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Türkischer Staatsanwalt geht gegen Religion vor
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kynos
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Anmeldungsdatum: 20.04.2006
Beiträge: 163

Beitrag(#955204) Verfasst am: 14.03.2008, 23:31    Titel: Türkischer Staatsanwalt geht gegen Religion vor Antworten mit Zitat

Eine gute oder eine schlechte Nachricht?

http://www.tagesschau.de/ausland/akpverbotsantrag2.html

In der Türkei lassen sich manche Staatsorgane nicht von der Religion einlullen. Andererseits hat ein Verbot einer religiösen Partei etwas Unfreiheitliches an sich.
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chiring
Asatru



Anmeldungsdatum: 11.08.2005
Beiträge: 1694
Wohnort: Westfalen

Beitrag(#955233) Verfasst am: 14.03.2008, 23:51    Titel: Antworten mit Zitat

Eins ist mal klar, das die AKP mit Erdogan, Gül und Mili Görüs Konsorten nicht gerade ein international positives Aushängeschild darstellt. Und was die wollen sollte auch ziemlich klar sein wenn man deren Aktionen etwas verfolgt. Das eine solche Aktion vom Staatsanwalt geplant ist, läßt für die Türkei ja hoffen das sie nicht in ein halal schwarzes Loch gezogen wird.
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ateyim
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Anmeldungsdatum: 21.05.2007
Beiträge: 3656
Wohnort: Istanbul

Beitrag(#955278) Verfasst am: 15.03.2008, 00:32    Titel: Antworten mit Zitat

muss ich alles mal sacken lassen...

war etwas überwaeltigt von der Nachricht in den Abendnachrichten und den anschliessenden Sondersendungen.

Das einzige was ich sagen kann ist, dass alle führenden Politiker der AKP, der Premier und der Praesident aus einer Partei kommen, die vor Jahren bereits verboten wurde. Die Politiker, die damals nicht für eine gewisse Zeit auf die Strafbank verschoben wurden, gründeten eine Nachfolgepartei (Fazilet), auch die wurde verboten. Und nun ist es die AKP.

Was solche Verbote bringen? Die Parteien und Politiker kommen gestaerkt aus der ganzen Sache hervor.

Es ist schon ein Trauerspiel mitanzusehen, wie auf den Strassen die Massen bereit sind gegen die AKP zu demonstrieren, ob es ideologische Demonstrationen sind gegen Kopftuch an den Unis oder die Aushöhlung des Laizismus in der Gesellschaft, oder aber konkret gegen Massnahmen in der Sozialpolitik. Ankara sah z.B. gestern eine der grössten Streikaktionen der letzten Jahrzehnte seitens der Gewerkschaften.

Aber die politische Opposition ist miserabel, schwach... unternimmt noch nicht einmal den Versuch eine andere Politik zu praesentieren... Wirtschaft, Soziales, Bildung? kein Gegenkonzept.. nichts.

Es wird nur auf Aktionen der AKP reagiert, indem man die Zukunft des Landes schwarz malt und die Regierung verteufelt.

So sehr ich gegen Parteiverbote bin. In einer Zeit, wo eine erbaermliche politische Opposition unfaehig ist, zu agieren sehen sich wohl andere Staatsvertreter gezwungen zu handeln. Weil sie versuchen ein Vakuum auszufüllen, und laufen so Gefahr, der Sache einen Baerendienst zu erweisen.
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ateyim
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Anmeldungsdatum: 21.05.2007
Beiträge: 3656
Wohnort: Istanbul

Beitrag(#955546) Verfasst am: 15.03.2008, 13:15    Titel: Antworten mit Zitat

Nun habe ich auch die Zeitungen vorliegen und ich muss sagen, dass sogar ICH dagegen bin, dass dieses Parteiverbot durchkommt.

Ich würde mir sogar wünschen, dass die Klage vom Verfassungsgericht abgewiesen wird. Doch dies halte ich aber für sehr unwahrscheinlich , da die grosse Mehrheit der obersten Richter vom ehemaligen türkischen Praesidenten Sezer ernannt worden waren, der selbst Verfassungsrichter gewesen war und ein absoluter Gegner der AKP, der bei vielen Gesetzen der AKP von seinem Vetorecht Gebrauch machte.

Die Anklageschrift umfasst 16 Ordner und es wird nicht nur ein Verbot der AKP verlangt, sondern auch Haftstrafen und Berufsverbote für zahlreiche Abgeordnete, darunter auch der ehemalige Parlamentspraesident und sogar der Praesident Gül selbst, der aber durch sein Amt geschützt ist, da er ab dem Moment seiner Vereidigung als parteilos gilt.

Hier einige der Anklagepunkte.:

- Aenderung der Grundgesetzparagraphen 10 und 42 zwecks Zulassung des Kopftuchs im Parlament
- der Versuch des von der AKP eingesetzten neuen Vorgestetzten des Hochschulrates, die Rektoren der Universitaeten zur Zulassung der Studentinnen per Kopftuch zu zwingen, was trotz Grundgesetzaenderung nicht rechtens ist: der Hochschulrat muss darüber erst mal abstimmen (Anm.von mir: derzeit kommt diese Abstimmung nicht zustande, weil bei jedem Versuch dies auf die Tagesordnung zu setzen, die Mehrheit der Rektoren den Raum verlaesst)
-Aussagen von AKP-Politikern, dass nach den Unis nun als naechste Etappe die Öffnung der Verwaltung fürs Kopftuch ansteht
- Aussage eines AKP Gründungsmitglieds, dass es keinen Unterschied gibt, zwischen der Aufforderung, dass eine Frau ihr Kopftuch ablegen soll, und der Aufforderung sie solle ihre Unterwaesche ausziehen.
- Aussgen von Erdoğan, in denen er von dem Recht spricht, dass die Familien von Gewalttatsopfern haben sollten, den Taeter freizusprechen, was eindeutig gegen den Rechtstaat ist und islamischem Recht entspricht.
- das Abdullah Gül in seiner Zeit als Aussenminister im Ausland Organisationen wie Milli Görüş unterstützt hat.
- das die AKP antilaizistische Argumentationen angeführt hat, als das Kopftuchverbot vor dem europaeischen Gerichtshof vor Jahren verhandelt wurde. Die Klage wurde damals dennoch abgelehnt.
- der Versuch der AKP ein Alkoholverbot einzuführen und das Verbot von Unterwaeschewerbung auf Plakaten
- Aufnahme des Freitagsgebets ins offizielle diplomatische Programm bei Besuchen von muslimischen Staatsgaesten

...

dies ist der bisher veröffentlichte Teil der Anklage...

urteilt ihr: soll das ausreichen, um in einer Demokratie, die ich trotz vieler Schwaechen als solche bezeichnen möchte, eine Partei zu verbieten?

Ich, als Nicht-AKP-Waehler, fühle mich durch diese Massnahme entmündigt... und so sollten auch die vielen Hundertausend denken, die innerhalb der letzten Monate gegen die AKP auf die Strasse gegangen sind... anstatt zu applaudieren, sollten sie sich klar machen, dass man im Grunde dem Bürger nicht zuzutraut, selbst die Zukunft seines Landes in die Hand nehmen zu können.

Genauso wie die staendigen Youtube-Sperrungen, weil gegen Atatürk Beleidigungen gepostet werden... auf Youtube beleidigt sich jeder gegenseitig, was soll der Mist mit der Sperre.


Na ja... jetzt ist erstmal Wochenende...

Sehr glücklich ...mal etwas an die frische Luft gehen und auf andere Gedanken kommen.
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Chinasky
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Anmeldungsdatum: 27.03.2006
Beiträge: 1264
Wohnort: Hoher Norden

Beitrag(#955609) Verfasst am: 15.03.2008, 16:49    Titel: Antworten mit Zitat

@ateyim: Für wie wahrscheinlich hältst Du es, daß dem AKP-Verbotsantrag stattgegeben wird? Was wären die Folgen? Neuwahlen? Könnte Erdogan trotz des Verbots seiner Partei weiterregieren?
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Anmeldungsdatum: 26.11.2007
Beiträge: 3972

Beitrag(#955635) Verfasst am: 15.03.2008, 17:29    Titel: Antworten mit Zitat

ateyim hat folgendes geschrieben:
Nun habe ich auch die Zeitungen vorliegen und ich muss sagen, dass sogar ICH dagegen bin, dass dieses Parteiverbot durchkommt.

Ich würde mir sogar wünschen, dass die Klage vom Verfassungsgericht abgewiesen wird. Doch dies halte ich aber für sehr unwahrscheinlich , da die grosse Mehrheit der obersten Richter vom ehemaligen türkischen Praesidenten Sezer ernannt worden waren, der selbst Verfassungsrichter gewesen war und ein absoluter Gegner der AKP, der bei vielen Gesetzen der AKP von seinem Vetorecht Gebrauch machte.

Die Anklageschrift umfasst 16 Ordner und es wird nicht nur ein Verbot der AKP verlangt, sondern auch Haftstrafen und Berufsverbote für zahlreiche Abgeordnete, darunter auch der ehemalige Parlamentspraesident und sogar der Praesident Gül selbst, der aber durch sein Amt geschützt ist, da er ab dem Moment seiner Vereidigung als parteilos gilt.

Hier einige der Anklagepunkte.:

- Aenderung der Grundgesetzparagraphen 10 und 42 zwecks Zulassung des Kopftuchs im Parlament
- der Versuch des von der AKP eingesetzten neuen Vorgestetzten des Hochschulrates, die Rektoren der Universitaeten zur Zulassung der Studentinnen per Kopftuch zu zwingen, was trotz Grundgesetzaenderung nicht rechtens ist: der Hochschulrat muss darüber erst mal abstimmen (Anm.von mir: derzeit kommt diese Abstimmung nicht zustande, weil bei jedem Versuch dies auf die Tagesordnung zu setzen, die Mehrheit der Rektoren den Raum verlaesst)
-Aussagen von AKP-Politikern, dass nach den Unis nun als naechste Etappe die Öffnung der Verwaltung fürs Kopftuch ansteht
- Aussage eines AKP Gründungsmitglieds, dass es keinen Unterschied gibt, zwischen der Aufforderung, dass eine Frau ihr Kopftuch ablegen soll, und der Aufforderung sie solle ihre Unterwaesche ausziehen.
- Aussgen von Erdoğan, in denen er von dem Recht spricht, dass die Familien von Gewalttatsopfern haben sollten, den Taeter freizusprechen, was eindeutig gegen den Rechtstaat ist und islamischem Recht entspricht.
- das Abdullah Gül in seiner Zeit als Aussenminister im Ausland Organisationen wie Milli Görüş unterstützt hat.
- das die AKP antilaizistische Argumentationen angeführt hat, als das Kopftuchverbot vor dem europaeischen Gerichtshof vor Jahren verhandelt wurde. Die Klage wurde damals dennoch abgelehnt.
- der Versuch der AKP ein Alkoholverbot einzuführen und das Verbot von Unterwaeschewerbung auf Plakaten
- Aufnahme des Freitagsgebets ins offizielle diplomatische Programm bei Besuchen von muslimischen Staatsgaesten

...

dies ist der bisher veröffentlichte Teil der Anklage...

urteilt ihr: soll das ausreichen, um in einer Demokratie, die ich trotz vieler Schwaechen als solche bezeichnen möchte, eine Partei zu verbieten?

Ich, als Nicht-AKP-Waehler, fühle mich durch diese Massnahme entmündigt... und so sollten auch die vielen Hundertausend denken, die innerhalb der letzten Monate gegen die AKP auf die Strasse gegangen sind... anstatt zu applaudieren, sollten sie sich klar machen, dass man im Grunde dem Bürger nicht zuzutraut, selbst die Zukunft seines Landes in die Hand nehmen zu können.

Genauso wie die staendigen Youtube-Sperrungen, weil gegen Atatürk Beleidigungen gepostet werden... auf Youtube beleidigt sich jeder gegenseitig, was soll der Mist mit der Sperre.


Na ja... jetzt ist erstmal Wochenende...

Sehr glücklich ...mal etwas an die frische Luft gehen und auf andere Gedanken kommen.


Ich sehe es als einen verzweifelten Versuch an, die fortschreitende Moslemisierung der türkischen Staatsstrukturen zu verhindern.
Ein Sieg der säkulären Kräfte wäre wünschenswert. Ein Verbotsantrag, welcher nach türkischem Recht zum Verbot einer Partei führt, erscheint contraproduktiv, ist aber Balsam für die schwächelnde Opposition.
Selbst unsere Politiker fühlen sich nicht so sattelfest, so dass sie sich immer wieder mit dem Versuch
eines Parteienverbots beim Verfassungsgericht eine blutige Nase holen.

mfg Kosh
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ateyim
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Beiträge: 3656
Wohnort: Istanbul

Beitrag(#956705) Verfasst am: 17.03.2008, 09:59    Titel: Antworten mit Zitat

@chinasky: 7 der 11 Verfasssungsrichter müssen für die Bearbeitung des Antrags stimmen. Wenn ich überlege, dass 8 von ıhnen vom ehemaligen Praesidenten Sezer, der ein eiserner Kemalist war und dauerhafter AKP-Kontrahent, gehe ich mal davon aus, dass man den Antrag erstmal bearbeiten wird.

Wie es aber dann weitergeht, kann ich diesmal gar nicht abschaetzen. Selbst dem grössten Betonkopf müsste klar geworden sein, dass diesmal der Applaus über eine solche Parteiverbotsmassnahme ausgeblieben ist. Dass das Ausland gegen solche Parteiverbote klagt, ist man gewöhnt, aber niemand, kein Wirtschaftsverband, keine Oppositionspartei hat sich offen positiv zu dieser Massnahme ausgesprochen. Selbst die kemalistischen Vereine, die die Massendemos gegen die AKP im letzten Jahr mitorganisiert haben, Gewerkschaften, die vergangene Woche landesweit Hundertausende auf die Strassen gebracht haben, um für die grösste Demo ihrerseits seit dem letzten "richtigen" Militaerputsch 1980 zu sorgen, und sogar das Militaer schweigen.

Denn sie wissen: jede Befürwortung dieser Massnahme des Generalstaatsanwalts ist ein Schlag ins Gesicht jedes türkischen Bürgers.

Auch im Fernsehen heisst es fast durchweg in allen Diskussionen: nur der Waehler hat das Recht eine Partei zu "verbieten", indem er sie an der Wahlurne abwaehlt.

Daher habe ich diesmal die Hoffnung, dass das Gericht dann letztendlich gegen den Antrag stimmt. Daran, dass sie diesen Antrag nicht bearbeiten wird, glaube ich nicht, denn da waere der "Gesichtsverlust", den man dem Generalstaatsanwalt zufügen würde, so gross, dass das kemalistische Establishment sich selbst schaden würde. (denke ich mal so)

Für den Fall, dass die Klage durchkaeme, müssten wohl Neuwahlen durchgeführt werden. Dies liegt nicht an dem Parteiverbot. Dadurch waeren auf einen Schlag hunderte Abgeordnete zwar parteilos, aber Parteiaustritte oder Parteiwechsel führen in der Türkei eh nicht dazu, dass man sein Mandat verliert. Bloss werden ja auch Berufsverbote gegen 71 Abgeordnete der AKP verlangt, und wenn mehr als 55 Sitze des Parlaments nicht mehr besetzt werden können, dann müssen Neuwahlen durchgeführt werden.

Wenn ich daran denke, dass im naechsten Frühjahr die Kommunalwahlen anstehen und die AKP nach dieser Anklage in der Rolle des Opferlamms, das seiner Schlachtung entkommen konnte, antreten dürfte, wird mir ganz anders.

Der derzeitige AKP Aussenminister meinte jedenfalls gestern in einem Interview: "Über diesen Antrag wird man in Jahren genauso staunen, wie wenn im Geschichtsunterricht zum Thema Mittelalter von Flugzeugen die Rede waere."

So unrecht hat er nicht.

Ich hoffe jedenfalls, dass dies auch so langsam die Tür zu einem anderen Bereich öffnet: vielleicht ist über die Kritik an den kemalistischen Betonköpfen etwas möglich, was bisher tabuisiert wird, seit mehr als 80 Jahren... die kritische Bearbeitung des Kemalismus selbst, der solch eine Szenerie erst ermöglicht hat, weil er nicht nur die Demokratie von oben herab eingeführt hat, sondern auch dessen Schutz von oben herab etabliert hat. Ich finde, da kommt "das Volk" bei dem vielen "von oben herab" ziemlich kurz.
Kann ein Volk in seinem Demokratieverstaendnis reifen, wenn es weiss, dass wenn die "Urne" versagt, ja das Militaer oder die Gerichte da sind, um die Sache wieder auszubügeln? Anscheinend ist der Wille zur Reife da, was an dem Ausbleiben des Applauses deutlich wird...

mal schauen, wie es weitergehen wird.
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Elisa.beth
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Anmeldungsdatum: 15.03.2007
Beiträge: 2344

Beitrag(#956795) Verfasst am: 17.03.2008, 13:28    Titel: Re: Türkischer Staatsanwalt geht gegen Religion vor Antworten mit Zitat

kynos hat folgendes geschrieben:
Eine gute oder eine schlechte Nachricht?

http://www.tagesschau.de/ausland/akpverbotsantrag2.html

In der Türkei lassen sich manche Staatsorgane nicht von der Religion einlullen. Andererseits hat ein Verbot einer religiösen Partei etwas Unfreiheitliches an sich.


Seit wann ist eine Partei (AKP) eine Religion ?
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Chinasky
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Anmeldungsdatum: 27.03.2006
Beiträge: 1264
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Beitrag(#957206) Verfasst am: 17.03.2008, 21:51    Titel: Antworten mit Zitat

@ateyim: Danke für diese Einschätzung! Da bin ich als jemand, der von türkischer Innenpolitik null Ahnung hat, doch direkt mal interessiert, wie sich die Sache weiterentwickelt! Smilie

Wenn ich Dich recht verstehe, dann dürfte der Verbotsantrag über den Opferlamm-Nimbus-Umweg der AKP eher genutzt haben? Hältst Du denn die Mehrheit der Türken für so "demokratiefähig", daß sie es schaffen, den bevormundenden, militärgestützten Kemalismus einerseits abzustreifen, andererseits aber nicht den Schalmeienklängen religiöser Politiker zu erliegen? Eine richtung Islamismus rudernde Türkei hat ja durchaus auch ein gewisses Beunruhigungspotential. Irgendwie kommen mir da die Bilder von Khomenei wieder vor Augen, wie der damals von Paris nach Theheran flog und wie die Bilder mit den begeisterten Iranern hierzulande positiv kommentiert wurden nach dem Motto: Da wird der böse, korrupe Schah durch einen weisen alten Mann und das Volk davongejagt... Was, wenn nun das kemalistische Establishment ähnlich abgelöst wird? Oder sind das unbegründete Befürchtungen?
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ateyim
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Anmeldungsdatum: 21.05.2007
Beiträge: 3656
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Beitrag(#957479) Verfasst am: 18.03.2008, 09:46    Titel: Antworten mit Zitat



Die Karikatur in der heutigen Zeitung Sabah:

"Sieh mal, was Justitia anstellt"

@chinasky: schwer, da in der Kürze etwas zu schreiben, was nicht rein auf Gefühlen und deren Einschaetzung basiert (muss ja nebenbei doch noch etwas arbeiten zwinkern )

ich glaube, der Vergleich mit dem Iran hinkt.

Wenn heute z.B. eine Studentin vor der Uni Unterschriften sammelt, damit ihre Hochschule sie mit Kopftuch reinlaesst, dann kann es dieselbse Studentin sein, die im Jahr zuvor mit Kopftuch bei den "Anti-Scharia"-Demonstrationen auf der Strasse war.
Es ist dieselbe Frau, die z.B. auf die Strasse gehen würde, wenn plöztlich von der Vielehe die Rede waere.

Einer Frau mit Kopftuch, die darauf besteht es tragen zu wollen, kann eine der "Ultras" sein, aber auch eine der "Rosinenpickerinnen" aus dem Islam - the turkish way of Islam halt.

Studentin-Uni: das ist natürlich ein Merkmal des türkischen Westens und ich bin mir bewusst, dass im Osten oftmals noch nicht einmal die Grundschulpflicht bei Maedchen wirklich eingehalten wird.

garantieren kann ich nichts, aber ich habe das Gefühl, dass ein gewisses nicht unerhebliches demokratisches Fundament schon mal da ist und um das zu zerstören, müssten die Ultrafundamentalisten ganz andere Geschütze auffahren. Das zeigt mir schon die sehr sachliche Kritik der Bürger am Verrbotsantrag... keine radikalen Reaktionen auch nicht auf Seiten der AKP, Entsetzen sogar bei den Ultranationalisten. Denn viele Empfinden durch diesen Antrag genau das, was die Zeitung Sabah am Wochenende zum Ausdruck bringen wollte:



nach dem Motto: Volk bleib draussen... (du kannst es nicht).. wir regeln das schon.



das Kuriose an der Sache ist: Eine Islamisierungsgefahr erwartet man eigentlich im verarmten Osten, aber dort sind wie schon an anderer Stelle erwaehnt mehrheitlich Kurden und die sind mehrheitlich alevitisch. Eine Alevitin wirst du kaum in einen Schador stecken können.

Im Grunde müssten also die politischen Kraefte hier im Land, die eine schleichende Islamisierung befürchten, gerade diese Volksgruppe als Partner sehen und alles dransetzen, zu verhindern, dass diese aufgrund schlechter ökonomischer und menschenrechtlicher Bedingungen mit separatistischen Terroristen sympathisieren und somit das Potential, das man gegen eine islamistische Gefahr bündeln könnte, ungenutzt verpufft.


Traurig ...ich merke schon, meine Gedanken werden gerade nicht Halbes und nichts Ganzes... das muss erstmal genügen[img][/img]
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ateyim
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Beitrag(#959836) Verfasst am: 21.03.2008, 10:28    Titel: Antworten mit Zitat

mal wieder wie ich finde eine nette Karrikatur in der heutigen Ausgabe der Zeitung SABAH:



Zitat:
links : Für die kommenden Parlamentswahlen eine praktische Regelung

in der Sprechblase: "Somit ermüden wir niemanden unnötig und das Ergebnis ist viel sicherer."



und schlaegt vor, dass bei den kommenden Wahlen am besten nur noch die 11 Richter des Verfassungsgerichts waehlen sollen. Lachen
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Botschafter Kosh
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Beiträge: 3972

Beitrag(#959966) Verfasst am: 21.03.2008, 14:06    Titel: Antworten mit Zitat

Die türkischen Medien betreiben so die Demontage des Rechtsstaates.
Die verfassungsrechtlichen Sicherungen werden propagandistisch ausgehebelt.
Das Urteil des Verfassungsgerichtes wird schon mal (bevor es erteilt wurde) als Bevormundung hingestellt.
Wird so einer verfassungsfeindlichen Organisation der Weg bereitet?.

mfg Kosh
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ateyim
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Beitrag(#959979) Verfasst am: 21.03.2008, 14:27    Titel: Antworten mit Zitat

Botschafter Kosh hat folgendes geschrieben:
Die türkischen Medien betreiben so die Demontage des Rechtsstaates.
Die verfassungsrechtlichen Sicherungen werden propagandistisch ausgehebelt.
Das Urteil des Verfassungsgerichtes wird schon mal (bevor es erteilt wurde) als Bevormundung hingestellt.
Wird so einer verfassungsfeindlichen Organisation der Weg bereitet?.

mfg Kosh



es ist eher so, wie ich in Gespraechen merke, dass sich die Bürger "demontiert" vorkommen. Und die Bevormundung erfolgt nicht durch das Verfassungsgericht, sondern durch den Generalstaatsanwalt.

Wenn eine andere Partei einen Verbotsantrag stellen würde, dann waere das was anderes... aber eine nicht gewaehlte Person wird hier aktiv und beginnt einen persönlichen Feldzug...

hier beginnt eine Person gegen 47% der Waehlerstimmen einen Feldzug... waere es von einer Oppositionspartei, dann waeren es vieleicht 19% gegen 47% gewesen. Einen Feldzug für das er aus Waehlersicht keine Option bekommen hat.
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Beiträge: 3972

Beitrag(#959991) Verfasst am: 21.03.2008, 14:45    Titel: Antworten mit Zitat

ateyim hat folgendes geschrieben:
Botschafter Kosh hat folgendes geschrieben:
Die türkischen Medien betreiben so die Demontage des Rechtsstaates.
Die verfassungsrechtlichen Sicherungen werden propagandistisch ausgehebelt.
Das Urteil des Verfassungsgerichtes wird schon mal (bevor es erteilt wurde) als Bevormundung hingestellt.
Wird so einer verfassungsfeindlichen Organisation der Weg bereitet?.

mfg Kosh



es ist eher so, wie ich in Gespraechen merke, dass sich die Bürger "demontiert" vorkommen. Und die Bevormundung erfolgt nicht durch das Verfassungsgericht, sondern durch den Generalstaatsanwalt.

Wenn eine andere Partei einen Verbotsantrag stellen würde, dann waere das was anderes... aber eine nicht gewaehlte Person wird hier aktiv und beginnt einen persönlichen Feldzug...

hier beginnt eine Person gegen 47% der Waehlerstimmen einen Feldzug... waere es von einer Oppositionspartei, dann waeren es vieleicht 19% gegen 47% gewesen. Einen Feldzug für das er aus Waehlersicht keine Option bekommen hat.


Ein Mann stellt einen Antrag (als Bürger).
Der Antrag wird geprüft und rechtsstaatlich bearbeitet.
Eine Partei wird auf ihre Verfassungsmäßigkeit durchleuchtet.(bis dahin völlig normal)
Ergebnis: Die Partei ist verfassungsfeindlich und wird verboten.(fiktive Annahme)
Und weiter 47% der Bevölkerung zeigen verfassungsfeindliche Tendenzen!
Folgerung: Der Rechsstaat Türkei steht auf der Kippe!

mfg Kosh
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ateyim
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Anmeldungsdatum: 21.05.2007
Beiträge: 3656
Wohnort: Istanbul

Beitrag(#960011) Verfasst am: 21.03.2008, 15:15    Titel: Antworten mit Zitat

Botschafter Kosh hat folgendes geschrieben:
ateyim hat folgendes geschrieben:
Botschafter Kosh hat folgendes geschrieben:
Die türkischen Medien betreiben so die Demontage des Rechtsstaates.
Die verfassungsrechtlichen Sicherungen werden propagandistisch ausgehebelt.
Das Urteil des Verfassungsgerichtes wird schon mal (bevor es erteilt wurde) als Bevormundung hingestellt.
Wird so einer verfassungsfeindlichen Organisation der Weg bereitet?.

mfg Kosh



es ist eher so, wie ich in Gespraechen merke, dass sich die Bürger "demontiert" vorkommen. Und die Bevormundung erfolgt nicht durch das Verfassungsgericht, sondern durch den Generalstaatsanwalt.

Wenn eine andere Partei einen Verbotsantrag stellen würde, dann waere das was anderes... aber eine nicht gewaehlte Person wird hier aktiv und beginnt einen persönlichen Feldzug...

hier beginnt eine Person gegen 47% der Waehlerstimmen einen Feldzug... waere es von einer Oppositionspartei, dann waeren es vieleicht 19% gegen 47% gewesen. Einen Feldzug für das er aus Waehlersicht keine Option bekommen hat.


Ein Mann stellt einen Antrag (als Bürger).
Der Antrag wird geprüft und rechtsstaatlich bearbeitet.
Eine Partei wird auf ihre Verfassungsmäßigkeit durchleuchtet.(bis dahin völlig normal)
Ergebnis: Die Partei ist verfassungsfeindlich und wird verboten.(fiktive Annahme)
Und weiter 47% der Bevölkerung zeigen verfassungsfeindliche Tendenzen!
Folgerung: Der Rechsstaat Türkei steht auf der Kippe!

mfg Kosh


nun gut...

wenn das Ergebnis anders ausfaellt, würdest du genauso bereit sein, anzuerkennen, dass auch die 47%, die die AKP gewaehlt haben, NICHT verfassungsfeindlich sind und der Rechtsstaat Türkei NICHT auf der Kippe steht?
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Anmeldungsdatum: 26.11.2007
Beiträge: 3972

Beitrag(#960100) Verfasst am: 21.03.2008, 18:54    Titel: Antworten mit Zitat

@ateyim

Ergebnis: Die Partei ist verfassungsfeindlich und wir nicht verboten.
Folgerung: Der Rechsstaat Türkei steht auf der Kippe!

Ergebnis: Die Partei ist nicht verfassungsfeindlich und wird verboten.
Folgerung: Der Rechsstaat Türkei steht auf der Kippe!

Ergebnis: Die Partei ist nicht verfassungsfeindlich ind wird nicht verboten.
Folgerung: Der Rechsstaat Türkei steht nicht auf der Kippe! Der Oberstaatsanwalt hat Probleme.

mfg Kosh
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Anmeldungsdatum: 05.04.2007
Beiträge: 1811

Beitrag(#960105) Verfasst am: 21.03.2008, 19:07    Titel: Antworten mit Zitat

Ich muss ehrlich gestehen, dass mir die AKP sympathischer als deren nationalistischen Gegenpole (inklusive Armee) ist. Aus diesem Grunde halte ich nicht viel davon, wenn die AKP ihre Macht abgeben müsste.

Naja, aber aus Deutschland schaut es eh alles anders aus. Lachen

edit:
Botschafter Kosh hat folgendes geschrieben:
Ergebnis: Die Partei ist nicht verfassungsfeindlich ind wird nicht verboten.
Folgerung: Der Rechsstaat Türkei steht nicht auf der Kippe! Der Oberstaatsanwalt hat Probleme.


Diese Folgerung verblüfft mich, da deine vorhergegangenen Aussagen Gegenteiliges verkündeten.
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Botschafter Kosh
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Anmeldungsdatum: 26.11.2007
Beiträge: 3972

Beitrag(#960121) Verfasst am: 21.03.2008, 19:44    Titel: Antworten mit Zitat

Sharif hat folgendes geschrieben:
Ich muss ehrlich gestehen, dass mir die AKP sympathischer als deren nationalistischen Gegenpole (inklusive Armee) ist. Aus diesem Grunde halte ich nicht viel davon, wenn die AKP ihre Macht abgeben müsste.

Naja, aber aus Deutschland schaut es eh alles anders aus. Lachen

edit:
Botschafter Kosh hat folgendes geschrieben:
Ergebnis: Die Partei ist nicht verfassungsfeindlich ind wird nicht verboten.
Folgerung: Der Rechsstaat Türkei steht nicht auf der Kippe! Der Oberstaatsanwalt hat Probleme.


Diese Folgerung verblüfft mich, da deine vorhergegangenen Aussagen Gegenteiliges verkündeten.


Es handelt sich um fiktive Annahmen.
Diese halte ich für nicht sehr wahrscheinlich.
Wahrscheinlich wird es so kommen.
Es ist zu spät, um den Vorgang aufzuhalten.
http://www.welt.de/welt_print/article1826290/Fr_ein_Verbot_der_AKP_ist_es_zu_spt.html
"Ich habe die Refah-Partei schließen lassen, weil sie die Scharia anstrebte. Dann ihre Nachfolgepartei Fazilet, aus demselben Grund. Erdogan war ein bedeutender Name in diesen Kreisen. Er hat 25 Jahre lang versucht, zu beweisen, dass der Laizismus nicht mit dem Islam vereinbar ist. Er war ein Wortführer gegen die EU. Weil er immer wieder scheiterte, verfolgt er mit der AKP nun eine neue Strategie, setzt auf die Unterstützung des Westens und geht Kompromisse ein. Er sagte einmal, er würde sich notfalls als Papst verkleiden, um das System zu zerstören."


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ateyim
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Anmeldungsdatum: 21.05.2007
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Beitrag(#968064) Verfasst am: 01.04.2008, 09:07    Titel: Antworten mit Zitat

der Aktualitaet und der Vollstaendigkeit halber:

einstimmig hat das türkische Verfassungsgericht die Anklageschrift des Generalstaatsanwalts für "verhandlungswürdig" erklaert.

Somit laeuft gegen die AKP das Parteiverbotsverfahren und gegen ca. 70 ihrer Abgeordneten ein Berufsverbotsverfahren.

Der Antrag auf Berufsverbot von Abdullah Gül, dem Staatspraesidenten, wurde mit 7:4 Stimmen auch zur Verhandlung freigegeben.

Nun haben die Angeklagten Zeit innerhalb eines Monats ihre Verteidigung vorzubereiten und vorzutragen.


Mich wundert, dass die AKP ihre anfaengliche Ruhe zu verlieren scheint. Aus einem "Man kann uns nichts anhaben" und "notfalls gehen wir zum europaeischen Gerichtshof" wurde nun ein "dann aendern wir die Verfassung dahingehend, dass solche Entscheidungen, wie Berufsverbot oder Parteiverbot durch das Verfassungsgericht nur noch einstimmig und nicht mehr mit einfacher Mehrheit beschlossen werden können."

Wenn die MHP nicht mitmacht, würden der AKP für eine solche Aenderung einige Stimmen fehlen und sie würde dann, wie sich manche aus der Partei aeusserten dies sogar als Referendum vors Volk tragen wollen, was dem Klima im Land nicht sehr zutraeglich waere und das politische Chaos in Ankara auch noch in die Bevölklerung tragen würde.

Die oppositionelle CHP hat bereits angekündigt, dass man die Gesetze, die einem laufenden Verfahren zugrundeliegen nicht aendern dürfe und sagte offen, dass sie dies auf keinen Fall zulassen werde (wo ich aber in diesem Fall ihr absolut zustimme)

Es stehen viele turbulente Monate bevor, in denen wieder viel gemunkelt werden wird. Mal sehen, in welche Richtung die Entwicklung der naechsten Tage weisen wird.


kurz und knapp dazu auch ein treffender Kommentar in der heutigen FAZ:

Zitat:
Dass viele weltlich gesinnte Türken, vor allem aus der Oberschicht, der konservativ-islamischen Regierungspartei AKP und dem Ministerpräsidenten Erdogan nicht über den Weg trauen, ist ihr gutes Recht. Auf einem anderen Blatt steht freilich, dass das Verfassungsgericht nun tatsächlich einen Verbotsantrag gegen die Partei und 71 Politiker prüfen will.

Die Aufhebung des Kopftuchverbotes für Studentinnen, also die Herstellung eines Zustands, wie er in Amerika und anderswo üblich ist, nahm „General“-Staatsanwalt Yalçinkaya zum Anlass für den Verbotsantrag. Wo die Verstöße gegen den Laizismus der Verfassung genau liegen sollen, ist noch nicht deutlich.

Die AKP bekam bei den Wahlen 47 Prozent der Stimmen, sie stellt 330 von 550 Abgeordneten. Umfragen haben ergeben, dass sie die Mittelschicht repräsentiert, die in der Türkei entstanden ist - nicht zuletzt dank der wirtschaftlichen Erfolge der AKP.

Die alte Elite hatte in den neunziger Jahren das Land weitgehend ruiniert und war durch Skandale negativ aufgefallen. Sie muss sich bald, frei nach Bert Brecht, ein neues Volk zusammenbasteln.

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ateyim
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Beitrag(#969431) Verfasst am: 02.04.2008, 08:54    Titel: Antworten mit Zitat

manchmal frage ich mich echt wo ich bin:

Wegen Verletzung des berüchtigten Paragraphes 301, der jegliche Beleidigung des Türkentums unter Strafe stellt, droht nun zweien von vier Moderatorinen einer derzeit sehr beliebten Talkrunde eine Anklage.



gegen die beiden Frauen ganz links und ganz rechts

die blonde Dame ganz links muss gesagt haben, dass sie es nicht einsehen kann, wieso ihre Stimme bei Wahlen den gleichen Wert haben soll, wie die eines Hirten in Anatolien.

Nun ja, dumm ist es allemal, aber sie deswegen anzuklagen... sie ist wohl gestraft genug mit dieser Denkweise.

Kurioserweise wird auch gegen die "fussige" Dame ganz rechts eine Anhörung stattfinden. Sie hat vehement gegen die eben genannte Einstellung protestiert, und überspitzt gesagt, dass die Menschen von Adıyaman noch in Höhlen hausen

Ich vermute mal, sie wollte darauf hinweisen, dass nicht alle das Glück haben mit einem goldenen Löffel geboren zu werden, und dass es in diesem Land krasse Unterschiede gibt.

Da sie hiermit die Bürger von Adıyaman pauschal beleidigt habe, wird nun auch gegen sie wohl eine Anhörung stattfinden.

Am Ende wird wohl nichts draus werden, aber irgendwie scheint in der türkischen Justiz derzeit eine Klageepidemie ausgebrochen zu sein.


zwinkern by the way: mich würde eher interessieren, ob die Vier am Tisch Blue Curação trinken
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Evilbert
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Beitrag(#969436) Verfasst am: 02.04.2008, 09:11    Titel: Antworten mit Zitat

ateyim hat folgendes geschrieben:

zwinkern by the way: mich würde eher interessieren, ob die Vier am Tisch Blue Curação trinken


Gröhl...





Öhm, eigentlich hat die ganz links ja recht.

Ich kann auch "nicht einsehen [...] wieso ihre Stimme bei Wahlen den gleichen Wert haben soll, wie die eines Hirten in Anatolien".

Hirten zeichnen für ganz viele Tiere und letztlich für das wohlergehen diverser Menschen verantwortlich. Während die doofe Tusse wohl nur shoppen gehen kann.

Der Dame rechts im Bild wünsche ich aber alles Gute und hoffe, dass der ganze Quatsch schnell und glimpflich vorübergeht.
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Botschafter Kosh
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Beitrag(#969461) Verfasst am: 02.04.2008, 09:49    Titel: Antworten mit Zitat

Eine Partei, die offensichtlich gegen geltendes Recht verstößt, ist nicht regierungsfähig.
Die Generalstaatsanwaltschaft der Türkei verdient Respekt.
Die Gesetze solange zu ändern bis ein religiöses System als Staatapparat installiert ist, ist zutiefst undemokratisch.
Daran erkennt man Diktaturen und es ist richtig, diese am Entstehen zu hindern.


mfg Kosh
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kynos
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Beiträge: 163

Beitrag(#969487) Verfasst am: 02.04.2008, 10:34    Titel: Antworten mit Zitat

Botschafter Kosh hat folgendes geschrieben:

Die Generalstaatsanwaltschaft der Türkei verdient Respekt.
Die Gesetze solange zu ändern bis ein religiöses System als Staatapparat installiert ist, ist zutiefst undemokratisch.
Daran erkennt man Diktaturen und es ist richtig, diese am Entstehen zu hindern.
mfg Kosh


Hitler ist auch den demokratischen Weg gegangen oder besser gesagt: marschiert, nachdem es 1923 mit dem Putsch nach Mussolinivorbild nicht geklappt hat. Und die Religion stand Pate: am 23.3.33 machten die "Totalitären" (das ist die wörtliche lateinische Übersetzung von "Katholen") ihn wiederum ganz demokratisch zum Diktator (Ermächtigungsgesetz).

Schlimm, wenn wie in Deutschland 1933-1945 allierte Bomben oder jetzt in der Türkei womöglich die Militärs die Demokratie vor demokratiefeindlich wählenden Demokraten retten müssen.
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tillich (epigonal)
hat Spaß



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Beitrag(#969668) Verfasst am: 02.04.2008, 14:58    Titel: Antworten mit Zitat

Botschafter Kosh hat folgendes geschrieben:
Eine Partei, die offensichtlich gegen geltendes Recht verstößt, ist nicht regierungsfähig.

Das ist korrekt. Und auf welche Partei trifft das zu? Mit "offensichtlichen" Belegen?
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Botschafter Kosh
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Beiträge: 3972

Beitrag(#969782) Verfasst am: 02.04.2008, 16:33    Titel: Antworten mit Zitat

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Botschafter Kosh hat folgendes geschrieben:
Eine Partei, die offensichtlich gegen geltendes Recht verstößt, ist nicht regierungsfähig.

Das ist korrekt. Und auf welche Partei trifft das zu? Mit "offensichtlichen" Belegen?


Das zu beurteilen, überlasse ich mal den Profis im türkischen Rechtssystem.

mfg Kosh
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tillich (epigonal)
hat Spaß



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Beitrag(#969831) Verfasst am: 02.04.2008, 17:28    Titel: Antworten mit Zitat

Ah. Und ich hatte schon angenommen, dass du den Staatsanwalt so lobst, beruhe auf einer begründeten eigenen Meinung.
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Kival
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Beitrag(#969835) Verfasst am: 02.04.2008, 17:33    Titel: Antworten mit Zitat

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Ah. Und ich hatte schon angenommen, [deine Aussage] ... beruhe auf einer begründeten ... Meinung.


Diese Annahme ist mir unverständlich.
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Botschafter Kosh
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Anmeldungsdatum: 26.11.2007
Beiträge: 3972

Beitrag(#970003) Verfasst am: 02.04.2008, 20:45    Titel: Antworten mit Zitat

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Ah. Und ich hatte schon angenommen, dass du den Staatsanwalt so lobst, beruhe auf einer begründeten eigenen Meinung.


Man muss sich auch mal auf Fachleute verlassen können.
Der Antrag ist ja mitlerweile vom Verfassungsgericht als verhandlungswürdig eingestuft worden.
Da ist also mehr als ein Jurist der Meinung , dass irgendetwas strafbar ist.

mfg Kosh
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tillich (epigonal)
hat Spaß



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Beitrag(#970313) Verfasst am: 03.04.2008, 00:03    Titel: Antworten mit Zitat

Botschafter Kosh hat folgendes geschrieben:
Der Antrag ist ja mitlerweile vom Verfassungsgericht als verhandlungswürdig eingestuft worden.
Da ist also mehr als ein Jurist der Meinung , dass irgendetwas strafbar ist.

Nochmal kostenlose Nachhilfe in demokratisch-rechtsstaatlichem Grundwissen:
Annahme eines Antrags zur Verhandlung =/= Feststellung der Richitigkeit des Antrags.

Botschafter Kosh hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Ah. Und ich hatte schon angenommen, dass du den Staatsanwalt so lobst, beruhe auf einer begründeten eigenen Meinung.

Man muss sich auch mal auf Fachleute verlassen können.

Sich in diesem Fall, wo ein streng kemalistischer Staatsanwalt eine religiös orientierte Partei verbieten will, sich auf das Urteil des ebenso streng kemalistischen vorigen Staatsanwaltes zu verlassen, der mehrfach religiös orientierte Parteien verboten hat, ist in etwa so, als würde man sich bei der Beurteilung eines Militärputschs auf pensionierte Generäle verlassen.

Und ganz allgemein halte ich solche zentralen Fragen einer Demokratie, wie die, ob und welche Parteien verboten werden dürfen, für die allerletzten, bei denen man seine eigene politische Mündigkeit an Fachleute abtritt. Eine Begründung für die eigene Meinung zu haben würde sich also echt gut machen.
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Evilbert
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Beitrag(#970319) Verfasst am: 03.04.2008, 00:10    Titel: Antworten mit Zitat

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Eine Begründung für die eigene Meinung zu haben würde sich also echt gut machen.


Äußerst interessant, wie Du hier Kosh auseinandernimmst, weil er die Begründung seiner Meinung auf "höhere Instanzen" delegiert. Teufel
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