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Er war ein strenger, oft starrsinniger, aber ehrlicher Charakter, ein Willensmensch, der immer nach Aktivität und innerer Freiheit strebte und die Geistes- und Willenskraft aufs höchste schätzte. Er war ein liberaler Demokrat und Republikaner und er verband Patriotismus mit humanistischem Weltbürgertum. |
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Bei der Neugestaltung Europas nach den Grundsätzen von Freiheit und höchster sittlicher Kultur, wie er in seinen „Reden an die deutsche Nation” klar machte, maß er den Deutschen eine besondere Rolle zu. |
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Diese seine Geschichtsphilosophie unterschied drei gesellschaftliche Phasen: Das „arkadische Zeitalter” der primitiven Zustände eines herrschenden Vernunftinstinkts; das Zeitalter der „vollendeten Sündhaftigkeit”, in welchem sich das Gemeinwesen von sich selbst entfremdet hat und in viele divergierende Individuen zerfallen ist; das dritte Zeitalter wird das „elysische” sein, in welchem die Individuen nur noch konturlos wie Atome durcheinander schweben. Wie trifft doch die Beschreibung seiner zweiten Phase wieder auf das Deutschland von heute zu. |
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(...) interessiert sich Manfred Kühn in seiner doppelt so langen Darstellung vor allem für den politischen Denker. Wo Jacobs Fichtes Leben und Werk erklärtermaßen gutwillig liest, kommt Kühn am Ende seiner panoramatischen, luziden und zumal in den systematischen Passagen sehr gut nachvollziehbaren Erzählung zu dem drastischen Schluss, dass Fichte ein Vorläufer des Nationalsozialismus gewesen und von den Nationalsozialisten keineswegs zu Unrecht beansprucht worden sei. Tatsächlich fällt auf, dass Jacobs all jene Äußerungen Fichtes, die seinen tiefsitzenden Antisemitismus belegen, entweder übergeht oder nur oberflächlich streift. Den hypertrophen Kult der deutschen Sprache und damit des Volks der Deutschen bei Fichte erklärt er mit einer mangelhaft ausgebildeten Sprachwissenschaft und behandelt Fichtes Beteiligung an der juden- und frauenfeindlichen "Deutsch-christlichen Tischgesellschaft" äußerst diskret. Manfred Kühn hingegen zögert nicht, festzustellen, dass manche Ideen des Nationalsozialismus in Fichtes Philosophie angelegt seien. In diametralem Gegensatz zu Wilhelm Jacobs stellt er fest: "Allen Beschönigungsversuchen zum Trotz muss er als einer der Vorväter des unseligen deutschen Nationalismus gelten und spielt damit auch eine Rolle in der Entstehung des Nationalsozialismus." (...) |
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Manfred Kühn: Johann Gottlieb Fichte. Ein deutscher Philosoph |
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Fichte changiert in den Reden an die Deutsche Nation zwischen einem vorpolitisch begründeten Nationalismus und einer universalistischen Position. Deshalb finden sich dort einander widersprechende Bestimmungen der deutschen Nation: Einmal gehört ihr zu, wer die deutsche Sprache spricht, einmal ist Mitglied, wer die Ideale der Aufklärung vertritt – „wo es auch geboren sei, und in welcher Sprache es rede, ist unseres Geschlechts“ . In der Sekundärliteratur wird Fichte normalerweise einer der beiden Seiten zugeschlagen. |
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Im Verfassungspatriotismus wird das Volk durch die staatlich garantierte Geltung der Verfassung zur Nation. Im vorpolitisch begründeten Nationalismus ist der Staat, wie Fichte sagt, „bloß das Mittel .. für den höheren Zweck“ der Nation, eine bewaffnete Macht, die die sprachlich, kulturell, geschichtlich oder abstammungsmäßig begründete Einheit des Volks fördert und nach innen und außen verteidigt. Alles, auch der Staat, ist hier ein Mittel zur Bewahrung der vorpolitischen Einheit des Volkes. Das gilt selbstverständlich auch für die Staatsangehörigen. Der Verfassungspatriotismus legt auf individuelle Freiheitsrechte ein großes Gewicht, weil er Mündigkeit voraussetzt. Im vorpolitisch begründeten Nationalismus hingegen wird die Beziehung des Individuums zur Nation nicht durch Mündigkeit, sondern durch Vaterlandsliebe vermittelt, und diese Vaterlandsliebe wird schon bei Fichte als ein mystisches Dunkel von Sehnsüchten und Hoffnungen vorgestellt. „Der Edle“, schreibt Fichte, „opfert“ sich „mit Freuden“ nicht für den „Geist der ruhigen bürgerlichen Liebe der Verfassung, und der Gesetze, sondern (für) die verzehrende Flamme der höheren Vaterlandsliebe, die die Nation als Hülle des Ewigen umfasst“. Das ist das gerade Gegenstück zu Mündigkeit. Gefordert wird nicht Urteilskraft, sondern Identifikation und Glaube. Das Individuum im vorpolitisch begründeten Nationalismus wird nicht als selbständiges geschätzt, es geht in der Nation auf, der einzelne ist nichts, die Nation alles. In Hamburg steht ein von den Nationalsozialisten errichtetes Kriegsdenkmal, dessen Inschrift dieses Verhältnis exakt auf den Punkt bringt: „Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen.“ Strukturell undemokratisch also ist der vorpolitisch begründete Nationalismus, weil die durch den Staat garantierte Verfassung keinen gemeinsamen Identifikationspunkt darstellt, sondern die Forderung nach einem Staat vielmehr aus einer vorpolitisch verstandenen Einheit des Volkes begründet wird. Weil diese Einheit zu einer wesenhaften Entität verklärt wird, die rationaler Durchdringung entzogen ist, folgt die Erniedrigung des Individuums zu einem bloßen Exemplar, einem Diener des Volkes. |
Sermon hat folgendes geschrieben: |
Literaturhinweis:
Manfred Kühn: Johann Gottlieb Fichte Ein deutscher Philosoph, 1762–1814; (Beck) München 2012 ISBN-10: 3406630847 ISBN-13: 978-3406630842 |
Telliamed hat folgendes geschrieben: |
Mit dem Wissen um die Judenvernichtung im 20. Jahrhundert ausgestattet, sollten nicht die Denker der Frühen Neuzeit in Schubladen einsortiert werden.
Das richtet sich nicht gegen hier in der Diskussion Gesagtes, ich wollte nur ein bißchen zur Vorsicht raten. |
Sermon hat folgendes geschrieben: | ||
Historismus - so so. Inwiefern soll Fichte chronologisch korrekt noch als Denker der Fruehen Neuzeit bezeichnet werden koennen? Was aendert die Einordnung seines peripheren Antisemitismus an seinem hervorstechenden Nationalismus? Und wie serioes ist eine Wuerdigung, welchen denselben erst recht unterschlaegt? |
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