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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#560846) Verfasst am: 09.09.2006, 14:20 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Was könnte eine solche Einsicht dMn bewirken? Hat diese Einsicht Einfluss auf die weiteren Handlungen? Kann eine Einsicht eine Handlung bewirken? |
Ja natürlich. Wobei die Einsicht selbst wieder nur eine Wirkung anderer Ursachen ist. |
Ja, sicher. Alles ist letztlich eine Wirkung anderer Ursachen. Mir scheint dies aber nicht besonders hilfreich und auch nicht besonders wichtig für die Bewertung von Handlungen von Menschen zu sein. |
Hmm .. es könnte aber doch sinnvoll sein, sich klarzumachen, daß man eigentlich nicht "den Menschen" bewertet, sondern ein Integral über sämtliche bisherigen (letzlich physikalischen) situativen Prägungen, die sein Gehirn und sein Körper erfahren haben. Dadurch kommt man davon weg, das Wesen eines Menschen (seinen Willen usw.) als irgendwie "atomar" - im Sinne von grundlegend, eigenständig - anzusehen. |
Mir kommt das ein bisschen so vor, als ob Du gegen Windmühlen kämpfst.
Das Wesen eines Menschen und sein Wille sind ganz sicher nicht atomar, er ist in seine Umwelt eingebettet und auch durch diese Umwelt beeinflusst. Das Wesen des Menschen ist aus meiner Sicht aber eben auch selbstbezüglich, d.h. er ist ein wesentlicher Teil der Handlungskette; er "erfährt" nicht nur Prägungen, sondern er verarbeitet diese Prägungen und prägt sich damit auch selber und ist deswegen ein aktives System, im Gegensatz zum Beispiel zu einem Apfel, der auf sein Vom-Baum-Fallen keinerlei Einfluss hat.
Zu berücksichtigen, dass der Mensch nicht absolut frei in seinen Entscheidungen und Handlungen ist, wird sicher oftmals hilfreich zur Beurteilung seiner Handlungen sein, jedoch ist das meiner Meinung nach kein Grund, so zu tun, als habe er überhaupt keinen Einfluss auf seine Handlungen, als seien seine Handlungen komplett von außen bestimmt.
Um mal auf Deine etwas technische Ausdruckweise zurückzukommen. Ich bin nicht ganz damit einverstanden: der Mensch (bzw. seine Persönlichkeit) sei ein Integral über sämtliche Prägungen, die sein Gehirn und sein Körper erfahren haben. Das hört sich nämlich für mich zu passiv an, es berücksichtigt nicht die Wirkungen, die das System Mensch auf sich selber ausübt. Für viele Leute mag Selbstbezüglichkeit, Rückkopplung, Rekursion fremd und schwer zu verstehen sein, aber sie ist mMn hier unerlässlich zum Verständnis des Systems Mensch.
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Deus ex Machina registrierter User
Anmeldungsdatum: 14.03.2006 Beiträge: 789
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(#560934) Verfasst am: 09.09.2006, 17:02 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Abschreckung: Wer willentlich jemanden tötet überlegt sich im Vorhinein auch, welche strafrechtlichen Konsequenzen das für ihn haben wird. Wer zu schnell fährt überlegt sich eher, wieviel er halt bezahlen muss, wenn er geblitzt wird. |
Hat diese Überlegung einen Einfluss auf seine Handlung? |
Ich gehe davon aus. Falls nicht ist die Strafe nutzlos und somit abzulehnen.
Zitat: | Wenn man aber der Meinung ist, dass Menschen nicht ursächlich ihre Handlungen bestimmen, |
was ich ja bestimmt an einer Stelle, die du mir zeigen kannst, geschrieben habe.
Zitat: | Es sei denn, Du könntest Deine Ablehnung dessen besser begründen. Ein reines Unbehagen reicht mir da nicht aus, denn Dein Cousin wird dieses ebenso verspüren. |
Alles, was ich dazu zu sagen habe, ist mehrmals niedergeschrieben.
Eigentlich kann ich die Frage an dich zurückgeben. Du könntest sämtliche Gesetze eines Landes verfassen, fällst danach tot um und wachst als irgendeine Person in diesem Staat wieder auf. Selbst dann, wenn der Schuldbegriff für dich hinfällig wäre: würdest du Sippenhaft einführen? Bzw., da der Schuldbegriff für mich hinfällig ist: Kannst du verstehen, dass und weshalb ich sie nicht einführen würde? Eine darüber hinausgehende Rechtfertigung halte ich nicht nur für unnötig sondern auch für sinnlos.
Zitat: | Doch, verträgt es sich wohl. Ich habe meine Handlung in Übereinstimmung mit meinen persönlichen Präferenzen gebracht. Das kann ich auch, wenn die Handlung theoretisch vorbestimmt war. Hätte ich andere Präferenzen gehabt, dann wäre ich zu einer anderen Entscheidung gekommen und damit eben auch zu einer anderen Handlung. |
Damit verkommt es zur Nullaussage. Ein Pantoffeltierchen hätte auch anders reagiert, wenn es eine andere Lebensgeschichte gehabt hätte. Das hat nichts mit Freiheit zu tun.
Zitat: | Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Wenn Entscheidungs- oder Willensfreiheit meint, dass der Mensch tun kann, was er bei reflexierter Betrachtung für richtig hält, ist es etwas, was ihm trivialerweise zukommen kann. |
Ach, das ist auf einmal für Dich trivial? |
Naja, ich glaube nicht, dass da jemand widersprechen würde, oder? Ich habe jedenfalls nie etwas anderes geschrieben: |
Naja, aber wenn Du zustimmst, warum ist es dann so wichtig, ob die Handlung vorherbestimmt war oder nicht? |
Ist es nicht. Wenn sie (teilweise) zufällig zustande gekommen ist, komme ich zur gleichen Schlussfolgerung.
Zitat: | Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Lass mich deswegen die Frage umformulieren: was soll passieren, wenn es Menschen gibt, die Dinge tun, die der Gesellschaft sehr schaden, die aber nicht schuldfähig sind. In einem solchen Fall kann es in extremen Fällen als letztes Mittel gerechtfertigt sein, zum Schutze der Gesellschaft denjenigen in seiner Bewegungsfreiheit einzuschränken, wenn es sonst kein Mittel gibt, seine künftigen Verhaltensweisen zu beeinflussen. |
Wenn er sich durch das Wissen um eine ihn erwartende Strafe von dem Verbrechen abhalten liesse, wäre das nicht auch eine Möglichkeit? | Selbstverständlich. Deswegen habe ich extra vom "letzten Mittel" geschrieben. |
Gut. Dann weisst du jetzt, wie mein Rechtsverständnis aussieht.
Zitat: | Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Inwiefern würde denn das Vertrauen in das Rechtssystem erschüttert, wenn ein Mörder geringer bestraft würde als ein Ladendieb? Widerstrebt dies einfach dem "natürlichen Gerechtigkeitsempfinden" der Menschen? |
Ja, natürlich widerspricht das dem Gerechtigkeitsempfinden. Die Rechtsordnung spiegelt das ethische System einer Gesellschaft wieder und in diesem System werden Normen und deren Bewertung festgelegt. Ein Mord wird als wesentlich schlimmere Normverletzung angesehen als ein Ladendiebstahl. Würde ein Mörder geringer bestraft als ein Ladendieb, dann wäre das genau die umgekehrte Botschaft. |
Und weshalb fordert unser Gerechtigkeitsempfinden für ein schlimmeres Verbrechen eine schlimmere Strafe? |
Dadurch wird, wie gesagt, die Rangfolge der Normverletzungen festgelegt. Eine als schlimmer eingestufte Normverletzung rechtfertigt eine höhere Strafe. Eine Durchsetzung dieser Strafe ist bei normalen Umständen mAn notwendig zur Generalprävention. |
"Rechtfertigen" ist doch der falsche Begriff, da es ja um intuitives Rechtsempfinden ging. Und bleib bitte bei der Sache: Es ging nur darum, dass eine tiefe Strafe bei der Mehrheit auf kein Verständnis stossen würde, nicht um Abschreckung.
Zitat: | Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Wo besteht da der Unterschied zu Rache? |
Unter Rache verstehe ich eine archaische Regung, die keine Rücksicht auf bestehende Normen und Gesetze und Verhältnismäßigkeit nimmt. |
Ja, und wenn sich die Normen, Gesetze und Vorstellungen von Verhältnismässigkeit den Rachgefühlen anpassen, dann ist es per definitionem keine Rache mehr.
Glaubst du dass, wenn es in der menschlichen Kultur nie eine Vorstellung von Rache gegeben hätte, unser Justzitzsystem sich dann gleich entwickelt hätte? Nein, oder? Ich halte es deshalb eben für wichtig, diejenigen Elemente zu entfernen, die ohne Rachevorstellungene wegfallen würden, bzw. nie entstanden wären; und mEn sind wir tatsächlich dabei, das zu tun, auch wenn das teilweise auf Unverständnis von breiten Bevölkerungsschichten stösst.
Zitat: | Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | unnötige Strafe: Strafe, die nicht darauf abziehlt, zukünftige Verbrechen zu vermeiden |
Das ist genau so schwammig wie vorher. Natürlich bin ich auch für verhältnismäßige Strafen und gegen unnötige Strafen. |
Anscheinend bist du nicht gegen unnötige Strafen, zumindest nicht gegen unnötige Strafen nach meiner obigen Definition; denn sonst würdest du ja keine Strafen fordern, um die Gesellschaft zufriedenzustellen. |
Das ist doch aber genau Generalprävention, die Du auch befürwortet hast. Deine Formulierung "zufriedenstellen" ändert daran gar nichts. |
Ich halte GP nur zur Abschreckung, nicht aber zur Genugtuung der Bevölkerung für legitim.
Du bist also nach meiner obigen Definition doch für unnötige Strafen.
Zitat: | Vielleicht könntest Du mal ein Beispiel konstruieren, von dem Du glaubst, dass wir es unterschiedlich bewerten würden. |
Wir sind doch von einem konkreten Beispiel ausgegangen: Dem Mörder, der wegen fehlender Nötigkeit von präventiven Massnahmen weniger schwer bestraft wird, als der Dieb.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Ich bin nicht ganz damit einverstanden: der Mensch (bzw. seine Persönlichkeit) sei ein Integral über sämtliche Prägungen, die sein Gehirn und sein Körper erfahren haben. Das hört sich nämlich für mich zu passiv an, es berücksichtigt nicht die Wirkungen, die das System Mensch auf sich selber ausübt. |
Der entscheidende Punkt ist doch, dass diese Wirkungen letztlich auch durch die Prägungen bestimmt sind, dass die Persönlichkeit also - ob direkt oder indirekt über Selbstbeeinflussung - vollständig von den äusseren Umständen abhängt.
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Deus ex Machina registrierter User
Anmeldungsdatum: 14.03.2006 Beiträge: 789
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(#560963) Verfasst am: 09.09.2006, 17:46 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | Das frage ich mich auch. "Vollbesitz der geistigen Kräfte" heißt nämlich - nach naturalistischem Verständnis - nur soviel, daß wir schätzen, daß sein Gehirn die Folgen erkennen und bewerten konnte. |
Exakt. Strafen zum Abschreckungszweck werden nach meiner Überzeugung verhängt, da das den Delinquenten zugefügte Leid als geringer eingeschätzt wird als dasjenige, welches durch eben jene potentiellen Straftäter, die duch das Wissen um die drohenden Sanktionen ihr Verbrechen unterlassen haben, verursacht worden wäre.
Zitat: | Die mildernden Umstände sind also mE nicht viel mehr als eine Kompensation der Tatsache, daß wir eigentlich generell nicht strafen dürften, nur fällt das beim Unzurechnungsfähigen deutlicher auf. |
Ich verstehe nicht, wie du mit deinem konsequenten Naturalismus in diesem Zusammenhang von "dürfen" sprechen kannst. Das Strafen "dürfen" ergibt sich für mich einzig und allein aus der Präferenz der praktisch kompletten Bevölkerung, insbesondere der meinen, lieber in einem Justitzsystem mit geregelten Strafen zu leben, als in einem ohne.
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#561053) Verfasst am: 09.09.2006, 18:56 Titel: |
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Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Es sei denn, Du könntest Deine Ablehnung dessen [der Sippenhaft] besser begründen. Ein reines Unbehagen reicht mir da nicht aus, denn Dein Cousin wird dieses ebenso verspüren. |
Alles, was ich dazu zu sagen habe, ist mehrmals niedergeschrieben.
Eigentlich kann ich die Frage an dich zurückgeben. Du könntest sämtliche Gesetze eines Landes verfassen, fällst danach tot um und wachst als irgendeine Person in diesem Staat wieder auf. Selbst dann, wenn der Schuldbegriff für dich hinfällig wäre: würdest du Sippenhaft einführen? |
Ich verstehe das Beispiel nicht so ganz. Was spielt es dabei für eine Rolle, ob ich die Gesetze verfasst habe oder nicht?
Nehmen wir an, ich würde den Schuldbegriff ablehnen, aber Strafen zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung für legitim halten. Wenn sich dann herausstellen würde, dass Sippenhaft dazu nützlich wäre (Straftaten gingen in einem Maße zurück, dass das Leid der Inhaftierten mehr als aufgewogen würde), warum nicht?
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Bzw., da der Schuldbegriff für mich hinfällig ist: Kannst du verstehen, dass und weshalb ich sie nicht einführen würde? |
Nein. Angenommen, Strafe soll zulässig sein für Handlungen, für die der betreffende Mensch nichts kann und angenommen, sie sollen aus dem alleinigen Grunde zulässig sein, dass damit künftige Verbrechen verhindert werden und somit die Gesellschaft geschützt wird. Dann ist kein Mensch mehr für seine Handlungen verantwortlich, und daher können mit derselben Begründung auch die Angehörigen bestraft werden, falls es der Gesellschaft nutzen sollte.
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Doch, verträgt es sich wohl. Ich habe meine Handlung in Übereinstimmung mit meinen persönlichen Präferenzen gebracht. Das kann ich auch, wenn die Handlung theoretisch vorbestimmt war. Hätte ich andere Präferenzen gehabt, dann wäre ich zu einer anderen Entscheidung gekommen und damit eben auch zu einer anderen Handlung. |
Damit verkommt es zur Nullaussage. Ein Pantoffeltierchen hätte auch anders reagiert, wenn es eine andere Lebensgeschichte gehabt hätte. Das hat nichts mit Freiheit zu tun. |
Ein Pantoffeltierchen hat kein Bewusstsein, kann keine Überlegungen anstellen und kann daher auch keine bewussten Präferenzen entwickeln. Es hat also in meinem Sinne weder Entscheidungs- noch Handlungsfreiheit. Den Begriff Freiheit hier im psysikalischen Sinne zu verwenden, halte ich für komplett sinnlos.
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Lass mich deswegen die Frage umformulieren: was soll passieren, wenn es Menschen gibt, die Dinge tun, die der Gesellschaft sehr schaden, die aber nicht schuldfähig sind. In einem solchen Fall kann es in extremen Fällen als letztes Mittel gerechtfertigt sein, zum Schutze der Gesellschaft denjenigen in seiner Bewegungsfreiheit einzuschränken, wenn es sonst kein Mittel gibt, seine künftigen Verhaltensweisen zu beeinflussen. |
Wenn er sich durch das Wissen um eine ihn erwartende Strafe von dem Verbrechen abhalten liesse, wäre das nicht auch eine Möglichkeit? | Selbstverständlich. Deswegen habe ich extra vom "letzten Mittel" geschrieben. |
Gut. Dann weisst du jetzt, wie mein Rechtsverständnis aussieht. |
Oh, ich sehe, ich habe mich falsch ausgedrückt. Eine Strafe lehne ich ja in diesem Falle ab. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit ist daher nicht als Strafe gedacht, sondern als absolut letztes Mittel zum Schutze der Gesellschaft und auch nur mit großen Bauchschmerzen. Wenn aber natürlich in diesem Beispiel der Mensch einsichtig ist, besteht dazu kein Anlass mehr.
Zu beachten ist dabei aber, dass aus meiner Sicht die Absprechung der Schuldfähigkeit auch immer eine Einschränkung der Persönlichkeit bedeutet. Es bedeutet, dass demjenigen eine aus meiner Sicht wichtige Eigenschaft abgesprochen wird, nämlich die Einsichtsfähigkeit in das fehlerhafte Verhalten und die fehlende Möglichkeit zur Einflussnahme auf seine Handlungen. Genau genommen ist es dann so, dass derjenige nicht als vollwertige Persönlichkeit akzeptiert wird.
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Wo besteht da der Unterschied zu Rache? |
Unter Rache verstehe ich eine archaische Regung, die keine Rücksicht auf bestehende Normen und Gesetze und Verhältnismäßigkeit nimmt. |
Ja, und wenn sich die Normen, Gesetze und Vorstellungen von Verhältnismässigkeit den Rachgefühlen anpassen, dann ist es per definitionem keine Rache mehr.
Glaubst du dass, wenn es in der menschlichen Kultur nie eine Vorstellung von Rache gegeben hätte, unser Justzitzsystem sich dann gleich entwickelt hätte? Nein, oder? |
Nein, hätte es sich nicht. Um mal ein wenig zurückzuspulen: in ganz frühen Gesellschaften war Rache üblich. Dies war dabei aus unserer heutigen Sicht vollkommen unverhältnismäßig, dazu gehörte nämlich auch, die Familienangehörigen zu töten und das sogar über mehrere Generationen. Um das einzudämmen, wurde das Prinzip der Vergeltung eingeführt, auch Talionsprinzip genannt. Das bedeutete, dass eine Tat mit dem Gleichen vergolten werden musste, nicht mehr und nicht weniger, das "Auge um Auge, Zahn um Zahn" Prinzip. Dies war aus meiner Sicht eine Verbesserung gegenüber dem vorherigen Zustand.
Heute spielt das Prinzip der Vergeltung immer noch eine Rolle, allerdings nicht mehr in dem ursprünglichen Sinne, denn eine Körperverletzung wird nicht mit einer Körperverletzung geahndet. Es dient aber dazu, eine Strafe überhaupt zu rechtfertigen und die Bestrafung verhältnismäßig zu halten. Heute spielen aber zusätzlich auch die Prinzipien der Spezial- und Generalprävention eine Rolle, alleine aus dem Grunde der Vergeltung sollte keine Strafe durchgeführt werden.
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Ich halte es deshalb eben für wichtig, diejenigen Elemente zu entfernen, die ohne Rachevorstellungene wegfallen würden, bzw. nie entstanden wären; und mEn sind wir tatsächlich dabei, das zu tun, auch wenn das teilweise auf Unverständnis von breiten Bevölkerungsschichten stösst. |
In unserem Strafrechtssystem spielt Rache keine Rolle. Wenn Du aber Vergeltung meinen solltest, dann hast Du leider recht, diese und damit das Schuldprinzip spielen immer weniger eine Rolle, was mMn dazu führt, dass die mAn notwendigen Grundrechte der Menschen immer weniger beachtet werden. Es geht nur noch um eine angebliche Sicherheit der Gesellschaft. Dies führt geradewegs zu Guantanamo und in D zum Beispiel zu einer vollkommen unverhältnismäßigen Verfolgung von Drogendelikten.
Interessant dazu, auch zum Thema "Schuld im Strafrecht" ist dieser Aufsatz.
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Ich halte GP nur zur Abschreckung, nicht aber zur Genugtuung der Bevölkerung für legitim. |
Das kann man aber nicht trennen. Falls doch: bitte Beispiel.
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Vielleicht könntest Du mal ein Beispiel konstruieren, von dem Du glaubst, dass wir es unterschiedlich bewerten würden. |
Wir sind doch von einem konkreten Beispiel ausgegangen: Dem Mörder, der wegen fehlender Nötigkeit von präventiven Massnahmen weniger schwer bestraft wird, als der Dieb. |
Ein Mörder sollte wegen der Notwendigkeit der Prävention stärker bestraft werden als ein Ladendieb. Falls Du behauptest, es hätte keine Präventionswirkung, dann bitte ich auch hier mal um eine Präzisierung des Beispieles.
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Ich bin nicht ganz damit einverstanden: der Mensch (bzw. seine Persönlichkeit) sei ein Integral über sämtliche Prägungen, die sein Gehirn und sein Körper erfahren haben. Das hört sich nämlich für mich zu passiv an, es berücksichtigt nicht die Wirkungen, die das System Mensch auf sich selber ausübt. |
Der entscheidende Punkt ist doch, dass diese Wirkungen letztlich auch durch die Prägungen bestimmt sind, dass die Persönlichkeit also - ob direkt oder indirekt über Selbstbeeinflussung - vollständig von den äusseren Umständen abhängt. |
Selbstbeeinflussung ist kein äußerer Umstand, sondern ein innerer Umstand. Aber so langsam komme ich zu dem Schluss, dass sich Inkompatibilisten und Kompatibilisten vielleicht grundsätzlich nicht verstehen können. Wir sollten diesen Punkt vielleicht erst mal fallen lassen, denn ich denke, unsere Standpunkte sind halbwegs klar. Wie wir uns annähern könnten, sehe ich aber zur Zeit nicht.
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Deus ex Machina registrierter User
Anmeldungsdatum: 14.03.2006 Beiträge: 789
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(#561290) Verfasst am: 10.09.2006, 02:23 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Eigentlich kann ich die Frage an dich zurückgeben. Du könntest sämtliche Gesetze eines Landes verfassen, fällst danach tot um und wachst als irgendeine Person in diesem Staat wieder auf. Selbst dann, wenn der Schuldbegriff für dich hinfällig wäre: würdest du Sippenhaft einführen? |
Ich verstehe das Beispiel nicht so ganz. Was spielt es dabei für eine Rolle, ob ich die Gesetze verfasst habe oder nicht? |
Worauf ich hinauswollte, ist, dass Du ein Gesetz, welches Du unter den geschilderten Umständen erlassen hättest, unmittelbar als sinnvoll und gut erkannt hast; dass es deshalb keiner weiteren Legitimation mittels "Schuld" bedarf. Denn Deine Frage war ja, weshalb ich bei einer Aufgabe der Schuldvorstellung Sippenhaftung ablehnen würde.
Zitat: | Wenn sich dann herausstellen würde, dass Sippenhaft dazu nützlich wäre (Straftaten gingen in einem Maße zurück, dass das Leid der Inhaftierten mehr als aufgewogen würde), warum nicht? |
Weil Du - davon gehe ich aus - es eben als weitaus wichtiger betrachtest, nicht ohne Gesetzesbruch bestraft werden zu können.
Zitat: | Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Doch, verträgt es sich wohl. Ich habe meine Handlung in Übereinstimmung mit meinen persönlichen Präferenzen gebracht. Das kann ich auch, wenn die Handlung theoretisch vorbestimmt war. Hätte ich andere Präferenzen gehabt, dann wäre ich zu einer anderen Entscheidung gekommen und damit eben auch zu einer anderen Handlung. |
Damit verkommt es zur Nullaussage. Ein Pantoffeltierchen hätte auch anders reagiert, wenn es eine andere Lebensgeschichte gehabt hätte. Das hat nichts mit Freiheit zu tun. |
Ein Pantoffeltierchen hat kein Bewusstsein, kann keine Überlegungen anstellen und kann daher auch keine bewussten Präferenzen entwickeln. Es hat also in meinem Sinne weder Entscheidungs- noch Handlungsfreiheit. Den Begriff Freiheit hier im psysikalischen Sinne zu verwenden, halte ich für komplett sinnlos. |
Dann kann aber "es hätte auch anders kommen können" trotzdem kein Freiheitskriterium sein, da es auch für das Pantoffeltierchen zutrifft und für sich alleine nichts mit Bewusstsein zu tun hat.
Zitat: | Es [Vergeltung] dient aber dazu, eine Strafe überhaupt zu rechtfertigen und die Bestrafung verhältnismäßig zu halten. |
Weshalb sind die verfolgten praktischen Absichten nicht Rechtfertigung genug? (Jemanden, der die Tat unter Zwang oder gar nicht begangen hat, nicht zu verturteilen, zähle ich auch zu diesen praktischen Absichten.) Distanziert man sich, indem man sich auf eine andere Rechtfertigung beruft, nicht quasi von diesen eigentlichen Absichten? Weshalb braucht es da überhaupt eine Rechtfertigung? Kann man die Dinge nicht einfach beim Namen nennen?
Wann ist eine Strafe unverhältnismässig und weshalb ist eine solche zu vermeiden ein erstrebenswertes Ziel? (Das Wort "Schuld" in der Antwort würde zu einem Zirkelschluss führen.)
Zitat: | Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Ich halte es deshalb eben für wichtig, diejenigen Elemente zu entfernen, die ohne Rachevorstellungene wegfallen würden, bzw. nie entstanden wären; und mEn sind wir tatsächlich dabei, das zu tun, auch wenn das teilweise auf Unverständnis von breiten Bevölkerungsschichten stösst. |
In unserem Strafrechtssystem spielt Rache keine Rolle. |
Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat folgendes geschrieben: | Schuldausgleich, Prävention, Resozialisierung des Täters, Sühne und Vergeltung für begangenes Unrecht werden als Aspekte einer angemessenen Strafsanktion bezeichnet. |
Wikipedia hat folgendes geschrieben: | Dieser Gedanke ist in § 46 des bundesdeutschen Strafgesetzbuchs eingeflossen:
Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe.
Die Möglichkeit dazu wird jedoch von juristischer, pädagogischer, psychologischer und soziologischer Seite vielfach in Frage gestellt. Wie die „innere Bösartigkeit" eines Täters objektiv festgestellt werden soll, ist ebenso umstritten wie der Sinn des danach orientierten Strafmaßes, sowohl für den Täter wie für die Gesellschaft, die Recht wahren und durchsetzen will. Kritiker weisen darauf hin, dass mit dieser am Täter orientierten Zumessung Verbrechern faktisch die Definitionsmacht für Strafbarkeit und Strafmaß zugestanden und mit der Vergeltung das Verbrechen nicht „aufgehoben", sondern nur verlängert werde. |
(Hervorhebungen von mir.)
Zitat: | Interessant dazu, auch zum Thema "Schuld im Strafrecht" ist dieser Aufsatz. |
Zitat: | Was in die Strafe eingeht, ist nicht die sittliche Qualität des
Vorwurfs (schon gar nicht äquivalent der sittlichen Unwertigkeit
der Tat), es sind konkrete gesellschaftliche Bedürfnisse aus Anlaß
der Tat. Um welche Bedürfnisse es sich dabei handelt, mehr
noch: welche von ihnen legitimerweise zu berücksichtigen sind
und welche nicht, ist in der Strafrechtsdogmatik bisher völlig unklar
geblieben - eben weil die Doktrin die Qualität der Strafe immer
noch aus einer Qualität der Tat herzuleiten versucht und nicht
aus überprüftem gesellschaftlichem Bedarf. Die Justiz ist immer
noch dabei, Benzin nach Metern zu verkaufen. Das funktioniert
leidlich nur deshalb, weil natürlich nur die Abrechnung in Metern
erfolgt, während, wen wundert’s, zuvor in Litern gezapft
wird. In’s Ernsthafte des Strafrechts gewendet: Die Strafe wird in
gesellschaftlichen Präventionseinheiten ausgeteilt, nur die “Abrechnung”,
die Begründung im Urteil, erfolgt in Diktionen der
Tatschuld. Im Schuldurteil wird die Realität der richterlichen Entscheidung
über tatsächliche oder vermeintliche gesellschaftliche
Bedürfnisse gleichsam in einen anderen Aggregatzustand versetzt
- aus einem Strafprozeß staatlicher Machtentfaltung in ein
historisch vorgegebenes Begründungsmuster sittlich-ethischer
Wertentscheidung. | (S.14f)
Das deckt sich doch ziemlich genau mit meiner Position...
Zitat: | Dieser Widerspruch markiert nicht etwa einen Einwand gegen das
Prinzip, vielmehr beschreibt er das Prinzip selbst. Wenn das Strafrecht
auf ein bestimmtes Menschenbild hin ausgerichtet ist, wenn
in diesem Menschenbild freiheitliches Selbstverständnis und
kausale Determination gegeneinander stehen und nur zusammen
gedacht werden können, wenn demnach der verbrecherische Willensentschluß
immer zugleich (!) Ausdruck einer sittlichen Fehlentscheidung
und einer sozialen Zwangsläufigkeit ist, dann kann
es nicht verwundern, daß auch in der Reflexion über Schuld und
Strafe zugleich auf sich widersprechende individual-ethische und
gesellschaftliche Sachverhalte verwiesen wird. | (S.15)
...wobei ich dass dann wieder reichlich inkonsequent finde. Du erkennst diesen Konflikt gar nicht an, wenn ich das richtig verstanden habe, oder? Wie sieht denn Deine Beurteilung des Textes aus?
Zitat: | Diese Bestimmung [siehe Text], nach der inzwischen ein großer Teil der kleinen
und mittleren Kriminalität erledigt wird, hat in der Strafrechtswissenschaft
einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Ta t s ä c hlich
ist sie auf dem Boden der herkömmlichen Schuldlehre kaum
zu rechtfertigen. | (S.16)
Ich sehe das auch kritisch, aber aus völlig anderen Gründen: Damit wird dem Staatsanwalt eine mE viel zu hohe subjektive Entscheidungsgewalt eingeräumt.
Zitat: | Insgesamt genügt Schuld als sittlich-ethisches Unwerturteil nur
dort rechtsstaatlichen Bedingungen, wo es tatsächlich um das
“ethische Minimum” einer gefestigten Wertordnung der Gemeinschaft
geht. | (S.1
In der Tat. Und wenn man dieses nun als falsch erkennt?
Zitat: | Ein anderes Prinzip verlangt, daß nur solche Handlungen
als Straftaten zu umschreiben seien, die bestimmte wichtige
Rechtsgüter bereits konkret gefährden – bloße Vorbereitungen
und “abstrakte” Gefährdungen sollen strafrechtlich außer Betracht
bleiben. | (S.1
Rein interessehalber: Was soll so eine "abstrakte Gefährdung" eines Rechtsgutes sein?
Zitat: | Das Schuldprinzip legt
das Strafrecht auf Taten fest, in denen sich der einzelne gegen die
staatliche Gemeinschaft wendet. Die gesellschaftlichen Bedingungen,
die diese Tat erst ermöglichen und oft genug provozieren,
bleiben als soziale Umweltfaktoren aus der Tatverantwortung
des einzelnen ausgeblendet. | (S.19)
Tja, und wenn man das konsequent zu Ende führt, dann bleibt eben nichts mehr in "der Tatverantwortung des einzelnen" übrig. Zu einem anderen Ergebnis kann nur kommen, wer nur bestimmte Faktoren ausblendet und die übrigen "vergisst".
Zitat: | Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Ich halte GP nur zur Abschreckung, nicht aber zur Genugtuung der Bevölkerung für legitim. |
Das kann man aber nicht trennen. |
Das sind doch zwei grundverschiedene Absichten. Zum einen geht es darum, für bestimmte Straftaten bestimmte Strafen festzulegen um potentielle Täter somit davon abzuhalten, diese Tat zu begehen. Zum anderen geht es darum, Verbrecher zu bestrafen, um das Vergeltungsbedürfnis der Bevölkerung zu befriedigen und ihr Vertrauen in das Justzitzsystem zu festigen. Aus der ersten Absicht heraus bringt es zum Beispiel nichts, für von Achtjährigen begangene Tötungen lange Haftstrafen auszusetzen, weil Achtjährige eben nicht zur Genüge abschätzen können, welche Strafen ihr Verhalten haben wird. Aus der zweiten Absicht heraus könnte es dagegen legitim sein, den Achtjährigen zu verurteilen, wenn die Bevölkerung nicht verstünde, weshalb er nicht bestraft wird.
Zitat: | Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Vielleicht könntest Du mal ein Beispiel konstruieren, von dem Du glaubst, dass wir es unterschiedlich bewerten würden. |
Wir sind doch von einem konkreten Beispiel ausgegangen: Dem Mörder, der wegen fehlender Nötigkeit von präventiven Massnahmen weniger schwer bestraft wird, als der Dieb. |
Ein Mörder sollte wegen der Notwendigkeit der Prävention stärker bestraft werden als ein Ladendieb. |
*seufz*
Das sage ich ja, aber Du hast gesagt, dass es legitim wäre, denn Mörder auch dann härter zu bestrafen als denn Dieb, wenn beim Mörder keine präventive Notwendigkeit dazu bestünde, weil die Gesellschaft das ansonsten nicht verstehen würde. Siehe ansonsten z.B. obiges Beispiel mit dem achtjährigen Jungen.
Aber wahrscheinlich wirst Du einwenden, der Junge sei halt noch zu jung, um schuldfähig zu sein. Da Du anscheinend genau diejenigen Personen nicht schuldfähig nennst, bei denen Abschreckung nicht wirksam ist, stellt sich die Frage, wofür es dieses "Vertrauen in das Rechtssystem stärken" aus Deiner Sicht denn überhaupt braucht, denn es kann nach Deinen Voraussetzungen gar nie zum Zug kommen: Wenn jemand "schuldfähig" ist, darf man ihn zur Abschreckung verurteilen, wenn nicht, darf man ihn sowieso nicht verurteilen.
Da Du ja derjenige bist, der sich für diesen Strafzweck ausgesprochen hat: Kannst Du also ein Beispiel nennen, wo man mit ihm zu einem andern Ergebnis kommt als ohne ihn?
Nochmal grundsätzlich: Empfindest Du es wirklich als human und gerecht, jemanden härter zu verurteilen als für Prävention nötig, um den Mehrheitswillen nicht zu brüskieren? Wem nützt denn das? Du könntest höchstens argumentieren, dass es andernfalls zu gesellschaftlichen Unruhen kommen könnte, die mehr Leid verursachen, als die härtere Verurteilung. Aber eigentlich bin ich dagen, wegen gesellschaftspolischter Absichten jemanden, der mit diesen eigentlich überhaupt nichts zu tun hat, zu sanktioniern; und eigentlich dachte ich, Du wärest da ähnlicher Meinung.
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kolja der Typ im Maschinenraum

Anmeldungsdatum: 02.12.2004 Beiträge: 16631
Wohnort: NRW
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(#561580) Verfasst am: 10.09.2006, 18:12 Titel: |
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Weil es auch in diesem Thread in AgentProvocateurs Argumentation immer wieder auftauchte, mal ein kleiner Einschub zu den Libet-Experimenten und der kompatibilistischen Entscheidungsfreiheit.
AgentProvocateur argumentiert häufiger, die Aussage der Hirnforschung "Handlungsentscheidungen wurden bereits getroffen, bevor sie uns als Wille bewusst werden" würde sich nur auf diese (und vergleichbare) Experimente stützen, sie wäre eine falsche Interpretation dieser Experimente, weil sie die Möglichkeit gründlicher Abwägung und bewusster Reflexion übersieht, und sie wäre auch unlogisch, weil sie das Bewusstsein zu einem funktionslosen Beobachter degradiert, dessen Entstehung nicht mehr durch einen evolutionären Vorteil erklärbar wäre. Diese Argumentation ignoriert den derzeitigen Kenntnisstand und enthält Fehlschlüsse.
Die Hirnforschung kann mit sehr viel detaillierteren und auf einer breiten empirischen Basis stehenden Erklärungen aufwarten, wie es im Gehirn zu Planung und Ausführung von Handlungen kommt.
Ob eine Handlung überhaupt bewusster Planung bedarf und welches Erfahrungswissen für diese Planung ins Bewusstsein tritt, wird von unbewussten Gehirnbereichen kontrolliert. Im Bewusstsein werden dann Handlungsszenarien entworfen und Konsequenzen durchgespielt, die Bewertung dieser Handlungsoptionen und die letztliche Entscheidung über die Ausführung findet jedoch wiederum unbewusst im limbischen System statt, unserem emotionalen Erfahrungsgedächtnis. Dieses wird im Wesentlichen während der Gehirnreifung geprägt, also in unserer Jugend, mit besonderem Schwerpunkt auf den allerersten Lebensjahren und -monaten, lange bevor sich ein bewusstes "Ich" bildet. Später ist es nur noch schwer und in sehr engen Grenzen veränderbar.
Das limbische System hat das erste und letzte Wort bei allen unseren Handlungen. Unser "Autorschafts-Ich" schreibt sich diese Handlungsentscheidungen als "gewollt" zu, nachdem sie gefallen sind, und zwar auch dann, wenn gar keine bewusste Abwägung voranging. Dies erfüllt den Zweck, die Handlungen vor sich selbst und anderen begründen und vertreten zu können. Dabei muss die Begründung gar nichts mit der ursprünglichen Entscheidung zu tun haben, sie muss vielmehr dazu geeignet sein, sich möglichst widerspruchsfrei in das Selbstbild einzufügen, das wir vor anderen und vor uns selbst aufrechterhalten möchten. Damit zeigt sich, dass das mit unseren Handlungen verbundene Autorschafts-Gefühl auch dann einen Zweck hat, wenn diese Handlungen völlig unbewusst verursacht wurden, womit schonmal der Einwand entkräftet wäre, dass ein nur beobachtendes Bewusstsein keinen evolutionären Vorteil darstellen würde.
Aber auch in den Fällen, in denen eine Handlung bewusst vorbereitet wurde, zeigt sich, dass das Bewusstsein nicht die Rolle des vernunftbegabten Entscheiders spielt, wie es die Kompatibilisten gerne sehen würden. Eher ist es so, dass das Bewusstsein die Funktion eines Planers und Beraters hat, der vom ontogenetisch älteren limbischen System, dem zentralen emotionalen Bewertungs- und Handlungssteuerungssystem, für besonders komplexe und neuartige Entscheidungssituationen herangezogen wird. Doch das limbische System begrenzt, welche Handlungen überhaupt möglich sind, und seine emotionale Bewertung legt fest, was uns "vernünftig" vorkommt und unserer "Persönlichkeit" entspricht.
Die Vorstellung von einem die Handlungen lenkenden "bewussten Ich" ist somit eine Überschätzung und Fehlinterpretation der tatsächlichen Funktionen des Bewusstseins.
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Deus ex Machina registrierter User
Anmeldungsdatum: 14.03.2006 Beiträge: 789
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(#561635) Verfasst am: 10.09.2006, 19:15 Titel: |
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@Kolja: Vielen Dank für die Ausführungen. Das meiste darin scheint sich ja auch mit etwas reflektierten Alltagserfahrungen zu decken.
Kolja hat folgendes geschrieben: | Ob eine Handlung überhaupt bewusster Planung bedarf und welches Erfahrungswissen für diese Planung ins Bewusstsein tritt, wird von unbewussten Gehirnbereichen kontrolliert. Im Bewusstsein werden dann Handlungsszenarien entworfen und Konsequenzen durchgespielt, die Bewertung dieser Handlungsoptionen und die letztliche Entscheidung über die Ausführung findet jedoch wiederum unbewusst im limbischen System statt, unserem emotionalen Erfahrungsgedächtnis. |
Mich würde einmal interessieren, wann die Hirnforschung, die ja eigentlich den Anspruch erhebt, streng phänomenologisch zu arbeiten, einen Gehirnvorgang als "bewusst" bezeichnet. Neuronenaktivität ist gleich Neuronenaktivität. Das einzige Kriterium, das mir dafür einfallen will, ist, dass die Versuchsperson von dem entsprechenden Vorgang berichten kann. "Bewusst" wäre damit ja eigentlich als "kommunizierbar" definiert, oder?
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kolja der Typ im Maschinenraum

Anmeldungsdatum: 02.12.2004 Beiträge: 16631
Wohnort: NRW
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(#561739) Verfasst am: 10.09.2006, 21:17 Titel: |
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Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Das meiste darin scheint sich ja auch mit etwas reflektierten Alltagserfahrungen zu decken. |
Sehe ich auch so. Bisher fühlte ich mein Menschbild von der Hirnforschung eher bestätigt als gekränkt.
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Mich würde einmal interessieren, wann die Hirnforschung, die ja eigentlich den Anspruch erhebt, streng phänomenologisch zu arbeiten, einen Gehirnvorgang als "bewusst" bezeichnet. Neuronenaktivität ist gleich Neuronenaktivität. Das einzige Kriterium, das mir dafür einfallen will, ist, dass die Versuchsperson von dem entsprechenden Vorgang berichten kann. "Bewusst" wäre damit ja eigentlich als "kommunizierbar" definiert, oder? |
Das ist ein wesentliches Kriterium, aber man ist nicht darauf beschränkt.
Gerhard Roth (2003) hat folgendes geschrieben: | Allerdings würden heute die meisten Bewusstseinsforscher bezweifeln, dass das Phänomen "Bewusstsein" ausschliesslich von der Innenperspektive her definiert werden kann. Sie weisen darauf hin, dass die Tatsache, ob jemand bei Bewusstsein ist bzw. Bewusstsein von irgendetwas hat, sich in seinem Handlen (einschliesslich des Sprechens) und in Aktivitätszuständen seines Gehirns wiederspiegelt. Bestimmte Dinge - darauf wird hingewiesen - können wir Menschen nicht ohne bestimmte Bewusstseinszustände (z.B. Aufmerksamkeit) tun. Entsprechend treten deutliche Defizite im Wahrnehmen, Denken, Vorstellen, Erinnern und Handeln bei Patienten auf, die unter bestimmten Beeinträchtigungen ihrer Hirnfunktion leiden. Auch können wir normalerweise davon ausgehen, dass eine Versuchsperson nicht lügt, wenn sie berichtet, sie habe jetzt die und die bewusste Wahrnehmung, Vorstellung oder Erinnerung. Wir tun also gut daran, unsere Definition von Bewusstsein sowohl nach Kriterien der Innenperspektive als auch der Außenperspektive auszurichten. |
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#561848) Verfasst am: 10.09.2006, 23:58 Titel: |
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Zitat: | @Kolja: Vielen Dank für die Ausführungen. |
Da möchte ich mich anschließen.
Zitat: | Das meiste darin scheint sich ja auch mit etwas reflektierten Alltagserfahrungen zu decken. |
Das sehe ich auch so.
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Ich denke, die Diskussion ist ein wenig festgefahren und besteht nur noch in der Wiederholung der Standpunkte, ohne dass wir uns annähern können.
Ich möchte daher mal versuchen, meinen Standpunkt zusammenhängend zu erläutern. Es geht mir dabei um die Frage, welches Menschenbild wir haben und welche Auswirkungen eine eventuell geforderte Änderung dieses Menschenbildes hätte.
Ich möchte beginnen mit dem Begriff "Schuld". Dazu mal ein kleines Zitat aus der Wikipedia:
Wikipedia: Schuld hat folgendes geschrieben: | Der Zustand der Schuld entsteht, wenn ein Individuum (bzw. eine Gruppe oder Institution) als verantwortlich für einen Verstoß gegenüber einer sittlichen, ethisch-moralischen oder gesetzlichen Wertvorstellung gelten kann. Beispielsweise kann dies ein bewusster Verstoß gegen ein Verbot sein (z. B. Diebstahl) oder auch der fahrlässige Verstoß gegen ein Verbot (z. B. Fahrlässige Tötung). |
So sehe ich das auch, man kann also gleichwertig fragen, ob der Mensch eine Verantwortung für seine Taten hat oder nicht. Von der Beantwortung dieser Frage hängt ab, wie wir mit denjenigen Handlungen umgehen, die gegen bestehende Normen der Gesellschaft verstoßen.
Als Prämisse für diese Überlegung möchte ich erst mal setzen, dass alle Menschen einen Anspruch auf die Grundrechte haben, als da z.B. sind das Recht auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit und auf Freizügigkeit (Bewegungsfreiheit). Diese Grundrechte sind Abwehrrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat und sollen ihn vor staatlicher Willkür bewahren. Können wir uns nicht auf diese Rechte einigen, dann entfallen die folgenden Überlegungen, denn dann kann der Staat ohne weitere Begründung willkürlich in das Leben des Einzelnen eingreifen.
Können wir uns aber darauf einigen, dann müssen wir festlegen und begründen, wann und warum diese Rechte eingeschränkt werden können.
Ein wichtiges Grundrecht ist für mich auch der Grundsatz "keine Strafe ohne Schuld", der ebenfalls den Bürger vor willkürlichen Maßnahmen des Staates schützen soll.
1. Wenn man das Konzept der Verantwortung befürwortet, also den Menschen als Subjekt sieht, der seine Handlungen selber bestimmt, dann ist das exakt das Schuldkonzept. Wenn der Mensch also seine Handlungen selbst verantwortet, dann kann man ihm dies im Falle eines Fehlverhaltens vorhalten und ihn, falls die Handlung seiner Persönlichkeit und seinen Präferenzen entsprach, für diese Handlung zur Rechenschaft ziehen. Wenn der Mensch dann gegen vorher festgelegt Normen verstoßen hat, die mit ebenfalls vorher festgelegten Sanktionen belegt sind, dann sehe ich darin eine Legitimation, diese Sanktionen auch tatsächlich durchführen zu dürfen, denn der Mensch konnte nach Kenntnis der Norm und der Sanktionen diese Informationen in seine Entscheidung einfließen lassen. Er hätte also diese bekannten Sanktionen durch eine andere Handlungsweise abwenden können. Es liegt daher in seiner Verantwortung, die Tat zu begehen oder nicht zu begehen.
Der Begriff "Schuld", um das noch ein wenig zu präzisieren, ist nicht absolut gemeint, d.h. natürlich gibt es immer auch äußere Einflüsse, die bei der Schuldzuweisung berücksichtigt werden müssen. Das Konzept der Schuld ist hier nicht der Strafzweck, sondern lediglich die Legitimation dafür, eine Strafe überhaupt verhängen zu dürfen, die ja die Grundrechte des Menschen beschränkt. Zusätzlich muss hier noch ein Strafzweck hinzukommen, der entweder in der Spezialprävention oder in der Generalprävention bestehen kann (oder in beidem). Ohne einen solchen Zweck ist die Strafe mAn nicht zulässig.
2. Wenn man das Konzept der Verantwortung nicht befürwortet, also sagt, dem Menschen sind seine Handlungen nicht zuzuordnen, da diese komplett durch äußere Handlungen bestimmt sind, dann gibt es auch keine Verantwortung und keine Schuld des Menschen an seiner Tat. Daraus folgt für mich, da der Grundsatz "keine Strafe ohne Schuld" hier immer noch gelten muss, dass keine Strafe verhängt werden darf.
Alllerdings gibt es natürlich ein Interesse der Gesellschaft daran, dass Kriminalität eingedämmt wird, da diese vielen schadet. Eine Gesellschaft, die Kriminalität ohne Maßnahmen einfach so geschehen lässt, wird wahrscheinlich nicht lange überleben. Wie kann man nun also unter der Prämisse, dass alle Menschen unschuldig sind, vorgehen? Einen Unschuldigen zu bestrafen, scheint mir nicht zulässig zu sein, auch nicht mit der Begründung einer eventuellen Generalprävention, denn wie gesagt, dafür müsste ja ein Unschuldiger büßen.
Man müsste in diesem Falle den Fokus verschieben von einem Strafrecht auf ein reines Sicherheitsrecht. Bestrafung ist nicht mehr zulässig, zulässig kann es aber durchaus immer noch sein, dass die Gesellschaft sich schützen will. Begründung für Maßnahmen, die die Grundrechte einschränken, wäre also dann alleinig der (voraussichtliche) Schutz der Gesellschaft.
Wie könnte ein solches Sicherheitsrecht konkret aussehen? Falls jemand gegen Normen verstößt, könnte man versuchen, zu analysieren, ob bei ihm eine Wiederholungsgefahr gegeben ist. Diese Analyse ist wahrscheinlich schwierig, da man nicht in die Zukunft sehen kann, aber mal angenommen, man könnte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit (die aber natürlich nie Gewissheit erreichen kann) diese Prognose treffen. Dann müsste man jemanden, von dem man annimmt, er würde keine derartige Tat mehr ausführen, freilassen.
Im Gegenzuge müsste man jemanden, der keine positive Prognose hätte, solange in Sicherheitsverwahrung behalten (und zusätzliche Maßnahmen, wie Therapien, ergreifen), bis eine solche Prognose gestellt werden kann. Kann die Prognose nicht erstellt werden, bleibt er endlos in Sicherheitsverwahrung (falls eine Therapie nichts nutzt). Das ergibt sich aus der Prämisse des Schutzes der Gesellschaft, die, wir erinnern uns, mMn alleinig übrigbleibt, wenn wir das Schuldkonzept ablehnen. Wie lange also jemand diesen Maßnahmen unterzogen wird (Therapie und / oder Sicherheitsverwahrung) ist dann von der begangenen Tat unabhängig und hängt nur von der Einsichtsfähigkeit / Konditionierbarkeit des Täters ab.
3. Aus meiner Sicht ist ein solches Vorgehen abzulehnen. Das Schuldkonzept stellt die Rechte des Einzelnen über die Rechte der Gesellschaft, ein Sicherheitsrecht stellt im Gegensatz dazu das Interesse der Gesellschaft über die Rechte des Einzelnen. Der Schutz der Gesellschaft darf aber mAn nur in extremen Ausnahmefällen über die Grundrechte des Einzelnen gestellt werden. In dem oben beschriebenen Sicherheitsrecht wäre es aber der Normalfall.
Leider gibt es mAn eine Tendenz in der Gesellschaft, das Strafrecht durch ein Sicherheitsrecht zu ersetzen. Es gibt Forderungen von Politikern nach häufigerer Sicherheitsverwahrung, es gibt Inhaftierungen von angeblichen Terroristen, die über längere Zeit kein aus meiner Sicht notwendiges rechtsstaatliches Verfahren bekommen (Guantanamo). All dies wird mit der (angeblich notwendigen) "Sicherheit der Gesellschaft" begründet, aber dabei werden sträflich die aus meiner Sicht notwendigen Grundlagen des Rechtsstaates vernachlässigt.
Das soll aber kein Statement oder gar Beweis gegen eine wissenschaftliche Erkenntnis sein, sondern ein Plädoyer für ein Menschenbild, das auf den Rechten und der Verantwortung des Einzelnen basiert. Ich glaube, dass wir dazu keine Alternative haben und ich denke nicht, dass es den von kolja oben geschilderten wissenschaftlichen Erkenntnissen widerspricht.
Noch ein paar Anmerkungen zum Konzept "Schuld": natürlich gibt es äußere Einflüsse und natürlich kann der Mensch sich nicht komplett selber formen. Dies ist auf jeden Fall bei der Schuldzumessung zu berücksichtigen und zusätzlich ist die Gesellschaft auch in der Pflicht, negative Einflüsse, die eine Normverletzung begünstigen könnten, bei Erkenntnis dieser so gut wie möglich zu beseitigen.
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Deus ex Machina registrierter User
Anmeldungsdatum: 14.03.2006 Beiträge: 789
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(#563339) Verfasst am: 13.09.2006, 00:09 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Ich möchte daher mal versuchen, meinen Standpunkt zusammenhängend zu erläutern. |
Gut, dann möchte ich das mal in Bezugname auf den Deinen tun.
Ich stimme Deinen Ausführungen zu den Grundrechten uneingeschränkt zu.
Die Unterscheidung zwischen einem Menschen, den man "als Subjekt sieht, der seine Handlungen selber bestimmt" und dem Standpunkt "dem Menschen sind seine Handlungen nicht zuzuordnen, da diese komplett durch äußere Handlungen bestimmt sind" halte ich aber für reichlich gesucht und konstruiert, da sie sich auf keinerlei konkrete Kriterien stützt und sich somit im Nebel der sprachlichen Beliebigkeit verliert.
Weiter sehe ich nicht, wie sich Dein indeterministisches* Menschenbild, insebesondere Deine Vorstellungen vom "Subjektstatus", mit Koljas Erläuterungen in Einklang bringen lassen soll.
Fakt ist:
a) Der Mensch kann durch Reflexion Einfluss auf seinen Willen nehmen, kann tun was er für richtig hält.
b) Das Verhalten des Menschen ist weitgehend determiniert und, wo es dies nicht ist, echt zufällig bestimmt.
Letzteres steht aber krass im Widerspruch mit unseren traditionellen Begriffen von Willensfreiheit und Verantwortung, die eben untrennbar mit der Vorstellung verknüpft sind, dass der Mensch eine Handlung auch anders oder gar nicht hätte ausführen können. Was wir einem Delinquenten vorwerfen, ist ja nicht, dass er einen schlechten Charakter hat, sondern eben dass er die Straftat auch hätte unterlassen können.
Nichtsdestotrotz halte ich ein Strafrecht in unserer gegenwärtigen Gesellschaftsform für unverzichtbar – und zwar weitgehend in der heutigen Form. Dessen einziges Ziel sollte es aber sein, Straftaten zu verhindern. Insbesondere halte ich es für nicht legitim, jemanden härter zu bestrafen, als dies für die Vermeidung zukünftiger Straftaten nötig ist, selbst wenn der Verzicht darauf der Bevölkerungsmehrheit sauer aufstossen sollte. Rational begründen kann ich das nicht – ebenso wenig wie ich Deine Gegenposition in dieser Frage für begründbar halte; es würde nur meinem Gewissen und meinem Gerechtigkeitsempfinden radikal widersprechen.
* „Ich habe nichts gegen den Determinismus!“, wirst Du protestieren.
Mit Formulierungen wie „Er hätte also diese bekannten Sanktionen durch eine andere Handlungsweise abwenden können“ oder „natürlich gibt es äußere Einflüsse und natürlich kann der Mensch sich nicht komplett selber formen“ beziehst Du da aber ziemlich deutlich Stellung.
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iovialis registrierter User
Anmeldungsdatum: 20.07.2006 Beiträge: 151
Wohnort: Kiew
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(#563347) Verfasst am: 13.09.2006, 00:18 Titel: Re: Determinismus und warum die Gläubigen nicht daran glauben wollen. |
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Mark_M hat folgendes geschrieben: | ich meine... ich bin mir sicher daß die determinie stimmt (nach reichlicher ausseinandersetzung mit den einflußgrössen quantenmechanischer unvorhersehbarer effekte im gehirn) |
Wieso so kompliziert mit Quantenmechanik etc..., das geht viel einfacher:
In den 90ern war die Chaostheorie eine Zeit lang groß in Mode - selbst der Spiegel brachte Berichte darüber und bezeichnete die Theorie als "neue Weltordnung". Die Chaostheorie besagt, daß Chaos berechenbar ist, aber nicht vorhersehbar. Trotzdem ist es deterministisch, weil z.B. die Mandelbrotmenge auf einer rekursiven Formeln beruht, die ihr Ergebnis wieder als Eingangswert benutzt. Das einzige, was die Chaostheorie aufzeigt, ist, daß ein deterministisches Weltbild möglich wäre, auch wenn damit nicht vorhersehbar ist, was morgen sein wird. Eine Formel bestimmt bei der Chaostheorie den zukünfigen Wert, wobei nicht bestimmt werden kann, wie dieser Wert in 100 Schritten sein wird, ohne diese Schritte gegangen zu sein (dazu die Überlegung des Wetters).
Wenn alles determiniert ist, stellt sich die Frage nicht, weshalb Gläubige gegen Determinismus sind, denn das wäre ja auch determiniert
Iovialis
_________________ Operation MINDFUCK - Heil Discordia! - http://www.iovialis.org - Let's SMI²LE
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#564273) Verfasst am: 13.09.2006, 23:57 Titel: |
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Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Weiter sehe ich nicht, wie sich Dein indeterministisches* Menschenbild, insebesondere Deine Vorstellungen vom "Subjektstatus", mit Koljas Erläuterungen in Einklang bringen lassen soll.
[...]
Letzteres steht aber krass im Widerspruch mit unseren traditionellen Begriffen von Willensfreiheit und Verantwortung, die eben untrennbar mit der Vorstellung verknüpft sind, dass der Mensch eine Handlung auch anders oder gar nicht hätte ausführen können. |
Nun gut, die Diskussion nochmal von vorne aufzurollen, bringt wohl nicht so viel. Wir sind einfach unterschiedlicher Meinung, was diese Punkte betrifft. Wie wir da weiterkommen könnten, sehe ich gerade nicht. Unsere Argumente scheinen mir ausgetauscht worden zu sein, Du kannst meine nicht nachvollziehen und ich Deine nicht. Vielleicht ein grundsätzliches Verständnisproblem zwischen Kompatibilist und Inkompatibilist.
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Nichtsdestotrotz halte ich ein Strafrecht in unserer gegenwärtigen Gesellschaftsform für unverzichtbar – und zwar weitgehend in der heutigen Form. Dessen einziges Ziel sollte es aber sein, Straftaten zu verhindern. Insbesondere halte ich es für nicht legitim, jemanden härter zu bestrafen, als dies für die Vermeidung zukünftiger Straftaten nötig ist, selbst wenn der Verzicht darauf der Bevölkerungsmehrheit sauer aufstossen sollte. |
Ich bin aber froh, dass wir zu denselben Schlussfolgerungen kommen, denn so allgemein, wie es dasteht, stimme ich vorbehaltlos zu. Der Teufel steckt aber wahrscheinlich im Detail, daher könnten wir vielleicht das Beispiel von oben mal konkretisieren, um zu sehen, ob wir doch unterschiedlich werten würden.
Dein Beispiel war: eine kürzere Strafe für einen Mörder als für einen Ladendieb könnte ok sein.
Machen wir es doch konkret: ein 30-jähriger Mann überfällt eine Rentnerin in ihrer Wohnung, tötet sie und stiehlt ihren Sparstrumpf. Das wird gemeinhin als Mord bewertet (Habsucht = niederes Motiv).
Eine 50-jährige Frau stiehlt zum wiederholten Male in einem Geschäft und wird erneut dabei erwischt. Diesmal ist es eine Flasche Champagner. Also Ladendiebstahl im Wiederholungsfalle.
Sollte der Mörder hier dMn eine kürzere Strafe als die Ladendiebin bekommen? Welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein?
Du kannst aber natürlich auch gerne das Beispiel anders konstruieren. Mich würde einfach mal ein konkretes Beispiel interessieren, in dem Du eine kürzere Bestrafung für den Mörder für zwingend hältst.
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Kramer postvisuell
Anmeldungsdatum: 01.08.2003 Beiträge: 30878
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(#564314) Verfasst am: 14.09.2006, 02:17 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: |
Du kannst aber natürlich auch gerne das Beispiel anders konstruieren. Mich würde einfach mal ein konkretes Beispiel interessieren, in dem Du eine kürzere Bestrafung für den Mörder für zwingend hältst. |
Ich kann mir nicht vorstellen, dass es dafür ein Beispiel gibt, wenn es wirklich um Mord vs. Ladendiebstahl geht. Ein Mörder, der planvoll einen Menschen getötet hat, um sich selber zu bereichern, hat ja durch seine Tat bewiesen, dass er selbst vor Mord nicht zurückschreckt, um sich selber einen Vorteil zu verschaffen. Wenn es Ziel der Strafverfolgung ist, Verbrechen zu vermeiden, dann verhindert man mit einer längeren Haftstrafe, dass dieser Mörder ein weiteres Verbrechen begeht. Ladendiebstahl ist damit nicht zu vergleichen, weil Ladendiebe kein konkretes menschliches Opfer haben und der Schaden vom Täter heruntergespielt wird: "Das haben die ja ohnehin in die Preise einkalkuliert und die sind ja auch versichert." Ich vermute auch, dass ein typischer Ladendieb Skrupel hätte, einer Rentnerin die Handtasche zu klauen. Karstadt zu bestehlen ist etwas anderes, als einer Rentnerin die Rente wegzunehmen. Wird aber ein Ladendieb erwischt, bekommt das abstrakte beklaute Kaufhaus plötzlich ein menschliches Gesicht. Man wird von einem Angestellten festgehalten, vor den den Augen der anderen Kunden in ein Büro geführt, man muss vor den Anwesenden seine Taschen leeren und auf die Polizei warten. Das alleine ist für viele Ladendiebe oft schon peinlich genug. Das ist auch dann sehr peinlich, wenn man unschuldig verdächtigt wird.
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Deus ex Machina registrierter User
Anmeldungsdatum: 14.03.2006 Beiträge: 789
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(#564473) Verfasst am: 14.09.2006, 13:43 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Letzteres steht aber krass im Widerspruch mit unseren traditionellen Begriffen von Willensfreiheit und Verantwortung, die eben untrennbar mit der Vorstellung verknüpft sind, dass der Mensch eine Handlung auch anders oder gar nicht hätte ausführen können. |
Nun gut, die Diskussion nochmal von vorne aufzurollen, bringt wohl nicht so viel. Wir sind einfach unterschiedlicher Meinung, was diese Punkte betrifft. |
Du hast wohl Recht, es bring nichts, alles noch einmal durchzukauen. Aber ich verstehe noch nicht, worin sich Deine Meinung in diesem Punkt genau von der meinen Unterscheidet: Denkst Du, dass unsere Vorstellung von Verantwortung nicht damit verknüpft ist, dass die Tat auch hätte unterlassen werden können oder bist Du der Meinung, dass die Tat hätte unterlassen werden können?
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Machen wir es doch konkret: ein 30-jähriger Mann überfällt eine Rentnerin in ihrer Wohnung, tötet sie und stiehlt ihren Sparstrumpf. Das wird gemeinhin als Mord bewertet (Habsucht = niederes Motiv).
Eine 50-jährige Frau stiehlt zum wiederholten Male in einem Geschäft und wird erneut dabei erwischt. Diesmal ist es eine Flasche Champagner. Also Ladendiebstahl im Wiederholungsfalle.
Sollte der Mörder hier dMn eine kürzere Strafe als die Ladendiebin bekommen? Welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein?
Du kannst aber natürlich auch gerne das Beispiel anders konstruieren. Mich würde einfach mal ein konkretes Beispiel interessieren, in dem Du eine kürzere Bestrafung für den Mörder für zwingend hältst. |
Kramer hat Recht; der Begriff "Mörder" impliziert ja schon eine bewusste und willentliche Handlung, wodurch sich da wohl kaum ein Beispiel finden lässt. Aber eigentlich bist doch Du derjenige, der es für legitim hält, jemanden zu verurteilen, um die Mehrheit zufrieden zu stellen. Also musst auch Du ein Beispiel dafür liefern können, wo diese Zielsetzung zum tragen kommt, wo man also mit ihr zu einem höheren Strafmass kommt, als ohne sie. Wenn man mit dieser Zielsetzung immer zum gleichen Ergebnis kommt, wie ohne sie, ist sie überflüssig.
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#564536) Verfasst am: 14.09.2006, 15:42 Titel: |
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Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Aber ich verstehe noch nicht, worin sich Deine Meinung in diesem Punkt genau von der meinen Unterscheidet: Denkst Du, dass unsere Vorstellung von Verantwortung nicht damit verknüpft ist, dass die Tat auch hätte unterlassen werden können oder bist Du der Meinung, dass die Tat hätte unterlassen werden können? |
Meiner Auffassung nach kann man eine Tat unterlassen; es gibt mehrere Möglichkeiten, wie die Zukunft ablaufen kann. Was aber letztlich geschieht, hängt auch von den persönlichen Präferenzen und Entscheidungen ab. Das ist für mich der wesentliche Punkt.
Dass aber alles so passiert wie es eben passiert, dass alles einen Grund hat oder nicht (also zufällig ist), diese scheinbare Erkenntnis halte ich für tautologisch und daher für vollkommen irrelevant.
Da Du aber zu demselben Schluss bezüglich des Strafrechtes kommst wie ich, soll es mir egal sein, welche Philosophie dahintersteckt.
Kommt aber jemand zu dem Schluss, wir müssten das Strafrecht abschaffen und ein Maßnahmen- und Sicherheitsrecht einführen, dann ist es mir nicht mehr so recht.
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Sollte der Mörder hier dMn eine kürzere Strafe als die Ladendiebin bekommen? Welche Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein?
Du kannst aber natürlich auch gerne das Beispiel anders konstruieren. Mich würde einfach mal ein konkretes Beispiel interessieren, in dem Du eine kürzere Bestrafung für den Mörder für zwingend hältst. |
Kramer hat Recht; der Begriff "Mörder" impliziert ja schon eine bewusste und willentliche Handlung, wodurch sich da wohl kaum ein Beispiel finden lässt. Aber eigentlich bist doch Du derjenige, der es für legitim hält, jemanden zu verurteilen, um die Mehrheit zufrieden zu stellen. [...] |
Ich weiß nicht, wie Du darauf kommst. Wenn ich mal ein wenig zurückblättere und von dort zitiere:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Ja, sicher muss die Höhe des Strafmaßes mMn von der Schwere der Tat ausgehen. Du scheinst übrigens Generalprävention mMn falsch zu verstehen: Generalprävention bedeutet nicht nur, potentielle Täter von der gleichen Tat abzuhalten, sondern sie muss auch das Vertrauen in das Rechtssystem stärken. Wenn ein Ladendieb härter bestraft würde als ein Mörder, dann wüde das wahrscheinlich eben dieses Vertrauen nicht gerade befördern. |
Es überrascht mich etwas, dass du hier offen forderst, jemanden in unnötig hohem Masse zu verurteilen, um damit die (Rachegefühle der) Mehrheit zufriedenzustellen. [...] |
Wie Du daraus eine Befürwortung von Lynchjustiz konstruierst, ist mir schleierhaft. Ich glaube nur schlicht, a) dass sich die Höhe der Strafe nach dem Schlimmheitsgrad der begangenen Tat richten sollte, b) außer Spezialprävention auch Generalprävention notwendig ist (was Kramer gänzlich vernachlässigt).
Aber nun gut, wenn wir wieder mit unterschiedlichen Herleitungen zum selben Ergebnis kommen (die Strafe für den Mörder ist höher als für den Ladendieb, die Strafe für den Räuber höher als die für den Graffitisprüher usw.), soll es mir letztlich auch hier wieder recht sein.
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Deus ex Machina registrierter User
Anmeldungsdatum: 14.03.2006 Beiträge: 789
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(#564661) Verfasst am: 14.09.2006, 19:42 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Meiner Auffassung nach kann man eine Tat unterlassen; es gibt mehrere Möglichkeiten, wie die Zukunft ablaufen kann. |
Weshalb nennst Du den Dein Freheitsverständins dauernd ein kompatibilistisches? Entweder ist es vorherbestimmt, wie eine zukünftige Handlung abläuft, oder es gibt eben mehrere Möglichkeiten.
Zitat: | Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Kramer hat Recht; der Begriff "Mörder" impliziert ja schon eine bewusste und willentliche Handlung, wodurch sich da wohl kaum ein Beispiel finden lässt. Aber eigentlich bist doch Du derjenige, der es für legitim hält, jemanden zu verurteilen, um die Mehrheit zufrieden zu stellen. [...] |
Ich weiß nicht, wie Du darauf kommst. Wenn ich mal ein wenig zurückblättere und von dort zitiere:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Generalprävention bedeutet nicht nur, potentielle Täter von der gleichen Tat abzuhalten, sondern sie muss auch das Vertrauen in das Rechtssystem stärken. Wenn ein Ladendieb härter bestraft würde als ein Mörder, dann wüde das wahrscheinlich eben dieses Vertrauen nicht gerade befördern. |
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Genau das halte ich eben für nicht legitim: Jemanden zu verurteilen, um "auch das Vertrauen in das Rechtssystem stärken" weil das Gegenteil "wahrscheinlich eben dieses Vertrauen nicht gerade befördern" würde. Deshalb: Könntest Du ein Beispiel nennen, wo man mit dieser Deiner Zielsetzung zu einem anderen Strafmass kommt, als wenn man nur das Vermeiden von Straftaten beabsichtigt?
Zitat: | Wie Du daraus eine Befürwortung von Lynchjustiz konstruierst, ist mir schleierhaft. |
Wo habe ich etwas von Lynchjustiz geschrieben?
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#564730) Verfasst am: 14.09.2006, 21:42 Titel: |
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Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Meiner Auffassung nach kann man eine Tat unterlassen; es gibt mehrere Möglichkeiten, wie die Zukunft ablaufen kann. |
Weshalb nennst Du den Dein Freheitsverständins dauernd ein kompatibilistisches? Entweder ist es vorherbestimmt, wie eine zukünftige Handlung abläuft, oder es gibt eben mehrere Möglichkeiten. |
Diese Ausschließlichkeit kann ich nicht sehen. Es ist beides gleichzeitig möglich: es gibt mehrere Möglichkeiten, wie die Zukunft ablaufen kann und wenn etwas geschehen ist, dann ist es so geschehen, wie es geschehen ist. Dann gibt es also nicht mehr mehrere Möglichkeiten.
Die Zukunft ist aber nicht vorherbestimmt in dem Sinne, dass ich keinen Einfluss auf sie hätte. Das allein ist der Punkt für mich.
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Genau das halte ich eben für nicht legitim: Jemanden zu verurteilen, um "auch das Vertrauen in das Rechtssystem stärken" weil das Gegenteil "wahrscheinlich eben dieses Vertrauen nicht gerade befördern" würde. Deshalb: Könntest Du ein Beispiel nennen, wo man mit dieser Deiner Zielsetzung zu einem anderen Strafmass kommt, als wenn man nur das Vermeiden von Straftaten beabsichtigt? |
Das Stärken des Vertrauens in die Rechtsordnung dient ebenfalls dem Vermeiden von Straftaten. Wozu auch sonst?
Der Gleichheitsgrundsatz spielt hierbei eine Rolle.
Beispiel? Nehmen wir zwei Männer, die beide das gleiche unter vergleichbaren Umständen getan haben, nämlich Geld unterschlagen. Der Unterschied ist nun, dass der eine kurz vor der Gerichtsverhandlung zufällig sehr viel Geld im Lotto gewinnt. Man kann nun davon ausgehen, dass er in Zukunft keine Unterschlagungen mehr begehen wird, da er das ja nicht mehr nötig hat. Eine Spezialprävention ist also bei ihm nicht mehr notwendig. Auch eine negative Generalprävention ist nicht mehr unbedingt gegeben, denn wenn die Begründung für den Freispruch lauten würde, dass keine Straftaten in dieser Richtung mehr zu erwarten seien, da er ja nun reich sei, würde niemand in ähnlicher Situation darauf spekulieren, nach der Tat plötzlich zu Geld zu kommen. Würde man aber so vorgehen, dann würde dies eben mMn das Vertrauen in das Rechtssystem untergraben.
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Wie Du daraus eine Befürwortung von Lynchjustiz konstruierst, ist mir schleierhaft. |
Wo habe ich etwas von Lynchjustiz geschrieben? |
Diese Aussage von Dir:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Aber eigentlich bist doch Du derjenige, der es für legitim hält, jemanden zu verurteilen, um die Mehrheit zufrieden zu stellen. |
riecht für mich nach Lynchjustiz, denn hier ist keine Rede von Schuld und Gerechtigkeit. Es geht nur um die Zufriedenstellung der Mehrheit und das habe ich keineswegs gefordert, denn für mich sind eben diese Aspekte ebenfalls wichtig.
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Volker Bekennender Atheist
Anmeldungsdatum: 29.07.2003 Beiträge: 190
Wohnort: Würzburg
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(#564769) Verfasst am: 14.09.2006, 23:03 Titel: |
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Sokrateer hat folgendes geschrieben: | Die Behauptung, die Welt sei deterministisch ist letztlich nicht falsfizierbar. Aus wissenschaftlicher Sicht bleibt die Frage also offen. Determinismus ist keine zwingend atheistische Position. |
Ich möchte das einmal aufgreifen, auch wenn es in der Diskussion eigentlich um etwas anderes geht. Ich stimme zu, dass Determinismus keine zwingende atheistische Position ist, denn ich bin sowohl Atheist als auch Indeterminist - und zwar, weil ich den Determinismus falsifizieren kann, d. h., ich kann beweisen, dass er nicht uneingeschränkt gelten kann.
Determinismus ist eine logisch selbstwidersprüchliche Position. Und der Determinismus lässt sich falsifizieren, wenn man beweisen kann, dass es mindestens ein Ereignis gegeben haben muss, das nicht determiniert sein kann.
Zunächst zu den Definitionen:
Zufall: Wir bezeichnen ein Ereignis als zufällig (= nicht determiniert), wenn wir entweder keine Ursache dafür kennen, oder wenn es keine Ursache hat.
Nun kann man schlecht unterscheiden, ob wir die Ursache eines Ereignisses nur einfach nicht kennen, oder ob es keine hat. Da diese beiden Positionen ununterscheidbar sind, so scheint es, ist der Determinismus unwiderlegbar. Das gilt für alle Ereignisse - außer einem. Und man kann (muss sogar) daraus folgern, dass es eine ganze Klasse von unverursachten Ereignissen gibt. Tatsächlich folgt dem die moderne Physik, wenn sie behauptet, dass es unverursachte Ereignisse gibt.
Wenn wir beweisen können, dass es ein unverursachtes Ereignis gegeben haben muss, dann folgt daraus, dass der Determinismus in einer Krise steckt, weil der der Determinist nun einen Sonderfall konstruieren muss: Alles ist determiniert, mit einer Ausnahme. Aber damit ist der Determinismus logisch nicht mehr konsistent - denn die Frage ist, warum man einen Sonderfall konstatieren muss?
Aber zunächst zum Beweis. Wenn der Determinismus gilt, wenn also alles eine Ursache hat, und aus allen Ereignissen es nur genau eine mögliche Folge gibt, dann folgt daraus, dass auch jede Art von Existenz eine Ursache haben muss. Das bedeutet, das nicht nur Ereignisse als solche determiniert sind, sondern auch die Hervorbringung von Ereignissen, also die Entstehung von Existenz, oder das Vorhandensein von Existenz. Alles ist dann ein Glied einer Kausalkette. Natürlich kann ein Ereignis mehrere Ursachen haben, und eine Ursache mehrere Wirkungen. Aber wir können solche Gruppen ohne Verlust an Gehalt zusammenfassen: Jedes Ereignis oder jede Gruppe von Ereignissen muss mindestens eine oder mehrere Ursachen haben. Wir können also sagen, dass ein Ereignis entweder aus einem einzelnen Ereignis besteht oder aus einer Gruppe von Ereignissen, die wir wie ein einzelnes Ereignis betrachten können. Und dann muss auch Existenz selbst eine Ursache haben - und genau das ist logisch unmöglich!
Betrachten wir also die Kette von Ereignissen. Es gibt genau fünf (nicht mehr, nicht weniger) Möglichkeiten, wie diese Kette "in Gang" gekommen ist.
1. Möglichkeit: Es gab eine erste Ursache, die selbst keine Ursache hat.
In diesem Fall muss das erste Ereignis unverursacht sein. Ist das der Fall, ist der Determinismus falsch. Wir haben aber noch vier weitere Fälle zu betrachten.
2. Möglichkeit: Es gab keine erste Ursache, sondern eine unendliche Kette von Ursachen ohne Anfang.
Wir können diese (unendliche) Menge an Ereignissen zu einem Ereignis zusammen fassen (s. o.) und uns fragen, ob die Gesamtheit aller Ereignisse selbst eine Ursache hatte oder nicht. Wenn sie keine Ursache hatte, dann ist die Gesamtheit der Existenz unverursacht. Wenn diese Gesamtheit selbst eine Ursache hatte, ist der Ausdruck "Gesamtheit" falsch, weil wir Elemente ausgelassen haben. Man kann aber zur Gesamtheit aller Ereignisse unendlich viele Ereignisse hinzufügen und die Frage neu stellen: Sobald man von einer Gesamtheit redet, kann diese keine Ursache gehabt haben. In einer unendlichen Kette von Ursachen gibt es kein einzelnes Glied ohne Ursache - aber die Kette selbst kann keine Ursache haben.
Trifft die zweite Möglichkeit zu, so ist die Gesamtheit der Existenz unverursacht, und der Determinismus widerlegt. Wir haben aber noch drei weitere Fälle zu betrachten.
3. Möglichkeit: Das erste Ereignis hat sich selbst verursacht.
Dies wird normalerweise als Möglichkeit bestritten, weil es voraussetzt, dass das Ereignis existieren musste, bevor es existierte, und das ist selbstwidersprüchlich. Aber akzeptieren wir provisorisch, dass Selbstverursachung möglich ist, dann bleibt immer noch, dass die Selbstverursachung selbst keine Ursache gehabt haben kann, ohne dass man zur Möglichkeit 1. oder 2. zurückkehren muss. das selbstverursachte Ereignis hatte also keine Ursache, wenn diese Möglichkeit zutrifft. Wir haben aber noch zwei weitere Fälle zu betrachten.
Trifft die 3. Möglichkeit zu, gibt es für Existenz keine Ursache.
4. Möglichkeit: Es gibt einen geschlossenen Kreis von Ursachen.
Dies ist mit Fall 3. verwandt, und wie beim Fall 2. hat jedes Ereignis in der (geschlossenen) Kette eine Ursache - aber der Kreis als Ganzes hat keine Ursache. Falls doch, handelt es sich um einen der anderen Fälle.
Trifft die 4. Möglichkeit zu, gibt es für Existenz keine Ursache. Wir haben aber noch einen weiteren Fall zu betrachten.
5. Möglichkeit: Für die Bildung von Existenz galten keine Regeln (keine Logik).
Aber wenn wir sagen, dass etwas entstand, oder ewig existiert, ohne dass darauf die Logik anwendbar ist, dann haben wir unser unverursachtes Ereignis, denn der Determinismus setzt zwingend die Gültigkeit von Regeln voraus. Von einer Ursache können wir nur reden, wenn Regeln gelten. Das Bestreiten von Regeln ist dasselbe, wie zu sagen, dass etwas keine Ursache hatte. Zu sagen, ein Ereignis hatte keine Ursache, ist dasselbe, wie zu sagen, dass keine Regeln galten.
Trifft die 5. Möglichkeit zu, gibt es für Existenz keine Ursache. Aber wir haben jetzt keine weiteren Möglichkeiten mehr.
Was immer man also auch annimmt, es folgt aus jeder möglichen Annahme, dass Existenz selbst keine Ursache gehabt haben kann. Tatsächlich, wenn wir sagen "A hat B verursacht", dann setzen wir die Existenz von A voraus. Das bedeutet, dass Existenz keine Ursache haben kann - und damit ist der Determinismus widerlegt, denn wir haben mindestens ein Ereignis ohne Ursache - die Existenz selbst.
Generell müssen ein paar Voraussetzungen erfüllt sein, damit wir sagen können "A hat B verursacht". A muss existieren, A muss Energie auf B übertragen, A muss im selben Raum-Zeit-Kontinuum existieren, und es muss die Logik gelten. Determinismus setzt die unbedingte Gültigkeit von Ursache-Wirkungs-Regeln für alles und für immer voraus, man kann sich also nicht damit herausreden, dass die Logik hierfür nicht gilt, ohne den Determinismus zu bestreiten.
Wenn nun ein B anfängt zu existieren, dann kann es kein A gegeben haben, dass dafür die Ursache ist, weil keine einzige der Voraussetzungen erfüllt ist. Gleichgültig, ob Existenz ewig ist oder einen Anfang hat: Existenz ist nie verursacht. Nun ist die Tatsache, dass etwas existiert, aber unbestreitbar, folglich ist auch unbestreitbar, dass es mindestens ein unverursachtes Ereignis gegeben hat.
Damit ist der Determinismus widerlegt, er ist analytisch falsch. Die Existenz zur Ausnahme zu erklären, macht den Determinismus auch nicht wieder lebendig, er ist tot. Q. E. D.
Das bedeutet in Konsequenz, dass zwei populäre Vorurteile falsch sind:
1. Alles hat eine Ursache ist falsch, weil Existenz keine Ursache haben kann.
2. Von Nichts kommt nichts ist auch falsch, weil Existenz keine Ursache haben kann, keinen Ursprung, was dasselbe ist wie zu sagen: Existenz kommt aus dem Nichts. "X entstand aus dem Nichts" und "X hat keinen Ursprung" ist logisch äquivalent, auch dann, wenn man eine unendliche Kette von Ursachen annimmt.
Auch der Theist muss behaupten, dass Gott keine Ursache haben kann, er ist also gezwungen, ursachenlose Ereignisse vorauszusetzen. Und natürlich ist, da Existenz generell keine Ursache haben kann, weil keine der Bedingungen erfüllt ist, zugleich bewiesen, dass es keinen Schöpfergott geben kann. Anders gesagt, der starke Atheismus gegen jede Art von Schöpfergott ist damit zugleich die einzig vernünftige Annahme, die sich zwingend aus dem Beweis ergibt - Existenz generell gehört zu den Klassen von Ereignissen, die unverursacht sind.
_________________ Die erste Sünde der Menschheit war Glauben, ihre erste Tugend war Zweifel.
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kolja der Typ im Maschinenraum

Anmeldungsdatum: 02.12.2004 Beiträge: 16631
Wohnort: NRW
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Tarvoc would prefer not to.
Anmeldungsdatum: 01.03.2004 Beiträge: 44699
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(#564784) Verfasst am: 14.09.2006, 23:40 Titel: |
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Nichtsdestoweniger finde ich Volkers Ausführungen höchst interessant...
_________________ "Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der Ausnahmezustands in dem wir leben, die Regel ist."
- Walter Benjamin, VIII. These zum Begriff der Geschichte
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Deus ex Machina registrierter User
Anmeldungsdatum: 14.03.2006 Beiträge: 789
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(#564825) Verfasst am: 15.09.2006, 00:54 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Meiner Auffassung nach kann man eine Tat unterlassen; es gibt mehrere Möglichkeiten, wie die Zukunft ablaufen kann. |
Weshalb nennst Du den Dein Freheitsverständins dauernd ein kompatibilistisches? Entweder ist es vorherbestimmt, wie eine zukünftige Handlung abläuft, oder es gibt eben mehrere Möglichkeiten. |
Diese Ausschließlichkeit kann ich nicht sehen. Es ist beides gleichzeitig möglich: es gibt mehrere Möglichkeiten, wie die Zukunft ablaufen kann und wenn etwas geschehen ist, dann ist es so geschehen, wie es geschehen ist. Dann gibt es also nicht mehr mehrere Möglichkeiten. |
Natürlich gibt es im Nachhinein nur eine Möglichkeit, wie es eben passiert ist. Aber der Punkt ist, dass, da die Gehirnvorgänge für praktische Zwecke deterministisch ablaufen, es schon im Vorraus genau eine Möglichkeit gibt, welche Handlung ausgeführt werden wird; dass es im Prinzip also im Vorhinein möglich ist zu sagen, ob eine Person sich für den Apfel oder die Birne entscheiden wird, selbst wenn die Person selbst das noch nicht weiss und ihre Zukunft als offen erlebt.
Zitat: | es gibt mehrere Möglichkeiten, wie die Zukunft ablaufen kann |
Nach heutigem Stand der Wissenschaft eben nicht (bzw. wenn, dann hätte es mit Zufall und somit nichts mit Freiheit zu tun). Die Illusion, dass es mehrere Möglichkeiten gibt, stellt sich nur ein, wenn wir nicht sämtliche relevanten Faktoren berücksichtigen oder nicht über die Mittel verfügen, aus diesen die Zukunft vorherzusagen (was in der Praxis natürlich immer der Fall ist).
Zitat: | Beispiel? Nehmen wir zwei Männer, die beide das gleiche unter vergleichbaren Umständen getan haben, nämlich Geld unterschlagen. Der Unterschied ist nun, dass der eine kurz vor der Gerichtsverhandlung zufällig sehr viel Geld im Lotto gewinnt. Man kann nun davon ausgehen, dass er in Zukunft keine Unterschlagungen mehr begehen wird, da er das ja nicht mehr nötig hat. Eine Spezialprävention ist also bei ihm nicht mehr notwendig. Auch eine negative Generalprävention ist nicht mehr unbedingt gegeben, denn wenn die Begründung für den Freispruch lauten würde, dass keine Straftaten in dieser Richtung mehr zu erwarten seien, da er ja nun reich sei, würde niemand in ähnlicher Situation darauf spekulieren, nach der Tat plötzlich zu Geld zu kommen. Würde man aber so vorgehen, dann würde dies eben mMn das Vertrauen in das Rechtssystem untergraben. |
Ein analoges Beispiel wäre dann wohl der Serienvergewaltiger, der einen Unfall hat und nun querschnittgelähmt ist, oder? So kann ich das akzeptieren. Die Diskussion um diesen Punkt hat sich ja zuerst an Deiner Aussage enzündet, für ein Verbrechen A sei eine schwere Strafe zu verhängen als für ein Verbrechen B, wenn Verbrechen A allgemein als schwerer eingeschätzt wird als Verbrechen B. Und das hat für mich dann eben stark nach "Mehrheit zufrieden stellen" getönt. Vielleicht will ich da mal ein Beispiel liefern, wo wir vielleicht zu unterschiedlichen Konsequenzen kommen, und zwar ein reales:
In den Sechzigerjahren brachte in England ein elfjähriges Mädchen Namens Mary Bell zwei kleine Jungen um. Wenn ich mich richtig entsinne konnte ein Straftäter damals in England ab 12 Jahren verurteilt werden, sie wurde von den Geschworenen jedoch als im Stande eingeschätzt, Recht von Unrecht zu unterscheiden und war somit schuldfähig. So wurde sie denn zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt (inzwischen jedoch auf Bewährung entlassen).
Meiner Meinung nach war das eben nicht rechtens. Ich glaube nicht, dass ein Kind in ihrem Alter sich von der Aussicht auf irgend eine Strafe hätte abschrecken lassen, wenn es einmal bereit ist, jemanden zu töten. Als das einzig legitime (und natürlich dringend notwendige) in ihrem Fall hätte ich therapeutische Massnahmen erachtet.
Deinem Grundsatz nach hätte sie also auf jeden Fall härter verurteilt werden müssen, als ein Erwachsener, der jemanden in den Rollstuhl geprügelt hat, jemanden sexuell missbraucht hat o.ä. Tatsächlich hätte etwas anderes damals das Vertrauen in das Rechtssystem erschüttert, wurde sie doch als "Teufelsbrut" und ähnliches verschrien.
Wie siehst Du also nun diesen Fall?
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Volker Bekennender Atheist
Anmeldungsdatum: 29.07.2003 Beiträge: 190
Wohnort: Würzburg
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(#564848) Verfasst am: 15.09.2006, 08:35 Titel: |
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kolja hat folgendes geschrieben: | http://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=550472#550472 |
Ja, sorry, ich bin wieder zu den Grundlagen zurückgekehrt, um die es schon lange nicht mehr ging. Vielleicht hätte ich einen neuen Thread beginnen sollen. Ich denke aber, die aufgeworfenen Fragen sind auch in diesem Zusammenhang durchaus von Interesse.
_________________ Die erste Sünde der Menschheit war Glauben, ihre erste Tugend war Zweifel.
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kolja der Typ im Maschinenraum

Anmeldungsdatum: 02.12.2004 Beiträge: 16631
Wohnort: NRW
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(#564861) Verfasst am: 15.09.2006, 09:18 Titel: |
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Volker hat folgendes geschrieben: | Ja, sorry, ich bin wieder zu den Grundlagen zurückgekehrt, um die es schon lange nicht mehr ging. |
Naja, eigentlich stand schon im Eröffnungsbeitrag, dass es um die Vorgänge im Gehirn geht und demnach nicht um einen philosophischen Determinismus ... aber was solls.
Volker hat folgendes geschrieben: | Ich denke aber, die aufgeworfenen Fragen sind auch in diesem Zusammenhang durchaus von Interesse. |
Warum? Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass philosophisches Grübeln über den Determinismus mit irgendeinem echten Erkenntnisgewinn verbunden sein kann, außer natürlich, dass man seine Gehirnwindungen trainiert. Solche Fragen können letztlich nur naturwissenschaftlich geklärt werden. Über die Ergebnisse kann man dann wieder grübeln.
_________________ Hard work often pays off after time, but laziness always pays off now.
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HFRudolph Bright
Anmeldungsdatum: 24.08.2006 Beiträge: 1229
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(#565096) Verfasst am: 15.09.2006, 13:51 Titel: |
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Hallo, hallo Volker,
Wenn die Existenz schlichtweg irgendwo keine Ursache hat, wäre das ein logischer Fehler, weil wir ein Ergebnis ohne Ursache haben. Der Schluss, dass dann die Ursachengesetze falsch sind, ist allerdings ebenso logisch wie die Feststellung, dass die Existenz falsch oder nicht vorhanden sein müsse oder dass eben unsere angewandte Denklogik nicht korrekt ist.
Gerade im Bereich zeitlicher und räumlicher Unendlichkeit gibt es aber auch ohnehin denklogische Schwierigkeiten: Das menschliche Gehirn kann es nicht fassen, sondern allenfalls mit variablen arbeiten. Das Gehirn geht sonst in eine Endlosschleife…
Die von Dir vorgeschlagene Denkweise erinnert mich etwas an die Quantenmechanik, die Kolja zitiert hatte: Sie erhebt zum Naturgsetz, dass sich bestimmte Umstände selbst theoretisch nicht berechnen lassen (genauer Aufenthaltsort eines Elektrons im Atom).
Das ist ansich die Ablehnung der Naturwissenschaft ansich, wenn wir sagen: Selbst nach unserer Theorie ist dieser Umstand nicht weiter erforschbar und beschreibbar. Das bedeutet, dass wir sagen, dass man etwas nicht beschreiben kann, weil wir die URSACHE nicht erkennen können (was nicht heißt, dass es keine Ursache geben kann). Die Qantenmechanik ist insoweit ein Provisorium.
Eine Lösung kann ich allerdings nicht anbieten. Hinsichtlich der praktischen Relevanz schließe ich mich allerdings Kolja an, wobei ansich auch die Erkenntnis einer Determination (oder eben nicht) des menschlichen Gehirns nur scheinbar unterschiedliche Folgen haben muss.
Gruß
HFR
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HFRudolph Bright
Anmeldungsdatum: 24.08.2006 Beiträge: 1229
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(#565103) Verfasst am: 15.09.2006, 13:54 Titel: |
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sorry, dass es nicht hierher gehört: mich hats nicht losgelassen
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kolja der Typ im Maschinenraum

Anmeldungsdatum: 02.12.2004 Beiträge: 16631
Wohnort: NRW
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(#565116) Verfasst am: 15.09.2006, 14:01 Titel: |
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Ach, ist schon ok. Mein Rumgemuffel nicht so ernst nehmen.
_________________ Hard work often pays off after time, but laziness always pays off now.
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin
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(#565148) Verfasst am: 15.09.2006, 14:22 Titel: |
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Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | [...] der Punkt ist, dass, da die Gehirnvorgänge für praktische Zwecke deterministisch ablaufen, es schon im Vorraus genau eine Möglichkeit gibt, welche Handlung ausgeführt werden wird; dass es im Prinzip also im Vorhinein möglich ist zu sagen, ob eine Person sich für den Apfel oder die Birne entscheiden wird, selbst wenn die Person selbst das noch nicht weiss und ihre Zukunft als offen erlebt.
Zitat: | es gibt mehrere Möglichkeiten, wie die Zukunft ablaufen kann |
Nach heutigem Stand der Wissenschaft eben nicht (bzw. wenn, dann hätte es mit Zufall und somit nichts mit Freiheit zu tun). Die Illusion, dass es mehrere Möglichkeiten gibt, stellt sich nur ein, wenn wir nicht sämtliche relevanten Faktoren berücksichtigen oder nicht über die Mittel verfügen, aus diesen die Zukunft vorherzusagen (was in der Praxis natürlich immer der Fall ist). |
Wir müssen uns wohl erst einmal über die Bedeutung von "Möglichkeit" einigen. Wenn Du mir einen Apfel und eine Birne hinhältst, dann kann ich zwischen zwei Möglichkeiten auswählen. Das hat nichts damit zu tun, welche der beiden Früchte ich dann tatsächlich nehmen werde, es gibt zwei Möglichkeiten und zwei ist mehr als eins.
Nächster Punkt: ich bin mir ziemlich sicher, dass es prinzipiell unmöglich ist, das Handeln einer Person im Voraus exakt zu berechnen.
Die Entscheidungen einer Person sind aber hoffentlich in dem Sinne determiniert, dass sie von persönlichen Präferenzen und Vernunftgründen abhängen und nicht irgendwie beliebig sind. Wären sie nämlich beliebig, wären sie also komplett "unberechenbar", dann könnte man dieser Person wohl kein Vertrauen entgegenbringen.
Halten wir also mal fest, dass die Entscheidungen von Personen in diesem Sinne determiniert sind, wobei wir uns nicht unbedingt darauf festlegen wollen, ob es eine minimale zusätzliche <s>Zukunftskomponente</s> Zufallskomponente geben könnte oder nicht. Dann habe ich zwei Fragen an Dich:
1. Wie könnte es überhaupt anders sein? Du scheinst eine Alternative dazu zu sehen, denn sonst würdest Du nicht so vehement für Deine Ansicht argumentieren. Ich kann diese Alternative leider nicht sehen, deswegen die Bitte, sie mal zu skizzieren.
2. Was ändert sich für Dich durch diese Erkenntnis (die für mich leider keine ist), welche konkreten Auswirkungen sollte diese Erkenntnis auf den sozialen Umgang miteinander haben?
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Zitat: | Beispiel? Nehmen wir zwei Männer, die beide das gleiche unter vergleichbaren Umständen getan haben, nämlich Geld unterschlagen. Der Unterschied ist nun, dass der eine kurz vor der Gerichtsverhandlung zufällig sehr viel Geld im Lotto gewinnt. Man kann nun davon ausgehen, dass er in Zukunft keine Unterschlagungen mehr begehen wird, da er das ja nicht mehr nötig hat. Eine Spezialprävention ist also bei ihm nicht mehr notwendig. Auch eine negative Generalprävention ist nicht mehr unbedingt gegeben, denn wenn die Begründung für den Freispruch lauten würde, dass keine Straftaten in dieser Richtung mehr zu erwarten seien, da er ja nun reich sei, würde niemand in ähnlicher Situation darauf spekulieren, nach der Tat plötzlich zu Geld zu kommen. Würde man aber so vorgehen, dann würde dies eben mMn das Vertrauen in das Rechtssystem untergraben. |
Ein analoges Beispiel wäre dann wohl der Serienvergewaltiger, der einen Unfall hat und nun querschnittgelähmt ist, oder? So kann ich das akzeptieren. Die Diskussion um diesen Punkt hat sich ja zuerst an Deiner Aussage enzündet, für ein Verbrechen A sei eine schwere Strafe zu verhängen als für ein Verbrechen B, wenn Verbrechen A allgemein als schwerer eingeschätzt wird als Verbrechen B. Und das hat für mich dann eben stark nach "Mehrheit zufrieden stellen" getönt. |
Hm, ich habe aber immer und immer wieder ausdrücklich betont, dass es erst mal auf die Schuld des Täters ankommt. Aber dann, wenn der Täter schuldhaft gehandelt hat, dann sollte, wenn Verbrechen A als schlimmer eingeschätzt wird als Verbrechen B, das erstere auch schwerer bestraft werden.
Ein Serienvergewaltiger, der einen Unfall hat und nun querschnittgelähmt ist, ist übrigens nicht unbedingt analog zu meinem Beispiel, denn mein Beispiel ist mMn eindeutiger. Mal allgemein gesagt, wenn ein Täter sehr schwer erkrankt / einen sehr schweren Unfall hat, dann kann das durchaus ein Grund sein, von einer Strafe abzusehen. Warum sollte jemand, der schon ans Bett gefesselt ist, noch zusätzlich in einem Gefängnis sein? Scheint mir dann nicht mehr unbedingt sinnvoll zu sein.
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben: | Vielleicht will ich da mal ein Beispiel liefern, wo wir vielleicht zu unterschiedlichen Konsequenzen kommen, und zwar ein reales:
In den Sechzigerjahren brachte in England ein elfjähriges Mädchen Namens Mary Bell zwei kleine Jungen um. Wenn ich mich richtig entsinne konnte ein Straftäter damals in England ab 12 Jahren verurteilt werden, sie wurde von den Geschworenen jedoch als im Stande eingeschätzt, Recht von Unrecht zu unterscheiden und war somit schuldfähig. So wurde sie denn zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt (inzwischen jedoch auf Bewährung entlassen).
Meiner Meinung nach war das eben nicht rechtens. Ich glaube nicht, dass ein Kind in ihrem Alter sich von der Aussicht auf irgend eine Strafe hätte abschrecken lassen, wenn es einmal bereit ist, jemanden zu töten. Als das einzig legitime (und natürlich dringend notwendige) in ihrem Fall hätte ich therapeutische Massnahmen erachtet.
Deinem Grundsatz nach hätte sie also auf jeden Fall härter verurteilt werden müssen, als ein Erwachsener, der jemanden in den Rollstuhl geprügelt hat, jemanden sexuell missbraucht hat o.ä. Tatsächlich hätte etwas anderes damals das Vertrauen in das Rechtssystem erschüttert, wurde sie doch als "Teufelsbrut" und ähnliches verschrien.
Wie siehst Du also nun diesen Fall? |
Das ist natürlich schwierig. Wie soll ich das dMn beantworten? Soll ich es mit meinem heutigen Rechtsverständnis beantworten oder soll ich mich in die damalige Zeit zurückversetzen? Ich denke, mir bleibt gar keine andere Möglichkeit, als es aus meiner heutigen Sicht zu beantworten.
Kinder sind nicht schuldfähig, denn sie sind noch nicht in der Lage, die vollen Konsequenzen ihrer Handlungen abzuschätzen. Sie sind in ihrer Persönlichkeit noch nicht so weit entwickelt, als dass man sie zur vollen Verantwortung ziehen könnte. Außerdem wäre es mehr als ungerecht, wenn man ihnen die Rechte der Erwachsenen verweigern würde und ihnen aber trotzdem schon die vollen Pflichten aufdrücken wollte. Also: die Verurteilung war ungerecht und ist daher abzulehnen, egal, wie die Bevölkerung das sah. (Aber, wie gesagt, ist das meine heutige Sicht.)
Meine Begründung entscheidet sich aber von der deinigen. Ich glaube nämlich, im Gegensatz zu Dir, dass auf Kinder in dem Alter eine Abschreckung durchaus wirken könnte. Jedoch dürfte das mMn kein Grund sein, denn Abschreckung alleine ist für mich als Begründung für eine Strafe nicht akzeptabel.
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Edit: Sinnentstellendes Wort geändert
Zuletzt bearbeitet von AgentProvocateur am 15.09.2006, 14:47, insgesamt einmal bearbeitet |
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#565161) Verfasst am: 15.09.2006, 14:31 Titel: |
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Volker hat folgendes geschrieben: | Zufall: Wir bezeichnen ein Ereignis als zufällig (= nicht determiniert), wenn wir entweder keine Ursache dafür kennen, oder wenn es keine Ursache hat. |
Würde ich nicht sagen. Es gibt determinierte Zusammenhänge jenseits der physikalischen Bereiche, in denen Kausalität gilt. Dort haben wir keine Ursache und dennoch nicht (nur) Zufall.
Ich würde eher sagen: Wir bezeichnen einen Ereigniswert als zufällig (= prinzipiell nicht berechenbar), wenn er auch bei oft wiederholter Messung nicht von einer statistischen Verteilung unterschieden werden kann..
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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Algol Katholik, saugverwirrte schleichende Scharia
Anmeldungsdatum: 22.06.2006 Beiträge: 4797
Wohnort: Berlin
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(#565369) Verfasst am: 15.09.2006, 19:52 Titel: Re: Determinismus und warum die Gläubigen nicht daran glauben wollen. |
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Mark_M hat folgendes geschrieben: | Weil ich vor kurzem erst wieder die erfahrung gemacht habe, daß die gläubigen aller richtungen sich die augen aus den köpfen weinen würden wenn sie denn eines tages die totale determinie des gehirns akzeptieren müssten...
warum können die gläubigen die determinie keinesfalls akzeptieren ? ...
also warum sind sie so allergisch gegen den determinismus ? |
Weil mit Determinismus/Determinie jegliche "Sünde" und damit der Grund für das Übel in der Welt wegfallen würde.
Aber hier denken viele "gläubige Christen" zu kurz:
Falls ihr Gott "allwissend" ist, dann bedeutet das unweigerlich Determinismus - die "Determinie" wäre nur sein Nebeneffekt.
_________________ Leben kann tödlich sein
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Deus ex Machina registrierter User
Anmeldungsdatum: 14.03.2006 Beiträge: 789
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(#565411) Verfasst am: 15.09.2006, 20:47 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Wir müssen uns wohl erst einmal über die Bedeutung von "Möglichkeit" einigen. Wenn Du mir einen Apfel und eine Birne hinhältst, dann kann ich zwischen zwei Möglichkeiten auswählen. Das hat nichts damit zu tun, welche der beiden Früchte ich dann tatsächlich nehmen werde, es gibt zwei Möglichkeiten und zwei ist mehr als eins. |
In diesem Sinne hat - um bei den Früchten zu bleiben - ein Apfel aber auch mehrere Möglichkeiten, wohin er fallen kann. Damit hat es wieder nichts mit Freiheit zu tun.
Zitat: | Nächster Punkt: ich bin mir ziemlich sicher, dass es prinzipiell unmöglich ist, das Handeln einer Person im Voraus exakt zu berechnen. |
Wohl war; aber wofür oder wogegen soll das ein Argument sein? Es ist nicht prinzipiell unberechenbarer (was für ein Unwort) als die Bahn eines Apfels, der die Strasse herunterrollt, wodurch das wiederum nichts mit Freiheit zu tun hat.
Zitat: | Halten wir also mal fest, dass die Entscheidungen von Personen in diesem Sinne determiniert sind, wobei wir uns nicht unbedingt darauf festlegen wollen, ob es eine minimale zusätzliche <s>Zukunftskomponente</s> Zufallskomponente geben könnte oder nicht. Dann habe ich zwei Fragen an Dich:
1. Wie könnte es überhaupt anders sein? Du scheinst eine Alternative dazu zu sehen, denn sonst würdest Du nicht so vehement für Deine Ansicht argumentieren. Ich kann diese Alternative leider nicht sehen, deswegen die Bitte, sie mal zu skizzieren. |
Natürlich kann es nicht anders sein. Dass alles entweder kausal bestimmt oder zufällig ist, ist - wie Du ja selbst geschrieben hast - tautologisch wahr. Nur Deine Vorstellung, dass es mehrere Möglichkeiten gibt, wie eine Entscheidung ausfallen könnte, ist entweder falsch oder Du musst sie - wie geschehen - so weit relativieren, dass sie mit Freiheit nichts mehr zu tun hat.
Zitat: | 2. Was ändert sich für Dich durch diese Erkenntnis (die für mich leider keine ist), welche konkreten Auswirkungen sollte diese Erkenntnis auf den sozialen Umgang miteinander haben? |
Haben wir das nicht seitenlang diskutiert? Welche Erkenntnis meinst Du denn nun überhaupt? Dass es immer nur eine Möglichkeit gibt, wie eine Handlung ausfallen kann / hätte ausfallen können? Zum Beispiel könnte man daraus folgern, dass unser intuitives Freiheitsverständnis, auf welchem auch unsere alltägliche Idee von Verantwortung basiert, jeglicher Logik entbehrt und sich bei genauer Betrachtung nicht einmal ansatzweise modellieren lässt.
Zitat: | Mal allgemein gesagt, wenn ein Täter sehr schwer erkrankt / einen sehr schweren Unfall hat, dann kann das durchaus ein Grund sein, von einer Strafe abzusehen. Warum sollte jemand, der schon ans Bett gefesselt ist, noch zusätzlich in einem Gefängnis sein? |
Um das Vertrauen in das Justitzsystem zu sichern, da gleiche Schuld gleiche Strafe bedingt? Das finde ich jetzt reichlich unlogisch, dass ein Glücksfall (Lottogewinn) die Strafe nicht überflüssig macht, ein Unglücksfall (Unfall) aber schon. Welche Rolle spielt es für die Gesetzsprechung, ob der Schuldige zwischen Tat und Verurteilung z.B. einen Autounfall hat? Wenn Du sagst, jemand der schon ans Bett gefesselt sei, sei nicht mehr zu bestrafen, so tönt das für mich entweder nach aus Mitleid nicht verhängter Strafe oder aber nach dem Gedanken, dass er seine gerechte Strafe ja nun bekommen habe und deshalb keine Vergeltung mehr nötig sei. Wenn er z.B. erblinden und damit ungefährlich werden würde, könnte man seine Freiheit trotzdem noch durch einen Haftstrafe einschränken. Weshalb wäre sie denn nicht zu verhängen?
Zitat: | Meine Begründung entscheidet sich aber von der deinigen. Ich glaube nämlich, im Gegensatz zu Dir, dass auf Kinder in dem Alter eine Abschreckung durchaus wirken könnte. Jedoch dürfte das mMn kein Grund sein, denn Abschreckung alleine ist für mich als Begründung für eine Strafe nicht akzeptabel. |
Um das mal auf den Punkt zu bringen: Wenn wir davon ausgehen, dass das Kind eine genügend entwickelte Persönlichkeit hätte, um die Konsequenzen seiner Handlung für seine Mitmenschen abzuschätzen, sich aber durch Aussicht auf eine Strafe nicht von der Tötung abbrigen lässt, dann wäre es DMn legitim, eine Strafe auszusetzen. Im umgekehrten Falle, wenn das Kind sich durch die Aussicht auf eine Strafe von der Tötung abhalten liesse ohne dabei aber die Konsequenzen seines Tuns erfassen zu können, dann wäre es Unrecht eine Strafe auszuschreiben, richtig?
Ich sehe das genau andersrum. In dem Fall, wo Du die Strafe für legitim hieltest, ist sie völlig nutzlos, erzeugt sinnloses Leid und ist daher abzulehnen. In dem Fall, wo Du es für nicht legitim hältst, eine Strafe auszuschreiben, hätte durch ein Ausschreiben niemand oder kaum jemand bestraft werden müssen (da wir ja gemäss Voraussetzung davon ausgehen, dass die Abschreckung wirkt), es hätte dafür eine grössere Zahl von - nach jedem Verständnis - unschuldigen Personen gerettet werden können.
Bestehen Regeln und auf deren Bruch ausgeschriebene Strafen nicht allgemein gerade für diejenigen, die die Falschheit ihrer Handlung nicht selbst erfassen können?
Wenn z.B. ein Mensch ein überhaupt nicht ausgebildetes Gewissen hat, so ist es nutzlos, an selbiges zu apellieren (man könnte allenfalls therapeutisch versuchen, ein solches zu schaffen), er ist also nur durch Aussicht auf eine Strafe von einem Delikt abzuhalten.
Oder wenn ein dreijähriger Junge immer mit seinem neugeborenen Bruder spielen will, und ihn dabei wiederholt in Gefahr bringt; ungleich wichtiger und sinnvoller als eine Strafe ist es nun natürlich, ihm diese Gefahren aufzuzeigen und auf sein Verständnis zu hoffen. Sollte dies aber trotz intensivster Bemühungen misslingen, und er seinen Bruder weiterhin in Gefahr bringen, so wäre es als allerletztes Mittel doch ebenso nötig wie richtig ihn durch eine Aussicht auf eine seinem Alter angepasste Strafe davon abzuhalten, sofern eben dies sich als wirksam herausstellt.
Analoges gilt für Raser, die die Gefahr, in die sie sich selbst und andere bringen, nicht abschätzen können, Diebe, die die Notwendigkeit von Besitzansprüchen für unsere Gesellschaft nicht begreifen können, Vergewaltigern, die nicht in der Lage sind, die Gefühle ihrer Opfer zu berücksichtigen, usw.
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