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Land und Frieden

 
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Telliamed
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Anmeldungsdatum: 05.03.2007
Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten

Beitrag(#854691) Verfasst am: 07.11.2007, 09:59    Titel: Land und Frieden Antworten mit Zitat

"Und weil der Mensch ein Mensch ist,
Drum braucht er was zu essen, bitte sehr.
Es macht ihn ein Geschwätz nicht satt,
Das schafft kein Essen her."

Bertolt Brecht

Heute vor 90 Jahren, am 7. November 1917 gregorianischen Stils (am 25. Oktober nach dem bis 1918 in Russland geltenden julianischen Kalender), begann mit dem Schuss des Panzerkreuzers "Aurora" die Oktoberrevolution in Russland. Strategisch wichtige Punkte wurden besetzt - für Petrograd, wie die Hauptstadt St.Petersburg seit 1914 hieß, waren es die Brücken, das Telegrafenamt, die Waffenarsenale.

Die Szenen in Sergej Eisensteins Film sind sicher beeindruckend, mit Schüssen, Pulverdampf und stürmenden Matrosen. Doch der "Sturm auf das Winterpalais" in Petrograd hat so nicht stattgefunden. Die Verhaftung der Mitglieder der Provisorischen Regierung ging rasch und unspektakulär vor sich, in der Nacht gab es kaum Tote. Ministerpräsident Kerenskij hatte sich rechtzeitig abgesetzt, er starb 1970 hochbetagt in den USA.
Der Rat der Volkskommissare unter Lenin mit Trotzki als Militärspezialisten und Stalin als "Nationalitäten"-Minister übernahm die Macht im Lande, auf unterer Ebene die Räte (Sowjets) der Arbeiter, Bauern und Soldaten.

Russland befand sich 1917 im vierten Kriegsjahr. Die Versorgungslage in dem noch von Agrarverhältnissen geprägten Land war chaotisch. Der Hunger nach Land war weit verbreitet. Er hatte auch einige Jahre zuvor in Mexiko für eine Revolution gesorgt, die die Kulisse für viele spätere Filme abgab.
Der Krieg gegen die Mittelmächte, das kaiserliche Deutschland und Österreich-Ungarn, war nicht zu gewinnen. Am 26. Oktober 1917, nach dem Sturz der Provisorischen Regierung, boten die siegreichen Bolschewiki im "Dekret über den Frieden" den kriegführenden Mächten einen bedingungslosen Frieden an.
In Europa rollten die Kronen. Auf die Zarenkrone folgte die der Kaiser in Berlin und Wien, mehrere Königskronen in deutschen Territorien, und auch der Sultan des Osmanischen Reiches machte einem jungtürkischen Offiziersregime Platz.

Millionen junger Bauernburschen kehrten aus dem Krieg in die russischen Dörfer zurück. Sie hatten im wesentlichen nichts anderes gelernt, als zu töten. Sie nahmen jahrelang nicht an demokratischen Wahlen teil. In den Jahren des bis 1922 währenden Bürgerkrieges zogen sie marodierend durch das Land.

In Makarenkos Romanen, wie "Flaggen auf den Türmen", wurde gezeigt, wie ein entschlossener Pädagoge diese entwurzelten Jugendlichen in paramilitärischen Verbänden zusammenfasste, ihnen nützliche Aufgaben erteilte und ihnen zur Lösung dieser Aufgaben "Kollektivbewußtsein" einimpfte. Dieser Bestandteil der "Sowjetpädagogik" aus Bürgerkriegszeiten wurde auf die völlig anderen Bedingungen in der DDR übertragen.

Die jungen Männer aber, die durch den Krieg verroht waren und keine Vorstellung vom Wert des menschlichen Lebens hatten, konnte man nicht alle sinnvoll beschäftigen. Einem Teil von ihnen musste der Parteiführer Stalin besonders ab 1929 einen Feind zeigen, auf den sie losgelassen wurden. Das waren zunächst die vermögenden Bauern (Kulaken), das waren Geistliche der russisch-orthodoxen Kirche. Später wurde auch innerhalb der Partei gemordet. Man suchte und fand "Feinde" und erklärte sie zu ausländischen Agenten. Russland ist groß, der Zar ist weit, der Diktator hatte sich mit einer Aureole der Unangreifbarkeit versehen und einen Personenkult ohnegleichen gefördert.
Es
Zitat:
"mussten Leute gefunden werden, die zu einer solchen gesetzwidrigen Grausamkeit fähig waren, d.h. Leute von einer barbarisch-kriminellen Psychologie, die keinen Begriff vom Wert menschlichen Lebens hatten. Solche Leute fanden sich, und es waren nicht wenige."
Vladimir Kantor: Willkür oder Freiheit? Beiträge zur russischen Geschichtsphilosophie. Ediert von Dagmar Herrmann sowie mit einem Vorwort versehen von Leonid Luks. Stuttgart 2006, S. 167.

Während sich in Europa die Idee der freien Persönlichkeit durchsetzte, erfolgte hier eine Rückkehr zu archetypischen Strukturen, das "Wir" siegte über das "Ich", wie es schon Bakunin gefordert hatte. Die Zivilisation des Westens wurde in einer traditionellen Gesellschaft als etwas von außen Kommendes, etwas Bedrohliches wahrgenommen, als eine Kraft, die Verderben bringt - ihre Anhänger mußten deshalb vernichtet werden, und schließlich machte man auch um 1937 vor deren Familien nicht halt.
Bei dem Problem der Gewalt geht es im Grunde in Russland heute noch um eine Modifikation des Gewalt-Typs, denn die Gewalt wird nicht verschwinden.
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Telliamed
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Anmeldungsdatum: 05.03.2007
Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten

Beitrag(#854732) Verfasst am: 07.11.2007, 10:59    Titel: "Versöhnung" nach Revolutionen Antworten mit Zitat

Ausgangspunkt für die nachfolgenden Überlegungen ist die Annahme, dass nach dem Wechsel einer Staatsform, vor allem einer auf Gewalt setzenden Diktatur, immer eine nach Hunderttausenden oder Millionen zählende Trägerschicht übrig geblieben war, die von der gestürzten Herrschaft profitiert hatte. In Ländern mit über Jahrzehnten stabiler Demokratie scheint es recht einfach zu sein, mit moralischen Kategorien "Täter" und "Mitläufer" zu beurteilen.


Die Französische Revolution hatte gelehrt, dass es nach Wellen revolutionärer Ereignisse und des Bürgerkrieges wieder zu einer "nationalen Aussöhnung" kommen müsse. Innerhalb dreier Jahrzehnte wechselten von 1789 bis 1815 die Regime mehrfach. Die Akteure mußten sich anpassen oder sie gingen unter, einigen wenigen gelang es, sich zur Ruhe zu setzen. Royalisten, Anhänger der Konstituante, Girondisten, Jakobiner, Anhänger des Direktoriums, Bonapartisten und wieder Royalisten wechselten einander ab. Gestalten wie Fouche und Talleyrand schafften es, bis zu fünfmal die Seite zu wechseln.
1814/15 kamen die Königsanhänger und Adligen zurück, und etliche hatten nichts dazugelernt. Sie wollten ihre Ländereien wiederhaben und zu dem Zustand vor 1789 zurückkehren. Daraus wurde nichts. 1815 wurde noch der napoleonische Marschall Brune von einem royalistischen Mob gelyncht und Marschall Ney erschossen, Alexander I. und Wellington waren zwar von dieser Rache der Royalisten an dem Kriegshelden abgestoßen, unternahmen aber nichts, ihn zu retten. Es kam nicht zu einer massenhaften Rache der Wiedergekehrten und größerem Blutvergießen.
Bonapartistische und royalistische Eliten verschmolzen, wie es Balzac dargestellt hat, die Bauern profitierten, wenn sie sich auf die neuen Bedingungen umstellten, nur die Arbeiter gingen leer aus.

Nach dem Bürgerkrieg in Spanien und der fast vierzigjährigen Franco-Herrschaft vollzog sich 1975 ein unblutiger Übergang zur Demokratie, woran nicht zuletzt auch König Juan Carlos seinen Anteil hatte. Was lasen aber die Kinder in Spanien über die Zeit des Bürgerkrieges in ihren Schulbüchern? Wenig bis nichts. Erst jetzt, mehr als 30 Jahre nach dem Ende des Franco-Regimes, werden die Wunden der damaligen Zeit offengelegt, und in der Öffentlichkeit kommt es zu verhaltenen Diskussionen.

Andere mehr oder weniger erfolgreiche Modelle einer dringend nötigen "nationalen Aussöhnung" kann man in Südafrika und in einigen lateinamerikanischen Ländern beobachten.

Der Bürgerkrieg in Sowjetrussland 1918-1921/22 endete mit dem Exil oder der Vernichtung der einen Seite. Nachdem während der zweiten Phase der "Perestrojka" die Verbrechen des Stalinismus aufgedeckt wurden, die Leute 1989 atemlos zu Hause, auf den Straßen, in Geschäften den Fernsehübertragungen von Debatten zusahen, in denen mit dem bisherigen Regime abgerechnet wurde, setzte unter Jelzin und Putin eine Rückbesinnung auf den imperialen Gedanken ein, und die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit trat in den Hintergrund. Die Reichtümer des Landes wurden ausverkauft. Die Führung ist nicht an einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des Landes interessiert.

Im 1990 geeinten Deutschland wurde bis etwa 1993 noch eine Diskussion über "Versöhnung" geführt.
Danach hatte sich eine offizielle Deutung der Vergangenheit durchgesetzt, in den Massenmedien, an den Hochschulen und in den Schulen. In den neuen Bundesländern gibt es eine historische Alternativkultur, die aus biologischen Gründen bald nicht mehr existieren wird. Sie bringt eine sehr umfangreiche Literatur hervor, die oft gar nicht in die Bibliotheken kommt und nicht unbedingt PDS-nah zu sein braucht. Der in Irland lehrende Stefan Berger berichtete über diese "alternative historische Literatur im Osten Deutschlands" (ZfG 11, 2002, S. 1016ff.).
Bis 1993 gab es mehrere Bände einer Reihe "Weil das Land Versöhnung braucht", in denen u. a. Marion Gräfin Dönhoff, Günter Gaus, Friedrich Schorlemmer, Wolfgang Ullmann, Hans-Jochen Tschiche, Hans-Joachim Maaz zu Wort kamen. Ihr in dem Titel angesprochenes Anliegen ist untergegangen, die meisten Autoren leben nicht mehr. 2003/2004 wurde die untergegangene DDR noch mit einer "Spaßwelle" bedacht, die sich aber höchstwahrscheinlich nicht mehr wiederholen läßt. Der "Spiegel" hält es 2007 nach wie vor für nötig, Wolf Biermann als "Experten" zu Wort kommen zu lassen, der für aktuelle Zwecke, die Demontage der SPD, eingesetzt wird.

Junge Generationen kommen schließlich zum Zuge, die Fragen stellen werden, unter völlig veränderten Bedingungen.
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Peter H.
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Anmeldungsdatum: 24.06.2007
Beiträge: 9751

Beitrag(#854959) Verfasst am: 07.11.2007, 17:15    Titel: Antworten mit Zitat

Schön, dass dem großartigen Ereignis der Menschheit gedacht wird, dem Sabbat des Proletariats, der Morgenröte der Geschichte!!
http://www.jungewelt.de/2007/11-07/026.php
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Algol
Katholik, saugverwirrte schleichende Scharia



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Beiträge: 4797
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Beitrag(#854978) Verfasst am: 07.11.2007, 17:53    Titel: Re: Land und Frieden Antworten mit Zitat

Telliamed hat folgendes geschrieben:

Die jungen Männer aber, die durch den Krieg verroht waren und keine Vorstellung vom Wert des menschlichen Lebens hatten, konnte man nicht alle sinnvoll beschäftigen. Einem Teil von ihnen musste der Parteiführer Stalin besonders ab 1929 einen Feind zeigen, auf den sie losgelassen wurden. Das waren zunächst die vermögenden Bauern (Kulaken), das waren Geistliche der russisch-orthodoxen Kirche. Später wurde auch innerhalb der Partei gemordet. Man suchte und fand "Feinde" und erklärte sie zu ausländischen Agenten.


Der arme Stalin, da hatte er ein Horde Wilder, die nur gelernt hatten, zu kämpfen und trotz ihrer Jugend einfach zu doof waren, den Kartoffelanbau zu erlernen. Klar, das ist ein komplexer Vorgang:
Zuerst benötigt man Saatgut. Kein Mann, der aus einem Krieg zurückkommt und nur 7 Jahre lang Zeit hatte, kann Saatgut auftreiben. Und dann gibt es im kleinen Rußland natürlich auch kein Land, auf dem man Kartoffeln pflanzen könnte, alles bereits von alten Kleingärtnerinnen besetzt, welche die Abwesenheit der Jugend rücksichtslos dazu benutzten, sich listig das ganze Land unter den Rock zu reißen.
Und dann natürlich der gefährliche Kartoffelkäfer - obwohl, das dürfte kein Problem gewesen sein, denn zu töten hatten sie ja gelernt.
Und woher den Dünger nehmen, die viele dazu nötige Scheiße? Selber bauen wäre eine Möglichkeit, aber die jungen, wilden Barbarenkämpfer konnten nur eine einzige Art von Scheiße bauen.
Dann das Hacken, wer jahrelang einen polierten Gewehrkolben oder einen ergonomisch geformten Bajonettgriff in seinen zarten Kriegerhänden hielt, der konnte sich einfach nicht an die groben Harkenstiele gewöhnen. Und beim Umbringen von Menschen muß man auch nicht den Rücken krümmen, allerhöchstens beim Herausbrechen der Goldzähne.

Der verzweifelte, gebeutelte Stalin hatte also gar keine andere Wahl, er mußte diese faule, lernresistente und unfähige Bande junger Männer auf die Leute loslassen.

Das gleiche Problem hatte bekanntlich auch Hitler: was sollte er denn machen, mit den bequemen, lernunfähigen jungen Rückkehrern aus dem ersten Weltkrieg?
Zum Kartoffel- und Autobahnbau waren die einfach zu dämlich und zu verroht, er mußte einfach Krieg machen und sie auf die Juden und die Zigeuner loslassen.

Lediglich Adenauer kannte diese Probleme nicht: aus Hitlers Krieg kam kaum einer zurück ...
_________________
Leben kann tödlich sein
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Peter H.
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Anmeldungsdatum: 24.06.2007
Beiträge: 9751

Beitrag(#855009) Verfasst am: 07.11.2007, 18:39    Titel: Antworten mit Zitat

Was ist denn mit Dir los?? Mit den Augen rollen
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Telliamed
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Anmeldungsdatum: 05.03.2007
Beiträge: 5125
Wohnort: Wanderer zwischen den Welten

Beitrag(#855409) Verfasst am: 08.11.2007, 10:48    Titel: Antworten mit Zitat

@algol
Zitat:
Der arme Stalin, da hatte er ein Horde Wilder, die nur gelernt hatten, zu kämpfen und trotz ihrer Jugend einfach zu doof waren, den Kartoffelanbau zu erlernen. Klar, das ist ein komplexer Vorgang:
Zuerst benötigt man Saatgut. Kein Mann, der aus einem Krieg zurückkommt und nur 7 Jahre lang Zeit hatte, kann Saatgut auftreiben. Und dann gibt es im kleinen Rußland natürlich auch kein Land, auf dem man Kartoffeln pflanzen könnte, alles bereits von alten Kleingärtnerinnen besetzt, welche die Abwesenheit der Jugend rücksichtslos dazu benutzten, sich listig das ganze Land unter den Rock zu reißen.
Und dann natürlich der gefährliche Kartoffelkäfer - obwohl, das dürfte kein Problem gewesen sein, denn zu töten hatten sie ja gelernt.
Und woher den Dünger nehmen, die viele dazu nötige Scheiße? Selber bauen wäre eine Möglichkeit, aber die jungen, wilden Barbarenkämpfer konnten nur eine einzige Art von Scheiße bauen.
Dann das Hacken, wer jahrelang einen polierten Gewehrkolben oder einen ergonomisch geformten Bajonettgriff in seinen zarten Kriegerhänden hielt, der konnte sich einfach nicht an die groben Harkenstiele gewöhnen. Und beim Umbringen von Menschen muß man auch nicht den Rücken krümmen, allerhöchstens beim Herausbrechen der Goldzähne.

Der verzweifelte, gebeutelte Stalin hatte also gar keine andere Wahl, er mußte diese faule, lernresistente und unfähige Bande junger Männer auf die Leute loslassen.

Das gleiche Problem hatte bekanntlich auch Hitler: was sollte er denn machen, mit den bequemen, lernunfähigen jungen Rückkehrern aus dem ersten Weltkrieg?
Zum Kartoffel- und Autobahnbau waren die einfach zu dämlich und zu verroht, er mußte einfach Krieg machen und sie auf die Juden und die Zigeuner loslassen.

Lediglich Adenauer kannte diese Probleme nicht: aus Hitlers Krieg kam kaum einer zurück ...


Da habe ich ja mal wieder etwas angestellt. So etwas kommt bei stark verkürzter Geschichtsbetrachtung heraus. Oder wenn man keine Ironiesignale verwendet und der Leser nicht merkt, dass man nicht das weise Gesicht des Guido Knopp aufgesetzt hat.

Algol hat das bemerkt und gnadenlos seine Chance genutzt. Sogar noch den Kartoffelkäfer hat er eingebaut, obwohl der erst 1950 von der SED als CIA-Agent entlarvt wurde und erst 1960 die Grenzen der Sowjetunion erreichte.

Da wollte ich auf die Herkunft von "Stalins willigen Vollstreckern" (Achtung: Entlehnung von D.G.!) hinweisen. So wie auch Mussolinis Schwarzhemden, die den Marsch auf Rom 1922 antraten, aus bestimmten Gegenden kamen (und andere die Sümpfe trockenlegten), oder die durch die Weltwirtschaftskrise freigesetzten Braunhemden von 1933. Doch gab es nicht auch adelige Bewunderer Mussolinis (Film "1900"!) und führte nicht ein Prinz von Preußen die braunbehemdeten Schläger?

Da habe ich doch glatt die Machtgelüste des listigen georgischen Diktators außer acht gelassen, der nacheinander all seine wirklichen, eingebildeten und potentiellen Gegner aus dem Weg räumen wollte. Schließlich wurden ganze, nach Hunderttausenden und Millionen zählende Großgruppen aus dem Weg geräumt, eingesperrt, vernichtet, deportiert: die Kulaken, die Geistlichkeit (Spezifik dieses Forums: einige finden das womöglich bei dieser Gruppe noch gut), nichtrussische Völker, wie die Deutschen, die Tschetschenen, und 1953 wären auch die Juden dran gewesen, hätte nicht der Diktator seinen Geist aufgegeben.


Jetzt können die Angriffe gleich von mehreren Seiten kommen - nichts ist bloß mit Scylla und Charybdis: 1. Du versuchst, die Bedeutung der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution zu schmälern! (*wohlnochsontotalitarismusdoktrinfänwa*) 2. Du machst Stalin verantwortlich für die Gräuel, und was ist mit dem hehren Lenin? 3. Liegt es nicht im Wesen des Kommunismus, dass alles aus dem Weg geräumt wird, was nicht der Einheitsvorstellung entspricht (*Schwarzbuchdeskommunismusschonausdertaschelugt*)? 4. Aha, Du personalisierst die Geschichte und läßt völlig die Neue Ökonomische Politik und die Industrialisierung in Russland außer acht, die die sozialen Verhältnisse veränderten!


Ja, vieles lief schon schief, weil die erwartete Weltrevolution nicht ausbrach. Falsche Prognose.

Nach dem Bürgerkrieg hungerten die Arbeiter in den Städten, also muß man auf dem Lande Marktverhältnisse einführen, damit etwas Getreide oder diese verdammte deutsche Kartoffel ("kartoshka" in Russland eher Beilage, denn Grundnahrungsmittel, das ist "kasha", die Buchweizengrütze) auf den Tisch kommt, verkündete Lenin
und erlitt daraufhin drei Schlaganfälle, nachdem noch schnell das sich nach Versailles ebenso in einer prekären Situation gegenüber den Westmächten befindliche Deutschland durch den Rapallo-Vertrag von 1922 zum Freund gemacht wurde.

Wenn man Krieg mit all den übrigen imperialistischen Gegnern führen will, die das Land umkreisen und bereit sind, über einen herzufallen, braucht man eine Rüstungsindustrie. Arbeitskräfte hat man ja genug, schon Peter der Große hat ganze Dörfer den Uralbergwerken zugeschrieben. Spezialisten holt man sich aus dem Ausland. Bloß machen Panzer und Kanonen nicht satt, das Volk will satt werden und will konsumieren (bloß gut, daß niemand weiß, wie man im Westen lebt). Jetzt werden "Volksfeinde" gesucht - doch ach, ich mache es mir wahrscheinlich schon wieder zu einfach.

Allen Lenin-Fans empfehle ich wärmstens die Lektüre von "Die Entwicklung des Kapitalismus in Russland", 1898 in der sibirischen Verbannung geschrieben. Ein im Westen verhafteter Stasi-Agent ließ sich den mehr als 700 Seiten zählenden Wälzer in die Zelle bringen, in dem auf Dutzenden von Seiten die Militärpferde in den einzelnen russischen Gouvernements ausgezählt wurden. Wenn Friedrich Hebbel jedem die Krone von Polen versprochen hatte, der freiwillig Adalbert Stifters "Nachsommer" bis zu Ende lese (ich habe ihn siebenmal gelesen), so verspreche ich jedem den Ehrentitel "Held der sozialistischen Arbeit", der dieses Buch zu Ende liest. Der Agent hatte sich das Rauchen abgewöhnt und zehn Pfund zugelegt.


Wo war ich doch gleich stehengeblieben? Ja, der Diktator. Und kann man nicht doch dabei bleiben, dass von der Beschaffenheit des Menschen, der es mit List, Dolch, das Kapital der Geldsäcke oder durch die dumpfe Begeisterung einer Masse an die Spitze eines Landes gebracht hat, abhängt, welche Variante der Entwicklung sich durchsetzt? Die Frage darf erlaubt sein, ob es bei einer anderen Persönlichkeit nicht hätte anders kommen können.

Ach, ich höre auf, schließlich muß man heute auch noch was tun ...
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