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ateyim registrierter User
Anmeldungsdatum: 21.05.2007 Beiträge: 3656
Wohnort: Istanbul
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(#959851) Verfasst am: 21.03.2008, 11:20 Titel: Staedtetouristen und ihre Ansprüche? |
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Ich hatte in Istanbul bereits einige Male die Gelegenheit Besuchern (Freunde von mir oder Geschaeftspartner meines Chefs) , ihnen die Stadt zu zeigen.
Es ist eine Sache, die mir sichtlich Spass macht, doch bei diesen Besichtigungen werde ich immer wieder Zeuge von zahlreichen Maerchenstunden seitens anderer, offizieller Touristenführer.
Ich höre, wie sie immer mit Rekorden und absolut überhöhten Zahlen um sich schmeissen, wenn sie vor den Bauwerken stehen... das Höchste, das Grösste, das Beste.
Nur mal zwei Beispiele: wer im Fernsehen mal Moscheen aus verschiedenen Teilen der islamischen Welt gesehen hat, wird vielleicht bemerkt haben, dass die türkische Variante eine eigenstaendige ist... sie ist aber eindeutig eine Kopie der Hagia Sophia, der ehemaligen Hauptkirche Konstantinopels. Man liefert den Touris dann vor den Prachtmoscheen falsche Zahlen über Kuppelhöhe und Durchmesser der Hauptkuppel, nur weil man zeigen will, dass man die Ausmasse der Kirche überboten hat. ... und auch was absolut eigenstaendiges ist, was aber gelogen ist.
Oder der Harem... neben mir hörte ich einen Guide, wie er von 1200 Frauen sprach... die Zahl stimmt noch nicht eimal, wenn er alle weiblichen Bediensteten und Sklavinnen des ganzen Palastes zusammengerechnet haette.
Bei diesen Beispielen muss ich erwaehnen, dass ich sie nicht von Touristenführern hörte, die mit einem Schirm in der Hand eine Schar von 50 Touristen rumführte, sondern exklusive Privatguides.. mit ca. 5 Pesonen (Familie, Geschaeftsleute)
Will der Tourist das wirklich? ich habe gelesen, dass solche Touren ganztags pro Person zwischen 80 und 100 Euro kosten meist Eintrittsgelder und Essen exklusive.
Ich habe mich bisher stets bemüht, korrekte Infos zu geben. Die Spannung, die mir durch mangelnde Rekorde verlorengeht, versuche ich mit Anektoden zu den einzelnen Objekten zu füllen... Geschichten, die wahr sind, aber in den Ohren der Besucher oft seltsam, überraschend und interessant anmuten.
Ich mache mir gerade intensivst Gedanken, ob ich in diese Richtung mich entwickeln soll. Sehe ich es falsch, wenn ich im Touristen kein Schlachtvieh sehe, das man bis aufs letzte ausnehmen muss?
Ich habe bisher allen gesagt: "Geht in den Tourizentren euch umschauen, wie z.B. im berühmten Grossen Basaar, aber dann kommt rüber auf die asiatische Seite von Istanbul (meine), das touristisch völlig unerschlossen ist und kauft hier... hier werdet ihr nicht übers Ohr gehauen, hier erlebt ihr die Geschaeftskultur ohne Tourinepp." Bisher hat es mir jeder gedankt. Und ich habe sie hier zu touristischen und landschaftlichen Kleinoden auf der anatolischen Seite geführt, die in keinem Touristenführer Erwaehnung finden.
Ich finde diese Preise auch überzogen... z.B. komme ich mit dem was ich derzeit verdiene gut aus, und theoretisch würde ich mit knapp über 10 Touristen im Monat dieses Gehalt sogar übertreffen (davon ausgehend, dass der Guide nicht hier und da Geld stecken muss (an Hotels), damit sie ihn mit Touristen füttern. Ich waere bestimmt der ALDI - vom Preis her - unter den Touristenführern.
Zudem macht es mir sogar Spass... und ich hatte sogar Spass an so etwas als ich mal mit einer sehr unsympathischen Gruppe von Geschaeftsleuten hier bei Regenwetter unterwegs war, und habe anschliessend sogar eine persönliche Dankesmail von zweien von ihnen erhalten, bei denen ich gedacht hatte, dass sie meine Tour nicht interessiert hat.
Warum poste ich das hier?
weil drei Leute in Deutschland, nachdem ich ihnen die Idee unterbreitet hatte, unabhaengig voneinander meinten:
"Wichtig ist, dass du redest!" "Mache es nach diesem Schema: Hallo--bluppblupp--Geld her--Tschüss"
Vermische ich da persönliches Ansprüche und Realitaet, und kann diese Branche wirklich nicht "korrekt" ablaufen, wie ich mir das ausmale? Bin ich naiv und geblendet, und ich mache mir was vor?
Und da Ansprüche und Erwartungen Teil der Reisekultur sind, denke ich, dass es durchaus bei "Kultur und Gesellschaft" hineingehört.
Zum Schluss noch der Oberhammer bei den Touriguideangeboten:
die grösste Insel vor Istanbul - Büyükada - ist gekennzeichnet durch viel Grün, Sommervillen von wohlhabenden Istanbulern, und der Tatsache, dass es keine Autos gibt, nur Kutschen und Fahrraeder.
Dort kann man also entweder mit der Kutsche, auf dem Fahrrad, oder zu Fuss, die vorgegebenen Wege erkunden und dabei Natur und Villen sehen... an der Faehranlegestelle gibt es ein paar Cafés und Restaurants...
das alles bietet man für 80 Euro pro Person als "Erholung von der Grossstadt" an...
eins ist klar: der Guide kann sich dabei auf alle Faelle erholen und mit Dollarzeichen in den Augen spazierengehen.
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HomoCarnula Brezokoff
Anmeldungsdatum: 08.02.2008 Beiträge: 665
Wohnort: Berlin
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(#959893) Verfasst am: 21.03.2008, 12:33 Titel: |
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also: ich reise seit *rechne* 3 jahren in dieselbe stadt (ljubljana), mache keine touren mit, liebe es aber einheimische kennenzulernen und mit denen durch die gegend zu ziehen. eben weil ich nicht mit superlativen erschlagen werden will, sondern anekdoten hören will. diese kleinen kuriosen sachen die man nicht im reiseführer findet. ich mag das gefühl dass sich jemand wirklich mit der geschichte des ortes auskennt. man merkt einfach den unterschied ob da einfach Größer/Schneller/Weiter erzählt wird, oder ob es echt ist.
wenn ich wüsste, dass es solche touren für den ganzen tag gibt in einer fremden stadt, würde ich auch dafür bezahlen. aber wie sowas rausfiltern. das ist schon schwierig.
_________________ Ste videli lepote, ko jutro naredi srebrne bisere rose
Ste videli lepote, ko sredi noči zapiha veter samote
Siddharta - slowenische Musik
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esme lebt ohne schützende Gänsefüßchen.
Anmeldungsdatum: 12.06.2005 Beiträge: 5667
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(#959935) Verfasst am: 21.03.2008, 13:15 Titel: |
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Wenn ich merke, dass ich angelogen werde, bin ich einfach nur angefressen.
Ansonsten finde ich Zahlen relativ sinnlos (auch Jahreszahlen), wenn sie nicht in Kontext eingebettet sind. Also zB: "Dieses Haus wurde nach der Revolution neu aufgebaut und durfte aus ideologischen Gruenden keinen Balkon nach Sueden haben" ist viel besser als "im Jahre x mit y Balkons nach Norden."
"Diese Kuppel misst x Meter, das ist *nicht* mehr als die Hagia Sophia, wird aber immer behauptet."
wuerde bei mir als Touristin grossartig ankommen. Aber ich bin wohl nicht die mit dem meisten Geld.
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Reza dauerhaft gesperrt
Anmeldungsdatum: 10.09.2006 Beiträge: 4188
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(#959951) Verfasst am: 21.03.2008, 13:36 Titel: Re: Staedtetouristen und ihre Ansprüche? |
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ateyim hat folgendes geschrieben: |
weil drei Leute in Deutschland, nachdem ich ihnen die Idee unterbreitet hatte, unabhaengig voneinander meinten:
"Wichtig ist, dass du redest!" "Mache es nach diesem Schema: Hallo--bluppblupp--Geld her--Tschüss"
Vermische ich da persönliches Ansprüche und Realitaet, und kann diese Branche wirklich nicht "korrekt" ablaufen, wie ich mir das ausmale? Bin ich naiv und geblendet, und ich mache mir was vor?
Und da Ansprüche und Erwartungen Teil der Reisekultur sind, denke ich, dass es durchaus bei "Kultur und Gesellschaft" hineingehört.
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Kennen sich diese Leute im Tourimarkt aus?
Und wenn in welchem?
Sicher gibt es auch Leute, die man mit allem abspeisen kann, und denen das egal ist, weil sie selber nichts wissen.
Aber nach Istanbul dürften ja wohl auch andere kommen.
Und grade in Deutschland gibt es doch auch eine große Klientel, die Reisen als Kulturgut begreift, vorab sämtliche Reiseführer liest, die es gibt etc.
Die dürfte dein Angebot ja schon mal sehr interessieren.
Wer an Shopping interessiert ist, der freut sich auch über deine Tipps, und echt kulturinteressiert und schöne Andenken, nicht gefälschte Parfums oder Nikeschuhe, das muss sich ja nicht ausschließen.
Also kunsthistorisch richtig, samt Zusammenhängen oder "Geschichten aus dem Leben" mit Anekdoten -datt muss sein- das lockert immer auf, man darf die Leute ja auch nicht nur mit richtigen Informationen zuschütten, ein paar Tipps was sonst noch sehenswert, besuchenswert ist.
Ich finde das ne Klasse Idee, v.a. wenn es das überhaupt noch nicht gibt.
In meiner Stadt gibt es z.b. seit langem extra Ausbildungen für Gästeführer, ohne die Prüfung kann man offizielle über das städt. Tourismusbüro vermittelte Führungen gar nicht machen.
Gibt aber auch nen Privatanbieter, der von ganz klein ziemlich geboomt ist, der "Erlebnisführungen" mit Schauspiel anbietet.
Mir ist das schon wieder etwas zu viel, die Action drum rum, aber soweit ich weiß, läuft das sehr gut, das gibt es eben auch nicht überall.
Bring das Konzept, das du hast in eine schriftliche Form, ein kleiner Prospekt, und probiere es nebenbei einfach mal aus.
In mittleren und guten Hotels müsste die Zielgruppe eigentlich zu finden sein, aber das weißt du selber sicher besser, oder kannst es rausfinden.
Du hast doch auch gute Kontakte nach Deutschland, such Reiseveranstalter, die Bildungsreisen anbieten, Studiosus als großer, aber da gibt es bestimmt auch viele andere, und kontakte die mal.
Eine gute Idee ist das allemal, und wenn das bisher so ist wie du sagst, meiner Ansicht nach auch eine gute Geschäftsidee.
Den Aldi würde ich übrigens nicht geben.
Dein Angebot würde nicht über den Preis ziehen, sondern über die Qualität.
Die Zielgruppe kann Geld haben -Lehrer - muss aber nicht - Studenten, jetzt mal platt gesagt.
Dem kannst du preislich ja entgegenkommen, indem du verschiedene Touren zusammenstellst, kurze, lange, Schwerpunkte...........
Gruppenrabatte für welche Gruppen auch immer bei Tagesführungen.
Das kannst du ja alles auch austesten, wenn du das vorerst am Wochenende, oder wann es halt geht, machst.
Und du kannst das auch noch in einigen Sprachen, keine schlechten Voraussetzungen für den Job
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Ahriman Tattergreis
Anmeldungsdatum: 31.03.2006 Beiträge: 17976
Wohnort: 89250 Senden
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(#960826) Verfasst am: 22.03.2008, 20:12 Titel: |
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Städteführungen habe ich selten mitgemacht. Omnibusunternehmer hier bieten Tagesreisen in Städte an, die zeitmäßig in der Reichweite der Busse liegen, da sind fast immer Führungen dabei. Hin und wieder lasse ich die sogar aus und gehe auf eigene Faust los.
Das eine kann ich sagen: Statistische Angaben sind in der Regel völlig sinnlos: Wer kann sich die denn merken? Und wozu? Mich langweilen sie maßlos.
Aber wenn der Guide erzählt, daß es im Schloßkeller spukt und die Alarmanlage immer wieder mal nachts losgeht - das ist witzig, das merkt man sich.
Oder das: Da war ein Spruch auf einem Wappen FERRUM NON AURUM. Das bedeute, so sagte der Guide, "Eisen statt Gold". Und er fuhr fort: "Im Klartext heißt das freilich: Alles mit dem Schwert geraubt, nichts ehrlich bezahlt."
(Komisch, das Wort "Führer" widerstrebt mir sehr...)
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