Chinasky dirty ol' man
Anmeldungsdatum: 27.03.2006 Beiträge: 1264
Wohnort: Hoher Norden
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(#987057) Verfasst am: 23.04.2008, 15:17 Titel: |
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Adorno und Schiller... Ja mei, wie originell!
Schillers "Über die ästhetische Erziehung des Menschen" ist Standart-Thema in der Lehrerausbildung, die wird immer wieder in Pädagogikseminaren zitiert. Wie Du ihn jetzt mit Schiller "kriegen" solltest - keine Ahnung. Hab mein Lehramtsstudium leider mittendrin abgebrochen... Hab mal eben bei Wikipedia nachgeschaut - die Briefe scheinen als eine Art Gegenentwurf zu manchen Thesen Kants konzipiert zu sein. [url=http://de.wikipedia.org/wiki/Über_die_ästhetische_Erziehung_des_Menschen]Siehe hier.[/url]
Adorno, das war der mit der Angst vor blanken Mädchenbusen... Gibt ein schönes Gedicht, ich glaube, von Robert Gernhardt, über die Szene, wo der Herr Professor Adorno durch ein paar blankgezügte Mädchenbusen sich vertreiben ließ...
Ich bin kein großer Adorno-Kenner, gelesen habe ich bisher nur Teile der Minima Moralia (das sind mehr so gesammelte Kurzschriften von ihm) und "Die Dialektik der Aufklärung "(die er zusammen mit Horkheimer geschrieben hat, und die wohl die bekannteste Schrift der "Frankfurter Schule" überhaupt ist) . Die habe ich aber leider beim ersten Durchlesen vor ein paar Jahren nicht wirklich verstanden, sie liegt gerade wieder auf dem Stapel meiner to-read-Bücher, weil ich hoffe, sie inzwischen etwas besser zu verstehen.
Im Positivismusstreit steht Adorno gegen Popper, dessen Kritischer Rationalismus wohl von vielen Atheisten und Agnostikern hier im Board vertreten wird, und dessen wissenschaftstheoretische Positionen vor allem in letzter Zeit wieder in der Auseinandersetzung zwischen (Natur-)Wissenschaften und Pseudowissenschaften wie dem Intelligent Design wichtig werden.
Dabei dreht es sich beim Positivismusstreit allerdings vor allem um die Sozialwissenschaften:
http://de.wikipedia.org/wiki/Positivismusstreit
Du solltest also Deinen Lehrer erstmal fragen, inwieweit er sozialwissenschaftliche (geisteswissenschaftliche) und naturwissenschaftliche Fragestellungen gleich bewertet, bzw. ob er der Meinung sei, daß geisteswissenschaftliche Fragestellungen mit demselben Intrumentarium untersucht werden können wie naturwissenschaftliche Fragestellungen.
Aber auch hier: ich würde mir nicht anmaßen wollen, jemanden über Adorno "kriegen" zu wollen, höchstens, wenn derjenige Jazzmusikliebhaber ist (kleiner Insiderwitz, Adorno hat auch ziemlich viele musiktheoretische Sachen geschrieben, hat aber den Jazz m.M.n. nicht wirklich verstanden und dementsprechen abfällig über ihn geurteilt).
Es sollte mich allerdings verwundern, wenn Adorno ein Vertreter des (organisierten katholischen) Christentums gewesen sein sollte. Er ist zu verstehen vor dem Hintergrund des Nazi-Faschismus, unter dessen Eindruck (er emigrierte in die USA) er seinen ziemlich düsteren Kulturpessimismus entwickelte. Berühmt ist sein Satz geworden: "Es gibt kein wahres Leben im falschen." In der "Dialektik der Aufklärung" kommt es mir zumindest so vor, als würde Adorno beweisen wollen, daß alle Versuche, die Freiheit der Menschen durch Aufklärung zu vergrößern, darin enden, daß diese Freiheit eher kleiner wird, daß "der Betrieb", die "Kulturindustrie" oder "das System" letztlich wie schwarze Löcher sind, in die jeder hineingesogen wird. Gerade hole ich mir meine "Dialektik der Aufklärung"-Ausgabe hervor und lese da hinten im Klappentext: "Wir hegen keinen Zweifel (...), daß die Freiheit der Gesellschaft vom aufklärenden Denken unabtrennbar ist. Jedoch glauben wir, genauso deutlich erkannt zu haben, daß der Begriff eben dieses Denkens, nicht weniger als die konkreten historischen Formen, die Institutionen der Gesellschaft, in die es verflochten ist, schon den Keim zu jenem Rückschritt enhalten, der heute überall sich ereignet. Nimmt Aufklärung die Reflexion auf dieses rückläufige Moment nicht in sich auf, so besiegelt sie ihr eigenes Schicksal." (Hervorhebungen von mir)
Tja, Dialektik eben. Die Stärke von Adorno ist, daß er die Schwächen des aufklärerischen Denkens erkennt, d.h. die Fehleranfälligkeit in jedem menschlichen Denken allgemein und dann speziell in dem Denken, das glaubt, fortschrittlich zu sein. Und diese Art des kritischen Hinterfragens auch des aufklärerischen Denkens (bzw. des Denkens jener Leute, die glauben, sie würden aufklärerisch und rational denken) ist wichtig! Wo genau Adornos eigene Denkfehler gelegen haben mögen, kann ich leider nicht sagen, da ich, wie gesagt, noch nicht mal richtig kapiert habe, was genau ich aus der "Dialektik der Aufklärung" zu lernen hätte.
Bezüglich Deiner Kontroverse mit Deinem Lehrer kann ich nun überhaupt nix raten, das sich nicht auch als vollkommen verkehrt herausstellen könnte. Ein eigenständiges Urteil bezüglich des Positivismusstreits habe zumindest ich nicht, und inwieweit sich dieser Streit in Zusammenhang mit der Gottesfrage bringen ließe, kann ich kaum beurteilen. Ich vermute mal, daß Adorno sich im Grabe umdrehen würde, wenn er erführe, daß jemand seine Argumentation im Positivismusstreit zu einem apologetischen Argument für die katholische Lehre verwursten würde. Denn der "Sprung in den Glauben" als Rettung aus der Problematik der Dialektik der Aufklärung scheint mir keine elegante Lösung und vor allem keine "aufrechte" Lösung, keine ehrliche Lösung des Problems.
Aber dies nun gegenüber jemandem, der seinen Adorno, seinen Habermas und seinen Ratzinger genau kennt, in einer Debatte auch überzeugend vertreten zu können, würde ich mir nicht ohne gründliche Vorbereitung zutrauen. Ich nenne hier Habermas und Ratzinger - weil ich vermute, daß Dein Lehrer hier die Zusammenhänge sieht mit Eurem eigentlichen Streitthema. Zur Erläuterung: Habermas hat wohl einen längeren Briefwechsel mit Ratzinger geführt und ist dem Herrn Stellvertreter Jesu auf Erden ziemlich weit entgegengekommen. Und gleichzeitig war Habermas eben ein Adorno-Schüler und ist gewissermaßen der letzte große Alte aus der Frankfurter Schule. Zu Habermas und seinem Verhältnis zur Religion hier ein Zeitartikel:
http://www.zeit.de/2007/48/Habermas?page=all
Wichtig ist aber m.M.n., daß auch Habermas kein Christ ist und immer wieder vom "nachmetaphysischen Denken" spricht. Ihm geht es vor allem um gesellschaftliche, soziologische, ethische Fragestellungen. Habermas glaubt nicht an Götter - dennoch wird er immer wieder seitens der Gläubigen zitiert, weil er durch seine Zugeständnisse die Gläubigenfraktion scheinbar wieder intelektuell "satisfaktionsfähig" gemacht hat.
Hier kannst Du vielleicht schon erkennen: Es geht auch in diesem Streit immer um eine Art Politik, um Ansehen, darum, über die präsentabelsten Autoritäten zu verfügen usw. Gerade von Gläubigen, denen Autorität ein wichtiger Wert ist (denn die oberste Autorität ist Gott - jeder Gottesglaube ist somit ein Bekenntnis zum Autoritätsprinzip), wird freilich jeder Intelektuelle, der sich auch mal positiv zu einzelnen Religionsaspekten äußert, gern als Zeuge hergenommen.
Wäre ich Du, würde ich wohl diesen Aspekt der Autorität wählen, um zu fragen, inwieweit ein katholischer Glaube nicht ein Verrat adorno'scher Ideale sei. Denn das Sich-Unterwerfen unter eine verkündete Wahrheit ist ja wohl das genaue Gegenteil einer aufgeklärten Dialektik, und vor der Folie des Totalitarismus und Faschismus ausgerechnet Adorno als Kronzeugen für einen absoluten, allein selig machenden Gott zu nehmen, wirkt auf mich irgendwie pervers...
Aber: Wäre ich Du, so würde ich zuerst mich mal schlau machen über den Positivsmusstreit, ich würde die Dialektik der Aufklärung lesen und mich näher mit Habermas und dessen Gedankenaustausch mit Ratzinger informieren. Und dann würde ich ein wenig abklopfen, wie weit Dein Lehrer tatsächlich kompetent ist. Denn: Ich z.B. bin nicht kompetent, kann aber mit den Schlagworten Adorno, Poritivismusstreit, "ästhetische Erziehung der Menschen" usw. durchaus etwas anfangen. Das heißt: Könnte gut sein, daß Dein Lehrer nur rumposed. Je nachdem, wie gut er sich wirklich in der Materie auskennt, müßtest dann auch Du Dich vorbereiten, um ihm Paroli bieten zu können. Mit zwei, drei Sätzen und Argumenten, die Du auf näheres Nachfragen eventuell nicht aufrecht erhalten könntest, würde ich ihm jedenfalls nicht kommen.
Ein Beispiel dafür sind Eure Beispiele mit der Billionstel Sekunde und der Küste Englands. Dein Argument ist ähnlich platt* wie seins, seines geht im übrigen nicht mal wirklich auf Dein Argument ein: Es ist ein argumentum ad ignorantiam. Wie bitte soll die Küstengrenze Englands berechnen? Warum sollte das nicht möglich sein? Weil sie sich andauernd verändert, weil die Wellen hier ein wenig abtragen, dort ein wenig hinzfügen oder was? Sein Küstengrenzen-Argument läuft darauf hinaus, daß der Laplace'sche Dämon nicht möglich sei. Was eine interessante Diskussion ergibt, aber nichts mit Deinem Argument zu tun hat, daß die Physik mit ihren Erklärungsmodellen schon ziemlich weit an den Urknall herangerobbt ist und das planende Eingreifen Gottes eine immer kleinere Lücke findet. Allerdings gibt es Theologen, die am Problem des Lückenbüßergottes nicht interessiert sind. Hier
http://www.philosophicum.de/gast/richter/kosmo2.htm
findest Du eine relativ korrekte Darstellung des Lückenbüßerarguments und darüberhinaus ein paar Gedanken, inwieweit damit Gottesvorstellungen widerlegt werden können oder inwieweit z.B. das Anerkennen von Erkenntnisgrenzen (Singularität) seitens der Naturwissenschaften gar von der Theologie als Beleg für ihren Gott benutzt werden könnten: " Es kann aber auch argumentiert werden, daß die Theologie in einer günstigeren Position ist: Die These von Gott als Verursacher des Urknalls stellt keinerlei Anforderungen an die Kosmologie, wogegen die materialistische These von einer zeitlichen Unendlichkeit des Weltalls völlig neue kosmologische Theorien erfordert." (By the way: Ich halte dieses Argument für sehr schwach: Die These von Gott als Verursacher des Urknalls stellt zwar keine Anforderungen an die Kosmologie, aber eben nur, weil es eine nicht belegbare ad-hoc-Erklärung ist. Und als solche ist die These eigentlich so überflüssig wie ein Kropf.)
So, hab jetzt schon zu lange hier geschrieben. Eigentlich wollte ich noch ein paar Geanken loswerden - aber das dann halt demnächst. Ach so, eine Frage noch:
Du schreibst, Dein Lehrer hätte Dich, als Du im jüngst Deinen Vortrag über die positivistische Erklärungsmöglichkeit der Liebe gehalten hattest, beinahe rausgeschmissen. Warum? Aus inhaltlichen, oder doch eher aus formalen Gründen? Berichte mal ausführlicher!
*Platt ist Dein Argument freilich dann nicht mehr, wenn Dein Lehrer kreationistische Thesen vertritt, am besten noch kurzzeitkreationistische Thesen. Das kann ich mir bei einem Adorno-Liebhaber aber beim besten Willen nicht vorstellen.
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