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Determinismus und warum die Gläubigen nicht daran glauben wollen.
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AgentProvocateur
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Anmeldungsdatum: 09.01.2005
Beiträge: 7851
Wohnort: Berlin

Beitrag(#576126) Verfasst am: 02.10.2006, 17:49    Titel: Antworten mit Zitat

enpassant hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Es ist eine andere Ebene, eine andere Kategorie. Das Ideelle ist abhängig von dem Materiellen und existiert also nicht unabhängig davon. Trotzdem ist es für bestimmte Interpretationen eines Geschehens unabdingbar, auf die ideelle Ebene zurückzugreifen.

Was soll denn "eine andere Ebene" bzw. "eine andere Kategorie" genau bedeuten? Merkst du nicht die Schwammigkeit einer solchen willkürlichen Auftrennung?

Nein. Wieso willkürlich?

enpassant hat folgendes geschrieben:
Das fängt doch schon mit der völligen Unmöglichkeit an, dass eine nachvollziehbare inhaltliche Abtrennung des einem vom andern zu bewerkstelligen.

?

enpassant hat folgendes geschrieben:
Welchen Vorgang im von dir so benannten "Ideellen" du auch betrachten magst, unweigerlich wirst du zu den (mateirellen) biochemischen Vorgängen im Gehirn gelangen.

Nein, keineswegs. Was heißt überhaupt "unweigerlich dahingelangen"? Wenn ich soziale Gegebenheiten beschreibe, dann sind mir die biochemischen Vorgänge im Gehirn doch völlig wurscht.

enpassant hat folgendes geschrieben:
Oder, um es mal mengentheoretisch zu formulieren: Das "Ideelle" ist nichts anderes als eine nicht klar abgrenzbare Teilmenge des Materiellen.

Was genau verstehst Du unter dem "Materiellen"? Ist Politik zum Beispiel eine Teilmenge des Materiellen?

enpassant hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wir können übrigens auch gerne statt "Grund" "Motiv" sagen, wenn Dir das lieber ist.

Das ist mir eigentlich gleich. Die eigentlichen Inhalte der Begriffe müssen dargetan werden, anstatt sich an den dafür gegebenen Namen aufzuziehen.

Bittesehr: Grund und Motiv.

enpassant hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ja, ich sehe schon einen fundamentalen Unterschied zwischen diesen "Welten". Auf der einen Seite ist die materielle Welt, die unabhängig von uns existiert und auf der anderen Seite ist das Modell, das wir uns mithilfe unserer Wahrnehmungen von dieser Welt machen. Dazu müssen wir sie ordnen, kategorisieren und interpretieren.

Wie kommst du auf den eigentümlichen Gedanken, dass die materielle Welt unabhängig von uns existiert???

Wir gehören natürlich auch zur materiellen Welt. Ich meinte hier lediglich, dass die restliche materielle Welt auch ohne uns existiert, also unabhängig von uns (was aber genau genommen eine Prämisse ist, denn das einzige, was uns direkt zugänglich ist, ist die "Ideenwelt", also unsere innere Sicht auf die Dinge).

enpassant hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
...wenn Du keinen Unterschied sehen könntest zwischen einer Handlung eines Menschen, die er selber verursacht hat und einer Handlung, die von einem anderen Menschen verursacht wurde.

Beispiel: 1. Mensch B stößt Mensch C vor die U-Bahn. 2. Mensch A stößt Mensch B, worauf dieser auf Mensch C prallt und dieser fällt vor die U-Bahn.

Nun, bei diesem wie allen ähnlichen von dir geschilderten Szenarios blendest (erwartungsgemäß) völlig du aus, dass die Tatsache, dass sich die zwei bzw. drei Personen zu jenem Zeitpunkt an jenem Ort und in jener räumlichen Konstellation befanden und dass Mensch B bzw. A sich in jenem Moment in ihrem Kopfe entscheiden, C bzw. B zu stoßen, in vollkommen gleicher Weise notwendige Folge aus der diese hinreichend bedingenen Ursachen war - wie eben (freilich sehr viel weniger komplex) die Stoßfolgen ensprechend der Gesetze der Mechanik.

Es ging mir nicht um Mechanik, sondern um die (moralische) Bewertung der Handlungen von Menschen. Wenn man alles auf Mechanik reduziert, dann gibt es natürlich keine Moral mehr.

enpassant hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Beweis durch Behauptung. Wenig hilfreich.


Auch in dieser Ausflucht bist du dem Theologen Lüke sehr nahe. Ich zitiere mal aus seiner Abhandlung:
Zitat:
"Wenn es aber richtig ist, dass die Antriebe unseres Handelns uns nicht zugänglich sind, wie kann man dann die Behauptung aufstellen, Gründe seien nur Ursachen. Auf der Basis gleicher Unkenntnis wäre auch das Gegenteil zu behaupten. Woher rührt dann die kühne Gewissheit, dass das, was uns nicht einsichtig ist, die Ursache für unsere Selbstzuschreibung von Freiheit ist und dass diese Freiheitserfahrung überdies ein Irrtum unsererseits ist? Aus einer Blackbox, wenn wir es denn damit zu tun haben sollten, lässt sich kein argumentativer Nektar saugen, weder für noch gegen die Behauptung von Freiheit."

Das ist nichts anderes als ein weiterer kraftloser Aufguss der unsäglichen "Argumentationen" zum Beleg des Transzendenten. [...] Nach der obigen Logik folgt daraus, dass wir es hier mit "Blackboxes" zu tun haben und man deshalb auch mit der gleichen Gewissheit sowohl sagen kann: "Innerhalb des Mondes bzw. in der Zukunft gelten alle physikalischen Gesetzmäßigkeiten in gleicher Weise gelten wie überall bzw. wie heute." - oder aber: "Innerhalb des Mondes bzw. in der Zununft gelten teilweise bis völlig andere oder gar keine physikalischen Gesetzmäßigkeiten."

Du hast das Argument leider nicht verstanden. Wenn man sagt, dass die Antriebe unseres Handelns völlig im Dunkeln liegen, dann kann man auch keine weitere Aussage mehr über diese Antriebe machen. Man kann dann nicht behaupten, Gründe seien nur Ursachen und uns würde nur vorgetäuscht, nach Gründen zu handeln. Man könnte dann genau genommen gar nicht mehr viel behaupten. Wenn wir glauben wollen, dass wir überhaupt prinzipiell zu irgend einer Erkenntnis fähig sein sollten, dann kann das Bewusstsein nicht lediglich ein unwesentliches Epiphänomen sein.

enpassant hat folgendes geschrieben:
Was hingegen dich, da du religiös gefärbte Motive ja von dir weist, dazu veranlasst, auf dergleichen klägliche Argumente zurück zu greifen, will mir immer noch nicht recht einleuchten...

Es geht mir darum, ob in einer solchen reduktionistischen Sichtweise, wie Du sie zu haben scheinst, die Frage: "wie sollen wir handeln?" überhaupt noch irgend einen Sinn ergibt.
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kolja
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Beitrag(#576182) Verfasst am: 02.10.2006, 20:05    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich redete von Singer, nicht von Roth.

Ich kann nicht erkennen, dass die Darstellung von Singer irgendwie abweichen würde von der von Roth. Natürlich beschränkt er sich in einem knappen Zeitungsartikel auf ein paar Aspekte, die er herausarbeiten möchte, während Roth in seinem Buch das Modell ausführlicher erklärt und begründet. Wie auch immer, den Spruch ...

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Reduziert man das Ich auf das "bewusste Ich", dann bekommt man ein falsches Selbstbild und kommt zu falschen Schlussfolgerungen.

... hattest Du fast wortgleich auch als Erwiderung auf meine Zusammenfassung von Roths Modell gebracht. Ich bleibe dabei, dass Du einer Konfrontation Deines Freiheitsbegriffs mit diesem Modell bisher ausgewichen bist.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Mit dieser Darstellung habe ich gewisse Probleme, denn sie stimmt nicht mit meinem Selbstsbild überein. [...] In diesen Fällen würde ich aber die Kontrolle dem Bewusstsein zusprechen.

Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass Dein Selbstbild hier besonders verlässlich wäre. Ein wesentliches Argument von Roth ist ja, dass eine von mehreren Funktionen des Bewusstseins darin besteht, diese Kontrollillusion zu erzeugen und sich gegenüber dem sozialen Umfeld zu rechtfertigen. Es gibt zwar Einflüsse des Bewusstseins auf das Handlungsgeschehen, aber nicht im Sinne eines Lenkers der Handlungen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wichtig scheint mir zu sein, dass das Menschenbild des Grundgesetzes aufgegeben werden soll. Anstelle dessen soll ein Menschenbild eines an sich prinzipiell unmündigen Menschen gesetzt werden, dessen Handlungen nicht durch ihn bestimmt werden, sondern von den Umständen. Dieses Menschenbild gefällt mir nicht, wie schon mehrfach betont.

Diese Darstellung finde ich überzogen. Natürlich werden die Handlungen von Menschen vollständig durch ihre Lebensumstände bestimmt - ein Menschenbild, welches diesbezüglich falsche Illusionen nährt, halte ich für schädlich und es kann mir gestohlen bleiben. Warum daraus folgen soll, dass der Mensch prinzipiell unmündig wäre, kann ich nicht nachvollziehen. Man muss halt die gesellschaftlichen Umstände, unter denen Menschen heranwachsen und geformt werden, so einrichten, dass sie zu mündigen Menschen werden, und vor der Tatsache, dass es bei manchen nicht gelungen ist, die Augen nicht verschließen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Begründung sind hier Ausnahmefälle von Tätern, die durch eine Erkrankung oder durch ungewöhnlich psychische Umstände ihre Persönlichkeit nicht voll entwickeln konnten.

Ausnahmefälle? Roths Aussage ist, dass dies auf eine signifikante Mehrheit unserer Gewaltstraftäter zutrifft.
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kolja
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Beiträge: 16631
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Beitrag(#576203) Verfasst am: 02.10.2006, 20:39    Titel: Antworten mit Zitat

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Ich sehe nicht ganz, was Du mir damit sagen willst. Mir ist bewusst, dass sich meine Meinung in diesem Punkt stark von derjenigen APs unterscheidet. Gerade deshalb habe ich das oben noch einmal klargestellt.

Ich wollte Dir nicht widersprechen, hab' Deine Aussage nur als Aufhänger benutzt. zwinkern
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Zumsel
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Beiträge: 4667

Beitrag(#576206) Verfasst am: 02.10.2006, 21:14    Titel: Antworten mit Zitat

step hat folgendes geschrieben:
Aber das gefundene Wissen ist zum Teil unabhängig davon.


Aber nur selten die Interpretation desselben – und auf die kommt es ja nun mal an.

step hat folgendes geschrieben:
So ist es. Gerechtigkeit ist nicht Absolutes, sondern immer nur das, was die Mehrheit dafür hält.


Also bloß ein Sammelbegriff für bestimmte Emotionen und Interessen. Ein Sammelbegriff aber ist nur dann sinnvoll, wenn klar definiert ist, worin die Gemeinsamkeiten der unter ihm subsumierten Begriffe bestehen – andernfalls ist er bloß ein gedankenleeres Wort. Die grundlegende Gemeinsamkeit aller Gerechtigkeitsbegriffe ist wohl das Prinzip: Gleiches für gleichwertiges. Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, gleiche Rechte für gleichwertige Menschen, gleichwertige Strafen für gleichwertige Straftaten usw. Die Unterschiede dürften wohl im Wesentlichen in der Auffassung liegen, WAS als gleichwertig anzusehen ist.


step hat folgendes geschrieben:
In einer nichtaufgeklärten Gesellschaft bedeutet Gerechtigkeit eben etwas anderes.


Die Aufklärung, wie wir sie kennen, ist eine spezifisch abendländische. Die Werte die sie vermittelt widerspiegeln europäische Kultur. Wertefragen sind in erster Linie kulturelle Fragen.
Oder hast du eine andere Definition von "Gerechtigkeit", als die von mir vorgetragene, im Sinn? Wenn ja: welche?



Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Der Mensch sollte aber in der Lage sein, sofern sich solche widersprechen, sie gegeneinander abzuwägen.


Stimmt und das tut er ja auch. Der (Rechts-)Staat mitsamt seinen Institutionen ist nichts anderes als das Abbild eines solchen Abwägungsprozesses.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Insbesondere geht es auch darum zu erkennen, dass es kurzfristige, in der Situation entstehende Zu- und Abneigungen gibt, denen beständigere und bei reflektierter Betrachtung gewichtigere Urteile gegenüber stehen.


Unter anderem deswegen gibt es ein Justizsystem. Welche Urteile gewichtiger sind, ist übrigens keine Sache, die durch Reflexion zweifelsfrei beantwortet werden kann. Denn wenn alles letztlich auf Gefühl, Interesse und Geschmack hinausläuft, ist Vernunft immer nur Methode zur Durchsetzung bestimmter Interessen und Empfindungen. Im Grunde geht es also niemals um Vernunft, sondern um Geschmack. Die Irrationalität des Rachegefühls ist nur dann ein Argument gegen Vergeltungselemente im Strafrechts, wenn diese Elemente dazu dienen sollen, einen bestimmten anderen Zweck zu erfüllen, sich dazu aber als untauglich erwiesen haben, nicht aber, wenn die Vergeltung der Zweck selbst ist, auf den sich eine Gesellschaft, als Ausdruck des Geschmacks der Mehrheit, geeinigt hat.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Ist eben immer so eine Sache mit möchtegernelitären Menschheitsverbesserern.
Zumsel zu meiner Person


Jeder zieht sich den Schuh an, der ihm passt.
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Deus ex Machina
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Anmeldungsdatum: 14.03.2006
Beiträge: 789

Beitrag(#576301) Verfasst am: 03.10.2006, 00:25    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Dieses Menschenbild gefällt mir nicht, wie schon mehrfach betont.

Die Vorstellung, die Krone der Schöpfung zu sein, gefiele mir auch besser als diejenige, mehr oder weniger zufällig aus der Ursuppe entstanden zu sein. zwinkern

Nochmal: ein Menschenbild, das Menschen entmündigen will und die Gesellschaft, die aus einem solchen Menschenbild resultiert, gefällt mir nicht.


Du bist der einzige, der von entmündigen spricht. Ich kann mich da nur Kolja anschliessen. Es geht darum, Illusionen darüber, dass es möglich und sogar wünschenswert sei, dass der Mensch nicht vollständig durch seine Lebensumstände bestimmt ist, als haltlos aufzuzeigen. Wenn Du Dich dadurch entmündigt fühlst, so fühlst Du Dich meiner Ansicht nach eben ähnlich, wie ein Kreationist, der sich gegen die Vorstellung seiner evolutiven Entstehung sträubt.

Zitat:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Denn diejenigen Konsequenzen, die Du fürchtest, ergeben sich mMn überhaupt nicht zwingend aus diesen Erkenntnissen.

Nur tauchen eben diese Forderungen nach Sicherheitsverwahrung zum Schutze der Gesellschaft in diesem Zusammenhange immer wieder auf.


Sicherheitsverwahrung welcher Art von Tätern?
Falls es um untherapierbare Sexualstraftäter und Mörder geht, so ist das doch - ich kann da nur für die Schweiz sprechen - bereits Realität. Was genau stört Dich daran so sehr? Ist das nicht die Wahl des deutlich kleineren Übels?
Falls Du an die Verwahrung andersartiger Täter denkst, wüsste ich gerne, wer solche Forderungen mit welcher Begründung vertritt. Ich teile sie nämlich nicht.


Zitat:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nein, für einen Willen, der sich zwangläufig ergeben hat, kann ein Mensch nicht verantwortlich gemacht werden. Es muss also hinzukommen, dass der Mensch zu dieser Entscheidung aus sich selber heraus gekommen ist.

Wenn ich jetzt noch wüsste, was das bedeuten soll, da Du ja bestimmt dementieren wirst, dass Du damit einen unbewegten Beweger im inkomaptibilistischen Sinne meinst.

Was das bedeuten soll? Vielleicht einfach mal ein Beispiel:

- A hält B eine Pistole an den Kopf und zwingt ihn so zu Handlung X (-> B kann nicht verantwortlich gemacht werden)
- B führt die Handlung X nach vorheriger Überlegung aus (-> die Handlung kann B zugeschrieben werden, B kann dafür verantwortlich gemacht werden)


Auch die Willen, die "aus dem Menschen selbst herauskommen" haben sich zwangsläufig ergeben. Wenn Du das negierst, bist Du ein Inkompatibilist. Deshalb kann ein Mensch - Deiner Einschätzung nach! - nicht für seine Taten verantwortlich gemacht werden.


Zitat:
Ja, natürlich reden wir von der moralischen Beurteilung. Die Frage, die sich zuerst stellt: ist eine moralische Bewertung dMn überhaupt möglich, oder muss man sich jedweder moralischen Bewertung enthalten, nämlich wegen der naturgesetzlich ablaufenden Vorgänge? Und wenn ja, warum genau?

Ist aber eine moralische Bewertung möglich, dann bezieht sich diese auf die Persönlichkeit des bewerteten Menschen. Tut derjenige dann eine Handlung, die nicht seiner Persönlichkeit entspricht, weil sie unter Zwang oder völlig unbewusst geschah, dann liegt es nahe, diese Handlung nicht ihm zuzuordnen und ihn dafür auch keiner moralischen Bewertung zu unterziehen.


Vielleicht sollten wir zunächst einmal klären, was eine moralische Beurteilung oder Bewertung überhaupt sein soll. Wir sprechen nicht davon, wie man juristisch zu entscheiden hat. Wir sprechen nicht davon, wie sich die Tat mit meinem persönlichen Gerechtigkeitsempfinden verträgt oder ob ich sie ausführen würde. Wovon sprechen wir dann? Ich kann mir jenseits dieser beiden Möglichkeiten keinen Sinn für eine moralische Beurteilung vorstellen.
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Deus ex Machina
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Anmeldungsdatum: 14.03.2006
Beiträge: 789

Beitrag(#576339) Verfasst am: 03.10.2006, 02:15    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Welche Urteile gewichtiger sind, ist übrigens keine Sache, die durch Reflexion zweifelsfrei beantwortet werden kann. Denn wenn alles letztlich auf Gefühl, Interesse und Geschmack hinausläuft, ist Vernunft immer nur Methode zur Durchsetzung bestimmter Interessen und Empfindungen. Im Grunde geht es also niemals um Vernunft, sondern um Geschmack.


So weit, so gut.

Zitat:
Die Irrationalität des Rachegefühls ist [kein] Argument gegen Vergeltungselemente im Strafrechts, [...] wenn die Vergeltung der Zweck selbst ist, auf den sich eine Gesellschaft, als Ausdruck des Geschmacks der Mehrheit, geeinigt hat.


Du übersiehst den entscheidenden Punkt: Den meisten ist schlicht nicht bewusst, was sie aussagen, wenn sie (falls nicht die Todesstrafe, so doch) eine lebenslange Hafstrafe für einen Kindesmörder fordern; dass aus ihnen das Vater- oder Muttertier spricht, dass die eigenen Jungen, dh. die eigenen Gene, mit allen Mittel und ohne Rücksicht auf andere gegen Angriffe beschützt und bereit ist, den ersten, der da kommt zu erschlagen, auf dass die übrigen sich eingeschüchtert zurückziehen. Die wenigsten werden abei an Prävention denken - aber das behauptest Du ja gar nicht. Du gibts unumwunden zu, worum es geht.

Ich habe noch nie, wirklich nie, von jemandem gelesen, der so ehrlich über die Ursprünge des Vergeltungsgedankens im Strafrecht gesprochen hat und diesen dennoch begrüsst hat, wie von Dir. Du wirst aber zugeben müssen, dass der Grossteil der Bevölkerung sich dieser Ursprünge nicht bewusst ist, dass also keine Rede davon sein kann, dass sie sich "als Ausdruck des Geschmacks der Mehrheit" auf strafrechtliche Vergeltung geinigt hat. Denn ich würde wetten, dass die allermeisten eine solche Begründung mit gerümpfter Nase zurückweisen würden und etwas von "Gerechtigkeit" und "Strafe verdient" erzählen. Und Hand auf's Herz: Kannst Du ein Rechtssystem, dass Menschen "als Ausdruck des Geschmacks der Mehrheit" einsperrt, was mich etwas an Gladiatorenkämpfe erinnert, mit reinem Gewissen gut heissen?

Wenn alle um diese Umstände wüssten, wenn die Mehrheit bewusst entschiede, jemanden "als Ausdruck des Geschmackes" einzusperren, ja, dann könnte man wahrlich schwer argumentativ dagen vorgehen. So lange sie sich aber hinter einer unstimmigen, unbegründeten Gerechtigkeitsidee verstecken, kann man das sehr wohl, in dem man nämlich genau das aufzeigt. Ich bin aber Optimist genug um zu glauben, dass dieser Zustand, der von Dir als der gegenwärtige betrachtet wird, gar nie entreten wird. Wenn sich die Erkenntniss durchsetzt, dass sich jede Handlung zwangsläufig aus ihren Vorbedingungen ergeben hat, wird das - so hoffe und glaube ich - nicht dazu führen, dass man Menschen bewusst aus geschmacklichen Gründen verurteilt, sondern eben nur noch straft, um Verbrechen zu verhindern.

Und das scheint mir in der heutigen Rechtssprechung schon weitgehend der Fall zu sein. Den von Dir begrüssten da mehrheitlich gewünschten Rachegedanken sehe ich kaum mehr am Werk. Jede zur Bewährung ausgesetzte Strafe führt diesen ja eigentlich ad absurdum. Würden wir demokratisch über das Strafmass für verschiedene Verbrechen abstimmen, so läge dieses, würde ich behaupten, höher als heute.
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step
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Anmeldungsdatum: 17.07.2003
Beiträge: 22782
Wohnort: Germering

Beitrag(#576394) Verfasst am: 03.10.2006, 11:56    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
Aber das gefundene Wissen ist zum Teil unabhängig davon.
Aber nur selten die Interpretation desselben – und auf die kommt es ja nun mal an.

Sehe ich nicht so. Das gefunde Wissen äußert sich darin, daß ich überprüfbare Voraussagen machen kann. Das "harte Wissen" ist ziemlich unabhängig von der Interpretation. Interpretation wird immer dann wichtig, wenn es um unbekannte Symbole, mehrdeutige Kodierungen, unsichere Indizien und dgl. geht.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
So ist es. Gerechtigkeit ist nicht Absolutes, sondern immer nur das, was die Mehrheit dafür hält.
Also bloß ein Sammelbegriff für bestimmte Emotionen und Interessen. Ein Sammelbegriff aber ist nur dann sinnvoll, wenn klar definiert ist, worin die Gemeinsamkeiten der unter ihm subsumierten Begriffe bestehen – andernfalls ist er bloß ein gedankenleeres Wort. Die grundlegende Gemeinsamkeit aller Gerechtigkeitsbegriffe ist wohl das Prinzip: Gleiches für gleichwertiges. Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit, gleiche Rechte für gleichwertige Menschen, gleichwertige Strafen für gleichwertige Straftaten usw. Die Unterschiede dürften wohl im Wesentlichen in der Auffassung liegen, WAS als gleichwertig anzusehen ist.

Das ist mir zu primitiv. Natürlich ist ein "Tit for Tat" spieltheoretisch eine gute Strategie, und deshalb empfinden wir sie auch instinktiv als gerecht (ebenso wie Rache). In einer stärker vernunftgeprägten Gesellschaft, der mehr Mittel zur Beeinflussung zur Verfügung stehen, und die mehr Wissen über die Zwänge hat, denen das Individuum unterliegt, könnten die spieltheoretischen Parameter völlig anders gelagert sein.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
step hat folgendes geschrieben:
In einer nichtaufgeklärten Gesellschaft bedeutet Gerechtigkeit eben etwas anderes.
Die Aufklärung, wie wir sie kennen, ist eine spezifisch abendländische. Die Werte die sie vermittelt widerspiegeln europäische Kultur. Wertefragen sind in erster Linie kulturelle Fragen.

Zustimmung.

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Oder hast du eine andere Definition von "Gerechtigkeit", als die von mir vorgetragene, im Sinn? Wenn ja: welche?

Generell würde ich Gerechtigkeit weniger hoch hängen als das traditionell der Fall ist. Mein Ansatz wäre eher, konsente Ziele zu vereinbaren und ein Angemessenheitsprinzip anzuwenden. Wie mit AP schon diskutiert, etwa statt des Strafrechts nur danach zu gehen, was man tun muß, um die Gesellschaft vor Verbrechen, Wiederholungstaten usw. zu schützen. Strafen im ursprünglichen Sinne würde es da nicht mehr geben.
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Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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AgentProvocateur
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Beitrag(#576484) Verfasst am: 03.10.2006, 14:55    Titel: Antworten mit Zitat

kolja hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Reduziert man das Ich auf das "bewusste Ich", dann bekommt man ein falsches Selbstbild und kommt zu falschen Schlussfolgerungen.

... hattest Du fast wortgleich auch als Erwiderung auf meine Zusammenfassung von Roths Modell gebracht. Ich bleibe dabei, dass Du einer Konfrontation Deines Freiheitsbegriffs mit diesem Modell bisher ausgewichen bist.

Nehmen wir noch einmal dieses Modell:

kolja hat folgendes geschrieben:
Aber auch in den Fällen, in denen eine Handlung bewusst vorbereitet wurde, zeigt sich, dass das Bewusstsein nicht die Rolle des vernunftbegabten Entscheiders spielt, wie es die Kompatibilisten gerne sehen würden. Eher ist es so, dass das Bewusstsein die Funktion eines Planers und Beraters hat, der vom ontogenetisch älteren limbischen System, dem zentralen emotionalen Bewertungs- und Handlungssteuerungssystem, für besonders komplexe und neuartige Entscheidungssituationen herangezogen wird. Doch das limbische System begrenzt, welche Handlungen überhaupt möglich sind, und seine emotionale Bewertung legt fest, was uns "vernünftig" vorkommt und unserer "Persönlichkeit" entspricht.

Die Vorstellung von einem die Handlungen lenkenden "bewussten Ich" ist somit eine Überschätzung und Fehlinterpretation der tatsächlichen Funktionen des Bewusstseins.

Das limbische System "legt nicht fest", was unsere Persönlichkeit ist, sondern das limbische System ist ein Teil unserer Persönlichkeit, ebenso wie das Bewusstsein dazu gehört. Natürlich begrenzt meine Persönlichkeit meine Handlungsspielräume. Wäre das nicht so, dann könnte man gar nicht von Persönlichkeit sprechen. Man kann also nicht in dem Sinne "frei" handeln, dass man sich frei von allen begrenzenden Gegebenheiten macht. Eine solches "freies" Handeln wäre nicht mehr der Persönlichkeit zuzuordnen.

Auch das "bewusste Ich" kann das nicht. Wenn Du also "nicht lenken können" in diesem Sinne verstehst (= man kann sich nicht von seinen Persönlichkeitsmerkmalen "freimachen"), dann stimme ich zu.

Iche sehe das aber nicht als besonders bahnbrechende Erkenntnis an.

kolja hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Mit dieser Darstellung habe ich gewisse Probleme, denn sie stimmt nicht mit meinem Selbstsbild überein. [...] In diesen Fällen würde ich aber die Kontrolle dem Bewusstsein zusprechen.

Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass Dein Selbstbild hier besonders verlässlich wäre.


Schade, Du hast die Argumentation gesnippt. Es gibt nie Gründe für die Annahme, dass überhaupt irgend ein Selbstbild besonders verlässlich wäre. Vielleicht ist ja alles nur Illusion und wir können überhaupt nichts erkennen. Das Problem ist eben, dass wir unser Selbstbild nur über die Introspektion untersuchen können.

kolja hat folgendes geschrieben:
Ein wesentliches Argument von Roth ist ja, dass eine von mehreren Funktionen des Bewusstseins darin besteht, diese Kontrollillusion zu erzeugen und sich gegenüber dem sozialen Umfeld zu rechtfertigen. Es gibt zwar Einflüsse des Bewusstseins auf das Handlungsgeschehen, aber nicht im Sinne eines Lenkers der Handlungen.

Naja, was Du hier genau mit "Lenker der Handlungen" meinst, müsstest Du wohl doch noch etwas näher bestimmen.

In meiner Selbstwahrnehmung bin ich es, der diesen Text schreibt und zwar bewusst. Deswegen sehe ich mich schon als "Lenker der Handlung des Textschreibens". Dass dieser Text meiner Persönlichkeit entspricht und daher auf bestimmten Vorgaben beruht, die ich nicht beliebig kontrollieren kann, widerspricht dem nicht. Im Gegenteil, wenn ich zum Beispiel nur zufällig auf die Tasten hauen würde, dann würde ich den Text nicht als den meinigen, sondern als Zufallsprodukt betrachten.

Die unbewussten Vorgänge, von denen es sicher sehr viele bem Schreiben gibt, empfinde ich aber als zu mir gehörig.

kolja hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wichtig scheint mir zu sein, dass das Menschenbild des Grundgesetzes aufgegeben werden soll. Anstelle dessen soll ein Menschenbild eines an sich prinzipiell unmündigen Menschen gesetzt werden, dessen Handlungen nicht durch ihn bestimmt werden, sondern von den Umständen. Dieses Menschenbild gefällt mir nicht, wie schon mehrfach betont.

Diese Darstellung finde ich überzogen. Natürlich werden die Handlungen von Menschen vollständig durch ihre Lebensumstände bestimmt - ein Menschenbild, welches diesbezüglich falsche Illusionen nährt, halte ich für schädlich und es kann mir gestohlen bleiben. Warum daraus folgen soll, dass der Mensch prinzipiell unmündig wäre, kann ich nicht nachvollziehen.

Die Grundfrage ist einfach nur, ob die Handlungen von Menschen "vollständig durch ihre Lebensumstände bestimmt" werden oder ob sie selber einen Einfluss auf ihre Handlungen und auf ihre Entwicklung haben, ob sie also selbstbestimmt oder fremdbestimmt sind. Dabei kommt es natürlich auf die Definition des Ich an. Betrachtet man das limbische System grundsätzlich als nicht zum Ich gehörig und behauptet man, das limbische System würde letztlich entscheiden, dann sind sie fremdbestimmt.

Behauptet man aber, der Begriff "Selbstbestimmung" sei prinzipiell sinnlos, dann ist das wiederum schwer mit Mündigkeit zu vereinbaren.

kolja hat folgendes geschrieben:
Man muss halt die gesellschaftlichen Umstände, unter denen Menschen heranwachsen und geformt werden, so einrichten, dass sie zu mündigen Menschen werden, und vor der Tatsache, dass es bei manchen nicht gelungen ist, die Augen nicht verschließen.

Das ist ein anderer Thread.

kolja hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Begründung sind hier Ausnahmefälle von Tätern, die durch eine Erkrankung oder durch ungewöhnlich psychische Umstände ihre Persönlichkeit nicht voll entwickeln konnten.

Ausnahmefälle? Roths Aussage ist, dass dies auf eine signifikante Mehrheit unserer Gewaltstraftäter zutrifft.

Das kann ich nicht beurteilen. Er redet aber trotzdem von Ausnahmefällen, nämlich von "Serien-Gewalttätern".

Die Persönlichkeit, bzw. Persönlichkeitsstörungen werden ja übrigens auch heute vor Gericht bereits berücksichtigt, d.h. der Schuldbegriff berücksichtigt (psychische und sonstige) Zwangslagen.
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AgentProvocateur
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Beitrag(#576524) Verfasst am: 03.10.2006, 15:50    Titel: Antworten mit Zitat

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Nur tauchen eben diese Forderungen nach Sicherheitsverwahrung zum Schutze der Gesellschaft in diesem Zusammenhange immer wieder auf.

Sicherheitsverwahrung welcher Art von Tätern?
Falls es um untherapierbare Sexualstraftäter und Mörder geht, so ist das doch - ich kann da nur für die Schweiz sprechen - bereits Realität. Was genau stört Dich daran so sehr? Ist das nicht die Wahl des deutlich kleineren Übels?

Ja, auch in Deutschland gibt es in Ausnahmefällen eine Sicherheitsverwahrung. In diesen Ausnahmefällen mag es die Wahl des kleineren Übels sein und ich sehe auch keine Alternative dazu.

Man muss sich aber klar machen, dass eine Sicherheitsverwahrung ein Paradigmenwechsel in der Strafjustiz ist. Eine Sicherheitsverwahrung basiert auf der (wahrscheinlichen) Gefährdung des Täters für die Gesellschaft. Dem sicherheitsverwahrten Täter werden damit seine Bürgerrechte abgesprochen, speziell der Grundsatz, dass eine Strafe das Maß der Schuld nicht überschreiten darf. In Deutschland gibt es deswegen sehr strenge Vorgaben, die erfüllt sein müssen (besonders schwere Straftat, Mehrfachtäter u.a.), damit eine Sicherheitsverwahrung angeordnet werden darf.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Falls Du an die Verwahrung andersartiger Täter denkst, wüsste ich gerne, wer solche Forderungen mit welcher Begründung vertritt. Ich teile sie nämlich nicht.

Nun, wir hatten das schon einmal. Das Schuldprinzip begrenzt die Strafe nach oben und zwar in Abhängigkeit von der begangenen Tat. Eine Inhaftierung mit der Begründung des notwendigen Schutzes der Gesellschaft tut dies erst mal nicht. Es muss also noch etwas weiteres hinzukommen. Was wäre das dMn?

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Vielleicht einfach mal ein Beispiel:

- A hält B eine Pistole an den Kopf und zwingt ihn so zu Handlung X (-> B kann nicht verantwortlich gemacht werden)
- B führt die Handlung X nach vorheriger Überlegung aus (-> die Handlung kann B zugeschrieben werden, B kann dafür verantwortlich gemacht werden)

Auch die Willen, die "aus dem Menschen selbst herauskommen" haben sich zwangsläufig ergeben. Wenn Du das negierst, bist Du ein Inkompatibilist. Deshalb kann ein Mensch - Deiner Einschätzung nach! - nicht für seine Taten verantwortlich gemacht werden.

Ich unterscheide zwischen Handlungen, die der Persönlichkeit zuzurechnen sind und Handlungen, die das nicht sind. Man müsste also dieses "zwangsläufig" in diesem Zusammenhang genauer bestimmen. Wenn zwangsläufig nur bedeuten soll, dass jemand seiner Persönlichkeit gemäß handelt, dann widerspricht das nicht meiner Auffassung.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Vielleicht sollten wir zunächst einmal klären, was eine moralische Beurteilung oder Bewertung überhaupt sein soll. Wir sprechen nicht davon, wie man juristisch zu entscheiden hat. Wir sprechen nicht davon, wie sich die Tat mit meinem persönlichen Gerechtigkeitsempfinden verträgt oder ob ich sie ausführen würde. Wovon sprechen wir dann? Ich kann mir jenseits dieser beiden Möglichkeiten keinen Sinn für eine moralische Beurteilung vorstellen.

Doch, Moral hat schon mit Deinem Gerechtigkeitsempfinden zu tun, mit den Grundsätzen, die Du hast. Basierend darauf kannst Du eine Handlung als richtig oder falsch beurteilen.

Dioe Frage ist nun, ob Du in dieser Wertung einer Handlung unterscheidest zwischen einer offensichtlich absichtlichen und einer offensichtlich versehentlichen Handlung.
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Deus ex Machina
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Beitrag(#576578) Verfasst am: 03.10.2006, 16:47    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ja, auch in Deutschland gibt es in Ausnahmefällen eine Sicherheitsverwahrung. In diesen Ausnahmefällen mag es die Wahl des kleineren Übels sein und ich sehe auch keine Alternative dazu.

Man muss sich aber klar machen, dass eine Sicherheitsverwahrung ein Paradigmenwechsel in der Strafjustiz ist. Eine Sicherheitsverwahrung basiert auf der (wahrscheinlichen) Gefährdung des Täters für die Gesellschaft. Dem sicherheitsverwahrten Täter werden damit seine Bürgerrechte abgesprochen, speziell der Grundsatz, dass eine Strafe das Maß der Schuld nicht überschreiten darf. In Deutschland gibt es deswegen sehr strenge Vorgaben, die erfüllt sein müssen (besonders schwere Straftat, Mehrfachtäter u.a.), damit eine Sicherheitsverwahrung angeordnet werden darf.


Handelt es sich denn überhaupt um eine Strafe und nicht vielmehr um etwas, was man eher mit Quarantäne von Personen, die unter einer schwer ansteckenden Krankheit leiden, vergleichen müsste? Aber das wäre eine andere Diskussion, zu der ich zugegebenermassen auch gar keine durchdachte Meinung habe. Ich sehe nur nicht, inwiefern sie etwas mit dem Freiheitsverständnis zu tun haben sollte; und selbst wenn es das hätte, wäre es kein Argument für die Diskussion über das fragliche Freiheitsverständnis.


Zitat:
Das Schuldprinzip begrenzt die Strafe nach oben und zwar in Abhängigkeit von der begangenen Tat. Eine Inhaftierung mit der Begründung des notwendigen Schutzes der Gesellschaft tut dies erst mal nicht. Es muss also noch etwas weiteres hinzukommen. Was wäre das dMn?


Nun, da ich mir unter einem Schuldmass und dessen Zusammenhang mit dem Strafmass sowieso nichts vorstellen kann, kann ich Dir diese Frage auch gar nicht beantworten. Nocheinmal: Handelt es sich überhaupt um eine Strafe? Wie lässt sich denn DMn Quarantäne legitimieren? Weshalb zieht diese Legitimation hier nicht?


Zitat:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Auch die Willen, die "aus dem Menschen selbst herauskommen" haben sich zwangsläufig ergeben. Wenn Du das negierst, bist Du ein Inkompatibilist. Deshalb kann ein Mensch - Deiner Einschätzung nach! - nicht für seine Taten verantwortlich gemacht werden.

Ich unterscheide zwischen Handlungen, die der Persönlichkeit zuzurechnen sind und Handlungen, die das nicht sind. Man müsste also dieses "zwangsläufig" in diesem Zusammenhang genauer bestimmen. Wenn zwangsläufig nur bedeuten soll, dass jemand seiner Persönlichkeit gemäß handelt, dann widerspricht das nicht meiner Auffassung.


etwas hat sich zwangsläufig ergeben = Bei vollständiger Information und Möglichkeit der Simulation gibt es nur eine Möglichkeit, wie es kommen wird, es gibt keine Alternativen. Der Apfel wird auf eine bestimmte Stelle am Boden fallen und der Verbrecher wird ein bestimmtes Verbrechen begehen.

Alle menschlichen Handlungen, ob der Persönlichkeit zuzurechnen oder nicht, haben sich in diesem Sinne zwangsläufig ergeben. Ergo kann ein Mensch, Deiner Prämisse folgend, nicht für seine Handlungen, egal wie durchdacht, beabsichtigt und reflektiert sie auch sein mögen, verantwortlich gemacht werden.


Zitat:
Doch, Moral hat schon mit Deinem Gerechtigkeitsempfinden zu tun, mit den Grundsätzen, die Du hast. Basierend darauf kannst Du eine Handlung als richtig oder falsch beurteilen.

Dioe Frage ist nun, ob Du in dieser Wertung einer Handlung unterscheidest zwischen einer offensichtlich absichtlichen und einer offensichtlich versehentlichen Handlung.


Ja. Frag mich nicht warum. Aber die Justiz hat sich mE einer moralischen Wertung zu enthalten, sondern für den Schutz der ihr anvertrauten Individuen und das Funktionieren der Gesellschaft zu sorgen. Es gibt moralisch schlechte aber legale Handlungen und umgekehrt. Mit andern Worten: Es gibt Dinge, die ich als Gesetzgeber nicht verbieten, aber aus Gewissensgründen nicht tun würde. Es gibt umgekehrt Dinge, die ich als Gesetzgeber verbieten und unter Strafe stellen, eventuell aber trotzdem tun würde.
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AgentProvocateur
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Beitrag(#576957) Verfasst am: 04.10.2006, 09:48    Titel: Antworten mit Zitat

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[...] Man muss sich aber klar machen, dass eine Sicherheitsverwahrung ein Paradigmenwechsel in der Strafjustiz ist. [...]

Handelt es sich denn überhaupt um eine Strafe und nicht vielmehr um etwas, was man eher mit Quarantäne von Personen, die unter einer schwer ansteckenden Krankheit leiden, vergleichen müsste? [...] Ich sehe nur nicht, inwiefern sie etwas mit dem Freiheitsverständnis zu tun haben sollte; und selbst wenn es das hätte, wäre es kein Argument für die Diskussion über das fragliche Freiheitsverständnis.

Ja, Du hast recht, Sicherheitsverwahrung ist keine Strafe, die auf Schuld basiert, sondern ist mit Quarantäne vergleichbar.

Es ging mir nur darum, zu zeigen, dass die Proklamierung eines anderen Freiheitsverständnisses als unser heutiges gut durchdacht werden muss. Die Vorstellung, man könne ein neues Strafrecht einfach lediglich auf der Begründung "notwendiger Schutz der Gesellschaft" aufbauen, ist mMn fatal.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
etwas hat sich zwangsläufig ergeben = Bei vollständiger Information und Möglichkeit der Simulation gibt es nur eine Möglichkeit, wie es kommen wird, es gibt keine Alternativen. Der Apfel wird auf eine bestimmte Stelle am Boden fallen und der Verbrecher wird ein bestimmtes Verbrechen begehen.

Alle menschlichen Handlungen, ob der Persönlichkeit zuzurechnen oder nicht, haben sich in diesem Sinne zwangsläufig ergeben. Ergo kann ein Mensch, Deiner Prämisse folgend, nicht für seine Handlungen, egal wie durchdacht, beabsichtigt und reflektiert sie auch sein mögen, verantwortlich gemacht werden.

Zitat:
Doch, Moral hat schon mit Deinem Gerechtigkeitsempfinden zu tun, mit den Grundsätzen, die Du hast. Basierend darauf kannst Du eine Handlung als richtig oder falsch beurteilen.

Dioe Frage ist nun, ob Du in dieser Wertung einer Handlung unterscheidest zwischen einer offensichtlich absichtlichen und einer offensichtlich versehentlichen Handlung.

Ja. Frag mich nicht warum.

Ja, aber ich muss doch fragen: warum. Das ist doch der Punkt, um den es hier geht. Du scheinst ja zu meinen, dass diese Wertung falsch wäre. Du müsstest mal überlegen, wie man statt dessen reagieren sollte, wie sich das Verhalten der Menschheit insgesamt durch die Erkenntnis, die dMn so grundlegend ist, ändern sollte. Das hat ja nicht nur etwas mit Strafrecht zu tun, sondern mit dem Verhalten insgesamt.

Kommen wir dazu: "Der Verbrecher wird ein bestimmtes Verbrechen begehen." Hm. Diese Aussage ist nicht vollständig. "Er wird das Verbrechen begehen, wenn er es begehen wird." Das ist die vollständige Aussage. Wenn man vorher Prävention betreibt, dann wird er es vielleicht nicht begehen. Die Frage ist nun, ob wir entscheiden können, ob wir Prävention betreiben oder nicht, ob wir also Einfluss haben auf den Lauf der Dinge. Was uns wiederum zu der Frage führt, ob Diskussionen und Argumente sinnvoll sind (eben nur, wenn wir überhaupt Einfluss haben) und was uns wiederum zu der Frage führt, wem diese Handlung (argumentieren) zuzuordnen ist. Ist sie dem unabänderlichen Lauf der Dinge (aka Schicksal) zuzuordnen oder ist sie dem Individuum zuzuordnen. Falls letzteres, dann ist eben mMn die Voraussetzung für Verantwortlichkeit gegeben.
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Deus ex Machina
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Beitrag(#577054) Verfasst am: 04.10.2006, 12:31    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Vorstellung, man könne ein neues Strafrecht einfach lediglich auf der Begründung "notwendiger Schutz der Gesellschaft" aufbauen, ist mMn fatal.


Ich halte das vielmehr für die einzig legitime Begründung (im Gegensatz zu "geschmacklichen Gründen"), die es geben kann (wie sieht denn überhaupt Deine Begründung aus?). Die Rechte des Angeklagten, auch erwiesenermassen schuldiger, zu schützen oder keine Sippenhaft einzuführen, dient genau so dem Schutz der Gesellschaft, wie die Strafe, es lässt sich also aus der gleichen Zielsetzung herleiten. Letztlich beruht es auf einem abwägen verschiedener Interessen der Gesellschaft, die geschützt werden müssen. Und das Interesse, nicht für die Verbrechen seiner Verwanten zur Verantwortung gezogen werden zu können wiegt offenbar schwerer als das Interesse nach derjenigen Sicherheit, die dadurch gewonnen werden könnte.
Ich sehe immer noch nicht, was Du daran für so fatal hältst.


Zitat:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
etwas hat sich zwangsläufig ergeben = Bei vollständiger Information und Möglichkeit der Simulation gibt es nur eine Möglichkeit, wie es kommen wird, es gibt keine Alternativen. Der Apfel wird auf eine bestimmte Stelle am Boden fallen und der Verbrecher wird ein bestimmtes Verbrechen begehen.

Alle menschlichen Handlungen, ob der Persönlichkeit zuzurechnen oder nicht, haben sich in diesem Sinne zwangsläufig ergeben. Ergo kann ein Mensch, Deiner Prämisse folgend, nicht für seine Handlungen, egal wie durchdacht, beabsichtigt und reflektiert sie auch sein mögen, verantwortlich gemacht werden.


"Der Verbrecher wird ein bestimmtes Verbrechen begehen." Hm. Diese Aussage ist nicht vollständig. "Er wird das Verbrechen begehen, wenn er es begehen wird." Das ist die vollständige Aussage.


Das ist eine Nullaussage. Er wird das Verbrechen zwangsläufg behen, wenn die richtigen (bzw. falschen) Bedingungen gegeben sind.

Zitat:
Wenn man vorher Prävention betreibt, dann wird er es vielleicht nicht begehen. Die Frage ist nun, ob wir entscheiden können, ob wir Prävention betreiben oder nicht, ob wir also Einfluss haben auf den Lauf der Dinge. Was uns wiederum zu der Frage führt, ob Diskussionen und Argumente sinnvoll sind (eben nur, wenn wir überhaupt Einfluss haben) und was uns wiederum zu der Frage führt, wem diese Handlung (argumentieren) zuzuordnen ist. Ist sie dem unabänderlichen Lauf der Dinge (aka Schicksal) zuzuordnen oder ist sie dem Individuum zuzuordnen. Falls letzteres, dann ist eben mMn die Voraussetzung für Verantwortlichkeit gegeben.


Ich sehe hier kein "entweder oder". Sowohl als auch. Sie ist der Person zuzuordnen, die aber so handelt, wie es der unabänderliche Lauf der Dinge bedingt.


Zitat:
Zitat:
Zitat:
Dioe Frage ist nun, ob Du in dieser Wertung einer Handlung unterscheidest zwischen einer offensichtlich absichtlichen und einer offensichtlich versehentlichen Handlung.

Ja. Frag mich nicht warum.

Ja, aber ich muss doch fragen: warum. Das ist doch der Punkt, um den es hier geht. Du scheinst ja zu meinen, dass diese Wertung falsch wäre.


Es kommt auf den Zusammenhang an. Bei der Justiz ist die Sache mMn nach klar: Sie sollte sich nicht von Sym- und Antipathien leiten lassen. Im Alltag versuche ich gegenüber Personen, die mir schaden oder unsympathisch sind, wenn ich darüber reflektiere, wie ich mich gegenüber ihnen verhalten soll, auch nicht von der haltlosen Idee, dass sie auch anders gekonnt hätten, mit andern Worten ein lebender Zufallsgenerator sind, leiten zu lassen. Nur ist das schlicht nicht immer möglich.
Das absichtliche überfahren eines Kindes bewerte ich als moralisch schlechter als das fahrlässige. Aber ich sehe nicht, worauf diese Bewertung einen Einfluss haben, welche Rolle sie spielen soll.
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Zumsel
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Beitrag(#577398) Verfasst am: 04.10.2006, 18:49    Titel: Antworten mit Zitat

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Du übersiehst den entscheidenden Punkt: Den meisten ist schlicht nicht bewusst, was sie aussagen, wenn sie (falls nicht die Todesstrafe, so doch) eine lebenslange Hafstrafe für einen Kindesmörder fordern; dass aus ihnen das Vater- oder Muttertier spricht, dass die eigenen Jungen, dh. die eigenen Gene, mit allen Mittel und ohne Rücksicht auf andere gegen Angriffe beschützt und bereit ist, den ersten, der da kommt zu erschlagen, auf dass die übrigen sich eingeschüchtert zurückziehen.


Keine Ahnung, was da aus ihnen spricht. Spekulationen über die evolutionären Ursachen bestimmter Verhaltensweisen finde ich tendenziell eher uninteressant. Dass der Wunsch, Gene zu erhalten, für irgendein Verhalten eine Rolle spielt, halte ich allerdings für ausgemachten Unsinn.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Die wenigsten werden abei an Prävention denken


Noch weniger allerdings werden sie an Gene denken.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Du gibts unumwunden zu, worum es geht.


Richtig, nämlich um Ästhetik – wie im Grunde das ganze Leben. Auch diejenigen, die Strafen nur zu Präventionszwecken gutheißen, sind letztlich ästhetisch motiviert. Man könnte ja auch argumentieren: Die paar Kinderschänder fallen gesamtgesellschaftlich betrachtet doch gar nicht ins Gewicht. Wozu der Aufwand mit psychiatrischen Anstallten etc.?

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Ich habe noch nie, wirklich nie, von jemandem gelesen, der so ehrlich über die Ursprünge des Vergeltungsgedankens im Strafrecht gesprochen hat und diesen dennoch begrüsst hat, wie von Dir.


Bisher habe ich noch gar nicht gesagt, dass ich ihn begrüße. Ich habe nur angedeutet, dass die Verunglimpfung des Vergeltungsgedanken als archaisch, primitiv oder irrational rhetorische Sophisterei ist.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Du wirst aber zugeben müssen, dass der Grossteil der Bevölkerung sich dieser Ursprünge nicht bewusst ist, dass also keine Rede davon sein kann, dass sie sich "als Ausdruck des Geschmacks der Mehrheit" auf strafrechtliche Vergeltung geinigt hat.


Jedenfalls nicht direkt. Das ist ja auch gar nicht möglich. Wie sollen sich 80 Millionen Menschen auf etwas verständigen können? Das Strafrecht ist ja auch nicht von heute auf morgen eingeführt worden, sondern Produkt der Geschichte und Kultur dieses Landes, in welcher sich wiederum die Geschmäcker und die Erfahrungen seiner Bewohner widerspiegeln.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Denn ich würde wetten, dass die allermeisten eine solche Begründung mit gerümpfter Nase zurückweisen würden und etwas von "Gerechtigkeit" und "Strafe verdient" erzählen.


Klar, man versucht seinen aus subjektiven Empfindungen erwachsenen Grundsätzen objektive Begründungen unterzuschieben. Vor anderen und vor sich selbst. Das war schon immer so. Moral ist nichts anderes als der Versuch, die eigenen Gefühle und Regungen auf ein festes und für alle verbindliches Fundament zu stellen. Das gilt für die kategorischen Vergeltungsgegner und Aufklärungsapostel allerdings genauso.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Und das scheint mir in der heutigen Rechtssprechung schon weitgehend der Fall zu sein. Den von Dir begrüssten da mehrheitlich gewünschten Rachegedanken sehe ich kaum mehr am Werk.


Ich schon. Bei Kapitalverbrechen kann die Strafe meines Wissens jedenfalls nicht zur Bewährung ausgesetzt werden. Du musst ja auch bedenken, dass Vergeltung nur eines von vielen Elementen im Strafrecht ist. Ansonsten müsste ja Mord mit der Todesstrafe geahndet werden. Wird er hierzulande aber nicht mehr.



step hat folgendes geschrieben:
Sehe ich nicht so. Das gefunde Wissen äußert sich darin, daß ich überprüfbare Voraussagen machen kann. Das "harte Wissen" ist ziemlich unabhängig von der Interpretation. Interpretation wird immer dann wichtig, wenn es um unbekannte Symbole, mehrdeutige Kodierungen, unsichere Indizien und dgl. geht.


Könntest du für beides Beispiele nennen?

step hat folgendes geschrieben:
Das ist mir zu primitiv. Natürlich ist ein "Tit for Tat" spieltheoretisch eine gute Strategie, und deshalb empfinden wir sie auch instinktiv als gerecht (ebenso wie Rache).


Ob es eine gute Strategie wofür auch immer ist, weiß ich nicht. Ich habe nur den Begriff "Gerechtigkeit" definiert. Was du unter dem Begriff verstehst, ist mir immer noch nicht ganz klar geworden.

step hat folgendes geschrieben:
Generell würde ich Gerechtigkeit weniger hoch hängen als das traditionell der Fall ist. Mein Ansatz wäre eher, konsente Ziele zu vereinbaren und ein Angemessenheitsprinzip anzuwenden. Wie mit AP schon diskutiert, etwa statt des Strafrechts nur danach zu gehen, was man tun muß, um die Gesellschaft vor Verbrechen, Wiederholungstaten usw. zu schützen. Strafen im ursprünglichen Sinne würde es da nicht mehr geben.


Was du hier vorschlägst ist ein verändertes Rechtsverständnis. Das ist zwar völlig in Ordnung, hat aber, wie ich finde, wenig mit Gerechtigkeit zu tun. Was übrigens nicht als Vorwurf gemeint ist. Man kann über den Sinn und Unsinn dieses Begriffes ja durchaus streiten.
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Deus ex Machina
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Beitrag(#577424) Verfasst am: 04.10.2006, 19:14    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Dass der Wunsch, Gene zu erhalten, für irgendein Verhalten eine Rolle spielt, halte ich allerdings für ausgemachten Unsinn.


Ich spreche natürlich nicht von einem bewussten Wunsch. Auch dem Geschlechtstrieb liegt kein bewusster Wunsch, die eigenen Gene zu erhalten zugrunde.

Zitat:
Auch diejenigen, die Strafen nur zu Präventionszwecken gutheißen, sind letztlich ästhetisch motiviert.


Das werde ich bestimmt nicht bestreiten.

Zitat:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Ich habe noch nie, wirklich nie, von jemandem gelesen, der so ehrlich über die Ursprünge des Vergeltungsgedankens im Strafrecht gesprochen hat und diesen dennoch begrüsst hat, wie von Dir.


Bisher habe ich noch gar nicht gesagt, dass ich ihn begrüße.


Könntest Du dann Deine ungefähre Position skizzieren?

Zitat:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Du wirst aber zugeben müssen, dass der Grossteil der Bevölkerung sich dieser Ursprünge nicht bewusst ist, dass also keine Rede davon sein kann, dass sie sich "als Ausdruck des Geschmacks der Mehrheit" auf strafrechtliche Vergeltung geinigt hat.


Jedenfalls nicht direkt. Das ist ja auch gar nicht möglich. Wie sollen sich 80 Millionen Menschen auf etwas verständigen können? Das Strafrecht ist ja auch nicht von heute auf morgen eingeführt worden, sondern Produkt der Geschichte und Kultur dieses Landes, in welcher sich wiederum die Geschmäcker und die Erfahrungen seiner Bewohner widerspiegeln.


Welchen wiederum eine inkonsistente Freiheitsvorstellung zugrunde liegt. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass, gesetzt den Fall, diese wird als solche erkannt, sich auch die darauf basierenden Vorstellungen von Strafe ändern werden.

Ausserdem warst Du es, der behauptet hat, dass sich die Gesellschaft darauf geeinigt habe, nicht ich.

Zitat:
Klar, man versucht seinen aus subjektiven Empfindungen erwachsenen Grundsätzen objektive Begründungen unterzuschieben. Vor anderen und vor sich selbst. Das war schon immer so. Moral ist nichts anderes als der Versuch, die eigenen Gefühle und Regungen auf ein festes und für alle verbindliches Fundament zu stellen. Das gilt für die kategorischen Vergeltungsgegner und Aufklärungsapostel allerdings genauso.


Dem kann ich weitgehend zustimmen. Allerdings würde ich doch behaupten, dass ich meine unmittelbaren Interessen als solche zu erkennen gebe und nicht versuche "objektive Begründungen unterzuschieben", solange Du mir da kein aus Deiner Sicht gegenteiliges Beispiel nennen kannst.

Zitat:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Und das scheint mir in der heutigen Rechtssprechung schon weitgehend der Fall zu sein. Den von Dir begrüssten da mehrheitlich gewünschten Rachegedanken sehe ich kaum mehr am Werk.


Ich schon. Bei Kapitalverbrechen kann die Strafe meines Wissens jedenfalls nicht zur Bewährung ausgesetzt werden.


Das widerlegt meine Behauptung nicht.
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kolja
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Beitrag(#577624) Verfasst am: 04.10.2006, 23:23    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Das limbische System "legt nicht fest", was unsere Persönlichkeit ist, sondern das limbische System ist ein Teil unserer Persönlichkeit, ebenso wie das Bewusstsein dazu gehört. Natürlich begrenzt meine Persönlichkeit meine Handlungsspielräume.

Welchen Anteil genau soll "das Bewusstsein" an der Persönlichkeit haben? Woher nimmt es die Motivation, "Handlungsspielräume" zu nutzen? Muss diese Motivation nicht, wie jede andere auch, letztlich ebenfalls auf unbewusste Ursprünge zurückgehen?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[...] In diesen Fällen würde ich aber die Kontrolle dem Bewusstsein zusprechen.
kolja hat folgendes geschrieben:
Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass Dein Selbstbild hier besonders verlässlich wäre.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Schade, Du hast die Argumentation gesnippt.

Das war eine Aufzählung von Beispielen für Situationen, in denen Du meinst, die "bewusste Kontrolle" auszuüben. Einige davon waren für mich das genaue Gegenteil eines überzeugenden Beispiels, ich würde sie eher als Beispiel dafür anführen, dass wir bei komplett automatisierten Handlungen dennoch das Gefühl haben können, die Handlungen zu steuern - die erwähnte Kontrollillusion - wenn wir nicht zufällig mit den Gedanken abschweifen und anschließend feststellen, dass wir die Handlung ohne bewusste Begleitung genauso wie immer ausgeführt haben. Auch werden nicht alle automatisierten Handlungen zuvor bewusst eingeübt, besonders kritische Reaktionsmuster (-> Gewalttäter) werden in der frühesten Kindheit bereits geprägt, und auch spätere Erlebnisse sind uns nicht als bewusste Erinnerung präsent, können aber unbewusst unser Handeln bestimmen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Das Problem ist eben, dass wir unser Selbstbild nur über die Introspektion untersuchen können.

Man sollte es besser auch mit empirischen Resultaten vergleichen, sonst läuft man Gefahr, auf vorher schon feststehende (kulturell geprägte) Prämissen zu stoßen. Witzigerweise sind andere Menschen (teilw. aus anderen Kulturen, teilw. schon vor langer Zeit) durch reine Introspektion auch zu Selbstbildern gelangt, die Deiner Vorstellung eines "kontrollierenden Bewusstseins" stark widersprechen und eher mit dem hier diskutierten wissenschaftlichen Modell übereinstimmen.

Übrigens würde mich interessieren, wie Du begründest, warum irgend jemandes Selbstbild überhaupt ein Kriterium für die Zuschreibung von Schuld sein sollte. Das läuft doch eigentlich darauf hinaus, dass andere Menschen schuldig sind, weil Du Dir vorstellst, dass Du Dich an ihrer Stelle schuldig fühlen würdest.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Naja, was Du hier genau mit "Lenker der Handlungen" meinst, müsstest Du wohl doch noch etwas näher bestimmen.

Genau das, was Du mit "Kontrolle durch das Bewusstsein" meinst ... zwinkern

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
In meiner Selbstwahrnehmung bin ich es, der diesen Text schreibt und zwar bewusst. Deswegen sehe ich mich schon als "Lenker der Handlung des Textschreibens". [...] Die unbewussten Vorgänge, von denen es sicher sehr viele bem Schreiben gibt, empfinde ich aber als zu mir gehörig.

Gemütliches Tippern in einem Forum halte ich nicht für einen passenden Vergleich zu Handlungen, die schwere strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können, da dürften die zugrundeliegenden Motivationslagen ziemlich verschieden sein. Außerdem bist Du es, der argumentiert, dass "bewusste Handlungskontrolle" eine notwendige Bedingung für Verantwortung/Schuld sei, also musst Du Dir auch gefallen lassen, dass der unbewusste Anteil genauer aufgedröselt und der bewusste Anteil hinterfragt wird. Als Replik darauf zu argumentieren, die unbewussten Anteile würdest Du halt auch der Person zugehörig betrachten, ist eben jenes bedarfslogische hin-und-her-lavieren, dass ich schon mehrfach beklagt habe. Langsam begreife ich, was step mit den Definitionsspielchen meint. Du hältst Dein Bild immer verschwommen genug, dass es sich nicht festnageln lässt.

kolja hat folgendes geschrieben:
Natürlich werden die Handlungen von Menschen vollständig durch ihre Lebensumstände bestimmt - ein Menschenbild, welches diesbezüglich falsche Illusionen nährt, halte ich für schädlich und es kann mir gestohlen bleiben. Warum daraus folgen soll, dass der Mensch prinzipiell unmündig wäre, kann ich nicht nachvollziehen.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Grundfrage ist einfach nur, ob die Handlungen von Menschen "vollständig durch ihre Lebensumstände bestimmt" werden oder ob sie selber einen Einfluss auf ihre Handlungen und auf ihre Entwicklung haben, ob sie also selbstbestimmt oder fremdbestimmt sind. [...] Behauptet man aber, der Begriff "Selbstbestimmung" sei prinzipiell sinnlos, dann ist das wiederum schwer mit Mündigkeit zu vereinbaren.

Den Widerspruch kann ich immer noch nicht sehen. Als "mündig" würde ich jemanden betrachten, der ohne Aufsicht oder Zwang sein Leben führen kann und sich dabei gegenüber seinen Mitmenschen kooperativ (oder wenigstens nicht schädlich) verhält. Idealerweise verspürt er dabei keinen Zwang, empfindet sich also als "selbstbestimmt". Und ob ein Mensch das kann, hängt natürlich vollständig von seinen vergangenen Lebensumständen ab ...

kolja hat folgendes geschrieben:
Man muss halt die gesellschaftlichen Umstände, unter denen Menschen heranwachsen und geformt werden, so einrichten, dass sie zu mündigen Menschen werden, und vor der Tatsache, dass es bei manchen nicht gelungen ist, die Augen nicht verschließen.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Das ist ein anderer Thread.

Überhaupt nicht. Meiner Meinung nach wird der Prävention von Gewalt und Kriminalität bei weitem nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt, und dieser Missstand lässt sich viel leichter durch das beliebte Bild vom freien und für sein Schicksal selbst verantwortlichen Menschen rechtfertigen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Begründung sind hier Ausnahmefälle von Tätern, die durch eine Erkrankung oder durch ungewöhnlich psychische Umstände ihre Persönlichkeit nicht voll entwickeln konnten.
kolja hat folgendes geschrieben:
Ausnahmefälle? Roths Aussage ist, dass dies auf eine signifikante Mehrheit unserer Gewaltstraftäter zutrifft.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Das kann ich nicht beurteilen. Er redet aber trotzdem von Ausnahmefällen, nämlich von "Serien-Gewalttätern".

Er meinte damit Wiederholungstäter, also solche, die immer wieder rückfällig werden, und wenn ich recht erinnere sagte er auch, dass diese die überwältigende Mehrheit der Gefängnispopulation stellen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Persönlichkeit, bzw. Persönlichkeitsstörungen werden ja übrigens auch heute vor Gericht bereits berücksichtigt, d.h. der Schuldbegriff berücksichtigt (psychische und sonstige) Zwangslagen.

Nicht wirklich.
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Beitrag(#577820) Verfasst am: 05.10.2006, 11:59    Titel: Antworten mit Zitat

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Vorstellung, man könne ein neues Strafrecht einfach lediglich auf der Begründung "notwendiger Schutz der Gesellschaft" aufbauen, ist mMn fatal.

Ich halte das vielmehr für die einzig legitime Begründung (im Gegensatz zu "geschmacklichen Gründen"), die es geben kann (wie sieht denn überhaupt Deine Begründung aus?). Die Rechte des Angeklagten, auch erwiesenermassen schuldiger, zu schützen oder keine Sippenhaft einzuführen, dient genau so dem Schutz der Gesellschaft, wie die Strafe, es lässt sich also aus der gleichen Zielsetzung herleiten.

Wenn ich Deinen Standpunkt richtig verstanden habe, dann müsstest Du diesen Satz neu formulieren und zwar, indem Du auf die Begriffe "schuldig" und "Strafe" verzichtest.

Die Rechte des Einzelnen dürfen meiner Meinung nach nur eingeschränkt werden, wenn diese absichtlich gegen bekannte Normen verstoßen haben. Wenn sie aber dMn nichts dafür können, wann dürfen die Rechte dann eingeschränkt werden? Wenn es der Gesellschaft nutzt? Und wenn Sippenhaft der Gesellschaft nutzen würde (was durchaus sein könnte, man müsste das empirisch untersuchen)?

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Letztlich beruht es auf einem abwägen verschiedener Interessen der Gesellschaft, die geschützt werden müssen. Und das Interesse, nicht für die Verbrechen seiner Verwanten zur Verantwortung gezogen werden zu können wiegt offenbar schwerer als das Interesse nach derjenigen Sicherheit, die dadurch gewonnen werden könnte.

Ich habe grundsätzlich ein Interesse daran, nicht ins Gefängnis zu gehen. Dieses Interesse ist unabhängig davon, ob die Haft wegen meiner Tat oder der Tat eines Verwandten angeordnet würde. Im ersten Falle würdest Du aber einer Haft zustimmen, im zweiten Falle nicht. Warum, da Du doch persönliche Verantwortung ablehnst? Das verstehe ich immer noch nicht und "offensichtlich" ist dabei nichts.

Du redest auch von "zur Verantwortung gezogen". Eigentlich dürfte auch dieser Ausdruck in Deiner Sichtweise keinen Sinn ergeben, oder? Oder ist Verantwortung etwas, das von außen beliebig zugemessen wird? Wenn ja, warum kann dann nicht Verantwortung für die Tat eines Verwandten zugemessen werden? Du denkst doch, man könne seine Handlungen nicht steuern, daher müsste die eigene Handlung genauso zu bewerten sein wie eine beliebieg fremde Handlung, oder? Und wenn man gleich bewertet, aber den Nutzen für die Gesellschaft höher einschätzt, wenn man nur direkte Konditionierung ausübt, dann würde man diesen Standpunkt ändern, wenn sich indirekte Konditionierung (Sippenhaft) als vorteilhaft erweist, oder?

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
etwas hat sich zwangsläufig ergeben = Bei vollständiger Information und Möglichkeit der Simulation gibt es nur eine Möglichkeit, wie es kommen wird, es gibt keine Alternativen. Der Apfel wird auf eine bestimmte Stelle am Boden fallen und der Verbrecher wird ein bestimmtes Verbrechen begehen.

Alle menschlichen Handlungen, ob der Persönlichkeit zuzurechnen oder nicht, haben sich in diesem Sinne zwangsläufig ergeben. Ergo kann ein Mensch, Deiner Prämisse folgend, nicht für seine Handlungen, egal wie durchdacht, beabsichtigt und reflektiert sie auch sein mögen, verantwortlich gemacht werden.

"Der Verbrecher wird ein bestimmtes Verbrechen begehen." Hm. Diese Aussage ist nicht vollständig. "Er wird das Verbrechen begehen, wenn er es begehen wird." Das ist die vollständige Aussage.

Das ist eine Nullaussage. Er wird das Verbrechen zwangsläufg behen, wenn die richtigen (bzw. falschen) Bedingungen gegeben sind.

Richtig, meine Aussage ist eine Nullaussage, allerdings ist sie exakt dieselbe wie Deine, die folgerichtig demnach auch eine Nullaussage ist. Du versuchst das zu vertuschen, indem Du von prinzipieller Vorherberechenbarkeit redest, die aber für Deine Aussage: "Der Apfel wird auf eine bestimmte Stelle am Boden fallen und der Verbrecher wird ein bestimmtes Verbrechen begehen." irrelevant ist.

Das hatten wir doch in dieser Diskussion schon oft. An dieser Stelle wende ich gerne ein, dass wir nicht so genau wissen, ob die Zukunft prinzipiell vorherberechenbar ist. Dann heißt es immer: ist doch egal, spielt ja keine Rolle, ob es Zufall gibt oder nicht. Das ist dann aber das, was ich die ganze Zeit sage: ob die Zukunft prinzipiell berechenbar ist oder nicht, ist wurscht. Es wird in der Zukunft genau das passieren, was passieren wird. So what?

Übrigens kann man sogar in bestimmten Fällen Reaktionen und Verhaltensweisen von Menschen ziemlich genau vorhersagen. Warum sollte aber daraus folgen, dass diese Menschen für ihre Handlungen nicht verantwortlich gemacht werden können?

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Zitat:
Zitat:
Dioe Frage ist nun, ob Du in dieser Wertung einer Handlung unterscheidest zwischen einer offensichtlich absichtlichen und einer offensichtlich versehentlichen Handlung.

Ja. Frag mich nicht warum.

Ja, aber ich muss doch fragen: warum. Das ist doch der Punkt, um den es hier geht. Du scheinst ja zu meinen, dass diese Wertung falsch wäre.

[...] Das absichtliche überfahren eines Kindes bewerte ich als moralisch schlechter als das fahrlässige. Aber ich sehe nicht, worauf diese Bewertung einen Einfluss haben, welche Rolle sie spielen soll.

Diese Bewertung ist schlicht inkonsistent, wenn Du meinst, man sei für seine Handlungen nicht verantwortlich und deshalb den Begriff "Schuld" ablehnst.
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Beitrag(#577950) Verfasst am: 05.10.2006, 14:52    Titel: Antworten mit Zitat

kolja hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[...] In diesen Fällen würde ich aber die Kontrolle dem Bewusstsein zusprechen.
kolja hat folgendes geschrieben:
Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass Dein Selbstbild hier besonders verlässlich wäre.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Schade, Du hast die Argumentation gesnippt.

Das war eine Aufzählung von Beispielen für Situationen, in denen Du meinst, die "bewusste Kontrolle" auszuüben. Einige davon waren für mich das genaue Gegenteil eines überzeugenden Beispiels, ich würde sie eher als Beispiel dafür anführen, dass wir bei komplett automatisierten Handlungen dennoch das Gefühl haben können, die Handlungen zu steuern - die erwähnte Kontrollillusion - wenn wir nicht zufällig mit den Gedanken abschweifen und anschließend feststellen, dass wir die Handlung ohne bewusste Begleitung genauso wie immer ausgeführt haben.

Schön, dann haben wir eben einen Dissens in dieser Frage und dieses Problem habe ich auch mit der Darstellung von Roth und Singer. Ich glaube eben, dass ich zum Beispiel beim Autofahren die Kontrolle habe, obwohl nicht alle Vorgänge dabei bewusst ablaufen. Ich bin nicht mein Bewusstsein.

Die Frage ist, was man unter Kontrolle versteht. Wenn man darunter versteht, dass alle Prozesse komplett bewusst sein müssen, dann gibt es keine Kontrolle, denn es gibt mAn keine absolut bewussten Denkvorgänge. Wenn man aber unter Kontrolle versteht, so wie ich das tue, dass man etwas will und dann Prozesse einleiten kann, um dieses Ziel zu erreichen und es dabei keine Rolle spielt, ob diese (untergeordneten) Prozesse im Einzelnen bewusst oder unbewusst ablaufen, dann kann ich bewusst steuern.

kolja hat folgendes geschrieben:
Auch werden nicht alle automatisierten Handlungen zuvor bewusst eingeübt, besonders kritische Reaktionsmuster (-> Gewalttäter) werden in der frühesten Kindheit bereits geprägt, und auch spätere Erlebnisse sind uns nicht als bewusste Erinnerung präsent, können aber unbewusst unser Handeln bestimmen.

Ja, das bedeutet aber nur, dass wir nicht die absolute Kontrolle haben, es bedeutet nicht, dass wir überhaupt keine bewusste Kontrolle haben.

kolja hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Das Problem ist eben, dass wir unser Selbstbild nur über die Introspektion untersuchen können.

Man sollte es besser auch mit empirischen Resultaten vergleichen, sonst läuft man Gefahr, auf vorher schon feststehende (kulturell geprägte) Prämissen zu stoßen. Witzigerweise sind andere Menschen (teilw. aus anderen Kulturen, teilw. schon vor langer Zeit) durch reine Introspektion auch zu Selbstbildern gelangt, die Deiner Vorstellung eines "kontrollierenden Bewusstseins" stark widersprechen und eher mit dem hier diskutierten wissenschaftlichen Modell übereinstimmen.

Natürlich sollte man empirische Resultate vergleichen, keine Frage.

Nur finde ich es schon seltsam, wenn Du die Meinungen von Roth und Singer als "wissenschaftliches Modell" darstellst. Beide sind sowohl Naturwissenschaftler als auch Philosophen. Philosophen sind sie dann, wenn sie anfangen, die Ergebnisse ihrer neurologischen Forschungen zu interpretieren. Leider sind sie aber mMn schlechte Philosophen, daher kann ich ihnen in ihren Schlussfolgerungen nicht zustimmen. Kleines Beispiel dazu:

Singer hat folgendes geschrieben:
Wie aber kommen wir nun zu der unerschütterlichen Überzeugung, daß unser Ich
freie Entscheidungen treffen und über Prozesse in unserem Gehirn verfügen kann?

Das ist nicht irgend ein Satz, der wahllos herausgegriffen ist, sondern das ist eine zentrale Aussage von Singer, mit der er seine philosophische Deutung beginnt und auf der er seine Argumentation aufbaut. Leider ist dieser Satz aber mMn Unsinn und daher ist seine ganze folgende darauf aufbauende Argumentation ziemlich daneben.

kolja hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
In meiner Selbstwahrnehmung bin ich es, der diesen Text schreibt und zwar bewusst. Deswegen sehe ich mich schon als "Lenker der Handlung des Textschreibens". [...] Die unbewussten Vorgänge, von denen es sicher sehr viele bem Schreiben gibt, empfinde ich aber als zu mir gehörig.

Gemütliches Tippern in einem Forum halte ich nicht für einen passenden Vergleich zu Handlungen, die schwere strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können, da dürften die zugrundeliegenden Motivationslagen ziemlich verschieden sein.

Ich habe hier keinen Vergleich gezogen und ich verstehe gar nicht, wie Du darauf kommst. Es ging mir darum, zu zeigen, dass ich mich als Urheber meiner Handlungen fühle, und zwar bewusst. Dieses "Ich" schließt, für mich selbstverständlich, meine Persönlichkeitsmerkmale mit ein. Ohne meine Persönlichkeitsmerkmale bin ich nicht "Ich".

kolja hat folgendes geschrieben:
Außerdem bist Du es, der argumentiert, dass "bewusste Handlungskontrolle" eine notwendige Bedingung für Verantwortung/Schuld sei, also musst Du Dir auch gefallen lassen, dass der unbewusste Anteil genauer aufgedröselt und der bewusste Anteil hinterfragt wird. Als Replik darauf zu argumentieren, die unbewussten Anteile würdest Du halt auch der Person zugehörig betrachten, ist eben jenes bedarfslogische hin-und-her-lavieren, dass ich schon mehrfach beklagt habe. Langsam begreife ich, was step mit den Definitionsspielchen meint. Du hältst Dein Bild immer verschwommen genug, dass es sich nicht festnageln lässt.

Mir scheint, Du möchtest gerne, dass ich eine Position einnehme, die Du leichter angreifen kannst. Die gewünschte Position (= "wir" sind unser Bewusstsein) habe ich nun mal aber leider nicht.

Ich wiederhole meine Auffassung: für die Zumessung von Verantwortung für eine Handlung ist es mMn erforderlich, dass diese Handlung der Persönlichkeit entspricht, also nicht von wesentlichen äußeren oder inneren (z.B. Sucht) Zwängen bedingt wurde. Eine Handlung, die nicht bewusst kontrolliert werden kann, entspricht nicht unbedingt der Persönlichkeit. Eine notwendige Voraussetzung ist es daher mMn auch, dass diese Handlung überhaupt bewusst kontrolliert werden kann.

Beispiel für eine Handlung, die (normalerweise) kontrolliert werden kann: jemand hebt seinen Arm.
Beispiel für einen Vorgang, der nicht kontrolliert werden kann: jemand schwitzt.

kolja hat folgendes geschrieben:
kolja hat folgendes geschrieben:
Man muss halt die gesellschaftlichen Umstände, unter denen Menschen heranwachsen und geformt werden, so einrichten, dass sie zu mündigen Menschen werden, und vor der Tatsache, dass es bei manchen nicht gelungen ist, die Augen nicht verschließen.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Das ist ein anderer Thread.

Überhaupt nicht. Meiner Meinung nach wird der Prävention von Gewalt und Kriminalität bei weitem nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt, und dieser Missstand lässt sich viel leichter durch das beliebte Bild vom freien und für sein Schicksal selbst verantwortlichen Menschen rechtfertigen.

Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wobei ich dieses skizzierte "beliebte Bild" sehr selten antreffe, jedenfalls nicht in dieser Absolutheit. Allerdings denke ich schon, dass jeder auch selber verantwortlich ist und man nicht für alles die Gesellschaft verantwortlich machen kann. Die Bedingungen dazu, dass sich jeder frei entwickeln kann, müssen aber von der Gesellschaft geschaffen werden und daran hapert es durchaus oft. Ich stimme also zu, dass die Prävention mehr Bedeutung bekommen sollte.

kolja hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Persönlichkeit, bzw. Persönlichkeitsstörungen werden ja übrigens auch heute vor Gericht bereits berücksichtigt, d.h. der Schuldbegriff berücksichtigt (psychische und sonstige) Zwangslagen.

Nicht wirklich.

Wie meinst Du das? Wie sieht eine "wirkliche" Berücksichtigung aus?
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Deus ex Machina
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Beiträge: 789

Beitrag(#577987) Verfasst am: 05.10.2006, 15:51    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Rechte des Einzelnen dürfen meiner Meinung nach nur eingeschränkt werden, wenn diese absichtlich gegen bekannte Normen verstoßen haben.


Wie war das nochmal mit Quarantäne?

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn sie aber dMn nichts dafür können...


Wo bitteschön habe ich geschrieben, dass Menschen "nichts dafür können" was sie tun. Ich weiss schlicht nicht, was der Begriff in so einer allgemeinen Verwendung bedeuten soll.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Und das Interesse, nicht für die Verbrechen seiner Verwanten zur Verantwortung gezogen werden zu können wiegt offenbar schwerer als das Interesse nach derjenigen Sicherheit, die dadurch gewonnen werden könnte.


AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich habe grundsätzlich ein Interesse daran, nicht ins Gefängnis zu gehen. Dieses Interesse ist unabhängig davon, ob die Haft wegen meiner Tat oder der Tat eines Verwandten angeordnet würde.


Es gibt aber auch ein Interesse zu wissen, wann einem von seiten des Staates etwas droht, seine Zukunft planen zu können. Ich finde das Gefühl, jeden Tag verhaftet werden zu können, eben weil mein Verwanter ein Verbrechen begangen hat, sehr unangenehm; weitaus unangenehmer als zu wissen, dass mir nur dann Strafen drohen, wenn ich selbst etwas verbrochen habe.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
...und "offensichtlich" ist dabei nichts.


Noch ein Wort, das ich nicht benutzt habe. "offenbar" ist nicht das gleiche wie "offensichtlich". zwinkern

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Du denkst doch, man könne seine Handlungen nicht steuern...


Langsam nerven diese Unterstellungen. Das habe ich bestimmt nirgends geschrieben oder auch nur angedeutet. Ich habe sogar wiederholt explizit das Gegenteil geschrieben.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Es wird in der Zukunft genau das passieren, was passieren wird. So what?

Übrigens kann man sogar in bestimmten Fällen Reaktionen und Verhaltensweisen von Menschen ziemlich genau vorhersagen. Warum sollte aber daraus folgen, dass diese Menschen für ihre Handlungen nicht verantwortlich gemacht werden können?


Wenn C geschieht weil B und B geschieht weil A, dann geschieht C weil A.

Ein Verbrecher wird verurteilt, weil er willentlich und im Bewusstsein ein Unrecht zu tun gegen das Gesetz verstossen hat. Dies hat er getan, weil er im Laufe seines Lebens bestimmten Einflüssen ausgesetzt war, und nur deswegen.

Folglich wird er verurteilt, weil er im Laufe seines Lebens bestimmten Einflüssen ausgesetzt war, für welche er nach jedem Verständnis des Begriffes nicht verantwortlich war.

Falls dadurch Dein Menschenbild, das den Menschen bekanntlich als Subjekt und nicht als zu konditionierendes System sieht, angegriffen wird, dann tut es mir leid für dasselbe, aber dann ist es unhaltbar.

Zitat:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
[...] Das absichtliche überfahren eines Kindes bewerte ich als moralisch schlechter als das fahrlässige. Aber ich sehe nicht, worauf diese Bewertung einen Einfluss haben, welche Rolle sie spielen soll.

Diese Bewertung ist schlicht inkonsistent, wenn Du meinst, man sei für seine Handlungen nicht verantwortlich und deshalb den Begriff "Schuld" ablehnst.


Vergessen wir kurz das Wort "verantwortlich": Inwiefern inkonsistent?
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Zumsel
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Beiträge: 4667

Beitrag(#578013) Verfasst am: 05.10.2006, 16:25    Titel: Antworten mit Zitat

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Ich spreche natürlich nicht von einem bewussten Wunsch. Auch dem Geschlechtstrieb liegt kein bewusster Wunsch, die eigenen Gene zu erhalten zugrunde.


Und auch kein unbewusster. Man rammelt, weil man geil ist. Und wenn man eine Familie gründen will, lässt man dabei einfach die Verhütung weg.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Könntest Du dann Deine ungefähre Position skizzieren?


Ich halte eine gesunde Mischung für angemessen. Die Vorstellung, als Opfer eines Gewaltverbrechens mit ansehen zu müssen wie der Täter völlig straffrei ausgeht, erscheint mir beinahe unerträglich. Andereeseits will ich aber auch nicht in einer Gesellschaft leben, in der alles mit Gleichem vergolten und, ohne Rücksicht auf andere Umstände, das Interesse der Opfer zum alleinigen Maßstab gemacht wird. 15 Jahre Knast für Mord, mit der Möglichkeit vorzeitiger Haftentlassung bei positiver Sozialprognose scheint mir einstweilen kein schlechter Kompromiss zu sein.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Welchen wiederum eine inkonsistente Freiheitsvorstellung zugrunde liegt. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass, gesetzt den Fall, diese wird als solche erkannt, sich auch die darauf basierenden Vorstellungen von Strafe ändern werden.


Da bin ich mir nicht sicher. Im Gegenteil glaube ich sogar, dass das kaum Einfluss haben wird. Wenn dir jemand unter Einsatz seines eigenen Lebens das Leben rettet, sagst du dann: "Och jo, ich finds natürlich echt töffte, noch unter den Lebenden zu wandeln, aber dir dafür dankbar zu sein, wäre irrational, da du ja nur aufgrund vorherbestimmter Umstände so gehandelt hast."? Ich glaube nicht. Und ebenso ist es auch bei negativen Taten. Das Tun und Lassen anderer Menschen zu bewerten und ihnen entsprechend Annerkennung oder Verachtung entgegenzubringen, gehört einfach zu unserer Existenz als Sozialwesen dazu. Die recht banale Erkenntnis, dass ohnehin alles kommt wie es kommt, wird daran nichts ändern. Wir bewerten andere Menschen. WARUM sie so sind wie sie sind ist dabei zweitrangig.
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Deus ex Machina
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Beiträge: 789

Beitrag(#578017) Verfasst am: 05.10.2006, 16:28    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
kolja hat folgendes geschrieben:
Als Replik darauf zu argumentieren, die unbewussten Anteile würdest Du halt auch der Person zugehörig betrachten, ist eben jenes bedarfslogische hin-und-her-lavieren, dass ich schon mehrfach beklagt habe. Langsam begreife ich, was step mit den Definitionsspielchen meint. Du hältst Dein Bild immer verschwommen genug, dass es sich nicht festnageln lässt.

Mir scheint, Du möchtest gerne, dass ich eine Position einnehme, die Du leichter angreifen kannst. Die gewünschte Position (= "wir" sind unser Bewusstsein) habe ich nun mal aber leider nicht.


Sorry wenn ich mich hier kurz einmische. Aber ich habe genau den gleichen Eindruck wie Kolja. Hast Du schon einmal versucht, Laub zusammenzurechen und immer wenn Du einen Haufen hattest, kam ein Windstoss und hat ihn wieder verstreut? In etwa so fühle ich mich. Ich will Dir damit keine Absicht unterstellen. Aber jedes mal, wenn ich denke, ich habe Dich argumentativ in die Ecke gebracht, entkommst Du durch eine Begriffsumdeutung oder indem wir solange herumargumentatieren, bis die ursprünliche Absicht vergessen gegangen ist. Das funktioniert dann etwa so.

Ich: Ich denke A weil B. (Wobei A etwas ist, was Dir nicht gefällt.)

Du: Aber B kann man doch wegen C nicht so sehen.

Ich: Doch, denn es gibt ja D, ausserdem E.

Du: Aber wenn E, dann wäre ja F.

Ich: Nein, das folgt daraus nicht, weil G.

Du: G kann ich nicht zustimmen, bedenke H.

Ich: Was soll H bedeuten?

Du: Damit meine ich dies und das.

Usw., bis A völlig in Vergessenheit gegangen ist. Wenn wir dann am Schluss einen Konsens finden, hättest Du damit ja A indirekt anerkannt, aber da das dann schon soweit zurück liegt, geht die Diskussion von vorne los.
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AgentProvocateur
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Beitrag(#578082) Verfasst am: 05.10.2006, 17:37    Titel: Antworten mit Zitat

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Rechte des Einzelnen dürfen meiner Meinung nach nur eingeschränkt werden, wenn diese absichtlich gegen bekannte Normen verstoßen haben.

Wie war das nochmal mit Quarantäne?

Quarantäne sollte nur in Ausnahmesituationen erfolgen, nicht im Normalfall.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Und das Interesse, nicht für die Verbrechen seiner Verwanten zur Verantwortung gezogen werden zu können wiegt offenbar schwerer als das Interesse nach derjenigen Sicherheit, die dadurch gewonnen werden könnte.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich habe grundsätzlich ein Interesse daran, nicht ins Gefängnis zu gehen. Dieses Interesse ist unabhängig davon, ob die Haft wegen meiner Tat oder der Tat eines Verwandten angeordnet würde.

Es gibt aber auch ein Interesse zu wissen, wann einem von seiten des Staates etwas droht, seine Zukunft planen zu können. Ich finde das Gefühl, jeden Tag verhaftet werden zu können, eben weil mein Verwanter ein Verbrechen begangen hat, sehr unangenehm; weitaus unangenehmer als zu wissen, dass mir nur dann Strafen drohen, wenn ich selbst etwas verbrochen habe.

Wenn man seine Zukunft planen kann und diese also selber bestimmen kann, dann sind wir uns einig und Deine Argumentation ist akzeptiert. Wenn man sie nicht selber bestimmen kann, dann ist Deine Argumentation aber nicht mehr schlüssig.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
...und "offensichtlich" ist dabei nichts.

Noch ein Wort, das ich nicht benutzt habe. "offenbar" ist nicht das gleiche wie "offensichtlich". zwinkern

Oh, in dem Zusammenhang ist das für mich das Gleiche. Was ist dMn der Unterschied?

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Du denkst doch, man könne seine Handlungen nicht steuern...

Langsam nerven diese Unterstellungen. Das habe ich bestimmt nirgends geschrieben oder auch nur angedeutet. Ich habe sogar wiederholt explizit das Gegenteil geschrieben.

Entschuldige bitte, manchmal komme ich wohl durcheinander mit den unterschiedlichen Standpunkten.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Wenn C geschieht weil B und B geschieht weil A, dann geschieht C weil A.

Ein Verbrecher wird verurteilt, weil er willentlich und im Bewusstsein ein Unrecht zu tun gegen das Gesetz verstossen hat. Dies hat er getan, weil er im Laufe seines Lebens bestimmten Einflüssen ausgesetzt war, und nur deswegen.

Folglich wird er verurteilt, weil er im Laufe seines Lebens bestimmten Einflüssen ausgesetzt war, für welche er nach jedem Verständnis des Begriffes nicht verantwortlich war.

Nein, er wird bestraft, weil er etwas geplant hat und dieses dann auch ausgeführt hat. Die Einflüsse, denen er dabei ausgesetzt war, und der Zwang, den diese Einflüsse verursacht haben, müssen in die Bewertung seiner Tat mit einfließen. Das führt aber mAn nicht dazu, jedwede Tat mit den äußeren Einflüssen zu entschuldigen.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
[...] Das absichtliche überfahren eines Kindes bewerte ich als moralisch schlechter als das fahrlässige. Aber ich sehe nicht, worauf diese Bewertung einen Einfluss haben, welche Rolle sie spielen soll.

Diese Bewertung ist schlicht inkonsistent, wenn Du meinst, man sei für seine Handlungen nicht verantwortlich und deshalb den Begriff "Schuld" ablehnst.

Vergessen wir kurz das Wort "verantwortlich": Inwiefern inkonsistent?

Weil das mAn mit dem Begriff "Schuld" synonym ist. Der eine ist schuldiger als der andere. Ob man den Begriff "Schuld" vermeiden will und das "moralisch schlechter bewerten" nennt, ist schnuppe, es bleibt trotzdem das Gleiche.
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AgentProvocateur
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Beiträge: 7851
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Beitrag(#578085) Verfasst am: 05.10.2006, 17:40    Titel: Antworten mit Zitat

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
[...] Aber jedes mal, wenn ich denke, ich habe Dich argumentativ in die Ecke gebracht, entkommst Du durch eine Begriffsumdeutung oder indem wir solange herumargumentatieren, bis die ursprünliche Absicht vergessen gegangen ist. Das funktioniert dann etwa so. [...]

Könntest Du das an einem konkreten Beispiel belegen?
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kolja
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Beitrag(#579264) Verfasst am: 07.10.2006, 16:19    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich glaube eben, dass ich zum Beispiel beim Autofahren die Kontrolle habe, obwohl nicht alle Vorgänge dabei bewusst ablaufen. Ich bin nicht mein Bewusstsein.

Nur fürs Protokoll: Du hast on-the-fly Deine Wortwahl geändert, von "Kontrolle durch das Bewusstsein", hin zu "Kontrolle durch das Ich (welches nicht nur das Bewusstsein ist)".

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn man aber unter Kontrolle versteht, so wie ich das tue, dass man etwas will und dann Prozesse einleiten kann, um dieses Ziel zu erreichen und es dabei keine Rolle spielt, ob diese (untergeordneten) Prozesse im Einzelnen bewusst oder unbewusst ablaufen, dann kann ich bewusst steuern.

Diese Beschreibung ignoriert, dass das "bewusste Ich" sich auch bei Willensakten mit vollständig unbewussten Ursachen als Verursacher sieht und die Begründungen nachträglich erfindet.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ja, das bedeutet aber nur, dass wir nicht die absolute Kontrolle haben, es bedeutet nicht, dass wir überhaupt keine bewusste Kontrolle haben.

Strohmann. Letzteres habe ich nicht behauptet, ich diskutiere die Frage, welchem Umfang diese "bewusste Kontrolle" hat.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nur finde ich es schon seltsam, wenn Du die Meinungen von Roth und Singer als "wissenschaftliches Modell" darstellst. Beide sind sowohl Naturwissenschaftler als auch Philosophen. Philosophen sind sie dann, wenn sie anfangen, die Ergebnisse ihrer neurologischen Forschungen zu interpretieren.

Ich diskutiere hier basierend auf Roths Darstellung von funktionalen Details der Handlungssteuerung, und diese Darstellung basiert nach meinem Verständnis nicht nur auf Ergebnissen der Hirnforschung, sondern gründet sich auch wesentlich auf Erkenntnisse anderer Humanwissenschaften. Sie kann daher als recht fundiert betrachtet werden. Aber immer dann, wenn diese funktionalen Zusammenhänge genauer thematisiert werden sollen, verweigerst Du Dich einer präziseren Diskussion (meine entsprechenden Fragen im vorangehenden Beitrag hast Du weggelassen) und flüchtest in die Kritik der Begriffe. Du behauptest dann, in den Begriffen wären bereits philosophische Schlussfolgerungen impliziert, dabei sollen es nur handliche Begriffe zur Beschreibung der funktionalen Zusammenhänge sein. Aber auch das habe ich schon ein paar Mal erwähnt.

Und jetzt aufeinmal wertest Du das gleiche Modell, dem Du ein paar Seiten vorher noch zustimmenderweise die Übereinstimmung mit "etwas reflektierten Alltagserfahrungen" attestiertest, als Einzelmeinung ab. Das soll noch einer verstehen.

Was Das Singer-Zitat angeht ...

Singer hat folgendes geschrieben:
Wie aber kommen wir nun zu der unerschütterlichen Überzeugung, daß unser Ich freie Entscheidungen treffen und über Prozesse in unserem Gehirn verfügen kann?

... so finde ich, dass dieser Satz ziemlich genau Deine Position von weiter oben wiedergibt:

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn man aber unter Kontrolle versteht, so wie ich das tue, dass man etwas will und dann Prozesse einleiten kann, um dieses Ziel zu erreichen und es dabei keine Rolle spielt, ob diese (untergeordneten) Prozesse im Einzelnen bewusst oder unbewusst ablaufen, dann kann ich bewusst steuern.

Unterschiede lassen sich nur mittels Herummäkeln an den verwendeten Begriffen finden. Schulterzucken

kolja hat folgendes geschrieben:
Gemütliches Tippern in einem Forum halte ich nicht für einen passenden Vergleich zu Handlungen, die schwere strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können, da dürften die zugrundeliegenden Motivationslagen ziemlich verschieden sein.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich habe hier keinen Vergleich gezogen und ich verstehe gar nicht, wie Du darauf kommst.

Ich habe nicht behauptet, dass Du diesen Vergleich ziehen wolltest, ich wollte nur zeigen, dass dieses Beispiel nicht taugt, um daraus irgendwelche Schlüsse bzgl. völlig anders motivierter Handlungen zu ziehen.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Mir scheint, Du möchtest gerne, dass ich eine Position einnehme, die Du leichter angreifen kannst. Die gewünschte Position (= "wir" sind unser Bewusstsein) habe ich nun mal aber leider nicht.

Nein, ich wünsche mir vielmehr, dass Du in längeren Argumentationsketten nicht hin-und-herspringst zwischen verschiedenen Perspektiven, Definitionen und Argumentationsmustern. Ich habe jetzt aber keinen Bock mehr, die unzähligen Fälle hier zusammenzukratzen. Denke darüber nach oder lass es bleiben.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
für die Zumessung von Verantwortung für eine Handlung ist es mMn erforderlich, dass diese Handlung der Persönlichkeit entspricht, also nicht von wesentlichen äußeren oder inneren (z.B. Sucht) Zwängen bedingt wurde.

Warum gehören "innere Zwänge" eigentlich nicht zur Persönlichkeit? Damit hängt doch nur noch von der Selbstauskunft des Täters ab, ob er unter Zwang handelte oder nicht, und wenn man seiner Auskunft nicht glauben mag, obliegt es der Willkür des Richters. Meiner Meinung nach gehören alle inneren Antriebe zur Persönlichkeit, nur das "bewusste Ich" kann diese wahlweise akzeptieren oder von sich weisen, je nachdem, was für das soziale Selbstbild erträglicher ist.

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Persönlichkeit, bzw. Persönlichkeitsstörungen werden ja übrigens auch heute vor Gericht bereits berücksichtigt, d.h. der Schuldbegriff berücksichtigt (psychische und sonstige) Zwangslagen.
kolja hat folgendes geschrieben:
Nicht wirklich.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wie meinst Du das?

So, wie weiter oben schon ausgeführt ... "Schuld-Paradoxon: Je schwerer die Straftat und die 'moralische' Schuld, desto deut­licher erkennbar ist die psychische Zwangs­situation der Täter" ... Du hattest versucht, dies abzuwiegeln, indem Du von "Ausnahmefällen" geredet hast, aber dieser Satz beschreibt die Regel.
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Beitrag(#579481) Verfasst am: 07.10.2006, 22:04    Titel: Antworten mit Zitat

kolja hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich glaube eben, dass ich zum Beispiel beim Autofahren die Kontrolle habe, obwohl nicht alle Vorgänge dabei bewusst ablaufen. Ich bin nicht mein Bewusstsein.

Nur fürs Protokoll: Du hast on-the-fly Deine Wortwahl geändert, von "Kontrolle durch das Bewusstsein", hin zu "Kontrolle durch das Ich (welches nicht nur das Bewusstsein ist)".

Ja, stimmt, denn "Kontrolle durch das Bewusstsein" könnte man auch so verstehen, als ob das Bewusstsein eine unabhängige Entität wäre. Das glaube ich aber nicht, daher möchte ich es lieber "bewusste Kontrolle durch das Ich" nennen, um das deutlicher zu machen.

kolja hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn man aber unter Kontrolle versteht, so wie ich das tue, dass man etwas will und dann Prozesse einleiten kann, um dieses Ziel zu erreichen und es dabei keine Rolle spielt, ob diese (untergeordneten) Prozesse im Einzelnen bewusst oder unbewusst ablaufen, dann kann ich bewusst steuern.

Diese Beschreibung ignoriert, dass das "bewusste Ich" sich auch bei Willensakten mit vollständig unbewussten Ursachen als Verursacher sieht und die Begründungen nachträglich erfindet.

Ja, das gibt es nachgewiesenermaßen auch und das ist sogar bei bewussten Handlungen so, dass man sich diese manchmal nachträglich schönredet, Begründungen erfindet und das dann selber auch glaubt. Daraus folgt aber nicht automatisch, dass dies auf alle oder die Mehrzahl der Situationen zutrifft.

kolja hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ja, das bedeutet aber nur, dass wir nicht die absolute Kontrolle haben, es bedeutet nicht, dass wir überhaupt keine bewusste Kontrolle haben.

Strohmann. Letzteres habe ich nicht behauptet, ich diskutiere die Frage, welchem Umfang diese "bewusste Kontrolle" hat.

Ja, ich doch auch. In den von mir beschriebenen Situationen hat man sie eben mMn (und ich glaube auch, dass Singer sie hatte, als er seinen Text schrieb).

kolja hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Nur finde ich es schon seltsam, wenn Du die Meinungen von Roth und Singer als "wissenschaftliches Modell" darstellst. Beide sind sowohl Naturwissenschaftler als auch Philosophen. Philosophen sind sie dann, wenn sie anfangen, die Ergebnisse ihrer neurologischen Forschungen zu interpretieren.

Ich diskutiere hier basierend auf Roths Darstellung von funktionalen Details der Handlungssteuerung, und diese Darstellung basiert nach meinem Verständnis nicht nur auf Ergebnissen der Hirnforschung, sondern gründet sich auch wesentlich auf Erkenntnisse anderer Humanwissenschaften. Sie kann daher als recht fundiert betrachtet werden. Aber immer dann, wenn diese funktionalen Zusammenhänge genauer thematisiert werden sollen, verweigerst Du Dich einer präziseren Diskussion (meine entsprechenden Fragen im vorangehenden Beitrag hast Du weggelassen) und flüchtest in die Kritik der Begriffe. Du behauptest dann, in den Begriffen wären bereits philosophische Schlussfolgerungen impliziert, dabei sollen es nur handliche Begriffe zur Beschreibung der funktionalen Zusammenhänge sein. Aber auch das habe ich schon ein paar Mal erwähnt.

Nein, so ist das nicht, ich denke nur, dass ein Teil der Ausführungen von Singer (von Roth kenne ich zu wenig) seine wissenschaftliche Arbeit beschreibt und dabei kann ich ihm meist folgen. Nur bei seinen Schlussfolgerungen habe ich eben Probleme.

kolja hat folgendes geschrieben:
Und jetzt aufeinmal wertest Du das gleiche Modell, dem Du ein paar Seiten vorher noch zustimmenderweise die Übereinstimmung mit "etwas reflektierten Alltagserfahrungen" attestiertest, als Einzelmeinung ab. Das soll noch einer verstehen.

Das habe ich hier versucht, auszuführen.

kolja hat folgendes geschrieben:
Was Das Singer-Zitat angeht ...

Singer hat folgendes geschrieben:
Wie aber kommen wir nun zu der unerschütterlichen Überzeugung, daß unser Ich freie Entscheidungen treffen und über Prozesse in unserem Gehirn verfügen kann?

... so finde ich, dass dieser Satz ziemlich genau Deine Position von weiter oben wiedergibt:

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wenn man aber unter Kontrolle versteht, so wie ich das tue, dass man etwas will und dann Prozesse einleiten kann, um dieses Ziel zu erreichen und es dabei keine Rolle spielt, ob diese (untergeordneten) Prozesse im Einzelnen bewusst oder unbewusst ablaufen, dann kann ich bewusst steuern.

Unterschiede lassen sich nur mittels Herummäkeln an den verwendeten Begriffen finden. Schulterzucken

Nehmen wir einmal Singers Satz. Den ersten Teil möchte ich nicht kommentieren, da Singer es wohlweislich versäumt, zu definieren, was er unter "frei" versteht. In seinem ganzen Essay tut er das nicht, um diesem Einwand gleich zu begegnen. Konzentrieren wir uns also auf den zweiten Teil: "Wie aber kommen wir nun zu der unerschütterlichen Überzeugung, daß unser Ich [...] über Prozesse in unserem Gehirn verfügen kann?" Er sagt implizit, dass diese Einschätzung falsch sei. Was aber genau könnte das bedeuten? Unser Ich ist doch bestimmte Prozesse in unserem Gehirn, wie also kann seine Aussage überhaupt einen Sinn ergeben? Wir sind diese Prozesse, also wie kann man sagen, man könne nicht darüber verfügen? Das bleibt mir unklar, es sei denn, man würde a) einen Dualismus propagieren (das Ich ist etwas von den Gehirnvorgängen getrenntes) oder b) das Ich als Epiphänomen abtun. Da ich aber bewusst meinen Arm heben kann und dazu zweifellos Vorgänge in meinem Gehirn notwendig sind, muss man, wenn man zugesteht, dass ich meine Armbewegung kontrollieren kann, auch die Kontrolle über die dazu notwendigen Hirnvorgänge zugestehen.

kolja hat folgendes geschrieben:
kolja hat folgendes geschrieben:
Gemütliches Tippern in einem Forum halte ich nicht für einen passenden Vergleich zu Handlungen, die schwere strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können, da dürften die zugrundeliegenden Motivationslagen ziemlich verschieden sein.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Ich habe hier keinen Vergleich gezogen und ich verstehe gar nicht, wie Du darauf kommst.

Ich habe nicht behauptet, dass Du diesen Vergleich ziehen wolltest, ich wollte nur zeigen, dass dieses Beispiel nicht taugt, um daraus irgendwelche Schlüsse bzgl. völlig anders motivierter Handlungen zu ziehen.

Stimmt, daraus kann man keine Schlüsse auf alle anderen Handlungen ziehen.

kolja hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Mir scheint, Du möchtest gerne, dass ich eine Position einnehme, die Du leichter angreifen kannst. Die gewünschte Position (= "wir" sind unser Bewusstsein) habe ich nun mal aber leider nicht.

Nein, ich wünsche mir vielmehr, dass Du in längeren Argumentationsketten nicht hin-und-herspringst zwischen verschiedenen Perspektiven, Definitionen und Argumentationsmustern. Ich habe jetzt aber keinen Bock mehr, die unzähligen Fälle hier zusammenzukratzen. Denke darüber nach oder lass es bleiben.

Besonders diese Diskussion ist schwierig, da die Grenzen unserer Sprache erreicht werden. Es kann hier nicht darum gehen, was jemand gesagt hat, sondern nur um das, was er gemeint hat, was er ausdrücken wollte. Wenn ich mich falsch verstanden fühle, oder auch missverständlich ausgerückt habe, was ich sicher oft tue, dann muss ich das eben wieder geraderücken, um meine ursprünglich gewollte Aussage verständlich zu machen.

Tut mir leid, wenn das falsch ankommt.

kolja hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
für die Zumessung von Verantwortung für eine Handlung ist es mMn erforderlich, dass diese Handlung der Persönlichkeit entspricht, also nicht von wesentlichen äußeren oder inneren (z.B. Sucht) Zwängen bedingt wurde.

Warum gehören "innere Zwänge" eigentlich nicht zur Persönlichkeit? Damit hängt doch nur noch von der Selbstauskunft des Täters ab, ob er unter Zwang handelte oder nicht, und wenn man seiner Auskunft nicht glauben mag, obliegt es der Willkür des Richters. Meiner Meinung nach gehören alle inneren Antriebe zur Persönlichkeit, nur das "bewusste Ich" kann diese wahlweise akzeptieren oder von sich weisen, je nachdem, was für das soziale Selbstbild erträglicher ist.

Wir hatten das schon einmal. Ich sehe das eben anders. Es gibt Persönlichkeitsstörungen, die man selber auch teilweise als nicht zu sich selbst gehörig erlebt und die man nicht kontrollieren kann. Das Tourette-Syndrom gehört zum Beispiel auch dazu. Stimmt schon, dass das durch einen Richter schwer zu beurteilen ist, inwieweit eine Persönlichkeitsstörung vorliegt, ich weiß auch nicht, ob man das zweifelsfrei feststellen kann. Der Willkür des Richters unterliegt das aber nicht, er wird in einem solchen Falle sicher einen Psychologen zu Rate ziehen.

kolja hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Die Persönlichkeit, bzw. Persönlichkeitsstörungen werden ja übrigens auch heute vor Gericht bereits berücksichtigt, d.h. der Schuldbegriff berücksichtigt (psychische und sonstige) Zwangslagen.
kolja hat folgendes geschrieben:
Nicht wirklich.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Wie meinst Du das?

So, wie weiter oben schon ausgeführt ... "Schuld-Paradoxon: Je schwerer die Straftat und die 'moralische' Schuld, desto deut­licher erkennbar ist die psychische Zwangs­situation der Täter" ... Du hattest versucht, dies abzuwiegeln, indem Du von "Ausnahmefällen" geredet hast, aber dieser Satz beschreibt die Regel.

Je schwerer die Straftat, desto deutlich erkennbarer ist die psychische Zwangssituation? Ist das tatsächlich so? Kennst Du zum Beispiel Jaques Mesrine? Hatte er eine psychische Zwangssituation? Ich habe mal ein Buch von ihm gelesen, mir scheint, das war nicht so. Was ist mit Magnus Gäfgen? Psychische Zwangslage?

Ich plädiere ja dafür, die psychischen Zwangssituationen zu untersuchen und zu berücksichtigen, aber ich denke nicht, dass dies auf die Mehrzahl der Täter zutrifft. Falls Du aber anderslautende Zahlen haben solltest, dann her damit.
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Deus ex Machina
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Beitrag(#582474) Verfasst am: 12.10.2006, 16:02    Titel: Antworten mit Zitat

Zumsel hat folgendes geschrieben:
Die Vorstellung, als Opfer eines Gewaltverbrechens mit ansehen zu müssen wie der Täter völlig straffrei ausgeht, erscheint mir beinahe unerträglich.


Gut, nehmen wir an, Du wirst nachts in einer dunklen Gasse zusammengeschlagen und ausgeraubt. Der Täter wird gefasst, Du erhältst Schmerzgeld und Deine Habseligkeiten zurück. Vor dem Prozess ist der anfängliche Groll etwas abegekühlt und Du setzt Dich interessehalber mit der Lebensgeschichte des Täters auseinander: In der "falschen" sozialen Schicht geboren, keine Vorbildfunktion seitens der Eltern, keine Ausbildung abgeschlossen, an die falschen Freunde und schliesslich in Geldnot geraten, so dass Du letztlich erkennst, dass es an jenem Abend eben tatsächlich nicht anders kommen konnte, als dass sich Eure Lebenslinien kreuzten, dass sich der Unglücksfall notwendig aus einer Reihe unglücklicher Bedingungen ergeben hat. Denkst Du nicht, dass dann Dein Vergeltungsbedürfnis eher einem vergeberischen Mitleid weichen würde? (Das soll keineswegs eine rhetorische Frage sein, mich interessiert wirklich Deine Einschätzung. Ich habe nur beschrieben, wie es bei mir wohl aussehen würde.)


Zitat:
Wenn dir jemand unter Einsatz seines eigenen Lebens das Leben rettet, sagst du dann: "Och jo, ich finds natürlich echt töffte, noch unter den Lebenden zu wandeln, aber dir dafür dankbar zu sein, wäre irrational, da du ja nur aufgrund vorherbestimmter Umstände so gehandelt hast."? Ich glaube nicht.


Das Beispiel halte ich in mehrfacher Weise für unzutreffend. Zuerst einmal geht es da um ein positives Gefühl - Dankbarkeit. Ich will meiner Dankbarkeit meinem Retter gegenüber Ausdruck verleihen und dieser empfindet das natürlich auch wohltuend, es geht dabei also um einen Akt, der beiden beteiligten, um es mit Deinen Worten zu sagen, einen ästhetischen Lustgewinn beschert. Daher spricht überhaupt nichts dagegen. Vergeltung wird aber in den allermeisten Fällen von dem Bestraften als negativ erlebt, weshalb mit ihrer Ausübung weitaus mehr Vorsicht geboten ist als mit Lob, Dankbarkeit usw. Weiter sprechen wir von der Justiz und nicht von zwischenmenschlichen Beziehungen. Unser soziales Leben würde wohl tatsächlich sehr frostig werden, wenn wir jede Art von positivem oder negativem Verhalten anderen Personen gegenüber an der Absicht der Einflussnahme ausrichten würden. Das halte ich keineswegs für erstrebenswert. Die Rechtsprechung aber hat sich, ich wiederhole mich da gerne, mE eben nicht von überschwänglichen Zu- oder Abneigungen sondern alleine vom Nutzen einer Massnahme leiten zu lassen.
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Deus ex Machina
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Beitrag(#582497) Verfasst am: 12.10.2006, 16:22    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Noch ein Wort, das ich nicht benutzt habe. "offenbar" ist nicht das gleiche wie "offensichtlich". zwinkern

Oh, in dem Zusammenhang ist das für mich das Gleiche. Was ist dMn der Unterschied?


"offenbar" meint für mich eher soviel wie "anscheindend", "so wie's aussieht", "allem Anschein nach".


AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Wenn C geschieht weil B und B geschieht weil A, dann geschieht C weil A.

Ein Verbrecher wird verurteilt, weil er willentlich und im Bewusstsein ein Unrecht zu tun gegen das Gesetz verstossen hat [von mir aus auch "etwas geplant und dieses dann auch ausgeführt hat"]. Dies hat er getan, weil er im Laufe seines Lebens bestimmten Einflüssen ausgesetzt war, und nur deswegen.

Folglich wird er verurteilt, weil er im Laufe seines Lebens bestimmten Einflüssen ausgesetzt war, für welche er nach jedem Verständnis des Begriffes nicht verantwortlich war.

Nein, er wird bestraft, weil er etwas geplant hat und dieses dann auch ausgeführt hat. Die Einflüsse, denen er dabei ausgesetzt war, und der Zwang, den diese Einflüsse verursacht haben, müssen in die Bewertung seiner Tat mit einfließen. Das führt aber mAn nicht dazu, jedwede Tat mit den äußeren Einflüssen zu entschuldigen.


Na gut, das haben wir ja schon mehrmals erfolglos auszudiskutieren versucht. Aber kannst Du aufzeigen, was Du an meinem Gedankengang für falsch hältst? Das kann nicht einfach dadurch geschehen, dass Du meiner Schlussfolgerung Deine Position entgegenstellst, ich würde wirklich gerne verstehen, an welcher Stelle Du einen logischen Fehler siehst.


AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
[...] Das absichtliche überfahren eines Kindes bewerte ich als moralisch schlechter als das fahrlässige. Aber ich sehe nicht, worauf diese Bewertung einen Einfluss haben, welche Rolle sie spielen soll.

Diese Bewertung ist schlicht inkonsistent, wenn Du meinst, man sei für seine Handlungen nicht verantwortlich und deshalb den Begriff "Schuld" ablehnst.

Vergessen wir kurz das Wort "verantwortlich": Inwiefern inkonsistent?

Weil das mAn mit dem Begriff "Schuld" synonym ist. Der eine ist schuldiger als der andere. Ob man den Begriff "Schuld" vermeiden will und das "moralisch schlechter bewerten" nennt, ist schnuppe, es bleibt trotzdem das Gleiche.


Kann ich so akzeptieren. Aber mir erschliesst sich einfach nicht, wie sich aus einer Schuld (in dem hier von Dir skzzierten Sinne und keinem anderen!) die moralische Legitimität einer Strafe ergeben soll, wenn man bestreitet, dass das etwas mit Rache/Antipathie zu tun hat. Du hast bisher noch nie versucht (oder ich habe den Versuch nicht als solchen bemerkt) diesen Zusammenhang zu modellieren. Ich sehe einfach keinen.
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Deus ex Machina
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Beitrag(#582643) Verfasst am: 12.10.2006, 19:00    Titel: Antworten mit Zitat

AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
[...] Aber jedes mal, wenn ich denke, ich habe Dich argumentativ in die Ecke gebracht, entkommst Du durch eine Begriffsumdeutung oder indem wir solange herumargumentatieren, bis die ursprünliche Absicht vergessen gegangen ist. Das funktioniert dann etwa so. [...]

Könntest Du das an einem konkreten Beispiel belegen?


Für den letzteren Punkt kannst Du irgend einen längeren Diskussionsstrang in diesem oder einem anderen Thread durchlesen. Bei diesem Punkt handelt es sich auch nicht um etwas, wobei ich speziell an Dich gedacht hätte, ich sehe darin ein grundsätzliches Problem von Diskussionen. Man setzt die Kette von Argument, Gegen-Argument, Gegen-Gegen-Argument usw. so lange fort, bis eben die Absicht des eigentlichen Argumentes vergessen war. Wenn dann schliesslich einer der Diskutanten das Gegen-Gegen-Gegen-...Argument seines Diskussionspartners anerkennt, wäre damit ja eigentlich Einigung über die ursprüngliche Frage erzielt, aber die ist dann lange vergessen.

In einer sehr kurzen Form findet man das in einem Wortwechseln, der sich hier in ähnlicher Form schon mehrmals abgespielt hat:

- MMn ist das Handeln eines Menschen nicht vollständig durch äussere Faktoren bestimmt. Der Täter hätte die Handlung durch einen anderen Willen abwenden können, er hätte wohl auch an seinem Charakter arbeiten können.

- Aber welcher Wille schliesslich die Oberhand gewinnt, wie er seinen Charakter verändert, ist doch eben letztlich durch seine Erziehung, Erlebnisse usw. bestimmt.

- Ja, und letztlich kann man die Kausalkette bis zum Urknall zurückverfolgen. Wofür oder wogegen soll das ein Argument sein?

Du sprichst Dich doch damit eigentlich implizit gegen Deinen ursprünglichen Standpunkt aus, dass "das Handeln eines Menschen nicht vollständig durch äussere Faktoren bestimmt" sei und akzeptierst unausgesprochen das Gegenargument, verstärkst dieses dann aber soweit (gehst von der Erziehung bis zum Urknall zurück), dass der Zusammenhang zum ursprünglichen Diskussionspunkt nicht mehr ersichtlich ist.


Ansonsten kann ich mich einigermassen dem anschliessen, was Kolja schon geschildert hat. Wenn wir z.B. folgendes Zitat von Dir betrachten:

Zitat:
Ich hätte sehr große Probleme damit, auf diese Zuordnung der Handlungen zu den handelnden Subjekte zu verzichten und immer nur zu denken: "sie können ja nichts dafür, der Urknall ist ja eigentlich die Ursache ihrer Handlungen", denn das würde diesen Menschen mMn teilweise ihr Menschsein, ihren Subjektstatus, ihre Persönlichkeit absprechen.


Du knüpfst dein Menschbild hier ausdrücklich daran, dass Handlungen nicht vollständig auf vorherige äussere Faktoren, im Extremfall den Urknall, zurückgeführt werden können. Damit musst Du unweigerlich die Vorstellung des Menschen, der als unbewegter Beweger neue Kausalketten in Gang setzen kann, vertreten. Wenn man das dann aber kritisiert, wird die Aussage soweit relativiert und zurechtgedeutet, dass sie mit der ursprünglichen nichts mehr zu tun hat.
Oder was würdest Du denn antworten, wenn ich Dich in Bezugnahme auf Dein obiges Zitat fragen würde: "Wie kann es denn sein, dass die Handlungen eines Menschen nicht letztlich durch den Urknall bedingt sind?" Es geht hier nicht um ein Menschenbild, um eine Betrachtungsweise, sondern um Tatsachen.

Auch den Begriff "frei" scheinst Du mir, wenn es um die Legitimität von Strafen geht, an einem Ende seines Bedeutungsspielraumes ("autonom", "Subjektstatus") zu gebrauchen, wenn es dann darum geht, ihn gegen Kritik von naturalistischer Seite zu schützen, am andern Ende, mit einem kompatibilistischen Verständnis. Dasselbe gilt für die Phrase vom "hätte auch anders gekonnt", "hätte unterlassen werden können", die Du jeweils bei Kritik soweit relativierst, dass sie nichts mehr anderes bedeutet, als dass die Handlung unter anderen Umständen einfach anders abgelaufen wäre. Wenn Du sie aber tatsächlich in diesem Sinne verstehst, stellt sich die Frage, weshalb Du sie dann jeweils als Antwort auf die Behauptung bringst, eine Hanldung sei notwendig so gekommen, hätte nicht anders ablaufen können, denn in diesem Sinne steht sie zu dieser Behauptung nicht mehr im Widerspruch.
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AgentProvocateur
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Anmeldungsdatum: 09.01.2005
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Beitrag(#583369) Verfasst am: 13.10.2006, 21:21    Titel: Antworten mit Zitat

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Wenn C geschieht weil B und B geschieht weil A, dann geschieht C weil A.

Ein Verbrecher wird verurteilt, weil er willentlich und im Bewusstsein ein Unrecht zu tun gegen das Gesetz verstossen hat [von mir aus auch "etwas geplant und dieses dann auch ausgeführt hat"]. Dies hat er getan, weil er im Laufe seines Lebens bestimmten Einflüssen ausgesetzt war, und nur deswegen.

Folglich wird er verurteilt, weil er im Laufe seines Lebens bestimmten Einflüssen ausgesetzt war, für welche er nach jedem Verständnis des Begriffes nicht verantwortlich war.

Nein, er wird bestraft, weil er etwas geplant hat und dieses dann auch ausgeführt hat. Die Einflüsse, denen er dabei ausgesetzt war, und der Zwang, den diese Einflüsse verursacht haben, müssen in die Bewertung seiner Tat mit einfließen. Das führt aber mAn nicht dazu, jedwede Tat mit den äußeren Einflüssen zu entschuldigen.

Na gut, das haben wir ja schon mehrmals erfolglos auszudiskutieren versucht. Aber kannst Du aufzeigen, was Du an meinem Gedankengang für falsch hältst? Das kann nicht einfach dadurch geschehen, dass Du meiner Schlussfolgerung Deine Position entgegenstellst, ich würde wirklich gerne verstehen, an welcher Stelle Du einen logischen Fehler siehst.

Ja, das haben wir in der Tat mehrmals und ausgiebig versucht, auszudiskutieren. Ich bin auch im Moment ein wenig ratlos, denn ich sehe nicht so richtig, wie wir hier weiterkommen können.

Sehe ich einen logischen Fehler? Nicht direkt, Deine Sichtweise ist eine von vielen möglichen und nicht direkt falsch, nur ist sie in diesem Zusammenhange, wenn man nämlich versucht, zu ergründen, ob moralische Bewertungen im Umgang miteinander sinnvoll seien, mMn wenig hilfreich. Betrachtet man einen Menschen nur als Produkt seiner äußeren Einflüsse, dann müsste sich meiner bescheidenen Meinung nach eine moralische Bewertung verbieten. Gesteht man dem Menschen aber einen wesentlichen Einfluss auf seine Handlungen zu und sieht ihn als selbstbestimmtes Subjekt, dann ist wiederum mMn eine moralische Bewertung möglich. Aber eben nur dann.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
[...] Das absichtliche überfahren eines Kindes bewerte ich als moralisch schlechter als das fahrlässige. Aber ich sehe nicht, worauf diese Bewertung einen Einfluss haben, welche Rolle sie spielen soll.

Diese Bewertung ist schlicht inkonsistent, wenn Du meinst, man sei für seine Handlungen nicht verantwortlich und deshalb den Begriff "Schuld" ablehnst.

Vergessen wir kurz das Wort "verantwortlich": Inwiefern inkonsistent?

Weil das mAn mit dem Begriff "Schuld" synonym ist. Der eine ist schuldiger als der andere. Ob man den Begriff "Schuld" vermeiden will und das "moralisch schlechter bewerten" nennt, ist schnuppe, es bleibt trotzdem das Gleiche.

Kann ich so akzeptieren. Aber mir erschliesst sich einfach nicht, wie sich aus einer Schuld (in dem hier von Dir skzzierten Sinne und keinem anderen!) die moralische Legitimität einer Strafe ergeben soll, wenn man bestreitet, dass das etwas mit Rache/Antipathie zu tun hat. Du hast bisher noch nie versucht (oder ich habe den Versuch nicht als solchen bemerkt) diesen Zusammenhang zu modellieren. Ich sehe einfach keinen.

Nun, wir müssen dazu erst einmal ein paar Prämissen aufstellen: es gibt Rechtsgüter, die geschützt werden müssen. Dazu gehört auf der einen Seite die Handlungsfreiheit jedes Bürgers und auf der anderen Seite die restlichen Rechtsgüter (Recht auf Leben, auf Eigentum, auf körperliche Unversehrtheit usw.). Wird eine darauf basierende Norm verletzt (jemand wird ermordet), dann kann es notwendig sein, zum Schutze dieser Normen die Handlungsfreiheit des Täters einzuschränken. Jedoch darf dies mMn nur in Abhängigkeit von der Schuld des Täters geschehen (im obigen Sinne - absichtlich und wissentlich). Ist der Täter im obigen Sinne unschuldig, dann darf mMn keine Strafe erfolgen.

Ich weiß nicht, ob Dir das als Legitimation ausreicht - denn letztlich ist es natürlich keine astreine Begründung, sondern eine Setzung, die von bestimmten Vorgaben ausgeht. Wichtig ist mir dabei, zu betonen, dass sich mMn aus einer Nichtschuld eine Nichtlegitimation einer Strafe ergibt.

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben:
Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
[...] Aber jedes mal, wenn ich denke, ich habe Dich argumentativ in die Ecke gebracht, entkommst Du durch eine Begriffsumdeutung oder indem wir solange herumargumentatieren, bis die ursprünliche Absicht vergessen gegangen ist. Das funktioniert dann etwa so. [...]

Könntest Du das an einem konkreten Beispiel belegen?
[...] In einer sehr kurzen Form findet man das in einem Wortwechseln, der sich hier in ähnlicher Form schon mehrmals abgespielt hat:

- MMn ist das Handeln eines Menschen nicht vollständig durch äussere Faktoren bestimmt. Der Täter hätte die Handlung durch einen anderen Willen abwenden können, er hätte wohl auch an seinem Charakter arbeiten können.

- Aber welcher Wille schliesslich die Oberhand gewinnt, wie er seinen Charakter verändert, ist doch eben letztlich durch seine Erziehung, Erlebnisse usw. bestimmt.

- Ja, und letztlich kann man die Kausalkette bis zum Urknall zurückverfolgen. Wofür oder wogegen soll das ein Argument sein?

Du sprichst Dich doch damit eigentlich implizit gegen Deinen ursprünglichen Standpunkt aus, dass "das Handeln eines Menschen nicht vollständig durch äussere Faktoren bestimmt" sei und akzeptierst unausgesprochen das Gegenargument, verstärkst dieses dann aber soweit (gehst von der Erziehung bis zum Urknall zurück), dass der Zusammenhang zum ursprünglichen Diskussionspunkt nicht mehr ersichtlich ist.

Das empfindest Du als Ausweichen meinerseits? Hm. Ich wiederum empfinde diese Argumentation als Umgehung der für die Diskussion eigentlich wichtigen Frage, inwieweit wir (die Menschen) unser Schicksal selber bestimmen können und inwieweit wir durch äußere Einflüsse fremdbestimmt sind. Eine Auflösung der Kausalkette bis zum Urknall, über den wir eigentlich nichts wissen (können) ist dabei einfach mMn nicht hilfreich. Können wir eine Kausalkette anstoßen oder können wir das nicht, d.h. können wir für eine Handlung eines Menschen diesen kausal verantwortlich machen? Das ist doch die Frage.

Für Euch (z.B. step, kolja, Du, enpassant) scheint alles so furchtbar einfach zu sein und sich auf die Frage zu konzentrieren: Können wir anders handeln, als es alle Umstände (innere und äußere) zum aktuellen Zeitpunkt ergeben? Da diese Frage zweifellos mit "Nein" beantwortet werden muss, meint Ihr daraus eine Erkenntnis gewonnen zu haben. Aber ist das wirklich so?

Haben wir einen Einfluss auf unsere Handlungen? Was verstehen wir überhaupt darunter, wenn wir "wir" sagen? Wie groß ist dieser Einfluss? Welche Schlussfolgerungen ergeben sich, wenn wir keinen Einfluss hätten, sondern alles durch äußere Einflüsse festgelegt wäre? Wieso können wir überhaupt moralische Bewertungen vornehmen, wenn alles ohne unseren Einfluss so abläuft, wie es abläuft? Warum bilden wir uns dann ein, überhaupt irgend etwas bewerten zu können, wenn diese Bewertung nur durch äußere Einflüsse vorgegeben wurde? Warum können wir überhaupt etwas erkennen, bzw. warum glauben wir, dass diese unsere angenommene Erkenntnis einen Bezug zur Realität hätte? Wenn alles einfach so abläuft, wie es abläuft, nämlich ohne dass wir einen wesentlichen Einfluss hätten, dann wäre dieser Glaube doch ziemlich irrational, oder etwa nicht? Können wir, wenn wir die Wahl haben, etwas zu tun, uns auch dafür entscheiden, es nicht zu tun? Spricht die Erkenntnis, dass wir im Nachhinein betrachtet, genau das getan haben, was wir getan haben, und nicht das getan haben, was wir nicht getan haben, wirklich dagegen, dass wir etwas anderes hätten tun können? Und ist der Einwand wirklich berechtigt, dass wir nur dann etwas anderes getan hätten, wenn wir etwas anderes gewollt hätten oder greift dieser Einwand nicht eine Selbstverständlichkeit an, d.h. verlangt er nicht im Endeffekt, dass wir etwas anders tun sollen können, als das, was wir wollen? Warum aber sollte man überhaupt etwas anderes tun wollen als das, was man tun will? Ist das nicht ein Verlangen einer Unmöglichkeit an sich?

Deus ex Machina hat folgendes geschrieben:
Auch den Begriff "frei" scheinst Du mir, wenn es um die Legitimität von Strafen geht, an einem Ende seines Bedeutungsspielraumes ("autonom", "Subjektstatus") zu gebrauchen, wenn es dann darum geht, ihn gegen Kritik von naturalistischer Seite zu schützen, am andern Ende, mit einem kompatibilistischen Verständnis. Dasselbe gilt für die Phrase vom "hätte auch anders gekonnt", "hätte unterlassen werden können", die Du jeweils bei Kritik soweit relativierst, dass sie nichts mehr anderes bedeutet, als dass die Handlung unter anderen Umständen einfach anders abgelaufen wäre. Wenn Du sie aber tatsächlich in diesem Sinne verstehst, stellt sich die Frage, weshalb Du sie dann jeweils als Antwort auf die Behauptung bringst, eine Hanldung sei notwendig so gekommen, hätte nicht anders ablaufen können, denn in diesem Sinne steht sie zu dieser Behauptung nicht mehr im Widerspruch.

Ich halte die Behauptung: "alles passiert so, wie es passiert" schlicht für eine Nullaussage. Keine Ahnung, wie wir hierbei weiterkommen können. Manchmal denke ich, dass wir eine andere Sprache sprechen.

Den Begriff "frei" möchte ich eigentlich fürderhin vermeiden, denn er wird hier offensichtlich meist so verstanden, dass man nur dann "wirklich frei" sei, wenn man absolut keinerlei Einflüssen unterliege, explizit auch nicht denen seiner eigenen Persönlichkeit, wenn man also keinerlei Einfluss auf seine Entscheidung hätte. Es ist unendlich banal, dass es eine solche Freiheit nicht geben kann, bzw. dass eine solche Entscheidung nichts mit einem selber zu tun hätte. Leider bringt aber mMn diese Feststellung keinerlei Erkenntnisgewinn. Für Euch aber anscheinend doch.

Ich bin dieser Diskussion ein wenig müde. Ihr habt einfach für Euch eine wahnsinnig tolle Erkenntnis gewonnen, von der Ihr auch merkwürdigerweise zu glauben scheint, dass sie ein unschlagbares Argument gegenüber Gläubigen sei. Ich bin einfach anderer Meinung, kann dies aber offensichtlich nicht vermitteln. Wie können wir also hier weiterkommen? Ich weiß es wirklich nicht.
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