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Vargtimmen registrierter User
Anmeldungsdatum: 30.08.2005 Beiträge: 107
Wohnort: Duisburg
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(#900156) Verfasst am: 03.01.2008, 19:44 Titel: Sinnbedürfnis der Menschen in der säkularisierten Gesellschaft? |
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(Zuerst einmal entschuldige ich mich dafür nicht alle Threads durchsucht zu haben, da ich vermute, dass das Thema durchaus schonmal angesprochen wurde.)
Meine Frage bezieht sich vor allem darauf in wiefern nicht auch ein Mangel an "Sinn" in der Gesellschaft entstehen würde, wenn das Konzept "Imagine no religion" mehr als nur eine utopische Wunschvorstellung wäre.
Religionen stellen spekulative Glaubenssätze auf, die wir durchaus als eben solche theoretisch nicht beweisbaren Sätze ablehnen können, da sie entweder unserem subjektiven Für-wahr-halten nicht entsprechen oder einfach einer wissenschaftlichen, logischen ... Überprüfung nicht standhalten.
Dessen völlig ungeachtet versucht der Mensch aber immer auch Sinn in einer prinzipiell sinnlosen Umwelt zu produzieren um so die Komplexität und Kontingenz einer in der Moderne sinnentfremdeten Umwelt zu reduzieren und sich ein einigermaßen homogenes Weltbild zu erschaffen.
Im Zuge der Säkularisierung der Gesellschaft sucht sich der atheistische/agnostizistische Mensch - so ist zumindest die Theorie - sinnstiftende funktionale Äquivalente zur Religion, als Beispiel seien z.B. Szenen, Nationalitäten, Esoterik, Ideologien, Kapitalismus, Konsum genannt, die ähnlich wie die Religion auch einigermaßen homogene Weltbilder produzieren können.
(Hier ist sicherlich Kritikpotential vorhanden, s. unten)
Gleichzeitig begegnen uns hier aber nun defizitäre Parallelen, die man schon bei den dogmatischen, institutionalisierten Religionsgemeinschaften erkennen kann: das Plus an Freiheit in der Gesellschaft steht einem Minus an Freiheit durch einengende Weltbilder gegenüber.
Hierdurch entsteht eine recht dilemmatische Entweder-Oder-Situation:
will ich entweder Freiheit, gleichzeitig aber eine gewisse Beliebigkeit meiner Perspektiven (Stichworte: Pluralismus, Perspektivismus, evtl. Nihilismus),
oder will ich ein homogenes, zentriertes Weltbild, gleichzeitig aber einen deutlichen Verlust an Freiheit.
Lässt sich hier nun vielleicht ein Mittelweg finden oder soll der Mensch das Sinndefizit durch andere Konzepte als Religion überwinden, die gleichzeitig noch Freiheit garantieren?
Den Spruch, den ich mal irgendwo gelesen hab, "Wer Kunst, Philosophie [etc?] hat, brauch keine Religion" fand ich interessant, es fehlt mir allerdings noch eine explizitere und theoretische Eröterung wie gerade diese Formen auch Sinn produzieren können (Buchempfehlungen?)
Was haltet ihr vielleicht von religionsphilosophischen Vorstellungen, wie "Gott als regulativer Idee" bei Immanuel Kant oder Karl Jaspers "philosophisch Glaubendem", dem Pantheismus oder der individuellen Suche nach Gott, fernab der Kirchen (Hape Kerkeling?)
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Raphael auf Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 01.02.2004 Beiträge: 8362
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(#900166) Verfasst am: 03.01.2008, 19:54 Titel: |
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Es ist ein typischer Bestandteil von Religionen, dass sie dem menschlichen Leben, ja der Existenz des Universums einen "Sinn" unterzuschieben trachten, der selbstverständlich aus der jeweiligen Religion selbst abgeleitet wird. Wer frei von Religion ist, bedarf dieser ebenso albernen wie abwegigen Denkfigur nicht.
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Gustav Aermel dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 05.04.2007 Beiträge: 1811
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(#900169) Verfasst am: 03.01.2008, 19:56 Titel: Re: Sinnbedürfnis der Menschen in der säkularisierten Gesellschaft? |
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Vargtimmen hat folgendes geschrieben: | eine gewisse Beliebigkeit meiner Perspektiven (Stichworte: Pluralismus, Perspektivismus, evtl. Nihilismus), |
Ich erkenne nicht, was daran so schlimm sein soll?
Benötige deshalb Erläuterung, bitte.
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Wraith diskordianischer Papst
Anmeldungsdatum: 24.06.2007 Beiträge: 3189
Wohnort: Regensburg
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(#900171) Verfasst am: 03.01.2008, 19:57 Titel: |
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Raphael hat folgendes geschrieben: | Wer frei von Religion ist, bedarf dieser ebenso albernen wie abwegigen Denkfigur nicht. |
Oder kann sich frei eine wählen oder formen (oder eben auch nicht). Freiheit!
_________________ "Das ganze Problem ignorieren. Wenn man so tut, als ob es nicht existiert, glaubt es das vielleicht auch."
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Evilbert auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 16.09.2003 Beiträge: 42408
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(#900178) Verfasst am: 03.01.2008, 20:02 Titel: Re: Sinnbedürfnis der Menschen in der säkularisierten Gesellschaft? |
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Vargtimmen hat folgendes geschrieben: |
Im Zuge der Säkularisierung der Gesellschaft sucht sich der atheistische/agnostizistische Mensch - so ist zumindest die Theorie - sinnstiftende funktionale Äquivalente zur Religion, als Beispiel seien z.B. Szenen, Nationalitäten, Esoterik, Ideologien, Kapitalismus, Konsum genannt, die ähnlich wie die Religion auch einigermaßen homogene Weltbilder produzieren können. |
Das ist leider nicht nur Theorie, sondern reinster bullshit.
Von einer Suche nach "sinnstiftenden funktionalen Äquivalenten zur Religion" kann bei den meisten Stammusern hier nicht die Rede sein...
...und Atheisten und homogenes Weltbild... meine Fresse, dass ist ja empirisch schon durch dieses Forum widerlegt.
Zitat: | Was haltet ihr vielleicht von religionsphilosophischen Vorstellungen, wie "Gott als regulativer Idee" bei Immanuel Kant oder Karl Jaspers "philosophisch Glaubendem", dem Pantheismus oder der individuellen Suche nach Gott, fernab der Kirchen (Hape Kerkeling?) |
Jaspers kenn ich nicht wirklich. Vom Rest: nix bzw. genausoviel wie von Astrologie, Uri Geller oder dem dunkelblauen Popelmonster.
Also doch echt nix.
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Rasmus entartet und notorisch gottlos - Ich bin Papst
Anmeldungsdatum: 20.05.2004 Beiträge: 17559
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(#900179) Verfasst am: 03.01.2008, 20:04 Titel: |
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Ich versteh die Frage nicht.
Was soll das sein, "Sinn", in Bezug auf mein Leben?
Ich meine das ganz ehrlich: Ich verstehe das Problem nicht und begreife daher nicht, wie "Gott" oder "Religion" eine Antwort auf die Frage sein können.
Und solange ich das Problem nicht als solches erkannt habe, und es nicht verstanden habe werde ich mir weder eine Lösung aufschwatzen lassen, noch nach alternativen Lösungen suchen.
Die Diskussion stellt sich mir wie folgt dar:
Gläubiger: "Wie bringst Du Dein Auto zum Fliegen? Ich nehme einen großen Ballon.
Ungläubiger: "Man könnte auch Flüge benutzen, dann fliegt das auto auch!"
Gläubiger: "Das kann man überhaupt nicht vergleichen. Außerdem fehlt Dir dann immer noch eine Methode um für Schub zu sorgen. Deine Flügel sind kein vollwertiger Ersatz."
Ungläubiger: "Aber mein Auto fliegt dann viel schneller!"
Gläubiger: "Wer will das überhaupt, ist doch viel gemütlicher ..."
Ich: "Autos sind zum Fahren da, nicht zum fliegen. Für die Fälle wo ich fliegen will gibt es völlig adäquate Verkehrsmittel. Man nennt sie Flugzeuge."
Gläubiger: "Du gibst also zu, daß selbst atheisten manchmal das Bedürfnis haben, zu fliegen!"
Ich:
_________________ Brother Sword of Enlightenment of the Unitarian Jihad
If you ask the wrong questions you get answers like '42' or 'God'.
"Glaubst Du noch oder hüpfst Du schon?"
Sylvia Browne - Wahrsager oder Scharlatan?
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Vargtimmen registrierter User
Anmeldungsdatum: 30.08.2005 Beiträge: 107
Wohnort: Duisburg
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(#900180) Verfasst am: 03.01.2008, 20:05 Titel: |
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Perspektivismus, Pluralismus usw. sind "an sich" natürlich nichts schlimmes. Wer damit zurechtkommt, wunderbar!
Vielen Menschen machen aber genau jene ziemliche Angst, was darauf beruht, dass eben die Realität "eben so aber auch ganz anders" sein könnte, oder dass es keine objektive, allgemeingültige Basis für Werte zu geben scheint, sondern dass sich diese von Kultur zu Kultur unterscheiden können, oder dass sie einfach keinen sozialen Zusammenhalt, keine Übereinstimmungen mehr finden können.
Deshalb spreche ich von Sinndefizit.
Noch etwas akzentuierter:
"Was die Menschen und die Zivilisation zusammenhält, sind Geschäftsverbindungen. Das ist die eigentliche Krise der Postmoderne." (Jeremy Rifkin)
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Gustav Aermel dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 05.04.2007 Beiträge: 1811
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(#900188) Verfasst am: 03.01.2008, 20:13 Titel: |
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Vargtimmen hat folgendes geschrieben: | "Was die Menschen und die Zivilisation zusammenhält, sind Geschäftsverbindungen. Das ist die eigentliche Krise der Postmoderne." (Jeremy Rifkin) |
Coole Zitate sind doll, aber was meint er mit zusammenhält?
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Arrivederci auf Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 14.11.2006 Beiträge: 747
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(#900190) Verfasst am: 03.01.2008, 20:16 Titel: Re: Sinnbedürfnis der Menschen in der säkularisierten Gesellschaft? |
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Evilbert hat folgendes geschrieben: | Vargtimmen hat folgendes geschrieben: |
Im Zuge der Säkularisierung der Gesellschaft sucht sich der atheistische/agnostizistische Mensch - so ist zumindest die Theorie - sinnstiftende funktionale Äquivalente zur Religion, als Beispiel seien z.B. Szenen, Nationalitäten, Esoterik, Ideologien, Kapitalismus, Konsum genannt, die ähnlich wie die Religion auch einigermaßen homogene Weltbilder produzieren können. |
Das ist leider nicht nur Theorie, sondern reinster bullshit.
Von einer Suche nach "sinnstiftenden funktionalen Äquivalenten zur Religion" kann bei den meisten Stammusern hier nicht die Rede sein... |
Vielleicht sind sie gerade deshalb hier Stammuser: Weil es hier Konsens ist, dass das reinster Bullshit ist
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Vargtimmen registrierter User
Anmeldungsdatum: 30.08.2005 Beiträge: 107
Wohnort: Duisburg
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(#900197) Verfasst am: 03.01.2008, 20:18 Titel: |
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Das Problem stellt sich nicht unbedingt in Bezug auf euer Leben, die gesellschaftliche Wirkung allgemein ist aber dennoch eigentlich nicht verkennbar.
Wie erklärt ihr euch sonst z.B. den auch hier beobachtbaren Esoterik-Boom? Es geht gar nicht darum, dass der Atheismus daran Schuld sei oder dass Esoteriker=Unreligiöse sind, vielleicht muss ich mich deshalb nochmal verbessern, sondern darum, dass sich viele Menschen ziemlich alleine in einer sinnentfremdenten, komplexen, entzauberten Umwelt befinden. (Vgl. z.B. Durkheim)
Es geht daher eher um die Offenheit menschlicher Lebenserfahrung, die eine so große Belastung für den Menschen darstellen kann.
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Arrivederci auf Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 14.11.2006 Beiträge: 747
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(#900198) Verfasst am: 03.01.2008, 20:18 Titel: |
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Edit: Muss doch mal wieder Jaspers...
Was ich aus seiner Biographie noch weiß, ist, dass er aufgrund einer Nierenerkrankung praktisch ans Haus gefesselt war (weil er kein "öffentliches Ärgernis" erregen wollte/durfte).
Daher seine Hochschätzung der Kommunikation - wegen der er von vielen Heutigen wiederentdeckt wird, wenngleich aus anderen Gründen.
Notiz für morgen: "Jaspers und Jeanne Hersch" (Schülerin von ihm).
Zuletzt bearbeitet von Arrivederci am 03.01.2008, 20:23, insgesamt 2-mal bearbeitet |
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Louseign (-)
Anmeldungsdatum: 02.06.2006 Beiträge: 5585
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(#900200) Verfasst am: 03.01.2008, 20:20 Titel: |
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Vargtimmen hat folgendes geschrieben: | Perspektivismus, Pluralismus usw. sind "an sich" natürlich nichts schlimmes. Wer damit zurechtkommt, wunderbar!
Vielen Menschen machen aber genau jene ziemliche Angst, was darauf beruht, dass eben die Realität "eben so aber auch ganz anders" sein könnte, oder dass es keine objektive, allgemeingültige Basis für Werte zu geben scheint, sondern dass sich diese von Kultur zu Kultur unterscheiden können, oder dass sie einfach keinen sozialen Zusammenhalt, keine Übereinstimmungen mehr finden können.
Deshalb spreche ich von Sinndefizit. |
Das liest sich in meinen Augen ziemlich konformistisch: wenn nicht alle Menschen dasselbe tun, denken und fühlen, bekommen viele Menschen Angst, behauptest du.
Und diese Angst darf deiner Meinung nach nicht sein. Das halte ich für falsch. Diese Menschen, egal wie viele das sein mögen, müssen einen Weg finden, ihre Angst zu bewältigen, der andere Menschen in ihrer Freiheit nicht beschneidet.
Außerdem verstehe ich nicht ganz, wieso es Angst machen kann, dass andere Menschen einen Sinn auf andere Weise finden, als man selbst. Oder vielleicht sogar, auf eine Sinnsuche komplett verzichten. Kannst du das evtl. genauer erklären?
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Evilbert auf eigenen Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 16.09.2003 Beiträge: 42408
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(#900203) Verfasst am: 03.01.2008, 20:24 Titel: |
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Vargtimmen hat folgendes geschrieben: | Das Problem stellt sich nicht unbedingt in Bezug auf euer Leben, die gesellschaftliche Wirkung allgemein ist aber dennoch eigentlich nicht verkennbar.
Wie erklärt ihr euch sonst z.B. den auch hier beobachtbaren Esoterik-Boom? Es geht gar nicht darum, dass der Atheismus daran Schuld sei oder dass Esoteriker=Unreligiöse sind, vielleicht muss ich mich deshalb nochmal verbessern, sondern darum, dass sich viele Menschen ziemlich alleine in einer sinnentfremdenten, komplexen, entzauberten Umwelt befinden. (Vgl. z.B. Durkheim)
Es geht daher eher um die Offenheit menschlicher Lebenserfahrung, die eine so große Belastung für den Menschen darstellen kann. |
Mit der Schwäche der herkömmliche Kirchen bzw. der zunehmenden Vernunft hat es jedenfalls primär nichts zu tun.
Der Esoterikkram waren schon immer beliebt, das hat auch prima paralell geklappt.
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LingLing registrierter User
Anmeldungsdatum: 25.04.2007 Beiträge: 2720
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(#900204) Verfasst am: 03.01.2008, 20:25 Titel: |
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Vargtimmen hat folgendes geschrieben: | Perspektivismus, Pluralismus usw. sind "an sich" natürlich nichts schlimmes. Wer damit zurechtkommt, wunderbar!
Vielen Menschen machen aber genau jene ziemliche Angst, was darauf beruht, dass eben die Realität "eben so aber auch ganz anders" sein könnte, oder dass es keine objektive, allgemeingültige Basis für Werte zu geben scheint, sondern dass sich diese von Kultur zu Kultur unterscheiden können, oder dass sie einfach keinen sozialen Zusammenhalt, keine Übereinstimmungen mehr finden können.
Deshalb spreche ich von Sinndefizit.
Noch etwas akzentuierter:
"Was die Menschen und die Zivilisation zusammenhält, sind Geschäftsverbindungen. Das ist die eigentliche Krise der Postmoderne." (Jeremy Rifkin) |
Wenn du sagst, viele Menschen haben eine Angst usw... , dann stellt sich mir die Frage, mit wie vielen Menschen du gesprochen hast und ob diese Gruppe für die Bevölkerung der Republik repräsentativ ist.
Eine ähnliche Argumentation habe ich mal aus christlichen Kreisen gehört. "Auch wenn Gott nicht existiert, wäre dann das Christentum nicht eine Möglichkeit, den Menschen Werte und einen Lebenssinn zu geben, Gemeinschaft zu spenden usw."
Oder noch eine Stufe ekliger. "Viele Menschen denken nicht so weit wie du und ich, sie bedürfen sozusagen der Führung usw."
Menschen die so argumentieren ist die Stellung im Werke wichtiger, als das Werk selbst.
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Gustav Aermel dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 05.04.2007 Beiträge: 1811
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(#900213) Verfasst am: 03.01.2008, 20:29 Titel: |
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Vargtimmen hat folgendes geschrieben: | vielleicht muss ich mich deshalb nochmal verbessern, sondern darum, dass sich viele Menschen ziemlich alleine in einer sinnentfremdenten, komplexen, entzauberten Umwelt befinden. (Vgl. z.B. Durkheim) |
Sag doch gleich, dass die dumm sind.
Vargtimmen hat folgendes geschrieben: | Es geht daher eher um die Offenheit menschlicher Lebenserfahrung, die eine so große Belastung für den Menschen darstellen kann. |
Offenheit?
Was meinste damit wieder?
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LingLing registrierter User
Anmeldungsdatum: 25.04.2007 Beiträge: 2720
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(#900218) Verfasst am: 03.01.2008, 20:32 Titel: Re: Sinnbedürfnis der Menschen in der säkularisierten Gesellschaft? |
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Vargtimmen hat folgendes geschrieben: |
Im Zuge der Säkularisierung der Gesellschaft sucht sich der atheistische/agnostizistische Mensch - so ist zumindest die Theorie - sinnstiftende funktionale Äquivalente zur Religion, als Beispiel seien z.B. Szenen, Nationalitäten, Esoterik, Ideologien, Kapitalismus, Konsum genannt, die ähnlich wie die Religion auch einigermaßen homogene Weltbilder produzieren können. |
Ich kann bei mir kein Äquivalent entdecken. Ich bin nur ein mit Wasser gefüllter Kohlenstoffsack, der auf einer organischen Verschmutzung haust und es macht mir gar nix aus.
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Vargtimmen registrierter User
Anmeldungsdatum: 30.08.2005 Beiträge: 107
Wohnort: Duisburg
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(#900233) Verfasst am: 03.01.2008, 20:42 Titel: |
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Zitat: | Das liest sich in meinen Augen ziemlich konformistisch: wenn nicht alle Menschen dasselbe tun, denken und fühlen, bekommen viele Menschen Angst, behauptest du.
Und diese Angst darf deiner Meinung nach nicht sein. |
Mein Beitrag war in keinem Fall normativ gemeint, wobei das ganze Thema eigentlich eine viel breitere Erläuterung bräuchte, die ich hier nicht geben kann.
Es geht mir vor allem um die gesellschaftlich-strukturellen Veränderungen, die sich im Zuge der Modernisierung sowohl auf systemtheoretischer wie auf handlungstheoretischer Seite abgespielt haben und z.B. von Weber, Durkheim etc. beschrieben wurden.
Ein homogenes Weltbild gibt es aufgrund dieses Modernisierungs- und Rationalisierungsprozesses eben nicht mehr, vielmehr sind eben jene Subsysteme Recht, Moral etc. entstanden, die immer auf partikulare, abgeschlossene Sinnzusammenhänge verweisen, anstatt eine uniforme, allgemeingültige Welt- und Sinndeutung anzubieten.
Klar müssen wir deshalb diese Entwicklung als Fortschritt z.B. in der gesellschaftlichen Freiheit betrachten und ich bin um Gottes Willen kein Konformist.
Das Bedürfnis die Offenheit der immer komplexeren Lebenszusammenhänge allerdings zu überwinden, scheint doch dennoch zu bleiben. Warum pilgern denn so viele Religiöse zum WJT und predigen den tollen Zusammenhalt, natürlich nur in dieser partikularen Religionsgemeinschaft?
Und hier fängt doch eigentlich auch mein Problem an. Zusammenhalt, Gemeinschaft und den Sinn im Leben zu finden ist ja schön und gut, allerdings bewegt man sich doch automatisch immer in abgeschlossenen, einengenden Weltbildern, die die Freiheit wiederrum verhindern.
Wie soll also die Hausfrau von nebenan ihren "Sinn im Leben" finden wenn nicht durch Religion, durch Esoterik etc.? Ich würde diese Frage nach dem Sinn im Leben auf keinen Fall unterschätzen!
Zitat: | Außerdem verstehe ich nicht ganz, wieso es Angst machen kann, dass andere Menschen einen Sinn auf andere Weise finden, als man selbst. Oder vielleicht sogar, auf eine Sinnsuche komplett verzichten. Kannst du das evtl. genauer erklären? |
Ein Mensch, der seinen Sinn im Leben sucht und auf 1000 andere verschiedene Möglichkeiten trifft, die ihm einen jeweils anderen Sinn anbieten, wird große Schwierigkeiten haben überhaupt noch so etwas wie eine auch wirklich zutreffende, allgemeingültige Weltdeutung produzieren zu können, vielmehr könnte es ja so, aber auch ganz anders sein. Wer weiß das schon. Vielmehr ist eben alles relativ. Das kann schnell in Enttäuschung umschlagen, wenn man eben merkt, dass meine eigene Ansicht im Prinzip richtig, aber im Prinzip auch falsch sein könnte. Die Offenheit der Lebenszusammenhänge kann also nicht überwunden werden, bleibt vielmehr genauso bestehen. Mit eindeutigen Weltbildern gab es dieses Problem noch nicht. Deshalb suche ich mir irgendeine Gemeinschaft, die mir garantiert, dass ich genau den richtigen Sinn gefunden habe.
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Vargtimmen registrierter User
Anmeldungsdatum: 30.08.2005 Beiträge: 107
Wohnort: Duisburg
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(#900238) Verfasst am: 03.01.2008, 20:48 Titel: |
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Zitat: | Offenheit?
Was meinste damit wieder? |
Kontingenz.
„Kontingent ist etwas, was weder notwendig ist noch unmöglich ist; was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist. Der Begriff bezeichnet mithin Gegebenes (zu Erfahrendes, Erwartetes, Gedachtes, Phantasiertes) im Hinblick auf mögliches Anderssein; er bezeichnet Gegenstände im Horizont möglicher Abwandlungen.“ (Niklas Luhmann: Soziale Systeme, 1984, S. 152, Luhmann 1993 (4)).
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Kontingenz_%28Soziologie%29
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Gustav Aermel dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 05.04.2007 Beiträge: 1811
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(#900240) Verfasst am: 03.01.2008, 20:54 Titel: |
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@Vargtimmen
Mal nicht so schnell mit den jungen Pferden.
Was ist nun eigentlich Sinn.
Gab es den schon?
Was hat er vorher bewirkt?
Und was bewirkt es, wenn es ihn nicht gibt?
Ich kann wohl nicht nachvollziehen, wie du zu alledem kommst.
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LingLing registrierter User
Anmeldungsdatum: 25.04.2007 Beiträge: 2720
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(#900245) Verfasst am: 03.01.2008, 20:57 Titel: |
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Ich habe das Gefühl, dass er sich etwas zu stark mit der Sinnsuche beschäftigt hat und dies auf
die Gesellschaft überträgt.
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Arrivederci auf Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 14.11.2006 Beiträge: 747
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(#900256) Verfasst am: 03.01.2008, 21:05 Titel: |
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Schrieb gerade anderswo: "Sinn wird von außen an einen herangetragen."
Das schafft eine Außenwelt freilich nur, wenn sie auf quasi-gleicher Wellenlänge mit dem Individuum ist, d. h. wenn es mindestens zwei Andere gibt, die es sind (zur Vermeidung von Abhängigkeit). Freilich sollten diese beiden Anderen weder von einander noch von einem Dritten abhängig sein.
Eine Depression beginnt m. W. meist mit der Überzeugung: "Ich gehöre nicht hierher."
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Vargtimmen registrierter User
Anmeldungsdatum: 30.08.2005 Beiträge: 107
Wohnort: Duisburg
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(#900258) Verfasst am: 03.01.2008, 21:09 Titel: |
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Sinn meint in diesem Fall, dass einer prinzipiell offenen, objektiv neutralen Welt oder einem objektiv neutralen Lebenszusammenhang, eine über diesen neutralen Zusammenhang selbst noch hinausgehende, transzendente, Bedeutung zugeschrieben wird.
(Das Wort an sich findet sich natürlich immer anders definiert, von daher ist das Nachhaken sicherlich berechtigt)
Das ganze bezieht sich natürlich nicht nur auf soziale Kontingenz und Komplexität, sondern hängt natürlich auch wieder mit der Vergänglichkeit des Menschen zusammen, die er dann durch eine das eigene Leben noch übersteigende Bedeutung zu relativieren versucht.
Und ja, ich halte Sinn für anthropologisch, also auch evolutionär bedeutsam.
Zitat: | [...] Was Berger/Luckmann noch allgemein für Menschen aller Zeiten formuliert haben, wendet Luhmann auf unsere hochtechnisiert, komplexe, undurchschaubar gewordene Industriegesellschaft an, in der nebeneinander sehr unterschiedliche, zum Teil sich widersprechende soziale Systeme existieren. Sinn ermöglicht eine Ordnung menschlichen Lebens und Erlebens. Oder anders ausgedrückt: Bedingung der Möglichkeit menschlichen Lebens sind sinnhafte Strukturen. [...] |
Quelle: http://www.muenster.de/~wosi/soziol.htm
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Arrivederci auf Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 14.11.2006 Beiträge: 747
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(#900263) Verfasst am: 03.01.2008, 21:15 Titel: |
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Kontingenz: "Es könnte alles ganz anders sein... Es könnte mich gar nicht geben... Würde dann der Welt was fehlen?" -
So beginnt eine Depression.
Genauer: Das ist das Wesen einer Depression.
Und es ist "krank", d. h. behandlungsbedürftig, da falsch.
Ich weiß ganz genau, weshalb ich, als mein Bruder verstorben war, in mein Tagebuch schrieb: "Jetzt weiß ich, warum jede Geburt mit einem Stern gekennzeichnet wird!"
Weil dabei nämlich jedesmal ein STERN aufgeht.
Und wessen Umgebung das nicht wahrhaben will, die ist krank!
Love it, change it or leave it! Und sei es vorerst nur "mentally".
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Argáiþ dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 27.01.2007 Beiträge: 12486
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(#900266) Verfasst am: 03.01.2008, 21:18 Titel: |
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Hallo Vargtimmen!
Was du glaube ich eigentlich meinst, ist Identität und die Konkurrenz zwischen Identitäten. Nihilisten, wie man sie im FGH zu mindestens 70% findet, finden ihre Identität in einer den Nihilismus stützenden und voraussetzenden Grundformel, die im wesentlichen aus einer in profaner Weise (links-)materialistischen, sozialen Gerechtigkeit besteht (Gehirnintern bezeichne ich das gern als Fresstroggerechtigkeit, aber sags nicht weiter). Der Atheismus ist dabei ein elitisierendes Merkmal und wie man sieht, ist die Gruppenauffassung diesbezüglich äußerst rigide und isolationistisch und reduziert sich häufig darauf, einfach über den Rest der Welt zu lachen, aber das macht auch zugegebenermaßen Spass. Wenn du mich fragst, soll der atheistisch-naturalistische Gegentrend (dein 'uns' bzw. 'wir'?!) gar nicht wirklich auf einen grünen Zweig führen, sonst wäre dieses Volk weniger ignorant und selbstherrlich.
Zitat: | will ich entweder Freiheit, gleichzeitig aber eine gewisse Beliebigkeit meiner Perspektiven (Stichworte: Pluralismus, Perspektivismus, evtl. Nihilismus),
oder will ich ein homogenes, zentriertes Weltbild, gleichzeitig aber einen deutlichen Verlust an Freiheit. |
vergiss es. Das werden die hier nie kapieren.
und hier muss ich nun aber nachhaken:
Zitat: | Was haltet ihr vielleicht von religionsphilosophischen Vorstellungen, wie "Gott als regulativer Idee" bei Immanuel Kant oder Karl Jaspers "philosophisch Glaubendem", dem Pantheismus oder der individuellen Suche nach Gott, fernab der Kirchen (Hape Kerkeling?) |
was hältst du davon, wenn ich mir die unbeabsichtigt unhöfliche Gegenfrage erlauben darf?
Deine Sig finde ich übrigens affenstark!
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Vargtimmen registrierter User
Anmeldungsdatum: 30.08.2005 Beiträge: 107
Wohnort: Duisburg
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(#900277) Verfasst am: 03.01.2008, 21:35 Titel: |
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Mhmh, die Sinnfrage mit der Identitätsfrage gleichzusetzen war nicht unbedingt meine Intention, der Zusammenhang ist hier allerdings natürlich auch klar gegeben, ergibt sich aus der Fragestellung und hätte noch angemerkt werden müssen.
Ich wunder mich eher, warum dieses Thema so rigide versucht wird lächerlich zu machen bzw. es als sinnlos abzustempeln, weil es sich eigentlich um auch ein fachwissenschaftlich anerkanntes Thema in der Soziologie und Philosophie handelt (Stichwort: Postmoderne) und auch an Weber, Luhmann, Jaspers etc. angelehnt sein sollte (das wollte ich natürlich jetzt nicht in den Vordergrund stellen...)
Zitat: | was hälst du davon, wenn ich mir die unbeabsichtigt unhöfliche Gegenfrage erlauben darf? |
Diese Frage habe ich bewusst offen gelassen. Ich weiß nicht ob überhaupt noch Interesse an einer Antwort besteht, für die meisten scheinbar nicht.
Wenn du Lust hast kann ich dir einen Link zu einer Facharbeit von mir darüber schicken, die sich mit den Kantischen Postulaten der praktischen Vernunft beschäftigt hat. Das ganze im Forum abzuhandeln ist sehr müßig.
Kurz gesagt halte ich die religionsphilosophischen Vorstellungen besonders bei Kant für schwierig, da er soviel sagt wie "ein sittlich guter Mensch glaubt auch an Gott". Weiterhin blendet er für religiöse Menschen weitere entscheidene, essentielle Kriterien wie das religiöse Gefühl völlig aus.
Mit Jaspers sympathisiere ich schon eher, da er den Gottesbegriff universeller fasst und auch bewusst von theoretischer Rationalität als eine reine, subjektive Privatsache des Individuums abgrenzt, der Gott sozusagen in sich selber finden kann. Letztlich ist das ganze dann eine Geschichte des persönlichen Bedürfnis Gott zu finden oder auch nicht. Es bleibt letztlich immer - wie bei Jaspers - ein "Wagnis". Entscheidend bei der Beurteilung ist für mich immer die Ablehnung von einer dogmatisierenden Religionspraxis, die den Menschen einfach "religiös macht" anstatt dass dieser die Chance sieht, die Sinnsuche individuell in den Angriff zu nehmen.
Ich persönlich brauche Gott z.B. nicht, da ich auch in Kunst, Philosophie, Musik, Natur etc. Sinn, selbst jene "Transzendenzerfahrungen", finden kann. Zumindest meine ich das. (Warum das so ist, ist die nächste Frage...) Eine gewisse Anstrengung die Komplexität und Kontigenz des Sozialen und die individuelle Vergänglichkeit dabei prozessieren zu müssen, anstatt sich diese von einem vorgegebenen Weltdeutungssystem liefern bzw. auflösen zu lassen ist damit natürlich immer verbunden, aber auch notwendig.
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Algol Katholik, saugverwirrte schleichende Scharia
Anmeldungsdatum: 22.06.2006 Beiträge: 4797
Wohnort: Berlin
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(#900284) Verfasst am: 03.01.2008, 21:45 Titel: Re: Sinnbedürfnis der Menschen in der säkularisierten Gesellschaft? |
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Vargtimmen hat folgendes geschrieben: | Meine Frage bezieht sich vor allem darauf in wiefern nicht auch ein Mangel an "Sinn" in der Gesellschaft entstehen würde, wenn das Konzept "Imagine no religion" mehr als nur eine utopische Wunschvorstellung wäre. |
Solange es Menschen gibt, wird es wahrscheinlich auch Religionen geben, sie entsprechend zu fesseln.
Dabei hat auch die Fessel mehrere Seiten: Bewegungseinschränkung, Machtlosigkeit, Ausgeliefertsein, Zügel, Joch, aber auch eine (beinahe hypnotische) Faszination, worin wieder die Bündel (fasces), der Bund, das Band und der "Faschismus" anklingen.
Religionen sind also quasi unsterblich, auch wenn viele Reliogionen nicht auf den ersten Blick als solche erkennbar sind (zB die Religion von der "guten" Demokratie).
Übrigens halte ich den Menschen prinzipiell für ein Mangelwesen ...
Vargtimmen hat folgendes geschrieben: | Religionen stellen spekulative Glaubenssätze auf, die wir durchaus als eben solche theoretisch nicht beweisbaren Sätze ablehnen können, da sie entweder unserem subjektiven Für-wahr-halten nicht entsprechen oder einfach einer wissenschaftlichen, logischen ... Überprüfung nicht standhalten.
Dessen völlig ungeachtet versucht der Mensch aber immer auch Sinn in einer prinzipiell sinnlosen Umwelt zu produzieren um so die Komplexität und Kontingenz einer in der Moderne sinnentfremdeten Umwelt zu reduzieren und sich ein einigermaßen homogenes Weltbild zu erschaffen. |
Die gesamte Modellierung unserer (Außen-)Welt besteht implizit aus spekulativen Glaubenssätzen, denn der Mensch scheint sich gerne ein Bild machen zu wollen, etwas Greifbares, Konkretes im Ungreifbaren, einen festen Punkt, um, wie Archimedes, die Welt bewegen zu können.
Und in der Tat hängt unsere Welterfahrung und damit unsere Welt stark von der jeweiligen Perspektive ab.
Die "Sinnproduktion" ist dabei eine weitere Fessel.
Vargtimmen hat folgendes geschrieben: | Im Zuge der Säkularisierung der Gesellschaft sucht sich der atheistische/agnostizistische Mensch - so ist zumindest die Theorie - sinnstiftende funktionale Äquivalente zur Religion, als Beispiel seien z.B. Szenen, Nationalitäten, Esoterik, Ideologien, Kapitalismus, Konsum genannt, die ähnlich wie die Religion auch einigermaßen homogene Weltbilder produzieren können.
(Hier ist sicherlich Kritikpotential vorhanden, s. unten) |
Auch Kunsumzwang oder Kapitalismus sind Religionen (Fesseln), selbst wenn man sie meist nicht so bezeichnet, denn weltliche Religionen werden oft nicht als solche erkannt.
Vargtimmen hat folgendes geschrieben: | Gleichzeitig begegnen uns hier aber nun defizitäre Parallelen, die man schon bei den dogmatischen, institutionalisierten Religionsgemeinschaften erkennen kann: das Plus an Freiheit in der Gesellschaft steht einem Minus an Freiheit durch einengende Weltbilder gegenüber. |
Dieses angebliche gesellschaftliche Plus an Freiheit ist der subjektive Idealzustand:
Fesseln, die nicht als Fesseln empfunden werden.
Vargtimmen hat folgendes geschrieben: | Hierdurch entsteht eine recht dilemmatische Entweder-Oder-Situation:
will ich entweder Freiheit, gleichzeitig aber eine gewisse Beliebigkeit meiner Perspektiven (Stichworte: Pluralismus, Perspektivismus, evtl. Nihilismus),
oder will ich ein homogenes, zentriertes Weltbild, gleichzeitig aber einen deutlichen Verlust an Freiheit. |
Beliebigkeit ist das, was be-liebt ...
manche mögen den Verlust einer Fesseln als schmerzlich empfinden, denn wenn Glieder, die durch die Fessel abgeschnürt und zur Bewegungslosigkeit verdammt waren, plötzlich durchblutet und bewegt werden, dann ist das zunächst nicht notwendigerweise ein angenehmes Gefühl.
Und ins Gehirn kann ziemlich viel Blut fließen.
Vargtimmen hat folgendes geschrieben: | Was haltet ihr vielleicht von religionsphilosophischen Vorstellungen, wie "Gott als regulativer Idee" bei Immanuel Kant oder Karl Jaspers "philosophisch Glaubendem", dem Pantheismus oder der individuellen Suche nach Gott, fernab der Kirchen (Hape Kerkeling?) |
Fesseln regulieren Beweglichkeit und Durchblutung und Entfesselung gilt als dämonisch.
_________________ Leben kann tödlich sein
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Arrivederci auf Wunsch deaktiviert
Anmeldungsdatum: 14.11.2006 Beiträge: 747
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(#900286) Verfasst am: 03.01.2008, 21:49 Titel: |
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Freiheit ist relativ. Eine Entscheidung für eine Option schließt immer alle anderen Optionen aus. Von "totgeborenen Chancen" spricht daher der Theologe Ladislaus Boros, davon, dass sich der innere Raum idealerweise in dem Maße weitet wie sich der äußere (aufgrund der angesammelten totgeborenen Chancen und der begrenzten Lebensenergie) verengt, sein Kollege Romano Guardini ("Die Lebensalter"). Wobei ich meine, dass das genausogut ein Psychologe geschreiben haben könnte.
Wenn es nur noch für mich von Belang ist, ob ich mich für den Alkohol oder dagegen entscheide...
Darüberhinaus bestraft unsere Gesellschaft falsche Entscheidungen auf anderen Gebieten als dem auf den ersten Blick als falsch erkennbaren Alkoholkonsum; d. h. sie bürdet dem Einzelnen die Kosten für die Folgen getroffener Entscheidungen auf, für Folgen, die er zu dem Zeitpunkt als er sie traf (aufgrund der Komplexität unserer Gesellschaft) noch gar nicht "würdigen" konnte:
"Du hättest dich anders, nämlich "richtig", entscheiden können!!!"
... Wenn das Wörtchen "wenn" nicht wäre!
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Louseign (-)
Anmeldungsdatum: 02.06.2006 Beiträge: 5585
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(#900298) Verfasst am: 03.01.2008, 22:03 Titel: |
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Hmm, zwei direkt aufeinander folgende Sätze ergeben für mich einen Widerspruch
Vargtimmen hat folgendes geschrieben: | Klar müssen wir deshalb diese Entwicklung als Fortschritt z.B. in der gesellschaftlichen Freiheit betrachten und ich bin um Gottes Willen kein Konformist.
Das Bedürfnis die Offenheit der immer komplexeren Lebenszusammenhänge allerdings zu überwinden, scheint doch dennoch zu bleiben. |
Also, wenn du die gesellschaftliche Freiheit als Fortschritt betrachtest und dich dafür einsetzt, dann verstehe ich gerade nicht, dass du andererseits die Offenheit der Lebenszusammenhänge als einen Zustand betrachtest, den es zu überwinden gilt.
Vargtimmen hat folgendes geschrieben: | Warum pilgern denn so viele Religiöse zum WJT und predigen den tollen Zusammenhalt, natürlich nur in dieser partikularen Religionsgemeinschaft?
Und hier fängt doch eigentlich auch mein Problem an. Zusammenhalt, Gemeinschaft und den Sinn im Leben zu finden ist ja schön und gut, allerdings bewegt man sich doch automatisch immer in abgeschlossenen, einengenden Weltbildern, die die Freiheit wiederrum verhindern. |
Ja, das verstehe ich freilich auch nicht: es sei diesen Religiösen durchaus unbenommen, den tollen Zusammenhalt für sich selbst zu zelebrieren, wenn ihnen denn so viel daran liegt. Allerdings kommen derartige Veranstaltungen bei mir immer so an, als wollten die Beteiligten alle außerhalb stehenden unbedingt mit ins Boot ziehen - egal ob diese das nun wollen, oder nicht. Wenn du das als Einengung von Freiheit verstehst, da hast du vollkommen Recht: die WJT-Anhänger mögen das für sich selbst tun, solange sie die anderen in Ruhe lassen.
Vargtimmen hat folgendes geschrieben: | Wie soll also die Hausfrau von nebenan ihren "Sinn im Leben" finden wenn nicht durch Religion, durch Esoterik etc.? Ich würde diese Frage nach dem Sinn im Leben auf keinen Fall unterschätzen! |
Worin sollte sich denn nun ausgerechnet die Hausfrau von nebenan von anderen Menschen unterscheiden? Sie wird genauso eigenverantwortlich ihren Weg gehen müssen, wie andere Menschen auch. Was am Ende daraus wird, ist unsere Sache nicht. Freiheit, sage ich.
Vargtimmen hat folgendes geschrieben: | Ein Mensch, der seinen Sinn im Leben sucht und auf 1000 andere verschiedene Möglichkeiten trifft, die ihm einen jeweils anderen Sinn anbieten, wird große Schwierigkeiten haben überhaupt noch so etwas wie eine auch wirklich zutreffende, allgemeingültige Weltdeutung produzieren zu können, vielmehr könnte es ja so, aber auch ganz anders sein. Wer weiß das schon. Vielmehr ist eben alles relativ. |
Wer verlangt denn eine allgemeingültige Weltdeutung? Jeder Mensch soll erst einmal zusehen, dass er nur für sich selbst zurecht kommt, seinen eigenen persönlichen Lebensbereich geregelt bekommt. Was dann die sozialen, intersubjektiven Lebensbereiche angeht, da lassen sich im Diskurs dann für alle akzeptable Kompromisse finden. Aber der höchstpersönliche Lebensbereich muss von Freiheit geprägt sein.
Vargtimmen hat folgendes geschrieben: | Das kann schnell in Enttäuschung umschlagen, wenn man eben merkt, dass meine eigene Ansicht im Prinzip richtig, aber im Prinzip auch falsch sein könnte. Die Offenheit der Lebenszusammenhänge kann also nicht überwunden werden, bleibt vielmehr genauso bestehen. Mit eindeutigen Weltbildern gab es dieses Problem noch nicht. Deshalb suche ich mir irgendeine Gemeinschaft, die mir garantiert, dass ich genau den richtigen Sinn gefunden habe. |
Dagegen ist grundsätzlich einmal nichts zu sagen: wenn du persönlich zu dem Entschluss kommst, dass du es ohne eine Sicherheit gebende Gemeischaft, welche dir Werte vorgibt, nicht aushältst, dann ist das für dich persönlich richtig so. Andere können sich mit dieser Sicherheit gebenden Gemeinschaft jedoch nicht anfreunden.
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Vargtimmen registrierter User
Anmeldungsdatum: 30.08.2005 Beiträge: 107
Wohnort: Duisburg
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(#900341) Verfasst am: 03.01.2008, 22:42 Titel: |
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Zitat: | Also, wenn du die gesellschaftliche Freiheit als Fortschritt betrachtest und dich dafür einsetzt, dann verstehe ich gerade nicht, dass du andererseits die Offenheit der Lebenszusammenhänge als einen Zustand betrachtest, den es zu überwinden gilt. |
Ich will das jetzt natürlich nicht pauschalisieren, aber die Offenheit der Lebenszusammenhänge ist nunmal eine für die Identität und eben die Sinnfindung des Individuums eine ziemlich problematische Sache.
Der gesellschaftliche Fortschritt, der sich als ein Modernisierungsfortschritt durch eine wachsende Rationalisierung und Differenzierung des gesellschaftlichen Systems sowie eben durch den o.g. Freiheitsfortschritt gezeigt hat, wirkt sich eben negativ auf jene Bereiche des Lebens aus, die einer metaphysischen Erklärung bedürfen, birgtn also ein gewisses Sinndefizit. Soll heißen, dass der Mensch sich selbst irgendwie seinen Sinn im Leben zusammenbasteln muss, anstatt diesen vorgegeben zu bekommen - was ja grundsätzlich positiv zu bewerten ist - gleichzeitig ist es aber kaum möglich eine bestimmte partikulare Weltdeutung aufzurecht zu erhalten wenn man überall andere Weltdeutungen antrifft, die der eigenen total widersprechen. Die Lösung hierfür ist entweder, dass man die eigene Weltdeutung dogmatisiert oder den eigenen Standpunkt als relativ, perspektivistisch betrachtet - auf Kosten eines "homogenen" Weltbildes. In einem zwar freien, aber absolut relativem, perspektivistischem System, wird eine Menge Kraft benötigt die gesamte Komplexität und Kontingenz der Postmoderne überhaupt noch prozessieren zu können und irgendwie "sinnvoll" zu machen, will man nicht auf o.g. Dogmatisierungen zurückgreifen.
"Das Wissen um Unübersichtlichkeit und Chaos, Kältetod und Zerfall der Welt kann nur für Ironiker Anlass zur Heiterkeit bieten. Für Melancholie hingegen hat die Postmoderne kaum Platz. Wenn es in der Postmoderne Gefühle gibt", so Jameson, "dann frei im Raum schwebend und nicht personengebunden."
Der Begriff der "Hausfrau von nebenan" sollte nicht abwertend konnotiert sein, sondern einfach eine Abgrenzung von den hochintellektuellen Denkern hier darstellen, sodass auch klar wird, dass diese vermutlich nicht bereit sein wird, jene Kraft aufzubieten um die gesamte gesellschaftliche Komplexität irgendwie in ein eigenes sinnstiftendes System zu synthetisieren, sondern eher geneigt ist sich traditionalen oder sonstigen vorgegebenen Weltdeutungen anzuschließen. Und das meine ich ebenso wenig wertend.
Zitat: | Wer verlangt denn eine allgemeingültige Weltdeutung? |
Wenn ein Mensch einen bestimmten metaphysischen Anspruch auf eine bestimmte Weltdeutung
erhebt (z.B. behauptet das fliegende Spaghettimonster würde seine Erlösung garantieren) dann muss diese zumindest für ihn auch allgemeingültig gelten, sonst könnte er diesen Glauben selbst kaum ernst nehmen. Die Folge ist natürlich eine scharfe Distinktion zwischen den Gläubigen und den Ungläubigen, womit wir wieder bei dem Freiheitsproblem wären.
Gerade durch Konfrontation mit dem Tod etc. suchen viele Menschen eben auch einen metaphysischen Sinn, den sie dann entweder in einer vorgegebenen Glaubensrichtung zu finden meinen oder versuchen anderswie herzustellen. Allgemeingültig muss dieser im Prinzip aber schon sein. Es reicht hier eben nicht zu sagen, dass z.B. "ich vermute, dass nach dem Tod das Jenseits kommt, es könnte aber auch nichts kommen."
Zitat: | wenn du persönlich zu dem Entschluss kommst |
Naa, das "ich" in dem Satz war eher exemplarisch zu verstehen
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