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zelig Kultürlich
Anmeldungsdatum: 31.03.2004 Beiträge: 25405
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(#566345) Verfasst am: 17.09.2006, 12:47 Titel: Juden, Christen und Moslems oder: Über den Missbrauch der Sprache |
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... das Saloniki des Jahres 1530, eine der volkreichsten Metropolen des damals auf dem Höhepunkt seiner Machtenfaltung stehenden Osmanischen Reichs, war von -meist aus Spanien stammenden- Juden geprägt. Mehr als die Hälfte seiner Einwohner waren [...] jüdisch und formten damit die bei weitem größte israelitische Gemeinde des Reiches. Woher die Juden kamen, ließ sich an den Namen ihrer 24 Synagogen ablesen: Ispanya, Aragon, Katalan, hießen die Andachtsstätten, Portugal, Lizbon, Evora oder Talyan (Italien), Cecilyan (Sizilien), Pulya, Otranto. Auch die Aschkenasim aus Deutschland hatten ihre eigene Synagoge [...] Die Juden von Saloniki kamen also aus ganz Europa, und ihre Geschichte steht beispielhaft für das komplizierte und oft blutige Verhältnis, das europäische Juden, Christen und Muslime verband und trennte.
Sie zeigt auch, wie geradezu obszön geklittert der modische Kampfbegriff vom angeblich "christlich-jüdischen Abendland" ist, mit dem konservative Politiker aus der Historie zu begründen versuchen, warum die Türkei nicht zu Europa gehören könne.
Es gehört schon ein arg verdrehtes Geschichtsbild dazu, ausgerechnet Europas jüdische Tradition zu missbrauchen, um sich gegen muslimische Türken abzugrenzen, bei denen Hunderttausende Juden einst vor christlicher Verfolgung Schutz gefunden haben. [...] Verfolgt, verbannt, vertrieben wurden sie gerade im 15. und 16. Jahrhundert in ganz Europa. [...] 1442 wurden sie aus Oberbayern vertrieben, 1450 aus Niederbayern, 1499 aus Nürnberg, 1519 aus Regensburg, 1553 nochmal aus dem vereinigten Herzogtum Bayern. [...]
Viele flohen nach Südosteuropa, wo sich das Osmanische Reich immer weiter ausdehnte - und die Vertriebenen willkommen hieß. Doch die ganz große Flüchtlingswelle wurde in einem Jahr ausgelöst, das als ganz großes Triumphdatum der abendländischen Geschichte gilt. 1492 machte Spaniens katholisches Königspaar Ferdinand und Isabella in Granada der letzten muslimischen Herrschaft in Westeuropa ein Ende. [...] Und das Paar verfügte, alle Juden [...] Spaniens entweder zu taufen oder auszuweisen. Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende Juden mussten aus ihrer Heimat fliehen; [...] Doch auch die Neuchristen, als Marranos -Schweine- beschimpft, verfolgte die Inquisition.
Die osmanischen Sultane reagierten erfreut auf den Zuzug der sephardischen Juden aus Spanien, Portugal und Italien. [...] "Ihr nennt Ferdinand einen weisen König, der sein eigenes Land arm macht und unseres bereichert!" soll Sultan Bejazid gespottet haben. Über Erlasse forderte er seine Provinzgouverneure auf, die jüdischen Flüchtlinge zu unterstützen. Besonders gebraucht wurden sie in Saloniki, das sich von der osmanischen Eroberung und der anschließenden Versklavung seiner christlichen Bewohner noch nicht völlig erholt hatte.
So bildete sich in der Stadt eine einzigartige Mischung aus Religionen, Sprachen und Kulturen. [...]
[...] blieb Saloniki bis ins frühe 20 Jahrhundert eine muslimisch beherrschte, von einer jüdischen Mehrheit bewohnten und von einem christlichen Umland umgebene Stadt, überragt von spitzen Minaretten sowie, im Dunst jenseits des Golfs, vom griechischen Götterberg Olymp. In ihr galten vier Alphabete, vier Kalender und dutzende Sprachen. [...]Die onehin nur politisch konstruierte Trennung zwishen Okzident und Orient war in dieser transeuropäischen Stadt aufgehoben.
[...]
Auch das Ende des jüdischen Saloniki kam aus dem Abendland. Am 9. April 1941 marschierte die Wehrmacht durch die Stadttore. Nachdem die Stadtverwaltung bereits 1942 die mehr als hunderttausend Gräber auf Europas größtem jüdischen Friedhof unterhalb der östlichen Stadtmauer einebnen ließ, kamen am 6. Februar 1943 Dieter Wisliceny vom Reichssicherheitshauptamt und der SS-Hauptstürmführer Alois Brunner in die Stadt. Ihr Auftrag: die Vernichtung der Juden von Saloniki. Am 6 März wurde das jüdische Viertel abgesperrt; neun Tage später verließen 2800 eingesperrte Juden im ersten von zwanzig Transportzügen den Bahnhof Salonikis. Die Reise dauerte fünf Tage und endete an der Rampe des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau; wenige Stunden später waren die allermeisten tot.
So brachten die Deutschen innerhalb weniger Wochen fast 50 000 Juden aus Saloniki um. Nur wenige Hundert überlebten den Völkermord.
Jan Bielicki in der Wochenendausgabe der SZ
_________________ Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
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Shadaik evolviert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 26377
Wohnort: MG
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(#566353) Verfasst am: 17.09.2006, 12:55 Titel: |
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Ist das die SZ von Samstag? Ich kenn mich leide rmit der Ausgabepraxis der SZ nicht aus.
Der Text interessiert mich sehr, da ich derzeit zum Thema Enteuropäisierung der Türkei arbeite.
edit: Aber was hat das mit Sprache zu tun?
_________________ Fische schwimmen nur in zwei Situationen mit dem Strom: Auf der Flucht und im Tode
Zuletzt bearbeitet von Shadaik am 17.09.2006, 12:58, insgesamt einmal bearbeitet |
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zelig Kultürlich
Anmeldungsdatum: 31.03.2004 Beiträge: 25405
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(#566357) Verfasst am: 17.09.2006, 12:58 Titel: |
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Ja. Das ist in der WE-Ausgabe, also Samstag. Im Wochenend-Teil. Titel: "Gelbe Turbane". Der Text steht anscheinend nicht online. Falls Du die SZ nicht bekommst, melde Dich.
_________________ Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
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zelig Kultürlich
Anmeldungsdatum: 31.03.2004 Beiträge: 25405
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(#566362) Verfasst am: 17.09.2006, 13:04 Titel: |
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Shadaik hat folgendes geschrieben: | edit: Aber was hat das mit Sprache zu tun? |
Sie zeigt auch, wie geradezu obszön geklittert der modische Kampfbegriff vom angeblich "christlich-jüdischen Abendland" ist, mit dem konservative Politiker aus der Historie zu begründen versuchen, warum die Türkei nicht zu Europa gehören könne.
_________________ Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
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Raphael auf Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 01.02.2004 Beiträge: 8362
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(#566367) Verfasst am: 17.09.2006, 13:08 Titel: |
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zelig hat folgendes geschrieben: | Shadaik hat folgendes geschrieben: | edit: Aber was hat das mit Sprache zu tun? |
Sie zeigt auch, wie geradezu obszön geklittert der modische Kampfbegriff vom angeblich "christlich-jüdischen Abendland" ist, mit dem konservative Politiker aus der Historie zu begründen versuchen, warum die Türkei nicht zu Europa gehören könne. |
Das ist ein Missverständnis. Diese Politiker reden nicht von den Juden als europäischer Bevölkerungsgruppe, sondern von der jüdischen Herkunft und den aus dem Judentum übernommenen Ideen des Christentums. Dass die Türkei nicht zu Europa im gesellschaftsplitischen und kulturellen Sinne gehört, hat andere Gründe, die in verschiedenen Threads bereits erschöpfend ausdiskutiert wurden. Diese Debatte will ich nicht wiedereröffnen. Sie lässt sich nachlesen.
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beachbernie male Person of Age and without Color
Anmeldungsdatum: 16.04.2006 Beiträge: 45792
Wohnort: Haida Gwaii
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(#566592) Verfasst am: 17.09.2006, 18:14 Titel: |
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Hallo zelig,
Vor dem Hintergrund dieses Textes wird jetzt die ganze Arroganz und Ignoranz des dummen Papstgeschwaetzes deutlich, der sich nicht entbloeden konnte, eine ohnehin explosive interreligioese Lage noch weiter anzuheizen und zusaetzliches Oel ins Feuer zu giessen. Der von Papst Ratzinger zitierte christliche "Islamexperte", der im Uebrigen genauso klingt wie zeitgenoessische selbsternannte "Islamexperten", lebte exakt zu jener Zeit als Juden vor den Scheiterhaufen der christlichen spanischen Inquisition ins islamische Osmanische Reich fluechteten und sollte deshalb auch in diesem Kontext gesehen werden. Wahrscheinlich hatte dieser Pseudopazifist den Moslems nachgetragen, dass sie so vielen Juden halfen dem Scheiterhaufen zu entkommen und er wollte deshalb gegen den Islam Stimmung machen, moeglicherweise als ideologische Schuetzenhilfe fuer seine spanische Glaubensbrueder, die ja nicht nur Juden verbrannten, sondern auch Moslems (und auch missliebige Christen...)!
Bei den Katholiken waere man gut beraten, den senilen Tattergreis aus dem tiefsten Bayern abzusetzen und sich einen neuen Papst zu waehlen, vielleicht diesmal sogar von allen Glaeubigen, damit er auch fuer mehr Menschen sprechen kann als nur fuer ein paar angeschimmelte lila Denkpausen. Vielleicht schaffen sie es ja tatsaechlich einen etwas juengeren, moderneren Bischof auf den heiligen Stuhl zu hieven, der sich nicht nur in einem alten Maerchenbuch "schlau" gemacht hat, sondern auch einmal ein richtiges Buch in der Hand hatte, z.B. ein Geschichtsbuch und deshalb weiss, dass man anstatt in populistischer Absicht irgendwelche Hassprediger aus den finstersten und gewalttaetigsten Zeiten der katholischen Kirche zu zitieren, besser die Klappe haelt!
Halleluja, Bernie
_________________ Defund the gender police!!
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Raphael auf Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 01.02.2004 Beiträge: 8362
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(#566699) Verfasst am: 17.09.2006, 19:54 Titel: |
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Ich wär schon froh, wenn Du die Klappe hieltest. Hast Du vor Deinem Rundumschlag eigentlich auch nur eine Sekunde nachgedacht? Mir scheint es nicht so.
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beachbernie male Person of Age and without Color
Anmeldungsdatum: 16.04.2006 Beiträge: 45792
Wohnort: Haida Gwaii
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(#566744) Verfasst am: 17.09.2006, 20:27 Titel: |
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Dr. Degenhart Datterich hat folgendes geschrieben: | Ich wär schon froh, wenn Du die Klappe hieltest. Hast Du vor Deinem Rundumschlag eigentlich auch nur eine Sekunde nachgedacht? Mir scheint es nicht so. |
Laenger als Papst Ratzinger vor seiner "grossen Rede" offensichtlich allemal!
_________________ Defund the gender police!!
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Raphael auf Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 01.02.2004 Beiträge: 8362
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(#566761) Verfasst am: 17.09.2006, 20:42 Titel: |
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beachbernie hat folgendes geschrieben: | Dr. Degenhart Datterich hat folgendes geschrieben: | Ich wär schon froh, wenn Du die Klappe hieltest. Hast Du vor Deinem Rundumschlag eigentlich auch nur eine Sekunde nachgedacht? Mir scheint es nicht so. |
Laenger als Papst Ratzinger vor seiner "grossen Rede" offensichtlich allemal!  |
Im Gegenteil, ganz im Gegenteil.
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Cato Der Freund der Bösen
Anmeldungsdatum: 13.08.2005 Beiträge: 970
Wohnort: Wolkenkuckucksheim
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(#567361) Verfasst am: 18.09.2006, 20:41 Titel: |
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Dr. Degenhart Datterich hat folgendes geschrieben: | Dass die Türkei nicht zu Europa im gesellschaftsplitischen und kulturellen Sinne gehört, hat andere Gründe, die in verschiedenen Threads bereits erschöpfend ausdiskutiert wurden. Diese Debatte will ich nicht wiedereröffnen. Sie lässt sich nachlesen. |
Im Grunde hast du recht; die Europäisierung der Türkei durch Atatürk war nur eine von oben verordnete Idee, die keineswegs in der Bevölkerung Fuß gefasst hat und die immer vom Militär mehr oder mit Gewalt aufrecht erhalten musste.
_________________ Im Übrigen bin ich dafür, dass der Monotheismus zerstört werden muss.
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tillich (epigonal) hat Spaß
Anmeldungsdatum: 12.04.2006 Beiträge: 22261
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(#567787) Verfasst am: 19.09.2006, 15:28 Titel: |
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An zeligs Post lässt sich eigentlich recht klar erkennen, dass jüdische, christlich und muslimische Traditionen immer schon aufeinander bezogen sind - mal konfligierend, mal mehr, mal weniger fruchtbar koexistierend. Jedenfalls waren sie immer so eng miteinander verflochten - und auch mit den vorhergehenden antiken Traditionen und auch mit den jeweiligen religionskritischen Stimmen - dass es intellektuell nur völlig willkürlich möglich ist, eine sog. "europäische Identität" durch Ausschluss einer dieser Traditionen zu konstruieren.
Das sagt nicht, ob ein Beitritt der Türkei wünschenswert ist. Es gibt auch gute Gründe, die dagegen sprechen. Aber dieser Grund ist offenbar ideologisch vorgeschoben.
_________________ "YOU HAVE TO START OUT LEARNING TO BELIEVE THE LITTLE LIES." -- "So we can believe the big ones?" -- "YES."
(Death / Susan, in: Pratchett, Hogfather)
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Shadaik evolviert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 26377
Wohnort: MG
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(#567966) Verfasst am: 19.09.2006, 18:59 Titel: |
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zelig hat folgendes geschrieben: | Ja. Das ist in der WE-Ausgabe, also Samstag. Im Wochenend-Teil. Titel: "Gelbe Turbane". Der Text steht anscheinend nicht online. Falls Du die SZ nicht bekommst, melde Dich. |
*meld*
_________________ Fische schwimmen nur in zwei Situationen mit dem Strom: Auf der Flucht und im Tode
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