Dr. Degenhart Datterich hat folgendes geschrieben:
Entschuldige, aber wenn ich ein Schlagwort wie "Politisierung der Massen" höre, wird mir übel. Das klingt für mich nach Ochlokratie.


Aristoteles und die Folgen; bei allen aristokratisch-intellektuellen Angriffen auf die griechische Demokratie, die uns von den herausragenden Gestalten der Antike, überliefert sind, bleibt am Ende doch die Einsicht Churchills und zudem diese Kritik, in den Ohren der Moderne, mehr nach Lob klingt als nach Tadel - dazu Platon:

Zitat:
Eine Demokratie entsteht also, wenn die Armen siegen und ihre Gegner töten oder verbannen, alle übrigen aber nach gleichem Recht an Verfassung und Ämtern teilnehmen lassen und die Ämter möglichst nach dem Lose vergeben. (...) Fürs erste sind die Menschen frei, der Staat quillt über in der Freiheit der Tat und der Freiheit des Wortes, und jedem ist erlaubt zu tun, was er will! (...) Dass es in einem solchen Staat keinen Zwang gibt zur Übernahme von Ämtern, auch nicht, wenn du geeignet bist, auch keinen Zwang zum Gehorsam, wenn du nicht willst; dass man dich zum Krieg zwingt während eines Krieges oder zum Frieden während des Friedens, wenn du nicht Frieden halten willst; oder wenn ein Gesetz dir ein Amt oder eine Richterstelle verbietet, dass du dann nichtsdestoweniger Beamter und Richter sein kannst, wenn dich die Lust dazu packt – ist ein solches Leben nicht gottvoll und wonnig für den Augenblick? ("Der Staat")


Dr. Degenhart Datterich hat folgendes geschrieben:
Und das Schweizer System mutet mich an wie eine Allparteienkoalition ohne echte Opposition.


Auf mich dagegen wirkt die Schweizer Demokratie als die einzige moderne Republik, die sich als eine Volksherrschaft bezeichnen darf; immerhin hat das Volk hier das Recht auf eigenen Wunsch Volksabstimmungen über selbst gewählte Themen abzuhalten und diese sind von verbindlichem Charakter, was der Regierung schon mehrfach ein böses Erwachen beschert hat. Die Schweiz ist das was man eine Einheit in Vielheit und Freiheit nennen könnte, vier sprachlich-ethnische Gruppen leben dort vereint in einem Staat, der vier Landessprachen hat; zudem hat sich die Schweiz in der Geschichte bewährt: weder zerrissen sie die Konfessionskriege der christlichen Großsekten, die halb Europa in Schutt und Asche legten noch gefährdete der aufkeimende und krankhafte Nationalismus des 19. Jahrhunderts (der falschen Zeitrechnung) ihr inneren Bestehen – obwohl sie drei Völker in sich fasste, die erheblich unter dieser gesamteuropäischen Krankheit litten. Mag man auch die Schweizer Neutralitätspolitik seit Beginn des 16. Jahrhunderts tadeln, so ist und bleibt die Confoederatio Helvetica eine Inspirationsquelle für die europäische Einigung – insbesondere die durchweg demokratische Staatsorganisation lädt zur Nachahmung ein...

Dr. Degenhart Datterich hat folgendes geschrieben:
Unser Problem in der Verfassungswirklichkeit des Grundgesetzes ist das fast völlige Fehlen demokratischer Elemente. Außer der in der Regel alle vier Jahre fälligen Bundestagswahl, deren demokratische Qualität fragwürdig ist, weil man nur an Hand vorgegebener Listen das Stärkeverhältnis der Fraktionen zu einander festlegen kann, kennt das Grundgesetz kein einziges auch nur annähernd als demokratisch zu bewertendes Element.


In der Praxis bleibt noch viel zu tun, um zumindest den Anspruch der Verfassung Wirklichkeit werden zu lassen; doch in Artikel 20 ist bereits alles verfügt, was eine nachhaltige Demokratisierung ermöglicht:

Zitat:
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.


...auch kennt das Grundgesetz zwei demokratische Verfahren, zum einen erfordert die Neugliederung der Bundesländer die Zustimmung durch eine Volksabstimmung (Artikel 29) und zum anderen kann das Grundgesetz nur durch eine freie Entscheidung des deutschen Volkes durch eine neue Verfassung ersetzt werden (Artikel 146); zugegeben, dies ist relativ dürftig. Das Volk sollte zumindest die Möglichkeit haben, über Gesetze und Regierungsentscheidungen, abzustimmen, sofern es dies in einem Fall wünscht; spätestens bei Verfassungsänderungen, bedeutenden außenpolitischen Verträgen und bei der Entscheidung über Krieg und Frieden ist das Volk zu befragen – es kann ja nicht angehen, dass in alle Welt Truppen entsandt werden, ohne dass dies vom eigentlichem Souverän abgesegnet wird. Ebenso wie man die neue EU-Verfassung nicht ohne Zustimmung des Volkes hätte ratifizieren dürfen.

Dr. Degenhart Datterich hat folgendes geschrieben:
Derart grundlegende Veränderungen hat es allerdings in der Bundesrepublik nie gegeben und sind auch für die Zukunft sehr unwahrscheinlich.


So erscheint mir die Zukunft der Bundesrepublik mehr als nur unsicher; man sollte sich nicht vergreifen über die Gefährlichkeit der "Großen Koalition". In dieser sind die beiden Lager, um die sich bisher die Politik polarisierte zum gemeinsamen Handeln gezwungen. Zwar sind sie sich ähnlicher als sie sich selbst eingestehen wollen – Spötter sprechen ja nicht umsonst von den beiden großen, sozialdemokratischen Parteien im Land – aber sie sind auch zum Erfolg verdammt. Scheitert diese Regierung - und es sieht alles danach aus – welche Mehrheiten gibt es dann? Die beiden Ampeln? FDP und Grüne richten sich selbst zugrunde, wenn sie als Mehrheitsbeschaffer für die Politik des anderen Lagers auftreten – und das wir keine der kleinen Parteien tun. Eine Minderheitenregierung mit Tolerierung ist eine Option; im Idealfall auch ein echter Parlamentarismus, mit den – einst so verachteten – wechselnden Mehrheiten. Wie dem auch sei, löst die etablierte Politik nicht bald die grundlegenden Probleme und beteiligt die Menschen mehr an "ihrem" Staat, so dürften schon bald demokratiefeindliche Kräfte auftreten. Die jüngsten Wahlen in Ostdeutschland vermitteln hier eine düstere Zukunftsvision, in der selbst die Ex-SED als das geringere Übel erscheint.
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Im Übrigen bin ich dafür, dass der Monotheismus zerstört werden muss.
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Raphael
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Beitrag(#528160) Verfasst am: 23.07.2006, 21:04    Titel: Re: unnütze Institutionen und Staatsämter Antworten mit Zitat

Cato hat folgendes geschrieben:
Dr. Degenhart Datterich hat folgendes geschrieben:
Gewaltenteilung, ein Grunderfordernis der repräsentativen Demokratie, lehnt das Grundgesetz strikt ab. Hier könnte die Bundesrepublik vom Kaiserreich lernen, das Parlament und Regierung strikt trennte.


(und von der Regierung des illegitimen Kaiserreichs kann die Bundesrepublik nichts lernen, da dessen Regierung nicht vom Volk ins Amt eingesetzt wurde.)


Damals waren Regierung und Parlament getrennt. Heute haben wir ein Heer von Ministern und "parlamentarischen" Staatssekretären, die sich selbst beaufsichtigen. Ich kann mir nicht helfen - insoweit finde ich die Regelung des Kaiserreiches besser als unsere heutige.

Zitat:
Dr. Degenhart Datterich hat folgendes geschrieben:
Und das Schweizer System mutet mich an wie eine Allparteienkoalition ohne echte Opposition.


Auf mich dagegen wirkt die Schweizer Demokratie als die einzige moderne Republik, die sich als eine Volksherrschaft bezeichnen darf; immerhin hat das Volk hier das Recht auf eigenen Wunsch Volksabstimmungen über selbst gewählte Themen abzuhalten und diese sind von verbindlichem Charakter, was der Regierung schon mehrfach ein böses Erwachen beschert hat. Die Schweiz ist das was man eine Einheit in Vielheit und Freiheit nennen könnte, vier sprachlich-ethnische Gruppen leben dort vereint in einem Staat, der vier Landessprachen hat; zudem hat sich die Schweiz in der Geschichte bewährt: weder zerrissen sie die Konfessionskriege der christlichen Großsekten, die halb Europa in Schutt und Asche legten noch gefährdete der aufkeimende und krankhafte Nationalismus des 19. Jahrhunderts (der falschen Zeitrechnung) ihr inneren Bestehen – obwohl sie drei Völker in sich fasste, die erheblich unter dieser gesamteuropäischen Krankheit litten. Mag man auch die Schweizer Neutralitätspolitik seit Beginn des 16. Jahrhunderts tadeln, so ist und bleibt die Confoederatio Helvetica eine Inspirationsquelle für die europäische Einigung – insbesondere die durchweg demokratische Staatsorganisation lädt zur Nachahmung ein...


Ich wende mich ja auch nicht gegen die direkte Demokratie der Schweiz, die ich ausdrücklich gutheiße, sondern ich habe Bedenken gegen eine Allparteienkoalition, zumindest wenn es eine zwischen den Parteien ist, die wir in Deutschland haben. In der Schweiz mag das funktionieren, in Deutschland habe ich erhebliche Zweifel.

Zitat:
Dr. Degenhart Datterich hat folgendes geschrieben:
Unser Problem in der Verfassungswirklichkeit des Grundgesetzes ist das fast völlige Fehlen demokratischer Elemente. Außer der in der Regel alle vier Jahre fälligen Bundestagswahl, deren demokratische Qualität fragwürdig ist, weil man nur an Hand vorgegebener Listen das Stärkeverhältnis der Fraktionen zu einander festlegen kann, kennt das Grundgesetz kein einziges auch nur annähernd als demokratisch zu bewertendes Element.


In der Praxis bleibt noch viel zu tun, um zumindest den Anspruch der Verfassung Wirklichkeit werden zu lassen; doch in Artikel 20 ist bereits alles verfügt, was eine nachhaltige Demokratisierung ermöglicht:

Zitat:
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.


Ja, das sind schöne Programmsätze, mehr aber auch nicht. Ein einziges Verfassungsorgan wird -und das auch noch unter bestimmendem Einfluss der Parteien- gewählt, Abstimmungen gibt es überhaupt nicht. Parlamentarische Ministerverantwortlichkeit kennt das Grundgesetz nicht, und die Art, wie sich Bundesrat und Bundesverfassungsgericht bilden, ist mit "indirekt demokratisch" bestenfalls euphemistisch beschrieben. Und nicht zuletzt: Die Bundesrepublik hat es bis heute nicht gewagt, ihrem Volk eine Verfassung zum Entscheid vorzulegen. Das Grundgesetz ist schlicht illegitim - eine Übereinkunft zwischen den Ländern, nicht anders als die Verfassung des Kaiserreiches.

Zitat:
...auch kennt das Grundgesetz zwei demokratische Verfahren, zum einen erfordert die Neugliederung der Bundesländer die Zustimmung durch eine Volksabstimmung (Artikel 29) und zum anderen kann das Grundgesetz nur durch eine freie Entscheidung des deutschen Volkes durch eine neue Verfassung ersetzt werden (Artikel 146); zugegeben, dies ist relativ dürftig.


... und wird von den Parteien seit 57 Jahren blockiert.

Zitat:
Das Volk sollte zumindest die Möglichkeit haben, über Gesetze und Regierungsentscheidungen, abzustimmen, sofern es dies in einem Fall wünscht; spätestens bei Verfassungsänderungen, bedeutenden außenpolitischen Verträgen und bei der Entscheidung über Krieg und Frieden ist das Volk zu befragen – es kann ja nicht angehen, dass in alle Welt Truppen entsandt werden, ohne dass dies vom eigentlichem Souverän abgesegnet wird. Ebenso wie man die neue EU-Verfassung nicht ohne Zustimmung des Volkes hätte ratifizieren dürfen.


Nun ist es aber leider Zweck des Grundgesetzes, das Volk von jeder wichtigen Entscheidung auszuschließen.

Zitat:
Dr. Degenhart Datterich hat folgendes geschrieben:
Derart grundlegende Veränderungen hat es allerdings in der Bundesrepublik nie gegeben und sind auch für die Zukunft sehr unwahrscheinlich.


So erscheint mir die Zukunft der Bundesrepublik mehr als nur unsicher; man sollte sich nicht vergreifen über die Gefährlichkeit der "Großen Koalition". In dieser sind die beiden Lager, um die sich bisher die Politik polarisierte zum gemeinsamen Handeln gezwungen. Zwar sind sie sich ähnlicher als sie sich selbst eingestehen wollen – Spötter sprechen ja nicht umsonst von den beiden großen, sozialdemokratischen Parteien im Land – aber sie sind auch zum Erfolg verdammt. Scheitert diese Regierung - und es sieht alles danach aus – welche Mehrheiten gibt es dann? Die beiden Ampeln? FDP und Grüne richten sich selbst zugrunde, wenn sie als Mehrheitsbeschaffer für die Politik des anderen Lagers auftreten – und das wir keine der kleinen Parteien tun. Eine Minderheitenregierung mit Tolerierung ist eine Option; im Idealfall auch ein echter Parlamentarismus, mit den – einst so verachteten – wechselnden Mehrheiten. Wie dem auch sei, löst die etablierte Politik nicht bald die grundlegenden Probleme und beteiligt die Menschen mehr an "ihrem" Staat, so dürften schon bald demokratiefeindliche Kräfte auftreten. Die jüngsten Wahlen in Ostdeutschland vermitteln hier eine düstere Zukunftsvision, in der selbst die Ex-SED als das geringere Übel erscheint.


"Zum Erfolg verdammt" - wer unter dieser Devise segelt, erleidet für gewöhnlich Schiffbruch. Das einzige, was die Große Koalition bisher geleistet hat, ist die bis dato größte Steuererhöhung bei gleichzeitigem neuen Schuldenrekord.
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Cato
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Beitrag(#533350) Verfasst am: 30.07.2006, 23:49    Titel: Re: unnütze Institutionen und Staatsämter Antworten mit Zitat

Dr. Degenhart Datterich hat folgendes geschrieben:
Damals waren Regierung und Parlament getrennt. Heute haben wir ein Heer von Ministern und "parlamentarischen" Staatssekretären, die sich selbst beaufsichtigen. Ich kann mir nicht helfen - insoweit finde ich die Regelung des Kaiserreiches besser als unsere heutige.


Dafür konnte man Wilhelm II. aber nicht abwählen wie man Helmut Kohl abwählen konnte; auch die Tatsache der de facto Militärdiktatur mit ihrer kaiserlichen Marionette ist alles andere als wünschenswert – insofern gibt es hier zumindest einen Fortschritt; allerdings spricht nichts dagegen Regierung und Parlament getrennt und zu unterschiedlichen Zeiten vom Volk wählen zu lasen, vergleichbar mit den derzeitigen Präsidenten- und Kongresswahlen in Amerika.

Dr. Degenhart Datterich hat folgendes geschrieben:
Ich wende mich ja auch nicht gegen die direkte Demokratie der Schweiz, die ich ausdrücklich gutheiße, sondern ich habe Bedenken gegen eine Allparteienkoalition, zumindest wenn es eine zwischen den Parteien ist, die wir in Deutschland haben. In der Schweiz mag das funktionieren, in Deutschland habe ich erhebliche Zweifel.


Es soll ja auch keine ewige Koalition sein, sondern eine flexible politische Entscheidungsfindung; bei der die Abgeordneten nach eigenem Gutdünken entscheiden und sich die Parteien nicht grundsätzlich gegenseitig blockieren, damit der politische Gegner nicht Erfolge für sich verbuchen kann. Ein mehr an Pragmatismus und Kompromissbereitschaft könnte hierzulande wahre Wunder wirken.

Dr. Degenhart Datterich hat folgendes geschrieben:
Ja, das sind schöne Programmsätze, mehr aber auch nicht. Ein einziges Verfassungsorgan wird -und das auch noch unter bestimmendem Einfluss der Parteien- gewählt, Abstimmungen gibt es überhaupt nicht. Parlamentarische Ministerverantwortlichkeit kennt das Grundgesetz nicht, und die Art, wie sich Bundesrat und Bundesverfassungsgericht bilden, ist mit "indirekt demokratisch" bestenfalls euphemistisch beschrieben. Und nicht zuletzt: Die Bundesrepublik hat es bis heute nicht gewagt, ihrem Volk eine Verfassung zum Entscheid vorzulegen. Das Grundgesetz ist schlicht illegitim - eine Übereinkunft zwischen den Ländern, nicht anders als die Verfassung des Kaiserreiches.


Mit dem feinen Unterschied, dass in den Ländern 1949 frei gewählte Volksvertretungen das Grundsgesetz ratifizierten; eine eigenartige Idee, von Adenauer und seinen Freunden, sich ausgerechnet hier der Ägide der USA zu widersetzen und die Verfassung nicht vom Volk annehmen zu lassen – angeblich um den provisorischen Charakter des deutschen Staates zu betonen, in der Hoffnung auf eine baldige Wiedervereinigung. Ansonsten stimme ich der Kritik an der politischen Wirklichkeit weitgehend zu.

Dr. Degenhart Datterich hat folgendes geschrieben:
Nun ist es aber leider Zweck des Grundgesetzes, das Volk von jeder wichtigen Entscheidung auszuschließen.


Ein Nebenzweck, den man, mit der entsprechenden Mehrheit im Parlament, jederzeit abschaffen könnte...

Dr. Degenhart Datterich hat folgendes geschrieben:
"Zum Erfolg verdammt" - wer unter dieser Devise segelt, erleidet für gewöhnlich Schiffbruch. Das einzige, was die Große Koalition bisher geleistet hat, ist die bis dato größte Steuererhöhung bei gleichzeitigem neuen Schuldenrekord.


Ich weiß, aber mir graut ein wenig vor dem was nach der Merkelfarce wohl kommen mag...
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Im Übrigen bin ich dafür, dass der Monotheismus zerstört werden muss.
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