GWUP: Diskussion um den sogenannten _Wokeismus_
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#1: GWUP: Diskussion um den sogenannten _Wokeismus_ Autor: narr BeitragVerfasst am: 20.11.2023, 20:51
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Ursprünglichen Titel ("GWUP - was geschieht da?") passend zum Verlauf der Diskussion geändert. astarte


Die GWUP - Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften ist imo eine wichtige Größe in der Gesellschaft. Aufklärung, was Wissenschaft ist und den Unterschied zu unterschiedlichsten Glaubensrichtungen aufzuzeigen ist in Zeiten des Internets so wichtig wie nie.

Seit bei der GWUP einen neuen Vorstandsvorsitzenden gibt tun sich merkwürdige Dinge. Dr. Holm Hümmler, Physiker meint die Kritik an Wokeismus in die rechte Ecke stellen zu müssen. Behauptet "Wokeness" wäre ein "Hassbegriff" bzw ein Kampfbegriff der Rechten geworden.

Anscheinend sieht er jegliche Kritik an der Bewegung, die imo oft weit von der "Schärfung des Bewusstseins für die alltäglichen Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen im Leben" abgedriftet ist als "rechts".

Wen's interessiert - ein Beitrag von "Sinans Woche" zum Thema

#2:  Autor: kerengWohnort: Hamburg BeitragVerfasst am: 21.11.2023, 10:27
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Ich könnte mir vorstellen, dass Holm Hümmler dem Beitrag von "Sinans Woche" zustimmt und sich für seine Formulierung, Kritik an Wokeismus sei rechts, entschuldigt.

#3:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 21.11.2023, 12:42
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Per "Maildiskussion" sind bis jetzt ca 180 Mails gepostet.
Ich komme nicht dazu dass zu verfolgen.
Ich bin auch eher passives Mitglied.

#4:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 21.11.2023, 19:44
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"Wokeismus" ist ein reiner, vernebelnder, dumpfbackiger, rechter Kampfbegriff*, mit dem aus der minderheitenfeindlichen (= inhaltlich rechten) Ecke gewollt unterschiedslos auf alles eingeprügelt werden soll, was sich irgendwie für irgendwelche Minderheiten einsetzt.

Wer sich für links oder auch nur "mittig demokratisch" hält und dieses Wort verwendet, tut es entweder in diesem Sinn und täuscht sich also schlicht über seine Position.
Oder aber er möchte dieses Wort nur für die Kritik ganz bestimmter Positionen verwenden. Dafür ist es aber in seiner gewollten Unbestimmtheit nicht geeignet, und deswegen ist der Verwender erstens zu faul oder zu dämlich, seine Kritik an diesen ganz bestimmten Positionen statt mit diesem großen Hammer auch so differenziert und konkret zu formulieren, dass sie eben nicht alles minderheitenfreundliche pauschal trifft, und er macht sich zweitens zum nützlichen Idioten der rechten. Mutmaßlich tun diese Leute das dann für den billigen Beifall, den man mit solchen Kampfbegriffen aus der entsprechenden Ecke eben generieren kann.

* Unterscheiden muss man dabei mMn zwischen dem Adjektiv "woke", das eine Haltung beschriebt, und dem Nomen "Wokeismus", dass eine angebliche Ideologie beschreibt. Das Adjektiv "woke" kann dabei - allerdings primär im englischsprachigen Bereich - neben der verunglimpfenden Verwendung von rechts auch in positiver Hinsicht eine "wache", für Diskriminierung sensible und aufmerksame Haltung beschreiben. Das Substantiv mit der Endung "-ismus" ist dagegen ein absichtlich unklarer Sammel- und Gegnermarkierungsbegriff, mit dem alle möglichen, teils völlig unterschiedlichen Ideen zusammengefasst werden, die nur gemeinsam haben, dass sie aus minderheitenfeindlicher Position eben doof sind.

#5:  Autor: narr BeitragVerfasst am: 21.11.2023, 21:57
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tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
"Wokeismus" ist ein reiner, vernebelnder, dumpfbackiger, rechter Kampfbegriff*,...


Ist diese "Erklärung" - (= Einstellung?) nicht etwas kurzsichtig?

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Wer sich für links oder auch nur "mittig demokratisch" hält und dieses Wort verwendet, tut es entweder in diesem Sinn und täuscht sich also schlicht über seine Position.
...


Hmmm Am Kopf kratzen . Was du nicht alles über die Positionen von Leuten weißt die du gar nicht kennst - nur weil sie diesen Begriff verwenden.

Die am Anfang der Bewegung verfolgten Ziele - „wachsames“ Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus - haben sich inzwischen zu einer Ideologie entwickelt, die das fördert, was sie bekämpfen will.

Wenn z.B. Konzerte auf betreiben einiger besonders Woken abgebrochen werden, weil die weißen Bandmitglieder Dreadlocks tragen dann geht imo gehörig was schief.

Und das ist nur ein kleines Beispiel. Der Ton wird immer rauer. Die 96! jährige Mutter eines Bekannten wurde angepflaumt, weil sie im Supermarkt nach Mohrenköpfen gefragt hat. Ein kleines Beispiel, imo aber typisch. In den USA ist man da schon um etliches weiter. Da empfehle ich
René Pfister "Ein falsches Wort: Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht"

Cancel-Culture und Wokeismus werden sicher von Rechten als Kampfbegriffe benutzt. Leider existiert aber das Phänomen dahinter. Normale Alltagsgespräche sind inzwischen oft ein Drahtseilakt. Psychologen haben inszwischen einen Katalog mit Fragen aufgestellt die "versteckt rassistisch sind. Mikroaggressionen gehoeren da z.B. dazu. Angeblich ist es "rassistisch" eine nicht weiße Person zu fragen, woher sie kommt oder eine asiatische Person zu fragen, ob sie bei einem mathematischen Problem helfen kann.

Die "Woke-Bewegung" hat sich inzwischen zur Ideologie entwickelt. Grundlage sind nicht mehr wissenschaftliche Regeln, sondern "Gefühle". Begriffe wie "westliche Wissenschaft" werden ohne nachzudenken benutzt. Aber was soll denn "westliche Wissenschaft" sein?

Der Vorfall in Neuseeland zur M?tauranga M?ori ist ein ein ausgezeichnetes Beispiel für das Abdriften der "Woke-Bewegung", das auch schon in Westeuropa zu beobachten ist. Siehe z.B. den Aufstand zum Vortrag einer Biologin im Rahmen einer "Nacht der Wissenschaft" an der Humbold Uni. "Geschlecht ist nicht gleich Geschlecht. Sex, Gender und warum es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt" oder den Aufstand zu Äußerungen von J.K. Rowling

Zitat:
In einem Aufruf vom »Arbeitskreis kritischer Jurist*innen an der Humboldt Uni Berlin« hieß es: »Keine Bühne für die Co-Autorin von Statements einer ›biologischen Realität der Zweigeschlechtlichkeit‹«. Via Twitter rief der Kreis zu Protesten während des Vortrags auf: »An unserer Uni gibt es keinen Platz für Queerfeindlichkeit. Wir sehen uns auf der Straße!«

Die Absage wurde übrigens sogar von der Polizei empfohlen.
Selbst wenn die Biologin Blödsinn erzählt - geh in den Diskurs und komm mit Argumenten.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Oder aber er möchte dieses Wort nur für die Kritik ganz bestimmter Positionen verwenden. Dafür ist es aber in seiner gewollten Unbestimmtheit nicht geeignet, und deswegen ist der Verwender erstens zu faul oder zu dämlich, seine Kritik an diesen ganz bestimmten Positionen statt mit diesem großen Hammer auch so differenziert und konkret zu formulieren, dass sie eben nicht alles minderheitenfreundliche pauschal trifft, und er macht sich zweitens zum nützlichen Idioten der rechten. Mutmaßlich tun diese Leute das dann für den billigen Beifall, den man mit solchen Kampfbegriffen aus der entsprechenden Ecke eben generieren kann.

Wer ist "er"? Sinan? Allgemein jemand? Warum dann nicht auch sie?es?
Ist hier jemand zu faul oder zu dämlich?
Mit der Kritik inhaltlich überhaupt beschäftigt? Videos geschaut? Bücher gelesen? Argumente kann ich in deinem Post nicht finden.

#6:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 22.11.2023, 07:11
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narr hat folgendes geschrieben:
Selbst wenn die Biologin Blödsinn erzählt - geh in den Diskurs und komm mit Argumenten.

Aha. Weißt du, wie ein Gastvortrag an einer Uni normalerweise abläuft, wie wenig Raum dort im Durchschnitt für diskursive Auseinandersetzung eingeplant werden kann, wer dort überhaupt Gelegenheit bekommt, sich zu äußern, und für wie lange?

Ist diese Unkenntnis bzw. Fehleinschätzung der Realitäten der akademischen Welt eigentlich Normalzustand unter "Woke-Kritikern" oder erscheint das nur mir so? Am Kopf kratzen

#7:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 22.11.2023, 13:19
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Tarvoc hat folgendes geschrieben:
narr hat folgendes geschrieben:
Selbst wenn die Biologin Blödsinn erzählt - geh in den Diskurs und komm mit Argumenten.

Aha. Weißt du, wie ein Gastvortrag an einer Uni normalerweise abläuft, wie wenig Raum dort im Durchschnitt für diskursive Auseinandersetzung eingeplant werden kann, wer dort überhaupt Gelegenheit bekommt, sich zu äußern, und für wie lange?

Ist diese Unkenntnis bzw. Fehleinschätzung der Realitäten der akademischen Welt eigentlich Normalzustand unter "Woke-Kritikern" oder erscheint das nur mir so? Am Kopf kratzen

Das passt nicht so ganz zum offiziellen Grund dieser Ablehnung:
SPIEGEL hat folgendes geschrieben:
Den Vorwurf der Zensur wies die Uni von sich: »Wir begrüßen den Austausch bei uns, auch zwischen den unterschiedlichsten Meinungen«, sagte Mangelsdorf. Die Entscheidung sei keine inhaltliche Aussage, sondern diene allein der Sicherheit. Man wolle versuchen, den Vortrag in Zukunft nachzuholen.
fett von mir, Link bei Narr
Hier sind Gruppen, die mit ihrer Militanz ein breiteres Spektrum der vortragbaren Meinungen verhindern, bzw. Vortragende verhindern, die sie anhand von Teilaussagen als Feinde der Moral qualifizieren.

Im Prinzip sehe ich hier die alte PC-Diskussion unter einem anderen Namen und mit mehr Militanz.

#8:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 22.11.2023, 18:07
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fwo hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
narr hat folgendes geschrieben:
Selbst wenn die Biologin Blödsinn erzählt - geh in den Diskurs und komm mit Argumenten.

Aha. Weißt du, wie ein Gastvortrag an einer Uni normalerweise abläuft, wie wenig Raum dort im Durchschnitt für diskursive Auseinandersetzung eingeplant werden kann, wer dort überhaupt Gelegenheit bekommt, sich zu äußern, und für wie lange?

Ist diese Unkenntnis bzw. Fehleinschätzung der Realitäten der akademischen Welt eigentlich Normalzustand unter "Woke-Kritikern" oder erscheint das nur mir so? Am Kopf kratzen

Das passt nicht so ganz zum offiziellen Grund dieser Ablehnung:

Was hat es denn damit bitte überhaupt zu tun? narr hat implizit eine Aussage darüber getätigt, wie bei Gastvorträgen der "Diskurs" aussieht (also z. B. dass das Publikum nach einem solchen Vortrag Gelegenheit hätte, "Argumente" vorzutragen und nicht allerhöchstens in knapp bemessener Zeit ebenso knapp zu beantwortende Fragen zu stellen). Diese Aussage habe ich korrigiert - weil es mir nämlich auf den Zeiger geht, wie in solchen Debatten immer und immer wieder die akademische Lebenswirklichkeit völlig verzerrt dargestellt wird. Damit ist von meiner Seite aus weder irgendwas über die tatsächlichen Gründe der Absage dieses Gastvortrags gesagt noch über die Legitimität dieser Absage.


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 22.11.2023, 18:10, insgesamt 2-mal bearbeitet

#9:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 22.11.2023, 18:08
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narr hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
"Wokeismus" ist ein reiner, vernebelnder, dumpfbackiger, rechter Kampfbegriff*,...

Ist diese "Erklärung" - (= Einstellung?) nicht etwas kurzsichtig?

Nein, denn - und ich danke recht herzlich dafür - du lieferst ein exzellentes Beispiel für meine Darstellung.

narr hat folgendes geschrieben:
Die am Anfang der Bewegung verfolgten Ziele - „wachsames“ Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus - haben sich inzwischen zu einer Ideologie entwickelt, die das fördert, was sie bekämpfen will.

Das sind erst mal Behauptungen:
1. Da hätten sich Ziele zu einer (!) Ideologie entwickelt, und
2. diese Ideologie fördere das, was sie bekämpfen wolle.

Für 1. müsste beschrieben werden, was für eine Ideologie das ist. Das tust du nicht, und das werfe ich dir auch nicht wirklich vor, denn ich habe das bisher nirgendwo überzeugend lesen können. Es wäre m.E. auch überhaupt nicht möglich, weil im Hintergrund von all den Dingen, die unter dem Kampfbegriff "Wokeism" angegriffen werden, nun mal eine ganze Reihe, teils völlig unterschiedlicher Vorstellungen und Theorien stehen.

Für 2. müsstest du zeigen, dass diese - wie gesagt nicht dargestellte - Ideologie dann auch noch ausgerechnet das fördere, was sie bekämpfen wolle, also wohl selbst Rassismus etc. fördere. Das ist schon eine ziemlich steile These, die einer guten Begründung bedürfte.
Kommt dazu etwas? Nein. Es kommt lediglich ein wildes Sammelsurium aus Themen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben (jedenfalls stellst du nicht dar, was sie miteinander zu tun hätten), außer dass du da irgendwas doof findest: Dreadlocks, Mohrenköpfe, M?tauranga M?ori, Geschlechterdiskussion, "westliche Wissenschaft" - was zum Teufel ist denn da der Zusammenhang?
Und abgesehen von der Zusammenhanglosigkeit: Bei keinem einzigen dieser Themen versuchst du auch nur darzustellen, wie die jeweils angebliche "woke" Position Rassismus o.Ä. fördere, was ja deine Behauptung war.

Du führst also exakt das vor, was ich oben behauptet habe:
Wokeism ist "ein absichtlich unklarer Sammel- und Gegnermarkierungsbegriff, mit dem alle möglichen, teils völlig unterschiedlichen Ideen zusammengefasst werden, die nur gemeinsam haben, dass sie aus minderheitenfeindlicher Position eben doof sind".

Ähnlich verhält es sich hier:
narr hat folgendes geschrieben:
Da empfehle ich René Pfister "Ein falsches Wort: Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht"

Ich habe das Buch nicht gelesen, aber online ins Inhaltsverzeichnis geschaut. Schon daran kann man erkennen, dass es sich um genau so untheoretisches, wildes Sammelsurium handelt und eben nicht um eine geordnete Auseinandersetzung mit einer bestimmten, konkret darstellbaren "Ideologie".

Und damit hierzu:
narr hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Wer sich für links oder auch nur "mittig demokratisch" hält und dieses Wort verwendet, tut es entweder in diesem Sinn und täuscht sich also schlicht über seine Position.
...

Hmmm Am Kopf kratzen . Was du nicht alles über die Positionen von Leuten weißt die du gar nicht kennst - nur weil sie diesen Begriff verwenden.

Und hierzu:
narr hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Oder aber er möchte dieses Wort nur für die Kritik ganz bestimmter Positionen verwenden. Dafür ist es aber in seiner gewollten Unbestimmtheit nicht geeignet, und deswegen ist der Verwender erstens zu faul oder zu dämlich, seine Kritik an diesen ganz bestimmten Positionen statt mit diesem großen Hammer auch so differenziert und konkret zu formulieren, dass sie eben nicht alles minderheitenfreundliche pauschal trifft, und er macht sich zweitens zum nützlichen Idioten der rechten. Mutmaßlich tun diese Leute das dann für den billigen Beifall, den man mit solchen Kampfbegriffen aus der entsprechenden Ecke eben generieren kann.

Wer ist "er"?

("Er" ist natürlich der "Wer" aus dem Satz davor.)

Wenn es sich mit dem Begriff "Wokeism" so verhält, wie ich es dargestellt habe, dann gibt es nun mal diese zwei Möglichkeiten, wenn jemand diesen Kampfbegriff unkritisch verwendet: Entweder er benutzt ihn absichtlich genau so unklar und als "Alles-was-aus-rechter Sicht-doof-ist"-Wort, wie er nun mal ist, und erzielt damit auch dieselbe Wirkung - eine unklare Diskreditierung minderheitenfreundlicher Positionen ganz allgemein.
Oder er macht das, weil er eine sinnvollere, differenziertere Diskussion mit klarerer Begrifflichkeit nicht führen kann (--> zu dämlich) oder nicht will, weil das nun mal mit größerer gedanklicher Anstrengung verbunden wäre (--> zu faul).

narr hat folgendes geschrieben:
Mit der Kritik inhaltlich überhaupt beschäftigt? Videos geschaut? Bücher gelesen? Argumente kann ich in deinem Post nicht finden.

Wer suchet, der findet. Jedenfalls in meinem Post.
Und ja, ich habe mich damit hinreichend beschäftigt, mit einer Reihe von Texten, die entweder selbst auf diese Art den angeblichen "Wokeismus" kritisieren oder wiederum diese "Kritik" kritisieren. Es ist überall dasselbe undifferenzierte Zusammenschmeiße von allem möglichen.

Dass ich mich inhaltlich mit diversen von den einzelnen Themen, die du aufzählst, beschäftigt habe, könntest du übrigens auch aus diesem Forum wissen. Denn z.B. die Causa Vollbrecht, Wörter wie "Mohrenkopf", kulturelle Aneignung u.a. waren ja hier alle schon mal Thema. Nur eben als einzelne Themen, sodass man sich mit ihnen auch konkret und differenziert auseinandersetzen konnte, und nicht unter einem sinnlosen Kampfbegriff zusammengemanscht.

#10:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 22.11.2023, 20:04
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Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
narr hat folgendes geschrieben:
Selbst wenn die Biologin Blödsinn erzählt - geh in den Diskurs und komm mit Argumenten.

Aha. Weißt du, wie ein Gastvortrag an einer Uni normalerweise abläuft, wie wenig Raum dort im Durchschnitt für diskursive Auseinandersetzung eingeplant werden kann, wer dort überhaupt Gelegenheit bekommt, sich zu äußern, und für wie lange?

Ist diese Unkenntnis bzw. Fehleinschätzung der Realitäten der akademischen Welt eigentlich Normalzustand unter "Woke-Kritikern" oder erscheint das nur mir so? Am Kopf kratzen

Das passt nicht so ganz zum offiziellen Grund dieser Ablehnung:

Was hat es denn damit bitte überhaupt zu tun? narr hat implizit eine Aussage darüber getätigt, wie bei Gastvorträgen der "Diskurs" aussieht (also z. B. dass das Publikum nach einem solchen Vortrag Gelegenheit hätte, "Argumente" vorzutragen und nicht allerhöchstens in knapp bemessener Zeit ebenso knapp zu beantwortende Fragen zu stellen). ...

Ich habe Narrs Aussage anders verstanden, aber das soll er selbst beantworten.

#11:  Autor: narr BeitragVerfasst am: 23.11.2023, 00:32
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tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
...


Ah, ich sehe, alle anderen sind Dumpfbacken, faul und dämlich, haben keine Ahnung von der Realitäten der akademischen Welt nur du hast den Durchblick. Alles klar.

Diskurs findet nicht nur nach einem Vortrag statt - wobei gerade in den Wissenschaftsnächten idR da viel Zeit für geplant wird. Aber egal, besser auf der Straße.

Die Ablehnung von Kritik an einem Begriff und seinen heutigen Inhalten zeigt schon, dass du was grundlegendens anscheinend nicht verstanden hast.

Inzwischen gibt es fast an jeder Uni sog. "Critical Studies", bei so gut informierten Leuten wie dir dürfte der Begriff ja bekannt sein. Schon der Name "Critical Studies" impliziert andere Studiengänge wären nicht kritisch.

Alle Formen von Diskriminierung abzulehnen und Unrecht zu sehen wo es stattfinden.... und natürlich etwas dagegen tun heißt nicht, dass sämtliche Naturwissenschaften "nur" Konstrukte" sind.
Critical Studies und damit das heutige Verständnis von "Wokeismus" ist wissenschaftsfeindlich und kehrt sich vom Humanismus ab.
Ein Mensch ist nicht nur darum "schlecht" weil er ein weißer, alter cis-Mann ist. Nicht jede Angehörige einer Minderheit ist moralisch "besser". "Hey, ich bin braun, Trans-Frau, behindert und lesbisch- volle Punktzahl"

Vielleicht hilft dir der Text des hpd von Florian Schwarz "Wokeness ist letztlich eine anti-wissenschaftliche Weltanschauung"
Zitat:
...Wokeness geht von folgenden Prämissen aus: Wissen ist nicht das, was wir an Erkenntnissen über die Realität sammeln, indem wir unsere Ideen, Vorstellungen, Hypothesen an ihr testen und dann korrigieren und anpassen. Wissen ist vielmehr ein soziales Konstrukt. Gruppen, die sich durch verschiedene Eigenschaften auszeichnen – etwa die ethnische Herkunft, die Kultur, das Geschlecht, die sexuelle Orientierung oder Identität – machen ihre eigenen Erfahrungen und verfügen deshalb über ein eigenes spezifisches Wissen. Da andere Gruppen nicht dieselben "gelebten Erfahrungen" machen, können sie dieses Wissen nicht infrage stellen.


Wenn du nicht in der Lage bist diese Entwicklungen zu sehen und die Kritik auch auf die eigenen Überzeugungen anzuwenden, bist du vielleicht nicht woke genug? Oder zu faul? zum dämlich?


(bin mal gespannt ob man den hpd auch in die alt-right und neu-rechte Ecke schieben kann.)

#12:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 23.11.2023, 01:34
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narr hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
...


Ah, ich sehe, alle anderen sind Dumpfbacken, faul und dämlich, haben keine Ahnung von der Realitäten der akademischen Welt nur du hast den Durchblick. Alles klar.

Oh je!
Da sind ja gar keine Argumente in meinen Aussagen!
Wie kommt das bloß?

#13:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 23.11.2023, 07:43
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tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

narr hat folgendes geschrieben:
Die am Anfang der Bewegung verfolgten Ziele - „wachsames“ Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus - haben sich inzwischen zu einer Ideologie entwickelt, die das fördert, was sie bekämpfen will.

Das sind erst mal Behauptungen:
1. Da hätten sich Ziele zu einer (!) Ideologie entwickelt, und
2. diese Ideologie fördere das, was sie bekämpfen wolle.

Für 1. müsste beschrieben werden, was für eine Ideologie das ist. Das tust du nicht, und das werfe ich dir auch nicht wirklich vor, denn ich habe das bisher nirgendwo überzeugend lesen können. Es wäre m.E. auch überhaupt nicht möglich, weil im Hintergrund von all den Dingen, die unter dem Kampfbegriff "Wokeism" angegriffen werden, nun mal eine ganze Reihe, teils völlig unterschiedlicher Vorstellungen und Theorien stehen.


Du hast insofern recht, als es so etwas wie den einen offiziellen Katechismus der Wachen Linken (der Neuen Neuen Linken) nicht gibt. Für sie gilt in theoretischer Hinsicht dasselbe wie für die Neue Linke der 1960er-70er (als der Vorgängerin der gegenwärtigen Wachen Linken):

Zitat:
"The diversity of sources and forms of resistance complicates attempts to identify shared features of the various currents, but among those most commonly cited are a libertarian and democratic impulse, an emphasis on cultural as well as political transformation, an extension of the traditional left’s focus on class struggle to acknowledge multiple forms and bases of oppression, including race and gender, and a rejection of bureaucracy and traditional forms of political organization in favour of direct action and participatory democracy. In theoretical terms, the New Left’s major contribution was to a process of revision and diversification within Marxism and related doctrines, especially with regard to concepts of class, agency, ideology, and culture.

The New Left produced no unified body of political theory. In many countries, including the United States, it was primarily an activist force, although in France, West Germany, and Britain theoretical production was also an important concern. The range of theoretical influences on which New Left currents drew was extremely diverse…"

Quelle: https://www.britannica.com/topic/New-Left


Was die Wache Linke allgemein eint, ist, was die Linke seit jeher allgemein eint; aber sie weist Besonderheiten auf, die sie sowohl von der Alten Linken als auch von der Neuen Linken unterscheidet (wobei sie aus Letzterer unmittelbar hervorgegangen ist).

Zitat:
"The left-wing position was already clearly defined at the time when the distinction between left and right was invented. Leftists believe, with the Jacobins of the French Revolution, that the goods of this world are unjustly distributed, and that the fault lies not in human nature but in usurpations practised by a dominant class. They define themselves in opposition to established power, the champions of a new order that will rectify the ancient grievance of the oppressed.

Two attributes of the new order justify the pursuit of it: liberation and ‘social justice’. These correspond roughly to the liberty and equality advocated at the French Revolution, but only roughly. The liberation advocated by left-wing movements today does not mean simply freedom from political oppression or the right to go about one’s business undisturbed. It means emancipation from the ‘structures’: from the institutions, customs and conventions that shaped the ‘bourgeois’ order, and which established a shared system of norms and values at the heart of Western society. Even those left-wingers who eschew the libertarianism of the 1960s regard liberty as a form of release from social constraints. Much of their literature is devoted to deconstructing such institutions as the family, the school, the law and the nation state through which the inheritance of Western civilization has been passed down to us. This literature, seen at its most fertile in the writings of Foucault, represents as ‘structures of domination’ what others see merely as the instruments of civil order.

Liberation of the victim is a restless cause, since new victims always appear over the horizon as the last ones escape into the void. The liberation of women from male oppression, of animals from human abuse, of homosexuals and transsexuals from ‘homophobia’, even of Muslims from ‘Islamophobia’ – all these have been absorbed into the more recent leftist agendas, to be enshrined in laws and committees overseen by a censorious officialdom. Gradually the old norms of social order have been marginalized, or even penalized as violations of ‘human rights’. Indeed, the cause of ‘liberation’ has seen the proliferation of more laws than were ever invented to suppress it – just think of what is now ordained in the cause of ‘non-discrimination’.

Likewise the goal of ‘social justice’ is no longer equality before the law, or the equal claim to the rights of citizenship, as these were advocated at the Enlightenment. The goal is a comprehensive rearrangement of society, so that privileges, hierarchies, and even the unequal distribution of goods are either overcome or challenged. The more radical egalitarianism of the nineteenth-century Marxists and anarchists, who sought for the abolition of private property, perhaps no longer has widespread appeal. But behind the goal of ‘social justice’ there marches another and more dogged egalitarian mentality, which believes that inequality in whatever sphere – property, leisure, legal privilege, social rank, educational opportunities, or whatever else we might wish for ourselves and our children – is unjust until proven otherwise. In every sphere in which the social position of individuals might be compared, equality is the default position.'"

(Scruton, Roger. Fools, Frauds and Firebrands: Thinkers of the New Left. London: Bloomsbury, 2015. pp. 3-4)

#14:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 23.11.2023, 08:54
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
.... Damit ist von meiner Seite aus weder irgendwas über die tatsächlichen Gründe der Absage dieses Gastvortrags gesagt noch über die Legitimität dieser Absage.

Ach soooo, Du wolltest eigentlich zum Thema garnichts sagen. Dann stellt sich natürlich die Frage, wieso Du nicht einfach die Klappe gehalten hast.

Aber wenn Du das schon ansprichst, was ist gegen die typische Konfiguration 1h Vortrag 30min Diskussion zu sagen?

#15:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 23.11.2023, 09:01
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

...
Du hast insofern recht, als es so etwas wie den einen offiziellen Katechismus der Wachen Linken (der Neuen Neuen Linken) nicht gibt. ...

Es kristallisiert sich schon ein relativ konkreter Satz von Sprachregelungen für "gerechte" Sprache heraus, der religiöse Merkmale besitzt. Ob es Sinn macht die Vertreter sesselben als "wache Linke" zusammenzufassen ist eine andere Frage.

#16:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 23.11.2023, 11:20
    —
VanHanegem hat folgendes geschrieben:
Ach soooo, Du wolltest eigentlich zum Thema garnichts sagen. Dann stellt sich natürlich die Frage, wieso Du nicht einfach die Klappe gehalten hast.

Die Frage, warum du nicht einfach die Klappe hältst, stellt sich aus dem selben Grund inzwischen bei so ziemlich jedem deiner Posts zu so ziemlich jedem Thema.

#17:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 23.11.2023, 12:35
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
....
Dass ich mich inhaltlich mit diversen von den einzelnen Themen, die du aufzählst, beschäftigt habe, könntest du übrigens auch aus diesem Forum wissen. Denn z.B. die Causa Vollbrecht, Wörter wie "Mohrenkopf", kulturelle Aneignung u.a. waren ja hier alle schon mal Thema. Nur eben als einzelne Themen, sodass man sich mit ihnen auch konkret und differenziert auseinandersetzen konnte, und nicht unter einem sinnlosen Kampfbegriff zusammengemanscht.

Warum fasst Du es nicht selbst zusammen? Es ist eigentlich ganz einfach:
Es geht darum, dass sehr lautstarke Gruppen unbekannter Stärke unter dem Vorwand des Schutzes von Minderheiten, denen sie auch in dieser relativ freien Gesellschaft regelmäßig die Fähigkeit absprechen, selbst für sich einzutreten, bestimmen, wer und was diskussions- oder autrittsfähig ist und wer und was nicht. Und das setzen sie im Zweifelsfall auch unter Androhung körperlicher Gewalt durch.

Gruppendynamisch sind sich in diesem Thema links und rechts übrigens einig: Es werden Opferpositionen besetzt und in der Gruppe dann die Stimmung bis zur Gewaltbereitschaft angeheizt.

Und wir haben gleichzeitig Universitätsverwaltungen, die, dem Rat einer chronisch unterbesetzte Polizei folgend, diesen Drohungen nachgibt. Das ist die universitätsfreundliche Interpretation, es gibt noch die andere, die davon ausgeht, dass die Universitätsverwaltung mit dieser Art der Themeneinengung sympathisiert.

Freiheit der Wissenschaft ist etwas anderes.

Demokratie übrigens auch.

#18:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 23.11.2023, 17:46
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
....
Dass ich mich inhaltlich mit diversen von den einzelnen Themen, die du aufzählst, beschäftigt habe, könntest du übrigens auch aus diesem Forum wissen. Denn z.B. die Causa Vollbrecht, Wörter wie "Mohrenkopf", kulturelle Aneignung u.a. waren ja hier alle schon mal Thema. Nur eben als einzelne Themen, sodass man sich mit ihnen auch konkret und differenziert auseinandersetzen konnte, und nicht unter einem sinnlosen Kampfbegriff zusammengemanscht.

Warum fasst Du es nicht selbst zusammen? Es ist eigentlich ganz einfach:
Es geht darum, dass sehr lautstarke Gruppen unbekannter Stärke unter dem Vorwand des Schutzes von Minderheiten, denen sie auch in dieser relativ freien Gesellschaft regelmäßig die Fähigkeit absprechen, selbst für sich einzutreten, bestimmen, wer und was diskussions- oder autrittsfähig ist und wer und was nicht. Und das setzen sie im Zweifelsfall auch unter Androhung körperlicher Gewalt durch.

Ich halte es aber für völligen Unfug, das alles zusammenzufassen.

Erstens wegen der Inhalte: Die Themen, die ich - narr folgend - aufgezählt habe, sind ja inhaltlich völlig unterschiedlich. Um sie zusammenzufassen, müsste ich also von dem tatsächlichen, inhaltlichen Streitpunkt völlig absehen und rein formal darüber sprechen, wie etwas passiert. Das halte ich nicht für sachgerecht - man sollte bei jedem Protest auch über den Inhalt sprechen.

Zweitens wegen der Kontexte: Du tust gerade so, als ginge es nur um Auftritte an Universitäten (oder zumindest ähnliche Auftritte), sodass es um die Freiheit der Wissenschaft ginge. Das ist aber ebenfalls in der genannten Aufzählung anders: Da geht es um einen Auftritt an einer Universität, um private Äußerungen, um ein Konzert, um schulische Lehrpläne ... kurz um völlig verschiedene Kontexte, bei denen dementsprechend auch unterschiedlich zu diskutieren wäre, wer was wann wie an welchem Ort sagen darf und wer nicht und wer das dann wiederum wann wie an welchem Ort kriisieren darf.
(Dass es in den verschiedenen Kontexten jeweils unterschiedliche Normen darüber gibt, wer wann wie auftrittsfähig ist, ist übrigens völlig normal und keineswegs skandalös.)

Das einzige, was deiner Argumentation nach dazu dienen könnte, diese Dinge zusammenzufassen, ist eine formale Betrachtung dessen, wie diese Dinge passieren würden.
Du konstruierst dafür bestimmte Merkmale:

- lautstark
- unbekannte Anzahl
- Vorwand des Schutzes von Minderheiten
- diesen werde abgesprochen, für sich selbst zu sprechen
- Bestimmung, wer diskussions- und auftrittsfähig wäre

Mit Verlaub: Wenn man sich diese Liste angeblicher übereinstimmender Merkmale anschaut und wieder mit den angeführten Beispielen abgleicht, merkt man, dass das völliger Unfug ist. Das ist keineswegs immer "lautstark", sondern oft absolut zivil vorgebracht. Oft ist keineswegs unklar, wie stark die Gruppen sind, sondern man kann die Gruppen der Protestierer ganz genau erkennen und abgrenzen und somit auch ihre Stärke kennen.
Ganz offensichtlich falsch ist es, den Gruppen werde abgesprochen, für sich selbst zu sprechen. Im Gegenteil sind es doch regelmäßig gerade die Angehörigen der jeweiligen Gruppen, die sich zu Wort melden (PoC, Transleute usw.). Dass es immer um die Absprache von Auftrittsfähigkeit ginge, ist auch falsch - bei dem neuseeländischen Thema geht es ja gerade darum, dass einer Sicht Auftrittsfähigkeit verschafft werden soll, wogegen dann andere protestieren. Usw.

Was diese angeblichen Kriterien verbindet, sind also keineswegs reale Merkmale beschriebener Vorfälle. Gemeinsam haben sie vielmehr, dass sie dazu geeignet sind, die jeweiligen Gegner zu diffamieren: Der Schutz von Minderheiten sei nur ein Vorwand; diesen werde die Sprachfähigkeit abgesprochen; es handele sich immer um ungewöhnliche, Meinungen unterdrückende Handlungen; sie zeichneten sich durch Lautstärke (also wohl nicht Argumente aus); es seien immer kleine Gruppen; usw.

Auch du bestätigst also wieder, was ich zum Wokeismus-Begriff sinngemäß schrieb: Es geht nicht um eine real vorhandene, durch tatsächliche gemeinsame Merkmale verbundene "Bewegung" oder "Ideologie", sondern der Begriff dient dazu, als Kampfbegriff in diffamierender Absicht sehr unterschiedliche Dinge zusammenzufassen, um sie gerade nicht inhaltlich zu diskutieren, sondern gemeinsam auf sie einzuprügeln.

#19:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 23.11.2023, 22:05
    —
VanHanegem hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

...
Du hast insofern recht, als es so etwas wie den einen offiziellen Katechismus der Wachen Linken (der Neuen Neuen Linken) nicht gibt. ...

Es kristallisiert sich schon ein relativ konkreter Satz von Sprachregelungen für "gerechte" Sprache heraus, der religiöse Merkmale besitzt. Ob es Sinn macht die Vertreter sesselben als "wache Linke" zusammenzufassen ist eine andere Frage.


Die Wache Linke ist sprachfixiert/-zentriert, weil die repressiven gesellschaftlichen Verhältnisse aus ihrer Sicht maßgeblich durch Sprache konstruiert und determiniert werden. Sprachpolitik ist für sie also ein wesentlicher Teil ihrer Befreiungspolitik; denn Sprache gilt als Machtmittel zur Unterdrückung, Ausgrenzung und Ausübung von Gewalt. Freies Sprechen wird als grundsätzlich gefährlich angesehen und soll aus Gründen des Opferschutzes gesetzlich eingeschränkt werden.

#20:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 23.11.2023, 22:41
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Auch du bestätigst also wieder, was ich zum Wokeismus-Begriff sinngemäß schrieb: Es geht nicht um eine real vorhandene, durch tatsächliche gemeinsame Merkmale verbundene "Bewegung" oder "Ideologie", sondern der Begriff dient dazu, als Kampfbegriff in diffamierender Absicht sehr unterschiedliche Dinge zusammenzufassen, um sie gerade nicht inhaltlich zu diskutieren, sondern gemeinsam auf sie einzuprügeln.


Die Wache Linke mag als politische Bewegung/Richtung eine bunte Wolke sein, was aber nicht bedeutet, dass sie am Wolkenhimmel der politischen Ideologien keinerlei erkennbare Gestalt sowie keinerlei kennzeichnende und unterscheidende Inhalte (Leitbegriffe & Grundwerte) aufweist.

Wenn in der Encyclopaedia Britannica steht, dass "the New Left produced no unified body of political theory," und "the range of theoretical influences on which New Left currents drew was extremely diverse," dann folgt daraus nicht, dass es die Neue Linke als eine historisch lokalisierbare und ideologisch identifizierbare politische Bewegung/Richtung überhaupt nicht gegeben hat.

Gleiches gilt für die gegenwärtige Neue Neue/Wache Linke: Es herrscht darin theoretische Vielfalt durch die unterschiedlichen Einflüsse und die verschiedenen Formen "kritischer Studien/Theorien"; aber es gibt durchaus eine allgemeine ideologische Einheit in der Vielfalt, insbesondere hinsichtlich des politischen Hauptzieles, nämlich "die Emanzipation des Menschen aus versklavenden Verhältnissen." (Max Horkheimer)

Die Wache Linke vertritt also eine globale politische Befreiungsphilosophie: Nicht nur das gute alte Marxsche Proletariat als ökonomisch definierte soziale Klasse (Arbeiterklasse), sondern auch und vor allem alle "Ersatzproletarier"—d.h. alle anderen "versklavten" sozialen Klassen oder Gruppen wie die Frauen, die Schwulen, die Schwarzen, die Behinderten, die Geisteskranken und die Dicken—sollen von Fremdbeherrschung/-bestimmung, Unterdrückung (= "Ausbeutung, Ausgrenzung, Machtlosigkeit, kulturellem Imperialismus und Gewalt" – Iris Young) und Diskriminierung durch die "Bourgeoisie" bzw. die "Sozialschicht und Kultur des weißen/westlichen Mannes" befreit werden, und es sollen für jene Gruppen Gleichheit, (soziale) Gerechtigkeit (Fairness), Anerkennung und Beteiligung hergestellt werden. Soziokulturelle Gruppenpolitik ist sowohl der Neuen Neuen (Wachen) Linken als auch der Alten Neuen Linken wichtiger als die ökonomische Klassenpolitik der Alten Linken.

Der Einfluss der postmodernen Philosophie kommt in der Wachen Linken unter anderem darin zum Ausdruck, dass sie neben politischer Unterdrückung auch von philosophischer (epistemischer, logischer oder metaphysischer) Unterdrückung durch den "weißen"/"westlichen"/"abendländischen" Szientismus (wissenschaftlichen Empirismus/Positivismus), den Rationalismus (Logozentrismus) und den Objektivismus (objektiven Realismus) spricht, welche aufgrund ihres Anspruchs auf Allgemeingültigkeit als imperialistisch-kolonialistische Machtfaktoren betrachtet werden, die es zu beseitigen gilt.

#21:  Autor: narr BeitragVerfasst am: 23.11.2023, 23:52
    —
Ein großes Problem der "Wokeness" (oder soll mans "Critical Social Justice" nennen?) ist die große Nähe zu den Critical Studies und der Identitätspolitik. Besonders die Geistes- und Sozialwissenschaften haben schon seit Jahren damit zu tun. Ein objektiver Standpunkt gegenüber den Forschungsobjekten wird oftmals noch nicht einmal versucht. Arbeiten werden mit vorgefassten Meinungen begonnen, gemacht und abgeschlossen. Ergebnisoffen ist anders.
Allgemeingültige "Wahrheiten" werden abgelehnt. Jede Gruppe kann seine eigene "Wahrheit" basteln. Erfahrungen und Gefühle sind wichtiger als getestete Ergebnisse.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Erstens wegen der Inhalte: Die Themen, die ich - narr folgend - aufgezählt habe, sind ja inhaltlich völlig unterschiedlich. ....

nein, das mag so scheinen, sind sie aber nicht. Eine relativ kleine Gruppe meint die Deutungshoheit über moralisch "richtiges" Verhalten, "richtige" Sprache, ja "richtiges" Denken zu haben. Das betrifft sehr viele Bereiche des Lebens, daher scheinen die Themen völlig unterschiedlich.


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
... - man sollte bei jedem Protest auch über den Inhalt sprechen.

das "sollte' man nicht nur, dass muss man. Aber gerade die "Woke-Bewegung" spricht nicht über Inhalte. Sie fordern. Sie legen fest. Es werden unhaltbare Behauptungen aufgestellt, es wird versucht Begriffe zu prägen, Sprache zu beeinflussen und und und.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
... kurz um völlig verschiedene Kontexte, bei denen dementsprechend auch unterschiedlich zu diskutieren wäre, wer was wann wie an welchem Ort sagen darf und wer nicht und wer das dann wiederum wann wie an welchem Ort kriisieren darf.
(Dass es in den verschiedenen Kontexten jeweils unterschiedliche Normen darüber gibt, wer wann wie auftrittsfähig ist, ist übrigens völlig normal und keineswegs skandalös.)

Doch, es ist "skandalös" wenn Leute fordern, Inhalte ohne Grundlage an Schulen "gleichberechtigt" zu den "westlichen Wissenschaften" zu lehren. Wenn Leute über die Frisur anderer als "kulturelle Aneignung" urteilen. Wenn Hautfarbe ein wichtiger Zeiger wird. Weder Fakten noch Wissenschaft spielen eine Rolle

Mit Verlaub, wenn man sich deine Argumentation anschaut und deine Blindheit gegenüber dem verbindenden Element der Beispiele, merkt man dass deine Haltung völliger Unfug ist.

Du beschwerst dich, dass nicht auf deine Argumente eingegangen wird. Nur kann ich keine Argumente finden.
Niemand hat behauptet, dass die Woke-Bewegung ein Verein mit Statuten und Strategie-Abenden ist.
Aber es eine Bewegung die vielleicht rel. klein, aber laut ist, fordernd und oft aggressiv ist und der sich inzwischen viele Menschen beugen weil sie keine Lust auf das Gezetere haben. Dieser, teils vorauseilende Gehorsam setzt allerdings Entwicklungen in Gang die ganz und gar nicht positiv sind.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
...bei dem neuseeländischen Thema geht es ja gerade darum, dass einer Sicht Auftrittsfähigkeit verschafft werden soll, wogegen dann andere protestieren. Usw.
Auftrittsfähigkeit? Was soll das sein? Es ging nicht darum, dass M?tauranga M?ori in Schulen evt unter Geschichte oder wie im Westen unter "Religion" gelehrt werden sollte. Es sollte als alternative Welterklärung gleichberechtigt mit Naturwissenschaften gelehrt werden. Westlichen Naturwissenschaften wohlgemerkt. Den Begriff hab ich jetzt schon öfter gehört. Von Studenten z.B. die meinte Menschen wären keine zweigeschlechtliche Spezies. Das wäre nur ein Konstrukt so wie eben alle "westliche" Wissenschaften. So wie es keine "westliche Medizin" gibt, gibt es auch keine "westliche Wissenschaft. Die hat in Berlin die Gleichen Regeln, wie in Dallas, China, im Kongo oder am Südpol. Und egal wo du den Satz des Pythagoras anwendest, die Ergebnisse werden gleich sein. Kohlenstoff ist Kohlenstoff, hier und 200Mio Lichtjahre weit weg.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
... jeweiligen Gegner zu diffamieren: ....
das ist ja nun nicht nötig. ...

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
... Es geht nicht um eine real vorhandene, durch tatsächliche gemeinsame Merkmale verbundene "Bewegung" oder "Ideologie", ...

Wie kommen dann z.B. diese Critical Studies an die Universitäten? Wie kommt der Linguist John McWorther dazu zu sagen, dass der woke Antirassismus Amerikas Schwarze betrogen hat? (Woke Racism: How a New Religion Has Betrayed Black America).

Nettes Buch zum Thema: Steven Pinker Das unbeschriebene Blatt: Die moderne Leugnung der menschlichen Natur.

#22:  Autor: narr BeitragVerfasst am: 23.11.2023, 23:58
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
..., welche aufgrund ihres Anspruchs auf Allgemeingültigkeit als imperialistisch-kolonialistische Machtfaktoren betrachtet werden, die es zu beseitigen gilt.


ist mir aufgefallen. Läuft immer auf Macht raus. Dass es bei menschlichen Beweggründen vielleicht auch noch andere gibt wird verneint. Aber klaro - wo Biologie auch nur ein Konstrukt ist. Lachen

#23:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 24.11.2023, 00:11
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
…Gleiches gilt für die gegenwärtige Neue Neue/Wache Linke: Es herrscht darin theoretische Vielfalt durch die unterschiedlichen Einflüsse und die verschiedenen Formen "kritischer Studien/Theorien"…


Die verschiedenen linkspolitischen "kritischen Studien/Theorien" können unter dem Oberbegriff "Kulturstudien" ("Cultural Studies") zusammengefasst werden. Darunter ist nicht wertfreie, ethisch-politisch neutrale empirische ("positivistische") Kulturwissenschaft zu verstehen, sondern ethisch-politisch nichtneutrale, (im Sinn der Frankfurter Schule) "kritische" Kulturwissenschaft (bzw. Kulturphilosophie).

Jede (echte) Wissenschaft verfährt "kritisch" im Sinn von "gewissenhaft prüfend, streng urteilend" (DWDS), "nach präzisen wissenschaftlichen, künstlerischen o. ä. Maßstäben gewissenhaft, streng prüfend und beurteilend" (DUDEN); aber wissenschaftliche Kritik im Sinn der neomarxistischen Frankfurter Schule ist immer auch politisch und praktisch ausgerichtet—also "kripolitisch"—, nach dem guten alten Marxschen Motto: "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern."

Zitat:
"[Die kritische Theorie] ist nicht irgendeine Forschungshypothese, die im herrschenden Betrieb ihren Nutzen erweist, sondern ein unablösbares Moment der historischen Anstrengung, eine Welt zu erschaffen, die den Bedürfnissen und Kräften der Menschen genügt. Bei aller Wechselwirkung zwischen der kritischen Theorie und den Fachwissenschaften, an deren Fortschritt sie sich ständig zu orientieren hat und auf die sie seit Jahrzehnten einen befreienden und anspornenden Einfluss ausübt, zielt sie nirgends bloß auf Vermehrung des Wissens als solchen ab, sondern auf die Emanzipation des Menschen aus versklavenden Verhältnissen."

(Horkheimer, Max. "Nachtrag zu 'Traditionelle und kritische Theorie'." 1937. In Max Horkheimer, Traditionelle und kritische Theorie: Vier Aufsätze, 57-64. Frankfurt: Fischer, 1970. S. 58 )


"Cultural studies was initially developed by British Marxist academics in the late 1950s, 1960s, and 1970s, and has been subsequently taken up and transformed by scholars from many different disciplines around the world."

Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Cultural_studies

Zur "Marxifizierung" der Kulturwissenschaft (Sozialwissenschaft), siehe: https://oxfordre.com/communication/display/10.1093/acrefore/9780190228613.001.0001/acrefore-9780190228613-e-911

Erscheinungsformen kritischer Kulturstudien (ohne Anspruch auf Vollzähligkeit):

01. (critical) age studies
02. critical animal studies
03. critical autism studies (siehe 5!)
04. (critical) black studies
05. critical disability studies / crip studies
06. gender theory
07. critical indigenous studies
08. "critical insanity studies" [meine Bez.] / mad studies (siehe 12!)
09. critical legal studies/theory
10. critical obesity studies / fat studies
11. critical pedagogy/education
12. postcolonial theory
13. critical psychiatry/psychology
14. queer theory
15. critical race theory
16. critical science studies
17. critical terrorism studies
18. transgender theory
19. critical whiteness studies
20. (critical) women's studies/feminist studies


Zuletzt bearbeitet von Myron am 24.11.2023, 03:06, insgesamt einmal bearbeitet

#24:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 24.11.2023, 00:40
    —
Vergebt mir, hier kommt schon wieder ein englischsprachiges Zitat!
Darin geht es um postmoderne Politik, wie sie von der Wachen Linken praktiziert wird. Ein zentraler Aspekt ist, dass deren Egalitarismus mehr beinhaltet als die klassisch linke Politik der Vermögensumverteilung. Denn es geht ihr vor allem um eine weniger ökonomische denn symbolische "Politik der Anerkennung", und daneben um eine Politik sowohl der Identität als auch der Differenz, wie sie im Kontext des Multikulturalismus entstanden ist.

Zitat:
"Postmodern politics, then, can be described – at the same time – as a ‘politics of identity’, as a ‘politics of difference’, and as a ‘politics of recognition’:

A. As a politics of identity, it defends the right to individual and collective forms of performative expressivity as long as this does not involve the discrimination of other members of society.

B. As a politics of difference, it advocates the right to individual and collective forms of sociocultural idiosyncrasy, irrespective of whether people belong, or think they belong, to group-specific minorities or majorities.

C. As a politics of recognition, it endorses the right to individual and collective forms of public visibility, sustained through both the quotidian and the institutional acknowledgement of relationally constituted identities constructed, and constantly reconstructed, within spatiotemporally situated communities.

Arguably, ‘[t]he “struggle for recognition” is fast becoming the paradigmatic form of political conflict in the late twentieth century’ and, most likely, will continue to be of great significance throughout the twenty-first century. The ‘recognition of “different voices”’, different identities, different belief systems, different social practices, and different life forms is central to demonstrating that – to recall an influential aphorism of second-wave feminism – ‘the personal is political’. In other words, the seemingly most private aspects of human existence are profoundly public, in the sense that the struggle for recognition of one’s identity cannot be reduced to the realm of subjectivity but takes place within the wider context of society, which is pervaded by – relatively arbitrary – symbolic and material hierarchies of legitimacy.

‘Postmodernist thought, in attacking the idea of a notional centre or dominant ideology, facilitated the promotion of a politics of difference’, thereby drawing attention to the dangers arising from marginalizing processes by means of which members of discriminated or disempowered groups are ‘defined or “othered” as inferior with respect to’ members of dominant and empowered sections of society. To be sure, both legitimization and delegitimization mechanisms can be realized on multiple levels – in particular, on economic, political, ideological, cultural, ethnic, sexual, gender-specific, generational, and physical grounds. It is open to question whether or not power is – or, at least, can be – ‘used in all societies to marginalize subordinate groups’. Yet, regardless of whether one considers social marginalization processes to be a historical contingency or an anthropological invariant, the detrimental – and, possibly, pathological – consequences of power dynamics can be sought to be minimized by virtue of an inclusive ‘politics of identity, difference, and recognition’.

What much of anti-classist, anti-elitist, anti-racist, anti-sexist, anti-ageist, and anti-ableist projects have in common with postmodernism is that they condemn ‘the legitimating metadiscourse’ put in place to ensure that those who, in a particular realm of social life, have the upper hand in the present continue to do so in the future. The ambition to seek both individual and collective forms of empowerment able to oppose this is vital to the idea of a postmodern politics. Rather than conceiving of the self as ‘autonomous, rational, and centred, and somehow free of any particular cultural, ethnic, or gendered characteristics’, we need to acknowledge that an actor’s numerous dispositions internalized in relation to other members of society, as well as an actor’s manifold positions occupied within different spheres of an asymmetrically structured reality, need to be taken into account in order to generate an empowering ‘politics of difference’. Hence, we are confronted with ‘a new kind of emancipation, one of a liberation of difference’:

Emancipation, here, consists in disorientation, which is at the same time also the liberation of differences, of local elements, of what could generally be called dialect. With the demise of the idea of a central rationality of history, the world of generalized communication explodes like a multiplicity of ‘local’ rationalities – ethnic, sexual, religious, cultural or aesthetic minorities – that finally speak up for themselves.

In other words, the struggle for the recognition of differences, expressed in the multiplicity of spatiotemporally constituted particularities, lies at the heart of postmodern politics. Accordingly, postmodern politics can be characterized by reference to various significant normative features:

a. its ‘deliberate open-endedness’ (anti-dogmatism);

b. its ‘infinitely skeptical and subversive attitude toward normative claims, institutional justice and political struggles’ (anti-conventionalism);

c. its advocacy of ‘trans-social networks of mutual recognition and arrangement’ (anti-parochialism);

d. its preparedness not only to appreciate but also to ‘celebrate diversity’, along with its conviction that ‘plurality is preferable to singularity, difference to identity, otherness to sameness’ (anti-universalism);

e. its critical engagement with the emergence of ‘a multi-cultural and fragmented civil society’ (anti-monoculturalism);

f. its willingness to challenge traditional ‘ideas of national commonality’ insensitive to ‘the multiple parts of the marginalized’ and voiceless (anti-nationalism);

g. its ability to destabilize ‘the configuration and perceived transmission’ of dominant cultural identities reproduced on the basis of ‘hegemonic memory politics’ (anti-hegemonism);

h. its attack on mechanisms of ‘social exclusion, domination and subjugation’ (anti-exclusionism);

i. its insistence upon the fact that complex societies require post-traditional models of citizenship capable of ‘incorporating a sensitivity to “difference”’ (anti-monism); and

j. its open-minded readiness to experiment with ‘multiple projects’ embedded in constantly shifting structures of ‘intersectionality’ (anti-traditionalism).

In short, postmodern approaches to politics are committed to acknowledging the distinctive normative weight, and power-laden implications, of social differences."

(Susen, Simon. The ‘Postmodern Turn’ in the Social Sciences. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2015. pp. 182-4)

"Somewhat schematically, it is possible to distinguish two main types of justice claims, both of which have had, and continue to have, a significant influence on contemporary conceptions of social struggle.

A. There are ‘redistributive claims, which seek a more just distribution of resources and wealth’ – for instance, a fairer ‘redistribution from the North to the South, from the rich to the poor, and (not so long ago) from the owners to the workers’. Owing to the rise of neoliberalism and the corresponding revival of free-market policies in large parts of the world, advocates of redistributive models of justice have been ‘on the defensive’, finding themselves in an increasingly weak position in recent decades.

B. There are recognitive claims, which aim for a more just recognition of identities and differences, especially of those of relatively marginalized and disempowered members of society, who may suffer the consequences of domination based on class, ‘race’, ethnicity, culture, ideology, religion, gender, age, or ability – or on other sociologically relevant variables. Given the growing impact of multiculturalism and the parallel resurgence of inclusivist policies in numerous societies around the world, proponents of recognitive models of justice have been on the offensive, benefiting from a gradually more influential position in the contemporary era.

In short, whereas the former model endorses social-democratic politics oriented towards the redistribution of income and wealth, the latter model advocates multicultural politics oriented towards the recognition of group-specific identities and differences. Surely, it may be legitimately objected that this twofold categorization is founded on a false opposition and that, more importantly, ‘justice today requires both redistribution and recognition’. In other words, if it is the case that ‘neither redistribution alone nor recognition alone can suffice to overcome injustice today’, then it is also true that ‘they need somehow to be reconciled and combined’, rather than being considered and treated as mutually exclusive. The shift from modern to postmodern conceptions of politics is reflected in the transition from the ‘paradigm of redistribution’ to the ‘paradigm of recognition’ and, hence, from the universalist concern with ‘equality’ to the particularist engagement with ‘difference’."

(Susen, Simon. The ‘Postmodern Turn’ in the Social Sciences. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2015. pp. 185-6)

#25:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 24.11.2023, 00:49
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Vergebt mir, hier kommt schon wieder ein englischsprachiges Zitat!
Darin geht es um postmoderne Politik, wie sie von der Wachen Linken praktiziert wird. Ein zentraler Aspekt ist, dass deren Egalitarismus mehr beinhaltet als die klassisch linke Politik der Vermögensumverteilung. Denn es geht ihr vor allem um eine weniger ökonomische denn symbolische "Politik der Anerkennung"…


Der "Kampf um Anerkennung" (so der Titel eines seiner Bücher) ist ein zentrales Thema von Axel Honneth (*1949), einem Vertreter der dritten Generation der Frankfurter Schule und ehemaligen Direktor des Instituts für Sozialforschung (2001-2018).

Wen's interessiert – ein Interview mit Honneth (über sein Buch "Die Idee des Sozialismus"): https://www.youtube.com/watch?v=Z1M8smiQOho

#26:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 24.11.2023, 01:19
    —
narr hat folgendes geschrieben:

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
...bei dem neuseeländischen Thema geht es ja gerade darum, dass einer Sicht Auftrittsfähigkeit verschafft werden soll, wogegen dann andere protestieren. Usw.
Auftrittsfähigkeit? Was soll das sein? Es ging nicht darum, dass M?tauranga M?ori in Schulen evt unter Geschichte oder wie im Westen unter "Religion" gelehrt werden sollte. Es sollte als alternative Welterklärung gleichberechtigt mit Naturwissenschaften gelehrt werden. Westlichen Naturwissenschaften wohlgemerkt. Den Begriff hab ich jetzt schon öfter gehört. Von Studenten z.B. die meinte Menschen wären keine zweigeschlechtliche Spezies. Das wäre nur ein Konstrukt so wie eben alle "westliche" Wissenschaften. So wie es keine "westliche Medizin" gibt, gibt es auch keine "westliche Wissenschaft. Die hat in Berlin die Gleichen Regeln, wie in Dallas, China, im Kongo oder am Südpol. Und egal wo du den Satz des Pythagoras anwendest, die Ergebnisse werden gleich sein. Kohlenstoff ist Kohlenstoff, hier und 200Mio Lichtjahre weit weg.


Es geht den Wachen Linken in Neuseeland in der Tat keineswegs nur um die "Sichtbarkeit" der Maori-Kultur, sondern darum, die Mythologie und "Wissenschaft" der Maori gleichberechtigt auf eine Stufe mit der "weißen", "westlichen" Wissenschaft zu stellen—oder sogar auf eine Stufe darüber. Die Maori verfügen zwar über ein gewisses traditionelles praktisches Wissen oder Know-how, aber nicht über wissenschaftliches theoretisches Wissen und Wissenschaften im modernen Sinn. Dennoch wird gefordert, dass deren Mythologie oder Volksphilosophie in den naturwissenschaftlichen Fächern als gleichwertiges Wissenssystem gelehrt wird, und nicht etwa in einem Fach wie Philosophie, Ethnologie oder Kulturanthropologie als bloßes Glaubenssystem behandelt wird.

#27:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 24.11.2023, 02:56
    —
"The Babylon Bee is a conservative Christian news satire website that publishes satirical articles on topics including religion, politics, current events, and public figures. It has been referred to as a Christian or conservative version of The Onion."

Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/The_Babylon_Bee

Im spöttischen "The Babylon Bee Guide to Wokeness" (Salem Books, 2021) steht am Anfang:

"Being woke means waking up to the cause. What cause? Every far-left, radical, communist, Marxist cause we can think of. The entire agenda of the Left."

Dieses Buch enthält allerlei satirisch-sarkastisch überspitzte Kritik an den ideologischen Überspanntheiten und Verstiegenheiten der Wachen Linken, die ich für zutreffend halte; aber mit dem letzten Satz wird vollzogen, was für die Rechten und insbesondere die Rechtsextremen typisch ist: Sie machen "woke" zu einem Synonym von "links", und verteufeln damit die ganze Linke als woke Bande, und nicht nur die Wache Linke (the Woke Left) im engeren Sinn oder die Linksextremen (the Far-Left). Sozialdemokraten und Sozialliberale zählen damit allesamt ebenso zu den Woken wie radikale Sozialisten oder Kommunisten. Hier müssen Erstere sofort widersprechen und die Gleichsetzung von "woke" und "left" entschieden zurückweisen, wenn sie den Rechten nicht in die Falle tappen wollen. Denn die Wache Linke ist mitnichten die Linke insgesamt und überhaupt, sondern nur ein Teil davon.

#28:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 24.11.2023, 03:34
    —
Aha, also The Babylon Bee ist jetzt also eine zitierfähige Quelle. Na Prost Mahlzeit. Pillepalle

Du bist dir inzwischen auch wirklich für gar nichts mehr zu schade, oder? Im selben Atemzug die Programme der Integration von Maori-Kultur in den Wissenschaftsbetrieb als unwissenschaftlich kritisieren und ein Propagandamagazin evangelikaler Kreationisten wie eine seriöse Quelle behandeln: Das muss man sich auch erstmal trauen. Lachen

#29:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 24.11.2023, 04:15
    —
narr hat folgendes geschrieben:
ist mir aufgefallen. Läuft immer auf Macht raus. Dass es bei menschlichen Beweggründen vielleicht auch noch andere gibt wird verneint.…


Zitat:
"[Foucault] widmete sein Werk der Enthüllung der Bourgeoisie und wollte zeigen, dass alle bestehenden Wege der Gestaltung der bürgerlichen Gesellschaft letztendlich auf Formen der Herrschaft reduziert werden können.

Die einheitliche Linie in Foucaults frühen und einflussreichsten Werken bildet die Suche nach den geheimen Strukturen der Macht. Hinter jeder Tätigkeit, jeder Institution und hinter der Sprache selbst liegt Macht, und Foucaults Ziel ist es, diese Macht zu enthüllen und so seine Opfer zu befreien."

(Scruton, Roger. Narren, Schwindler, Unruhestifter: Linke Denker des 20. Jahrhunderts. Übers. v. Krisztina Koenen. München: FinanzBuch Verlag (FBV), 2021. S. 152)

"In zwei Vorlesungen, die Foucault 1976 gehalten hat, reflektiert er darüber, was er unter »Macht« versteht, und unterscheidet dabei zwei mögliche Annäherungsweisen. Die eine bezeichnet Foucault als die Wilhelm Reich’sche, nach der die »Mechanismen der Macht die der Repression sind«, die andere geht davon aus, dass »die Basis der Machtbeziehungen das feindliche Gegenüberstehen der Kräfte« sei, diese nennt er die Nietzscheanische Betrachtungsweise. In einer verworrenen Darstellung dieser Unterscheidung entscheidet er sich für den zweiten Ansatz und versucht dann aufzuzeigen (in Sexualität und Wahrheit, 1. Band, 1976, auf Deutsch 1983), wie uns dieses Konzept der Macht ermöglicht, zu erkennen, dass selbst sexuelle Beziehungen Beispiele für »feindliche Mächte« sind. Doch er bietet keine echte Erklärung, was er unter »Macht« versteht. Die Reich’sche und die Nietzscheanische Interpretation sind untereinander kompatibel, und beide werden mit den Termini »Unterdrückung« und »Gewalt« erklärt, die mindestens so verworren sind wie die »Macht«, die sie eigentlich beleuchten sollten.

In dieser Etappe seines Lebens hatte Foucault wiederholt betont, dass ihm die »kapillare« Form der Macht, eine Macht, die bis in die Zellen der Individuen hineinreicht, große Sorge bereite. Doch er hat nicht erklärt, wer oder was als diese »Macht« aktiv sei, beziehungsweise er hat es erklärt, aber mit wenig überzeugenden Argumenten. In einem Interview gab er zu, dass für ihn die Macht mit dem Gesellschaftskörper koexistiert. Und natürlich verkörpert jede gesellschaftliche Ordnung Macht. Eine Gesellschaft kann sich ebenso wie jeder Organismus nur aufrechterhalten, indem ihre Teile in permanenter Interaktion mit jedem anderen Teil stehen. Und jede Interaktion ist Machtausübung: Macht aus einem Anlass, um eine Wirkung zu erzielen. Doch das ist nur trivial.

Was nicht trivial ist, ist die vollkommen unbewiesene und ideologisch inspirierte Idee der Herrschaft, mit der Foucault seine Schlussfolgerungen aufpoliert. Auf einmal nimmt er an, dass, wenn es Macht gibt, sie auch im Interesse von irgendeinem herrschenden Akteur ausgeübt werde. Mit diesem Trick kann er beliebige Merkmale der Gesellschaftsordnung – selbst die Bemühung um die Heilung der Kranken – als verdeckte Machtausübung darstellen, die den Interessen jener dient, die an der Macht sind. Er schreibt: »Ich glaube daran, dass alles von dem allgemeinen Phänomen, der Herrschaft der Bourgeoisie, abgeleitet werden kann.« Es wäre ehrlicher gewesen zu sagen, er glaube daran, dass die allgemeine Theorie über die Herrschaft der Bourgeoisie von allem abgeleitet werden könne. Denn indem er ganz wie das Kommunistische Manifest entschieden hat, dass die Bourgeoisie seit dem Sommer 1789 an der Macht sei, schlussfolgert er folgerichtig, dass jede von der Gesellschaftsordnung verkörperte Macht durch diese Klasse im eigenen Interesse ausgeübt werde. Deshalb trage jedwede gesellschaftliche Gegebenheit notwendigerweise den Fingerabdruck der bourgeoisen Herrschaft. Die Trivialität dieser These braucht nicht weiter erläutert zu werden; verblüffend ist nur die ihr unterliegende philosophische Naivität."

(Scruton, Roger. Narren, Schwindler, Unruhestifter: Linke Denker des 20. Jahrhunderts. Übers. v. Krisztina Koenen. München: FinanzBuch Verlag (FBV), 2021. S. 165-6)

#30:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 24.11.2023, 04:32
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Aha, also The Babylon Bee ist jetzt also eine zitierfähige Quelle. Na Prost Mahlzeit. Pillepalle

Du bist dir inzwischen auch wirklich für gar nichts mehr zu schade, oder? Im selben Atemzug die Programme der Integration von Maori-Kultur in den Wissenschaftsbetrieb als unwissenschaftlich kritisieren und ein Propagandamagazin evangelikaler Kreationisten wie eine seriöse Quelle behandeln: Das muss man sich auch erstmal trauen. Lachen


Wenn es um die Gleichsetzung von woke und links vonseiten der Rechten geht, dann ist das zitierte Buch trotz der satirischen Herangehensweise eine "seriöse Quelle". Auf der Wikipedia-Seite steht, dass die Babylon-Bee-Website von Christlich-Konservativen betrieben wird. Wo steht, dass es sich um evangelikale Kreationisten handelt? Egal, denn nicht alles, was Christlich-Konservative über die Linken sagen oder schreiben, ist notwendigerweise falsch.

#31:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 24.11.2023, 04:36
    —
Zitat:
Doch er hat nicht erklärt, wer oder was als diese »Macht« aktiv sei, beziehungsweise er hat es erklärt, aber mit wenig überzeugenden Argumenten.

Lachen Er hat es nicht erklärt, "beziehungsweise" er hat es erklärt. Also hat er es jetzt erklärt oder nicht? Am Kopf kratzen

#32:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 24.11.2023, 04:57
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn es um die Gleichsetzung von woke und links vonseiten der Rechten geht, dann ist das zitierte Buch trotz der satirischen Herangehensweise eine "seriöse Quelle".

Mit den Augen rollen Nein, natürlich ist The Babylon Bee auch dafür keine seriöse Quelle, wenn auch aus etwas anderen Gründen. Vielleicht kommst du ja sogar selbst drauf, wieso. So schwer ist das nämlich gar nicht.

Aber gut, nehmen wir mal an, es sei eine seriöse Quelle zu diesem Thema. Worin genau besteht denn dann eigentlich deine Kritik? Darin, dass The Babylon Bee "woke" synonym mit "links" verwendet? Ja schön, das wird ja auch von tillich und mir schon die ganze Zeit kritisiert: Dass das Wort "wokeism" selbst im Diskurs der rechten Kulturkämpfer nichts weiter als ein Gummibegriff ist, unter das alles fallen kann, was ihnen gerade nicht passt. Aber das ist ja nicht deine Behauptung. Du willst uns erzählen, dass das zwar repräsentativ für den Diskurs der (zumindest religiösen) Rechten ist (ansonsten ist gar nicht klar, warum du das hier überhaupt zitierst), aber nicht die eigentliche Bedeutung des Wortes "woke". Ja wo kommt sie denn her, deine "eigentliche" Bedeutung, wenn nicht aus der wirklichen Wortverwendung im Diskurs? Aus dem platonischen Ideenhimmel oder was? Oder beschränkt sich deine Kritik darauf, dass sie das Wort für alles verwenden, was sie doof finden, und nicht nur für das, was du doof findest? Womit halt einfach unser Vorwurf wieder bestätigt wäre.

Myron hat folgendes geschrieben:
Wo steht, dass es sich um evangelikale Kreationisten handelt?

Tja, das wüsstest du vielleicht, wenn du The Babylon Bee nicht nur von Google und Wikipedia kennen würdest. Zum Beispiel von ihrer eigenen Website. (Man bemerke insbesondere die ausdrücklich nicht-satirische Anmerkung in Kursivschrift ganz am Ende.)

Das ist auch so eine Sache, die du immer wieder machst: Google-Suche nach Zeug, das irgendwie in dein Narrativ passen könnte, und dann wird das ins Forum geworfen ohne jedwede zusätzliche, geschweige denn kritische Recherche zu Autor und Kontext. Genau deswegen kannst du hier ganze Threads mit ellenlangen Beitragsketten zupflastern, in denen du ohne jede Unterbrechung durch andere User Beitrag an Beitrag und Zitat an Zitat reihst: Weil diese Art der Beitragsproduktion minimal Aufwand kostet. Dass das für dich immer wieder ins Auge geht, sobald sich jemand mit den Zitaten und Quellen näher beschäftigt als du selbst, musst du allerdings auf eigene Rechnung in Kauf nehmen.

#33:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 24.11.2023, 08:22
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn es um die Gleichsetzung von woke und links vonseiten der Rechten geht, dann ist das zitierte Buch trotz der satirischen Herangehensweise eine "seriöse Quelle".

Mit den Augen rollen Nein, natürlich ist The Babylon Bee auch dafür keine seriöse Quelle, wenn auch aus etwas anderen Gründen. Vielleicht kommst du ja sogar selbst drauf, wieso. So schwer ist das nämlich gar nicht.

Aber gut, nehmen wir mal an, es sei eine seriöse Quelle zu diesem Thema. Worin genau besteht denn dann eigentlich deine Kritik? Darin, dass The Babylon Bee "woke" synonym mit "links" verwendet? Ja schön, das wird ja auch von tillich und mir schon die ganze Zeit kritisiert: Dass das Wort "wokeism" selbst im Diskurs der rechten Kulturkämpfer nichts weiter als ein Gummibegriff ist, unter das alles fallen kann, was ihnen gerade nicht passt. Aber das ist ja nicht deine Behauptung. Du willst uns erzählen, dass das zwar repräsentativ für den Diskurs der (zumindest religiösen) Rechten ist (ansonsten ist gar nicht klar, warum du das hier überhaupt zitierst), aber nicht die eigentliche Bedeutung des Wortes "woke". Ja wo kommt sie denn her, deine "eigentliche" Bedeutung, wenn nicht aus der wirklichen Wortverwendung im Diskurs? Aus dem platonischen Ideenhimmel oder was? Oder beschränkt sich deine Kritik darauf, dass sie das Wort für alles verwenden, was sie doof finden, und nicht nur für das, was du doof findest? Womit halt einfach unser Vorwurf wieder bestätigt wäre.


Soweit ich weiß, hat das Adjektiv "woke" in seinem politischen Sinn seinen Ursprung im linken "Diskurs".

Dass viele Rechte woke und links zu propagandistischen Zwecken gleichsetzen, bedeutet nicht, dass dies aus politologischer (ideologietheoretischer) Sicht richtig ist.

Es ist ebenfalls unzutreffend, dass wokeness/wokeism nichts weiter als ein demagogisches Hirngespinst der Rechten ist, wie du anzunehmen scheinst.

Alle Woken sind links, aber nicht alle Linken sind woke—d.h. nicht alle Linken gehören zur postmodernen kulturellen Linken mit ihren akademischen Cultural Studies und Critical Theories, die sich in der Nachfolge der Neuen Linken der 60er/70er Jahre herausgebildet hat. Das Auffällige und Besondere daran gegenüber der älteren Linken ist das ziemliche Desinteresse am wirtschaftspolitischen Klassenkampf. Den Kapitalismus finden die Wachen Linken zwar immer noch doof, aber die wirtschaftlich Benachteiligten und Ausgegrenzten gehören nicht zu ihren bevorzugten Opfergruppen und Unterdrückungssubjekten. Economic Studies (z.B. Armutsstudien, Arbeitslosigkeitsstudien, Obdachlosigkeitsstudien) sind nicht Teil ihrer Lieblingsbeschäftigungen.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Wo steht, dass es sich um evangelikale Kreationisten handelt?

Tja, das wüsstest du vielleicht, wenn du The Babylon Bee nicht nur von Google und Wikipedia kennen würdest. Zum Beispiel von ihrer eigenen Website. (Man bemerke insbesondere die ausdrücklich nicht-satirische Anmerkung in Kursivschrift ganz am Ende.)


Geschenkt, denn es ist für meinen Punkt völlig unerheblich, ob die Babylon-Bee-Macher Antidarwinisten sind oder nicht.

Myron hat folgendes geschrieben:
Das ist auch so eine Sache, die du immer wieder machst: Google-Suche nach Zeug, das irgendwie in dein Narrativ passen könnte, und dann wird das ins Forum geworfen ohne jedwede zusätzliche, geschweige denn kritische Recherche zu Autor und Kontext. Genau deswegen kannst du hier ganze Threads mit ellenlangen Beitragsketten zupflastern, in denen du ohne jede Unterbrechung durch andere User Beitrag an Beitrag und Zitat an Zitat reihst: Weil diese Art der Beitragsproduktion minimal Aufwand kostet. Dass das für dich immer wieder ins Auge geht, sobald sich jemand mit den Zitaten und Quellen näher beschäftigt als du selbst, musst du allerdings auf eigene Rechnung in Kauf nehmen.


Was soll dieser persönliche Angriff mit böswilligen Unterstellungen?!

#34:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 24.11.2023, 12:22
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
d.h. nicht alle Linken gehören zur postmodernen kulturellen Linken mit ihren akademischen Cultural Studies und Critical Theories

Was haben denn die anderen Linken deiner Meinung nach sonst so für theoretische Grundlagen? Beziehungsweise welche Grundlagen hättest du gerne?

Myron hat folgendes geschrieben:
Das Auffällige und Besondere daran gegenüber der älteren Linken ist das ziemliche Desinteresse am wirtschaftspolitischen Klassenkampf. Den Kapitalismus finden die Wachen Linken zwar immer noch doof, aber die wirtschaftlich Benachteiligten und Ausgegrenzten gehören nicht zu ihren bevorzugten Opfergruppen und Unterdrückungssubjekten. Economic Studies (z.B. Armutsstudien, Arbeitslosigkeitsstudien, Obdachlosigkeitsstudien) sind nicht Teil ihrer Lieblingsbeschäftigungen.

Du kennst diese Gruppen nur aus dritter Hand, oder?

Myron hat folgendes geschrieben:
Geschenkt, denn es ist für meinen Punkt völlig unerheblich, ob die Babylon-Bee-Macher Antidarwinisten sind oder nicht.

Was genau war denn jetzt eigentlich nochmal dein Punkt?

#35:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 25.11.2023, 21:25
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Myron hat folgendes geschrieben:
Geschenkt, denn es ist für meinen Punkt völlig unerheblich, ob die Babylon-Bee-Macher Antidarwinisten sind oder nicht.

Was genau war denn jetzt eigentlich nochmal dein Punkt?


Zitat:
"…was für die Rechten und insbesondere die Rechtsextremen typisch ist: Sie machen "woke" zu einem Synonym von "links", und verteufeln damit die ganze Linke als woke Bande, und nicht nur die Wache Linke (the Woke Left) im engeren Sinn oder die Linksextremen (the Far-Left). Sozialdemokraten und Sozialliberale zählen damit allesamt ebenso zu den Woken wie radikale Sozialisten oder Kommunisten. Hier müssen Erstere sofort widersprechen und die Gleichsetzung von "woke" und "left" entschieden zurückweisen, wenn sie den Rechten nicht in die Falle tappen wollen. Denn die Wache Linke ist mitnichten die Linke insgesamt und überhaupt, sondern nur ein Teil davon."
—Myron


Es gibt sowohl linke als auch rechte Kritik an der linksradikalen Wachen Linken, wobei die rechten Kritiker sie im Gegensatz zu den linken Kritikern oft mit der Linken ingesamt gleichsetzen. Da wird nicht nur der "Wokeismus" im engeren Sinn verdammt, sondern alles Linke unterschiedslos als teuflischer Marxismus/Sozialismus/Kommunismus abgetan.

(Wenn dir der Name "Wache Linke" nicht gefällt, dann darfst du gerne einen passenderen wählen—falls du einen findest!)

#36:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 25.11.2023, 23:30
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Es gibt sowohl linke als auch rechte Kritik an der linksradikalen Wachen Linken

Es gibt unter Linken ganz grundsätzlich, um nicht zu sagen notorisch, Kritik von allen an allen für alles Mögliche. Dass das in irgendeiner herausragenden oder auch nur nennenswerten Weise unter dem Vorzeichen einer binären begrifflichen Spaltung zwischen "woken" und "nicht-woken Linken" geschähe, entspringt hingegen ausschließlich deiner Phantasie.

Möchtest du mir eigentlich noch meine Frage beantworten, was die theoretischen Grundlagen der nicht-woken Linken sind?

#37:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 26.11.2023, 06:04
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Es gibt sowohl linke als auch rechte Kritik an der linksradikalen Wachen Linken

Es gibt unter Linken ganz grundsätzlich, um nicht zu sagen notorisch, Kritik von allen an allen für alles Mögliche. Dass das in irgendeiner herausragenden oder auch nur nennenswerten Weise unter dem Vorzeichen einer binären begrifflichen Spaltung zwischen "woken" und "nicht-woken Linken" geschähe, entspringt hingegen ausschließlich deiner Phantasie.

Möchtest du mir eigentlich noch meine Frage beantworten, was die theoretischen Grundlagen der nicht-woken Linken sind?


Zu den Linken zähle ich das gesamte vielfältige Spektrum von Kommunisten, Sozialisten, Sozialdemokraten und Sozialliberalen; und darin gibt es eine bunte Vielfalt an Theoretikern und Theorien, von denen man wohl kaum alle sinnvoll als "woke" bezeichnen kann.

Eine scharfe historisch-ideologische Grenze zwischen den Woken und den Nichtwoken unter den Linken kann ich allerdings nicht erkennen. Da das Adjektiv "woke" in seiner aktuellen politischen Bedeutung erst in den 2010er-Jahren gebräuchlich wurde, ist es zugegebenermaßen fraglich, ob eine anachronistische Verwendung zulässig ist.

Man könnte den "Wokeismus" historisch mit der theoretischen Wende des Marxismus hin zum gesellschaftlichen "Überbau" (über der Wirtschaft) beginnen lassen; aber dann würde er bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückreichen, also bis zur Entstehung des westlichen Neomarxismus oder Kulturmarxismus.

Perry Anderson listet in seinem Buch über den westlichen Marxismus (Considerations on Western Marxism, 1976) folgende zentrale Personen auf: G. Lukacs, K. Korsch, A. Gramsci, W. Benjamin, M. Horkheimer, G. Della Volpe, H. Marcuse, H. Lefebvre, Th. Adorno, J.-P. Sartre, L. Goldmann, L. Althusser, L. Colleti. Insbesondere Gramsci und die Vertreter der Frankfurter Schule (Horkheimer, Marcuse, Adorno u.a.) werden als geistige Vorläufer und Wurzeln der Woken Linken betrachtet—was nicht falsch ist.

"Unwoke" wären dann die prämarxistischen "utopischen Sozialisten" und die wirtschaftszentrierten "Paläomarxisten", d.i. die klassischen und orthodoxen Marxisten sowie deren ideologische Nachfolger im 20. & 21. Jahrhundert. Anderson listet hierzu folgende zentrale Personen auf: K. Marx, F. Engels, A. Labriola, F. Mehring, K. Kautsky, G. Plechanow, W. Lenin, R. Luxemburg, R. Hilferding, L. Trotzki, O. Bauer, J. Preobraschenski, N. Bucharin.

(Ebenso "unwoke" wären dann die britischen Vordenker des Sozialliberalismus wie Thomas Green, Leonard Hobhouse und John Hobson im späten 19. & frühen 20. Jahrhundert.)

Die Woke Linke oder der Wokeismus kann, so denke ich, mit Recht der Tradition des Kulturmarxismus zugerechnet werden, aber nicht mit dieser insgesamt gleichgesetzt werden. Außerdem bevorzuge ich die weniger Marx(ismus)-zentrierte Bezeichnung Kultursozialismus.

Unter der "Woken Linken" oder dem "Wokeismus" im engeren Sinn verstehe ich nun den radikalen, illiberalen, postmodernistisch, postkolonialistisch (antiwestlich/-europäisch) und multikulturalistisch geprägten Kultursozialismus ("cultural socialist extremism" – Eric Kaufmann) der Gegenwart (mit all seinen Cultural Studies & Critical Theories), wie er sich in der Nachfolge der Neuen Linken der 1960er/70er Jahre in mehreren Erscheinungsformen herausgebildet hat.

Übrigens, falls du vorhast zu erwidern, dass sich hinter dem Namen "Kulturmarxismus" nichts weiter als eine rechte Verschwörungstheorie verbirgt:

Zitat:
"Current identity-oriented progressive writers and scholars do not like to use expression “Cultural Marxism.” Moreover, those of them who did not take time to explore the history of Marxism and neo-Marxism and their genetic links with the current (cultural) left have been quick to label “Cultural Marxism” as a hate taboo term that promotes fascist, Nazi, and anti-Semitic ideas. The left instead prefer to use the above-mentioned term Critical Theory and the host of expressions derived from it: Critical Cultural Theory, Critical Race Theory, Critical Legal Studies, and so forth. However, earlier left authors (Ioan Davis, Dennis Dworkin, and Douglas Kellner) did not see any problems in using “Cultural Marxism.” In fact, they assumed that this very expression captured well the essence of the socialist thought collective that was undergoing an adjustment to the new conditions in the 1960s–1990s."

(Znamenski, Andrei. Socialism as a Secular Creed: A Modern Global History. Lanham, MD: Lexington, 2021. p. 347)

#38:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 26.11.2023, 09:11
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Man könnte den "Wokeismus" historisch mit der theoretischen Wende des Marxismus hin zum gesellschaftlichen "Überbau" (über der Wirtschaft) beginnen lassen; aber dann würde er bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückreichen, also bis zur Entstehung des westlichen Neomarxismus oder Kulturmarxismus.

Nur ist der Dualismus von "Basis" und "Überbau" erstens unmarxistisch und zweitens keine sachangemessene Theorie gesellschaftlicher Realität, sondern bestenfalls eine deskriptive Metapher, d. h. eine bloße Vorstufe einer erst noch zu entwickelnden Theorie (Althusser 1968) - die allerdings inzwischen vorliegt. Tatsächlich ist die Version der Deutschen Ideologie, der sie ursprünglich entstammt (s. MEW 3), eine von Stalin in Auftrag gegebene Fälschung Adoratskis (Pagel 2019); in der 2017 erstmals veröffentlichten Urfassung (MEGA I.V) wird unmissverständlich klar, dass es sich bei der Unterscheidung um eine ironisierende Übernahme des Stirnerschen Begriffs des "Sparrens" zum Zwecke seiner Kritik handelt. Adoratski schiebt diese der Kritik Stirners gewidmeten Passagen fälschlich dem Feuerbach-Teil der Deutschen Ideologie zu. Ansonsten fallen die Begriffe Basis und Überbau noch einmal in Zur Kritik der politischen Ökonomie auf, allerdings ist dort klar, dass es sich um eine Hilfskonstruktion handelt: Sobald man den Blick von der Produktion auf die gesellschaftliche Reproduktion lenkt, bekommt man mit der Unterscheidung herbe Schwierigkeiten (Althusser 1968). Auf die dialektische Hilflosigkeit der Unterscheidung weist auch Benjamin in einem Brief an Adorno hin, in dem Benjamin seinen Baudelaire-Aufsatz verteidigt (Benjamin 1938/1995). Marx selbst hat seine ganze Karriere über auch Phänomene kritisch behandelt, die du zum "Überbau" rechnen würdest, von Politik und Juristerei bis hin zu Kunst und Literatur (z. B. "Die Heilige Familie", MEW 2) und sogar Fragen wie etwa die nach jüdischer Identität (z. B. "Zur Judenfrage", MEW 1). Überhaupt verzichten seit etwa den Siebzigerjahren auch fast alle nach wie vor ökonomisch orientierten "orthodoxen" Marxisten auf diese Gegenüberstellung - von Althusser bis zur Gruppe Gegenstandpunkt.

Du gründest deine Abgrenzung auf eine Unterscheidung, die heute nicht nur als theoretisch überholt, sondern als vor-theoretisch gilt und von heutigen Marxisten ubiquitär abgelehnt wird. Oder anders gesagt: Du stellst nicht zwei Strömungen der heutigen Linken einander gegenüber, sondern den heutigen Marxismus einem vergangenen Marxismus, der sowohl faktisch nicht mehr existiert als auch theoretisch überholt ist. Auf der Basis (hrhr) einer Übernahme oder Nichtübernahme des Basis-Überbau-Schemas lässt sich keine Spaltung innerhalb der heutigen Linken festmachen. Die kleine Minderheit derjenigen, die das immer noch für eine theoretisch angemessene begriffliche Unterscheidung halten und nicht bestenfalls für eine populäre Metapher, ist noch nicht mal primär in der Defensive gegenüber einer "postmodernen" "nichtökonomischen" kultur- und identitätsorientierten Linken, sondern schon gegenüber ihren nach wie vor ökonomisch orientierten Genossen, die diesen Aspekt der Theorie revidiert haben. Jeder, der auch nur einen Blick in Brecht oder Benjamin geworfen hat, weiß sowieso, dass Fragen von Kunst und Kultur und sogar Religion auch im klassischen Marxismus ohnehin immer eine Rolle gespielt haben, auch bei Autoren mit ganz unbestreitbar klassisch marxistischer ökonomischer Ausrichtung (und wie gesagt de facto sogar bei Marx selbst).

...Über dieses Thema habe ich übrigens meine Dissertation geschrieben. Pfeifen

Quellen:
Althusser, Louis: Ideologie und ideologische Staatsapparate, 1. Halbband.
Benjamin, Walter: Brief an Theodor W. Adorno vom 9. 12. 1938.
Pagel, Ulrich: Der Einzige und die deutsche Ideologie
MEGA I.V
MEW 1, 2, 3, 13

#39:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.11.2023, 01:28
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Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Man könnte den "Wokeismus" historisch mit der theoretischen Wende des Marxismus hin zum gesellschaftlichen "Überbau" (über der Wirtschaft) beginnen lassen; aber dann würde er bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückreichen, also bis zur Entstehung des westlichen Neomarxismus oder Kulturmarxismus.

Nur ist der Dualismus von "Basis" und "Überbau" erstens unmarxistisch und zweitens keine sachangemessene Theorie gesellschaftlicher Realität, sondern bestenfalls eine deskriptive Metapher, d. h. eine bloße Vorstufe einer erst noch zu entwickelnden Theorie (Althusser 1968) - die allerdings inzwischen vorliegt. Tatsächlich ist die Version der Deutschen Ideologie, der sie ursprünglich entstammt (s. MEW 3), eine von Stalin in Auftrag gegebene Fälschung Adoratskis (Pagel 2019); in der 2017 erstmals veröffentlichten Urfassung (MEGA I.V) wird unmissverständlich klar, dass es sich bei der Unterscheidung um eine ironisierende Übernahme des Stirnerschen Begriffs des "Sparrens" zum Zwecke seiner Kritik handelt. Adoratski schiebt diese der Kritik Stirners gewidmeten Passagen fälschlich dem Feuerbach-Teil der Deutschen Ideologie zu. Ansonsten fallen die Begriffe Basis und Überbau noch einmal in Zur Kritik der politischen Ökonomie auf, allerdings ist dort klar, dass es sich um eine Hilfskonstruktion handelt: Sobald man den Blick von der Produktion auf die gesellschaftliche Reproduktion lenkt, bekommt man mit der Unterscheidung herbe Schwierigkeiten (Althusser 1968). Auf die dialektische Hilflosigkeit der Unterscheidung weist auch Benjamin in einem Brief an Adorno hin, in dem Benjamin seinen Baudelaire-Aufsatz verteidigt (Benjamin 1938/1995). Marx selbst hat seine ganze Karriere über auch Phänomene kritisch behandelt, die du zum "Überbau" rechnen würdest, von Politik und Juristerei bis hin zu Kunst und Literatur (z. B. "Die Heilige Familie", MEW 2) und sogar Fragen wie etwa die nach jüdischer Identität (z. B. "Zur Judenfrage", MEW 1). Überhaupt verzichten seit etwa den Siebzigerjahren auch fast alle nach wie vor ökonomisch orientierten "orthodoxen" Marxisten auf diese Gegenüberstellung - von Althusser bis zur Gruppe Gegenstandpunkt.

Du gründest deine Abgrenzung auf eine Unterscheidung, die heute nicht nur als theoretisch überholt, sondern als vor-theoretisch gilt und von heutigen Marxisten ubiquitär abgelehnt wird. Oder anders gesagt: Du stellst nicht zwei Strömungen der heutigen Linken einander gegenüber, sondern den heutigen Marxismus einem vergangenen Marxismus, der sowohl faktisch nicht mehr existiert als auch theoretisch überholt ist. Auf der Basis (hrhr) einer Übernahme oder Nichtübernahme des Basis-Überbau-Schemas lässt sich keine Spaltung innerhalb der heutigen Linken festmachen. Die kleine Minderheit derjenigen, die das immer noch für eine theoretisch angemessene begriffliche Unterscheidung halten und nicht bestenfalls für eine populäre Metapher, ist noch nicht mal primär in der Defensive gegenüber einer "postmodernen" "nichtökonomischen" kultur- und identitätsorientierten Linken, sondern schon gegenüber ihren nach wie vor ökonomisch orientierten Genossen, die diesen Aspekt der Theorie revidiert haben. Jeder, der auch nur einen Blick in Brecht oder Benjamin geworfen hat, weiß sowieso, dass Fragen von Kunst und Kultur und sogar Religion auch im klassischen Marxismus ohnehin immer eine Rolle gespielt haben, auch bei Autoren mit ganz unbestreitbar klassisch marxistischer ökonomischer Ausrichtung (und wie gesagt de facto sogar bei Marx selbst).


Benjamin gehört doch zum Dunstkreis der neumarxistischen Frankfurter Schule und damit nicht zum klassischen Marxismus (Altmarxismus). (Sein Freund Adorno hat sich sehr intensiv mit Musik befasst.)

Du hast auf diese Stelle bereits angespielt:

Zitat:
"In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um. In der Betrachtung solcher Umwälzungen muß man stets unterscheiden zwischen der materiellen, naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz, ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewußt werden und ihn ausfechten."

(Marx, Karl. Zur Kritik der politischen Ökonomie. 1859. Marx/Engels-Werke 13. Berlin: Dietz, 1961. S. 8-9)


Ich bin kein Fachmann in Marxismusgeschichte; aber wenn von einer kulturellen Linken oder einem Kulturmarxismus die Rede ist (im sachlichen politologischen Diskurs), dann kommt darin zum Ausdruck, dass beginnend mit dem westlichen Neomarxismus allmählich eine kulturelle Wende innerhalb der Linken stattgefunden hat, d.h. eine Schwerpunktverlagerung hin zum soziokulturellen "Überbau" und damit eine Aufhebung oder Überwindung des streng ökonomischen Basisdeterminismus (historischen Materialismus) des klassischen Marxismus. Das soll nicht heißen, dass der Kulturmarxismus die ökonomische Basis als soziale Determinante gänzlich außer Acht lässt, sondern nur, dass die Marxisten des 20. Jahrhunderts erkannten, dass auch das Bewusstsein (die "ideale" Sphäre) das gesellschaftliche Sein maßgeblich mitbestimmt—und nicht nur umgekehrt, wie Marx behauptet. Die Kultur ist also kein bloßer "Appendix" der Ökonomie. Die kulturelle Linke hat ihr Hauptaugenmerk auf andere (angeblich unterdrückte) soziale Gruppen gerichtet als die Proletarier des Altmarxismus, d.i. die (weiße) Arbeiterklasse.

Zitat:
"Many among the New Left were ready to give up on proletarians who “misbehaved” by converting to “bourgeois” values, virtues, materialism, and enjoying the material perks of capitalism. The former “noble savages” who were destined to become the “chosen people” to redeem humankind from oppressive capitalism, were all sucked into the consumer culture of capitalism. From a traditional Marxist viewpoint, they betrayed the true cause and adopted the “false consciousness.” Thus, Marcuse argued that the bourgeoisie was purposely buying the loyalty of masses by improving their living standards to make sure these masses would not desire to make fundamental changes in political system and their personal lives. In 1962, Tom Hayden, one of the leaders of Students for Democratic Society, a U.S.-based New Left organization, told his comrades that the working class “is not just the missionary force we can count on.” In fact, as early as the 1920s, several members of the Frankfurt School had already expressed doubts about the “chosen ones” as the great revolutionary hope. Pollock, one of the founders of the school, remembered how, during that decade, he, along with Erich Fromm and several other “Frankfurters,” had been upset about the revolutionary potential of industrial workers: “The workers were much more interested in middle-class furniture and apartments than in transforming society.”

Furthermore, the whole structure of traditional labor was undergoing and dramatic change in postwar Europe and North America. In the 1970s, 42% European workers were employed in blue-collar manufacturing jobs. By the 1990s, this number further dropped to 33%, and in the early 2000s, it declined to 16%. The increasing number of people entered service industries; in our days, the shift to digital technologies has continued washing out manufacturing jobs. Finally, in 1982, André Gorz, one of the prominent New Left ideologists, pointing to social and economic changes that phased out the traditional industrial proletarians, came up with a landmark book whose title sounded as a verdict: Farewell to the Working Class.

Exorcising the messiah class from the body of socialism was not a straight-forward process. In the 1960s, among the emerging New Left, marginalized communist parties, and Trotskyite fossils, there were still activists who continued to believe into the revolutionary élan of the proletariat. In fact, the most committed still tried to “go native” by shedding their middleclass bourgeois skins. A good example is Joschka Fischer, a prominent 1960s radical who later was active in the Green party and who subsequently became a Western German foreign minister. After a brief stint in the militant Proletarian Union for Terror and Destruction, which was specialized in violent attacks on police officers, he decided to “root” himself among proletarians. With his fellow student radicals, Fischer purposely went to work at an Opel automobile factory’s conveyer lines, seeking to establish a bond with working masses and “wake up” their revolutionary potential. Yet, the “oppressed” German workers did not want to have anything to do with the “limousine left” who pestered them by trying to convert them into “authentic” proletarians.

The New Left were scanning the political horizon for new groups of “chosen people” to act as surrogate proletarians to fulfill the messianic role of liberators. If the “corrupt” proletarians were incapable to perform this role, it should be somebody else who could be qualified to serve as an oppressed victim and simultaneously as the redeemer from the state of oppression. Describing that ideological quest of the 1960s–1970s, Irving Howe, a prominent veteran of the American left, remembered, “Almost everyone on the left, but the Marxist remnants especially, was fervently on the hunt for a ‘substitute proletariat’—some agency that might yet undertake the historical mission assigned to the workers by Marxism. Some turned to the blacks, some to Asian and African peasantries, some to the intelligentsia, some to homosexuals and—in the last, mad days of the Weatherman—even to high school students.”"

(Znamenski, Andrei. Socialism as a Secular Creed: A Modern Global History. Lanham, MD: Lexington, 2021. pp. 359-60)


Dazu ein interessanter (und kostenlos runterladbarer) Aufsatz von Andrei Znamenski: From Class to Culture: Ideological Landscapes of the Left Thought Collective in the West, 1950-1908s

Hier ein Zitat von Richard Rorty über die post-60er kulturelle Linke:

Zitat:
"The heirs of the New Left of the Sixties have created, within the academy, a cultural Left. Many members of this Left specialize in what they call the "politics of difference" or "of identity" or "of recognition." This cultural Left thinks more about stigma than about money, more about deep and hidden psychosexual motivations than about shallow and evident greed.

This shift of attention came at the same time that intellectuals began to lose interest in the labor unions, partly as a result of resentment over the union members' failure to back George McGovern over Richard Nixon in 1972. Simultaneously , the leftist ferment which had been centered, before the Sixties, in the social science departments of the colleges and the universities moved into the literature departments. The study of philosophy—mostly apocalyptic French and German philosophy—replaced that of political economy as an essential preparation for participation in leftist initiatives."

(Rorty, Richard. Achieving Our Country: Leftist Thought in Twentieth Century America. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1998. pp. 76-7)

"When the Right proclaims that socialism has failed, and that capitalism is the only alternative, the cultural Left has little to say in reply. For it prefers not to talk about money. Its principal enemy is a mind-set rather than a set of economic arrangements—a way of thinking which is, supposedly, at the root of both selfishness and sadism. This way of thinking is sometimes called "Cold War ideology," sometimes "technocratic rationality," and sometimes "phallogocentrism" (the cultural Left comes up with fresh sobriquets every year). It is a mind-set nurtured by the patriarchal and capitalist institutions of the industrial West, and its bad effects are most clearly visible in the United States.

To subvert this way of thinking, the academic Left believes, we must teach Americans to recognize otherness. To this end, leftists have helped to put together such academic disciplines as women's history, black history, gay studies, Hispanic-American studies, and migrant studies. This has led Stefan Collini to remark that in the United States, though not in Britain, the term "cultural studies" means "victim studies." Collini's choice of phrase has been resented, but he was making a good point: namely, that such programs were created not out of the sort of curiosity about diverse forms of human life which gave rise to cultural anthropology, but rather from a sense of what America needed in order to make itself a better place. The principal motive behind the new directions taken in scholarship in the United States since the Sixties has been the urge to do something for people who have been humiliated—to help victims of socially acceptable forms of sadism by making such sadism no longer acceptable.

Whereas the top-down initiatives of the Old Left had tried to help people who were humiliated by poverty and unemployment, or by what Richard Sennett has called the "hidden injuries of class," the top-down initiatives of the post-Sixties left have been directed toward people who are humiliated for reasons other than economic status."

(Rorty, Richard. Achieving Our Country: Leftist Thought in Twentieth Century America. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1998. pp. 79-80)

#40:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.11.2023, 01:36
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Zitat:
"…Whereas the top-down initiatives of the Old Left had tried to help people who were humiliated by poverty and unemployment, or by what Richard Sennett has called the "hidden injuries of class," the top-down initiatives of the post-Sixties left have been directed toward people who are humiliated for reasons other than economic status."

(Rorty, Richard. Achieving Our Country: Leftist Thought in Twentieth Century America. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1998. pp. 79-80)


Newt Gingrich (wahrlich kein Linker wie Rorty) schreibt:

Zitat:
"The only meaningful difference between the radical left’s class consciousness of a hundred years ago and the radical left’s wokeness of today is in how they are choosing to divide people. Before it was economic status. Now it is by fixed identity traits, such as race, gender, and sexuality. (In fact, being woke is sometimes explicitly referred to as achieving racial consciousness.)

(Gingrich, Newt. Beyond Biden: Rebuilding the America We Love. New York: Center Street, 2021. p. 98 )

#41:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.11.2023, 01:51
    —
Ted Cruz (wahrlich auch kein Linker) schreibt:

Zitat:
"In the years immediately following the tumultuous events of 1968, which turned public opinion sharply against the radical Left, the new revolutionaries began implementing the long march through the institutions, carefully following the instructions of Gramsci, Dutschke, and Marcuse. For the most part, they worked slowly. Sometimes they stumbled. In the process, many of the revolutionaries actually became what they were pretending to be, throwing off the ridiculous revolutionary ideas of Marx and becoming genuinely productive members of society.

But enough of these leftists remained committed to the project that it began to succeed. Over the course of several decades, this group of revolutionary professors, journalists, film writers, and others began slowly to change the way Americans thought about culture. They exploited their new avenues of transmission to great effect. Along the way, the original tenets of Marxism—which, in the beginning, applied mostly to economics—began to mutate. The new revolutionaries found that the core idea of Marxism—namely, that the world was a battleground between oppressed people and their oppressors—could be mapped not only onto warring economic classes (what Marx called the “proletariat” and the “bourgeoisie”) but onto races as well.

Today, many Americans are so used to this idea that they don’t wonder where it came from. But its origin is worth investigating. You might wonder why, in the year 2023, with the long shadow of overt racism receding further into the past every day, we constantly hear stories about “racial tension” in the media. Why is it that there is seemingly no news story that the radical Left cannot twist to fit the narrative of racial oppression?

The answer is that the long march through the institutions has finally paid off. Today, ideas that were once peripheral to American life are at the forefront. Notions like White supremacy, class warfare, and internalized racism are now discussed on major news networks as if they have always been with us. Few people stop to wonder how these concepts, which seem to have come straight from a college literature seminar, have ended up ubiquitous throughout American culture.

The term “Cultural Marxism” refers to this transition. Over the past several decades, Marxists took Marx’s communist teachings, which were originally applied to economics and to property, and applied them to culture instead. Using the same Marxist framework—a never-ending struggle between victims and oppressors that can only be corrected through force by the government’s punishing the oppressors and rewarding the victims—they extended the oppression matrix to race, gender, sexual orientation, transgenderism, and disability. And they expanded their weapons to enforce Marxism: no longer is it imposed just through government policy, but now also through education, journalism, Big Tech, Big Business, sports, music, and Hollywood."

(Cruz, Ted. Unwoke: How to Defeat Cultural Marxism in America. Washington, DC: Regnery Publishing, 2023.)

#42:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.11.2023, 02:09
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Für Rechte wie Gingrich & Cruz ist "Kulturmarxismus" der Name des linken Teufels, den es auszutreiben gilt. Viele woke Linke fordern, dass man diesen Namen niemals verwenden soll, um keine rechtsextreme Verschwörungstheorie über sie zu verbreiten.

Zitat:
"Tory MP criticised for using antisemitic term 'cultural Marxism'
Board of Deputies says Suella Braverman should pledge not to use phrase linked with far right

A leading Jewish group has criticised a Conservative former minister for using the term “cultural Marxism” in a speech, a reference to a conspiracy theory often associated with the far right and antisemitism.…"

Quelle: https://www.theguardian.com/news/2019/mar/26/tory-mp-criticised-for-using-antisemitic-term-cultural-marxism


Dazu ein Kommentar von Jeff Smith:

Zitat:
"The Guardian should not refer to “the antisemitic term ‘cultural Marxism’” as if that were a settled fact (Tory in antisemitism row, 27 March). Suella Braverman can explain for herself what she meant by it – the article does not give her exact quote – but “cultural Marxism” was in common use in British and American humanities departments in the 1980s and 1990s, not for anything conspiratorial but merely as a term for a certain approach to what is still called “cultural studies”.

Numerous examples of that usage can be found by searching the phrase on the academic database Jstor. For instance, Ioan Davies’s history of “British cultural Marxism” in the spring 1991 issue of the International Journal of Politics, Culture, and Society. The term also appears in this academic context in The Cambridge Companion to Critical Theory, published in 2004 by Cambridge University Press. If it has since been seized upon by the alt-right, that is very unfortunate, and any antisemitic use or implication should be condemned. But it already existed long before that as a term for an academic enterprise that was, if anything, often rather abstruse, even boring."
—Jeff Smith

Quelle: https://www.theguardian.com/news/2019/mar/29/how-the-term-cultural-marxism-has-been-co-opted-by-the-alt-right

#43:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.11.2023, 02:48
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Der amerikanische Politikwissenschaftler Richard Weiner hat 1981 ein Buch über den Kulturmarxismus geschrieben:

Zitat:
"In response to a complex of problems which the labor movements in advanced industrial societies have not been capable of solving either theoretically or practically, there emerged in the wanderings of social and political theorizing in the 1960s and 1970s a culturally oriented perspective. It picks up on the Marxian theme of praxis: the mediating relation between human beings and nature, and between consciousness and its objects. This perspective—one we can refer to as “cultural Marxism”—puts its emphasis upon consciousness and intentional activity as major elements in constituting, reproducing, or changing a particular form of society. As a result, it raises the issue of class consciousness, as well as the need for a critical theory of consciousness to conceptually comprehend the articulations and potential of social movements in their questioning the power relations and the ideological discourse of the dominant class.

From such culturally oriented Marxist theorizing, we can put together a conceptual framework that confronts the more traditional Marxist critique with the need to deal with questions of consciousness regarding institutions. We can do so in a way that draws upon many of the insights of the academic discipline of political sociology, while at the same time responds to many of that discipline’s limitations. Such a framework can be understood as a capstone in an arch that has been built by others, an arch whose outline and strength our conceptual reconstruction endeavors to make manifest.

Renewing the Practical-Moral Concerns of Marxism

Cultural Marxism—derived from the theorizing of Georg Lukacs, Antonio Gramsci, and the Frankfurt School—represents an attempt to remove difficulties in the mechanical Marxism that has arisen since Lenin’s generation, and that precludes the practical-moral concerns of the type that defined classical Marxism. In the process, this theoretical perspective comes to redirect the focus of Marxism from the infrastructure to the superstructure. It confronts the more traditional Marxist critique of political economy with the concept of conscious experience, not in a negating manner, but in a complementary one; and it incorporates the sociocultural dimension neglected by the “passive” and mechanical materialism of the Second International (e.g., Lenin, Engels, Kautsky, Plekhanov, Guesde, Lafargue, Labriola, Mehring and Cunow).

The emergent cultural Marxism was conceived with a practical intent. It starts from the assumption that Marxism is still the theory and practice that could at once explain and transform. The approach is marked by strong moral elements: (1) the idea of an enlightened political will self-conscious of its potential, and (2) the idea of human beings mutually and dialogically recognizing each other in a domination-free (i.e., nonrepressive) communication. Human beings are seen as not simply natural objects. They have a sense of moral integrity and practical capacity. They are understood as having the potential to comprehend epistemic and normative predicaments confronting them.

During the epoch of Joseph Stalin, there came to be a rupturing of theory and practice. And the resultant Marxian dogmatism lacked attractiveness to Western minds. With Stalin, the questions left unanswered by Lenin’s generation were disregarded as Marxism lost its universal character and ceased to be the self-consciousness of the proletariat. As a result, endeavors to construct a formal theory of the historical development of class consciousness were impaired. At best, Marxism as a mechanical materialism was redefined in the Stalin era as an externally valid, objectively given structure, and became an ideological tool for domination.

The cultural Marxism revival of the 1960s and 1970s may actually have taken off in 1956. That was the year of Stalinism’s complete intellectual exposure and political condemnation by Khrushchev at the Twentieth Congress of the Communist Party of the Soviet Union. It was also the year of the Soviet invasion of Hungary, following the attempted revolution there against the bureaucratized and militarily enforced domination of the Cominform. It was a revolt to whose causes Lukacs would rally after decades of biting the bullet of Communist Party discipline in his native Hungary. The events in Hungary helped to end the hegemony of Soviet Marxism in the international radical movement. The events led Jean-Paul Sartre in France and E.P. Thompson in England to break with their respective national communist parties.

In the wake of 1956, Thompson and Ralph Miliband led ex-communists and other radicals in England to create the journals Universities and Left Review and The New Reasoner, later to be merged in 1962 as The New Left Review. Mao Tse-Tung exclaimed how appalled he was by the “ravages” that bureaucratized state socialism had produced in Eastern Europe. Also in 1956, Herbert Marcuse’s Eros and Civilization appeared, followed by his polemical piece Soviet Marxism. Renewed interest in the Frankfurt School was kindled. And finally, between 1956 and 1960 significant social movements having universalizing goals blossomed: the Campaign for Nuclear Disarmament in England, the civil rights movements in the United States and South Africa, and the anti-colonialism/anti-imperialism struggles in the Third World.

We should note seminal figures in the cultural Marxism that evolved in the past two decades. Most relevant to the project of this book are a number of Western Europeans: Thompson, Miliband, Raymond Williams, and Perry Anderson in England; Sartre, Maurice Merleau-Ponty, Henri Lefebvre, and Lucien Goldmann in France; Jürgen Habermas, Claus Offe, Albrecht Wellmer, Oskar Negt, Karl-Otto Apel, and Alfred Schmidt in West Germany. Some significant West Europeans with a cultural Marxian slant are now working in American universities, such as Manuel Castells, Claus Mueller, and Michael Burawoy. We need also mention some significant East European theorists who, despite their all too brief mention in this volume, have contributed to this evolving cultural approach: Karel Kosik from Czechoslovakia, Rudolf Bahro in East Germany, Agnes Heller and Gyorgy Markus in Hungary, and Mihailo Markovic in Yugoslavia. Also significant here are the respective social theories of Alain Touraine, Frank Parkin, and Anthony Giddens: each of whom disclaims the appellation Marxist, but still recognizes how their work is decidedly influenced by cultural Marxian as well as Weberian theorizing.

Disenchanted with what Thompson referred to as the “socialism of the heavy industrial base,” these thinkers moved away from the idea of determination by the economic structure, even “in the last instance.” They came to treat the state and ideology as the main determining forces of domination. The focus turned to the media by which collectivities are institutionally—i.e., normatively—structured. The focus turned to values, beliefs, attitudes, role expectancies, and skills that affect a particular people’s political interactions—that is, what political sociologists refer to as a “political cul-ture.”

Culturally oriented Marxist approaches understand the consciousness of creative acting groups and classes as being shaped by a dominant political belief system, as well as the socioeconomic context in which those groups and classes are living. Together these comprise a structure of dominance. Whatever the ultimate sources of action, the immediate causes are understood to be conscious desires, beliefs, and intentions. Humans act in accordance with conscious interpretations, rather than blindly reacting to stimuli.

Most often, these interpretations are offered to us by institutionalized frames of reference. These symbolic frames define the “normal” perception of social reality —the ways in which experiences should be approached and understood. For example, in America we are bound by the sanctity of the marketplace, a nomenclature of “corporateness,” and a well-drilled hostility to all forms of “creeping socialism” that hamper every potential entrepreneur among us. Such institutionalization of norms and practices obscures the fact that the political economy is serving the dominant interests of one class or stratum rather than the interests of society as a whole.

When the power relations of dominant interests enter into commonly shared frames of reference, whole aggregates of social norms are removed from practical questioning and discourse. They become that part of the structure of the “everyday life-world”’ commonly known as the rules of the game. And the very fact of institutionalization preserves the legitimacy of the rules of the game by which one can participate in society and its political process.

Significantly, cultural Marxian thinkers perceive in Marx’s concepts of the relations and the forces of production an inadequate appreciation of the conscious experience involved with regard to institutions. Some of them like Habermas and Williams attempt to correct this perceived discrepancy by employing a notion of institution modeled on language. It is on account of what seems to be missing in Marx’s analysis of institutions that the mode of analysis itself has come to be understood as having been proved too limited in explaining modern capitalist society.

In light of such a perceived inadequacy, these thinkers—especially those associated with The New Reasoner and New Left Review like Miliband, Williams, and Anderson—have come to emphasize the Gramscian notion of the hegemony of a dominant value system and its integrative and assimilative effects. They note that major political, social, and economic institutions and the values they represent result in a dominant culture or a normative order which legitimizes and buttresses the status quo. Within the institutional framework, they perceive the sedimentation of the mediated consequences of class struggle. Such an approach focuses on the compliant acceptance of definitions of political reality as offered by dominant classes and their institutions.

The compliant acceptance of ideological definitions is rooted in and expressed in our everyday practices. Ideology is seen as pervading every level of the social order and acting on an atomized and dispersed people so as to arouse and organize its collective consent. Practices are organized as though they presented real choices, however narrowly confined those choices might be. (In the nineteenth century, when the arena of consent was still small, Marx had no place in his theory for the supplementing of coercion with an elicited willingness on the part of the worker to cooperate in the wage labor process.)

The more traditional and mechanical Marxism assumes that political action, consciousness, ideology and normative issues—such as those of tradition and constitutionalism—are functions of the underlying productive structure. Cultural Marxism instead, inserts a series of qualifications that greatly reduces this dependency relationship and accords them greater autonomy. The latter approach helps in critically raising issues crucial to appreciating how class consciousness is kept latent in the advanced capitalist societies. These would include:

(1) the apparent consensual stabilization of the capitalist state and the staying power of the political culture of bourgeois democratic forms; and
(2) the autonomy and efficacy of cultural superstructures as a political problem.

Now, Volume III of Capital breaks off just as Marx is about to embark on the definition of “class.” But unfortunately this fifty-third and final chapter of the third volume is little more than a page long. From remarks on this theme scattered throughout his work it becomes clear, that for the most part, Marx uses the concept of class in a specific way. While what constitutes a class is the common objective position in relation to the means of production in a commodity-producing society, if a class is to decide over its own fate, then this common social position must be made conscious and people must act in the light of this self-knowledge. It was to this scant treatment of the concept of class consciousness—as well as the inadequate appreciation of the consciousness involved in the institutional realm of the everyday life-world—that the pioneering cultural Marxian studies of Lukacs, Gramsci, and, more recently, E. P. Thompson responded. These studies argued that traditional Marxist analysis has spent more time discussing the “structure of domination” and its institutionalization, than any other stage in Marx’s continuous depiction of the development of the class struggle. The emphasis traditionally had been on how the ideas and culture of the “ruling class” are institutionalized as the normative structure of the society as a whole. What is missing is fuller study of the actual experience of these institutionalized values, and either the compliant acceptance or critical response that those values generate.

The “dominated class” had been regarded as hardly more than a class-in-itself. It had only nascent institutions. Georg Lukacs had recognized this disregard to be the failure to develop an adequate notion of praxis which would help advance Marxian analysis beyond the notion of an idealized “imputed class consciousness.”

Thus, cultural Marxism represents an approach that takes account of normative, indeed ideological, factors as well as cognitive and practical ones concerning acting and symbolizing. It recognizes the need for such factors to take their proper place in the general explanatory model that Marxism was putting forth. And it continues in the search for the ways in which consciousness, in its political form, is necessary for a class if it is to achieve an understanding of its own identity and possibilities. "

(Weiner, Richard R. Cultural Marxism and Political Sociology. Beverly Hills, CA: SAGE Publications, 1981. pp. 17-22)

#44:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.11.2023, 03:38
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Dazu ein interessanter (und kostenlos runterladbarer) Aufsatz von Andrei Znamenski: From Class to Culture: Ideological Landscapes of the Left Thought Collective in the West, 1950-1908s


Zitat:
"Since the 1960s, [the left mainstream] drifted away from concerns about an economic growth and class-based politics, which were associated with the old left. Instead, the left began shifting toward culture, race, and identity issues as well as environmentalism. This metamorphosis is sometimes labeled by a loose umbrella expression the “cultural turn.” On the level of ideas, this turn is usually associated with the emergence of the often-mentioned post-modernism, and it includes several intellectual trends and political practices that came to a forefront as traditional Marxism was eclipsing. The most important among these trends were post-colonial studies, critical theory, feminism, multiculturalism, and political correctness. Some authors on the right refer to all this by an umbrella term “Cultural Marxism” – a pejorative expression that serves to point to genetic links between the current cultural left and the old Marxian left."

(Znamenski, Andrei A. "From Class to Culture: Ideological Landscapes of the Left Thought Collective in the West, 1950s–1980s." In Proceeedings of Topical Issues in International Political Geography, edited by Radomir Bolgov, Vadim Atnashev, Yury Gladkiy et al., 337-355. Cham: Springer, 2021. p. 338)


Fußnote: Daraus, dass die Rechten "Kulturmarxismus" pejorativ verwenden, folgt nicht, dass die Linken dies auch tun (sollten). Eric Kaufmann folgend, finde ich "Kultursozialismus" ("cultural socialism") allerdings passender für die aktuelle Woke Linke, weil es außer dem (Neo-)Marxismus noch andere ideologische/philosophische Einflüsse gibt, zu denen die oben genannten zählen: Postmodernismus, Postkolonialismus, Multikulturalismus, Feminismus. Hinzu kommen Psychoanalytismus, Existenzialismus, Ökologismus, und auch Aspekte des Anarchismus und Liberalismus. Letztere ergeben sich aus dem Liberationismus der Woken, die ja für die Befreiung von (Fremd-/Gewalt-)Herrschaft und Unterdrückung kämpfen—leider nicht immer mit liberalen oder legalen Mitteln.

#45:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 27.11.2023, 09:03
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Benjamin gehört doch zum Dunstkreis der neumarxistischen Frankfurter Schule und damit nicht zum klassischen Marxismus (Altmarxismus). (Sein Freund Adorno hat sich sehr intensiv mit Musik befasst.)

Aha. Also womit Benjamin sich befasst hat, hast du keine Ahnung, aber du weißt, dass sein Freund Adorno sich sehr intensiv mit Musik befasst hat, und daher kann Benjamin nicht zum klassischen Marxismus gehören. Ob sein anderer Freund Bertold Brecht das auch so gesehen hat? Brechts Zugehörigkeit zum klassischen Marxismus dürfte ja hoffentlich nicht in Frage stehen, oder? Andererseits, Brecht hat sich natürlich (übrigens genauso wie Marx und Engels) auch viel mit Literatur (und sogar mit Musik) beschäftigt. Vielleicht gehören Brecht, Marx und Engels einfach auch nicht zum klassischen Marxismus. Oder vielleicht ist Benjamin einfach gar kein Marxist, sondern einfach ein orthodoxer Jude, denn er war auch mit Gerschom Scholem befreundet. (Überhaupt ist Benjamins Religiosität tatsächlich ein besseres Argument für deine Einordnung als seine Freundschaft mit Adorno.) Ist Hannah Arendt eigentlich für dich ein Nazi? Die hatte ja bekanntlich mal ein Verhältnis mit Martin Heidegger. Oder ist das Kriterium der freundschaftlichen Assoziation mit irgendwem zur Einordnung einfach scheiße doof und zudem noch deine Behauptung, klassische Marxisten hätten sich nicht mit Kunst und Kultur befasst, offensichtlich falsch? Es ist fast so, als wäre diese strenge Grenzziehung zwischen zwei Polen eine reine Schimäre.

Myron hat folgendes geschrieben:
aber wenn von einer kulturellen Linken oder einem Kulturmarxismus die Rede ist (im sachlichen politologischen Diskurs), dann kommt darin zum Ausdruck, dass beginnend mit dem westlichen Neomarxismus allmählich eine kulturelle Wende innerhalb der Linken stattgefunden hat

Nur ist das halt, wenn man sich die Geschichte des Marxismus anschaut, nirgendwo nachweisbar: Auseinandersetzungen mit Kunst und Kultur hat es im Marxismus schon immer gegeben, seit den Frühschriften von Marx und Engels. Was stattgefunden hat, ist eine Vertreibung der Marxisten bzw. generell "linker" Theoriebildung (Sozialdemokraten und linken Keynesianern ging es ja nicht besser) aus den ökonomischen Fakultäten und zunehmend auch aus dem öffentlichen Diskurs über Ökonomie. Jede Verschiebung innerhalb der Linken von ökonomischen zu kulturpolitischen Themen ist ein Resultat dieses akademischen und medialen Ostrazismus.

Myron hat folgendes geschrieben:
d.h. eine Schwerpunktverlagerung hin zum soziokulturellen "Überbau" und damit eine Aufhebung oder Überwindung des streng ökonomischen Basisdeterminismus (historischen Materialismus) des klassischen Marxismus.

Es gab keine "Verschiebung hin zum Überbau", sondern eine Infragestellung des Basis-Überbau-Schemas auf der Ebene der Theorie selbst.

Verstehst du tatsächlich den Unterschied nicht? Nochmal: Von Marx' und Engels' Frühschriften an (und keineswegs im Spätwerk abbrechend) interessierten sich Marxisten schon immer auch auf der Ebene der Theorie und der Kritik für Phänomene, die du unter dem Begriff "Überbau" fasst. Überhaupt reproduziert der abstrakte Dualismus des Basis-Überbau-Schemas genau die Trennung zwischen "Sein" und "Bewusstsein", die Marx und Engels mal aufzuheben angetreten waren.

Myron hat folgendes geschrieben:
Das soll nicht heißen, dass der Kulturmarxismus die ökonomische Basis als soziale Determinante gänzlich außer Acht lässt, sondern nur, dass die Marxisten des 20. Jahrhunderts erkannten, dass auch das Bewusstsein (die "ideale" Sphäre) das gesellschaftliche Sein maßgeblich mitbestimmt—und nicht nur umgekehrt, wie Marx behauptet.

Magisches Denken. Das "Bewusstsein" bestimmt natürlich nicht kausal das "gesellschaftliche Sein" als ein diesem äußerliches. Wo sollte dieses dem gesellschaftlichen Sein äußerliche Bewusstsein denn auch bitte herkommen? Bewusstsein Gottes oder was? Oder der Hegelsche Weltgeist, der sich in der materiellen Geschichte auch unabhängig von dieser vollzieht? Der richtige theoretische Ansatz ist nicht der der Behauptung einer kausalen Bestimmung "des Seins" durch "das Bewusstsein" oder umgekehrt (sowieso blutleere Abstrakta), sondern der einer Analyse der Rolle und Funktion ideologischer Apparate für die Reproduktion des Gesellschaftsganzen.

Myron hat folgendes geschrieben:
Die Kultur ist also kein bloßer "Appendix" der Ökonomie.

Weswegen eben das Basis-Überbau-Schema aufzugeben (bzw. was in diesem Falle das selbe ist: richtig einzuordnen) ist. Was mich zu der Frage zurückführt, warum du das immer noch ohne mit der Wimper zu zucken verwendest.

Myron hat folgendes geschrieben:
Die kulturelle Linke hat ihr Hauptaugenmerk auf andere (angeblich unterdrückte) soziale Gruppen gerichtet als die Proletarier des Altmarxismus, d.i. die (weiße) Arbeiterklasse.

Angeblich, aha. Mit den Augen rollen

#46:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 27.11.2023, 09:13
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Myron hat folgendes geschrieben:
wahrlich kein Linker wie Rorty

Lachen Newt Gingrich ist in der Tat kein Linker "wie" Rorty, nämlich in dem Sinne, dass er kein Liberaler wie Rorty ist, sondern ein Konservativer.

#47:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.11.2023, 20:31
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
wahrlich kein Linker wie Rorty

Lachen Newt Gingrich ist in der Tat kein Linker "wie" Rorty, nämlich in dem Sinne, dass er kein Liberaler wie Rorty ist, sondern ein Konservativer.


Rorty hat sich mal scherzhaft als "postmodern bourgeois liberal" bezeichnet. Sein Liberalismus entspricht aber dem modernen, progressiven Liberalismus = Sozialliberalismus (Linksliberalismus) und nicht dem klassischen Liberalismus; und er bezeichnet sich auch als Sozialdemokrat, wobei sich der Sozialliberalismus und der Sozialdemokratismus weitgehend decken: sozialer Liberalismus vs. liberaler Sozialismus. Für klassische Liberale wie Mises sind die Sozialliberalen (wie die Engländer Leonard Hobhouse und James Hobson, und der Deutsche Friedrich Naumann) eh keine echten Liberalen mehr, sondern "gemäßigte Sozialisten".

Zitat:
"Dem Liberalismus waren im 19. Jahrhundert heftige und starke Gegner erwachsen, denen es gelungen ist, einen großen Teil der liberalen Errungenschaften wieder rückgängig zu machen. Die Welt will heute vom Liberalismus nichts mehr wissen. Außerhalb Englands ist die Bezeichnung "Liberalismus" geradezu geächtet; in England gibt es zwar noch "Liberale", doch ein großer Teil von ihnen sind es nur dem Namen nach, in Wahrheit sind sie eher gemäßigte Sozialisten."

(Mises, Ludwig. Liberalismus. Jena: G. Fischer, 1927. S. 2)


Zitat:
"RR: In the U.S., liberal means what social democrat means in Europe."

(Rorty, Richard. "Biography and Philosophy." Interview by Andrzej Szahaj. In Take Care of Freedom and Truth Will Take Care of Itself: Interviews with Richard Rorty, edited by Eduardo Mendieta, 148-160. Stanford, CA: Stanford University Press, 2006. p. 152)

"Hollinger is, like myself, a social democrat and an admirer of Dewey."

(Rorty, Richard. "The Unpredictable American Empire." 2003. In What Can We Hope For? Essays on Politics, edited by W. P. Malecki and Chris Voparil, 161-177. Princeton, NJ: Princeton University Press, 2022. p. 169)

"What pragmatists do say is that our values—the values, for example, of social democrats like myself…"

(Rorty, Richard. "On Philosophy and Politics." Interview by Chronis Polychroniou. In Take Care of Freedom and Truth Will Take Care of Itself: Interviews with Richard Rorty, edited by Eduardo Mendieta, 89-103. Stanford, CA: Stanford University Press, 2006. p. 90)

"Q: What about other arguments against bourgeois liberalism—Dewey’s for example? Didn't Dewey see the need for far-reaching structural change in the basic institutional arrangements of American society?

RR: Yes, Dewey was what in Europe would have been called a social democrat. He was the inspiration for a good deal of what we think of as the left wing of the Democratic Party."

(Rorty, Richard. "Postphilosophical Politics." Interview by Danny Postel. In Take Care of Freedom and Truth Will Take Care of Itself: Interviews with Richard Rorty, edited by Eduardo Mendieta, 28-33. Stanford, CA: Stanford University Press, 2006. p. 30)

#48:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 28.11.2023, 00:07
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Benjamin gehört doch zum Dunstkreis der neumarxistischen Frankfurter Schule und damit nicht zum klassischen Marxismus (Altmarxismus). (Sein Freund Adorno hat sich sehr intensiv mit Musik befasst.)

Aha. Also womit Benjamin sich befasst hat, hast du keine Ahnung, aber du weißt, dass sein Freund Adorno sich sehr intensiv mit Musik befasst hat, und daher kann Benjamin nicht zum klassischen Marxismus gehören. Ob sein anderer Freund Bertold Brecht das auch so gesehen hat? Brechts Zugehörigkeit zum klassischen Marxismus dürfte ja hoffentlich nicht in Frage stehen, oder? Andererseits, Brecht hat sich natürlich (übrigens genauso wie Marx und Engels) auch viel mit Literatur (und sogar mit Musik) beschäftigt. Vielleicht gehören Brecht, Marx und Engels einfach auch nicht zum klassischen Marxismus. Oder vielleicht ist Benjamin einfach gar kein Marxist, sondern einfach ein orthodoxer Jude, denn er war auch mit Gerschom Scholem befreundet. (Überhaupt ist Benjamins Religiosität tatsächlich ein besseres Argument für deine Einordnung als seine Freundschaft mit Adorno.) Ist Hannah Arendt eigentlich für dich ein Nazi? Die hatte ja bekanntlich mal ein Verhältnis mit Martin Heidegger. Oder ist das Kriterium der freundschaftlichen Assoziation mit irgendwem zur Einordnung einfach scheiße doof und zudem noch deine Behauptung, klassische Marxisten hätten sich nicht mit Kunst und Kultur befasst, offensichtlich falsch? Es ist fast so, als wäre diese strenge Grenzziehung zwischen zwei Polen eine reine Schimäre.


Ich bin in der Tat weder Benjamin- noch Brecht-Kenner, aber Benjamin wird doch zu den Neomarxisten gezählt—und natürlich nicht allein deshalb, weil er mit dem Neomarxisten Adorno befreundet war.
(Auf der Vorderseite von Perry Andersons Buch Considerations on Western Marxism sind vier Personen abgebildet: Althusser, Della Volpe, Sartre und Benjamin. Hat sich Anderson bei Letzterem etwa vertan?)

Soweit ich mich entsinne, habe ich nicht behauptet, dass sich klassische Marxisten niemals mit Kunst und Kultur befasst haben. Nichtsdestoweniger ist der klassische Marxismus in einem Maße basiszentriert & proletariatsfixiert, also ökonomozentrisch, wie es der Neomarxismus nicht mehr ist.

Zitat:
"Neo-Marxism: An updated and revised form of Marxism that rejects determinism, the primacy of economics and the privileged status of the proletariat."

(Heywood, Andrew. Political Ideologies: An Introduction. 7th ed. London: Red Globe/Macmillan, 2021. p. 93)


Der Soziologie Erwin Scheuch gebraucht sogar den Ausdruck "Überbau-Marxismus" als Synonym für "Neomarxismus", wobei der gesellschaftliche Überbau nicht nur die Kultur in engeren Sinn umfasst, sondern Kunst, Wissenschaft, Philosophie, Ideologie, Religion, Politik, Recht & Sitte.

Zitat:
"Die Neomarxisten wurden von den Parteimarxisten deshalb so entschieden abgelehnt, weil sie der Arbeiterschaft die Eignung absprachen, unter heutigen Bedingungen noch das revolutionäre Subjekt zu sein. Das sei vielmehr die von der Wirtschaftsgesellschaft entfremdete Kulturintelligenz, weil sie – um eine Bezeichnung von Karl Mannheim (1893-1947) aus den zwanziger Jahren zu übernehmen (…) – "freischwebend" zu Einsichten komme, die den inzwischen verbürgerlichten Arbeitern nicht zugänglich seien. Den Parteimarxisten ist sicherlich zuzustimmen, dass eine Lehre, die den ,"Freischwebenden" die Funktion zuweist, revolutionäres Subjekt zu sein, kaum noch materialistisch genannt werden kann: Der Marxismus wird in diesen Lehren zu einem "Überbau-Marxismus"."

(Scheuch, Erwin K. Sozialer Wandel, Band 1: Theorien des sozialen Wandels. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, 2003. S. 32)


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
aber wenn von einer kulturellen Linken oder einem Kulturmarxismus die Rede ist (im sachlichen politologischen Diskurs), dann kommt darin zum Ausdruck, dass beginnend mit dem westlichen Neomarxismus allmählich eine kulturelle Wende innerhalb der Linken stattgefunden hat

Nur ist das halt, wenn man sich die Geschichte des Marxismus anschaut, nirgendwo nachweisbar: Auseinandersetzungen mit Kunst und Kultur hat es im Marxismus schon immer gegeben, seit den Frühschriften von Marx und Engels. Was stattgefunden hat, ist eine Vertreibung der Marxisten bzw. generell "linker" Theoriebildung (Sozialdemokraten und linken Keynesianern ging es ja nicht besser) aus den ökonomischen Fakultäten und zunehmend auch aus dem öffentlichen Diskurs über Ökonomie. Jede Verschiebung innerhalb der Linken von ökonomischen zu kulturpolitischen Themen ist ein Resultat dieses akademischen und medialen Ostrazismus.


Die "Vertreibung" der akademischen Linken aus den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten (und deren Einzug in die geistes- oder kulturwissenschaftlichen Fakultäten) mag ein institutioneller Grund für die Schwächung des alten ökonomischen "Basis-Marxismus" sein; aber dahinter steht auch ein theoretischer Wandel im marxistischen Denken selbst.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
…d.h. eine Schwerpunktverlagerung hin zum soziokulturellen "Überbau" und damit eine Aufhebung oder Überwindung des streng ökonomischen Basisdeterminismus (historischen Materialismus) des klassischen Marxismus.

Es gab keine "Verschiebung hin zum Überbau", sondern eine Infragestellung des Basis-Überbau-Schemas auf der Ebene der Theorie selbst.


Ich bin auch kein Gramsci-Fachmann, aber mit seinem Begriff eines historischen Blocks scheint er eine soziale Synthese von Basis und Überbau zu postulieren, die deren Trennung "dialektisch aufhebt", also sowohl beseitigt als auch bewahrt.

Zitat:
"In place of the common Marxist division of economic “structure” and “superstructure”, Gramsci proposed the concept of a “historical bloc” (blocco storico). This was a composite of distinct class and social forces joined politically and culturally under a specific form of hegemony."

Quelle: https://plato.stanford.edu/entries/gramsci/


Mein allgemeiner Eindruck ist jedenfalls, dass die postklassischen Marxisten begonnen haben, ganzheitlicher zu denken, d.h. über den rein wirtschaftlichen Klassenkampf zwischen "Proletariat" und "Bourgeoisie" sowie dessen (angeblich vorprogrammierte) geschichtliche Entwicklung hinaus.
Im Zuge dessen haben sie außer der alten Arbeiterklasse andere soziale "Opfergruppen" entdeckt, die nicht durch ihre wirtschaftliche Rolle und Stellung in der Gesellschaft definiert sind. Diese sind es, die nun im Mittelpunkt der woken Politik der "Diversität, Äquität & Inklusion", der Politik der "Identität" bzw. "Differenz" und der Politik der "Anerkennung" ("recognition") stehen.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Die Kultur ist also kein bloßer "Appendix" der Ökonomie.

Weswegen eben das Basis-Überbau-Schema aufzugeben (bzw. was in diesem Falle das selbe ist: richtig einzuordnen) ist. Was mich zu der Frage zurückführt, warum du das immer noch ohne mit der Wimper zu zucken verwendest.


Die alte Marxsche Unterscheidung ist insofern weiterhin nützlich, als sie einen realen Wandel innerhalb in der Marxismusgeschichte markiert, nämlich—wie schon gesagt—eine Schwerpunktverlagerung von einem ökonomistischen "Basis-Marxismus" zu einem kulturalistischen "Überbau-Marxismus", wobei der Kulturbegriff sehr weit gefasst ist und sich mitnichten nur auf die Kunst bezieht.

Bezeichnungen wie "the cultural turn (of the left)", "the cultural left", "cultural marxism/socialism" und "(Marxist) cultural studies" beziehen sich doch nicht auf bloße Fiktionen.

#49:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 28.11.2023, 00:46
    —
@Tarvoc: Mich würde interessieren, wo du die Wache (Woke) Linke des 21. Jahrhunderts ideologisch & historisch einordnest.

#50:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 28.11.2023, 01:02
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Es gibt unter Linken ganz grundsätzlich, um nicht zu sagen notorisch, Kritik von allen an allen für alles Mögliche. Dass das in irgendeiner herausragenden oder auch nur nennenswerten Weise unter dem Vorzeichen einer binären begrifflichen Spaltung zwischen "woken" und "nicht-woken Linken" geschähe, entspringt hingegen ausschließlich deiner Phantasie.

Myron hat folgendes geschrieben:
@Tarvoc: Mich würde interessieren, wo du die Wache (Woke) Linke des 21. Jahrhunderts ideologisch & historisch einordnest.

Komplett von der Rolle

#51:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 28.11.2023, 01:32
    —
Der Politologe Eric Kaufmann sagt in einem Interview vom Januar 2023 Folgendes:

Zitat:
"Eric Kaufmann: Now, what it is, it's a clash between I guess what I'd call "cultural liberalism," which is free speech, equal treatment, due process, rational science, on the one hand, objective truth — against "cultural socialism," which is really about, you know — the most important value is protecting these minority groups from any kind of psychological harm, and we need equal outcomes. If we don't have, if there's any race gap, gender gap, that's automatic evidence of white privilege, and patriarchy, and white supremacy. You know, so this is sort of the ideology that's challenging cultural liberalism, which has been really the sort of operating model for our societies.

Sharyl: Did you come up with the term "cultural socialism"?

Kaufmann: Yeah. I just think this is the best term to describe what we're talking about, which, in simple terms, is about transposing the oppressor-oppressed radical transformation framework from Marxism onto a cultural plane of identity groups. So, it's not about class anymore, but it's about race, gender, sexuality. And that's sort of the simplest way to understand what we're in."

Quelle: https://fullmeasure.news/news/shows/cultural-socialism


Er bevorzugt also den Namen "kultureller Sozialismus" für die Wache Linke; aber in einem (lesenswerten) Aufsatz aus dem Jahr 2020 mit dem Titel "Liberal Fundamentalism: A Sociology of Wokeness" stellt er sie als einen hauptsächlich aus einem "Linksmodernismus" entstandenen "liberalen Fundamentalismus" dar:

Zitat:
"The Awokening’s roots are more liberal than socialist. At this ideology’s core is a simple emotional binary that began with the minoritarian liberalism of the nineteenth century, in which minorities are viewed warmly and majorities coolly. I term this the liberal iden­tity.

The liberal identity has steadily diverged from liberal principles, and its blend of ideas is now best characterized as left-modernism, a blend of cultural egalitarianism and modernist individualism.

Why liberal fundamentalism? After all, illiberalism in the name of “social justice” is this movement’s calling card. This cognitive disso­nance doesn’t arise from liberal principles, but from liberal identity. Liberalism’s concern with the tyranny of the majority has produced a minoritarian sensibility that has morphed into a perfectionist left-modernism, which is profoundly illiberal.

The liberal Progressive movement of the first decade of the twentieth century is an important chrysalis for today’s dominant ideology, the blend of liberal and leftist ideas that I term left-modern­ism. Liberal Progressivism brought together university-educated lib­eral Protestants like John Dewey and Jane Addams with freethinkers like William James and Felix Adler.

Left-modernism’s roots lie in minoritarian liberalism, not socialism, which envisioned a majoritarian uprising of the working masses. In this sense, socialism was closer to ideas of “the people,” like nationalism and populist democracy, than to left-liberalism.

At the same time, left-leaning liberals—the so-called lyrical Left—had a tense relationship with socialism. While drawn to the utopian dreams of Marxism, many of these left-modernists found themselves repelled by Soviet socialism’s doctrinaire conformity and political demands.

The sacralization of race by left-modernists would prove monumentally important in the decades to come. The anti-WASP ethos of the early left-modernists gradually evolved into a generalized anti-whiteness as white Catholics and Jews assimilated into a new un­hyphenated white majority. Robin DiAngelo’s “white fragility” and Noel Ignatiev’s 1990s critical race theory trope of “abolishing the white race” stem from the same liberal mindset as Mencken and Bourne’s anti-WASP diatribes.
This development, it should be stressed, originates not with Marx­ism but with liberalism’s minoritarian sympathies and anti-majority ethos. In effect, liberalism’s categories of majority and minority cultural identities were plugged into socialism’s oppressor-oppressed terminal, filling the blank slots left by the bourgeoisie and the pro­letariat. While those who point to wokeness as a cultural form of Marxism are partially correct, these influences came later, and ferti­lized a preexisting liberal matrix."

Quelle: https://americanaffairsjournal.org/2020/11/liberal-fundamentalism-a-sociology-of-wokeness/

#52:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 28.11.2023, 01:49
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Es gibt unter Linken ganz grundsätzlich, um nicht zu sagen notorisch, Kritik von allen an allen für alles Mögliche. Dass das in irgendeiner herausragenden oder auch nur nennenswerten Weise unter dem Vorzeichen einer binären begrifflichen Spaltung zwischen "woken" und "nicht-woken Linken" geschähe, entspringt hingegen ausschließlich deiner Phantasie.

Myron hat folgendes geschrieben:
@Tarvoc: Mich würde interessieren, wo du die Wache (Woke) Linke des 21. Jahrhunderts ideologisch & historisch einordnest.

Komplett von der Rolle


Von wegen! Wenn beispielsweise von der Neuen Linken der 60er Jahre die Rede ist, dann handelt es sich dabei unbestreitbar um ein reales Phänomen innerhalb der langen Geschichte der Linken, das sich ideologisch-historisch einordnen lässt—auch wenn es nicht leicht zu fassen ist und sich nicht auf einen einfachen Nenner bringen lässt. Gleiches gilt für die Wache Linke der Gegenwart; und es ist offenkundig falsch, dass sie sich in nichts von allen linken Vorgängern unterscheidet.

#53:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 28.11.2023, 01:52
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
…[Kaufmann] bevorzugt also den Namen "kultureller Sozialismus" für die Wache Linke; aber in einem (lesenswerten) Aufsatz aus dem Jahr 2020 mit dem Titel "Liberal Fundamentalism: A Sociology of Wokeness" stellt er sie als einen hauptsächlich aus einem "Linksmodernismus" entstandenen "liberalen Fundamentalismus" dar:…


Wir haben es allerdings in der Wachen Linken auch mit einem Linkspostmodernismus zu tun.

#54:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 28.11.2023, 10:06
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Soweit ich mich entsinne, habe ich nicht behauptet, dass sich klassische Marxisten niemals mit Kunst und Kultur befasst haben. Nichtsdestoweniger ist der klassische Marxismus in einem Maße [...] ökonomozentrisch, wie es der Neomarxismus nicht mehr ist.

Nach dem Maßstab ist auch Benjamin ein klassischer Marxist. zwinkern Und selbst Adornos Werk ist nicht ohne Grund in großen Teilen einer Kritik der Kulturindustrie und der Durchdringung der "Kultur" mit ökonomischen Kategorien gewidmet.

Myron hat folgendes geschrieben:
"Neo-Marxism: An updated and revised form of Marxism that rejects determinism, the primacy of economics and the privileged status of the proletariat."

(Heywood, Andrew. Political Ideologies: An Introduction. 7th ed. London: Red Globe/Macmillan, 2021. p. 93)

Noch so ein Objekt, das nicht existiert. Welcher Marxist lehnt denn das "Primat" des Ökonomischen ab? Nur der, der aufhòrt, Marxist zu sein. Das Problem hier ist, dass ein Prozess einer Neubestimmung dessen, was "Primat der Ökonomie" bedeutet, als Prozess der Abkehr vom Primat der Ökonomie missverstanden wird. Das ist insofern verständlich, als tatsächlich einige Leute in diesem Prozess ganz vom Marxismus absprangen (Lyotard, Foucault, etc.).

Myron hat folgendes geschrieben:
Die "Vertreibung" der akademischen Linken aus den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten (und deren Einzug in die geistes- oder kulturwissenschaftlichen Fakultäten) mag ein institutioneller Grund für die Schwächung des alten ökonomischen "Basis-Marxismus" sein; aber dahinter steht auch ein theoretischer Wandel im marxistischen Denken selbst.

Aha. Also dahinter, nämlich hinter dem Ausschluss von Marxisten und anderen wie z. B. linken Keynesianern aus den ökonomischen Fakultäten durch die Neoklassik steht also ein theoretischer Wandel innerhalb des Marxismus. Also die Marxisten sind an ihrem eigenen Ausschluss Schuld. Pillepalle

Myron hat folgendes geschrieben:
Ich bin auch kein Gramsci-Fachmann, aber mit seinem Begriff eines historischen Blocks scheint er eine soziale Synthese von Basis und Überbau zu postulieren, die deren Trennung "dialektisch aufhebt", also sowohl beseitigt als auch bewahrt.

Gramsci kenne ich auch nur als konkurrierenden Ansatz zu Althusser. Mit diesem (Althusser) stimme ich darin überein, dass eine "Synthese von Basis und Überbau", die nicht nur Wortspielerei sein, sondern den Dualismus wirklich überwinden will, sich erstmal darauf verständigen muss, was das "Basis-Überbau-Schema" überhaupt ist, nämlich ein bloßes metaphorisches Beobachtungsschema, und damit nicht selbst eine Theorie oder auch nur ein Baustein einer fertigen Theorie, sondern eine Vorstufe einer wirklichen Theorie, die mit deren Entwicklung wegfallen kann bzw. sich in den neuen Begrifflichkeiten und Erklärungsmustern auflöst. (Althusser meint, dies mit seiner Theorie der ISAs und der gesellschaftlichen Reproduktion geleistet zu haben.)

Myron hat folgendes geschrieben:
Mein allgemeiner Eindruck ist jedenfalls, dass die postklassischen Marxisten begonnen haben, ganzheitlicher zu denken, d.h. über den rein wirtschaftlichen Klassenkampf zwischen "Proletariat" und "Bourgeoisie" sowie dessen (angeblich vorprogrammierte) geschichtliche Entwicklung hinaus.

Nehmen wir mal an, das wäre eine adäquate Darstellung dessen, was sich abgespielt hat. Warum ist das jetzt gleich nochmal was Schlechtes?

Myron hat folgendes geschrieben:
Bezeichnungen wie "the cultural turn (of the left)", "the cultural left", "cultural marxism/socialism" und "(Marxist) cultural studies" beziehen sich doch nicht auf bloße Fiktionen.

"Marxist cultural studies" ist da, wo es nicht eine Falschzuschreibung ist, einfach nur ein anderes Wort für Marxisten,die eben Kulturwissenschaft machen. Und was die anderen Begriffe angeht: Da ich sie praktisch nie von Marxisten höre, würde ich mal ganz kackdreist behaupten: Doch, das sind bloße Fiktionen. Oder bestenfalls Mystifizierungen, die wirklichen Veränderungen und Entwicklungen mehr vernebelt als erhellen.


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 28.11.2023, 10:18, insgesamt 5-mal bearbeitet

#55:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 28.11.2023, 10:09
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Es gibt unter Linken ganz grundsätzlich, um nicht zu sagen notorisch, Kritik von allen an allen für alles Mögliche. Dass das in irgendeiner herausragenden oder auch nur nennenswerten Weise unter dem Vorzeichen einer binären begrifflichen Spaltung zwischen "woken" und "nicht-woken Linken" geschähe, entspringt hingegen ausschließlich deiner Phantasie.

Myron hat folgendes geschrieben:
@Tarvoc: Mich würde interessieren, wo du die Wache (Woke) Linke des 21. Jahrhunderts ideologisch & historisch einordnest.

Komplett von der Rolle

Komplett von der Rolle indeed.

#56:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 28.11.2023, 15:23
    —
Hier sind einige Kommentare (von Rechten) zur Frage, in welchem Verhältnis der Wokeismus zum Marxismus und zum Liberalismus steht:

* Edward Feser: What is the relationship between wokeism, Marxism, and liberalism?

* Darrick Taylor: Wokeism Is Liberalism

* Michael Rectenwald: The Maoist Rage of Woke Ideology

* Alexander Riley: Why Wokeism Is Not Marxist

* Paul Gottfried: Marx Was Not Woke

Gottfried (ein "Paläokonservativer") meint:

Zitat:
"Wokeism arises out of the failure of liberalism, not out of the theory of Marxism.

The woke left is an even more grotesque distortion of Marxism than anything the interwar and postwar Frankfurt School brought forth. This left has shed any recognizable Marxist theory, but it continues to venerate Communist heroes while appealing to the interwar struggle between the Communist left and “fascism.” Despite socialist proposals that occasionally enter woke wish lists, corporate capitalists are integral to the post-Marxist left. Nor are such capitalists likely to suffer any ill effects even if the green agenda that most Western countries are pushing is put more broadly into effect.

Unlike Marxism, moreover, the woke left has long ceased paying homage to science and rationality. The left is driven by hate against traditional Americans with fixed gender roles, communal hierarchies, and some form of inherited religious faith. Truth, for the woke left, is determined and redefined by those in power. Woke beliefs have no necessary connection to what is empirically provable, since from the woke perspective, Western science and empirical demonstration are tainted by white, masculine, racist prejudice. Communism in Europe, at least in practice, never showed the frenzied nihilistic energy that seems endemic to the woke left. From tearing down statues to abolishing genders to inciting mob violence against white Americans to throwing open borders for invasion by Third World migrants, the woke left seems far more socially and culturally destructive than most past Communist governments.

Hazony’s key point in identifying the woke left as Marxist is their shared focus on the historical struggle between the oppressors and oppressed. This struggle is certainly foundational for Marx and the Marxists, but it is one that other ideologies and movements have embraced as well."
—Paul Gottfried


Dagegen hält Hazony den Wokeismus für "an updated Marxism":

Zitat:
"Anti-Marxist liberals have labored under numerous disadvantages in the recent struggles to maintain control of liberal organizations. One is that they are often not confident they can use the term “Marxist” in good faith to describe those seeking to overthrow them. This is because their tormentors do not follow the precedent of the Communist Party, the Nazis, and various other political movements that branded themselves using a particular party name and issued an explicit manifesto to define it. Instead, they disorient their opponents by referring to their beliefs with a shifting vocabulary of terms, including “the Left,” “Progressivism,” “Social Justice,” “Anti-Racism,” “Anti-Fascism,” “Black Lives Matter,” “Critical Race Theory,” “Identity Politics,” “Political Correctness,” “Wokeness,” and more. When liberals try to use these terms, they often find themselves deplored for not using them correctly, and this itself becomes a weapon in the hands of those who wish to humiliate and ultimately destroy them.

The best way to escape this trap is to recognize the movement presently seeking to overthrow liberalism for what it is: an updated version of Marxism. I do not say this to disparage anyone. I say this because it is true. And because recognizing this truth will help us understand what we are facing.

The new Marxists do not use the technical jargon that was devised by the nineteenth-century Communist Party. They don’t talk about the bourgeoisie, proletariat, class struggle, alienation of labor, commodity fetishism, and the rest, and in fact they have developed their own jargon tailored to present circumstances in America, Britain, and elsewhere. Nevertheless, their politics are based on Marx’s framework for critiquing liberalism (what Marx calls the “ideology of the bourgeoisie”) and overthrowing it. We can describe Marx’s political framework as follows:

1. Oppressor and Oppressed. Marx argues that, as an empirical matter, people invariably form themselves into cohesive groups (he calls them classes), which exploit one another to the extent they are able. A liberal political order is no different in this from any other, and it tends toward two classes, one of which owns and controls pretty much everything (the oppressor); while the other is exploited, and the fruit of its labor appropriated, so that it does not advance and, in fact, remains forever enslaved (the oppressed). In addition, Marx sees the state itself, its laws and its mechanisms of enforcement, as a tool that the oppressor class uses to keep the regime of oppression in place and to assist in carrying out this work.

2. False Consciousness. Marx recognizes that the liberal businessmen, politicians, lawyers, and intellectuals who keep this system in place are unaware that they are the oppressors, and that what they think of as progress has only established new conditions of oppression. Indeed, even the working class may not know that they are exploited and oppressed. This is because they all think in terms of think in terms of liberal categories (for example, the individual’s right to freely sell his labor) which obscure the systematic oppression that is taking place. This ignorance of the fact that one is an oppressor or oppressed is called the ruling ideology (Engels’s later coined the phrase false consciousness to describe it), and it is only overcome when one is awakened to what is happening and learns to recognize reality using true categories.

3. Revolutionary Reconstitution of Society. Marx suggests that, historically, oppressed classes have materially improved their conditions only through a revolutionary reconstitution of society at large—that is, through the destruction of the oppressor class and of the social norms and ideas that hold the regime of systematic oppression in place. He even specifies that liberals will supply the oppressed with the tools needed to overthrow them. There is a period of “more or less veiled civil war, raging within existing society, up to the point where that war breaks out into open revolution” and the “violent overthrow” of the liberal oppressors. At this point, the oppressed seize control of the state.

4. Total Disappearance of Class Antagonisms. Marx promises that after the oppressed underclass takes control of the state, the exploitation of individuals by other individuals will be “put to an end” and the antagonism between classes of individuals will totally disappear. How this is to be done is not specified.

Marxist political theories have undergone much development and elaboration over nearly two centuries. The story of how “neo-Marxism” emerged after the First World War in the writings of Antonio Gramsci and the Frankfurt School has been frequently told, and academics will have their hands full for many years to come arguing over how much influence was exerted on various successor movements by Herbert Marcuse, Michel Foucault, post-modernism, and more. But for present purposes, this level of detail is not necessary, and I will use the term “Marxist” in a broad sense to refer to any political or intellectual movement that is built upon Marx’s general framework as I’ve just described it. This includes the “Progressive” or “Anti-Racism” movement that has overtaken liberal institutions in America and other countries. This movement uses racial and gender categories to describe the oppressors and the oppressed in our day. But it relies entirely on Marx’s general framework for its critique of liberalism and for its plan of action against the liberal political order. It is simply an updated Marxism—one that has taken the oppressed to be people of color and LGBTQ rather than the working class."

(Hazony, Yoram. Conservatism: A Rediscovery. Washington, DC: Regnery Gateway, 2022.)

#57:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 28.11.2023, 15:55
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Myron hat folgendes geschrieben:
Die "Vertreibung" der akademischen Linken aus den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten (und deren Einzug in die geistes- oder kulturwissenschaftlichen Fakultäten) mag ein institutioneller Grund für die Schwächung des alten ökonomischen "Basis-Marxismus" sein; aber dahinter steht auch ein theoretischer Wandel im marxistischen Denken selbst.

Aha. Also dahinter, nämlich hinter dem Ausschluss von Marxisten und anderen wie z. B. linken Keynesianern aus den ökonomischen Fakultäten durch die Neoklassik steht also ein theoretischer Wandel innerhalb des Marxismus. Also die Marxisten sind an ihrem eigenen Ausschluss Schuld.


Mit dem theoretischen Wandel "dahinter" meine ich nicht den Grund für die Vertreibung/den Ausschluss der marxistischen Akademiker aus den ökonomischen Fakultäten. Vielleicht hätte ich das Wort "daneben" verwenden sollen.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Myron hat folgendes geschrieben:
Mein allgemeiner Eindruck ist jedenfalls, dass die postklassischen Marxisten begonnen haben, ganzheitlicher zu denken, d.h. über den rein wirtschaftlichen Klassenkampf zwischen "Proletariat" und "Bourgeoisie" sowie dessen (angeblich vorprogrammierte) geschichtliche Entwicklung hinaus.

Nehmen wir mal an, das wäre eine adäquate Darstellung dessen, was sich abgespielt hat. Warum ist das jetzt gleich nochmal was Schlechtes?


Bislang ist es hier nur um eine sachliche ideologiehistorische Beschreibung gegangen und nicht um eine politische Bewertung.

#58:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 28.11.2023, 17:34
    —
Der Wokeismus hat sowohl marxistische als auch liberalistische Wurzeln, aber er steckt meiner Meinung nach tiefer im Sozialismus als im Liberalismus. Er ist mit seinem Egalitarismus eher ein liberaler Sozialismus als ein sozialer Liberalismus, wobei ich den Namen liberaler Sozialismus auch nicht für wirklich passend halte. Wäre libertärer Sozialismus besser? Ich denke nicht, denn im ursprünglichen Sinn bedeutet Libertarismus so viel wie Anarchismus; und als Anarchosozialisten würde ich die Woke Linke auch nicht bezeichnen. Denn zur Verwirklichung ihrer egalitären und antidiskriminatorischen Grundwerte Diversität, Äquität & Inklusion und zur entsprechenden Herstellung von Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit benötigen sie ja einen großen und starken Staat mit seinem bürokratisch-juristischen Apparat. In dieser Hinsicht ist die Woke Linke nicht anarchistisch (anti-etatistisch), sondern archistisch (etatistisch).

In vorherigen Beiträgen war bereits die Rede vom Wokeismus als Kulturmarxismus (cultural marxism) oder Kultursozialismus (cultural socialism). Was genau unter "Kultur" zu verstehen ist, ist eine Sache; aber es geht allgemein um einen "Überbaumarxismus", der sich vom alten ökonomistischen "Basismarxismus" unterscheidet. Vollkommen zufrieden bin ich mit der (von Eric Kaufmann bevorzugten) Bezeichnung cultural socialism aber nicht, wobei ich sie besser finde als cultural marxism.

Welche alternative Bezeichnung bietet sich an? Beim Durchlesen des Inhaltsverzeichnisses eines demnächst erscheinenden Buches von Graham Harrison mit dem Titel The Internet Left: Ideology in the Age of Social Media bin ich auf den Namen identitarian socialism (identitärer Sozialismus) gestoßen, der gar nicht schlecht ist.
Identitär bezieht sich auf die identitätspolitische Ausrichtung der woken Linken; und da diese Bezeichnung im Gegensatz z.B. zu liberaler/libertärer Sozialismus noch nicht gebräuchlich ist, bietet sie sich zur Unterscheidung der woken Linken von der vor-/nichtwoken Linken an.

(Neben dem Linksidentitarismus der Woken gibt es den völkischen Rechtsidentitarismus der Faschos.)

#59:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 28.11.2023, 22:58
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Welche alternative Bezeichnung bietet sich an? Beim Durchlesen des Inhaltsverzeichnisses eines demnächst erscheinenden Buches von Graham Harrison mit dem Titel The Internet Left: Ideology in the Age of Social Media bin ich auf den Namen identitarian socialism (identitärer Sozialismus) gestoßen, der gar nicht schlecht ist.


Den Ausdruck "(the) identitarian left"/"(die) identitäre Linke" findet man bereits öfter.

#60:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 28.11.2023, 23:26
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Komplett von der Rolle indeed.


Ein Beispiel für linke Kritik an der Wachen (Identitären/Kulturellen) Linken:

"Der laut verfochtene Antirassismus lenkt vom Klassenkampf ab: Ein amerikanischer Linker attackiert die Identitätspolitik
Arm oder reich? Die materiellen Lebensgrundlagen definierten den gesellschaftlichen Status eines Menschen stärker als die Hautfarbe oder die sexuelle Orientierung – das schreibt der Literaturwissenschafter Walter Benn Michaels und macht sich damit wenig Freunde."


Quelle: https://www.nzz.ch/feuilleton/der-trubel-um-diversitaet-walter-benn-michaels-ueber-identitaeten-ld.1660088
Zitat:

"[T]he point of this book as a whole is that the least important thing about us—our identity—is the thing we have become most committed to talking about, and that this commitment is, especially from the standpoint of a left politics, a profound mistake. What it means is that the political left—increasingly committed to the celebration of diversity and the redress of historical grievance—has converted itself into the accomplice rather than the opponent of the right. The old Socialist leader Eugene Debs used to be criticized for being unwilling to interest himself in any social reform that didn’t involve the attack on economic inequality. The situation now is almost exactly the opposite; the left today obsessively interests itself in issues that have nothing to do with economic inequality.

And, not content with pretending that our real problem is cultural difference rather than economic difference, we have also started to treat economic difference as if it were cultural difference. So now we’re urged to be more respectful of poor people and to stop thinking of them as victims, since to treat them as victims is condescending—it denies them their “agency.” And if we can stop thinking of the poor as people who have too little money and start thinking of them instead as people who have too little respect, then it’s our attitude toward the poor, not their poverty, that becomes the problem to be solved, and we can focus our efforts of reform not on getting rid of classes but on getting rid of what we like to call classism. The trick, in other words, is to stop thinking of poverty as a disadvantage, and once you stop thinking of it as a disadvantage then, of course, you no longer need to worry about getting rid of it. More generally, the trick is to think of inequality as a consequence of our prejudices rather than as a consequence of our social system and thus to turn the project of creating a more egalitarian society into the project of getting people (ourselves and, especially, others) to stop being racist, sexist, classist homophobes. This book is an attack on that trick."

(Michaels, Walter Benn. The Trouble with Diversity: How We Learned to Love Identity and Ignore Inequality. New York: Metropolitan Books, 2006. pp. 19-20)


"Zurück zur Klassenpolitik" – so lautet der Titel eines Textes von Richard Rorty:

Zitat:
"The Vietnam War saw the end of the traditional alliance between the academics and the unions—an alliance which had nudged the Democratic party steadily to the left during the previous twenty years. We are still living with the consequences of the anti–Vietnam War movement, and in particular with those of the rage of the increasingly manic student protesters of the late 1960s. These protesters were absolutely right that Vietnam was an unjust war, a massacre of which our country will always be ashamed. But when the students began to burn flags, and to spit at returning soldiers, they did deeper and more long-lasting damage to the American left than they could ever have imagined. When they began to spell “America” with a “k,” they lost the respect and the sympathy of the union members. Until George McGovern’s defeat in 1972, the New Left did not realize that it had unthinkingly destroyed an alliance which had been central to American leftist politics.

Since those days, leftists in the colleges and universities have concentrated their energies on academic politics rather than on national politics. As Todd Gitlin put it, we academics marched on the English department while the Republicans took over the White House. While we had our backs turned, the labor unions were being steadily ground down by the shift to a service economy, and by the machinations of the Reagan and Bush administrations. The best thing that could happen to the American left would be for the academics to get back into the class struggle, and for the labor union members to forgive and forget the stupid and self-defeating anti-American rhetoric which filled the universities of the late 1960s.

This is not to say that those twenty-five years of inward-looking academic politics were in vain. American campuses are very much better places—morally better places—than they were in 1970. Thanks to all those marches on the English department, and various other departments, the situation of women, gays, lesbians, African-Americans, and Hispanics has been enormously improved. Their new role in the academy is helping improve their situation in the rest of American society.

Nevertheless, leftist academic politics has run its course. It is time to revive the kind of leftist politics which pervaded American campuses from the Great Depression through the early 1960s—a politics which centers on the struggle to prevent the rich from ripping off the rest of the country. If the unions will help us revive this kind of politics, maybe the academy and the labor movement can get together again. Maybe together we can help bring our country closer to the goal which matters most: the classless society. That is the cause for which the AFL-CIO [American Federation of Labor & Congress of Industrial Organizations] organizers are now fighting, and for which some of their predecessors died."

(Rorty, Richard. "Back to Class Politics." 1997. Reprinted in What Can We Hope For? Essays on Politics, edited by W. P. Malecki and Chris Voparil, 138-145. Princeton, NJ: Princeton University Press, 2022. pp. 144-5)

#61:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 29.11.2023, 00:12
    —
+++Da die GWUP nur im ersten Beitrag erwähnt wird, und es im gesamten Thread um den Wokeismus im Allgemeinen geht, sollte dieser Thread umbenannt werden in Wokeismus oder Die Woke Linke.+++

#62:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 29.11.2023, 17:22
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
+++Da die GWUP nur im ersten Beitrag erwähnt wird, und es im gesamten Thread um den Wokeismus im Allgemeinen geht, sollte dieser Thread umbenannt werden in Wokeismus oder Die Woke Linke.+++

Besser:
Ursprünglichen Titel abändern:
Zitat:
GWUP: Diskussion um den sogenannten "Wokeismus"

Die Diskussion ging ja gerade darum, ob das überhaupt ein sinnvoller Begriff ist bzw. was man implizit voraussetzt und damit macht und behauptet, wenn man diesen Begriff benutzt.

#63:  Autor: astarte BeitragVerfasst am: 29.11.2023, 18:14
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
+++Da die GWUP nur im ersten Beitrag erwähnt wird, und es im gesamten Thread um den Wokeismus im Allgemeinen geht, sollte dieser Thread umbenannt werden in Wokeismus oder Die Woke Linke.+++

Besser:
Ursprünglichen Titel abändern:
Zitat:
GWUP: Diskussion um den sogenannten "Wokeismus"

Die Diskussion ging ja gerade darum, ob das überhaupt ein sinnvoller Begriff ist bzw. was man implizit voraussetzt und damit macht und behauptet, wenn man diesen Begriff benutzt.

Gute Idee.

#64:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 30.11.2023, 13:32
    —
Zu Woke sage ich erst mal nichts.

narr hat folgendes geschrieben:
Die "Woke-Bewegung" hat sich inzwischen zur Ideologie entwickelt. Grundlage sind nicht mehr wissenschaftliche Regeln, sondern "Gefühle". Begriffe wie "westliche Wissenschaft" werden ohne nachzudenken benutzt. Aber was soll denn "westliche Wissenschaft" sein?

Der Vorfall in Neuseeland zur M?tauranga M?ori ist ein ein ausgezeichnetes Beispiel für das Abdriften der "Woke-Bewegung", das auch schon in Westeuropa zu beobachten ist.

Herrscht bereits Konsens über Matauranga Maori - die Maori-Weisheit?

Maori-Wissenschaft soll in den Lehrplan:

Pandas Thumb hat folgendes geschrieben:

Chemistry Professor Paul Kilmartin on "mauri" in the NZ Chemistry/Biology curriculum
By Nick Matzke
February 20, 2022 17:00 MST


Zitat:
These were proposed last year for inclusion in the NCEA curriculum, and have been piloted in some schools.

I understand that this year, a further 5 schools will be involved in mini-pilots, with full pilots to take place next year, and full implementation by 2024.

One of the Big Ideas in the Chemistry area has to do with the properties of matter, as follows:

Bild: Mauri is present in all matter. All particles have their own mauri und presence as part of a larger whole, for example within a molecule, polymer, salt or metal.

The following Glossary is provided, where mauri is defined as:

Bild: Mauri - The vital essence, life force of everything: be it a physical object, living thing or ecosystem.

[...]

One final example of mauri is of interest to myself as an electrochemist, given our use of electricity to interface with chemistry. And this relates to domestic electrical wiring. In the current New Zealand Electrical Code of Practice, we are encouraged to think of the Green/Yellow=Earth wire as a Papatuanuku or Earth Mother.

Bild: New Zealand Electrical Code of Practise

Beim letzten Bild wird die Phase wird als tapu eingeordnet.

Wikipedia beschreibt tapu so:

Maori Religion hat folgendes geschrieben:
Das Wort tapu kann als "heilig", als " spirituelle Vorschrift" oder als "implizites Verbot" interpretiert werden; es beinhaltet Regeln und Verbote. Es gibt zwei Arten von Tapu: privates Tapu (in Bezug auf Einzelpersonen) und öffentliches Tapu (in Bezug auf Gemeinschaften). Eine Person, ein Gegenstand oder ein Ort, der tapu ist, darf nicht berührt werden, in manchen Fällen darf man sich ihm nicht einmal nähern. Eine Person, ein Objekt oder ein Ort kann durch Tapu für eine bestimmte Zeit heilig gemacht werden.

In der M?ori-Gesellschaft vor dem europäischen Kontakt war Tapu eine der stärksten Kräfte im Leben der M?ori. Ein Verstoß gegen Tapu konnte schlimme Folgen haben, einschließlich des Todes des Täters durch Krankheit oder durch die Hand eines von der Tat Betroffenen.

https://en.wikipedia.org/wiki/M%C4%81ori_religion

Der Phasenleiter ist also Tapu, weil man ihn besser nicht anfaßt, sonst wischts dir eine.

Eine "nützliche Parallele", behauptet der Text. Wenn's hilft. So auf Kleinkindniveau passts schon: "Da ist Aua drin!"


Es kommt noch schlimmer:

Maori-Religion hat folgendes geschrieben:
In früheren Zeiten galten Speisen, die für eine Person von hohem Rang gekocht wurden, als tapu und durften von einem Untergebenen nicht gegessen werden.

Mit diesem Satz ist klar: die Maori waren eine stratifizierte Gesellschaft. Nix edle Wilde, die untereinander gleichberechtigt in Einklang mit der Natur leben. Ich wette einen Fünfer, die hatten Sklavenhaltung und Vielweiberei. Frauenrechte, Schwulenrechte, Kinderrechte? Eher nicht.

Da hat wohl jemand das Verfallsdatum von Matauranga Maori nicht überprüft.

#65:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 30.11.2023, 15:12
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Mit diesem Satz ist klar: die Maori waren eine stratifizierte Gesellschaft. Nix edle Wilde, die untereinander gleichberechtigt in Einklang mit der Natur leben. Ich wette einen Fünfer, die hatten Sklavenhaltung und Vielweiberei. Frauenrechte, Schwulenrechte, Kinderrechte? Eher nicht.

Die Marotte etablierter Zivilisationen, indigenen Gesellschaften ihre Wunschvorstellungen aufzudrücken kennen wir spätestens seit Tacitus (Germania). Befriedigt anscheinend ein wohlstandsbürgerliches Grundbedürfnis.

#66:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 30.11.2023, 16:42
    —
Lebendige Flüsse, ontologische Überlegenheit und eine veritable Verschwörungstheorie


Im Denken der Maori werden mitunter natürliche Gegebenheiten als lebendig angesehen, Flüsse zum Beispiel.

Der folgende Text stammt von Maori-Wissenschaftlern und erwähnt eine derartige Studie. Hab' ein bisschen wissenschaftstheoretisches Fleisch drangelassen, weil ontological supremacy eine Standardkritik an der, errmm, westlichen Wissenschaft ist.

Journal of Experimental Biology hat folgendes geschrieben:
Moving beyond ontological (worldview) supremacy: Indigenous insights and a recovery guide for settler-colonial scientists

Journal of Experimental Biology - June 2023

Zur Überwindung der ontologischen (Weltanschauungs-)Vorherrschaft: Indigene Einsichten und ein Leitfaden zur Rettung siedler-kolonialer Wissenschaftler

Biowissenschaftler gehen heute oft von einem "objektivistischen" und universellen Wissen aus, das aus der frühen westlichen Wissenschaftsphilosophie stammt ... Dem "Mythos der wissenschaftlichen Objektivität" folgend, betrachten Wissenschaftler, die sich mit natürlichen Systemen befassen, die natürliche Welt oft als "Objekt", was im Gegensatz zu relationaler Ethik und indigenen Seins- und Wissensweisen steht.

Obwohl das Streben nach Objektivität ein mächtiges Instrument ist, kann es dazu führen, dass Wissenschaftler und Lernende der Wissenschaft andere Formen der Wissenschaft fälschlicherweise als "unwissenschaftlich" bezeichnen. ...

[z. B. das Verständnis der Biophysik von Flüssen als lebende Einheiten in Aotearoa (Brierley et al., 2022) oder die Untersuchung der genetisch-sprachlichen Verbindungen zwischen Grizzlybären und indigenen Gemeinschaften (Henson et al., 2021)].


Hab mir beide Arbeiten angesehen. Solide, aber nichts Neues, beide hart an der Grenze zum Trivialen. . Vom lebenden Fluß bleibt in der einen Arbeit nur eine Metapher. Ob das auf die an anderer Stelle angesprochenen Differenzen indigener und Siedler-Wissenschaftler zurückgeht?


Fluß-Studie hat folgendes geschrieben:
Die Wiederbelebung der strangulierten Flüsse in Aotearoa, Neuseeland

Die heutigen Bewirtschaftungsmethoden haben die Flusssysteme in Aotearoa Neuseeland künstlich eingeengt (stranguliert), um eine intensivere Landnutzung in den Anrainergebieten zu ermöglichen. Diese Praktiken arbeiten gegen die Natur und vermindern die Funktionalität und den Wert der biologischen Vielfalt lebender Flüsse sowie die damit verbundenen soziokulturellen Beziehungen zu Flüssen. Die Einengung von Flüssen kann das Hochwasserrisiko verstärken [...]

Bislang wurden in Aotearoa Neuseeland noch keine Maßnahmen ergriffen, um Flüssen mehr Raum zu geben, was solche Mängel beheben könnten. Und das, obwohl solche Praktiken direkt mit den Konzepten der Maori (Ureinwohner) übereinstimmen, die Flüsse als unteilbare, lebendige Einheiten betrachten.

https://wires.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/wat2.1624


Was? Mehr nicht zu den lebenden Flüssen?

Folgend wird der Vertrag von Waitangi erwähnt, der den Maori Rechte über ihre Länder und damit auch die Flüsse eingeräumt haben soll:

Fluß-Studie hat folgendes geschrieben:
Die im Vertrag von Waitangi verankerten Verpflichtungen, die die Rechte der Maori neben den kolonialen Rechten der Siedlergesellschaft geltend machen, sind eine zusätzliche Triebfeder für die Einführung von Initiativen zur Schaffung von mehr Bewegungsraum für Flüsse.


Der Vertrag wurde in drei Tagen geschrieben und in einer Nacht übersetzt mit späteren Nachbesserungen. Die englische und die Maori-Fassungen sind nicht deckungsgleich.


Wikipedia hat folgendes geschrieben:
Treaty of Waitangi 1840

In Artikel zwei des Maori-Textes wird festgelegt, dass die Maori die uneingeschränkte Herrschaft über ihre Ländereien, Dörfer und all ihre Schätze behalten, während der englische Text das fortgesetzte Eigentum der Maori an ihren Ländereien festschreibt und das uneingeschränkte Vorkaufsrecht der Krone festlegt.

Da einige Wörter im englischen Vertrag nicht direkt in die damalige Maori-Sprache übersetzt wurden, ist der Maori-Text keine exakte Übersetzung des englischen Textes, insbesondere in Bezug auf die Bedeutung von "Souveränität haben" und "Souveränität abtreten" Diese Unterschiede führten in den Jahrzehnten nach der Unterzeichnung zu Meinungsverschiedenheiten, die schließlich zu den Neuseelandkriegen von 1845 bis 1872 beitrugen und bis zu den Vereinbarungen im Vertrag von Waitangi in den frühen 1990er Jahren andauerten.

https://en.wikipedia.org/wiki/Treaty_of_Waitangi


Wurde absichtlich falsch übersetzt oder nur aus Eile geschlampt? Warum eigentlich die Eile? Perfekter Stoff für eine Verschwörungstheorie.

Laut Wikipedia legen Gerichte einige Stellen inzwischen so aus, daß taonga, "treasures", "precious things" nicht nur materiellen Besitz und Land bedeutet, sondern auch Sprache und Kultur einschließt. Ebenso sei der Maori-Text die gültige Fassung, denn die wurde von Maori-Hauptlingen unterschrieben.

Ist das der Grund, warum Matauranga Maori in die Lehrpläne soll? Weil Maori-Kultur seit 1840 vertraglich geschützt ist?

PS: Hoffentlich fordert ein schelmischer Maori das Recht auf Polygamie ein. Die gerichtliche Begründung, warum Polygamie nicht geht, möchte ich sehen.

#67:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 30.11.2023, 20:27
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Im Denken der Maori werden mitunter natürliche Gegebenheiten als lebendig angesehen, Flüsse zum Beispiel.

Ist aber nicht Maori-spezifisch. So zitiert Aelianus den Aristoteles mit dem Bericht, Pythagoras sei beim Durchwaten des Flusses Kosa vom Fluss selbst angesprochen worden und viele Zeugen hätten diese Anrede gehört.


smallie hat folgendes geschrieben:
Dem "Mythos der wissenschaftlichen Objektivität" folgend, betrachten Wissenschaftler, die sich mit natürlichen Systemen befassen, die natürliche Welt oft als "Objekt"...

geht ebenfalls auf die Vorsokratiker zurück, die erstmals eine rein materielle Basis alles Seienden postuliert haben.


smallie hat folgendes geschrieben:
Hoffentlich fordert ein schelmischer Maori das Recht auf Polygamie ein. Die gerichtliche Begründung, warum Polygamie nicht geht, möchte ich sehen.

Was daran "schelmisch" sein soll, sein gutes Recht als Mann einzufordern erschließt sich mir jetzt nicht so ganz. Aber egal:
Wenn er in NZL nicht damit durchkommt, kann er ja immer noch in D Asyl beantragen.
https://www.welt.de/politik/deutschland/article109544417/Polygamie-in-der-Migranten-Parallelgesellschaft.html

#68:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 30.11.2023, 20:46
    —
VanHanegem hat folgendes geschrieben:
Wenn er in NZL nicht damit durchkommt, kann er ja immer noch in D Asyl beantragen.
https://www.welt.de/politik/deutschland/article109544417/Polygamie-in-der-Migranten-Parallelgesellschaft.html

Nein, könnte er nicht. Und zwar nicht einmal nach diesem reißerischen, zehn Jahre alten, vor Unsinn nur so strotzenden und tendenziell rassistischen Artikel aus der Springerpresse.


Zuletzt bearbeitet von tillich (epigonal) am 30.11.2023, 20:54, insgesamt einmal bearbeitet

#69:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 30.11.2023, 20:53
    —
Und ich möchte einfach mal ganz allgemein fragen, welche Relevanz denn bitteschön der Umgang der Neuseeländer mit dem kulturellen Erbe der von ihnen kolonisierten Maori für uns haben soll, zumal auf dieser ziemlich schmalen Quellenbasis.

Wobei es natürlich völlig legitimerweise diskutiert werden kann. Warum nicht. Nur eben bitte als ein einzelnes Thema, dem man sich dann bitte mit angemessener Tiefe widmen möge, statt es als Steinbruch für Aufreger-Zitathäppchen zu benutzen, die dann mit x-anderen Themen zu einem sinnlosen Brei zusammengerührt werden.

Einige der letzten Beiträge sind dafür gute Ansätze. Deswegen würde ich vorschlagen, dafür einen eigenen Thread zu eröffnen, Titelvorschlag: "Maori-Traditionen und Naturwissenschaft".

#70:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 30.11.2023, 21:43
    —
VanHanegem hat folgendes geschrieben:

Die Marotte etablierter Zivilisationen, indigenen Gesellschaften ihre Wunschvorstellungen aufzudrücken kennen wir spätestens seit Tacitus (Germania). Befriedigt anscheinend ein wohlstandsbürgerliches Grundbedürfnis.


Nun ist es umgekehrt: Der Naturwissenschaft soll die Maori-Mythologie/-Philosophie als gleichwertes Wissenssystem "aufgedrückt" werden!

Hier zeigen sich der postmoderne Relativismus und der Antiszientismus der Wachen Linken: Die moderne Wissenschaft betrachten sie nicht als eine globale Institution der Menschheit, deren Verfahren und Erkenntnisse universell gültig sind, sondern nur als ein lokales/regionales Wissens(erzeugungs)system unter vielen anderen, welche in methodologisch-epistemologischer Hinsicht nicht minder gültig und (mindestens) gleichwertig sind.

Somit gibt es für die Woken so etwas wie die Wissenschaft überhaupt nicht, sondern lediglich unterschiedliche kulturrelative Wissenschaften. Was Leute wie ich "die Wissenschaft" nennen, ist für sie lediglich europäische/abendländische/westliche/weiße Wissenschaft oder sogar nur männliche westliche/weiße Wissenschaft. Außerdem wird diese als "hegemonialer", imperialistisch-kolonialistischer Machtapparat der weißen Rasse und Kultur betrachtet, der mit seinem Überlegenheitsanspruch gegenüber mythischen/philosophischen/religiösen Glaubenssystemen andere Rassen und Kulturen "epistemisch unterdrückt". Das führt zu "epistemischer Ungerechtigkeit" und sogar "epistemischer Gewalt" gegenüber den Kulturen (Mythologien/Philosophien) indigener Völker wie der Maori, gegen die es politisch zu kämpfen gilt – und genau das tun die Wachen Linken in Neuseeland (leider mit Erfolg).


Zuletzt bearbeitet von Myron am 01.12.2023, 02:45, insgesamt einmal bearbeitet

#71:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 30.11.2023, 21:59
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Lebendige Flüsse, ontologische Überlegenheit und eine veritable Verschwörungstheorie

Im Denken der Maori werden mitunter natürliche Gegebenheiten als lebendig angesehen, Flüsse zum Beispiel. ...


Die Maori-Mythologie ist vitalistisch. Von dieser Sichtweise hat sich die moderne Wissenschaft, insbesondere die Biologie, längst zu Recht verabschiedet. Der Glaube an eine alles durchwaltende, physikalisch-chemisch irreduzible Lebensenergie/-kraft kann nur noch als unwissenschaftlich bezeichnet werden.

#72:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 30.11.2023, 23:06
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Und ich möchte einfach mal ganz allgemein fragen, welche Relevanz denn bitteschön der Umgang der Neuseeländer mit dem kulturellen Erbe der von ihnen kolonisierten Maori für uns haben soll, zumal auf dieser ziemlich schmalen Quellenbasis.

Das Maori-Thema ist unverbraucht. Medial hierzulande kaum präsent und deshalb noch nicht partisan besetzt. Außerdem geographisch weit genug weg und damit in sicherem Abstand zu den üblichen Aufregern.

Es steht ja noch deine Frage im Raum, was woke denn überhaupt sei, wenn nicht Kampfbegriff oder Ausdruck von Präzisierungsfaulheit. Einige Leute haben Antworten gegeben, an Matauranga Maori lassen sie sich überprüfen.

Ich finde die Sache weit über das woke-Thema hinaus spannend: ein Land mit zwei verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die kulturelle Autonomie haben. Wieviel Parallelgesellschaft ist machbar?

Wären Amische in Deutschland machbar? Nee, dafür ist Deutschland nicht tolerant genug. Polygamie? Mit den Fingern essen? Nachmittags Khat kauen?

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Hoppla. Wikipedia sagt, Anteil Maori-Religion: 1,3 %. Vergesst, was ich zur Parallelgesellschaft gesagt habe.

#73:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 30.11.2023, 23:45
    —
smallie hat folgendes geschrieben:

Es steht ja noch deine Frage im Raum, was woke denn überhaupt sei, wenn nicht Kampfbegriff oder Ausdruck von Präzisierungsfaulheit. Einige Leute haben Antworten gegeben, an Matauranga Maori lassen sie sich überprüfen.

Ich finde die Sache weit über das woke-Thema hinaus spannend: ein Land mit zwei verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die kulturelle Autonomie haben. Wieviel Parallelgesellschaft ist machbar?


Was wir derzeit in Neuseeland in Sachen "social justice for Maori" sehen, ist ein gutes Beispiel für angewandten Wokeismus, worin das Thema Multikulturalismus eine zentrale Rolle spielt.

Zitat:
"Multiculturalism is part of a broader political movement for greater inclusion of marginalized groups, including African Americans, women, LGBTQ people, and people with disabilities (Glazer 1997, Hollinger 1995, Taylor 1992). This broader political movement is reflected in the “multiculturalism” debates in the 1980s over whether and how to diversify school curricula to recognize the achievements of historically marginalized groups. But the more specific focus of contemporary theories of multiculturalism is the recognition and inclusion of minority groups defined primarily in terms of ethnicity, nationality, and religion. The main concern of contemporary multiculturalism are immigrants who are ethnic and religious minorities (e.g. Latinx people in the U.S., Muslims in Western Europe), minority nations (e.g. the Basque, Catalans, Québécois, Welsh) and indigenous peoples (e.g. Native peoples and indigenous groups in Canada, the U.S., Australia, and New Zealand)."

Quelle: https://plato.stanford.edu/entries/multiculturalism/

#74:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 01.12.2023, 00:33
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Was wir derzeit in Neuseeland in Sachen "social justice for Maori" sehen, ist ein gutes Beispiel für angewandten Wokeismus, worin das Thema Multikulturalismus eine zentrale Rolle spielt.

Nein, das ist viel eher ein gutes Beispiel für angewandten oberen zapokanischen Motrentismus.
Dieser äußert sich außerdem in einer übergroßen Toleranz (trotz der verheerenden medizinischen Folgen!) für "traditionellen", jahreszeitlich orientierten exzessiven Drogenkonsum im Südosten Deutschlands, in einem absurden Verständnis weitgehender Bevölkerungsteile der USA für den traditionellen Privatgebrauch (oft mit Todesfolge!) von explosivstoffbetrieben Tötungsgeräten sowie im traditionellen Tanz der drehenden Derwische (mit seiner geplanten Ausschaltung des natürlichen Schwindels).

Der angewandte obere zapokanische Motrentismus ist somit die gemeinsame Ideologie hinter den Vorstellungen der Maorigemeinschaft, der Vereinigung der Wiesnworte, der NRA und den Sufiorden, die ihre jeweiligen Gesellschaften ideologisch voll im Griff haben.

#75:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 01.12.2023, 02:38
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Ein Beispiel für linke Kritik an der Wachen (Identitären/Kulturellen) Linken:

"Der laut verfochtene Antirassismus lenkt vom Klassenkampf ab: Ein amerikanischer Linker attackiert die Identitätspolitik
Arm oder reich? Die materiellen Lebensgrundlagen definierten den gesellschaftlichen Status eines Menschen stärker als die Hautfarbe oder die sexuelle Orientierung – das schreibt der Literaturwissenschafter Walter Benn Michaels und macht sich damit wenig Freunde."



"Zurück zur Klassenpolitik" – so lautet der Titel eines Textes von Richard Rorty:…


2022 ist ein Buch mit dem Titel No Politics but Class Politics mit Texten von und Interviews mit Walter Benn Michaels & Adolph Reed Jr. erschienen. Reed spricht darin von…

Zitat:
"…the identitarian/culturalist left…"

(Reed, Jr., Adolph. "Django Unchained, or, The Help: How ‘Cultural Politics’ Is Worse Than No Politics at All, and Why." In: Walter Benn Michaels & Adolph Reed, Jr., No Politics but Class Politics, 157-193. Edited by Anton Jäger & Daniel Zamora. London: ERIS, 2022. p. 172)


Bessere Namen für die Woke/Wache Linke als die folgenden habe ich bisher nicht gefunden:

die identitäre Linke
die kulturelle/kulturalistische Linke
identitärer Sozialismus
kultureller/kulturalistischer Sozialismus (Kultursozialismus)
Linksidentitarismus


Dass es zwischen den Woken und den Nichtwoken unter den Linken durchaus deutliche Unterschiede gibt, zeigt sich beispielsweise darin, dass auch schon ein linker schwarzer Politikwissenschaftler wie Adolph Reed Jr. Opfer der woken "cancel culture" wurde; und zwar deshalb, weil ihm die gute alte sozialistische Klassenpolitik wichtiger ist als die Rassenpolitik (im Sinne der kritischen Rassentheorie) im Besonderen und die linke Identitätspolitik (mit ihrem "Intersektionalismus") im Allgemeinen. Das macht ihn in den Augen der woken Sozialisten zu einem "Reaktionär".

Zitat:
"The New York Times published a lengthy news article last week highlighting an instructive incident that took place earlier this year within the Democratic Socialists of America (DSA). A speech by professor emeritus of political science Adolph Reed, Jr. was cancelled due to objections by the AFROSOCialist and Socialists of Color Caucus over his “reactionary and class reductionist form of politics.”…"

Quelle: https://www.wsws.org/en/articles/2020/08/18/reed-a18.html

#76:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 01.12.2023, 03:25
    —
Erschreckend und widerlich! So sieht die (antisemitische) Praxis der radikalen Linksidentitären (mit ihrem "Antikolonialismus" und "Antirassismus") aus:

Zitat:
"Kunststudenten in Berlin betreiben antisemitischen Aktivismus und verbreiten eine Kultur der Angst: In Deutschland häufen sich israelfeindliche Vorfälle an Hochschulen. Die Universität der Künste in Berlin sticht besonders hervor. Eine propalästinensische Gruppe versucht dort gerade, den politischen Diskurs zu kapern.…"

Quelle: https://www.nzz.ch/feuilleton/antisemitismus-und-israelfeindlichkeit-an-der-universitaet-der-kuenste-berlin-ld.1768196


Zitat:
"Den rot gefärbten Händen wird in Kreisen antiisraelischer Aktivisten allerdings noch eine weitere Bedeutung zugeschrieben. Sie sollen angeblich an einen Vorfall erinnern, bei dem 12. Oktober 2000 in der palästinensisch kontrollierten Stadt Ramallah im Westjordanland ein Mob zwei israelische Reservisten lynchten. Die beiden waren offenbar falsch abgebogen und versehentlich nach Ramallah gefahren. Nach ihrer Festnahme stürmten etwa 1000 Männer die Polizeistation, ein gutes Dutzend von ihnen stach und schlug auf die Israeli ein, riss ihnen Augen und innere Organe heraus. Ein italienisches Fernsehteam filmte, als einer der Mörder ans Fenster trat und der draussen stehenden Menge seine blutverschmierten Hände zeigte."


Die unmenschliche Botschaft der Studenten, die diese Symbolik verwenden, lautet also: "Die Juden mit ihrem Unrechtsstaat sind böse weiße Kolonialisten & Rassisten, die es verdienen, abgeschlachtet zu werden." Damit teilen jene Studenten die Auffassung der Hamas-Terroristen und heißen deren Gemetzel gut.

#77:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 01.12.2023, 11:20
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Bessere Namen für die Woke/Wache Linke als die folgenden habe ich bisher nicht gefunden:

die identitäre Linke
die kulturelle/kulturalistische Linke
identitärer Sozialismus
kultureller/kulturalistischer Sozialismus (Kultursozialismus)
Linksidentitarismus

Wenn die Sache ein willkürlich konstruiertes Phantom ist, ist ein Name so schlecht wie der andere.
"Wokeismus" ist insofern noch ehrlicher, als es durch die arg dumme Wortbildung den reinen Wunsch zur Diffamierung so offen vor sich her trägt.

#78:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 01.12.2023, 12:51
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Was wir derzeit in Neuseeland in Sachen "social justice for Maori" sehen, ist ein gutes Beispiel für angewandten Wokeismus, worin das Thema Multikulturalismus eine zentrale Rolle spielt.

Nein, das ist viel eher ein gutes Beispiel für angewandten oberen zapokanischen Motrentismus.
Dieser äußert sich außerdem in einer übergroßen Toleranz (trotz der verheerenden medizinischen Folgen!) für "traditionellen", jahreszeitlich orientierten exzessiven Drogenkonsum im Südosten Deutschlands, in einem absurden Verständnis weitgehender Bevölkerungsteile der USA für den traditionellen Privatgebrauch (oft mit Todesfolge!) von explosivstoffbetrieben Tötungsgeräten sowie im traditionellen Tanz der drehenden Derwische (mit seiner geplanten Ausschaltung des natürlichen Schwindels).

Der angewandte obere zapokanische Motrentismus ist somit die gemeinsame Ideologie hinter den Vorstellungen der Maorigemeinschaft, der Vereinigung der Wiesnworte, der NRA und den Sufiorden, die ihre jeweiligen Gesellschaften ideologisch voll im Griff haben.

Diese verdammten Montrentisten!!! Motzen Daumen hoch!

#79:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 01.12.2023, 15:33
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Was wir derzeit in Neuseeland in Sachen "social justice for Maori" sehen, ist ein gutes Beispiel für angewandten Wokeismus, worin das Thema Multikulturalismus eine zentrale Rolle spielt.

Es war abzusehen, dass der - öhem - "konsequent angewandte" Gleichheitsgedanke in PC/Wokeismus (oder wie immer man das nennen mag) letztlich dazu führt unseren evidenzbasierten wissenschaftlichen Ansatz als weiße Marotte zu betrachten, die gefälligst mit asiatischen, afrikanischen und anderen indigenen Weisheitslehren gleichzustellen sei. Alles andere sei selbstredend Rassismus.

Konsequent weitergedacht könnte man/frau bald auch den Gleichheitsgedanken als weiße Marotte erkennen. Womit sich die Katze dann in den Schwanz gebissen hätte.

#80:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 01.12.2023, 19:24
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Bessere Namen für die Woke/Wache Linke als die folgenden habe ich bisher nicht gefunden:

die identitäre Linke
die kulturelle/kulturalistische Linke
identitärer Sozialismus
kultureller/kulturalistischer Sozialismus (Kultursozialismus)
Linksidentitarismus

Wenn die Sache ein willkürlich konstruiertes Phantom ist, ist ein Name so schlecht wie der andere.
"Wokeismus" ist insofern noch ehrlicher, als es durch die arg dumme Wortbildung den reinen Wunsch zur Diffamierung so offen vor sich her trägt.


Die Sache, um die es hier geht, ist mitnichten ein "willkürlich konstruiertes Phantom", sondern ein reales politisches Phänomen.

#81:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 01.12.2023, 20:44
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Die Sache, um die es hier geht, ist mitnichten ein "willkürlich konstruiertes Phantom", sondern ein reales politisches Phänomen.

Ich für meinen Teil kann keinerlei sinnvollen Zusammenhang zwischen Lehrplanänderungen in Neuseeland mit Bezug auf Maorikultur, Klassenkampfdiskussionen in den USA und von israelbezogenem Antisemitismus geprägten Protestaktionen von Kunststudierenden in Berlin erkennen. Jedenfalls bist du es schuldig geblieben, diesen angeblichen Zusammenhang aufzuzeigen.
Ich finde, dass ich noch sehr höflich bin, wenn ich ein solches Sammelsurium "willkürlich konstruiert" nenne.

Beschäftige du dich mal lieber mit dem angewandten oberen zapokanischen Motrentismus. Der ist doch wohl als Bewegung mindestens genauso klar fassbar und weitaus gefährlicher.

#82:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 02.12.2023, 12:14
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Es kommt lediglich ein wildes Sammelsurium aus Themen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben (jedenfalls stellst du nicht dar, was sie miteinander zu tun hätten), außer dass du da irgendwas doof findest: Dreadlocks, Mohrenköpfe, M?tauranga M?ori, Geschlechterdiskussion, "westliche Wissenschaft" - was zum Teufel ist denn da der Zusammenhang?


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Die Sache, um die es hier geht, ist mitnichten ein "willkürlich konstruiertes Phantom", sondern ein reales politisches Phänomen.

Ich für meinen Teil kann keinerlei sinnvollen Zusammenhang zwischen Lehrplanänderungen in Neuseeland mit Bezug auf Maorikultur, Klassenkampfdiskussionen in den USA und von israelbezogenem Antisemitismus geprägten Protestaktionen von Kunststudierenden in Berlin erkennen. Jedenfalls bist du es schuldig geblieben, diesen angeblichen Zusammenhang aufzuzeigen.

Der Zusammenhang ist, daß diese Themen tendenziell im Bündel befürwortet oder abgelehnt werden. Wer sagt, Dreadlocks gehören den Rastarfari (oder wem auch) wird statistisch öfter pro Gendersprache sein, Antirassistisch sein, oder, falls von den USA die Rede ist, pro-palästinensisch.

Als Experiment am Beispiel des FGH:

Gehe die Mitgliederliste durch, nimm die regelmäßigen Schreiber der letzten so-und-so vielen Jahre. Sortiere sie von nicht woke nach sehr woke. Vergleiche deine Reihenfolge mit der anderer Versuchsteilnehmer. Falls sich mehr als nur zufällige Übereinstimmung zeigt, ist woke eine nachvollziehbare Kategorie.

Jetzt wirst du vielleicht einwenden: wie soll ich jemanden als woke einschätzen, wenn mir nicht klar ist, was das ist. Ok, dann wird das Experiment etwas aufwendiger.

Erstellen wir eine Liste von Aussagen - hast ja schon angefangen - alle möglichst auf einen Punkt reduziert: "Straßen, die Mohrenstraße heißen, sollten umbenannt werden", etc. Für jedes Mitglied abschätzen, wie stark es den Aussagen zustimmt oder sie ablehnt, besser noch die Mitglieder selber Punkte dafür vergeben lassen. Wieder nach Punktezahl sortieren. Dann mit den Ergebnissen anderer Versuchsteilnehmer vergleichen und mit den Ergebnissen des ersten Experimentes. Da Konservative tendenziell weniger woke sind als progressiv-Linke, braucht es einige Kontroll-Aussagen, die links, aber nicht woke sind.

Ich bin mir sicher, es würden sich klare Tendenzen zeigen, wer als mehr und wer als weniger woke herauskommt und wie stark die woken Ansichten klumpen. Ich weiß sogar, wer ganz unten landet. Mr. Green



PS: Zum Sammelsurium später mehr.

#83:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 02.12.2023, 13:16
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Der Zusammenhang ist, daß diese Themen tendenziell im Bündel befürwortet oder abgelehnt werden. Wer sagt, Dreadlocks gehören den Rastarfari (oder wem auch) wird statistisch öfter pro Gendersprache sein, Antirassistisch sein, oder, falls von den USA die Rede ist, pro-palästinensisch.

Erstens habe ich meine erheblichen Zweifel daran, dass diese Dinge "im Bündel befürwortet oder abgelehnt werden". Zum Beispiel würde ich einiges darauf wetten, dass von den Studenten, die an der Berliner Universität der Künste eine antisemitische Aktion gemacht haben, kaum jemand über eine neuseeländische Lehrplanänderung mit Bezug auf Matauranga Maori auch nur jemals etwas gehört hat.

Zweitens halte ich es sowieso schon für eine ziemlich grobschlächtige und unangemessene Vereinfachung, solche komplexen Themen auf ein simples "befürworten oder ablehnen" zu reduzieren.

Drittens dachte ich irgendwie, dass es bei der Behauptung einer gemeinsamen Ideologie um etwas mehr ginge als statistische Korrelation (die, wenn sie existiert, auch ganz andere Ursachen haben könnte, z.B. Persönlichkeitsmerkmale. Oder eben eine Feindbild-Konstruktion).

Viertens finde ich es bezeichnend, dass du schon in deiner knappen Aufzählung einbauen musst, dass schon diese bloß statistische Korrelation ganz offensichtlich nicht länderübergreifend ist, also je nach Kontext variabel, also vielleicht doch nicht eine so klare Sache, wie behauptet wird.

Fünftens wäre - selbst wenn es denn so wäre - eine solche statistische Korrelation kein Argument dafür, diese Themen auch "im Bündel" zu diskutieren. Ablehnung von Atomkraft, Befürwortung von Seenotrettung und eine positive Einstellung zur Gesamtschulidee korrelieren wahrscheinlich auch, trotzdem wäre es mMn ein sicheres Zeichen politischen Wahnsinns, diese Dinge ernsthaft in eine gemeinsame Debatte packen zu wollen.

#84:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 02.12.2023, 17:56
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Die Sache, um die es hier geht, ist mitnichten ein "willkürlich konstruiertes Phantom", sondern ein reales politisches Phänomen.

Ich für meinen Teil kann keinerlei sinnvollen Zusammenhang zwischen Lehrplanänderungen in Neuseeland mit Bezug auf Maorikultur, Klassenkampfdiskussionen in den USA und von israelbezogenem Antisemitismus geprägten Protestaktionen von Kunststudierenden in Berlin erkennen. Jedenfalls bist du es schuldig geblieben, diesen angeblichen Zusammenhang aufzuzeigen.
Ich finde, dass ich noch sehr höflich bin, wenn ich ein solches Sammelsurium "willkürlich konstruiert" nenne.


In seinem Buch (das im nächsten Jahr bei Klett-Cotta auf Deutsch erscheint) schreibt Yascha Mounk, dass es schwer sei, eine produktive Debatte über eine Ideologie zu führen, wenn man sich nicht einmal darauf einigen kann, wie sie zu nennen ist. Gewiss, aber dieser Umstand bedeutet keineswegs, dass der Diskussionsgegenstand nichts weiter als ein (verschwörungstheoretisches) Phantom oder eine Fiktion ist. Mounk sieht den theoretischen "Wokeismus" als eine "Identitätssynthese".

Zitat:
"The roots of the new ideology that is changing the key rules and norms of mainstream institutions lie in the transformation of the core commitments of many self-described progressives.“

(Mounk, Yascha. The Identity Trap: A Story of Ideas and Power in Our Time. New York: Penguin, 2023. p. 8 )

"Ten years ago, newspaper articles that discussed the rise of this new ideology often talked about “identity politics.” As recently as five years ago, many of the people who embraced it would proudly describe themselves as “woke.” But the use of both terms has since become deeply polarizing. Nowadays, anybody who talks about identity politics or describes an activist as woke is liable to be perceived as an old man yelling at the clouds. No generally accepted term has so far come to take the place of these earlier labels.

That is a problem. It is hard to have a productive debate about an ideology when you can’t even agree on what to call it. So it would be helpful to settle on a name that is acceptable both to its supporters and to its critics. I have a suggestion. This body of ideas draws on a broad variety of intellectual traditions and is centrally concerned with the role that identity categories like race, gender, and sexual orientation play in the world. So I will, for the most part, refer to it as the “identity synthesis.”

The identity synthesis is concerned with many different kinds of groups, including (but not limited to) those based on race, gender, religion, sexual orientation, and disability. It is the product of a rich set of intellectual influences, including postmodernism, postcolonialism, and critical race theory. It can be pressed into the service of diverse political causes from a radical rejection of capitalism to a tacit alliance with corporate America.

All of that makes it tempting to assume that the identity synthesis lacks coherence, or even to dismiss the whole thing as a vague cultural “vibe” that will eventually dissipate. Indeed, virtually everything that has been written about this topic so far falls into one of two camps. Either it uncritically celebrates the core ideas of the identity synthesis as a necessary tonic to the injustices of the world, or it summarily dismisses them as a fad that need not be taken seriously from an intellectual point of view. But on closer examination, the ideology that dare not speak its name turns out to have a nature that is all too real."

(Mounk, Yascha. The Identity Trap: A Story of Ideas and Power in Our Time. New York: Penguin, 2023. pp. 9-10)

"The Main Themes of the Identity Synthesis

Intellectual life on American campuses has, over the course of the past half century, been fundamentally reshaped by the ascendancy of the “identity synthesis.” Inspired by postmodernism, postcolonialism, and critical race theory, a new generation of scholars succeeded in welding a diverse set of influences into one coherent ideology.

Despite the real variation within and between different academic departments, this synthesis is characterized by a widespread adherence to seven fundamental propositions: a deep skepticism about objective truth inspired by Michel Foucault; the use of a form of discourse analysis for explicitly political ends inspired by Edward Said; an embrace of essentialist categories of identity inspired by Gayatri Chakravorty Spivak; a proud pessimism about the state of Western societies as well as a preference for public policies that explicitly make how someone is treated depend on the group to which they belong, both inspired by Derrick Bell; and an embrace of an intersectional logic for political activism as well as a deep-seated skepticism about the ability of members of different identity groups to understand each other, both associated with Kimberlé Crenshaw."

(Mounk, Yascha. The Identity Trap: A Story of Ideas and Power in Our Time. New York: Penguin, 2023. p. 65)

"Key Takeaways
 
* Since the 1960s, parts of the American left paid growing attention to social issues connected to oppression on the basis of race, gender, and sexuality. When the Soviet Union collapsed in the early 1990s, the left could no longer look to a powerful country committed to class struggle. It became increasingly focused on questions of culture and identity.

* In the last decades of the twentieth century, this new emphasis started to transform intellectual life on campus. It led to a renewed focus on the experiences of marginalized groups in both the humanities and the social sciences. This transformation was further accelerated by the rise of a new set of academic centers and departments devoted to studying questions of identity, such as gender studies, media studies, African American studies, Latino studies, and disability studies.

* Gradually, the triple influence of postmodernism, postcolonialism, and critical race theory gave rise to an “identity synthesis.” This new ideology was defined by seven major themes: a rejection of the existence of objective truth; the use of a form of discourse analysis for explicitly political ends; an embrace of strategic essentialism; a deep pessimism about the possibility of overcoming racism or other forms of „ other forms of bigotry; a preference for public policies that explicitly distinguish between citizens on the basis of the group to which they belong; an embrace of intersectionality as a strategy for political organizing; and a deep skepticism about the ability of members of different groups to communicate with each other.

* The identity synthesis was inspired by major thinkers including Michel Foucault, Edward Said, Gayatri Chakravorty Spivak, Derrick Bell, and Kimberlé Crenshaw. But ironically, many of these thinkers have expressed serious misgivings about the way in which their work has transformed the left."

(Mounk, Yascha. The Identity Trap: A Story of Ideas and Power in Our Time. New York: Penguin, 2023.)

#85:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 02.12.2023, 18:23
    —
Myron hat folgendes geschrieben:


In seinem Buch (das im nächsten Jahr bei Klett-Cotta auf Deutsch erscheint) schreibt Yascha Mounk, dass es schwer sei, eine produktive Debatte über eine Ideologie zu führen, wenn man sich nicht einmal darauf einigen kann, wie sie zu nennen ist. Gewiss, aber dieser Umstand bedeutet keineswegs, dass der Diskussionsgegenstand nichts weiter als ein (verschwörungstheoretisches) Phantom oder eine Fiktion ist. Mounk sieht den theoretischen "Wokeismus" als eine "Identitätssynthese".


Mounk bestreitet, dass "die Identitätssynthese" eine marxistische Theorie ist, wenngleich er zugibt, dass es auffällige strukturelle Ähnlichkeiten zwischen dem Marxismus und dem Linksidentitarismus (dieses Wort benutzt er selbst nicht) gibt. Diese überwiegen seiner Meinung nach jedoch nicht die Unterschiede.

"It simply isn’t true that the main intellectual roots for the identity synthesis are Marxist. On the contrary, its original impetus stems from postmodern thinkers like Michel Foucault and Jean-François Lyotard." (The Identity Trap)

Die Szene der französischen Postmodernisten ist jedoch selbst vom Marxismus beeinflusst.
Die postmodern eingestellten Linksidentitären der Gegenwart sind zwar keine klassischen oder orthodoxen Marxisten, aber zumindest der Neomarxismus und der Postmarxismus gehören zu ihren ideologischen Wurzeln. Aber die Bezeichnung "Kulturmarxismus" reduziert den Linksidentitarismus (Wokeismus) unrichtigerweise auf eine marxistische Theorie.

#86:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 02.12.2023, 18:46
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Erschreckend und widerlich! So sieht die (antisemitische) Praxis der radikalen Linksidentitären (mit ihrem "Antikolonialismus" und "Antirassismus") aus:

Zitat:
"Kunststudenten in Berlin betreiben antisemitischen Aktivismus und verbreiten eine Kultur der Angst: In Deutschland häufen sich israelfeindliche Vorfälle an Hochschulen. Die Universität der Künste in Berlin sticht besonders hervor. Eine propalästinensische Gruppe versucht dort gerade, den politischen Diskurs zu kapern.…"

Quelle: https://www.nzz.ch/feuilleton/antisemitismus-und-israelfeindlichkeit-an-der-universitaet-der-kuenste-berlin-ld.1768196


Fußnote: Den linken Antisemitismus haben die Wachen Linken des 21. Jahrhunderts nicht erfunden.

#87:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 02.12.2023, 22:33
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Der Zusammenhang ist, daß diese Themen tendenziell im Bündel befürwortet oder abgelehnt werden. Wer sagt, Dreadlocks gehören den Rastarfari (oder wem auch) wird statistisch öfter pro Gendersprache sein, Antirassistisch sein, oder, falls von den USA die Rede ist, pro-palästinensisch.

Erstens habe ich meine erheblichen Zweifel daran, dass diese Dinge "im Bündel befürwortet oder abgelehnt werden".

Ok. Wenn die Idee des "Bündels" für dich passt, reicht mir das. Ich bin ja schon froh, wenn man sich auf Kriterien einigen kann, anhand derer man richtig oder falsch beurteilt.


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Zum Beispiel würde ich einiges darauf wetten, dass von den Studenten, die an der Berliner Universität der Künste eine antisemitische Aktion gemacht haben, kaum jemand über eine neuseeländische Lehrplanänderung mit Bezug auf Matauranga Maori auch nur jemals etwas gehört hat.

Natürlich haben die nichts von Matauranga Maori gehört. Oben sagte ich, das Thema sei unverbraucht und hierzulande kaum präsent.


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Zweitens halte ich es sowieso schon für eine ziemlich grobschlächtige und unangemessene Vereinfachung, solche komplexen Themen auf ein simples "befürworten oder ablehnen" zu reduzieren.

Nein. Jedes komplexe Thema läßt sich auf eine Kombination von Einzelfragen mit Antwortmöglichkeit von 0 bis 1 herunterbrechen.

(Sorry, ist ex-cathedra gesprochen. Mir fällt grad nichts ein, wie ich das kurz und knapp erläutere. )

Der Wahlohmat macht ja auch nichts anderes, als Einzelaussagen aus Parteiprogrammen herauszugreifen, denen man mehr oder weniger zustimmen kann.


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Drittens dachte ich irgendwie, dass es bei der Behauptung einer gemeinsamen Ideologie um etwas mehr ginge als statistische Korrelation (die, wenn sie existiert, auch ganz andere Ursachen haben könnte, z.B. Persönlichkeitsmerkmale. Oder eben eine Feindbild-Konstruktion).

Hast selbstverständlich richtig gedacht. Hatte ja noch mehr Text angekündigt.


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Viertens finde ich es bezeichnend, dass du schon in deiner knappen Aufzählung einbauen musst, dass schon diese bloß statistische Korrelation ganz offensichtlich nicht länderübergreifend ist, also je nach Kontext variabel, also vielleicht doch nicht eine so klare Sache, wie behauptet wird.

Das war anders gemeint.

Aufgrund unserer Geschichte ist Israelkritik bei deutschen links-progressiven nicht sehr ausgeprägt. In den USA und anderen Ländern gehört Israelkritk zum woken Portfolio. Ist man sich dessen hierzulande bewußt?


them hat folgendes geschrieben:
Why Queer Solidarity With Palestine Is Not “Chickens for KFC”

Viele der lautesten Demonstranten waren queere und transsexuelle Menschen. Neben vielen Momenten der LGBTQ+-Solidarität haben queere Journalisten bei der New York Times wegen der Berichterstattung über Gaza gekündigt, und queere Prominente wie Kehlani, Jonathan Van Ness, Angelina Jolie, Susan Sarandon und Indya Moore haben öffentlich pro-palästinensische Positionen eingenommen.

https://www.them.us/story/lgbtq-solidarity-palestine-saed-atshan




tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Fünftens wäre - selbst wenn es denn so wäre - eine solche statistische Korrelation kein Argument dafür, diese Themen auch "im Bündel" zu diskutieren.

Du meinst das?

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Nur eben als einzelne Themen, sodass man sich mit ihnen auch konkret und differenziert auseinandersetzen konnte, und nicht unter einem sinnlosen Kampfbegriff zusammengemanscht.

Ja, sehe ich auch so. Die Subthemen von woke müssen einzeln behandelt werden. Von mir wirst du nicht hören: woke ist generell blöd, deshalb ist das Subthema x automatisch falsch. Als Heuristik, womit sich die Beschäftigung lohnt, ist das in Ordnung. Ein Argument ist es nicht.

Übrigens: du siehst woke als "Kampfbegriff" und weigerst dich, woke als gültige Benennung eines Themenkomplexes zu sehen. Im Spiegel weiß man was woke ist, Barack Obama weiß es, etliche US-Tageszeitungen wissen es. Willst du die alle ins Abseits stellen und ihnen vorwerfen, daß sie das in vernebelnder, dumpfbackiger und minderheitenfeindlicher Absicht tun?

Nein, das willst du nicht. Darum nicht:

Zitat:
Nationwide Survey Results - Liberals, Progressives, Wokeness and Israel
Samuel J. Abrams & David L. Bernstein

JewishJournal / Jewish Institute for Liberal Values INC


Wir definieren woke culture als eine ideologische Veranlagung, die Welt als geteilt zwischen den Ohnmächtigen und den Mächtigen, den Unterdrückten und den Unterdrückern zu sehen und Ungleichheiten zwischen Völkern und Gruppen auf wahrgenommene Machtunterschiede zurückzuführen und den Unterdrückten moralische Überlegenheit zuzusprechen.

Der postmodernen Theorie zufolge durchdringen unterdrückerische Machtsysteme jeden Winkel der Gesellschaft, sind aber schwer zu erkennen, weil sie so tief in unser Leben eingebettet sind. Die Opfer von Unterdrückung, so argumentieren die Postmodernen, haben den einzigen authentischen Einblick in diese verborgenen Kräfte und sind daher in einzigartiger Weise qualifiziert, sie für den Rest der Gesellschaft zu definieren und zu kommentieren.

[...]

Putting all this together, the more woke one is, the less likely they are to hold pro-Israel views.

https://jilv.org/poll/

#88:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.12.2023, 23:29
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
…Drittens dachte ich irgendwie, dass es bei der Behauptung einer gemeinsamen Ideologie um etwas mehr ginge als statistische Korrelation (die, wenn sie existiert, auch ganz andere Ursachen haben könnte, z.B. Persönlichkeitsmerkmale. Oder eben eine Feindbild-Konstruktion).

Viertens finde ich es bezeichnend, dass du schon in deiner knappen Aufzählung einbauen musst, dass schon diese bloß statistische Korrelation ganz offensichtlich nicht länderübergreifend ist, also je nach Kontext variabel, also vielleicht doch nicht eine so klare Sache, wie behauptet wird.

Fünftens wäre - selbst wenn es denn so wäre - eine solche statistische Korrelation kein Argument dafür, diese Themen auch "im Bündel" zu diskutieren. Ablehnung von Atomkraft, Befürwortung von Seenotrettung und eine positive Einstellung zur Gesamtschulidee korrelieren wahrscheinlich auch, trotzdem wäre es mMn ein sicheres Zeichen politischen Wahnsinns, diese Dinge ernsthaft in eine gemeinsame Debatte packen zu wollen.


Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen...

Das Große & Ganze, wovon hier als "die Wache/Woke Linke", "die Neue Neue Linke", "die (multi)kulturelle Linke" oder "die identitäre Linke" die Rede ist, ist das Ergebnis einer längeren Entwicklung und allmählichen Wandlung innerhalb der Linken im 20. & 21. Jahrhundert, die wohl mit dem Neomarxismus (à la Gramsci & Frankfurter Schule) begonnen hat. Die Zeit der Neuen Linken in den 1960ern/70ern spielt dabei eine sehr wichtige Rolle. Die gegenwärtige Wache/Woke Linke hat einige ideologische Wenden hinter sich:

* die (multi)kulturelle Wende vom Ökonomismus zum (Multi-)Kulturalismus oder politischen "Symbolismus" – vom wirtschaftlichen Klassenkampf zwischen "Proletariat" und "Bourgeoisie" zum multiplen kulturellen Gruppenkampf zwischen allen erdenklichen "unterdrückten" Minderheiten und der "unterdrückenden" Mehrheit – von der Forderung nach gerechter Umverteilung ökonomischen Kapitals zur Forderung nach gerechter Umverteilung symbolischen Kapitals [im Sinne der vier Kapitalsorten nach Pierre Bourdieu: ökonomisches K., kulturelles K., soziales K., symbolisches K.].

* die postmoderne Wende (einschließlich der poststrukturellen Wende) zum Skeptizismus gegenüber der Moderne seit der Aufklärung – mit Themen wie Pluralismus, Relativismus (Kontextualismus/Situationismus), Antiuniversalismus/Partikularismus, "Fragmentarismus"/"Tribalismus", Antiobjektivismus/Subjektivismus, Antineutralismus, epistemischer/ethischer Antifundamentalismus, semantischer Antirepräsentationalismus (mit Ablehnung der Korrespondenztheorie der Wahrheit), semantischer Indeterminismus, metaphysischer Antirealismus (sozialer oder linguistischer Konstruktionismus), Antiessenzialismus, "Antibinarismus", Antipositivismus, Antiszientismus.

* die postkoloniale Wende zu einer gegen die "weiße Rasse" & die westliche (europäische/abendländische) Kultur gerichteten "culture of repudiation" (Roger Scruton), einer Gegenkultur der Ablehnung/Zurückweisung/Verwerfung/Verschmähung/Abwertung/Geringschätzung der weißen/westlichen Kultur, die als imperalistisch-kolonialistisches "Hegemonialsystem" verdammt wird.

* die praktische politische Wende zur identitären Anerkennungspolitik (politics of recognition), Identitätspolitik (identity politics), und Differenzpolitik (politics of difference) – außerdem zur political correctness (politischen Korrektheit) und der affirmative action/positive discrimination (positiven Diskriminierung).


Zuletzt bearbeitet von Myron am 04.12.2023, 01:18, insgesamt einmal bearbeitet

#89:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.12.2023, 01:13
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
…Die gegenwärtige Wache/Woke Linke hat einige ideologische Wenden hinter sich:

* die postkoloniale Wende zu einer gegen die "weiße Rasse" & die westliche (europäische/abendländische) Kultur gerichteten "culture of repudiation" (Roger Scruton), einer Gegenkultur der Ablehnung/Zurückweisung/Verwerfung/Verschmähung/Abwertung/Geringschätzung der weißen/westlichen Kultur, die als imperalistisch-kolonialistisches "Hegemonialsystem" verdammt wird.


Zitat:
"In the late eighties, when controversy arose over the teaching of required courses in Western civilization, the public became aware of the existence of an Academic Left. “Hey, hey, ho, ho, Western culture’s got to go,” shouted radical black and white students at Stanford [University]."

(Diggins, John Patrick. The Rise and Fall of the American Left. New York: W. W. Norton & Co., 1992. pp. 291-2)

#90:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 06.12.2023, 21:13
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Zitat:
"…the identitarian/culturalist left…"

(Reed, Jr., Adolph. "Django Unchained, or, The Help: How ‘Cultural Politics’ Is Worse Than No Politics at All, and Why." In: Walter Benn Michaels & Adolph Reed, Jr., No Politics but Class Politics, 157-193. Edited by Anton Jäger & Daniel Zamora. London: ERIS, 2022. p. 172)


Bessere Namen für die Woke/Wache Linke als die folgenden habe ich bisher nicht gefunden:

die identitäre Linke
die kulturelle/kulturalistische Linke
identitärer Sozialismus
kultureller/kulturalistischer Sozialismus (Kultursozialismus)
Linksidentitarismus


Auch Henry Gates (wie Reed ein bekannter schwarzer Intellektueller in den USA) spricht von der kulturellen Linken:

Zitat:
"…the cultural left—which I am defining here loosely and generously, as that uneasy, shifting set of alliances formed by feminist critics, critics of so-called minority discourse, and Marxist and poststructuralist critics generally, the Rainbow Coalition of contemporary critical theory."

(Gates, Henry Louis, Jr. Loose Canons: Notes on the Culture Wars. New York: Oxford University Press, 1992. p. 17)


(Gut gesagt: "…die Regenbogenkoalition der zeitgenössischen kritischen Theorie")

Die woke Linke als radikale kulturelle Linke der Gegenwart ist eine postmoderne multikulturelle Linke, in der Identitarismus (Identitätspolitik) und "Minoritarismus" (Minderheitenpolitik) vorherrschen. Ihre Radikalität zeigt sich in der Praxis darin, dass sie auch illiberale Mittel zur Erreichung ihrer politischen Ziele einsetzt. Ihre Aktivisten legen ein hohes Maß an Intoleranz und moralischer Rigorosität an den Tag.

Zitat:
"The most significant themes within multiculturalism are:
* postcolonialism
* politics of recognition
* culture and identity
* minority rights
* togetherness in difference."
———
"Die bedeutsamsten Themen innerhalb des Multikulturalismus sind:
* Postkolonialismus
* Anerkennungspolitik
* Kultur und Identität
* Minderheitenrechte
* Zusammensein in Verschiedenheit."

(Heywood, Andrew. Political Ideologies: An Introduction. 7th ed. London: Red Globe/Macmillan, 2021. p. 227)

#91:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 09.12.2023, 11:50
    —
Hier eine Kolumne von von Fleischhauer im Focus über Wokeismus (wobei er die Bezeichnung für eher weniger treffend hält)
https://www.focus.de/politik/meinung/focus-kolumne-von-jan-fleischhauer-choreografie-der-wut_id_259476403.html

#92:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 09.12.2023, 14:52
    —
Lachen Schon beim gefetteten ersten Paragraphen musste ich laut lachen:

Zitat:
Warum gibt man seine Kinder an die Universität? Damit sie zu klügeren Menschen ausgebildet werden. Aber darauf ist immer weniger Verlass. Immer häufiger lernen sie, sich selbst und die Vernunft, auf der diese Gesellschaft gründet, zu hassen.


Also Fleischhauer meint, dass diese Gesellschaft auf Vernunft gründet. Großartig. Was für hirnlose Takes hat der denn sonst noch so auf Lager? Mit den Augen rollen

Wer ist das überhaupt, und warum haut er solche... Schenkelklopfer raus? Lachen

#93:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 09.12.2023, 15:43
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Nein, könnte er nicht. Und zwar nicht einmal nach diesem reißerischen, zehn Jahre alten, vor Unsinn nur so strotzenden und tendenziell rassistischen Artikel aus der Springerpresse.

Falsch ist hier vor allem der unterschwellig suggerierte Umkehrschluss man könne ohne islamischen Background hier in D keine de facto Polygamie zu leben. (oder auch einen afrikanischen laut Ihrer Hoheit der Fürstin Gloria 2001). Da drängt sich schon Rassismusverdacht auf, da die indigenen Kelten, Germanen, Slawen etc. in D damit als Schlappschwänze hingestellt werden.

#94:  Autor: narr BeitragVerfasst am: 09.12.2023, 19:46
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Lachen Schon beim gefetteten ersten Paragraphen musste ich laut lachen:

Zitat:
Warum gibt man seine Kinder an die Universität? Damit sie zu klügeren Menschen ausgebildet werden. Aber darauf ist immer weniger Verlass. Immer häufiger lernen sie, sich selbst und die Vernunft, auf der diese Gesellschaft gründet, zu hassen.


Also Fleischhauer meint, dass diese Gesellschaft auf Vernunft gründet. Großartig. Was für hirnlose Takes hat der denn sonst noch so auf Lager? Mit den Augen rollen

Wer ist das überhaupt, und warum haut er solche... Schenkelklopfer raus? Lachen

Lachen Ja, ging mir auch so. Schon der erste Satzt: "...gibt man seine Kinder an die Universitär" In der Regel sind das keine "Kinder" mehr, sondern junge Erwachsene und die müssen sich von uns Alten auf die ein oder andere Weise absetzen. Und, dass auch nur einer der Studenten die ich so über die Jahre kennen gelernt habe "klüger" geworden wäre konnte ich nicht beobachten. Im besten Fall haben sie was gelernt.

#95:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 09.12.2023, 21:44
    —
Eine Anekdote zu den Protestaktionen der Wilden Linken: Eines Tages (im Jahr 1969) wurde es selbst Adorno, einem der Köpfe der Frankfurter Schule, zu bunt:

Zitat:
"Etwas hat sich verändert. 1969 in Frankfurt, das Jahr nach der großen Revolte, beginnt an der Goethe-Universität zunächst wie immer. Am 31. Januar besetzen Studentinnen und Studenten das Institut für Sozialforschung an der Senckenberganlage. Sie verlangen andere Lehrinhalte und andere Formen des Unterrichts – wie schon 1968. Doch diesmal zögert Theodor W. Adorno, der weltbekannte Philosoph und Instituts-Direktor, nicht lange. Er erstattet Anzeige wegen Hausfriedensbruchs und ruft die Polizei, fordert sie zur Räumung auf."

Quelle: https://www.fr.de/frankfurt/funke-zuendet-11413361.html


Im selben Jahr gab es auch noch ein "Busenattentat" auf ihn. (Wenige Monate danach starb er.)

Übrigens, Adorno war alles andere als ein Verächter der abendländischen/europäischen Hochkultur.

#96:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 09.12.2023, 22:30
    —
Die multikulturellen Linken sagen, alle Kulturen seien gleichermaßen achtens- und bewahrenswert—von der weißen, westlichen Kultur abgesehen. In den Postkolonialisten, die selbst der weißen/westlichen Kultur entstammen, lodert ein seltsamer Selbsthass, ein Hass auf das Eigene—die eigene Rasse, die eigene Nation, die eigene Kultur.
Der konservative Philosoph Roger Scruton hat für diese Einstellung als Gegenteil zu "Xenophobie" ("Fremdenhass") den Begriff "Oikophobie" ("Heimathass") eingeführt. "Oikophilie" bedeutet entsprechend "Heimatliebe" (womit mehr gemeint ist als die Liebe zur heimatlichen Landschaft). Liebe zur eigenen Kultur und zur eigenen Nation ist den postkolonialen Linken fremd.

Fußnote: Heimatliebe muss (und sollte) nicht blinde Liebe sein, d.i. unkritischer Patriotismus oder Nationalismus. Selbstkritische "Oikophile" blenden die negativen Seiten der Geschichte ihrer Heimat, ihrer Nation und Kultur nicht aus—zu denen z.B. auch der deutsche Kolonialismus gehört.
(Deutschland ist übrigens seit 1919 keine Kolonialmacht mehr. Unsere "Dekolonisation" erfolgte also bereits vor 104 Jahren.)

Zitat:
"Being the opposite of xenophobia we might describe this state of mind as ‘oikophobia’, meaning (to stretch the Greek a little) the repudiation of inheritance and home. Oikophobia is a stage through which the adolescent mind normally passes. But it is a stage in which intellectuals tend to become arrested. As George Orwell pointed out, intellectuals on the left are especially prone to it, and this has often made them willing agents of foreign powers."

(Scruton, Roger. A Political Philosophy: Arguments for Conservatism. London: Bloomsbury Continuum, 2019. p. 24)

"…oikophilia, the love and feeling for home…"
(p. 3)

"…oikophilia, the love of the oikos, or household. The Greek word appears, in Latinate form, in ‘economy’ and ‘ecology’; but I use it to describe the deep stratum of the human psyche that the Germans know as Heimatgefu?hl."
(p. 26)

"…oikophobia (the repudiation of the home)…"
(p. 27)

"…oikophilia: the love of the oikos, which means not only the home but the people contained in it, and the surrounding settlements that endow that home with lasting contours and an enduring smile. The oikos is the place that is not just mine and yours but ours. It is the stage-set for the first-person plural of politics, the locus, both real and imagined, where ‘it all takes place’."
(p. 227)

(Scruton, Roger. How To Think Seriously About The Planet: The Case for an Environmental Conservatism. Oxford: Oxford University Press, 2012.)

#97:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 09.12.2023, 22:57
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

(Deutschland ist übrigens seit 1919 keine Kolonialmacht mehr. Unsere "Dekolonisation" erfolgte also bereits vor 104 Jahren.)


Was die heutigen postkolonialen Linken unter "Dekolonisation" verstehen, ist eigentlich "Dekulturation", d.i. Erniedrigung und Überwindung der "hegemonialen" Kultur des weißen Mannes.

#98:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 09.12.2023, 23:53
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Lachen Schon beim gefetteten ersten Paragraphen musste ich laut lachen:

Zitat:
Warum gibt man seine Kinder an die Universität? Damit sie zu klügeren Menschen ausgebildet werden. Aber darauf ist immer weniger Verlass. Immer häufiger lernen sie, sich selbst und die Vernunft, auf der diese Gesellschaft gründet, zu hassen.


Also Fleischhauer meint, dass diese Gesellschaft auf Vernunft gründet. Großartig. Was für hirnlose Takes hat der denn sonst noch so auf Lager?


Ich schätze, er meint unsere liberaldemokratische Grundordnung.

#99:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 10.12.2023, 00:00
    —
By the way, es gibt ein neues deutschsprachiges Buch zum Thema:

https://www.luebbe.de/quadriga/buecher/politik-und-gesellschaft/woke-wie-eine-moralisierende-minderheit-unsere-demokratie-bedroht/id_9885556

#100:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 10.12.2023, 00:26
    —
Ich denke, es ist wichtig, zwischen einer moderaten kulturellen Linken, einer liberal-modernen (multi)kulturellen Linken und einer radikalen kulturellen Linken, einer postliberal-postmodernen (multi)kulturellen Linken zu unterscheiden. Die kulturelle Linke der 60er Jahre und danach hat sich durchaus lobenswerte humanistische Verdienste in Bezug auf die Rechte und die Anerkennung von Gruppen wie Frauen, Homosexuellen, Transsexuellen und Nichtweißen erworben. Die radikale kulturelle Linke (= die Woke Linke im engeren Sinn) schießt jedoch sowohl theoretisch als auch praktisch übers Ziel hinaus.

(Was im Folgenden "die akademische Linke" genannt wird, ist, was ich die radikale kulturelle Linke nenne.)

Zitat:
"[T]he Academic Left is anomalous in deviating from previous Lefts in several ways. It is the first Left with no social constituency beyond the college campus, no sustained hope in the Enlightenment and the promises of reason and science, and seemingly no faith in the spirit of freedom but instead a gloomy preoccupation with the structures of domination in a universe of power and oppression, a murky universe of causeless events in which the oppressor is not necessarily identified."

(Diggins, John Patrick. The Rise and Fall of the American Left. New York: W. W. Norton & Co., 1992. p. 21)

#101:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 10.12.2023, 01:53
    —
Hatte angekündigt, noch was über das Sammelsurium woke zu schreiben. Werd' mich sehr kurz fassen, weil mir was anderes gerade spannender erscheint.

Wollte an Sokal erinnern, der in seinem Hoax-Artikel behauptete, die Naturwissenschaft klammere sich an das Dogma der objektiven Erkenntnis. Das Journal of Biology behauptet das auch:

    Today, biological scientists often assume an ‘objectivist’ and universal knowledge stemming from early Western science philosophy.

Diese Denkweise war schon zu Zeiten Sokals nicht neu. Ich kenne eine Geisteswissenschafts-Professorin im Ruhestand., die meint Wahrheit sein ein gesellschaftliches Konstrukt. Das gelte auch für Physik, weil Meßergebnisse durch den Versuchsaufbau schon gezinkt und nicht mehr objektiv sind. Immerhin steht sie noch soweit in der Realität, daß sie nicht vor einen Bus läuft, weil Physik nur ein Konstrukt ist.



Stattdessen ein bisschen was über Identität. Myron hat dazu schon was geschrieben. Dafür, daß der Begriff für identity politics namensgebend ist, gibt es erstaunlich wenig Diskussion darüber.


Nenne fünf Merkmale schwarzer Identität

Wurde je konkret gesagt, was schwarze Identität, asiatische Identität, usw. ausmacht? Falls ja, hat man das empirisch überprüft? Ohne schwarze Identität zu benennen, hängt identity politcs ziemlich in der Luft. Außer man verkürzt die Identität auf die Rolle der Unterdrückten.

Gibt es schwarze Identität? Ich denke schon. Einige schwarze Sprecher kann ich blind an ihrer Sprachfärbung erkennen. Zusammen mit der Sprache werden auch kulturelle Traditionen weitergegeben. Zwangsläufig ist das jedoch nicht, es wird einiges an Streuung geben. Wieviel Identität haben Condoleezza Rice und Will Smith gemeinsam?


Britische Identitäten nach fast 400 Jahren in den USA noch erkennbar

Als ich vor einigen Wochen hier war, ist mir diese Meinungsverschiedenheit aufgefallen. Hab's leider versäumt, damals schon zu antworten:

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
....

Und schließlich ist gar nicht klar, warum überhaupt die Demografie entscheidend sein sollte und nicht etwa die politisch-soziale Entwicklung.

Weil gefühlsgebundene Kulturbestandteile wie Hass oder (Goottes-)Fucht mit einer hohen Sicherheit tradiert werden, verstärkt natürlich da, wo diese Kulturen clusterweise vorkommen.

Unplausibel. Wenn die Umstände, in denen die Personen leben, sich völlig ändern (einerseits durch Migration, andererseits durch die gesellschaftliche Entwicklung), sollen solche Kulturbestandteile weiter trafiert werden - und zwar weil sie "gefühlsgebunden" wären? Das setzt voraus, dass das konkrete Leben innerhalb der jeweiligen Umstände weniger mit den Gefühlen zu tun hätte als diese tradierten Kulturbestandteile. Das halte ich, mit Verlaub, für abwegig. Und obendrein für falsifiziert durch die drastischen Änderungen, die man in verschiedenen Gesellschaften, wie unserer eigenen, beobachten kann.

Wenn Kulturbestandteile nicht tradiert werden, sollten sich Identitäten jeder Art nach wenigen Generationen auflösen.

David Hackett Fischer behauptet in Albion's Seed das Gegenteil. Er beschreibt vier Migrationswellen von Britannien nach Amerika. Die lassen sich angeblich auch in der heutigen USA noch nachweisen. Demnach gäbe es gar keine monolitische weiße Identität. Ob die Vertreter der Kritischen Theorien das auch schon gemerkt haben?

Hintergründe in dieser Buchbesprechung: Albion's Seed


Deutsche Identitäten

- Wenn ein Deutscher etwas behauptet, aus dem über Umwege anti-jüdisches konstruiert werden kann, ist die Behauptung erledigt. Hmm. Ich würde ja lieber anhand grundsätzlicher Überlegungen zum Ziel kommen.

- Die AfD ist gegen ein vereinigtes Europa mit zentraler Regierung, sie bevorzugt eine lose Föderation rechtlich unabhängig Einzelstaaten. Weil die deutsche Identität eine andere sei als die der anderen Europäer. Diese vielen Identitäten werde man nie unter einen Hut bringen. Deshalb sei Einwanderung ein Problem, weil die Identitäten der Einwanderer nicht zu Deutschland passen.

--------------------------------------------------------------------------------

Zweifellos hat mich meine Herkunft und mein Umfeld geprägt. Darin erschöpft sich meine Identität aber nicht. Ich definiere mich ja nicht durch: Deutsch, Bayer, Hinterwäldler. Und bin hoffentlich nicht durch mein deutsch-sein allzu sehr in meinen Handlungs- und Meinungsoptionen eingeschränkt. Dann wäre Identität ja - ein Korsett.

Als vorläufiges Fazit:

    1) Identitäten gibt es, sie können über Generationen tradiert werden, müssen es aber nicht.

    2) Identität ist eine Tendenz, eine Statistik. Wer versucht, Identität genauer und immer genauer festzunageln, landet beim wahren Schotten.

    3) Wenn das nächste Mal jemand von der schwarzen Identität spricht oder von der deutschen, dann bitte nachhaken und Auskunft verlangen, was diese Identitäten ausmacht. Klischees und Vorurteile gelten nicht, nur mehr oder weniger wissenschaftliche Arbeiten.

Ob ich wohl fünf Merkmale schwarzer Identität finde, wenn ich in identitätspolitischer Literatur nachlese?

#102:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 10.12.2023, 11:22
    —
narr hat folgendes geschrieben:
Lachen Ja, ging mir auch so. Schon der erste Satzt: "...gibt man seine Kinder an die Universitär" In der Regel sind das keine "Kinder" mehr, sondern junge Erwachsene und die müssen sich von uns Alten auf die ein oder andere Weise absetzen. Und, dass auch nur einer der Studenten die ich so über die Jahre kennen gelernt habe "klüger" geworden wäre konnte ich nicht beobachten. Im besten Fall haben sie was gelernt.

Ist zwar vordergründig richtig, jedoch gebe ich zweierlei zu bedenken:
(1) Ganz ohne elterlichen Einfluss läuft das nicht, angeblich haben 53 Prozent der Studienanfänger mindestens 1 Elternteil mit akademischem Abschluss
(2) Du erhoffst Dir schon, dass Du sie danach vom Hals hast und sie trotzdem nicht unter die Armutsgrenze rutschen

#103:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 10.12.2023, 20:59
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Ohne schwarze Identität zu benennen, hängt identity politcs ziemlich in der Luft. Außer man verkürzt die Identität auf die Rolle der Unterdrückten.

Warum sollten gemeinsame Diskriminierungserfahrungen denn nicht ausreichen, um sowas wie eine gemeinsame Identität zu konstituierenden? Gibt es denn vieles, was Menschen in stärkerem Maße emotional und in der Persönlichkeitsausprägung prägt, als von anderen in eine Gruppe zusammengefasst und dann gewaltsam diskriminiert zu werden? Diskriminierungsopfer ist doch keine Rolle, die man spielt wie die des Hamlet. Dieser distanzierte Soziologensprech verblendet hier bestenfalls die Sicht auf das, was Menschen wirklich durchmachen müssen, allein wie gemeinsam.

smallie hat folgendes geschrieben:
Demnach gäbe es gar keine monolitische weiße Identität.

Wenn das dein Beweisziel war, hättest du dir den Umweg über die Albionsaat sparen können. Eine "monolithische" weiße kulturelle Identität in dem Sinne, wie du dir das hier offenbar vorstellst, kann es schon deshalb nicht geben, weil - längst nicht alle weißen Immigranten in die USA überhaupt aus Großbritannien stamm(t)en. War dein Beweisziel aber nicht eigentlich mal ein ganz anderes? Oder habe ich dich da falsch verstanden? Am Kopf kratzen

smallie hat folgendes geschrieben:
Ob die Vertreter der Kritischen Theorien das auch schon gemerkt haben?

Warum glaubst du, diese Frage stellen zu müssen? Ich weiß es wirklich nicht, weil die einzigen beiden möglichen Erklärungen dafür, die ich sehen kann, Ahnungslosigkeit oder intellektuelle Unredlichkeit sind, und beides möchte ich dir nicht unterstellen.

Eine recht entscheidende Sache, die "Weiße" in den USA recht generell miteinander gemeinsam haben, ist, dass sie bestimmten Formen von Diskriminierung als einzige nicht ausgesetzt sind. Am Beispiel Barack Obamas ist das recht gut zu verdeutlichen. Kannst du mir sagen, warum Obama nicht als "weiß" bezeichnet wird? Diese Frage ist nämlich alles andere als trivial.

smallie hat folgendes geschrieben:
Zweifellos hat mich meine Herkunft und mein Umfeld geprägt. Darin erschöpft sich meine Identität aber nicht. Ich definiere mich ja nicht durch: Deutsch, Bayer, Hinterwäldler.

Deine Identität bestimmt sich aber nun mal nicht ausschließlich durch deine Selbstdefinition, Weißwurstschlürfer.

smallie hat folgendes geschrieben:
Und bin hoffentlich nicht durch mein deutsch-sein allzu sehr in meinen Handlungs- und Meinungsoptionen eingeschränkt. Dann wäre Identität ja - ein Korsett.

Zum Glück hast du "hoffentlich" dazugeschrieben! Vielleicht kommst du mit etwas Nachdenken auch darauf, warum in diesem Zusammenhang gerne mal das Wort "Privileg" fällt.

#104:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 10.12.2023, 21:23
    —
VanHanegem hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Nein, könnte er nicht. Und zwar nicht einmal nach diesem reißerischen, zehn Jahre alten, vor Unsinn nur so strotzenden und tendenziell rassistischen Artikel aus der Springerpresse.

Falsch ist hier vor allem der unterschwellig suggerierte Umkehrschluss man könne ohne islamischen Background hier in D keine de facto Polygamie zu leben. (oder auch einen afrikanischen laut Ihrer Hoheit der Fürstin Gloria 2001). Da drängt sich schon Rassismusverdacht auf, da die indigenen Kelten, Germanen, Slawen etc. in D damit als Schlappschwänze hingestellt werden.

Auf lange Sicht wird sich unsere Gesellschaft in der Tat damit auseinandersetzen müssen, dass offen polyamoröse Beziehungsstrukturen auch unter Deutschen häufiger werden, und zwar völlig ohne jeden Zwang oder religiösen Bezug. (Verdeckt polyamoröse Arrangements gab es ja hinter der Fassade der bürgerlichen Ehe sowieso immer schon.)

#105:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 10.12.2023, 22:32
    —
smallie hat folgendes geschrieben:

Stattdessen ein bisschen was über Identität. Myron hat dazu schon was geschrieben. Dafür, daß der Begriff für identity politics namensgebend ist, gibt es erstaunlich wenig Diskussion darüber.


Es gibt dazu einen guten Beitrag in der Stanford Encyclopedia of Philosophy:

https://plato.stanford.edu/entries/identity-politics/

Der Identitätsbegriff, um den es hier geht, ist nicht der rein logische; denn es geht hier um Identität im ontologischen (physikalischen/biologischen/soziologischen/psychologischen) Sinn: Die Identität von etwas/jemandem besteht darin, was (und wer) es/er/sie ist.

Eine Identität in diesem Sinn ist eine Washeit (oder Werheit). Das eigentliche lateinische Wort für "Washeit" ist "Quiddität" (im Gegensatz zur Wieheit = Qualität). Ontologische Identitäten sind also Quidditäten. Außerdem handelt es sich dabei um objektive Identitäten, die von subjektiven Identitäten = subjektiven Identifikationen zu unterscheiden sind.

Bei der Identitätspolitik spielen sowohl der objektive als auch der subjektive Aspekt des Identitätsbegriffs eine Rolle.

Was genau ist nun subjektive Identität = subjektive Identifikation? Sie kann darin bestehen, was ich glaube oder begehre zu sein. Dies kommt in der Phrase "sich als etwas identifizieren" zum Ausdruck. Es gibt aber auch die Phrase "sich mit etwas/jemandem identifizieren". Im DUDEN finden sich folgende Bedeutungen von "identifizieren" im subjektiven Sinn:

1. (sich) mit jemandem, etwas, miteinander gleichsetzen
2. jemandes Anliegen, etwas zu seiner eigenen Sache machen; aus innerlicher Überzeugung voll mit jemandem, etwas übereinstimmen
3. sich mit einer anderen Person oder Gruppe emotional gleichsetzen und ihre Motive und Ideale in das eigene Ich übernehmen


Quelle: https://www.duden.de/rechtschreibung/identifizieren

Bei der subjektiven Identität qua subjektiver Identifikation handelt es sich also um einen Zugehörigkeitsglauben (und eine entsprechende Zugehörigkeitsbehauptung), ein Zugehörigkeits- oder Verbundenheitsgefühl, oder um ein Teilen & Übernehmen von Ansichten, Werten oder Praktiken anderer.

(Beispiel: Als Weißer kann ich mich mit der schwarzen Musik identifizieren und diese somit zu einem Teil meiner subjektiven kulturellen Identität machen; aber dadurch wird Schwarzsein, d.i. die Zugehörigkeit zu den Schwarzen, nicht Teil meiner objektiven rassischen Identität. Ein Weißer, der schwarze Musik liebt, bleibt ein Weißer.)

#106:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 10.12.2023, 22:40
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Es gibt dazu einen guten Beitrag in der Stanford Encyclopedia of Philosophy:

https://plato.stanford.edu/entries/identity-politics/


Darin ist folgendes Zitat enthalten:

Zitat:
"[W]hat makes identity politics a significant departure from earlier, pre-identarian forms of the politics of recognition is its demand for recognition on the basis of the very grounds on which recognition has previously been denied: it is qua women, qua blacks, qua lesbians that groups demand recognition. The demand is made irrespective of whether identities are viewed as socially, culturally, or discursively constructed. The demand is not for inclusion within the fold of “universal humankind” on the basis of shared human attributes; nor is it for respect “in spite of” one’s differences. Rather, what is demanded is respect for oneself as different."

(Kruks, Sonia. Retrieving Experience: Subjectivity and Recognition in Feminist Politics. Ithaca, NY: Cornell University Press, 2001. p. 85)


Ein weiteres Zitat (das nicht im SEP-Text enthalten ist):

Zitat:
"Identity politics is an orientation towards social or political theorizing, rather than a coherent body of ideas with a settled political character. It seeks to challenge and overthrow oppression by reshaping a group's identity through what amounts to a process of politico-cultural self-assertion. This reflects two core beliefs. (1) Group marginalization operates through stereotypes and values developed by dominant groups that structure how marginalized groups see themselves and are seen by others. These inculcate a sense of inferiority, even shame. (2) Subordination can be challenged by reshaping identity to give the group concerned a sense of pride and self-respect (e.g. 'black is beautiful' or 'gay pride'). Embracing or proclaiming a positive social identity is thus an act of defiance or liberation."

(Heywood, Andrew. Political Ideologies. 6th ed. London: Palgrave, 2017. p. 282)

#107:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 10.12.2023, 23:18
    —
smallie hat folgendes geschrieben:

…Als vorläufiges Fazit:

    1) Identitäten gibt es, sie können über Generationen tradiert werden, müssen es aber nicht.

    2) Identität ist eine Tendenz, eine Statistik. Wer versucht, Identität genauer und immer genauer festzunageln, landet beim wahren Schotten.

    3) Wenn das nächste Mal jemand von der schwarzen Identität spricht oder von der deutschen, dann bitte nachhaken und Auskunft verlangen, was diese Identitäten ausmacht. Klischees und Vorurteile gelten nicht, nur mehr oder weniger wissenschaftliche Arbeiten.

Ob ich wohl fünf Merkmale schwarzer Identität finde, wenn ich in identitätspolitischer Literatur nachlese?


Die linken Identitätstheoretiker & -politiker haben ein Essenzialismusproblem. Denn wenn soziale, kulturelle und selbst vermeintlich natürliche Identitäten (wie Frausein) nichts weiter als kontingente menschliche Konstrukte sind, dann sind sie wesenlos; das heißt, dann gibt es keine feststehende Menge von Eigenschaften, die für das Haben einer bestimmten Identität (wie Schwarzsein) sowohl notwendig als auch hinreichend sind. Wenn also beispielsweise einer rassischen Identität keine Essenz innewohnt, dann lassen sich Rassen nach innen nicht klar vereinheitlichen und nach außen nicht deutlich von anderen Rassen unterscheiden.

Dieser Umstand bringt die kritische Rassentheorie in Schwierigkeiten, die einerseits (wie die postmoderne Philosophie allgemein) anti-essenzialistisch ausgerichtet ist, aber andererseits so tut, als gäbe es bestimmte identitätsstiftende Rassenessenzen, die von allen Mitgliedern einer Rasse immer und überall geteilt werden. Um diese Ungereimtheit zu verschleiern, wird in der politischen Praxis der von Gayatri Chakravorty Spivak eingeführte Begriff des "strategischen Essenzialismus" verwendet.

Zitat:
"Faced with the problem of how to speak on behalf of the “oppressed,” scholars from a large number of disciplines followed in Spivak’s footsteps. They continued to wield the tools of postmodernism to cast doubt on any claims invoking scientific objectivity or universal principles. At the same time, they insisted that they can speak on behalf of groups of oppressed people by invoking the tactical need for what they came to call “strategic essentialism.” This attempt to square the circle is still apparent today when activists preface their remarks by acknowledging that race (or gender or ability status) “is a social construct,” before going on to make surprisingly essentializing claims about what “Black and brown people” (or women or the disabled) believe."

(Mounk, Yascha. The Identity Trap: A Story of Ideas and Power in Our Time. New York: Penguin, 2023. p. 46)


Zitat:
"Strategic essentialism. The idea of strategic essentialism involves philosophical acceptance of the anti-essentialist argument that there are in principle no essential identities while nevertheless suggesting that in practice people act, and need to act, as if there were. Thus strategic essentialism means acting ‘as if’ identities were stable for specific political reasons. For example, one might temporarily accept the category of ‘woman’ as a stable unity for the purposes of mobilizing women in feminist political action. Here, it is argued, the practical character of social and political life can render the theoretical distinction between essentialism and antiessentialism somewhat redundant.

The concept of strategic essentialism is deployed in order to modify antiessentialist conceptions of identity, arguing that such discourse-based theories efface human agency. In particular, for their critics, anti-essentialist arguments about identity are said to be of no practical value. That an identity category can be ‘deconstructed’ does not mean that people do not and cannot mobilize around it as a device for the improvement of the human condition. This is an argument that has some merit for practical purposes and indeed ‘strategic essentialism’ may be the process that is enacted in practice in day-to-day life as well as in political action. That is to say, any sense of identity and community of identification (nations, ethnicities, sexualities, classes etc.) are necessary fictions that mark a temporary, partial and arbitrary closure of meaning. Some kind of strategic cut or temporary stabilization of meaning is necessary in order to say or do anything.

Nevertheless, as the basis for political strategy, the idea of strategic essentialism is open to the criticism that at some point certain voices have been excluded. Thus, the strategic essentialism of feminism in taking ‘woman’ to be an essential category for tactical reasons may lead to differences between women, for example between white, black or Hispanic women, being ignored. The idea of strategic essentialism always raises the question of where to draw the tactical line and can lend itself towards ethnic or gender ‘absolutism’. The trick is to try to hold both the plasticity and the practical fixity of identity in mind at the same time thereby enabling one to oscillate between them for particular purposes."

(Barker, Chris. The SAGE Dictionary of Cultural Studies. London: SAGE Publications, 2004. p. 189)

"Anti-essentialism. This concept alludes to the idea that words do not have referents in an independent object world that possesses essential or universal qualities. Rather, all categories of knowledge are discursive constructions that change their meanings according to time, place and usage. In particular, there can be no truths, subjects or identities outside of language, which does not itself have stable referents, and thus there are no stable truths or identities. The ‘objects’ of language are not fixed or universal things but meaningful descriptions that through social convention come to be ‘what counts as truth’ (that is, the temporary stabilization of meaning).

Anti-essentialism offers an awareness of the contingent, constructed character of our beliefs and understandings that lack firm universal foundations. However, this does not mean that we cannot speak of truth or identity per se. Rather, the antiessentialist argument points to both as being cultural productions that are located in specific times and places rather than being universals of nature. Thus, the speaking subject is dependent on the prior existence of discursive positions and truth is made rather than found. For example, since words do not refer to essences, identity is not a fixed universal ‘thing’ but a description in language that is malleable so that what it means to be a ‘woman’ or an ‘American’ is not stable but subject to constant modification.

The argument that social categories do not have universal, essential characteristics or qualities but are constituted by the way we speak about them is derived from an anti-representationalist understanding of language. That is, language does not reflect a pre-existent and external reality of independent objects but rather constructs meaning from within itself through a series of conceptual and phonic differences. Thus, the signifier ‘good’ has meaning not because it refers to a universal quality but by virtue of its relations with other related signifiers, notably bad, but also righteous, worthy, virtuous etc.

The philosopher Derrida argues that since meaning is generated through the play of signifiers and not by reference to an independent object world it can never be fixed. Words carry multiple meanings, including the echoes or traces of other meanings from other related words in other contexts, so that language is inherently unstable and meaning constantly slides away. Thus, by différance, the key Derridian concept, is meant ‘difference and deferral’. In a similar vein, Wittgenstein argued that the meaning of words is derived not from reference to objects but through use in specific language-games and social contexts."

(Barker, Chris. The SAGE Dictionary of Cultural Studies. London: SAGE Publications, 2004. p. 7)

#108:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 12.12.2023, 11:25
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Die linken Identitätstheoretiker & -politiker haben ein Essenzialismusproblem. Denn wenn soziale, kulturelle und selbst vermeintlich natürliche Identitäten (wie Frausein) nichts weiter als kontingente menschliche Konstrukte sind, dann sind sie wesenlos; das heißt, dann gibt es keine feststehende Menge von Eigenschaften, die für das Haben einer bestimmten Identität (wie Schwarzsein) sowohl notwendig als auch hinreichend sind. Wenn also beispielsweise einer rassischen Identität keine Essenz innewohnt, dann lassen sich Rassen nach innen nicht klar vereinheitlichen und nach außen nicht deutlich von anderen Rassen unterscheiden.

Das "Essenzialismusproblem" in der Rassenlehre ist nichts neues. Beispiel: Zur Unterscheidung von "Ariern" und "Juden" war schon in der Nazizeit über die pseudowissenschaftlich aufgemotzte Nasenvermessung hinaus nichts geboten.

#109:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 14.12.2023, 11:36
    —
Einige Beiträge hier abgetrennt, und als neuer Threat Wissenschaft in der NS-Zeit angefangen.

#110:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 14.12.2023, 11:36
    —
Einige Beiträge hier abgetrennt, und als neuer Threat Wissenschaft in der NS-Zeit angefangen.

#111:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 17.12.2023, 15:45
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Ohne schwarze Identität zu benennen, hängt identity politcs ziemlich in der Luft. Außer man verkürzt die Identität auf die Rolle der Unterdrückten.

Warum sollten gemeinsame Diskriminierungserfahrungen denn nicht ausreichen, um sowas wie eine gemeinsame Identität zu konstituierenden?

Die kann durchaus ausreichend sein. Ist nur nicht besonders trennscharf. Martin Luther King und Malcolm X dürften für unterschiedliche schwarze Identitäten stehen.

Wenn Schwarze in Pennsylvania weit besser behandelt wurden, als die Sklaven in den Südstaaten, haben die dann eine andere Identität aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen entwickelt? Vermutlich.


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Demnach gäbe es gar keine monolitische weiße Identität.

Wenn das dein Beweisziel war, hättest du dir den Umweg über die Albionsaat sparen können.

Das war sehr ungeschickt formatiert von mir. Der Satz hätte einen neuen Absatz gebraucht. Worauf ich hinaus wollte, steht im Fazit.


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Ob die Vertreter der Kritischen Theorien das auch schon gemerkt haben?

Warum glaubst du, diese Frage stellen zu müssen? Ich weiß es wirklich nicht, weil die einzigen beiden möglichen Erklärungen dafür, die ich sehen kann, Ahnungslosigkeit oder intellektuelle Unredlichkeit sind, und beides möchte ich dir nicht unterstellen.

Ich hätte an deiner Stelle einfach die Antwort hingeschrieben: Ja/Nein/Weiß-Nicht, statt über meine Motive nachzudenken.

DiAngelo, White Fragility habe ich in Kurzfassung gelesen. Bei DiAngelo wäre alleine der Versuch, von unterschiedlichen weißen Identitäten zu sprechen, ein Zeichen für Abwehr. Von Kendi und den Antirassisten kenne ich nur einige Zitate. Könnte sein, daß jemandem aus der critical race theory etwas dazu geschrieben hat. Für wahrscheinlich halte ich es nicht.

Was hat die unverbesserlich rassistischen Weißen eigentlich dazu bewogen, die Sklaverei abzuschaffen? Eine critical race theory, die darauf keine Antwort hat wäre, ahhm, unterkomplex.

Wobei, halt, ich denke, ich kann die Antwort erraten: "Mehr Profit."


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Eine recht entscheidende Sache, die "Weiße" in den USA recht generell miteinander gemeinsam haben, ist, dass sie bestimmten Formen von Diskriminierung als einzige nicht ausgesetzt sind. Am Beispiel Barack Obamas ist das recht gut zu verdeutlichen. Kannst du mir sagen, warum Obama nicht als "weiß" bezeichnet wird? Diese Frage ist nämlich alles andere als trivial.

Naja, das ist jetzt nicht so schwer.

Biologisch: 50%/50%.
Soziologisch: da wird anders gerechnet. 50% schwarz + 50% weiß ergibt immer noch > 90% schwarz.

Wenn Obama unterdrückt wird, dann wird soziologisch gesehen "nur" ein schwarzer unterdrückt. Biologisch gesehen wird auch der halbe Weiße in ihm unterdrückt. Fällt halt nicht auf, wenn man das verdrehte Rechenmodell und die dazugehörige Farbenlehre unkritisch übernimmt.

Was lernt man daraus: Wer erst auf Abstammung oder Gene schauen muß, um daran sein Verhalten anderen gegenüber auszurichten, ist auf dem Holzweg.

Hatte ich hier schon mal angesprochen.
smallie hat folgendes geschrieben:
Daneben gibt es sicher auch soziale Konstruktion bei Rasseneinteilungen. Barack Obama, schwarzer Vater, weiße Mutter. Der erste "schwarze Präsident" der USA. Pff. In Schwarzafrika wäre er vermutlich der erste (nichtkoloniale) weiße Präsident.




Tarvoc hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Zweifellos hat mich meine Herkunft und mein Umfeld geprägt. Darin erschöpft sich meine Identität aber nicht. Ich definiere mich ja nicht durch: Deutsch, Bayer, Hinterwäldler.

Deine Identität bestimmt sich aber nun mal nicht ausschließlich durch deine Selbstdefinition,

Daß ich deutsch bin, ist ja unstrittig.

Jedenfalls sehe ich mich selbst nicht zuerst als Deutscher oder als Bayer, auch nicht als Mann oder Frau (für letzteres reicht auch meine Selbstdefinition.) Gibt es Leute, die auf die Frage, wer oder was bist du mit "Ich bin Deutscher" oder "Ich bin Bayer" antworten? Leute, die Dinge tun, weil man sie als Deutscher oder Bayer halt so tut. In Bayern zum Beispiel Kreuze in Schulen und Amtsstuben aufhängen. Das gehört zur kulturellen Identität. Die werdet ihr doch nicht kritisieren wollen?


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Weißwurstschlürfer.

Ekliges Zeug. Das sollen die Bazis mal ohne mich schlürfen.


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Und bin hoffentlich nicht durch mein deutsch-sein allzu sehr in meinen Handlungs- und Meinungsoptionen eingeschränkt. Dann wäre Identität ja - ein Korsett.

Zum Glück hast du "hoffentlich" dazugeschrieben! Vielleicht kommst du mit etwas Nachdenken auch darauf, warum in diesem Zusammenhang gerne mal das Wort "Privileg" fällt.

Ein Korsett ist kein Privileg.

Bis in die jüngste Vergangenheit wurde zum Beispiel Religionszugehörigkeit "vererbt". Das meine ich mit Korsett. Du übernimmst dein Weltbild, deine Moral von Eltern und Gesellschaft.

Privileg ist was anderes: es ist eins dieser Modewörter, das offensichtlich in jedem Kontext gebracht werden kann, seine bloße Nennung läßt die Eingeweihten zustimmend nicken. Es tut so, als ob zuvor noch nie über Privilegien nachgedacht wurde. Es versucht nicht mal, sich selbst in einen größeren Zusammenhang zu setzen, nämlich diesen: Privilegien kommen mit der stratifizierten Gesellschaft.

Schon in der Bibel heißt es in 5.Mose:

    [Der König] soll auch nicht viele Weiber nehmen, ..., und soll auch nicht viel Silber und Gold sammeln.

#112:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 17.12.2023, 17:54
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Daneben gibt es sicher auch soziale Konstruktion bei Rasseneinteilungen.

Ach es gibt auch soziale Konstruktion bei der Rasseneinteilung! Was gibt's denn noch so bei der Rasseneinteilung außer sozialer Konstruktion? (Die statistische Konstruktion von "Subpopulationen", von der du vorher sprichst, ist ja auch schon eine soziale. Obama wird in den USA auch statistisch als Schwarzer erfasst.)

smallie hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Und bin hoffentlich nicht durch mein deutsch-sein allzu sehr in meinen Handlungs- und Meinungsoptionen eingeschränkt. Dann wäre Identität ja - ein Korsett.

Zum Glück hast du "hoffentlich" dazugeschrieben! Vielleicht kommst du mit etwas Nachdenken auch darauf, warum in diesem Zusammenhang gerne mal das Wort "Privileg" fällt.

Ein Korsett ist kein Privileg.

Ganz im Gegenteil sogar! Das Privileg ist in diesem Kontext die (relative) Abwesenheit von "Korsett". Oder noch deutlicher: Dass spezifisch du als Deutscher durch deine spezifische Identität nicht allzu sehr eingeschränkt bist, ist dein Privileg. Andere Menschen werden aufgrund ihrer Identität sehr in ihren Handlungsoptionen eingeschränkt. Dass du dich als Deutscher darüber erstaunst, dass "Identität" überhaupt je als Korsett erscheinen oder aufgefasst werden könnte, ist ein Resultat deines Privilegs.

#113:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 17.12.2023, 20:08
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Daneben gibt es sicher auch soziale Konstruktion bei Rasseneinteilungen.

Ach es gibt auch soziale Konstruktion bei der Rasseneinteilung! Was gibt's denn noch so bei der Rasseneinteilung außer sozialer Konstruktion? (Die statistische Konstruktion von "Subpopulationen", von der du vorher sprichst, ist ja auch schon eine soziale. Obama wird in den USA auch statistisch als Schwarzer erfasst.)

smallie hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Und bin hoffentlich nicht durch mein deutsch-sein allzu sehr in meinen Handlungs- und Meinungsoptionen eingeschränkt. Dann wäre Identität ja - ein Korsett.

Zum Glück hast du "hoffentlich" dazugeschrieben! Vielleicht kommst du mit etwas Nachdenken auch darauf, warum in diesem Zusammenhang gerne mal das Wort "Privileg" fällt.

Ein Korsett ist kein Privileg.

Ganz im Gegenteil sogar! Das Privileg ist in diesem Kontext die (relative) Abwesenheit von "Korsett". Oder noch deutlicher: Dass spezifisch du als Deutscher durch deine spezifische Identität nicht allzu sehr eingeschränkt bist, ist dein Privileg. Andere Menschen werden aufgrund ihrer Identität sehr in ihren Handlungsoptionen eingeschränkt. Dass du dich als Deutscher darüber erstaunst, dass "Identität" überhaupt je als Korsett erscheinen oder aufgefasst werden könnte, ist ein Resultat deines Privilegs.


Manchmal kommt die Einschränkung auch durch eine vorauseilende innere Haltung. Nach dem Motto: "hier werde ich bestimmt wieder diskriminiert".
Damit will ich nicht sagen, dass es keine Diskriminierung gibt, sondern dass die innere Einstellung dazu beiträgt. In der eine, wie in der andere Richtung.

#114:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 17.12.2023, 20:36
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Daneben gibt es sicher auch soziale Konstruktion bei Rasseneinteilungen.

Ach es gibt auch soziale Konstruktion bei der Rasseneinteilung! Was gibt's denn noch so bei der Rasseneinteilung außer sozialer Konstruktion? (Die statistische Konstruktion von "Subpopulationen", von der du vorher sprichst, ist ja auch schon eine soziale. Obama wird in den USA auch statistisch als Schwarzer erfasst.)


Neben dem Rassenkonstruktionismus gibt es nach wie vor naturalistische Ansätze.
Siehe: https://plato.stanford.edu/entries/race/

#115:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 17.12.2023, 21:15
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Warum sollten gemeinsame Diskriminierungserfahrungen denn nicht ausreichen, um sowas wie eine gemeinsame Identität zu konstituierenden?

Die kann durchaus ausreichend sein. Ist nur nicht besonders trennscharf. Martin Luther King und Malcolm X dürften für unterschiedliche schwarze Identitäten stehen.
Wenn Schwarze in Pennsylvania weit besser behandelt wurden, als die Sklaven in den Südstaaten, haben die dann eine andere Identität aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen entwickelt? Vermutlich.


Eine der Grundannahmen der kritischen Rassentheorie ist das Vorhandensein einer "eigentümlichen farbigen Stimme" ("unique voice of color"), wobei diese als identitätsstiftend angesehen wird: Einigung durch geteilte Unterdrückungserfahrung. Es handelt sich hierbei jedoch um ein theoretisches Axiom oder Dogma, sodass sich die Frage stellt, inwieweit es sich empirisch rechtfertigen lässt. Wie ähnlich sind die Lebenserfahrungen "Farbiger" auf dieser Welt wirklich sowohl in kollektiver als auch in individueller Hinsicht? Gibt es so etwas wie "die farbige Stimme" überhaupt, oder ist sie wie "die Stimme des Volkes" nur eine ideologische Fiktion?

Zitat:
"A final element concerns the notion of a unique voice of color. Coexisting in somewhat uneasy tension with antiessentialism, the voice-of-color thesis holds that because of their different histories and experiences with oppression, Black, Native American, Asian, and Latino writers and thinkers may be able to communicate to their white counterparts matters that the whites are unlikely to know. Minority status, in other words, brings with it a presumed competence to speak about race and racism. The legal storytelling movement urges Black and brown writers to recount their experiences with racism, daily life, and the legal system and to apply their own unique perspectives to assess law’s master narratives. This topic, too, is taken up later in this book."

(Delgado, Richard, and Jean Stefancic. Critical Race Theory: An Introduction. 4th ed. New York: New York University Press, 2023. p. 11)


Typisch für die KRT ist, dass sie sich nur mit weißem Rassismus gegen Nichtweiße befasst anstatt mit Rassismus insgesamt, der auch nichtweißen Rassismus gegen Weiße oder Nichtweiße umfasst.

Was die "Kompetenz durch eigene Unterdrückungserfahrung" anbelangt, so kann man zwar von einer Art von Lebenserfahrung und lebensweltlichem Wissen sprechen, aber nicht von wissenschaftlicher Kompetenz. Zu einem Gesellschaftswissenschaftler wird man nicht allein durch die Mitgliedschaft in einer Gesellschaft.

#116:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 17.12.2023, 21:40
    —
Zitat:
"A Unique Voice of Color (Positional Standpoint Epistemology)

Because Critical Race Theory essentializes lived experiences and “lived realities” by race (but not races, per se), it assigns a “unique voice of color” to allegedly racially oppressed groups. This “voice of color” is considered “authentic” when it is saying what Critical Race Theory claims about the lived experience and “lived realities” of belonging to a particular racial category in a prevailing white-dominant or white-supremacist culture. Here’s how Delgado and Stefancic explain it:

A final element concerns the notion of a unique voice of color. Coexisting in somewhat uneasy tension with anti-essentialism, the voice-of-color thesis holds that because of their different histories and experiences with oppression, black, Indian, Asian, and Latino/a writers and thinkers may be able to communicate to their white counterparts matters that the whites are unlikely to know. Minority status, in other words, brings with it a presumed competence to speak about race and racism.

This voice of color is deemed to be authoritative and beyond contradiction because, roughly, Critical Race Theory considers systemic oppression by race, by virtue of its imposition by systemic power held by dominant groups (white people), to be properly basic, speaking philosophically. That is, it is simply true (if and only if it agrees with Critical Race Theory) and an uncontestable basis for claiming knowledge. One experiences systemic oppression that is structurally determinant upon one’s life and views, and therefore a unique voice that speaks from this position must exist and be considered authoritative. As we’ll see…, the roots of this misguided line of thought reside in Jean-Jacques Rousseau, who incorrectly believed that sincerity is a strong arbiter of truth. Philosophy aside, the practical effects of this doctrine include advancing bias over minimizing it and rendering it impossible to disagree with a Critical Race Theory take when it comes from someone who claims a critical consciousness of their own minoritized racial category (at least if one has greater access to racial privilege than that person). In turn, subjective assessments take priority over objective ones (which are denied as being falsely objective and, often, “white”), which hits truth largely only by accident, empowers grifters, and grants ultimate authority to those within the Party—a proven recipe for societal disaster.

Not only do Delgado and Stefancic recognize that a “unique voice of color” exists in “somewhat uneasy tension” with rejecting racial essentialism, but they also recognize that it’s racist in other ways. “The ‘voice of color,’ as it is termed, seems to imply that critical race theorists have a deeper understanding of certain issues than their white counterparts,” they write, addressing a common (and accurate) criticism of Critical Race Theory. This line of thinking, as it happens, also has its roots in Rousseau, specifically what came to be termed the “masterslave dialectic,” as we will see. Delgado and Stefancic seek to resolve this glaring issue with the doctrine by insisting, “Critical race theorists believe that, while white scholars should not be excluded from writing about such subjects, they are often better addressed by minorities.” They also recognize that this leads to problems of “standing” when using Critical Race Theory to address issues. That is, though Critical Race Theorists usually deliberately avoid this
specific terminology, Critical Race Theory subscribes to what feminist theorists refer to as “standpoint epistemology,” the belief that who you are in relation to the systems of power in play determines what you can and cannot understand. (Such a belief is a direct consequence of both material and structural determinism, when maintained strictly.)

Predictably, in practice, this doctrine results in squabbling for standing, speaking over people deemed “privileged,” and constantly scrutinizing whether or not one’s claim to an oppressed, thus enlightened, standpoint is valid. That is, it brings out the worst in human tribal behavior over what may be the worst possible basis for human tribalism: race. This tribalism is then strictly enforced, such that members of a racial group who do not profess their “unique voice of color” in the way Critical Race Theory deems “authentic” are excluded from authority of all sorts. When black public figures speak in a way outside of their Critical Race Theory-approved racial script—including Larry Elder (named “the black face of white supremacy” by the Los Angeles Times while running for governor as a conservative), Condoleezza Rice (named “a foot soldier for white supremacy” after disagreeing with the approach to race relations implemented by Critical Race Theory in practice), Dave Chappelle (whose jokes about trans activists come from his “white privilege”), or Kanye West (no longer to be considered “Black,” according to Ta Nehisi Coates, after he donned a “Make America Great Again” hat and supported President Donald Trump on some issues)—they aren’t just said to be wrong or even “race traitors” (among other slurs) but no longer authentic representatives of their race. In Critical Race Theory, the doctrine of the “unique voice of color” therefore turns one’s racial identity into a political identity and one’s political identity is one’s racial identity. “We can no longer have black and brown faces who do not want to be black and brown voices,” opined radical Leftist Congresswoman Ayanna Pressley, cementing this view. Put more bluntly in a soon-deleted tweet by Nikole Hannah-Jones, New York Times Magazine’s architect of the 1619 Project, “There’s a difference between being racially black and politically Black.” The old feminist canard “the personal is political” becomes a true and proper identity under Identity Marxist Theories like Critical Race Theory: one’s politics is one’s person."

(Lindsay, James. Race Marxism: The Truth about Critical Race Theory and Praxis. Orlando, FL: New Discourses, 2022. pp. 48-51)

#117:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 17.12.2023, 21:57
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Zitat:
"A Unique Voice of Color (Positional Standpoint Epistemology)

…This tribalism is then strictly enforced, such that members of a racial group who do not profess their “unique voice of color” in the way Critical Race Theory deems “authentic” are excluded from authority of all sorts. When black public figures speak in a way outside of their Critical Race Theory-approved racial script—including Larry Elder (named “the black face of white supremacy” by the Los Angeles Times while running for governor as a conservative), Condoleezza Rice (named “a foot soldier for white supremacy” after disagreeing with the approach to race relations implemented by Critical Race Theory in practice), Dave Chappelle (whose jokes about trans activists come from his “white privilege”), or Kanye West (no longer to be considered “Black,” according to Ta Nehisi Coates, after he donned a “Make America Great Again” hat and supported President Donald Trump on some issues)—they aren’t just said to be wrong or even “race traitors” (among other slurs) but no longer authentic representatives of their race. In Critical Race Theory, the doctrine of the “unique voice of color” therefore turns one’s racial identity into a political identity and one’s political identity is one’s racial identity. “We can no longer have black and brown faces who do not want to be black and brown voices,” opined radical Leftist Congresswoman Ayanna Pressley, cementing this view. Put more bluntly in a soon-deleted tweet by Nikole Hannah-Jones, New York Times Magazine’s architect of the 1619 Project, “There’s a difference between being racially black and politically Black.” The old feminist canard “the personal is political” becomes a true and proper identity under Identity Marxist Theories like Critical Race Theory: one’s politics is one’s person."

(Lindsay, James. Race Marxism: The Truth about Critical Race Theory and Praxis. Orlando, FL: New Discourses, 2022. pp. 48-51)


KRTler kriegen Schreikrämpfe, wenn schwarze Intellektuelle wie Glenn Loury & John McWhorter behaupten, dass der "heilige" George Floyd in Wahrheit kein Mordopfer weißer Rassisten sei. Was unternimmt man als KRTler, wenn sich Lücken in der Einheitsfront der farbigen Stimme auftun? Man exkommuniziert die Ketzer unter den Schwarzen, weil sie das falsche politische Bewusstsein haben, d.h. keine KRT-Jünger sind. Solche Leute gelten nicht länger als "schwarze Schwarze", sondern fortan als "weiße Schwarze".

https://whyevolutionistrue.com/2023/12/11/mcwhorter-and-loury-and-a-new-film-george-floyd-wasnt-murdered/

https://glennloury.substack.com/p/derek-chauvin-did-not-murder-george

#118:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 18.12.2023, 00:52
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Es handelt sich hierbei jedoch um ein theoretisches Axiom oder Dogma, sodass sich die Frage stellt, inwieweit es sich empirisch rechtfertigen lässt.

Hier wird gerade dein Denken von deiner Rhetorik im Galopp überholt. Wenn es sich dabei um ein Axiom oder Dogma handelt, dann stellt sich diese Frage gerade nicht, weil sowohl Axiome als auch Dogmen per definitionem keiner direkten empirischen Rechtfertigung oder Überprüfung zugänglich sind. Wie lässt sich denn deine Behauptung empirisch rechtfertigen, dass es sich bei einer solchen Stimme um ein Axiom oder Dogma oder auch nur eine Grundannahme der CRT handelt? Sollen wir dir das einfach glauben?

Myron hat folgendes geschrieben:
Gibt es so etwas wie "die farbige Stimme" überhaupt, oder ist sie wie "die Stimme des Volkes" nur eine ideologische Fiktion?

Von einer derart monolithischen Auffassung einer Stimme, wie du sie hier voraussetzt, ist in dem Zitat von Delgado und Stefancic doch überhaupt keine Rede. Am Kopf kratzen

Myron hat folgendes geschrieben:
Was die "Kompetenz durch eigene Unterdrückungserfahrung" anbelangt, so kann man zwar von einer Art von Lebenserfahrung und lebensweltlichem Wissen sprechen, aber nicht von wissenschaftlicher Kompetenz.

Was du nicht sagst. Entweder das läuft auf eine völlige Banalität hinaus, die niemand ernsthaft bestreitet, oder du willst dir ein Hintertürchen dafür offen lassen, behaupten zu können, dass ein weißer Soziologe über die Lebenserfahrungen von People of Color u. U. besser bescheid wissen kann als diese selbst.


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 18.12.2023, 01:53, insgesamt 4-mal bearbeitet

#119:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 18.12.2023, 00:55
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Lindsay, James

https://en.m.wikipedia.org/wiki/James_A._Lindsay
Zitat:
He is also known for promoting right-wing conspiracy theories, such as that of Cultural Marxism, and LGBT grooming conspiracy theories.

Zitat:
He is a proponent of the right-wing LGBT grooming conspiracy theory and has been credited as one of several public figures responsible for popularizing "groomer" as a slur directed at LGBTQ educators and activists by members of the political right. Lindsay has referred to the Pride flag as "the flag of a hostile enemy."

Zitat:
In 2021, Lindsay wrote on Twitter that "there will be" a genocide of whites if critical race theory "isn't stopped."

Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte. Als Quelle zu CRT abgelehnt!

#120:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 18.12.2023, 03:15
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Lindsay, James

https://en.m.wikipedia.org/wiki/James_A._Lindsay
Zitat:
He is also known for promoting right-wing conspiracy theories, such as that of Cultural Marxism, and LGBT grooming conspiracy theories.

Zitat:
He is a proponent of the right-wing LGBT grooming conspiracy theory and has been credited as one of several public figures responsible for popularizing "groomer" as a slur directed at LGBTQ educators and activists by members of the political right. Lindsay has referred to the Pride flag as "the flag of a hostile enemy."

Zitat:
In 2021, Lindsay wrote on Twitter that "there will be" a genocide of whites if critical race theory "isn't stopped."

Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte. Als Quelle zu CRT abgelehnt!


Du machst es dir viel zu einfach! Anstatt sein Buch zu lesen oder dich zumindest mit dem von mir Zitierten zu befassen, begnügst du dich selbstgefällig mit diesem einseitigen Wikipedia-Artikel, der den Kulturmarxismus (fälschlicherweise) von Anfang an auf eine rechtsextreme Verschwörungstheorie reduziert und damit auch Lindsay von Anfang an als rechtsextremen Verschwörungstheoretiker (und somit als üblen Hetzer & Lügner) hinstellt.

Ja, er hat manches in den sozialen Medien von sich gegeben, worüber auch ich den Kopf schüttle, und mir ist nicht entgangen, dass er in den letzten Jahren nach rechts abgedriftet ist (wobei "rechts" und "rechtsextrem" keine Synonyme sind); aber das bedeutet nicht, dass seine Kritik an der kritischen Rassentheorie sowie der (Pädagogik der) Gender-/Queertheorie völlig unsachlich und unberechtigt ist. Das ist sie nämlich keineswegs!

#121:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 18.12.2023, 03:46
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
…diesem einseitigen Wikipedia-Artikel, der den Kulturmarxismus (fälschlicherweise) von Anfang an auf eine rechtsextreme Verschwörungstheorie reduziert…


Man muss jedenfalls genau hinschauen: Wo handelt es sich um rechte Kritik an der kulturellen Linken, die sachlich begründet und gerechtfertigt ist; und wo handelt es sich um rechte Kritik, die in nichts weiter besteht als Verzerrungen und Falschdarstellungen zu propagandistischen Zwecken. (Dasselbe gilt freilich umgekehrt in Bezug auf linke Kritik an den Rechten.) Um dies entscheiden zu können, muss man die "anti-wokeistischen" Texte rechter Autoren natürlich erst einmal lesen!

P.S.: Nicht zu vergessen, es gibt auch linke Kritik an der (postmodernen) kulturellen Linken (der KRT & GT/QT im Besonderen)!

#122:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 18.12.2023, 08:54
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
den Kulturmarxismus (fälschlicherweise)

Wie kann man nur derart grotesk den Punkt verfehlen? Um Kulturmarxismus geht es überhaupt nicht. Der Mann verbreitet öffentlich den White Genocide-Mythos, bezeichnet LGBTQ+-Leute im Erziehungssektor als "Groomer" und die LGBTQ+-Flagge als Flagge eines Todfeindes. Wer sowas macht, ist keine seriöse Quelle zum Thema CRT oder sonst irgendeinem politischen Thema, sondern ganz einfach ein rechtsextremer Hetzer. Glaubst du wirklich, dass du diese Sachen mal eben in einem Nebensatz zu einem versehentlichen "Abdriften" verharmlosen und ansonsten unter den Teppich kehren kannst, indem du dich auf den banalen Kulturmarxismus-Quatsch einschießt, der nur in einem der drei Zitate in meinem Beitrag überhaupt erwähnt wird?

Warum versuchst du eigentlich immer wieder, uns Rassisten und rechte Hetzer als seriöse Quellen zu verkaufen und diese hinterher auch noch zu zu verteidigen, wenn man dich drauf stößt? Hast du keine besseren Quellen? Das wäre allerdings auch bezeichnend.

Myron hat folgendes geschrieben:
P.S.: Nicht zu vergessen, es gibt auch linke Kritik an der (postmodernen) kulturellen Linken (der KRT & GT/QT im Besonderen)!

Na dann sollte es dir doch eigentlich leicht fallen, Quellen zu finden, die nicht öffentlich rechtsextreme Scheiße erzählen.

(Mal abgesehen davon, dass du für das, was du damit zeigen wolltest - nämlich dass es eine Grundvoraussetzung von CRT ist, eine bestimmte Art einheitlicher Kollektivstimme dogmatisch oder axiomatisch zu postulieren - eigentlich sowieso die zu kritisierenden Primärquellen aufsuchen müsstest und kritische Sekundärliteratur allenfalls zur weiteren Unterfütterung taugt.)

#123:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 18.12.2023, 11:34
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
... Um Kulturmarxismus geht es überhaupt nicht. ...

Ööööhhm ... doch? Schließlich der Marxismus die Mutter aller Verschwörungstheorien.

#124:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 18.12.2023, 21:06
    —
Für Lindsay ist die KRT eine linke Verschwörungstheorie über die weiße Rasse & Kultur, wohingegen die KRTler behaupten, Lindsays Buch Rassenmarxismus enthalte eine rechte Verschwörungstheorie über die KRT.

Zitat:
"As it happens, the word “race” in “Critical Race Theory” does not receive its usual meaning either. As featured in the Brandeis University’s glossary of terms for Diversity, Equity, and Inclusion (“Our Social Justice Definitions”), race is not the rather crude categorization approximated by skin color and ethnic heritage that we usually understand it to be. It is,

A misleading and deceptively appealing classification of human beings created by White people originally from Europe which assigns human worth and social status using the White racial identity as the archetype of humanity for the purpose of creating and maintaining privilege, power, and systems of oppression.
[Brandeis University Social Justice Glossary, "race" entry]

For Critical Race Theorists, even the definition of race itself depends upon its totalizing view about racial power dynamics. Notice immediately that it views race to be “deceptively appealing” and “created by White people originally from Europe.” This view bolsters my claim that Critical Race Theory views race—the prism through which it sees everything else—as a political construct created by white people to screw over everyone else. In fact, the definition says this explicitly. This point must be grasped deeply to comprehend Critical Race Theory, then. “Race” is its central object of interest and “the central construct for understanding inequality,” [1 and thus the world, and Critical Race Theory conceives of race as a sociopolitical construct created by white people specifically to discriminate against, disenfranchise, and dehumanize all other races. This is how it sees the world and everything in it.

This highly purposed specialized definition of the word “race” (literally the middle and only specifying word of “Critical Race Theory”) therefore shows Critical Race Theory to be a paranoid conspiracy theory. It holds that race is a politically charged socially constructed category that was created specifically by “White people originally from Europe … for the purpose of upholding [white] privilege, power, and systems of oppression,” usually identified simply enough as “white supremacy” or “systemic racism.” Put more simply, Critical Race Theory can be understood to be a vast conspiracy theory which argues that white people, both historically (which has some truth behind it) and into the present (which does not), have organized society specifically so that it produces disparate racial outcomes (“systemic racism”) that advantage themselves over everyone else, especially blacks."

(Lindsay, James. Race Marxism: The Truth about Critical Race Theory and Praxis. Orlando, FL: New Discourses, 2022. pp. 18-9)

[1 Ladson-Billings, Gloria, & William F. Tate. "Toward a Critical Race Theory of Education." Teachers College Record 97/1 (1995): 47–68. p. 50]

#125:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 18.12.2023, 22:38
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
den Kulturmarxismus (fälschlicherweise)

Wie kann man nur derart grotesk den Punkt verfehlen? Um Kulturmarxismus geht es überhaupt nicht. Der Mann verbreitet öffentlich den White Genocide-Mythos, bezeichnet LGBTQ+-Leute im Erziehungssektor als "Groomer" und die LGBTQ+-Flagge als Flagge eines Todfeindes. Wer sowas macht, ist keine seriöse Quelle zum Thema CRT oder sonst irgendeinem politischen Thema, sondern ganz einfach ein rechtsextremer Hetzer. Glaubst du wirklich, dass du diese Sachen mal eben in einem Nebensatz zu einem versehentlichen "Abdriften" verharmlosen und ansonsten unter den Teppich kehren kannst, indem du dich auf den banalen Kulturmarxismus-Quatsch einschießt, der nur in einem der drei Zitate in meinem Beitrag überhaupt erwähnt wird?


Ob Lindsay mittlerweile mit Recht zu den Rechtsextremen gezählt werden kann, scheint mir nicht so sicher wie dir. Ja, die Behauptung eines "Genozides an den Weißen" und der "Grooming"-Vorwurf kommen aus dem rechtsextremen Lager; aber das allein reicht mir nicht, um ihm ein geschlossenes oder gefestigtes rechtsextremes Weltbild zu unterstellen. In seinen drei Büchern Race Marxism, Cynical Theories (Koautorin Helen Pluckrose) und Counter Wokecraft (Koautor Charles Pincourt) ist von White Genocide & Grooming jedenfalls nicht die Rede.

Der Grooming-Vorwurf hat übrigens eine faktische Grundlage, denn Teile der Neuen Linken mit ihrer Enttabuisierung aller Formen von Sexualität und auch Teile der Neuen Neuen (Wachen) Linken mit ihrer normalitätsfeindlichen Queertheorie haben die Grenze zur Legitimierung von Pädophilie überschritten.

Siehe die Pädophilie-Debatten:

https://de.wikipedia.org/wiki/P%C3%A4dophilie-Debatte_(1970er_und_1980er_Jahre)

https://de.wikipedia.org/wiki/P%C3%A4dophilie-Debatte_(B%C3%BCndnis_90/Die_Gr%C3%BCnen)

https://de.wikipedia.org/wiki/P%C3%A4dophilenbewegung

Gayle Rubin ist eine der Mütter der Queertheorie und in ihrem sehr einflussreichen Aufsatz Thinking Sex (1984) schreibt sie Folgendes über Gesetze gegen Kinderpornographie:

Zitat:
"The laws produced by the child porn panic are ill-conceived and misdirected. They represent far-reaching alterations in the regulation of sexual behavior and abrogate important sexual civil liberties."

(Rubin, Gayle. "Thinking Sex: Notes for a Radical Theory of the Politics of Sexuality." In Pleasure and Danger: Exploring Female Sexuality, edited by Carole S. Vance, 267-319. Boston: Routledge & Kegan Paul, 1984. p. 272)


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Warum versuchst du eigentlich immer wieder, uns Rassisten und rechte Hetzer als seriöse Quellen zu verkaufen und diese hinterher auch noch zu zu verteidigen, wenn man dich drauf stößt? Hast du keine besseren Quellen? Das wäre allerdings auch bezeichnend.


Nicht alle Rechten sind Rassisten & Hetzer! Das rechte Spektrum reicht von moderaten Konservativen (Rechtsliberale & Christdemokraten) bis zu extrem Konservativen (Ultrakonservativen), Faschisten und Nationalsozialisten.

Keine Bange, ich lese auch Bücher von KRT-Kritikern wie John McWhorter (Woke Racism), die des Rechtsextremismus gänzlich unverdächtig sind. (McWhorter ist selbst ein Schwarzer. Hui!)

Rechte Autoren sind seriöse Quellen, wenn man wissen will, wie Rechte (über Linke) denken; und sie können durchaus auch seriöse Kritiker linker Ideologien sein, sofern sie sachlich argumentieren. Manchmal zitiere ich rechte Autoren, nur um deren Ansichten über Linke zu präsentieren, ohne diese selbst zu akzeptieren; aber manchmal stimme ich ihnen in bestimmten Kritikpunkten zu. Linke haben nicht immer recht, und Rechte haben nicht immer unrecht!

Tarvoc hat folgendes geschrieben:

(Mal abgesehen davon, dass du für das, was du damit zeigen wolltest - nämlich dass es eine Grundvoraussetzung von CRT ist, eine bestimmte Art einheitlicher Kollektivstimme dogmatisch oder axiomatisch zu postulieren - eigentlich sowieso die zu kritisierenden Primärquellen aufsuchen müsstest und kritische Sekundärliteratur allenfalls zur weiteren Unterfütterung taugt.)


Was die "unique voice of color" als "basic tenet" der KRT betrifft, so haben ich und Lindsay dieselbe maßgebliche Primärliteratur zitiert (Delgado & Stefancic). In seinem Buch Race Marxism finden sich viele weitere Verweise auf die Primärliteratur. (Und, soweit ich sehen kann, jeder Eintrag seiner Encyclopedia of Social Justice Terminology auf der New Discourses Website beginnt mit einem Zitat aus der einschlägigen Primärliteratur.)

#126:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 19.12.2023, 02:05
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Daneben gibt es sicher auch soziale Konstruktion bei Rasseneinteilungen.

Ach es gibt auch soziale Konstruktion bei der Rasseneinteilung! Was gibt's denn noch so bei der Rasseneinteilung außer sozialer Konstruktion? (Die statistische Konstruktion von "Subpopulationen", von der du vorher sprichst, ist ja auch schon eine soziale. Obama wird in den USA auch statistisch als Schwarzer erfasst.)

smallie hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Und bin hoffentlich nicht durch mein deutsch-sein allzu sehr in meinen Handlungs- und Meinungsoptionen eingeschränkt. Dann wäre Identität ja - ein Korsett.

Zum Glück hast du "hoffentlich" dazugeschrieben! Vielleicht kommst du mit etwas Nachdenken auch darauf, warum in diesem Zusammenhang gerne mal das Wort "Privileg" fällt.

Ein Korsett ist kein Privileg.

Ganz im Gegenteil sogar! Das Privileg ist in diesem Kontext die (relative) Abwesenheit von "Korsett". Oder noch deutlicher: Dass spezifisch du als Deutscher durch deine spezifische Identität nicht allzu sehr eingeschränkt bist, ist dein Privileg. Andere Menschen werden aufgrund ihrer Identität sehr in ihren Handlungsoptionen eingeschränkt. Dass du dich als Deutscher darüber erstaunst, dass "Identität" überhaupt je als Korsett erscheinen oder aufgefasst werden könnte, ist ein Resultat deines Privilegs.

Ich halte den Begriff Privileg in diesem Zusammenhang einfach für Unsinn - ein Privileg ist ein offiziell zugeteiltes Vorrecht.

Worum es hier aber geht, sind keine Vorrechte, sondern die Vorteile, die es mit sich bringt, ein integriertes Mitglied einer Gesellschaft zu sein. Wenn man es so formuliert, ist auch klar, dass das keine einseitige Angelegenheit ist. Es stellt sich dabei nämlich die Frage, warum hier Asiaten statistisch leichter integrierbar sind als Araber, obwohl sie, wenn wir uns in der Sauna begegnen, leichter von Westeuropäern zu unterscheiden sind als die besagten Araber. Für mich ist das ein Hinweis darauf, dass an diesen Vorteilen bzw ihrem Fehlen die Minderheiten, um die es geht, mit beteiligt sind; auch das klingt für mich nicht danach, dass es hier um Privilegien geht.

Jede Gesellschaft hat ihre Kultur und mit dieser ihre Geschichte. Jemand, der von außen kommt, aber darauf besteht, an seiner Kultur festzuhalten, verzichtet freiwillig auf Integration und sollte sich nicht beschweren, dass die in dieser Gesellschaft Beheimateten mit Privilegien aufwachsen, nur weil sie z.B. sein Herrenmenschentum, dass er als Muslim als Bestandteil seiner Kultur mitbringt, nicht anerkennen. Er mag es auch als Einschränkung empfinden, Ungläubige nicht mehr beschimpfen zu dürfen, wahrscheinlich wird er es sogar als Diskriminierungserfahrung beschreiben.

Etwas anders würde ich das in den USA sehen, wo die historische Unterscheidung in Herren und Sklaven mit Sicherheit in der Kultur dieser Gesellschaft noch in Resten vorhanden ist. Es ist aber nicht alles, was in den USA eine sinnvolle Beschreibung der Wirklichkeit darstellt, auf unsere Gesellschaft direkt anwendbar. "Check Your pivilege" halte ich in dieser Gesellschaft, die auch ihre Ungerechtigkeiten hat, aber eben andere, für keinen sinnvollen Diskussionsbeitrag.

p.s. Nachdem ich das geschrieben hatte, hab ich dann Folgendes gefunden.

https://www.deutschlandfunkkultur.de/joerg-scheller-un-check-your-privilege-100.html

kennt jemand das Buch?

noch'n p.s.

Die Subpopulationen, von denen Biologen sprechen, smallie ist m.W. einer, sind in genetischen Clusteranlysen mit ziemlicher Genauigkeit eingrenzbar. Nach normalem wissenschaftlichen Verständnis ist das das Gegenteil einer sozialen Konstruktion.

#127:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 19.12.2023, 02:47
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Ja, die Behauptung eines "Genozides an den Weißen" und der "Grooming"-Vorwurf kommen aus dem rechtsextremen Lager; aber das allein reicht mir nicht, um ihm ein geschlossenes oder gefestigtes rechtsextremes Weltbild zu unterstellen.

Es reicht, um ihn als seriöse Quelle zu Themen wie CRT auszuschließen. Und das ist auch - mal wieder - überhaupt nicht diskutierbar.

Myron hat folgendes geschrieben:
Der Grooming-Vorwurf hat übrigens eine faktische Grundlage

Du meinst so eine wie die hier?

https://www.nbcnews.com/politics/politics-news/end-child-marriage-u-s-you-might-be-surprised-who-n1050471

https://www.businessinsider.com/mike-moon-gop-missouri-lawmaker-defends-childs-right-to-marry-2023-4

https://www.rollingstone.com/politics/politics-news/child-marriage-ban-struck-down-west-virginia-republicans-1234693670/

Nach deiner Logik hat es auch eine (sogar deutlich solidere) "faktische Grundlage", Konservative und protestantische Christen als Pädophile zu bezeichnen.
In den USA sind es die Rechten, die Child Marriage verteidigen und durchsetzen. Und zwar ausschließlich die Rechten.

Myron hat folgendes geschrieben:
Gayle Rubin ist eine der Mütter der Queertheorie und in ihrem sehr einflussreichen Aufsatz Thinking Sex (1984) schreibt sie Folgendes über Gesetze gegen Kinderpornographie:

Zitat:
"The laws produced by the child porn panic are ill-conceived and misdirected. They represent far-reaching alterations in the regulation of sexual behavior and abrogate important sexual civil liberties."

(Rubin, Gayle. "Thinking Sex: Notes for a Radical Theory of the Politics of Sexuality." In Pleasure and Danger: Exploring Female Sexuality, edited by Carole S. Vance, 267-319. Boston: Routledge & Kegan Paul, 1984. p. 272)

Auf welche Gesetze bezieht sie sich denn damit genau? Ohne diese Information ist das Zitat selbst bezüglich der Person Gayle Rubin völlig wertlos.

Myron hat folgendes geschrieben:
Nicht alle Rechten sind Rassisten & Hetzer!

Hier geht es aber nicht um alle Rechten und ich disqualifiziere Lindsay nicht deshalb, weil er ein Rechter ist. Wer von "white genocide" schwadroniert, ist mindestens ein Rassist, weil der Begriff überhaupt nur im Kontext eines rassistischen Weltbildes Sinn ergibt.

#128:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 19.12.2023, 02:52
    —
In seinem Buch The Marxification of Education (2022) verwendet Lindsay das Verb "to groom". Er verwendet darin "grooming" aber im Sinn von "brainwashing". So spricht er beispielsweise von "the grooming of children into 'critically conscious' activist 'change agents'" (p. 3).

Zitat:
"…This is not what education should be about, and it cannot be what education is about in any nation that hopes to survive long into the future. In fact, it isn’t education at all. It is, in a phrase, thought reform, which Robert Jay Lifton gave as the formal translation for the Mandarin Chinese xinao, which literally translates as “wash brain,” or, more commonly, brainwashing. Another apt term in our more contemporary context is (cult) grooming."

(Lindsay, James. The Marxification of Education: Paulo Freire's Critical Marxism and the Theft of Education. Orlando, FL: New Discourses, 2022. p. xvi)


"To groom" ist aber eigentlich kein Synonym von "to brainwash". Eine Bedeutung ist "to make (someone) ready for a specific objective: prepare" (Merriam-Webster), und eine andere ist "to build a trusting relationship with (a minor) in order to exploit them especially for nonconsensual sexual activity" (Merriam-Webster). Im ersteren, nichtsexuellen Sinn ist grooming eine Vorbereitung auf oder Heranführung an etwas (eine bestimmte soziale Rolle), wobei es sich um eine Ausbildung oder Erziehung handeln kann, die nichts mit Gehirnwäsche zu tun hat.

Auch wenn Lindsay das Wort im genannten Buch nicht im sexuellen Sinn gebraucht, so kann ihm dessen unterschwellige sexuelle Bedeutung nicht entgangen sein. Von daher drängt sich mir der Verdacht auf, dass er im pädagogischen Kontext seines Buchthemas bewusst von grooming spricht, um die rechtspropagandistische Assoziation von linker Pädagogik und Pädophilie in den Köpfen seiner Leser zu verstärken. Seine Wortwahl ist sicher nicht zufällig. Er hätte ja auf das Wort "to groom" verzichten und stattdessen nur "to brainwash" verwenden können, das keine sexuelle Konnotation hat wie "to groom". Mein Verdacht wird durch Folgendes bestätigt, denn am Ende seines Buches spielt er in einer Äußerung über die Queertheorie doch auf sexual grooming an:

Zitat:
"Queer Theory cannot be ignored on this front, either. It openly articulates its hostility to the concepts of childhood innocence and developmental appropriateness, and engaging in adult-child relationships (say, with drag queens) on these topics (in a Freirean way) as equals is not only ideological grooming on topics related to sex and sexuality but also a wide-open door to the darkest understandings of what the word “grooming” represents. It also willfully tends toward establishing parents as the problem and teachers as facilitators of and collaborators in (queer) children’s liberation from them and their oppression."

(Lindsay, James. The Marxification of Education: Paulo Freire's Critical Marxism and the Theft of Education. Orlando, FL: New Discourses, 2022. pp. 183-4)


Allerdings: Rechte Verschwörungstheorie hin oder her, die linke Ideologie der sexuellen Befreiung hat in bestimmten Kreisen zu einer Enttabuisierung und Legitimierung von Pädophilie geführt, die in der zeitgenössischen Queertheorie/-pädagogik nachhallt, welcher nun der Vorwurf der "Frühsexualisierung" gemacht wird (z.B. durch "drag-pädagogische" Veranstaltungen für Kinder—von denen auch ich nicht begeistert bin).


Zuletzt bearbeitet von Myron am 19.12.2023, 02:55, insgesamt einmal bearbeitet

#129:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 19.12.2023, 02:52
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Die Subpopulationen, von denen Biologen sprechen, smallie ist m.W. einer, sind in genetischen Clusteranlysen mit ziemlicher Genauigkeit eingrenzbar. Nach normalem wissenschaftlichen Verständnis ist das das Gegenteil einer sozialen Konstruktion.

Das ist ja schön, nur ist die Frage, was das hier in der Diskussion verloren hat. Hier ging es ja darum, warum z. B. Obama gesellschaftlich als Schwarzer eingestuft wird und nicht als Weißer und was das für den gesellschaftlichen Rassebegriff bedeutet.

#130:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 19.12.2023, 03:30
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Ja, die Behauptung eines "Genozides an den Weißen" und der "Grooming"-Vorwurf kommen aus dem rechtsextremen Lager; aber das allein reicht mir nicht, um ihm ein geschlossenes oder gefestigtes rechtsextremes Weltbild zu unterstellen.

Es reicht, um ihn als seriöse Quelle zu Themen wie CRT auszuschließen. Und das ist auch - mal wieder - überhaupt nicht diskutierbar.


Wie genau definierst du "seriöse Quelle"? Lindsays Bücher sind sowohl beschreibend als auch bewertend. Für die Seriosität als Informationsquelle über die Linken ist die Richtigkeit seiner Beschreibungen der Theorie & Praxis seiner politischen Gegner maßgeblich. Seinen (negativen) Bewertungen mag man zustimmen oder nicht.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Der Grooming-Vorwurf hat übrigens eine faktische Grundlage

Du meinst so eine wie die hier?

Nach deiner Logik hat es auch eine (sogar deutlich solidere) "faktische Grundlage", Konservative und protestantische Christen als Pädophile zu bezeichnen.
In den USA sind es die Rechten, die Child Marriage verteidigen und durchsetzen. Und zwar ausschließlich die Rechten.


Linksideologisch gerechtfertigte Sexualität mit Kindern wird dadurch nicht entschuldbar, dass bestimmte Rechte die Kinderehe befürworten.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Gayle Rubin ist eine der Mütter der Queertheorie und in ihrem sehr einflussreichen Aufsatz Thinking Sex (1984) schreibt sie Folgendes über Gesetze gegen Kinderpornographie:

Zitat:
"The laws produced by the child porn panic are ill-conceived and misdirected. They represent far-reaching alterations in the regulation of sexual behavior and abrogate important sexual civil liberties."

(Rubin, Gayle. "Thinking Sex: Notes for a Radical Theory of the Politics of Sexuality." In Pleasure and Danger: Exploring Female Sexuality, edited by Carole S. Vance, 267-319. Boston: Routledge & Kegan Paul, 1984. p. 272)

Auf welche Gesetze bezieht sie sich denn damit genau? Ohne diese Information ist das Zitat selbst bezüglich der Person Gayle Rubin völlig wertlos.


Hier kannst du den ganzen Aufsatz runterladen und lesen: https://bpb-us-e2.wpmucdn.com/sites.middlebury.edu/dist/2/3378/files/2015/01/Rubin-Thinking-Sex.pdf

#131:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 19.12.2023, 04:06
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Für die Seriosität als Informationsquelle über die Linken ist die Richtigkeit seiner Beschreibungen der Theorie & Praxis seiner politischen Gegner maßgeblich. Seinen (negativen) Bewertungen mag man zustimmen oder nicht.

Lachen Als ob in der Behauptung, CRT führe zu White Genocide, der Anspruch auf Faktizität der Behauptung überhaupt von der in ihr implizierten Bewertung abtrennbar wäre. Wo und wie genau ziehst du denn da die Grenze? Mit den Augen rollen

Myron hat folgendes geschrieben:
Linksideologisch gerechtfertigte Sexualität mit Kindern wird dadurch nicht entschuldbar, dass bestimmte Rechte die Kinderehe befürworten.

Myron. Du hast gesagt, der Vorwurf des Grooming an LGBTQ+-Personen im Erziehungsbereich sei nicht ohne faktische Basis. Entweder weißt du nicht, wie dieser Vorwurf nicht nur in den USA im Diskurs wirklich gebraucht wird (aber für so naiv halte ich dich nicht), oder du müsstest der selben Logik nach zugeben, dass der Vorwurf, Konservative seien Pädophile, nach dem selben Maßstab auch nicht ohne faktische Basis ist. Was das zeigt, ist, dass du mit zweierlei Maß misst. Im Gegensatz zu "Linksideologen" verteidigen und befördern amerikanische Konservative tatsächlich aktiv in gesetzgebenden Organen Gesetze, die sexuelle Verhältnisse zwischen Erwachsenen und Kindern legalisieren und befördern. Bei deinen "Linksideologen" hättest du sowas erstmal zu zeigen. Wie gesagt: Du misst grob mit zweierlei Maß. (Dass du von Dingen wie Drag Queen Story Hour nicht begeistert bist, ist zur Kenntnis genommen, aber ich hoffe doch sehr, dass du das nicht auf eine Stufe mit Child Marriage stellen willst.)

In den Aufsatz von Gayle Rubin habe ich mal reingelesen, der ist schon hochproblematisch, insofern gestehe ich dir den Punkt mal zu. Aber zumindest hat sie sich wohl 2011 von genau diesem Kapitel distanziert.

#132:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 19.12.2023, 04:15
    —
Zitat:
"A radical theory of sex must identify, describe, explain, and denounce erotic injustice and sexual oppression. Such a theory needs refined conceptual tools which can grasp the subject and hold it in view. It must build rich descriptions of sexuality as it exists in society and history. It requires a convincing critical language that can convey the barbarity of sexual persecution."

(Rubin, Gayle. "Thinking Sex: Notes for a Radical Theory of the Politics of Sexuality." In Pleasure and Danger: Exploring Female Sexuality, edited by Carole S. Vance, 267-319. Boston: Routledge & Kegan Paul, 1984. p. 275)


Die Frage ist, wie weit "die erotische Ungerechtigkeit" und "die sexuelle Unterdrückung" gehen, die radikale Linke wie Rubin beseitigen wollen. Gehört das Verbot von Sexualität unter Kindern oder von Kindern mit Erwachsenen dazu?
Sexueller Liberalismus ist schön und gut, aber er ist etwas anderes als sexueller Libertinismus, der vor nichts haltmacht.

Die Queertheorie hat das erklärte Ziel "to challenge the sexual order." (* Sie will die geltenden "bourgeoisen" Normalitäten und Normativitäten (Normen) auch im Bereich der Sexualität radikal de(kon)struieren.

(* Warner, Michael. Introduction to Fear of a Queer Planet: Queer Politics and Social Theory, edited by Michael Warner, vii-xxxi. Minneapolis, MN: University of Minnesota Press, 1993. p. x)

#133:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 19.12.2023, 04:31
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Die Frage ist, wie weit "die erotische Ungerechtigkeit" und "die sexuelle Unterdrückung" gehen, die radikale Linke wie Rubin beseitigen wollen. Gehört das Verbot von Sexualität unter Kindern oder von Kindern mit Erwachsenen dazu?


https://en.wikipedia.org/wiki/Gayle_Rubin

Wikipedia hat folgendes geschrieben:
In a 2011 reflection on "Rethinking Sex", Rubin clarified that her "comments on sex and children were made in a different context", at a time in the 1980s when moral panics about Satanists and kidnappers were prevalent, and she never imagined people would claim she "supported the rape of pre-pubescents."


Nicht nur war das wohl zu keinem Zeitpunkt Rubins Absicht, sondern diesem Zitat zufolge schien sie 2011 regelrecht überrascht darüber gewesen zu sein, dass ihr Buch jemals bei irgendwem einen solchen Eindruck erzeugen konnte.

#134:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 19.12.2023, 04:36
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Für die Seriosität als Informationsquelle über die Linken ist die Richtigkeit seiner Beschreibungen der Theorie & Praxis seiner politischen Gegner maßgeblich. Seinen (negativen) Bewertungen mag man zustimmen oder nicht.

Lachen Als ob in der Behauptung, CRT führe zu White Genocide, der Anspruch auf Faktizität der Behauptung überhaupt von der in ihr implizierten Bewertung abtrennbar wäre. Wo und wie genau ziehst du denn da die Grenze? Mit den Augen rollen


Wenn sich schon die Beschreibung als falsch herausstellt (entweder als unbewusste Fehldarstellung oder als bewusste Lüge des Autors), dann ist die darauf fußende Bewertung natürlich faul.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Linksideologisch gerechtfertigte Sexualität mit Kindern wird dadurch nicht entschuldbar, dass bestimmte Rechte die Kinderehe befürworten.

Myron. Du hast gesagt, der Vorwurf des Grooming an LGBTQ+-Personen im Erziehungsbereich sei nicht ohne faktische Basis. Entweder weißt du nicht, wie dieser Vorwurf nicht nur in den USA im Diskurs wirklich gebraucht wird (aber für so naiv halte ich dich nicht), oder du müsstest der selben Logik nach zugeben, dass der Vorwurf, Konservative seien Pädophile, nach dem selben Maßstab auch nicht ohne faktische Basis ist. Was das zeigt, ist, dass du mit zweierlei Maß misst. Im Gegensatz zu "Linksideologen" verteidigen und befördern amerikanische Konservative tatsächlich aktiv in gesetzgebenden Organen Gesetze, die sexuelle Verhältnisse zwischen Erwachsenen und Kindern legalisieren und befördern. Bei deinen "Linksideologen" hättest du sowas erstmal zu zeigen. Wie gesagt: Du misst grob mit zweierlei Maß. (Dass du von Dingen wie Drag Queen Story Hour nicht begeistert bist, ist zur Kenntnis genommen, aber ich hoffe doch sehr, dass du das nicht auf eine Stufe mit Child Marriage stellen willst.)


Nein, und falsche generische Generalisierungen wie "Schwule sind pädophil/neigen zur Pädophilie" weise ich gegenüber jedem Rechten entschieden zurück. Wenn, wie in Russland, repressive Gesetze gegen Schwule mit dem Schutz von Kindern begründet werden, dann steigt auch mir die Zornesröte ins Gesicht.

#135:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 19.12.2023, 12:50
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Die Subpopulationen, von denen Biologen sprechen, smallie ist m.W. einer, sind in genetischen Clusteranlysen mit ziemlicher Genauigkeit eingrenzbar. Nach normalem wissenschaftlichen Verständnis ist das das Gegenteil einer sozialen Konstruktion.

Das ist ja schön, nur ist die Frage, was das hier in der Diskussion verloren hat. Hier ging es ja darum, warum z. B. Obama gesellschaftlich als Schwarzer eingestuft wird und nicht als Weißer und was das für den gesellschaftlichen Rassebegriff bedeutet.

Es war auch Dir immerhin einen Satz wert, wenn er auch inhaltlich falsch war.

Lustiger ist, dass Du auf meine eigentliche Frage, nämlich danach wie sinnvoll es ist, das in den USA wenigstens nicht völlig sinnbefreite "Check Your privilege", das Du und tillich regelmäßig zitieren, auf die europäische Gesellschaft zu übertragen.

#136:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 20.12.2023, 05:41
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Lustiger ist, dass Du auf meine eigentliche Frage, nämlich danach wie sinnvoll es ist, das in den USA wenigstens nicht völlig sinnbefreite "Check Your privilege", das Du und tillich regelmäßig zitieren, auf die europäische Gesellschaft zu übertragen.

Also zunächst mal ist das Gefettete zumindest was mich angeht rotzfrech gelogen. Der Satz "Check Your Privilege" kommt laut Suchfunktion in meinen Beiträgen in meiner ganzen Geschichte hier im Forum kein einziges Mal vor, und auch die Wortsuche nach "Privileg" mit Autor "Tarvoc" zeitigt wesentlich weniger Resultate, als dass von einer Regelmäßigkeit die Rede sein könnte. Beim stichprobenartigen Durchgehen der immerhin ganzen 83 Suchergebnisse unter meinen insgesamt 43771 Beiträgen steht in vielen von ihnen das Wort "Privileg" sogar nur in einem Zitat. Und wenn man die Zeitstempel vergleicht, findet man zwischen den einzelnen Diskussionen, wo ich dieses Wort mal verwende, "regelmäßige" größere Abstände von etwa zwölf bis fünfzehn Monaten.

Warum tillich hier überhaupt von Relevanz sein soll, weiß ich zwar nicht, aber da ich ja sonst nichts Besseres mit meiner Zeit anzufangen habe, überprüfe ich deine Behauptung doch auch gleich mal bezüglich tillich. Bei tillich kommt das Wort "Privileg" relativ zur Beitragszahl schon etwas häufiger vor als bei mir, nämlich immerhin 56mal in insgesamt nur 21604 Beiträgen - und auch dort müsste man natürlich jetzt noch die Fälle herausrechnen, wo das Wort nur in einem Zitat auftaucht. Auch dort gibt es aber ähnlich lange Lücken zwischen den einzelnen Diskussionen wie bei mir, bzw. teilweise sogar noch größere Lücken von bis zu zwei Jahren. tillich hat 2018 mal eine sehr lange Diskussion darüber mit vielen Beiträgen geführt, was bei ihm die Nummer nach oben pumpt. Insgesamt dürfte das Thema bei ihm von dieser einen Ausnahme abgesehen sogar weniger regelmäßig vorkommen als bei mir (was ich tatsächlich nicht erwartet hätte). Dafür kommt der Satz "Check Your Privilege" bei tillich tatsächlich sogar einmal auch außerhalb von Zitaten vor. Allerdings nur in einer an beachbernie gerichteten Erklärung, wie er zu verstehen ist, nachdem beachbernie selbst ihn als erster verwendet hatte. Ein einziger Vorfall qualifiziert sich aber auch unabhängig davon ganz sicher auch nicht als "regelmäßig". Also auch hier: Dreist gelogen deinerseits.

Davon abgesehen: Was ich sogar noch viel lustiger finde, ist, dass du damit überhaupt nicht inhaltlich auf das tatsächlich von mir Gesagte eingehst, sondern ausschließlich auf die reine Formalität, dass ich ein bestimmtes Wort dafür verwende. Mit Verlaub: Selbst wenn ich dir die Gründe dafür, dieses Wort nicht zu mögen, allesamt zugebe, dann liegt diese Art der "Kritik" trotzdem tatsächlich immer noch unterhalb der Schwelle dessen, was ich für interessant oder der Aufmerksamkeit wert halte.
Ich weiß aber natürlich nicht, ob das eine Antwort darauf ist, warum "ich auf deine eigentliche Frage", weil du offenbar nicht in der Lage warst, daraus einen grammatikalisch vollständigen deutschen Satz zu machen. Mit den Augen rollen

#137:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 20.12.2023, 16:10
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Lustiger ist, dass Du auf meine eigentliche Frage, nämlich danach wie sinnvoll es ist, das in den USA wenigstens nicht völlig sinnbefreite "Check Your privilege", das Du und tillich regelmäßig zitieren, auf die europäische Gesellschaft zu übertragen.

Also zunächst mal ist das Gefettete zumindest was mich angeht rotzfrech gelogen. Der Satz "Check Your Privilege" kommt laut Suchfunktion in meinen Beiträgen in meiner ganzen Geschichte hier im Forum kein einziges Mal vor, und auch die Wortsuche nach "Privileg" mit Autor "Tarvoc" zeitigt wesentlich weniger Resultate, als dass von einer Regelmäßigkeit die Rede sein könnte. Beim stichprobenartigen Durchgehen der immerhin ganzen 83 Suchergebnisse unter meinen insgesamt 43771 Beiträgen steht in vielen von ihnen das Wort "Privileg" sogar nur in einem Zitat. Und wenn man die Zeitstempel vergleicht, findet man zwischen den einzelnen Diskussionen, wo ich dieses Wort mal verwende, "regelmäßige" größere Abstände von etwa zwölf bis fünfzehn Monaten.
.....

Man kann natürlich das Wort zitieren hier ganz genau auslegen, um dem anderen eine Lüge zu unterstellen. Muss man aber nicht. Ich habe hier das "Argument" "Check Your privilege" benutzt, um ein bestimmtes Argumentationsmuster zu bezeichnen. Und genau dieses Argumentationsmuster benutzt Du nicht nur bei smallie, sondern relativ regelmäßig , wenn Du versuchst, uns einzureden, bei einer normalen Stellung in unserer Gesellschaft handele es sich um ein Privileg. (Dein Bezug auf Deine 43 000 Beiträge ist da nicht wirklich geeignet, etwas über die Regelmäßigkeit zu sagen - dazu müsste man diese Suche schon thematisch eingrenzen. Habe ich natürlich auch nicht gemacht, ich gebe da nur meinen subjektiven Eindruck wieder.)

Interessant eigentlich nur dieser Konditionalsatz im Indikativ:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
....Mit Verlaub: Selbst wenn ich dir die Gründe dafür, dieses Wort nicht zu mögen, allesamt zugebe...

Sollte es sich da etwa um eine versteckte inhaltliche Zustimmung handeln?

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ich weiß aber natürlich nicht, ob das eine Antwort darauf ist, warum "ich auf deine eigentliche Frage", weil du offenbar nicht in der Lage warst, daraus einen grammatikalisch vollständigen deutschen Satz zu machen. Mit den Augen rollen

Tatsächlich. Da fehlt ein "nicht antwortest".
Aber Du hast den Satz anscheinend trotzdem richtig verstanden. Ist auch nicht sehr schwer,

#138:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 20.12.2023, 17:39
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Habe ich natürlich auch nicht gemacht, ich gebe da nur meinen subjektiven Eindruck wieder.)

Wie nennt man das eigentlich, wenn man Vorwürfe gegen andere Leute wissentlich und absichtlich ausschließlich auf völlig undurchsichtigen Kriterien und nicht weiter verifizierten "subjektiven Eindrücken" gründet? Stimmt, "Lüge" passt da nicht so ganz. Ist dir Harry G. Frankfurts Begriff dafür geläufig? Wärst du mit dem eher einverstanden?

fwo hat folgendes geschrieben:
Ich habe hier das "Argument" "Check Your privilege" benutzt, um ein bestimmtes Argumentationsmuster zu bezeichnen. Und genau dieses Argumentationsmuster benutzt Du nicht nur bei smallie, sondern relativ regelmäßig , wenn Du versuchst, uns einzureden, bei einer normalen Stellung in unserer Gesellschaft handele es sich um ein Privileg.

Eine "normale" Stellung ist im Vergleich zu einer systematisch benachteiligten Stellung ein Privileg. Was denn bitte sonst? Mit den Augen rollen

Vergegenwärtigen wir uns nochmal des Kontextes. Smallie war erstaunt darüber, dass manche Leute ihre Identität als Korsett empfinden könnten - als sei er zu dem Zeitpunkt zum ersten Mal überhaupt darauf gestoßen, dass es Menschen gibt, denen von außen eine sie einschränkende Identität zugewiesen wird und die sich davon eingeengt fühlen. Stimmt, dafür passt der englische Ausdruck privileged eigentlich nicht - sheltered wäre treffender. So wie ich das sehe, dürfte es ein Ausnahmefall sein, mit der Möglichkeit "korsetthaft" einschränkender Identitätszuschreibung überhaupt noch nie konfrontiert worden zu sein. Damit konfrontiert worden zu sein ist hingegen - um Walter Benjamin zu zitieren - "der Ausnahmezustand, der unser Leben ist". Aber klar, der Gedanke, dass an der "Normalität", die sein Leben ist, irgendwas seinen Blick auf andere Lebenswirklichkeiten einschränken oder eine kritische Auseinandersetzung erfordern könnte, ist jedem anständigen Strukturkonservativen natürlich Anathema.

fwo hat folgendes geschrieben:
Interessant eigentlich nur dieser Konditionalsatz im Indikativ:

Wenn du den Satz so interessant findest, warum zitierst du ihn dann nicht ganz? Ist der Rest womöglich deinem Narrativ im Weg?

Übrigens stimme ich dir auch hier nicht zu. Interessant ist eigentlich der Satz vor diesem:

Was ich sogar noch viel lustiger finde, ist, dass du damit überhaupt nicht inhaltlich auf das tatsächlich von mir Gesagte eingehst, sondern ausschließlich auf die reine Formalität, dass ich ein bestimmtes Wort dafür verwende.

Selbst dein einer Satz über den "normalen" Status in der Gesellschaft im letzten Beitrag, der übrigens mindestens einen Beitrag früher hätte fallen sollen, macht zwar zumindest etwas deutlicher, was eigentlich dein Problem ist, aber auch hier wieder nur in reiner Abstraktion und ohne jeden Bezug zu dem, was ich hier tatsächlich geschrieben hatte bzw. worum sich die Diskussion an diesem Punkt konkret drehte. Dass wir überhaupt bei dem Thema eines angeblich regelmäßigen Diskussionsverhaltens angekommen sind, zeigt ja schon, wie wenig du dich auf die konkrete Diskussionssituation einlassen willst.

fwo hat folgendes geschrieben:
Sollte es sich da etwa um eine versteckte inhaltliche Zustimmung handeln?

Eher um eine unversteckte Offenheit für Argumente, wenn denn mal welche kämen. Aber von mir aus kannst du natürlich gerne überhaupt alles, was ich schreibe, als versteckte inhaltliche Zustimmung uminterpretieren. Inzwischen bist du ja ohnehin an dem Punkt, wo ich Diskussion de bonne foi von dir nicht mehr wirklich erwarte.


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 20.12.2023, 18:27, insgesamt einmal bearbeitet

#139:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 20.12.2023, 18:26
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
...
Eine "normale" Stellung ist im Vergleich zu einer systematisch benachteiligten Stellung ein Privileg. Was denn bitte sonst? Mit den Augen rollen ...

Normal. Was denn sonst?
Indem Du sie zum Privileg erhebst, machst Du die systematisch benachteiligte Stellung zum Normalen.

Dann haben wir eine Gesellschaft mit 5%? Normalen und 95%? Priviliegierten?
Wer soll denn dann die Arbeit machen?

Der Begriff Priivileg ist in diesem Zusammenhang inhaltlich irreführend. So nach dem Motto: Was, Du hast nur 100 000€ Schulden? Dann bist Du ja richtig reich relativ zu denen, die gar kein Geld haben.

#140:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 20.12.2023, 18:29
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
...
Eine "normale" Stellung ist im Vergleich zu einer systematisch benachteiligten Stellung ein Privileg. Was denn bitte sonst? Mit den Augen rollen ...

Normal. Was denn sonst? Indem Du sie zum Privileg erhebst, machst Du die systematisch benachteiligte Stellung zum Normalen.

Nein, ich problematisiere den momentanen gesellschaftlichen Normalzustand, zu dem die systematische Benachteiligung einiger Menschen gehört. Du verstehst den Unterschied?

fwo hat folgendes geschrieben:
Dann haben wir eine Gesellschaft mit 5%? Normalen und 95%? Priviliegierten?
Wer soll denn dann die Arbeit machen?

Dass es eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher Privilegien gibt und nicht arbeiten zu müssen nur eins davon ist, und noch dazu überhaupt nicht das, um das es hier in der Diskussion ging, kommt dir mal wieder nicht in den Sinn. Oder besser gesagt: Es kommt dir in den Sinn, du weißt das sogar ganz genau, für so ignorant und leseschwach halte ich dich nicht. Es ist dir einfach nur völlig egal, worum es anderen Leuten in ihren Beiträgen eigentlich geht oder wovon die Diskussion eigentlich handelt.

fwo hat folgendes geschrieben:
Der Begriff Priivileg ist in diesem Zusammenhang inhaltlich irreführend. So nach dem Motto: Was, Du hast nur 100 000€ Schulden? Dann bist Du ja richtig reich relativ zu denen, die gar kein Geld haben.

Der Vergleich fängt selbst im Kontext dessen, was du vorher geschrieben hattest, nicht einmal an, Sinn zu geben. Warum gibst du nicht einfach offen zu, dass du mich nur verscheißern willst? Anständig diskutieren willst du ja ganz offensichtlich nicht.

#141:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 21.12.2023, 15:27
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Smallie war erstaunt darüber, dass manche Leute ihre Identität als Korsett empfinden könnten - als sei er zu dem Zeitpunkt zum ersten Mal überhaupt darauf gestoßen, dass es Menschen gibt, denen von außen eine sie einschränkende Identität zugewiesen wird und die sich davon eingeengt fühlen.

Von zugewiesener Identität steht bei mir kaum was. Im Gegenteil. Wenn ich sage: Nenne fünf Merkmale schwarzer Identität, dann sind keine zugeschriebenen Merkmale gemeint. Ausdrücklich steht da, daß Zuschreibungen nicht gelten:

smallie hat folgendes geschrieben:
3) Wenn das nächste Mal jemand von der schwarzen Identität spricht oder von der deutschen, dann bitte nachhaken und Auskunft verlangen, was diese Identitäten ausmacht. Klischees und Vorurteile gelten nicht,


Mein Verweis auf Albions Seed sollte darlegen: Identitäten werden über Generationen "vererbt". Nochmal fwo vs. tillich: Mein tunesisch-stämmiger Kollege sagt, im Arabischen sei Jude ein Schimpfwort. Man ist in arabisch geprägten Ländern tendenziell anti-jüdisch. Wenn nur 5 oder 10% aller Araber in Deutschland diese Denktradition übernehmen, dann erklärt das, was man nach dem 7. Oktober beobachten konnte.

Das geht noch viel weiter. In Deutschland ist man tendenziell Anti-Atom, in Frankreich ist man pro. Bei rationaler Urteilsfindung sollte man in allen Ländern auf die gleichen Prozentsätze pro/contra kommen. Falls nicht, spielt etwas hinein, daß nicht in der Sache liegt. Man steckt in einem nationalen Korsett.

Und noch weiter: "Du bleibst am Tisch sitzen, bis alle aufgegessen haben." Bei mir zuhause im Bauerndorf gab's das nicht. Das scheint eher Teil bürgerlicher Tradition zu sein.

Aus vielen solchen kleinen Dingen setzt sich Identität zusammen.


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
So wie ich das sehe, dürfte es ein Ausnahmefall sein, mit der Möglichkeit "korsetthaft" einschränkender Identitätszuschreibung überhaupt noch nie konfrontiert worden zu sein. Damit konfrontiert worden zu sein ist hingegen - um Walter Benjamin zu zitieren - "der Ausnahmezustand, der unser Leben ist". Aber klar, der Gedanke, dass an der "Normalität", die sein Leben ist, irgendwas seinen Blick auf andere Lebenswirklichkeiten einschränken oder eine kritische Auseinandersetzung erfordern könnte, ist jedem anständigen Strukturkonservativen natürlich Anathema.

Bei mir steht nichts von einschränkender Identitätszuschreibung.

Nochmal zum Korsett. Was sollte der Absatz zur AfD? Die behaupten eine deutsche Identität, die mit anderen europäischen Identitäten nicht kompatibel ist. Was mich diesen Satz schreiben ließ:

smallie hat folgendes geschrieben:
Und [ich] bin hoffentlich nicht durch mein deutsch-sein allzu sehr in meinen Handlungs- und Meinungsoptionen eingeschränkt. Dann wäre Identität ja - ein Korsett.


Wenn der AfDler denkt, denkt er nicht selbst, sondern läßt seine Identität denken und es kommen nur deutsche Gedanken heraus. Wenn das kein Korsett ist. Ein selbstgewähltes, kein von außen zugeschriebenes.

Allerdings ist niemand davor gefeit, kulturelle Scheuklappen aufzuhaben. Das ist kein Problem nur der AfD - sondern allgegenwärtig, siehe Albion's Seed. In dem Sinn: check your bias.

#142:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 21.12.2023, 15:51
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Bei mir steht nichts von einschränkender Identitätszuschreibung.

Eben.

#143:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 21.12.2023, 16:49
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Nochmal zum Korsett. Was sollte der Absatz zur AfD? Die behaupten eine deutsche Identität, die mit anderen europäischen Identitäten nicht kompatibel ist. Was mich diesen Satz schreiben ließ:

Vielen Dank für die Klärung, da hatte ich dich wohl tatsächlich missverstanden. Dein Beitrag reißt zu viele heterogene Aspekte des Themas an, als dass mir klar geworden wäre, dass es dir bei dieser Äußerung spezifisch nur um selbstgewählte Korsetts wie die Deutschtümelei der AfD ging. Nicht alle Verkürzungen eines Menschen auf eine bestimmte partielle (ethnische, nationale, sexuelle, etc.) Identität sind ja vom betreffenden Subjekt selbst gewählt. Darum ging es mir. Und mir erschien es so, als wolltest du damit Erstaunen ausdrücken, dass Identität überhaupt ein Korsett sein kann. Das war meine Fehlinterpretation.

#144:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 23.12.2023, 15:37
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
...Identitäten werden über Generationen "vererbt". ...
...AfD? Die behaupten eine deutsche Identität, ...

Beides völlig richtig. Deutsche Schäferhund Welpen bringen EUR 1200,- nur mit Stammbaum.

#145:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 23.12.2023, 17:39
    —
Mir ist überhaupt nicht ganz klar, was Wokismus mit der GWUP zu tun hat. Außer dass Wokies versuchen aus ein gesellschaftliches Thema ein wissenschaftliches zu machen.

#146:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 23.12.2023, 18:56
    —
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Mir ist überhaupt nicht ganz klar, was Wokismus mit der GWUP zu tun hat. Außer dass Wokies versuchen aus ein gesellschaftliches Thema ein wissenschaftliches zu machen.

Das umgekehrte war meines Wissens der Fall, nämlich dass Anti-"Woke"-Aktivisten die GWUP für ihre Zwecke nutzen bzw. missbrauchen wollten und dann ganz erbost waren, dass viele dem nicht folgen wollten. (Aber das ist nur aus der Erinnerung, ich müsste dem noch mal nachforschen.)

Die Grenze zwischen naturwissenschaftlicher Kritik an naturwissenschaftlich falschen Aussagen und naturwissenschaftlicher Übergriffigkeit in andere Gebiete, bei denen naturwissenschaftliche Fragen gar nicht der Streitpunkt sind, sieht eben nicht jeder.

#147:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 24.12.2023, 01:13
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Die Grenze zwischen naturwissenschaftlicher Kritik an naturwissenschaftlich falschen Aussagen und naturwissenschaftlicher Übergriffigkeit in andere Gebiete, bei denen naturwissenschaftliche Fragen gar nicht der Streitpunkt sind, sieht eben nicht jeder.

... so sind ja bekanntlich auch viele Kreationisten der Meinung, dass Schöpfung - richtig verstanden - überhaupt keine naturwissenschaftlichen Fragen berührt.

#148:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 24.12.2023, 01:24
    —
VanHanegem hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Die Grenze zwischen naturwissenschaftlicher Kritik an naturwissenschaftlich falschen Aussagen und naturwissenschaftlicher Übergriffigkeit in andere Gebiete, bei denen naturwissenschaftliche Fragen gar nicht der Streitpunkt sind, sieht eben nicht jeder.

... so sind ja bekanntlich auch viele Kreationisten der Meinung, dass Schöpfung - richtig verstanden - überhaupt keine naturwissenschaftlichen Fragen berührt.

Wenn Christen diese Meinung vertreten (was ich auch tue, allerdings auch immer unter dem Caveat "richtig verstanden") und die Linie zwischen Naturwissenschaft und Religion sinnvoll ziehen, sind sie keine Kreationisten.

Diese greifen nämlich sehr wohl in den Bereich der Naturwissenschaft über. Die Benennung der Gruppe als "Kreationisten" ist insofern irreführend, als es ja nicht um Schöpfungsglauben überhaupt geht, sondern um genau die Art von Schöpfungsglauben, die biblische Aussagen als naturwissenschaftliche liest.

#149:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 24.12.2023, 13:07
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:


Die Grenze zwischen naturwissenschaftlicher Kritik an naturwissenschaftlich falschen Aussagen und naturwissenschaftlicher Übergriffigkeit in andere Gebiete, bei denen naturwissenschaftliche Fragen gar nicht der Streitpunkt sind, sieht eben nicht jeder.


Verstehe ich nicht.
Wissenschaft ist das, was hieb und stichfest nachgewiesen werden kann.

#150:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 24.12.2023, 13:19
    —
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Wissenschaft ist das, was hieb und stichfest nachgewiesen werden kann.

Am Kopf kratzen Was genau meinst du denn mit hieb- und stichfest?

#151:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 24.12.2023, 13:32
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Wissenschaft ist das, was hieb und stichfest nachgewiesen werden kann.

Am Kopf kratzen Was genau meinst du denn mit hieb- und stichfest?


Lichtgeschwindigkeit wurde gemessen.
Ob ein Medikament wirkt wird durch Doppelblindversuch getestet.
Die Gesetze der Physik allgemein werden nicht "angenommen" sondern nachgewiesen.
Hieb und stichfest solange eine neue Theorie die alte widerlegt.

#152:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 24.12.2023, 13:40
    —
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Die Gesetze der Physik allgemein werden nicht "angenommen" sondern nachgewiesen.
Hieb und stichfest solange eine neue Theorie die alte widerlegt.

Wie werden die denn nachgewiesen? Und wie können sie noch widerlegt werden, nachdem sie hieb- und stichfest nachgewiesen worden sind?

#153:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 24.12.2023, 14:09
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Wissenschaft ist das, was hieb und stichfest nachgewiesen werden kann.

Am Kopf kratzen Was genau meinst du denn mit hieb- und stichfest?


Lichtgeschwindigkeit wurde gemessen.
Ob ein Medikament wirkt wird durch Doppelblindversuch getestet.
Die Gesetze der Physik allgemein werden nicht "angenommen" sondern nachgewiesen.
Hieb und stichfest solange eine neue Theorie die alte widerlegt.

#154:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 24.12.2023, 15:47
    —
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Die Gesetze der Physik allgemein werden nicht "angenommen" sondern nachgewiesen.
Hieb und stichfest solange eine neue Theorie die alte widerlegt.

Also etwas, das hieb- und stichfest nachgewiesen ist, kann danach durch den Hieb oder Stich einer anderen Theorie widerlegt werden? Am Kopf kratzen

Man drückt es besser genau umgekehrt aus: Die grundsätzliche Revidierbarkeit wissenschaftlicher Theorien ist sine qua non der Erkenntnis allgemeiner Naturgesetze (bzw. eigentlich überhaupt aller kausaler Zusammenhänge). Als "hieb- und stichfest" kann man diese Theorien noch insofern bezeichnen, als sie bis jetzt alle Hiebe oder Stiche überstanden haben (obwohl das eine arg merkwürdige und potentiell irreführende Verwendung dieser Metapher ist). Die Widerlegung einer Theorie erfordert auch nicht zwingend unmittelbar ihre Ersetzung durch eine alternative Theorie: Oft ist bereits klar, dass mit einem alten Ansatz etwas nicht stimmen kann, bevor ein neuer auftaucht und ihn ersetzt. (M. E. verstehst du auch die Rolle von Messung nicht ganz richtig, aber da ich selbst kein Naturwissenschaftler bin, würde ich mich diesbezüglich lieber nicht auf eine Diskussion einlassen.)

((Ach ja: Davon abgesehen ist übrigens nicht so ganz klar, was das mit dem zu tun hat, was tillich geschrieben hatte.))

#155:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 24.12.2023, 16:21
    —
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Verstehe ich nicht.
Wissenschaft ist das, was hieb und stichfest nachgewiesen werden kann.

Nein!
Den Kern der Wissenschaft macht die Methode aus und nicht deren Ergebnis.

#156:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 24.12.2023, 16:28
    —
vrolijke hat folgendes geschrieben:
...
Die Gesetze der Physik allgemein werden nicht "angenommen" sondern nachgewiesen.
....

Gegenbeispiel aus Einsteins "Elektrodynamik bewegter Körper" 1905:
" Wir wollen diese Vermutung (deren Inhalt im folgenden „Prinzip der Relativität“ genannt werden wird) zur Voraussetzung erheben und außerdem die mit ihm nur scheinbar unverträgliche Voraussetzung einführen, daß sich das Licht im leeren Räume stets mit einer bestimmten, vom Bewegungszustande des emittierenden Körpers unabhängigen Geschwindigkeit V fortpflanze."

#157:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 24.12.2023, 16:43
    —
VanHanegem hat folgendes geschrieben:
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Verstehe ich nicht.
Wissenschaft ist das, was hieb und stichfest nachgewiesen werden kann.

Nein!
Den Kern der Wissenschaft macht die Methode aus und nicht deren Ergebnis.


Stimmt auffallend!

#158:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 24.12.2023, 16:44
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Die Gesetze der Physik allgemein werden nicht "angenommen" sondern nachgewiesen.
Hieb und stichfest solange eine neue Theorie die alte widerlegt.

Also etwas, das hieb- und stichfest nachgewiesen ist, kann danach durch den Hieb oder Stich einer anderen Theorie widerlegt werden? Am Kopf kratzen

Man drückt es besser genau umgekehrt aus: Die grundsätzliche Revidierbarkeit wissenschaftlicher Theorien ist sine qua non der Erkenntnis allgemeiner Naturgesetze (bzw. eigentlich überhaupt aller kausaler Zusammenhänge). Als "hieb- und stichfest" kann man diese Theorien noch insofern bezeichnen, als sie bis jetzt alle Hiebe oder Stiche überstanden haben (obwohl das eine arg merkwürdige und potentiell irreführende Verwendung dieser Metapher ist). Die Widerlegung einer Theorie erfordert auch nicht zwingend unmittelbar ihre Ersetzung durch eine alternative Theorie: Oft ist bereits klar, dass mit einem alten Ansatz etwas nicht stimmen kann, bevor ein neuer auftaucht und ihn ersetzt. (M. E. verstehst du auch die Rolle von Messung nicht ganz richtig, aber da ich selbst kein Naturwissenschaftler bin, würde ich mich diesbezüglich lieber nicht auf eine Diskussion einlassen.)

((Ach ja: Davon abgesehen ist übrigens nicht so ganz klar, was das mit dem zu tun hat, was tillich geschrieben hatte.))


Und mir ist nicht ganz klar, was das mit Wokies zu tun haben soll.

#159:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 24.12.2023, 17:17
    —
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Und mir ist nicht ganz klar, was das mit Wokies zu tun haben soll.

Wenn du mit "das" das Gespräch zwischen uns beiden über Wissenschaftstheorie meinst, war mir das schon von Anfang an nicht so ganz klar. Man bekommt die Kurve aber wieder, wenn man sich daran erinnert, dass du auf einen Beitrag von tillich antwortest, der zu einer Konversation gehört, die hier anfing. Da hast du den Zusammenhang sozusagen verbatim.

#160:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 24.12.2023, 17:31
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Mir ist überhaupt nicht ganz klar, was Wokismus mit der GWUP zu tun hat. Außer dass Wokies versuchen aus ein gesellschaftliches Thema ein wissenschaftliches zu machen.

Das umgekehrte war meines Wissens der Fall, nämlich dass Anti-"Woke"-Aktivisten die GWUP für ihre Zwecke nutzen bzw. missbrauchen wollten und dann ganz erbost waren, dass viele dem nicht folgen wollten. (Aber das ist nur aus der Erinnerung, ich müsste dem noch mal nachforschen.)

Die Grenze zwischen naturwissenschaftlicher Kritik an naturwissenschaftlich falschen Aussagen und naturwissenschaftlicher Übergriffigkeit in andere Gebiete, bei denen naturwissenschaftliche Fragen gar nicht der Streitpunkt sind, sieht eben nicht jeder.


Was sollen dann die "Anti-Woke-Aktivisten" für ihre Zwecke missbraucht haben?
Noch mal. Was hat das mit kritische Wissenschaft zu tun, ob ich das Binnen-i benutze. Alle Mohrenstraßen umbenennen will, und jeden Weißhäutigen mit Rastalocken verklagen möchte?
Das hat doch mit Benehmen zu tun, und doch nichts mit Messen und prüfen.

#161:  Autor: narr BeitragVerfasst am: 25.12.2023, 20:03
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Mir ist überhaupt nicht ganz klar, was Wokismus mit der GWUP zu tun hat. Außer dass Wokies versuchen aus ein gesellschaftliches Thema ein wissenschaftliches zu machen.

Das umgekehrte war meines Wissens der Fall, nämlich dass Anti-"Woke"-Aktivisten die GWUP für ihre Zwecke nutzen bzw. missbrauchen wollten und dann ganz erbost waren, dass viele dem nicht folgen wollten. (Aber das ist nur aus der Erinnerung, ich müsste dem noch mal nachforschen.)
...


nee, so war es nicht.
Bei der GWUP hat der Vorsitzende gewechselt. Und der hat ziemlich merkwürdige Aussagen zu Kritik am Wokismus gemacht.
Das hatte ich ja auch in meinem Anfangspost geschrieben:
narr hat folgendes geschrieben:

Die GWUP - Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften ist imo eine wichtige Größe in der Gesellschaft. Aufklärung, was Wissenschaft ist und den Unterschied zu unterschiedlichsten Glaubensrichtungen aufzuzeigen ist in Zeiten des Internets so wichtig wie nie.

Seit bei der GWUP einen neuen Vorstandsvorsitzenden gibt tun sich merkwürdige Dinge. Dr. Holm Hümmler, Physiker meint die Kritik an Wokeismus in die rechte Ecke stellen zu müssen. Behauptet "Wokeness" wäre ein "Hassbegriff" bzw ein Kampfbegriff der Rechten geworden.

Anscheinend sieht er jegliche Kritik an der Bewegung, die imo oft weit von der "Schärfung des Bewusstseins für die alltäglichen Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen im Leben" abgedriftet ist als "rechts".

Wen's interessiert - ein Beitrag von "Sinans Woche" zum Thema


Viele aus der Szene wollen z.B. "Indigenous knowledge" - also "traditionelles" oder auch "indigenes Wissen" gleichberechtigt mit den modernen Wissenschaften gelehrt sehen. Als Beispiel wurde eine Begebenheit aus Neuseeland genommen, "M?tauranga M?ori" (ist ein kulturphilosophischer Leitbegriff der M?ori-Kultur in Neuseeland, der auf die holistische, nachhaltige und interaktive Wahrnehmung und Gestaltung der Welt gerichtet ist.)

Es geht also darum Glaubenskonzepte in Schulen und Universitäten neben der "westlichen Wissenschaft" gleichberechtigt zu lehren. Das ist durchaus mit der Forderung der sog. "Intelligent Design"-Vertreter zu vergleichen, die ebenfalls ihre "Theorie" gleichberechtigt neben der Evolutions-Theorie sehen möchten.
Der häufig benutzte Begriff "westliche Wissenschaft" ist totaler Humbug. Es gibt keine "westliche Wissenschaft" Genauso wenig wie es eine "alternative Medizin" gibt. 1+1 ist auch in Neuseeland 2 und physikalische, chemische und biologische Erkenntnisse gelten dort wie hier. Wissenschaft heißt, etwas muss mit Belegen untermauert werden, behaupten reicht nicht, auch "alt" "uralt" oder "Jahrhunderte alt" sind keine wissenschaftlichen Belege.

Die Woke-Bewegung geht darüber allerdings noch hinaus. Stichwort z.B. "kulturelle Aneignung" - was dem Fluss den es zwischen Kulturen schon immer gab total entgegen steht. .
Steven Pinker hat das mit „woke Orthodoxie“ bezeichnet. So gibt es an Unis inzwischen fast überall "Critical Studies" kann man sogar einen Master und Dr-Arbeiten machen. Mit den Augen rollen

Die Leute der "Woke-Bewegung" sortieren stark in Gruppen. Gender, "Rasse" (Ethnie) definiert wer man ist, Meinungen sind nicht mehr individuell sondern werden vorhersagbar - abhängig in welche Gruppe man sortiert wurde. Wer weiß ist hat sowieso ein Problem - schwierig - wenn es dann um die Bestimmung von "weiß" geht.
"Weiß, Mann, alt"? klar! reaktionäres Arschloch. In den USA ist dieser Trend noch einiges weiter.

#162:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 25.12.2023, 20:19
    —
@ Narr: Sehr gut beschrieben.

@ all: ist hier jemand Mitglied bei der GWUP?

Ich bin es.
Ich bin es geworden, nachdem ich bereits einige Jahre zu den Stuttgarter Stammtisch gegangen bin. Irgendwann empfand ich mich bei den Stammtisch "illegal". Darauf bin ich Mitglied geworden.
Mit dem Verein habe ich sonst nichts zu tun gehabt. Ich war ein ziemlich passives Mitglied.
Erst die jetzige "Wokies"- Diskussion hat mich veranlasst, mich etwas mehr zu engagieren.

#163:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 25.12.2023, 21:12
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Die Grenze zwischen naturwissenschaftlicher Kritik an naturwissenschaftlich falschen Aussagen und naturwissenschaftlicher Übergriffigkeit in andere Gebiete, bei denen naturwissenschaftliche Fragen gar nicht der Streitpunkt sind, sieht eben nicht jeder.


Bedenklich und bedrohlich ist die "Übergriffigkeit" vonseiten der postmodernen Linken, die die universelle epistemische Autorität, Objektivität und politische Neutralität der Wissenschaft grundsätzlich in Abrede stellen, indem sie diese als ideologiebeladene—d.h. von imperialistischen/kapitalistischen/kolonialistischen/rassistischen/sexistischen Interessen und Motiven geleitete—"(männliche) weiße/westliche Wissenschaft" hinstellen, deren Vormachtstellung (Hegemonie) gegenüber alternativen "Wissenssystemen" beendet werden soll. Weißen Wissenschaftlern wird also beispielsweise das Recht abgesprochen, das "indigene Wissen" der nichtweißen Maori infrage zu stellen, weil es sich dabei um "epistemische Unterdrückung" handele.

Die postmodernen Linken teilen die positive und optimistische Wissenschaftsauffassung der modernen Aufklärer nicht. In ihren Augen hat die wissenssoziologische "Dekonstruktion" der Wissenschaften deren kulturelle Relativität an den Tag gelegt, und damit deren angebliche Autorität, Objektivität, Universalität und Neutralität untergraben. Die auf "(männliche) weiße/westliche Wissenschaft" reduzierte Wissenschaft gilt folglich nur noch als eine Art von "seins-/standortsgebundenem" Diskurs oder Sprachspiel neben gleichberechtigten anderen, sodass sie keine "hegemonialen" epistemologisch-methodologischen Ansprüche erheben darf.

Zitat:
"One key feature of postmodern historical formations, however, consists in the fact that, in terms of its epistemic validity, science is regarded as one ‘language game’ among others. The postmodern condition, then, is a polycentrically constructed universe in which no particular type of meaning-laden horizon of reference points – irrespective of whether it is institutional or ephemeral – can claim to possess an epistemic monopoly on the interpretation of reality. The derationalized world of postmodernity is shot through with competing discourses: economic, political, ideological, cultural, philosophical, artistic, religious, or scientific – to mention only a few. Each of these discourses is based on a set of interconnected – yet, both irreducible and incommensurable – assumptions, whose acceptability is contingent not upon the constraining parameters of logical or evidence-based rationality, but upon context-specific criteria of validity emerging out of relationally assembled constellations that are sustained by relatively arbitrary codes of social legitimacy."

(Susen, Simon. The ‘Postmodern Turn’ in the Social Sciences. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2015. p. 35)

"On the philosophical level, the rise of postmodernity cannot be understood in separation from the task of deconstruction. In essence, the ‘deconstructive attitude’ endorsed by postmodern philosophy is suspicious of the Enlightenment optimism vis-à-vis the assertive, regulative, and reflexive functions of modern science:

A. The assertive function of modern science concerns its representational capacity to provide evidence-based – that is, epistemically adequate, analytically sound, and argumentatively convincing – accounts of the underlying mechanisms that govern both the constitution and the evolution of the natural world as well as of the social world.

B. The regulative function of modern science designates its interventional capacity to offer purposive – that is, empirically viable, practically sustainable, and technologically ever more sophisticated – models permitting both individual and collective actors to gain increasing control over their physical and cultural environments.

C. The reflexive function of modern science refers to its critical capacity to develop emancipatory – that is, conceptually insightful, intellectually enlightening, and socially empowering – knowledge equipping ordinary actors with the ability to make use of their rational faculties with the aim of liberating themselves from mechanisms of domination and, thus, from both the symbolic and the material chains of power-laden realities.

By contrast, the age of postmodernity is characterized by radical incredulity towards the assertive, regulative, and reflexive functions of methodical enquiries and, consequently, by deep scepticism towards the representational, interventional, and critical capacities of scientific epistemologies. The invention of the modern subject capable of epistemically accurate representation, control-oriented intervention, and emancipatory reflection appears to have lost credibility in the context of postmodernity. For the postmodern universe is composed of a multiplicity of human and nonhuman actors, none of whom occupies an epistemically privileged position. All attempts to obtain the total and unequivocal mastery of a relationally constituted – and, hence, constantly shifting – reality end up reproducing the stifling logic of ethnocentric, logocentric, or anthropocentric claims to validity. From a deconstructivist point of view, then, a world without essences amounts to a planetary context of existence that does not allow for universal frameworks of representation, explanation, and emancipation. For the spatiotemporal specificities of locally anchored realities are irreducible to epistemic models oriented towards the discovery of context-transcending generalizability."

(Susen, Simon. The ‘Postmodern Turn’ in the Social Sciences. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2015. p. 37)

"As postmodern critics insist, however, such an objectivist conception of knowledge is deeply flawed for at least five main reasons. First, given that knowledge is always socially embedded, it is necessarily normative (Erkenntnisnormativität). Second, since knowledge is always generated from a specific position in the social space, even so-called descriptive knowledge is situation-laden (Erkenntnisstandpunkt). Third, to the extent that bodily actors, regardless of whether they are laypersons or experts, take on particular roles in society, knowledge is permeated by the relationally constituted functions fulfilled by those who make use of it in accordance with their contextually defined interests (Erkenntnisfunktion). Fourth, considering that cognitive actors are discursively competing entities, the production of knowledge is permeated by scientific power struggles (Erkenntniskampf). Fifth, because symbolic and informational resources can be used in various ways and for multiple reasons, the production of knowledge can be instrumentalized for extra-scientific – notably, economic – purposes (Erkenntnisnutzung). In short, the positivist quest for objectivity loses credibility when confronted with the relational constitution of epistemic enquiry. The conditions of knowledgeability are impregnated with normativity, positionality, functionality, conflictuality, and instrumentality."

(Susen, Simon. The ‘Postmodern Turn’ in the Social Sciences. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2015. p. 61)

#164:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 25.12.2023, 22:13
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Die postmodernen Linken teilen die positive und optimistische Wissenschaftsauffassung der modernen Aufklärer nicht. In ihren Augen hat die wissenssoziologische "Dekonstruktion" der Wissenschaften deren kulturelle Relativität an den Tag gelegt, und damit deren angebliche Autorität, Objektivität, Universalität und Neutralität untergraben.


Wenn alle Wissenschaften (mit ihren Thesen und Theorien) kulturrelativ sind, wie verhält es sich dann mit der Wissenssoziologie selbst? Untergräbt und entwertet sie sich mit ihrer Behauptung der Seins- oder Standortsgebundenheit allen Denkens nicht selbst? Die Wissenssoziologie wurde schließlich selbst von weißen Männern wie Max Scheler und Karl Mannheim begründet.

#165:  Autor: narr BeitragVerfasst am: 25.12.2023, 23:40
    —
vrolijke hat folgendes geschrieben:
@ Narr: Sehr gut beschrieben.

@ all: ist hier jemand Mitglied bei der GWUP?

ja, ich. Hauptsächlich weil ich den Verein unterstützen will. Mal schauen, wie es sich entwickelt. Wenn die Aufforderung zur Wissenschaftlichkeit nur andere betrifft und in eigener Sache nicht beachtet wird, dann ist imo was gehörig schief gelaufen.


(witzig zur wokeness:Ricky Gervais-Armageddon auf netflix) Hier ein clip auf youtube

#166:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 06:36
    —
narr hat folgendes geschrieben:
Die Leute der "Woke-Bewegung" sortieren stark in Gruppen.

Die Ironie dieses Satzes siehst du nicht? Mit den Augen rollen

#167:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 12:24
    —
narr hat folgendes geschrieben:
Die Leute der "Woke-Bewegung" sortieren stark in Gruppen. Gender, "Rasse" (Ethnie) definiert wer man ist, Meinungen sind nicht mehr individuell sondern werden vorhersagbar - abhängig in welche Gruppe man sortiert wurde. Wer weiß ist hat sowieso ein Problem - schwierig - wenn es dann um die Bestimmung von "weiß" geht.
"Weiß, Mann, alt"? klar! reaktionäres Arschloch. In den USA ist dieser Trend noch einiges weiter.

Der ÖR in D macht auch fleißig mit. Wichtig ist auch, dass jede Gruppe korrekt bezeichnet wird. Ein Leitfaden hier:
https://www.zdf.de/kinder/logo/sprache-gegen-rassismus-100.html
Ob das gelingt ist allerdings fraglich. Beispiel:
"Als weiß wird bezeichnet, wer keine Probleme durch Rassismus hat."
Da fragt sich der erstaunte Leser:
sind Juden also keine Weißen? Oder haben Juden nie Probleme durch Rassismus?

Schätze mal die Herrschaften der staatlichen Anstalt müssen an ihren Definitionen noch etwas schrauben.

#168:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 12:37
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
narr hat folgendes geschrieben:
Die Leute der "Woke-Bewegung" sortieren stark in Gruppen.

Die Ironie dieses Satzes siehst du nicht? Mit den Augen rollen


Ich sehe ihn auch nicht.

Nach den Wokies wird alles was nicht "weiße alte Männer" sind diskriminiert. Und alles was darauf hindeutet gehört ausgemerzt.

#169:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 12:40
    —
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Nach den Wokies [....]

Lachen Und sind diese... "Wokies"... jetzt gerade hier mit uns im Raum?

#170:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 12:54
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Nach den Wokies [....]

Lachen Und sind diese... "Wokies"... jetzt gerade hier mit uns im Raum?


Ich verstehe den Witz nicht.
Da bist offensichtlich noch nicht konfrontiert wurden mit Menschen die jeden, der das "Binnen-I" nicht benutzt als Pfui-bäh betrachten. Blanke Rapper die Rastafrisuren am liebsten abrasieren möchten. Maoris Recht geben die fordern, ihr "Wissen" als gleichberechtigt unterrichten zu dürfen. usw usw. Auf biegen und brechen auf Mann-Frau- Parität bestehen, auch wenn dafür eine Psychiaterin einen Physikerposten besetzen soll.

#171:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 17:20
    —
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Nach den Wokies [....]

Lachen Und sind diese... "Wokies"... jetzt gerade hier mit uns im Raum?


Ich verstehe den Witz nicht.

https://youtu.be/PjtRBlFun30

vrolijke hat folgendes geschrieben:
Da bist offensichtlich noch nicht konfrontiert wurden mit Menschen die jeden, der das "Binnen-I" nicht benutzt als Pfui-bäh betrachten. Blanke Rapper die Rastafrisuren am liebsten abrasieren möchten. Maoris Recht geben die fordern, ihr "Wissen" als gleichberechtigt unterrichten zu dürfen. usw usw. Auf biegen und brechen auf Mann-Frau- Parität bestehen, auch wenn dafür eine Psychiaterin einen Physikerposten besetzen soll.

Mit solchen Leuten bin ich in der Tat noch nicht "konfrontiert worden".

Dafür allerdings massenhaft mit Leuten, die von einem Untergang der Rationalität, der westlichen Welt oder was auch immer angstfantasieren und dafür Lehrplandiskussion vom (wortwörtlich) anderen Ende der Welt, das Benutzen (! - eben nicht "Aufzwingen") von geschlechtergerechter Sprache u.Ä. als grandiose Gefahr an die Wand malen.

Vom Mechanismus her ist das nicht viel anders als die Rechten, die vom "Krieg gegen Weihnachten"/"gegen das Christentum" angsthassphantasieren, wenn irgendwo ein Kindergarten keinen Weihnachtsbaum aufstellt (warum auch immer) oder ein vorweihnachtlicher Markt nicht Weihnachtsmarkt heißt; oder als die LGBTQ-Feinde, die vom "Kampf gegen die Familie" schwafeln, wenn es um LGBTQ-Rechte geht: Einzelfälle oder sehr spezifische Detaildiskussionen werden von weit weg herangezogen, völlig verdreht oder gelegentlich auch mal frei erfunden, um ein Gesamtbild von einer umfassenden Bedrohung zu zeichnen.

Und nicht zufällig wird ja auch in diesen minderheitenfeindlichen Diskussionen dann neuerdings der übergreifende Kampfbegriff "woke" verwendet und nicht zufällig überschneidet sich die Kerngruppe bei all diesen Diskussionen in reaktionären Rechten. Und bei verschiedenen einzelnen dieser Diskussionen kommen dann noch (vermeintliche?) Feminist:innen, Humanist:innen, Linke usw. dazu, die an anderer Stelle selbst mit diesem unscharfen Kampfbegriff der Rechten angegriffen werden, sich aber in ihrem Lieblingsrage zun nützlichen Deppen der reaktionären Rechten machen, indem sie diesen Kampfbegriff benutzen, statt konkrete Diskussionen konkret zu diskutieren.

#172:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 17:24
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Dafür allerdings massenhaft mit Leuten, die von einem Untergang der Rationalität, der westlichen Welt oder was auch immer angstfantasieren und dafür Lehrplandiskussion vom (wortwörtlich) anderen Ende der Welt, das Benutzen (! - eben nicht "Aufzwingen") von geschlechtergerechter Sprache u.Ä. als grandiose Gefahr an die Wand malen.



Wenn sie sich nicht im Vorstand der GWUP gemausert hätten, wäre es tatsächlich so wie du meinst.

#173:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 17:31
    —
vrolijke hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Dafür allerdings massenhaft mit Leuten, die von einem Untergang der Rationalität, der westlichen Welt oder was auch immer angstfantasieren und dafür Lehrplandiskussion vom (wortwörtlich) anderen Ende der Welt, das Benutzen (! - eben nicht "Aufzwingen") von geschlechtergerechter Sprache u.Ä. als grandiose Gefahr an die Wand malen.



Wenn sie sich nicht im Vorstand der GWUP gemausert hätten, wäre es tatsächlich so wie du meinst.

Gemausert?

#174:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 20:25
    —
VanHanegem hat folgendes geschrieben:

Der ÖR in D macht auch fleißig mit. Wichtig ist auch, dass jede Gruppe korrekt bezeichnet wird. Ein Leitfaden hier:
https://www.zdf.de/kinder/logo/sprache-gegen-rassismus-100.html
Ob das gelingt ist allerdings fraglich. Beispiel:
"Als weiß wird bezeichnet, wer keine Probleme durch Rassismus hat."


Was für eine absurde und perverse Definition! Sie macht Nichtweiße ohne Rassismusprobleme zu Weißen. Ich vermute allerdings, dass die Autoren die folgende Definition voraussetzen, welche das Dasein von Nichtweißen ohne Rassismusprobleme grundsätzlich ausschließt: "Als nichtweiß wird bezeichnet, wer Probleme durch Rassismus hat."
(Diese Definition allein macht Weiße mit Rassismusproblemen zu Nichtweißen, aber zusammen mit der anderen Definition von "weiß" ergibt sich, dass "Weißsein" und "keine Rassismusprobleme habend" synonym sind sowie "Nichtweißsein" und "Rassismusprobleme habend".)

Hier wird Kindern eingeredet, dass Weiße in Sachen Rassismus immer nur Täter und niemals Opfer sein können. Rassismus gegen Weiße wird damit grundsätzlich—per definitionem— ausgeschlossen; doch dies zu tun, ist selbst ein klarer Fall von anti-weißem Rassismus!

#175:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 21:00
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
vrolijke hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Dafür allerdings massenhaft mit Leuten, die von einem Untergang der Rationalität, der westlichen Welt oder was auch immer angstfantasieren und dafür Lehrplandiskussion vom (wortwörtlich) anderen Ende der Welt, das Benutzen (! - eben nicht "Aufzwingen") von geschlechtergerechter Sprache u.Ä. als grandiose Gefahr an die Wand malen.



Wenn sie sich nicht im Vorstand der GWUP gemausert hätten, wäre es tatsächlich so wie du meinst.

Gemausert?



Auf eine Vereinsversammlung kommen nur ein Bruchteil der Mitglieder.
Da braucht man wenige "Mitstreiter" zu bewegen mitzukommen. Schon hat man bei der Abstimmung eine Mehrheit.

Dass das geht, habe ich auf eine andere Vereinsversammlung selber mal mitgemacht und eine Maßnahme (eine Stilllegung) verhindert

#176:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 21:01
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Und nicht zufällig wird ja auch in diesen minderheitenfeindlichen Diskussionen dann neuerdings der übergreifende Kampfbegriff "woke" verwendet und nicht zufällig überschneidet sich die Kerngruppe bei all diesen Diskussionen in reaktionären Rechten. Und bei verschiedenen einzelnen dieser Diskussionen kommen dann noch (vermeintliche?) Feminist:innen, Humanist:innen, Linke usw. dazu, die an anderer Stelle selbst mit diesem unscharfen Kampfbegriff der Rechten angegriffen werden, sich aber in ihrem Lieblingsrage zun nützlichen Deppen der reaktionären Rechten machen, indem sie diesen Kampfbegriff benutzen, statt konkrete Diskussionen konkret zu diskutieren.


Ich bin weder ein reaktionärer Rechter noch einer ihrer "nützlichen Deppen". Ich habe hier bereits ausführlich dargelegt, dass es sich bei der Woken Linken um die Nachfolgerin der Neuen Linken der 60er/70er-Jahre handelt. Die radikale akademische Linke der Gegenwart mit all ihren identitaristischen, postmodernistischen, postkolonialistischen Cultural Studies & Critical Theories ist mitnichten ein Hirngespinst rechter "Angsthassphantasten", sondern eine reale Kraft in der aktuellen Politik (insbesondere in der Hochschulpolitik)!

Minderheitenrechte, Minderheitenschutz – alles schön und gut; aber die Wachen Linken haben eine höchst fragwürdige, von ihrem besonderen ideologischen Rahmen eingegrenzte Auffassung davon, die sie im Namen der Antidiskriminierung und der sozialen Gerechtigkeit auch zu illiberalen Mitteln greifen lässt.

#177:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 21:47
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Und nicht zufällig wird ja auch in diesen minderheitenfeindlichen Diskussionen dann neuerdings der übergreifende Kampfbegriff "woke" verwendet und nicht zufällig überschneidet sich die Kerngruppe bei all diesen Diskussionen in reaktionären Rechten.


Wenn Rechte "woke" und "left" synonym verwenden, dann muss dem klar und deutlich widersprochen werden; denn die Wache Linke bildet nur einen Teil der Linken. Linke Kritik an der radikalen kulturellen Linken ("Überbau-Linken") sollte nicht den reaktionären Rechten in die Hände spielen.
(Wenn ich sage, dass ich die radikale/extreme Linke nicht mag, dann füge ich stets hinzu, dass ich die radikale/extreme Rechte auch nicht mag.)

#178:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 22:18
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Bei mir steht nichts von einschränkender Identitätszuschreibung.

Eben.

Ich wollte nichts über Identitätspolitik sagen, ohne vorher was zu Identität gesagt zu haben. Hat mir aber nicht groß geholfen, die Identität in der Identitätspolitik zu verstehen. Meiner Ansicht nach reicht es über Einschränkungen zu reden. Was übersehe ich?


Identitätszuschreibung I

EU-Südländer sind faul, die Polen klauen und Schwarze sind dumm. Deshalb geben wir ihnen keine Wohnung und stellen sie nicht ein.

Auch ohne Identitätspolitik kann man dazu eine klare Meinung haben.



Identitätszuschreibung II, eigentlich Identitätsverweigerung

Ein Mann sagt er sei eine Frau, aber Lesben wollen sie nicht in ihren Kreisen dulden, weil sie die Identitätsbehauptung ablehnen.

Mir fallen kaum weitere Beispiele zu Identitätsverweigerung ein, jenseits des Transthemas. Parteiausschlüsse vielleicht?



Einschränkungen

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Nicht alle Verkürzungen eines Menschen auf eine bestimmte partielle (ethnische, nationale, sexuelle, etc.) Identität sind ja vom betreffenden Subjekt selbst gewählt.

Die Verkürzung selbst ist ja nicht das Problem.

Mit 15 bin ich aus der Kirche ausgetreten. Später wurde mir zugetragen, der Pfarrer erzähle über mich, ich sei aus der Bahn geraten, habe manchmal lange Haare, dann wieder ganz kurze. Damit kann ich leben - es ist ja nicht so, daß der Mann Macht über mich hatte. Etwas anderes wäre es, wenn man als Atheist keine Arbeit bekommt.

Das gilt für beliebige Identitäten, deshalb erscheint mir Identität bei solchen Problemen nicht von Bedeutung zu sein. Reicht es nicht, allgemeine Kriterien aufzustellen, wann Macht unzulässig ausgeübt wird?



Wer bekommt seinen safe space?

An US-Unis gibt es inzwischen einige Häuser, die nur Schwarzen offenstehen. Das wurde als diskriminierend kritisiert, ich persönlich sehe das entspannt: lasst sie machen, das legt sich wieder. Konsequenter Weise steht auch den Lesben ihr safe space zu.

Wo sind die Kriterien dafür, was passiert, wenn zwei gegensätzliche Identitäten aufeinandertreffen?

#179:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 22:53
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
…Nicht alle Verkürzungen eines Menschen auf eine bestimmte partielle (ethnische, nationale, sexuelle, etc.) Identität sind ja vom betreffenden Subjekt selbst gewählt.


Subjektive Identität qua Identifikation (als etwas) ist Selbstidentifikation oder Fremdidentifikation. Sie stimmen überein oder eben nicht.

#180:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 22:55
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Nach den Wokies [....]

Lachen Und sind diese... "Wokies"... jetzt gerade hier mit uns im Raum?

Alle Frage, die ihr den Wokies stellen wollt, stellt bitte mir - ich bin ein Wokie.

#181:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 23:10
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Damit kann ich leben - es ist ja nicht so, daß der Mann Macht über mich hatte.

Oho. Es ist schon interessant, welche Macht uns Wokies von manchen Leuten zugesprochen wird.

Und üble Nachrede bleibt üble Nachrede, BTW...


smallie hat folgendes geschrieben:
Konsequenter Weise steht auch den Lesben ihr safe space zu.

Natürlich. Wo ist das Problem?

#182:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 23:11
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
…Nicht alle Verkürzungen eines Menschen auf eine bestimmte partielle (ethnische, nationale, sexuelle, etc.) Identität sind ja vom betreffenden Subjekt selbst gewählt.


Subjektive Identität qua Identifikation (als etwas) ist Selbstidentifikation oder Fremdidentifikation. Sie stimmen überein oder eben nicht.

Wie ist es denn bei dir? Identifizierst du dich als reaktionärer Widerling?

#183:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 23:34
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Bei mir steht nichts von einschränkender Identitätszuschreibung.

Eben.

Ich wollte nichts über Identitätspolitik sagen, ohne vorher was zu Identität gesagt zu haben. Hat mir aber nicht groß geholfen, die Identität in der Identitätspolitik zu verstehen. Meiner Ansicht nach reicht es über Einschränkungen zu reden. Was übersehe ich?


Identitätszuschreibung I

EU-Südländer sind faul, die Polen klauen und Schwarze sind dumm. Deshalb geben wir ihnen keine Wohnung und stellen sie nicht ein.


Es ist eines, jemanden einer bestimmten Art/Gruppe/Klasse/Rasse von Menschen zuzuordnen, und etwas anderes, der betreffenden Art/Gruppe/Klasse/Rasse ein bestimmtes Wesen zuzuschreiben. (Das Wesen einer Art besteht in Eigenschaften, deren Besitz sowohl notwendig als auch hinreichend ist, um ein Mitglied dieser Art zu sein.)

Aussagen über das Wesen einer Art führen zu ausnahmslosen All-Aussagen über deren Mitglieder: Alle Mitglieder der Art X sind Y. Deine obigen drei Beispielsätze sind aber streng genommen keine All-Aussagen, sondern generische Generalisierungen (artbezogene Verallgemeinerungen), die nicht dasselbe sind wie universelle Quantifizierungen der Form "Alle X sind Y", weil sie im Gegensatz zu diesen Ausnahmen zulassen.

Mit Identitäten assoziierte Stereotype oder Vorurteile wie "Südländer sind faul" oder "Polen klauen" haben die Form generischer Generalisierungen: "Xe sind Y".
Wer sie verwendet, wird jedoch in den seltensten Fällen ernsthaft glauben, dass ausnahmslos alle Südländer faul sind und ausnahmslos alle Polen klauen. Was genau bedeuten solche Aussagen aber dann? Die logische Interpretation generischer Generalisierungen erweist sich als ziemlich schwierig. Die Fachleute sind sich zumindest einig, dass "Polen klauen" nicht bedeutet, dass alle Polen klauen. Bedeutet es vielleicht, dass die meisten Polen klauen? Könnte sein, wobei die Frage, wie viele Polen klauen müssen, damit es zutrifft, dass die meisten von ihnen klauen, auch nicht leicht zu beantworten ist. (Die Anzahl muss aber sicher >50% sein.)

Wen's interessiert, hier gibt's mehr zum Thema: https://plato.stanford.edu/entries/generics/

#184:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 23:41
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
…Die logische Interpretation generischer Generalisierungen erweist sich als ziemlich schwierig. Die Fachleute sind sich zumindest einig, dass "Polen klauen" nicht bedeutet, dass alle Polen klauen. Bedeutet es vielleicht, dass die meisten Polen klauen? Könnte sein, wobei die Frage, wie viele Polen klauen müssen, damit es zutrifft, dass die meisten von ihnen klauen, auch nicht leicht zu beantworten ist. (Die Anzahl muss aber sicher >50% sein.)

Wen's interessiert, hier gibt's mehr zum Thema: https://plato.stanford.edu/entries/generics/


In dem SEP-Text wird argumentiert, dass Sätze wie "Polen klauen" auch nicht bedeuten, dass die meisten Polen klauen:

"Generics also do not mean “most”; it is false that most mosquitoes carry the West Nile virus and true that most books are paperbacks, but our intuitions about the truth/falsity of the corresponding generics are reversed."

#185:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 23:43
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Nach den Wokies [....]

Lachen Und sind diese... "Wokies"... jetzt gerade hier mit uns im Raum?

Alle Frage, die ihr den Wokies stellen wollt, stellt bitte mir - ich bin ein Wokie.


Du meinst also auch, dass weise Sänger keine Rastalocken tragen dürfen.
Das Maori-Wissen als gleichberechtigte Wissenschaft unterrichtet werden sollte.
Das in einem Wissenschaftsrat eher eine unfähige Frau eingestellt werden sollte, als das er nicht 50/50 Frau- Mann besetzt wäre.

#186:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 23:46
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
An US-Unis gibt es inzwischen einige Häuser, die nur Schwarzen offenstehen. Das wurde als diskriminierend kritisiert, ich persönlich sehe das entspannt: lasst sie machen, das legt sich wieder. Konsequenter Weise steht auch den Lesben ihr safe space zu.


Ich sehe das nicht entspannt, denn hier verhalten sich die Wachen Linken reaktionär: Zurück zur Rassentrennung!

#187:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 26.12.2023, 23:51
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Ich bin weder ein reaktionärer Rechter noch einer ihrer "nützlichen Deppen".

Wenn du - mal rein hypothetisch gesprochen - Zweiteres wärst, würdest du es dann bemerken?

#188:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.12.2023, 00:01
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Aussagen über das Wesen einer Art führen zu ausnahmslosen All-Aussagen über deren Mitglieder: Alle Mitglieder der Art X sind Y. Deine obigen drei Beispielsätze sind aber streng genommen keine All-Aussagen, sondern generische Generalisierungen (artbezogene Verallgemeinerungen), die nicht dasselbe sind wie universelle Quantifizierungen der Form "Alle X sind Y", weil sie im Gegensatz zu diesen Ausnahmen zulassen.


Bernhard Nickel interpretiert generische Generalisierungen als eingeschränkte All-Aussagen:

Zitat:
"Roughly, a generic is true iff all normal members of a kind conform to it."

(Nickel, Bernhard. "Dutchmen are Good Sailors: Generics and Gradability." In Genericity, edited by Alda Mari, Claire Beyssade, & Fabio Del Prete, 390-405. Oxford: Oxford University Press, 2013. p. 391)


Es ist demnach wahr, dass Polen klauen, wenn alle normalen Polen klauen. Was genau unter Normalität zu verstehen ist, müsste nun eingehend diskutiert werden; aber man kann wohl schlicht sagen, dass Diebstahl nicht zu den normalen kulturellen Gepflogenheiten der Polen zählt, sodass der Satz "Polen klauen" ein falsches kulturelles Stereotyp ausdrückt.

#189:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.12.2023, 00:11
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Ich bin weder ein reaktionärer Rechter noch einer ihrer "nützlichen Deppen".

Wenn du - mal rein hypothetisch gesprochen - Zweiteres wärst, würdest du es dann bemerken?


Was genau macht einen linken Kritiker der Wachen Linken denn zu einem für die Rechten nützlichen "Deppen"? Dass sich Rechte auf ihn berufen? Wie kann man das verhindern? Kann man nicht, aber man kann ihnen natürlich klarmachen, dass man nicht auf ihrer Seite steht.

Es wäre auf jeden Fall bescheuert, wenn Linke auf (öffentliche) Kritik an den Woken unter ihnen verzichteten, nur damit die Rechten diese nicht aufgreifen und sich zu eigen machen.


Zuletzt bearbeitet von Myron am 27.12.2023, 00:34, insgesamt 2-mal bearbeitet

#190:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 27.12.2023, 00:17
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Und bei verschiedenen einzelnen dieser Diskussionen kommen dann noch (vermeintliche?) Feminist:innen, Humanist:innen, Linke usw. dazu, die an anderer Stelle selbst mit diesem unscharfen Kampfbegriff der Rechten angegriffen werden, ...

Sehr gut erkannt.

Dann sitze ich halt zwischen den Stühlen und krieg von allen Seiten auf den Deckel. Macht nix, ich verteidige ja keine Seite, sondern das, was ich für richtig halte.


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
... sich aber in ihrem Lieblingsrage zun nützlichen Deppen der reaktionären Rechten machen, indem sie diesen Kampfbegriff benutzen, statt konkrete Diskussionen konkret zu diskutieren.

Ok.

Sinan sagte, die Boys of Reason hätten über Kulturmarxismus gesprochen. Worauf die GWUP sagte, das sei ein Kampfbegriff der Rechten. Wikipedia nannte cultural marxism eine Verschwörungstheorie der Rechten. Ohne sich auf konkrete Diskussionen einzulassen.

Mir fällt dies zu Kulturmarxismus ein:

    - Marx: das Kapital ist an allem schuld.
    - Frankfurter Schule: die Gesellschaft ist an allem Schuld.
    - Critical Race Theory: der Rassismus der Weißen ist an allem Schuld.


Karl Popper sagte, Marxismus sei nicht falsifizierbar. CRT ist es wohl auch nicht:

Kendi hat folgendes geschrieben:
Rassismus ist Kapitalismus. Kapitalismus ist Rassismus.

Damit ist alles erklärt?!

Ich habe nicht den Eindruck, mich mit dieser Sicht auf Kulturmarxismus zu einem nützlichen Deppen der reaktionären Rechten zu machen.

#191:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 27.12.2023, 00:24
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Ich bin weder ein reaktionärer Rechter noch einer ihrer "nützlichen Deppen".

Wenn du - mal rein hypothetisch gesprochen - Zweiteres wärst, würdest du es dann bemerken?


Was genau macht einen linken Kritiker der Wachen Linken denn zu einem für die Rechten nützlichen "Deppen"?

Na was schon, die allseits beliebte guilt by association fallacy. Wenn man als Freigeist halt sonst nix drauf hat..

#192:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 27.12.2023, 00:54
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Mir fällt dies zu Kulturmarxismus ein:
    - Marx: das Kapital ist an allem schuld.

Also du "weißt" das eine von Marx, dass er geschrieben hat (wo genau? Mit den Augen rollen), "das Kapital" sei "an allem schuld". Das qualifiziert dich natürlich ganz ohne Frage dazu, dich zum Thema Marx und Marxismus zu äußern. Mit den Augen rollen


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 27.12.2023, 00:57, insgesamt 2-mal bearbeitet

#193:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 27.12.2023, 00:56
    —
vrolijke hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Nach den Wokies [....]

Lachen Und sind diese... "Wokies"... jetzt gerade hier mit uns im Raum?

Alle Frage, die ihr den Wokies stellen wollt, stellt bitte mir - ich bin ein Wokie.


Du meinst also auch, dass weise Sänger keine Rastalocken tragen dürfen.

Noe.


vrolijke hat folgendes geschrieben:
Das Maori-Wissen als gleichberechtigte Wissenschaft unterrichtet werden sollte.

Noe.


vrolijke hat folgendes geschrieben:
Das in einem Wissenschaftsrat eher eine unfähige Frau eingestellt werden sollte, als das er nicht 50/50 Frau- Mann besetzt wäre.

In einem Wissenschaftsrat sollten genauso viele unfähige Frauen sitzen wie unfähige Männer.

#194:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 27.12.2023, 01:00
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Ich bin weder ein reaktionärer Rechter noch einer ihrer "nützlichen Deppen".

Wenn du - mal rein hypothetisch gesprochen - Zweiteres wärst, würdest du es dann bemerken?

Was genau macht einen linken Kritiker der Wachen Linken denn zu einem für die Rechten nützlichen "Deppen"?

Mit Verlaub: Das weiß ich doch nicht. Du bist doch derjenige, der aus welchen Gründen auch immer unbedingt darauf insistieren musste, dass sich tillichs Aussage, die weder an dich gerichtet noch erkennbar auf dich bezogen war, auf gar keinen Fall auf dich beziehen kann. Mit den Augen rollen

#195:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.12.2023, 01:02
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smallie hat folgendes geschrieben:

Sinan sagte, die Boys of Reason hätten über Kulturmarxismus gesprochen. Worauf die GWUP sagte, das sei ein Kampfbegriff der Rechten. Wikipedia nannte cultural marxism eine Verschwörungstheorie der Rechten. Ohne sich auf konkrete Diskussionen einzulassen.


Die Behauptung, "Kulturmarxismus" wäre nichts weiter als ein rechter verschwörungstheoretischer Kampfbegriff, ist schlichtweg falsch; denn dahinter befindet sich sehr wohl eine reale Strömung innerhalb der Linken. Siehe: https://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=2301540#2301540

Der echte Kulturmarxismus in seiner neutralen politologischen Darstellung muss sich allerdings nicht mit dem angeblichen Kulturmarxismus in seiner propagandistischen Darstellung durch die Rechten decken.

#196:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 27.12.2023, 01:04
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Ich bin weder ein reaktionärer Rechter noch einer ihrer "nützlichen Deppen".

Wenn du - mal rein hypothetisch gesprochen - Zweiteres wärst, würdest du es dann bemerken?

Was genau macht einen linken Kritiker der Wachen Linken denn zu einem für die Rechten nützlichen "Deppen"?

Na was schon, die allseits beliebte guilt by association fallacy. Wenn man als Freigeist halt sonst nix drauf hat..

Also wenn jemand eine andere Person dafür kritisiert, dass diese ein Verhalten zeigt, das ungewollt und gegen die eigenen Interessen dieser anderen Person einer bestimmten politischen Gruppe zugute kommt, dann ist das deiner Meinung nach eine guilt by association fallacy.

Möchtest du vielleicht nochmal nachschlagen, worin diese fallacy tatsächlich besteht? Oder vielleicht nochmal nachlesen, was tillich tatsächlich geschrieben hat? Zumindest eins von beiden scheint dir beim Schreiben nicht klar gewesen zu sein. Mit den Augen rollen

#197:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 27.12.2023, 01:13
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Bernhard Nickel interpretiert generische Generalisierungen als eingeschränkte All-Aussagen:

Zu dumm, dass eine "eingeschränkte All-Aussage" eine contradictio in adjectio ist.

Myron hat folgendes geschrieben:
Es ist demnach wahr, dass Polen klauen, wenn alle normalen Polen klauen.

Versucht da tatsächlich allen Ernstes jemand, dem No True Scotsman-Fehlschluss ein logisches Fundament zu verpassen? Oder was soll der praktische Zweck davon sein? Mit den Augen rollen

Nur mal so nachgefragt: Was ist eigentlich die empirische Falsifikationsbedingung solcher Sätze wie "Alle normalen X tun Y"?

#198:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 27.12.2023, 01:32
    —
...Ich suche ja immer noch nach diesen obskuren "Wokies". jdf hat ja gesagt, er wäre einer, aber dann stellt sich heraus, dass er gar nicht die Ansichten vertritt, die "Wokies" zumindest vrolijke zufolge angeblich haben sollen. Vielleicht ist er ja einfach nur kein normaler "Wokie". Lachen


#199:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.12.2023, 02:10
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Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Bernhard Nickel interpretiert generische Generalisierungen als eingeschränkte All-Aussagen:

Zu dumm, dass eine "eingeschränkte All-Aussage" eine contradictio in adjectio ist.


Natürlich kann eine Aussage der Form "Nicht alle X sind Y" keine All-Aussage sein; aber unter einer eingeschränkten All-Aussage verstehe ich eine widerspruchsfreie Aussage der Form "Alle X, die Y sind, sind Z".

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Es ist demnach wahr, dass Polen klauen, wenn alle normalen Polen klauen.

Versucht da tatsächlich allen Ernstes jemand, dem No True Scotsman-Fehlschluss ein logisches Fundament zu verpassen? Oder was soll der praktische Zweck davon sein? Mit den Augen rollen


Nein, das hat damit nichts zu tun. Nickel hat in seinem Buch Between Logic and the World: An Integrated Theory of Generics (Oxford UP, 2016) einen speziellen Normalitätsbegriff entwickelt, auf den ich hier nicht weiter eingehen kann (weil too off-topic). Ich will nur noch anfügen, dass Nickel seine anfängliche Auslegung von "Xe sind Y" als "Alle normalen Xe sind Y" zu "Alle Xe, die im Hinblick auf Y normal sind, sind Z" relativierend erweitert hat. Ein Satz wie "Hunde haben vier Beine" ist entsprechend genau dann wahr, wenn alle Hunde, die im Hinblick auf ihre Anatomie normal sind, vier Beine haben.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Nur mal so nachgefragt: Was ist eigentlich die empirische Falsifikationsbedingung solcher Sätze wie "Alle normalen X tun Y"?


Finde einen (im Hinblick auf Z) normalen X, der nicht Y tut/ist! Der Satz "Hunde haben vier Beine" ist (nach Nickels Theorie) genau dann falsch, wenn es mindestens einen anatomisch normalen Hund gibt, der nicht vier Beine hat. Der Satz ist de facto wahr, weil alle nichtvierbeinigen Hunde anatomisch abnormal sind.

#200:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.12.2023, 02:28
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Minderheitenrechte, Minderheitenschutz – alles schön und gut; aber die Wachen Linken haben eine höchst fragwürdige, von ihrem besonderen ideologischen Rahmen eingegrenzte Auffassung davon, die sie im Namen der Antidiskriminierung und der sozialen Gerechtigkeit auch zu illiberalen Mitteln greifen lässt.


Zitat:
"Anfangs ging es um Sichtbarmachung von Diskriminierung und Benachteiligung bestimmter Gruppen und Personen, um soziale Gerechtigkeit, Partizipation, Respekt und Anerkennung für alle in der Gesellschaft. Es war gut gemeint und dringend notwendig, auf Ungleichbehandlungen und Gerechtigkeitslücken aufmerksam zu machen und dies zu ändern. Doch es mündete in einer erschreckenden Maßlosigkeit. Über die Jahre ist eine Opferkultur und zugleich eine Opferkonkurrenz entstanden, die gerade nicht die beschworene Selbstermächtigung von Individuen im Fokus hat, sondern jedes Leid und jede Ungleichheit aus der Perspektive der realen oder vermeintlichen Diskriminierung einzelner Gruppen durch die weiße, patriarchale, kapitalistische, mit kolonialer Schuld beladene "Mehrheitsgesellschaft" sieht. Auf der Agenda der Aktivisten steht es daher, der Bevölkerung diesen unerhörten Zustand bewusst zu machen und in verhaltenstherapeutischer Manier läuternd auf sie einzuwirken, sie quasi umzuerziehen. Dies ist die Woke-Kultur, die in den amerikanischen Universitäten, im Kulturbetrieb und in der Linken ihren Ursprung hat. Sie breitet sich auch bei uns immer weiter aus und gleicht inzwischen einer Art Erweckungsbewegung, wie wir sie von den Evangelikalen kennen."

(Ackermann, Ulrike. Die neue Schweigespirale: Wie die Politisierung der Wissenschaft unsere Freiheit einschränkt. Darmstadt: wbg Theiss, 2022. S. 52)

#201:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 27.12.2023, 02:29
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Der Satz "Hunde haben vier Beine" ist (nach Nickels Theorie) genau dann falsch, wenn es mindestens einen anatomisch normalen Hund gibt, der nicht vier Beine hat. Der Satz ist de facto wahr, weil alle nichtvierbeinigen Hunde anatomisch abnormal sind.

Hältst du die Wahrheit des Satzes "Alle nichtvierbeinigen Hunde sind anatomisch abnormal" für empirisch oder für analytisch?

#202:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.12.2023, 02:38
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Der Satz "Hunde haben vier Beine" ist (nach Nickels Theorie) genau dann falsch, wenn es mindestens einen anatomisch normalen Hund gibt, der nicht vier Beine hat. Der Satz ist de facto wahr, weil alle nichtvierbeinigen Hunde anatomisch abnormal sind.

Hältst du die Wahrheit des Satzes "Alle nichtvierbeinigen Hunde sind anatomisch abnormal" für empirisch oder für analytisch?


Für empirisch, da die normale Anatomie von Hunden nur empirisch erkannt werden kann.

#203:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 27.12.2023, 02:51
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Der Satz "Hunde haben vier Beine" ist (nach Nickels Theorie) genau dann falsch, wenn es mindestens einen anatomisch normalen Hund gibt, der nicht vier Beine hat. Der Satz ist de facto wahr, weil alle nichtvierbeinigen Hunde anatomisch abnormal sind.

Hältst du die Wahrheit des Satzes "Alle nichtvierbeinigen Hunde sind anatomisch abnormal" für empirisch oder für analytisch?

Für empirisch, da die normale Anatomie von Hunden nur empirisch erkannt werden kann.

Also meinst du, dass ein anatomisch normaler Hund mit einer anderen Anzahl an Beinen als vier kein Selbstwiderspruch ist? Wie müsste denn ein einzelner anatomisch normaler Hund mit einer anderen Anzahl Beinen aussehen? Das müsstest du dann ja widerspruchsfrei angeben können. Und vor allem müsstest du sagen können, warum man einen solchen einzelnen nicht-vierbeinigen Hund überhaupt jemals anatomisch normal nennen sollte. Damit der einzelne nicht-vierbeinige Hund tatsächlich als Falsifikationsbedingung für unser Wissen taugen kann, muss sich das ja an diesem Hund festmachen lassen und nicht an Veränderungen, die wir zufälligerweise gleichzeitig aus ganz anderen Gründen an unserem Wissen und unserer Begrifflichkeit vornehmen.

Es geht hier um die Frage, wie man begrifflich festlegt, was überhaupt das "Normale" ist. Nimmt man das, was statistisch am häufigsten auftritt? Oder doch eher irgendwelche funktionalen Kriterien? Und wie groß darf die Varianz innerhalb dessen sein, was noch als "normal" gilt? Bei Hunden und Anatomie sind solche Fragen vielleicht ja noch relativ einfach zu beantworten, aber selbst hier hast du bereits eine Falsifikationsbedingung vorgeschlagen (die des Auffindens eines einzelnen nicht-vierbeinigen anatomisch normalen Hundes), von der du ziemlich sicher nicht sagen kannst, wie man sich das überhaupt vorzustellen habe und warum gerade diese Begriffe auf sie anzuwenden sein sollen. Bei einigen anderen Beispiele hier, bei denen du nicht auf so relativ gesichertes wissenschaftliches Wissen wie die Anatomie zurückgreifen kannst (z. B. meinen "normalen" Wookies oder selbst deinen "normalen" Polen) kommst du praktisch garantiert in noch extremere Bredouillen, sobald du deine Behauptungen und begrifflichen Entscheidungen begründen müsstest.

Was du m. E. verkennst, wenn du deine Behauptung als empirisch bezeichnest, ist, dass deine Entscheidung über die Anwendung oder Nicht-Anwendung des Begriffs des "Normalen" auf vierbeinige oder nicht-vierbeinige Hunde mit unserem Wissen über die Anatomie von Hunden (also z. B. die normale Anzahl ihrer Beine) nicht nur zufällig in Verbindung steht, sondern eben begrifflich. Unser Wissen über Anatomie mag empirisch gewonnen sein (aber unser Wissen über die historisch überlieferten Konventionen der bürgerlichen Ehe in westlichen Gesellschaften ist es auch, und trotzdem ist "Ein Junggeselle ist unverheiratet" analytisch!!), aber der Satz, dass alle anatomisch normalen Hunde vier Beine haben, hat in seiner Verwendung ganz offensichtlich eine analytische Komponente, weil es gerade in diesem Kontext Teil seiner Funktion ist, mit zur Festlegung dessen zu gehören, was überhaupt als "normal" gilt. Das ist das, was Wittgenstein als "grammatische Sätze" bezeichnet (wobei man vielleicht dafür argumentieren könnte, dass es "grammatische Satzverwendungen" heißen müsste). Dein Wissen über Anatomie mag empirisch und revidierbar sein, aber für die Frage nach der anatomischen Normalität eines einzelnen Hundes musst du es voraussetzen, als ob es analytisch wäre. Das kaufst du dir hier ein, weil unser empirisches Wissen über Anatomie hier ja gerade die Rolle spielen soll, den Begriff des "Normalen" bezüglich Hunden begrifflich, d. h. analytisch, zu bestimmen.


(Schnippisch gesagt: Hunde mit einer anderen Anzahl an Beinen als vier sind tatsächlich nicht allzu ungewöhnlich, aber die wahre - nämlich begriffliche - Abnormität wäre ein anatomisch normaler Hund mit einer anderen Anzahl an Beinen als vier.)

#204:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 27.12.2023, 07:35
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Der Satz "Hunde haben vier Beine" ist (nach Nickels Theorie) genau dann falsch, wenn es mindestens einen anatomisch normalen Hund gibt, der nicht vier Beine hat. Der Satz ist de facto wahr, weil alle nichtvierbeinigen Hunde anatomisch abnormal sind.

Hältst du die Wahrheit des Satzes "Alle nichtvierbeinigen Hunde sind anatomisch abnormal" für empirisch oder für analytisch?

Für empirisch, da die normale Anatomie von Hunden nur empirisch erkannt werden kann.

Also meinst du, dass ein anatomisch normaler Hund mit einer anderen Anzahl an Beinen als vier kein Selbstwiderspruch ist? Wie müsste denn ein einzelner anatomisch normaler Hund mit einer anderen Anzahl Beinen aussehen? Das müsstest du dann ja widerspruchsfrei angeben können. Und vor allem müsstest du sagen können, warum man einen solchen einzelnen nicht-vierbeinigen Hund überhaupt jemals anatomisch normal nennen sollte. Damit der einzelne nicht-vierbeinige Hund tatsächlich als Falsifikationsbedingung für unser Wissen taugen kann, muss sich das ja an diesem Hund festmachen lassen und nicht an Veränderungen, die wir zufälligerweise gleichzeitig aus ganz anderen Gründen an unserem Wissen und unserer Begrifflichkeit vornehmen.

Es geht hier um die Frage, wie man begrifflich festlegt, was überhaupt das "Normale" ist. Nimmt man das, was statistisch am häufigsten auftritt? Oder doch eher irgendwelche funktionalen Kriterien? Und wie groß darf die Varianz innerhalb dessen sein, was noch als "normal" gilt? Bei Hunden und Anatomie sind solche Fragen vielleicht ja noch relativ einfach zu beantworten, aber selbst hier hast du bereits eine Falsifikationsbedingung vorgeschlagen (die des Auffindens eines einzelnen nicht-vierbeinigen anatomisch normalen Hundes), von der du ziemlich sicher nicht sagen kannst, wie man sich das überhaupt vorzustellen habe und warum gerade diese Begriffe auf sie anzuwenden sein sollen. Bei einigen anderen Beispiele hier, bei denen du nicht auf so relativ gesichertes wissenschaftliches Wissen wie die Anatomie zurückgreifen kannst (z. B. meinen "normalen" Wookies oder selbst deinen "normalen" Polen) kommst du praktisch garantiert in noch extremere Bredouillen, sobald du deine Behauptungen und begrifflichen Entscheidungen begründen müsstest.

Was du m. E. verkennst, wenn du deine Behauptung als empirisch bezeichnest, ist, dass deine Entscheidung über die Anwendung oder Nicht-Anwendung des Begriffs des "Normalen" auf vierbeinige oder nicht-vierbeinige Hunde mit unserem Wissen über die Anatomie von Hunden (also z. B. die normale Anzahl ihrer Beine) nicht nur zufällig in Verbindung steht, sondern eben begrifflich. Unser Wissen über Anatomie mag empirisch gewonnen sein (aber unser Wissen über die historisch überlieferten Konventionen der bürgerlichen Ehe in westlichen Gesellschaften ist es auch, und trotzdem ist "Ein Junggeselle ist unverheiratet" analytisch!!), aber der Satz, dass alle anatomisch normalen Hunde vier Beine haben, hat in seiner Verwendung ganz offensichtlich eine analytische Komponente, weil es gerade in diesem Kontext Teil seiner Funktion ist, mit zur Festlegung dessen zu gehören, was überhaupt als "normal" gilt. Das ist das, was Wittgenstein als "grammatische Sätze" bezeichnet (wobei man vielleicht dafür argumentieren könnte, dass es "grammatische Satzverwendungen" heißen müsste). Dein Wissen über Anatomie mag empirisch und revidierbar sein, aber für die Frage nach der anatomischen Normalität eines einzelnen Hundes musst du es voraussetzen, als ob es analytisch wäre. Das kaufst du dir hier ein, weil unser empirisches Wissen über Anatomie hier ja gerade die Rolle spielen soll, den Begriff des "Normalen" bezüglich Hunden begrifflich, d. h. analytisch, zu bestimmen.

(Schnippisch gesagt: Hunde mit einer anderen Anzahl an Beinen als vier sind tatsächlich nicht allzu ungewöhnlich, aber die wahre - nämlich begriffliche - Abnormität wäre ein anatomisch normaler Hund mit einer anderen Anzahl an Beinen als vier.)


[Dieses Thema has gone very off-topic hier, aber wo soll ich sonst antworten…?]

Im Zusammenhang mit seiner logisch-semantischen Analyse generischer Generalisierungen – die eine unter mehreren ist (Siehe den SEP-Text zu diesem Thema!) – erklärt Nickel die Normalität eines Individuums anhand von Eigenschaften (Merkmalen), die seine Art (Gattung) kennzeichnen – und jene charakteristischen Eigenschaften wiederum anhand von Mechanismen, die für deren Vorhandensein ursächlich verantwortlich sind. Folglich ist es normal für Hunde, vierbeinig zu sein, weil Vierbeinigkeit eine charakteristische Eigenschaft des Hundes ist, die sich aus seinem biologischen, phylogenetisch etablierten und stabilisierten Entwicklungsmechanismus ergibt. Dieser kann während der Ontogenese eines einzelnen Hundes Fehlfunktionen aufweisen, sodass nicht jeder Hund mit vier Beinen auf die Welt kommen muss.

Die statistische Häufigkeit eines Merkmals spielt für Nickel keine Rolle bei seiner Definition der Normalität eines Individuums. Selbst wenn 100% der lebenden Hunde infolge einer Krankheit oder eines Unfalls ein Bein verloren hätten, so wäre es aus seiner Sicht nichtsdestoweniger unnormal für die Hunde, dreibeinig zu sein.

Mir ist aufgefallen, dass das Antonym von "empirisch" (= "a posteriori") nicht "analytisch" ist, sondern "a priori". Wir haben es insgesamt mit drei unterschiedlichen Gegensatzpaaren zu tun:
1. a priori vs. a posteriori (empirisch)
2. analytisch vs. synthetisch
3. notwendig vs. unnotwendig (zufällig)

Was genau ein analytischer Satz ist, scheint nicht ganz klar; aber klar ist jedenfalls, dass analytische Wahrheiten in epistemologischer Hinsicht a priori sind und in modallogischer Hinsicht (absolut) notwendig.

Trifft dies auf den Satz "Alle anatomisch normalen Hunde sind vierbeinig" zu? Ich glaube nicht, dass man a priori, durch rein rationale Intuition zu dem Wissen gelangen kann, dass alle anatomisch normalen Hunde vierbeinig sind. Denn dieses Wissen setzt empirisches, in sinnlicher Beobachtung gründendes Wissen über (die Evolution) der Anatomie von Hunden voraus.

Ist der Satz notwendigerweise wahr, d.h. in allen möglichen Welten? Er ist zumindest in unserer wirklichen Welt notwendigerweise wahr, weil es darin keine anatomisch normalen Hunde geben kann, die nicht vierbeinig sind. Man kann jedoch argumentieren, dass es in anderen möglichen Welten normale nichtvierbeinige Hunde gibt, weil die phylogenetische Evolution der Hundeanatomie dort anders verlaufen ist als diejenige in der wirklichen Welt. Im Gegensatz dazu gibt es in keiner möglichen Welt (die wirkliche Welt eingeschlossen) verheiratete Junggesellen! Es hätte sein können, dass normale Hunde sechsbeinig sind, aber nicht, dass Junggesellen verheiratet sind; denn analytische Wahrheiten sind in allen möglichen Welt wahr, also absolut notwendig.

Wenn es nun weder a priori wissbar noch absolut notwendigerweise wahr ist, dass alle anatomisch normalen Hunde vierbeinig sind, dann kann der entsprechende Satz kein analytischer sein.

Man kann zwar auf der Grundlage unseres empirischen Wissens über Hunde Vierbeinigkeit in die Definition des Begriffs anatomisch normaler Hund (in der wirklichen Welt) einbauen; aber das macht den Satz "Alle anatomisch normalen Hunde (in der wirklichen Welt) sind vierbeinig" nicht zu einem analytischen Satz im Sinne eines Satzes, dessen Wahrheit sich aus einer willkürlichen Nominaldefinition ergibt (wie "Alle Junggesellen sind unverheiratet").

Zitat:
"‘Analytic’ has been used in a wide variety of ways: truth by conceptual containment and truth whose denial is contradictory (Kant 1781/1787); logical truth (Bolzano 1837; Feigl 1949); truth by definition and logical derivation (Frege 1884; Pap 1958); truth in virtue of form (Schlick 1930–1); truth by definition and logical truth (Carnap 1937, 1947); truth by definition (Ayer 1936); truth based on meaning (Ayer 1936; C.I. Lewis 1944); truth by semantical rule (Carnap 1947); truth in all possible worlds (C.I. Lewis 1944; D.K. Lewis 1969); convertibility into logical truth by substitution of synonyms (Quine 1951); truth by implicit convention (Putnam 1962); and so on. Although related, not all of these uses are equivalent. For example, logical truths are not true by definition (in the sense of explicit definition), but they are trivially true by definition plus logic. Furthermore, Gödel’s incompleteness result shows that logical derivability and logical truth are not equivalent. Likewise various principles (for example, supervenience principles) which are true in all possible worlds seem not to be true by definition plus logic (if ‘definition’ does not include ‘implicit definitions’). Similarly, it may be doubted that correct definitions provide exact synonyms. Little care has been taken to distinguish these disparate uses and needless confusions have resulted. But, as Strawson and Grice (1956) note, observations of this sort ‘would scarcely amount to a rejection of the distinction [as Quine urges]. They would, rather, be a prelude to clarification’."

(Bealer, George. "Analyticity." In The Routledge Encyclopedia of Philosophy, Vol. 1, edited by Edward Craig, 234-239. London: Routledge, 1998. pp. 234-5)

#205:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 27.12.2023, 10:25
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Im Gegensatz dazu gibt es in keiner möglichen Welt (die wirkliche Welt eingeschlossen) verheiratete Junggesellen!

Doch! In einer Welt, in der sich die Institutionen von Hochzeit und Ehe in europäischen Gesellschaften historisch anders entwickelt haben als in unserer, könnte das z. B. der Fall sein. Die europäische Institutionengeschichte ist ja nicht weniger Teil der empirischen Realität als die Evolutionsgeschichte. Anderenfalls müsstest du von irgendeinem komischen gesellschaftlichen Supernaturalismus ausgehen.

...Um die Sache ein Bisschen vorwegzunehmen: Ich werde mir angesichts solcher Äußerungen vermutlich früher oder später die Frage gefallen lassen müssen, warum ich überhaupt nach dem empirischen oder analytischen Charakter von Sätzen gefragt habe, wenn ich sowieso nicht daran glaube, dass sich diese Unterscheidung scharf ziehen lässt. Die Antwort darauf ist, dass das die einfachste Möglichkeit war, herauszustellen, dass dein Falsifikationskriterium eines einzigen anatomisch normalen Hundes mit einer anderen Anzahl als vier Beinen gar nicht zur Falsifikation des Satzes "Alle anatomisch normalen Hunde haben vier Beine" taugt - denn nun sagst du ja selbst, dass du in dieser Welt überhaupt nie einen Hund anatomisch normal nennen würdest, der nicht genau vier Beine hat. Dein Begriff anatomischer Normalität von Hunden ist tatsächlich gegen dein angebliches Falsifikationskriterium immun, weil er genau diesen Fall begrifflich von vorne herein (=a priori) ausschließt. Deine anderen Welten führst du hier überhaupt nur dafür ein, deine begriffliche Konstruktion eines anatomisch normalen Hundes mit mehr als vier Beinen trotz dieses Ausschlusses überhaupt konzeptuell aufrecht erhalten zu können. Dass andere Welten nicht Gegenstand der Empirie sind und daher auch keine empirischen Widerlegungen für Hypothesen und Begriffsbildungen in dieser Welt liefern können, sollte sich eigentlich von selbst verstehen. Du merkst eben nicht, wie du mit dem Sprung in eine alternative Realität auch die Bedeutung des Wortes "Hund" selbst verschiebst. Sechsbeinige anatomisch normale "Hunde" aus einer anderen Welt wären natürlich auch keine Widerlegung deines Begriffs von anatomischer Normalität von Hunden in dieser Welt, und zwar aus dem ganz einfachen Grund, dass sie überhaupt nicht zu seinem Gegenstandsbereich gehören. Sie wären eine andere Spezies, die du nur zufälligerweise auch "Hunde" nennst. (Ich merke immer wieder, dass du dazu neigst, dich von deinen eigenen terminologischen Vorentscheidungen blenden zu lassen.)


Oder noch deutlicher gesagt:

Myron hat folgendes geschrieben:
Ist der Satz notwendigerweise wahr, d.h. in allen möglichen Welten? Er ist zumindest in unserer wirklichen Welt notwendigerweise wahr, weil es darin keine anatomisch normalen Hunde geben kann, die nicht vierbeinig sind.

Hier sehen wir sehr schön, warum die ganze Rede von "möglichen Welten" in der analytischen Philosophie mir zutiefst suspekt ist. Nur auf unsere empirisch zugängliche wirkliche Welt kommt es in dieser Diskussion überhaupt an. Wenn du in dieser Welt ganz grundsätzlich keinen Hund mit mehr oder weniger als vier Beinen überhaupt jemals anatomisch normal nennen würdest, also diesen Fall a priori ausschließt, dann kannst du nicht gleichzeitig genau diesen Fall als empirisches Falsifikationskriterium angeben. Du kannst nun mal nicht deinen Kuchen gleichzeitig essen und behalten. Entweder du schließt eine bestimmte Begriffsverwendung im Voraus aus oder eben nicht.



((Und wie gesagt: Diese ganze Bredouille wird m. E. noch viel schlimmer für dich, wenn wir über Fälle wie deinen Polen oder meinen Wokie reden, wo du nicht auf einen Hintergrund "harten" naturwissenschaftlichen Wissens zurückgreifen kannst. Da wird die Willkürlichkeit der jeweils vorausgesetzten Begriffe von "Normalität" nämlich wirklich endgültig offensichtlich.))

#206:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 27.12.2023, 23:29
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Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Ich bin weder ein reaktionärer Rechter noch einer ihrer "nützlichen Deppen".

Wenn du - mal rein hypothetisch gesprochen - Zweiteres wärst, würdest du es dann bemerken?

Was genau macht einen linken Kritiker der Wachen Linken denn zu einem für die Rechten nützlichen "Deppen"?

Na was schon, die allseits beliebte guilt by association fallacy. Wenn man als Freigeist halt sonst nix drauf hat..

Also wenn jemand eine andere Person dafür kritisiert, dass diese ein Verhalten zeigt, das ungewollt und gegen die eigenen Interessen dieser anderen Person einer bestimmten politischen Gruppe zugute kommt, dann ist das deiner Meinung nach eine guilt by association fallacy.

Möchtest du vielleicht nochmal nachschlagen, worin diese fallacy tatsächlich besteht? Oder vielleicht nochmal nachlesen, was tillich tatsächlich geschrieben hat? Zumindest eins von beiden scheint dir beim Schreiben nicht klar gewesen zu sein. Mit den Augen rollen

Danke, aber ich weiß sehr genau was eine guilt of association fallacy ist, und ich habe auch tillichs hässliche Schimpftiraden gelesen. Das einzige Argument das dort auftaucht, weshalb absolut jeder der den Begriff Wokeismus gebraucht, entweder ein manipulierter, undifferenzierter, fauler (und weiß der Geier was noch alles) Depp ist oder halt reaktionär sein muss, ist besagte fallacy.

#207:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 28.12.2023, 00:03
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Im Gegensatz dazu gibt es in keiner möglichen Welt (die wirkliche Welt eingeschlossen) verheiratete Junggesellen!

Doch! In einer Welt, in der sich die Institutionen von Hochzeit und Ehe in europäischen Gesellschaften historisch anders entwickelt haben als in unserer, könnte das z. B. der Fall sein. Die europäische Institutionengeschichte ist ja nicht weniger Teil der empirischen Realität als die Evolutionsgeschichte. Anderenfalls müsstest du von irgendeinem komischen gesellschaftlichen Supernaturalismus ausgehen.


Das Wort "Junggeselle" hätte eine andere Bedeutung erhalten können als diejenige, die es tatsächlich hat; und dann hätte es auch verheiratete Junggesellen geben können. Aber solange "Junggeselle" "unverheirateter Mann" bedeutet, ist die Existenz verheirateter Junggesellen logisch unmöglich.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
...Um die Sache ein Bisschen vorwegzunehmen: Ich werde mir angesichts solcher Äußerungen vermutlich früher oder später die Frage gefallen lassen müssen, warum ich überhaupt nach dem empirischen oder analytischen Charakter von Sätzen gefragt habe, wenn ich sowieso nicht daran glaube, dass sich diese Unterscheidung scharf ziehen lässt. Die Antwort darauf ist, dass das die einfachste Möglichkeit war, herauszustellen, dass dein Falsifikationskriterium eines einzigen anatomisch normalen Hundes mit einer anderen Anzahl als vier Beinen gar nicht zur Falsifikation des Satzes "Alle anatomisch normalen Hunde haben vier Beine" taugt - denn nun sagst du ja selbst, dass du in dieser Welt überhaupt nie einen Hund anatomisch normal nennen würdest, der nicht genau vier Beine hat. Dein Begriff anatomischer Normalität von Hunden ist tatsächlich gegen dein angebliches Falsifikationskriterium immun, weil er genau diesen Fall begrifflich von vorne herein (=a priori) ausschließt.


Wenn es normale nichtvierbeinige Hunde gäbe, dann falsifizierten sie den Satz "Alle normalen Hunde sind vierbeinig". Dabei muss nicht vorausgesetzt werden, dass es normale nichtvierbeinige Hunde geben kann. Der obige Konditionalsatz ist zwar "kontrapossibel", d.i. kontrafaktisch mit einem notwendigerweise falschen Antezedens, weil das Dasein normaler nichtvierbeiniger Hunde unmöglich ist; aber die formale Angabe einer Widerlegungsbedingung setzt nicht deren Erfüllbarkeit voraus.
(Ein anderes Beispiel: Wenn es widersprüchliche Tatsachen gäbe, dann widerlegten sie das logische Nichtwiderspruchsgesetz. Dieser Bedingungssatz ist wahr, obwohl es widersprüchliche Tatsachen weder gibt noch geben kann.)

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Deine anderen Welten führst du hier überhaupt nur dafür ein, deine begriffliche Konstruktion eines anatomisch normalen Hundes mit mehr als vier Beinen trotz dieses Ausschlusses überhaupt konzeptuell aufrecht erhalten zu können. Dass andere Welten nicht Gegenstand der Empirie sind und daher auch keine empirischen Widerlegungen für Hypothesen und Begriffsbildungen in dieser Welt liefern können, sollte sich eigentlich von selbst verstehen. Du merkst eben nicht, wie du mit dem Sprung in eine alternative Realität auch die Bedeutung des Wortes "Hund" selbst verschiebst. Sechsbeinige anatomisch normale "Hunde" aus einer anderen Welt wären natürlich auch keine Widerlegung deines Begriffs von anatomischer Normalität von Hunden in dieser Welt, und zwar aus dem ganz einfachen Grund, dass sie überhaupt nicht zu seinem Gegenstandsbereich gehören. Sie wären eine andere Spezies, die du nur zufälligerweise auch "Hunde" nennst. (Ich merke immer wieder, dass du dazu neigst, dich von deinen eigenen terminologischen Vorentscheidungen blenden zu lassen.)


Wenn Vierbeinigkeit eine wesentliche Eigenschaft von Hunden wäre, dann wäre jedes nichtvierbeinige Tier (in der wirklichen oder einer anderen möglichen Welt) ein Nichthund; aber daraus, dass es für Hunde (in der wirklichen Welt) normal ist, vierbeinig zu sein, folgt nicht, dass es für sie essenziell ist. Ein nichtvierbeiniges Tier (in der wirklichen oder einer anderen mögliche Welt) kann also sehr wohl (im selben Sinne des Wortes) ein Hund sein (und nicht nur ein hundeähnliches Tier).

Wenn Nickel von Vierbeinigkeit als einer charakteristischen Eigenschaft der Art Hund spricht, dann darf er "charakteristisch" nicht mit "essenziell" gleichsetzen, weil seine Theorie sonst unstimmig werden würde. Denn wenn Vierbeinigkeit Teil des Wesens der "Hundheit" wäre, dann könnte kein nichtvierbeiniges Tier ein Hund sein. Aus seiner Theorie soll aber lediglich folgen, dass kein nichtvierbeiniges Tier ein normaler Hund sein kann. Ich zitiere seine Definition hier abschließend ohne seine ausführliche Erläuterung, weil das viel zu weit führen würde:

Zitat:
"Characteristic Properties (with Contrasts): Property P is characteristic for a kind K relative to explanatory strategies S iff it is possible to explain why P is present among Ks by the most general invocation of one or more of the strategies in S."

(Nickel, Bernhard. Between Logic and the World: An Integrated Theory of Generics. Oxford: Oxford University Press, 2016. p. 182)


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Oder noch deutlicher gesagt:

Hier sehen wir sehr schön, warum die ganze Rede von "möglichen Welten" in der analytischen Philosophie mir zutiefst suspekt ist.


Ich habe ganz "naiv" von möglichen Welten gesprochen, ohne meine Rede mit einer ontologischen Verpflichtung zum modalen Realismus (à la David Lewis) zu verbinden. Sie spielt mit dem modallogischen Modell möglicher Welten, das deflationär einfach als hilfreiche façon de parler zur Klärung der Verhältnisse von Wirklichkeit, Möglichkeit und Notwendigkeit betrachtet werden kann.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
((Und wie gesagt: Diese ganze Bredouille wird m. E. noch viel schlimmer für dich, wenn wir über Fälle wie deinen Polen oder meinen Wokie reden, wo du nicht auf einen Hintergrund "harten" naturwissenschaftlichen Wissens zurückgreifen kannst. Da wird die Willkürlichkeit der jeweils vorausgesetzten Begriffe von "Normalität" nämlich wirklich endgültig offensichtlich.))


Der Begriff der Normalität steht hier nicht frei im Raum, sondern im speziellen Kontext der logisch-semantischen Deutung generischer Generalisierungen: https://plato.stanford.edu/entries/generics/#PossWorlNormBaseAppr

Nickels Theorie zufolge ist es keineswegs willkürlich, die Vierbeinigkeit von Hunden als normal zu bezeichnen; denn es handelt sich dabei um ein objektives arttypisches Merkmal, das von (relativ) stabilen biologischen Mechanismen (einschließlich genetischer Programme) hervorgebracht wird. Die natürliche Normalität, wovon hier die Rede ist, ist keine normative Normalität, bei der wir etwas moralisch/juristisch vorschreiben oder festlegen.

Das Oxford English Dictionary definiert "normal" allgemein als "constituting, conforming to, not deviating or differing from, the common type or standard; regular, usual". Im Begriff der Normalität (wie im Begriff der Regularität) finden sich sowohl deskriptive Aspekte als auch präskriptive Aspekte. Naturgesetzlich bestimmte Normalität/Regularität hat nichts Moralisches an sich. Dass es für Hunde normal ist, vierbeinig zu sein, ist kein sittliches Urteil darüber, wie Hunde sein sollen. "Normalität" bedeutet hier nicht "Vorschriftsmäßigkeit".

#208:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 28.12.2023, 00:15
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Um den Weg zurück zum Wokeismus zu finden: Die Queertheorie hat dem Normalen sowie der Unterscheidung zwischen dem Normalen und dem Abnormalen den Kampf angesagt, insbesondere im Bereich der Sexualität. Für sie ist diese Unterscheidung immer normativ, also stets eine Sache menschengemachter ethischer/politischer Normen oder Regeln, die Queertheoretiker als "bürgerliches" Unterdrückungsinstrument erachten.

Sie bevorzugen deshalb den Begriff der Diversität, mit dem sie (unter anderem) die Unterscheidung von Normalität und Abnormalität überwinden wollen. Neuro-/Psychopathologische Abnormalität nennen sie "Neuro-/Psychodiversität", weil sie die Betroffenen "entpathologisieren" und damit von Unterdrückung und Fremdbestimmung befreien wollen. (Diese Denkweise hat ihre Wurzeln in der Antipsychiatrie-Bewegung innerhalb der Neuen Linken der 60er/70er-Jahre.)

Es ist unbestreitbar, dass die Einteilung von Menschen in Normale & Unnormale, Gesunde & Kranke oft zu schlimmer Ungerechtigkeit und grobem Unrecht geführt hat—wie im Fall von Homosexuellen, deren soziale Entpathologisierung (und Entkriminalisierung) eine gute Sache ist, die wir dem unermüdlichen Einsatz linker Aktivisten zu verdanken haben. (In Ländern wie Russland und Uganda, wo Homosexuelle derzeit wieder extrem diskriminiert und sogar kriminalisiert werden, sind ihre Bestrebungen leider zunichte gemacht worden.)

Leider schießen die Queertheoretiker und andere woke Theoretiker über das wünschenswerte Ziel hinaus, wenn sie beispielsweise psychische Krankheiten wie Schizophrenie zu normalen Formen von "Psychodiversität" erklären und krankhafte Fettleibigkeit zu einer normalen Form von "Körperdiversität".

#209:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 28.12.2023, 03:08
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Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Im Gegensatz dazu gibt es in keiner möglichen Welt (die wirkliche Welt eingeschlossen) verheiratete Junggesellen!

Doch! In einer Welt, in der sich die Institutionen von Hochzeit und Ehe in europäischen Gesellschaften historisch anders entwickelt haben als in unserer, könnte das z. B. der Fall sein. Die europäische Institutionengeschichte ist ja nicht weniger Teil der empirischen Realität als die Evolutionsgeschichte. Anderenfalls müsstest du von irgendeinem komischen gesellschaftlichen Supernaturalismus ausgehen.

Das Wort "Junggeselle" hätte eine andere Bedeutung erhalten können als diejenige, die es tatsächlich hat; und dann hätte es auch verheiratete Junggesellen geben können. Aber solange "Junggeselle" "unverheirateter Mann" bedeutet, ist die Existenz verheirateter Junggesellen logisch unmöglich.

Das zeigt mir, dass du auf meine Beiträge antwortest, ohne sie vorher ganz gelesen zu haben. Der ganze Punkt meines Beitrags ist der, dass das Wort "Hund" in deiner hypothetischen alternativen Welt auch eine andere Bedeutung hat als in unserer, und zwar in genau dem selben Sinne.

Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
...Um die Sache ein Bisschen vorwegzunehmen: Ich werde mir angesichts solcher Äußerungen vermutlich früher oder später die Frage gefallen lassen müssen, warum ich überhaupt nach dem empirischen oder analytischen Charakter von Sätzen gefragt habe, wenn ich sowieso nicht daran glaube, dass sich diese Unterscheidung scharf ziehen lässt. Die Antwort darauf ist, dass das die einfachste Möglichkeit war, herauszustellen, dass dein Falsifikationskriterium eines einzigen anatomisch normalen Hundes mit einer anderen Anzahl als vier Beinen gar nicht zur Falsifikation des Satzes "Alle anatomisch normalen Hunde haben vier Beine" taugt - denn nun sagst du ja selbst, dass du in dieser Welt überhaupt nie einen Hund anatomisch normal nennen würdest, der nicht genau vier Beine hat. Dein Begriff anatomischer Normalität von Hunden ist tatsächlich gegen dein angebliches Falsifikationskriterium immun, weil er genau diesen Fall begrifflich von vorne herein (=a priori) ausschließt.

Wenn es normale nichtvierbeinige Hunde gäbe, dann falsifizierten sie den Satz "Alle normalen Hunde sind vierbeinig". Dabei muss nicht vorausgesetzt werden, dass es normale nichtvierbeinige Hunde geben kann. Der obige Konditionalsatz ist zwar "kontrapossibel", d.i. kontrafaktisch mit einem notwendigerweise falschen Antezedens, weil das Dasein normaler nichtvierbeiniger Hunde unmöglich ist; aber die formale Angabe einer Widerlegungsbedingung setzt nicht deren Erfüllbarkeit voraus.

Myron, ich habe langsam das Gefühl, du willst mich verkohlen. Wenn du eine Falsifikationsbedingung für einen wissenschaftlichen Ansatz angibst und dann sagst, dass du grundsätzlich überhaupt keinen möglichen Fall als Erfüllung dieser Bedingung ansehen wirst, egal wie dieser Fall aussieht, dann ist der betreffende Ansatz nichtfalsifizierbar. Das steht einfach überhaupt nicht zur Diskussion. Wie gesagt: Du kannst nicht den Kuchen gleichzeitig essen und behalten. Du kannst nicht etwas als a priori behandeln und gleichzeitig von allen verlangen, dass sie es dir als empirisch durchgehen lassen sollen. Kein mögliches Quantum an sophistischer Wortverdreherei führt jemals an den Punkt, wo man dir das durchgehen lassen könnte. Entweder oder.

Myron hat folgendes geschrieben:
(Ein anderes Beispiel: Wenn es widersprüchliche Tatsachen gäbe, dann widerlegten sie das logische Nichtwiderspruchsgesetz. Dieser Bedingungssatz ist wahr, obwohl es widersprüchliche Tatsachen weder gibt noch geben kann.)

Der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch ist kein Satz der empirischen Wissenschaften, sondern ein Satz der Logik. Auf die Idee, das für empirisch falsifizierbar zu halten, muss man auch erstmal kommen. Pillepalle
Dass es auch dialetheische Logiken gibt, ist geschenkt. Der Schritt von der klassischen zu einer dialetheischen Logik geschieht aber nicht durch Falsifikation ersterer.

Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Deine anderen Welten führst du hier überhaupt nur dafür ein, deine begriffliche Konstruktion eines anatomisch normalen Hundes mit mehr als vier Beinen trotz dieses Ausschlusses überhaupt konzeptuell aufrecht erhalten zu können. Dass andere Welten nicht Gegenstand der Empirie sind und daher auch keine empirischen Widerlegungen für Hypothesen und Begriffsbildungen in dieser Welt liefern können, sollte sich eigentlich von selbst verstehen. Du merkst eben nicht, wie du mit dem Sprung in eine alternative Realität auch die Bedeutung des Wortes "Hund" selbst verschiebst. Sechsbeinige anatomisch normale "Hunde" aus einer anderen Welt wären natürlich auch keine Widerlegung deines Begriffs von anatomischer Normalität von Hunden in dieser Welt, und zwar aus dem ganz einfachen Grund, dass sie überhaupt nicht zu seinem Gegenstandsbereich gehören. Sie wären eine andere Spezies, die du nur zufälligerweise auch "Hunde" nennst. (Ich merke immer wieder, dass du dazu neigst, dich von deinen eigenen terminologischen Vorentscheidungen blenden zu lassen.)

Wenn Vierbeinigkeit eine wesentliche Eigenschaft von Hunden wäre, dann wäre jedes nichtvierbeinige Tier (in der wirklichen oder einer anderen möglichen Welt) ein Nichthund; aber daraus, dass es für Hunde (in der wirklichen Welt) normal ist, vierbeinig zu sein, folgt nicht, dass es für sie essenziell ist. Ein nichtvierbeiniges Tier (in der wirklichen oder einer anderen mögliche Welt) kann also sehr wohl (im selben Sinne des Wortes) ein Hund sein (und nicht nur ein hundeähnliches Tier).

Wenn Nickel von Vierbeinigkeit als einer charakteristischen Eigenschaft der Art Hund spricht, dann darf er "charakteristisch" nicht mit "essenziell" gleichsetzen, weil seine Theorie sonst unstimmig werden würde. Denn wenn Vierbeinigkeit Teil des Wesens der "Hundheit" wäre, dann könnte kein nichtvierbeiniges Tier ein Hund sein. Aus seiner Theorie soll aber lediglich folgen, dass kein nichtvierbeiniges Tier ein normaler Hund sein kann.

Ich habe keine Ahnung, was dieser Wortschwall mit dem zu tun hat, worauf er angeblich antwortet. Es sei denn, du meinst allen Ernstes, die Begriffe des "Hundes" und des "normalen Hundes" wären semantisch voneinander unabhängig. Da kann ich nur wieder sagen: Auf so eine Schnapsidee muss man erstmal kommen. Pillepalle

Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Hier sehen wir sehr schön, warum die ganze Rede von "möglichen Welten" in der analytischen Philosophie mir zutiefst suspekt ist. Nur auf unsere empirisch zugängliche wirkliche Welt kommt es in dieser Diskussion überhaupt an. Wenn du in dieser Welt ganz grundsätzlich keinen Hund mit mehr oder weniger als vier Beinen überhaupt jemals anatomisch normal nennen würdest, also diesen Fall a priori ausschließt, dann kannst du nicht gleichzeitig genau diesen Fall als empirisches Falsifikationskriterium angeben. Du kannst nun mal nicht deinen Kuchen gleichzeitig essen und behalten. Entweder du schließt eine bestimmte Begriffsverwendung im Voraus aus oder eben nicht.

Ich habe ganz "naiv" von möglichen Welten gesprochen, ohne meine Rede mit einer ontologischen Verpflichtung zum modalen Realismus (à la David Lewis) zu verbinden.

Dass du dazu neigst, dich gegenüber deinem eigenen Sprechen über Gegenstände naiv zu verhalten, weiß ich schon. Davon abgesehen habe ich aber mal wieder keine Ahnung, was das mit dem zu tun hat, was ich geschrieben habe. Ich habe nicht Bedenken gegen irgendeine "ontologische Verpflichtung" angemeldet, sondern gegen diese Redeweise selbst. Und das wird auch offenkundig, sobald man (wie ich hier) meine Begründung wieder mit zitiert. Tatsächlich wird mein Bedenken sogar stichhaltiger, wenn man davon ausgeht, dass mit der Redeweise kein ontologisches Commitment verbunden ist.

Myron hat folgendes geschrieben:
Nickels Theorie zufolge ist es keineswegs willkürlich, die Vierbeinigkeit von Hunden als normal zu bezeichnen; denn es handelt sich dabei um ein objektives arttypisches Merkmal, das von (relativ) stabilen biologischen Mechanismen (einschließlich genetischer Programme) hervorgebracht wird.

Nochmal zur Erinnerung: Dein eigenes ursprüngliches Beispiel in dieser Diskussion war das von klauenden Polen!!

#210:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 28.12.2023, 03:24
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
Danke, aber ich weiß sehr genau was eine guilt of association fallacy ist, und ich habe auch tillichs hässliche Schimpftiraden gelesen. Das einzige Argument das dort auftaucht, weshalb absolut jeder der den Begriff Wokeismus gebraucht, entweder ein manipulierter, undifferenzierter, fauler (und weiß der Geier was noch alles) Depp ist oder halt reaktionär sein muss, ist besagte fallacy.

Eine einzelne Prämisse macht ganz generell noch keinen Fehlschluss - auch dann nicht, wenn sie eine hässliche Schimpftirade ist. Wenn das ein Fehlschluss ist, was genau ist denn dann die Conclusio, auf die hier fälschlich geschlossen werden soll?

#211:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 28.12.2023, 07:54
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
Danke, aber ich weiß sehr genau was eine guilt of association fallacy ist, und ich habe auch tillichs hässliche Schimpftiraden gelesen. Das einzige Argument das dort auftaucht, weshalb absolut jeder der den Begriff Wokeismus gebraucht, entweder ein manipulierter, undifferenzierter, fauler (und weiß der Geier was noch alles) Depp ist oder halt reaktionär sein muss, ist besagte fallacy.

Eine einzelne Prämisse macht ganz generell noch keinen Fehlschluss - auch dann nicht, wenn sie eine hässliche Schimpftirade ist. Wenn das ein Fehlschluss ist, was genau ist denn dann die Conclusio, auf die hier fälschlich geschlossen werden soll?

Die Conclusio ist das wofür argumentiert wird und genau das hab ich da oben hingeschrieben.

P1: Personengruppe A benutzt den Begriff Wokeismus
P2 Personengruppe A benutzt den Begriff auf unreflektierte Weise
P3: X benutzt den Begriff Wokeismus
C: Also benutzt X den Begriff auf unreflektierte Weise

Mehr steckt da nicht hinter..

#212:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 28.12.2023, 08:05
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
Danke, aber ich weiß sehr genau was eine guilt of association fallacy ist, und ich habe auch tillichs hässliche Schimpftiraden gelesen. Das einzige Argument das dort auftaucht, weshalb absolut jeder der den Begriff Wokeismus gebraucht, entweder ein manipulierter, undifferenzierter, fauler (und weiß der Geier was noch alles) Depp ist oder halt reaktionär sein muss, ist besagte fallacy.

Eine einzelne Prämisse macht ganz generell noch keinen Fehlschluss - auch dann nicht, wenn sie eine hässliche Schimpftirade ist. Wenn das ein Fehlschluss ist, was genau ist denn dann die Conclusio, auf die hier fälschlich geschlossen werden soll?

Die Conclusio ist das wofür argumentiert wird und genau das hab ich da oben hingeschrieben.

P1: Personengruppe A benutzt den Begriff Wokeismus
P2 Personengruppe A benutzt den Begriff auf unreflektierte Weise
P3: X benutzt den Begriff Wokeismus
C: Also benutzt X den Begriff auf unreflektierte Weise

Mehr steckt da nicht hinter..

Mehr? Ich möchte eher sagen weniger. Wer genau ist jetzt dieser X in tillichs Beitrag? Oder soll das einfach allgemein für jeden beliebigen X stehen? Dir ist schon klar, dass tillichs Beitrag ganz explizit einfach nur eine Aufzählung verschiedener Leute ist, die ihm persönlich mal begegnet sind (bzw. mit denen er persönlich in der Vergangenheit schon mal "konfrontiert" wurde)? Dahinter steckt so wie ich das sehe nicht mehr und sogar noch nicht mal weniger, sondern gar nichts weiter, und insbesondere kein Schluss.

(Übrigens kann man sich in deiner Konstruktion die Prämisse P1 komplett sparen, weil sie in P2 impliziert ist. Aber das nur am Rande.)

#213:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 28.12.2023, 13:27
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Um den Weg zurück zum Wokeismus zu finden: Die Queertheorie hat dem Normalen sowie der Unterscheidung zwischen dem Normalen und dem Abnormalen den Kampf angesagt, insbesondere im Bereich der Sexualität. Für sie ist diese Unterscheidung immer normativ, also stets eine Sache menschengemachter ethischer/politischer Normen oder Regeln, die Queertheoretiker als "bürgerliches" Unterdrückungsinstrument erachten.

Ich, als zertifizierter Wokeist, erkläre: Wer normales als abnormal bezeichnet, ist nicht ganz normal (abnormal).


Myron hat folgendes geschrieben:
Sie bevorzugen deshalb den Begriff der Diversität, mit dem sie (unter anderem) die Unterscheidung von Normalität und Abnormalität überwinden wollen. Neuro-/Psychopathologische Abnormalität nennen sie "Neuro-/Psychodiversität", weil sie die Betroffenen "entpathologisieren" und damit von Unterdrückung und Fremdbestimmung befreien wollen. (Diese Denkweise hat ihre Wurzeln in der Antipsychiatrie-Bewegung innerhalb der Neuen Linken der 60er/70er-Jahre.)

Ich, als Wokeist und Vertreter der extremen Mitte, erkläre: Die Pathologisierung des Normalen führt zu einer gefährlichen Unterdrückung der Normalisierung diverser Abnormalitäten wie Neuropathien. Das. Muss. Aufhören. (Diese Denkweise hat in der Neuen Rechten diverse Wurzeln geschlagen.)


Myron hat folgendes geschrieben:
Es ist unbestreitbar, dass die Einteilung von Menschen in Normale & Unnormale, Gesunde & Kranke oft zu schlimmer Ungerechtigkeit und grobem Unrecht geführt hat—wie im Fall von Homosexuellen, deren soziale Entpathologisierung (und Entkriminalisierung) eine gute Sache ist, die wir dem unermüdlichen Einsatz linker Aktivisten zu verdanken haben. (In Ländern wie Russland und Uganda, wo Homosexuelle derzeit wieder extrem diskriminiert und sogar kriminalisiert werden, sind ihre Bestrebungen leider zunichte gemacht worden.)

Die Rechte rechter, krimineller sowie rechter krimineller Homosexueller werden in Uganda dank des unermüdlichen Einsatzes kranker Russen entpathologisiert, was leider zu grobem Unrecht in der Anästhesie führt.


Myron hat folgendes geschrieben:
Leider schießen die Queertheoretiker und andere woke Theoretiker über das wünschenswerte Ziel hinaus, wenn sie beispielsweise psychische Krankheiten wie Schizophrenie zu normalen Formen von "Psychodiversität" erklären und krankhafte Fettleibigkeit zu einer normalen Form von "Körperdiversität".

Ich, als theoretisch Queerer, frage dich in woker Weise: Wo kann ich nachlesen, dass ich oder meine neurodivergenten Kollegen die Schizophrenie zu einer normalen Form der Psychodiversität erklären? Pillepalle

#214:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 28.12.2023, 14:54
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Leider schießen die Queertheoretiker und andere woke Theoretiker über das wünschenswerte Ziel hinaus, wenn sie beispielsweise psychische Krankheiten wie Schizophrenie zu normalen Formen von "Psychodiversität" erklären und krankhafte Fettleibigkeit zu einer normalen Form von "Körperdiversität".

Ich, als theoretisch Queerer, frage dich in woker Weise: Wo kann ich nachlesen, dass ich oder meine neurodivergenten Kollegen die Schizophrenie zu einer normalen Form der Psychodiversität erklären? Pillepalle

Das würde ich auch mal gerne wissen, schon angesichts der Tatsache, dass Schizophrenie und Übergewicht als solche überhaupt nicht zum Gegenstandsbereich der Queer Theory gehören.

#215:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 28.12.2023, 20:10
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Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Babyface hat folgendes geschrieben:
Danke, aber ich weiß sehr genau was eine guilt of association fallacy ist, und ich habe auch tillichs hässliche Schimpftiraden gelesen. Das einzige Argument das dort auftaucht, weshalb absolut jeder der den Begriff Wokeismus gebraucht, entweder ein manipulierter, undifferenzierter, fauler (und weiß der Geier was noch alles) Depp ist oder halt reaktionär sein muss, ist besagte fallacy.

Eine einzelne Prämisse macht ganz generell noch keinen Fehlschluss - auch dann nicht, wenn sie eine hässliche Schimpftirade ist. Wenn das ein Fehlschluss ist, was genau ist denn dann die Conclusio, auf die hier fälschlich geschlossen werden soll?

Die Conclusio ist das wofür argumentiert wird und genau das hab ich da oben hingeschrieben.

P1: Personengruppe A benutzt den Begriff Wokeismus
P2 Personengruppe A benutzt den Begriff auf unreflektierte Weise
P3: X benutzt den Begriff Wokeismus
C: Also benutzt X den Begriff auf unreflektierte Weise

Mehr steckt da nicht hinter..

Mehr? Ich möchte eher sagen weniger. Wer genau ist jetzt dieser X in tillichs Beitrag? Oder soll das einfach allgemein für jeden beliebigen X stehen? Dir ist schon klar, dass tillichs Beitrag ganz explizit einfach nur eine Aufzählung verschiedener Leute ist, die ihm persönlich mal begegnet sind (bzw. mit denen er persönlich in der Vergangenheit schon mal "konfrontiert" wurde)? Dahinter steckt so wie ich das sehe nicht mehr und sogar noch nicht mal weniger, sondern gar nichts weiter, und insbesondere kein Schluss.

(Übrigens kann man sich in deiner Konstruktion die Prämisse P1 komplett sparen, weil sie in P2 impliziert ist. Aber das nur am Rande.)

Ja, das X ist Platzhalter für eine beliebige Person, und die claims zu X kannst auf Seite 1 nachlesen..

#216:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 28.12.2023, 20:15
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Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Nickels Theorie zufolge ist es keineswegs willkürlich, die Vierbeinigkeit von Hunden als normal zu bezeichnen; denn es handelt sich dabei um ein objektives arttypisches Merkmal, das von (relativ) stabilen biologischen Mechanismen (einschließlich genetischer Programme) hervorgebracht wird.

Nochmal zur Erinnerung: Dein eigenes ursprüngliches Beispiel in dieser Diskussion war das von klauenden Polen!!


Dazu habe ich (im Zusammenhang mit Nickels Theorie) bereits etwas gesagt: https://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=2302020#2302020

Wenn dir Nickels normalitätsbezogene Interpretation generischer Generalisierungen wie "Hunde sind vierbeinig", "Polen klauen" und "Der Russe säuft" missfällt, wie interpretierst du sie dann (logisch-semantisch)?

#217:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 28.12.2023, 21:00
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Damit kann ich leben - es ist ja nicht so, daß der Mann Macht über mich hatte.

Oho. Es ist schon interessant, welche Macht uns Wokies von manchen Leuten zugesprochen wird.

Der Mann war Priester, kein Wokie.

Aber was du sagst, gibt einen Vergleich her: welchen Einfluß hatte die Kirche auf die Gesellschaft, welchen Einfluß haben wokies heute?

Wieviele Leute hat die Kirche - als einer der größten Arbeitgeber Deutschlands - entlassen, weil sie den kirchlichen Moralansprüchen nicht genügten? Wieviele Leute wurden in den USA entlassen, weil sie den woken Ansprüchen an Unis nicht genügten?

Zugegeben, der Vergleich hinkt ein bisschen, aber auf ein Kriterium dieser Art müßte man sich einigen, wenn wir "ist ein kleineres Problem" und "ist ein größeres" einschätzen wollten.


jdf hat folgendes geschrieben:
Und üble Nachrede bleibt üble Nachrede, BTW...

Erstens das. Zweitens ist es noch mehr: Ratsch, Tratsch und Klatsch ist ein Weg in kleinen Gruppen soziale Konformität herzustellen.


jdf hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Konsequenter Weise steht auch den Lesben ihr safe space zu.

Natürlich. Wo ist das Problem?

Ich dachte, die Forderung wäre transphob.

Sollte sie das nicht sein, habe ich etwas völlig falsch verstanden.

#218:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 28.12.2023, 21:13
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Das würde ich auch mal gerne wissen, schon angesichts der Tatsache, dass Schizophrenie und Übergewicht als solche überhaupt nicht zum Gegenstandsbereich der Queer Theory gehören.


Ich habe geschrieben "Queertheoretiker und andere woke Theoretiker". Die Queertheorie beschäftigt sich ursprünglich und hauptsächlich mit Sexualität (sexueller Identität), aber längst nicht mehr nur damit, denn es gilt das Prinzip der "Intersektionalität".

Zitat:
"Throughout the 2000s, many new applications, reinterpretations and appropriations of queer theory critique emerged. A significant body of work crossed disciplinary boundaries, bringing queer theory into conversation with a range of different social issues. This included a broad range of queer theory reflections on the intersections of gender, class, race and sexuality across issues of identity, nation, citizenship and belonging (…). In the wake of this, diverse theoretical approaches to queer theory began to proliferate. While the term “intersectionality” refers to an analytical framework to explore the multiple axes of identity, subjectivity and social formation, we can also use the term “intersection” to refer to instances where one theoretical frame meets another. …[T]hese theoretical trajectories have included work between queer theory and Critical Race Studies which produced Black Queer Studies and queer analyses of race; queer theory’s geopolitical turn, focused on issues including migration and diaspora; queer Indigenous studies; queer theory’s ontological turn, focused on issues including materiality, affect, and a turn away from representation; intersections between Marxism and queer theory; and deployments of disability studies with queer theory."

(McCann, Hannah, and Whitney Monaghan. Queer Theory Now: From Foundations to Futures. London: Red Globe Press, 2020. p. 188)


Queertheoretikern geht es allgemein um "Widerstand gegen Regime des Normalen"/"resistance to regimes of the normal" (1, die Bekämpfung von "Theorien, die versuchen zu homogenisieren, normalisieren, kategorisieren und hierarchisieren"/ "Theories that attempt to homogenize, normalize, categorize, and hierarchize". (2

(1: Warner, Michael. Introduction to Fear of a Queer Planet: Queer Politics and Social Theory, edited by Michael Warner, vii-xxxi. Minneapolis, MN: University of Minnesota Press, 1993. p. xxvi)
(2: Hall, Donald E. Queer Theories. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2003. p. 15)

Zitat:
"Key concepts: Norms, normalisation, normative, normativity

Norms: A key aspect of queer theory is resisting dominant norms, so what exactly is a “norm”? Norms generally refer to standards, rules or expectations. Norms are associated with the “normal” and opposed from the “abnormal”. Queer theory is particularly concerned with resisting norms around gender and sexuality, and questioning what is considered “normal” versus “abnormal” in these contexts.

Normalisation: In addition to resisting norms, queer theory seeks to interrogate processes of normalisation. Normalisation is a term that was introduced by Foucault to explain how norms function as a form of social control within modern societies. As Stephen Valocchi argues, “The process of normalisation…is done by the constitution of persons who reiterate norms in order to become knowing and knowable, recognized and recognizable to others. In this way, the work of social control is accomplished” (2016, 1 [“Normalisation.” In The Wiley Blackwell Encyclopedia of Gender and Sexuality Studies]). By analysing this process, queer theory is thus concerned with the question of how norms are regulated and connected to social power.

Normative:Queer theory is also interested in understanding and often resisting the normative. While the term normative is related to the idea of norms, it is important to differentiate between the two terms. Norm simply describes a dominant rule, standard or expectation, but normative refers to the context surrounding how these things are established, perpetuated and often morally endorsed. As [Judith] Butler describes:

the word is one I use often, mainly to describe the mundane violence performed by certain kinds of gender ideals. I usually use ‘normative’ in a way that is synonymous with ‘pertaining to the norms that govern gender’. But the term ‘normative’ also pertains to ethical justification, how it is established, and what concrete consequences proceed therefrom. (1999, xx [Gender Trouble])

Normativity: More broadly, queer theory is interested in critiquing, destabilising, subverting and challenging normativity. The term normativity refers to the system through which norms, normalisation and the normative are naturalised and made to seem ideal. Many queer thinkers focus their critiques on both heteronormativity and homonormativity."

(McCann, Hannah, and Whitney Monaghan. Queer Theory Now: From Foundations to Futures. London: Red Globe Press, 2020. pp. 12-3)


Die Queertheorie richtet sich gegen die folgenden Annahmen:

Zitat:
"KEY ASSUMPTION 1: IDENTITIES ARE FIXED AND ESSENTIAL
This assumption can be questioned because of how contextual sexual identities and practices are: they’re understood and experienced in very different ways at different points in time, and across different cultures and communities. Also, recent research has found that sexuality is fluid. Many people’s experiences of their sexuality changes over the course of their lifetimes. Many adopt different identity terms at different times."

"KEY ASSUMPTION 2: SEXUALITY AND GENDER ARE BINARY
Neither sexuality nor gender is experienced as binary (clearly either/or) by everyone. When researchers ask people to place themselves on a continuum of sexual attraction, at least a third of people generally fall somewhere between “exclusively gay/lesbian” and “exclusively straight”. More recent research from Tel-Aviv University has found that a similar proportion of people experience themselves to some extent as the “other” gender, as “both” genders, or as “neither”.
Queer theory goes even further than this in questioning the whole concepts of sexual and gender identity, and the links between the two."

"KEY ASSUMPTION 3: NORMAL AND ABNORMAL SEX CAN USEFULLY BE DISTINGUISHED
Historical shifts in which sexualities have been regarded as “normal” and “abnormal”, and “functional” and “dysfunctional”, bring the whole idea of distinguishing people on this basis into question. We can also question what is meant by “normal”. Many of the currently listed “paraphilias” (abnormal sexual desires) are very common, are practised by people consensually, and are associated with psychological well-being. So why regard them as abnormal? With major surveys finding that half of all people report having a sexual problem, is it normal to be “sexually dysfunctional”? Or does the very idea of sexual function create dysfunctions?
Queer theory goes beyond these questions to critique the “regimes of normativity” and “power relations” that such distinctions are based on."

"ENTER QUEER THEORY
Queer theory, like the word “queer”, is a much-contested term, always in flux, that is used in different ways by different academics and activists. This multiplicity and contradiction can be seen as a good thing by queer theorists who don’t believe in simplistic explanations or universal truths anyway.

However, as we have seen, some unifying features of most queer theories could be:
* Resisting the categorization of people
* Challenging the idea of essential identities
* Questioning binaries like gay/straight, male/female
* Demonstrating how things are contextual, based on geography, history, culture, etc.
* Examining the power relations underlying certain understandings, categories, identities, etc.

Going back to “queer” as a verb, we might queer normative knowledge, identities, and institutions by showing how strange they are, by delegitimizing them, or by camping them up."

(Barker, Meg-John, and Julia Scheele. Queer: A Graphic History. London: Icon Books, 2016.)


Zitat:
"THE TURN TO POST-STRUCTURALISM
Queer theory has its theoretical basis in the academic turn to poststructuralism in the 1970s and 80s. Post-structuralism is based on the work of various critical theorists, such as Jacques Derrida, Jacques Lacan, and Michel Foucault, although not all of them accepted that term themselves.
Post-structuralists reject the idea of any single, universal, absolute “truth”. They’re critical of systems of thought that make claims to uncover truths, such as science and religion. They’re also critical of theories based on grand narratives that attempt to explain all of human experience in terms of one specific structure, like the theories of Freud (the internal structure of the unconscious) or Marx (the social structure of the class system)."

"POST -STRUCTURALISM 101
Post-structuralists see knowledge as always partial and contextual. What we know is only ever part of the picture, and it’s based on who, where, and when we are. Knowledge cannot be neutral or objective; it’s contingent on systems of power, and it shapes the power relations between people. Remember how religious and scientific “knowledges” of “homosexuality” emerged at certain points in time, and shaped how those with same-gender attraction were treated at those times?
Following Derrida, post-structuralists often deconstruct texts. This means they analyse literary, artistic, media, or scientific texts in order to uncover which binary oppositions are being privileged (e.g. rational or emotional, man or woman, sane or mad). Post-structuralists also offer multiple, even contradictory, readings of texts, as there can be no single true meaning."

"OCCUPYING OUR IDENTITY
What post-structuralism means for us on a personal level is that there’s no single truth about who we are. We can always tell multiple stories about ourselves, and none of them is the truth.
So, we don’t have any kind of fixed, stable identity that we are. Rather, certain identities – such as those related to gender, sexuality, race, or class – are culturally constituted through ideological and normative processes. We come to occupy these identities through our relationships with the world in which we reside (which offers us different identity possibilities in different times and places)."

"SUBJECTIVITY
The idea of subjectivity is helpful here. As critical social psychology professor Margaret Wetherall explains, it helps us explore how we take up and live those culturally available category memberships and social roles as agents (beings with the capacity to do things in a given situation). We do this differently in different contexts, relationships, and wider power structures, rather than occupying one stable identity at all times."

"As multiple queer theories developed over the 1990s, they generally shared the following features:

1. THROUGH drawing on post-structuralist theories to examine power relations relating to sex, sexuality and gender —>
2. DESTABILZING the taken-for-granted dominant understanding which assumes that heterosexuality is the normal or natural standard of sexuality, and categorizes people in relations to this —>
3. BY exposing how sexual and gender identities
3.1 ARE constructed through the availabe ways of thinking and being in different times and places.
3.2 ARE performed: something that we do rather than something that we (essentially) are."

"HETERONORMATIVITY
An extremely helpful concept in queer theory, which encapsulates a lot of what we’ve just covered is heteronormativity. Queer theorist Michael Warner popularized this term in 1991, drawing on Rubin’s sex hierarchy and Rich’s compulsory heterosexuality.

Heteronormativity refers to a set of related cultural assumptions:
* The “normal” or “natural” form of attraction and relationships is one man and one woman who:
* Normally or naturally embody conventional gender roles and norms; and
* Have sex whereby the man’s penis penetrates the woman’s vagina (PIV sex).
* Other forms of sexuality and gender are less normal or natural than this (or not normal or natural at all).
* Thus, people are assumed heterosexual unless proven otherwise."

"THINKING QUEERLY
Our aim with this book is to be useful to people in their everyday lives, as well as introducing the academic world of queer theory. So, what might we pull out of queer theory if we wanted to start thinking and acting more queerly on an everyday basis?

Try to avoid essentializing and unifying. Whatever you are considering is probably plural, rather than singular, and in process, rather than fixed and immutable. Can you discuss it in ways that reflect this diversity and fluidity? Can you simultaneously hold the multiple readings that are possible?"

"THINKING (COMPLETELY) QUEERLY
Try to avoid polarizing into either/or binaries: male/female and straight/gay, but also, beyond that, (sex) positive/negative, good/bad, real/fake, essential/constructed, healthy/harmful, transgressive/conforming, assimilationist/liberatory, reformist/radical…

Instead ask what an idea or representation opens up and closes down. What is included and what is excluded? Might it be a matter of both/and rather than either/or?
Remember queer = doing, not being. Focus on how something might be done queerly, rather than what is/isn’t queer. Focus on what it does – what effects it has and what actions it achieves – rather than whether you think it’s true/false or right/wrong.

Subject all forms of sexuality and sexual representations to critical thinking and interrogation about the ideologies and power relations that they uphold (not just the obviously queer or transgressive ones, and not just the apparently straight or normative ones!).

Try to avoid the inevitable pull of individualism: locating issues in the individual person rather than circulating cultural discourses and structural processes. Try too to avoid the inevitable pull of identities, such as trying to define who does and doesn’t belong, and who is queer and who isn’t, and other thinking that creates “us and them” categories. Try to avoid universalizing: that all people on the inside/outside will share the same experiences.

Take heed of gender theorist Rosalind Gill’s message. As queer theory has pointed out, the culture around us is highly binary, individualistic, essentialist, identity-based, and universalizing. There’s a reason queer communities and theorists so often fall into the problematic thinking we’ve challenged here. It can be pretty unhelpful (not to mention individualizing) to beat yourself (or others) up each time you do this. Lisa Duggan suggests that queer is a radical potentiality that is sometimes realized and sometimes not.

Returning to the multiple definitions of “queer” we gave at the start of this book, let’s aim to queer things through revealing the strangeness of normativity, disrupting the status quo, (re)claiming what is usually rejected, and forming new umbrella-alliances."

(Barker, Meg-John, and Julia Scheele. Queer: A Graphic History. London: Icon Books, 2016.)

#219:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 28.12.2023, 21:21
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Hm...

"Die AfD und ihr Normalitätsbegriff": https://taz.de/Die-AfD-und-ihr-Normalitaetsbegriff/!5771233/

#220:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 28.12.2023, 21:27
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Myron hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
An US-Unis gibt es inzwischen einige Häuser, die nur Schwarzen offenstehen. Das wurde als diskriminierend kritisiert, ich persönlich sehe das entspannt: lasst sie machen, das legt sich wieder. Konsequenter Weise steht auch den Lesben ihr safe space zu.


Ich sehe das nicht entspannt, denn hier verhalten sich die Wachen Linken reaktionär: Zurück zur Rassentrennung!

Ja, ist Rassentrennung.

Solange die das nicht zu einer Regel für alle erheben, ist das deren Sache. Sie schaden damit niemand anderem.

Die Grenze, ab der es absurd wird, sehe ich durchaus: wenn 80% aller Schwarzen, 80% aller Weißen, Asiaten, Latinos, Native das so sehen, hat man einen segregierten Campus. Was niemand will.



Apropos absurd. Folgendes gehört mal ausdrücklich gesagt.

Wokeness - pro oder contra?

Halt. Falsche Frage. Noch mal von vorne anfangen: was aus dem woken Lager ist nachvollziehbar? Wo wird es absurd? Wer von euch sagt, daran ist nichts nachvollziehbar? Wer sagt, daran ist nichts absurdes?

#221:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 28.12.2023, 21:45
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jdf hat folgendes geschrieben:
Ich, als theoretisch Queerer, frage dich in woker Weise: Wo kann ich nachlesen, dass ich oder meine neurodivergenten Kollegen die Schizophrenie zu einer normalen Form der Psychodiversität erklären?


Im Folgenden ist zwar von Neurodiversität (Neurodivergenz) die Rede, aber man kann genauso gut von Psychodiversität (Psychodivergenz) sprechen:

* "The neurodiversity movement advocates the idea that our brains are different and that everyone (whether neurotypical or neurodivergent) should be treated equally by individuals, the workplace and external environments. The self-identifying label of “neurodivergent” originally focused on those who are autistic. However, in more recent years it has been used to describe those who think, behave, and learn differently to what is typical in society. Being neurodivergent should not be considered an inherent deficit but simply a difference in processing the world around us.

Some other conditions such as schizophrenia, OCD, anti-social personality disorder, borderline personality disorder, dissociative disorder, and bipolar disorder can be classed as a form of neurodivergence too."


Quelle: https://uofgpgrblog.com/pgrblog/2021/3/24/neurodiversity

* Neurodiversity

* Is Schizophrenia a Type of Neurodivergence?

* Schizophrenia as Neurodiversity

* It's Time to Embrace the Term "Psychodiversity"

Zitat:
"[T]he concept of neurodiversity has come to include mood disorders, schizophrenia, and anxiety disorders, at least in its usage in Disability Studies. The neurodiversity movement originated in the 1990s among individuals diagnosed with autism spectrum disorder. Autism activists were among the first who proposed to "replace a 'disability' or 'illness' paradigm with a 'diversity' perspective" (1, that is, they suggested to understand autism spectrum disorder as a valuable expression of human difference rather than to pathologize it. In this perspective, "[t]he 'Neurologically Different' represent a new addition to the familiar political categories of class/gender/race" (2. Advocacy groups can cite the precedent of the civil rights or women's movement in their calls for more social recognition and rights. The stances that are endorsed by Mad Pride and the neurodiversity movement…therefore have powerful political implications."

(Spieker, Lisa. Writing Madness, Writing Normalcy: Self and Stigma in Memoirs of Mental Illness. Jefferson, NC: McFarland & Co., 2021. p. 77)


(1: Armstrong, Thomas. "The Myth of the Normal Brain: Embracing Neurodiversity", 2015, p. 249)
(2: Singer, Judy. "Why Can't You Be Normal for Once in Your Life?…", 1999, p. 64)

Zitat:
"According to some in the neurodiversity movement, a mental illness like schizophrenia is not necessarily harmful when it is integrated into a person's identity and so is not necessarily pathological and in need of treatment. Robert Chapman argues that when an illness is integral to a person's self-identity, it should not be seen as harmful dysfunction but rather as mere difference."

(Gosselin, Abigail. Mental Patient: Psychiatric Ethics from a Patient's Perspective. Cambridge, MA: MIT Press, 2022. p. 64)

#222:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 28.12.2023, 22:58
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Damit kann ich leben - es ist ja nicht so, daß der Mann Macht über mich hatte.

Oho. Es ist schon interessant, welche Macht uns Wokies von manchen Leuten zugesprochen wird.

Der Mann war Priester, kein Wokie.

Aber was du sagst, gibt einen Vergleich her: welchen Einfluß hatte die Kirche auf die Gesellschaft, welchen Einfluß haben wokies heute?

Wieviele Leute hat die Kirche - als einer der größten Arbeitgeber Deutschlands - entlassen, weil sie den kirchlichen Moralansprüchen nicht genügten? Wieviele Leute wurden in den USA entlassen, weil sie den woken Ansprüchen an Unis nicht genügten?

Zugegeben, der Vergleich hinkt ein bisschen, aber auf ein Kriterium dieser Art müßte man sich einigen, wenn wir "ist ein kleineres Problem" und "ist ein größeres" einschätzen wollten.

Doch, doch, auf diesen Vergleich wollte ich hinaus - aber ein wenig anders: "...es ist ja nicht so, daß der Mann Macht über mich hatte", schreibst du. Solche Männer haben mit ihrer Macht allein in der BRD wahrscheinlich hunderttausende Leben zerstört und sicher tausende Menschen in den Selbstmord getrieben, weil diese Menschen in irgendeiner Weise der Kirche oder den jeweiligen Priestern nicht passten. Dein Pfarrer konnte dir nichts anhaben, was sehr gut ist.

Was aber ist nun dein Problem mit uns Wokies? Die Kirche kannst du abschütteln, uns Wokies nicht? Kann dir das, was wir erzählen, nicht gepflegt am Arsch vorbeigehen?


smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Und üble Nachrede bleibt üble Nachrede, BTW...

Erstens das. Zweitens ist es noch mehr: Ratsch, Tratsch und Klatsch ist ein Weg in kleinen Gruppen soziale Konformität herzustellen.

Deshalb will man auch nicht in Dörfern leben...


smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Konsequenter Weise steht auch den Lesben ihr safe space zu.

Natürlich. Wo ist das Problem?

Ich dachte, die Forderung wäre transphob.

Sollte sie das nicht sein, habe ich etwas völlig falsch verstanden.

Doch, doch, du hast das schon richtig verstanden. Natürlich ist es transphob, wenn deine Lesben Trans-Lesben tatsächlich aus ihren safe spaces ausschließen wollen. Aber wo ist das Problem? Sollen sie das doch machen. Dann sind sie eben transphob. Und ich nenne sie dann eben transphob. - Der Witz ist ja, dass manche der Transphobisten aus irgendeinem Grund nicht transphob genannt werden wollen, aber das ist nun wieder deren Problem. Schulterzucken

#223:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 28.12.2023, 23:06
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Ich sehe das nicht entspannt, denn hier verhalten sich die Wachen Linken reaktionär: Zurück zur Rassentrennung!

Ja, ist Rassentrennung. Solange die das nicht zu einer Regel für alle erheben, ist das deren Sache. Sie schaden damit niemand anderem.


Doch, es schadet dem gesellschaftlichen Zusammenhalt; denn es führt zu Polarisierung und Entsolidarisierung.

#224:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 29.12.2023, 00:01
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Ich, als theoretisch Queerer, frage dich in woker Weise: Wo kann ich nachlesen, dass ich oder meine neurodivergenten Kollegen die Schizophrenie zu einer normalen Form der Psychodiversität erklären?


Im Folgenden ist zwar von Neurodiversität (Neurodivergenz) die Rede, aber man kann genauso gut von Psychodiversität (Psychodivergenz) sprechen:

Klar kann man das. Genauso gut. Nur kommt dabei leider Müll raus. Du magst mit psychischen Problemen zum Neurologen gehen. Ich gehe jedenfalls mit neurologischen Problemen nicht zur Psychologin und mein Hirn lasse ich mir sicher nicht von einem Psychochirurgen rausnehmen. Und Neuropathie kann man selbstverständlich auch Psychopathie nennen. Klingt zwar theoretisch queer ist aber trotzdem Müll.

Aber vllt ist deine eigentümliches Sprachverständnis ja auch ein Produkt deiner persönlichen Psychodivergenz? Mit den Augen rollen

#225:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 29.12.2023, 00:15
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Myron hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Ich sehe das nicht entspannt, denn hier verhalten sich die Wachen Linken reaktionär: Zurück zur Rassentrennung!

Ja, ist Rassentrennung. Solange die das nicht zu einer Regel für alle erheben, ist das deren Sache. Sie schaden damit niemand anderem.


Doch, es schadet dem gesellschaftlichen Zusammenhalt; denn es führt zu Polarisierung und Entsolidarisierung.

Rassentrennung? Ihr Freunde der perfiden Euphemismen seht euch vor! Mir riechen solche Obszönitäten eher nach einem Genozid an der Weißen Rasse!

ZU DEN WAFFEN UND MISTGABELN, VOLKSGENOSSEN! WEHRET DEN ANFÄNGEN!

#226:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 29.12.2023, 03:18
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Myron hat folgendes geschrieben:

"Die AfD und ihr Normalitätsbegriff": https://taz.de/Die-AfD-und-ihr-Normalitaetsbegriff/!5771233/


Zum Thema Normalität & Ideologie – ein Aufsatz von Sally Haslanger:

* Haslanger, Sally. "The Normal, the Natural and the Good: Generics and Ideology." [PDF] Politica & Societa 3 (2014): 365–392.

Wir haben also einerseits nichtnormative, statistische Normalität als quantitative Prävalenz (häufigkeitsmäßiges Vorherrschen oder Überwiegen) und andererseits normative, ethische Normalität als Normenkonformität (Regelkonformität), wobei es ein Wechselspiel zwischen beiden Arten geben kann:

A. Ethische Normalität kann zu statistischer Normalität führen. Die meisten fahren in Deutschland auf der rechten Spur, aber ihr Verhalten ergibt sich aus ihrer Konformität mit der normativen Konvention des Rechtsfahrens (dem Rechtsfahrgebot).

B. Statistische Normalität kann (indirekt) zu ethischer Normalität führen, wenn das quantitativ Prävalente—das häufigkeitsmäßig Vorherrschende, das häufiger/am häufigsten oder im größeren/größten Maß Vorhandene/Vorkommende—als Muster oder Vorbild von Natürlichkeit, Ordentlichkeit, Richtigkeit oder Gesundheit gedeutet wird und gilt, das uns angeblich zeigt und vorgibt, wie die Dinge, die Menschen, die Gesellschaft, die Welt beschaffen sein sollen.

Entsprechend wird Konformität mit der statistischen Normalität gefordert und belohnt sowie Nichtkonformität damit verurteilt und bestraft, was innerhalb der Gesellschaft einen hohen Konformitätsdruck oder gar -zwang erzeugt. Minderheiten sollen sich der Mehrheit unterordnen und anpassen. Die meisten sind heterosexuell; und deshalb sollen alle heterosexuell sein, weil es die einzig natürliche/richtige/gesunde sexuelle Orientierung sei.—So wird dann argumentiert.

Dahinter verbirgt sich freilich der berühmte naturalistische Fehlschluss vom Sein aufs Sollen. Denn daraus, dass alle/die meisten x sind/tun, folgt nicht, dass alle x sein/tun sollen. Ebenso wenig folgt daraus, dass es gut/richtig/gesund ist, x zu sein/tun, oder dass es schlecht/falsch/krankhaft ist, x nicht zu sein/tun.

P.S.:
Gerhard Schurz spricht (im biologischen Kontext) zusätzlich von prototypischer Normalität.
Es ist prototypisch normal für Hunde, vierbeinig zu sein; und folglich ist es—ceteris paribus (sofern nichts dazwischenkommt)—auch statistisch normal für sie. Das heißt, wenn Hunde typischerweise vierbeinig sind (was der Fall ist), dann—ceteris paribus—werden alle Hunde vierbeinig sein. Da aber manchmal etwas dazwischenkommt, sind in Wirklichkeit nicht alle Hunde vierbeinig—was aber nichts daran ändert, dass sie es typischerweise sind. Alle Hunde sind idealiter vierbeinig, aber nicht alle Hunde sind realiter vierbeinig.

Zitat:
"[M]any authors have pointed out that normic laws express a kind of prototypical (or ‘ideal’) normality which is different from statistical normality. For example, the ability to fly is a biologically prototypical property of birds, and this remains true even if, by some major disaster, the majority of birds would lose their flying ability."

(Schurz, Gerhard. "Normic Laws, Non-monotonic Reasoning, and the Unity of Science." In Logic, Epistemology, and the Unity of Science, edited by Shahid Rahman, John Symons, Dov M. Gabbay, et al., 181-211. Dordrecht: Springer, 2009. p. 183)

#227:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 29.12.2023, 06:35
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Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn dir Nickels normalitätsbezogene Interpretation generischer Generalisierungen wie "Hunde sind vierbeinig", "Polen klauen" und "Der Russe säuft" missfällt, wie interpretierst du sie dann (logisch-semantisch)?

So wie ich das sehe, qualifiziert sich keine dieser drei Aussagen als wissenschaftlicher Satz oder auch nur als direkter Ausdruck einer Erkenntnis. Das heißt aber freilich nicht, dass die Sätze gar keinen sinnvollen Gebrauch hätten. Dennoch müssen wir uns m. E. von der Vorstellung verabschieden, dass "Hunde sind vierbeinig" semantisch ohne Weiteres in die selbe Kategorie fällt wie die anderen beiden Sätze, nur weil er grammatikalisch so ähnlich aussieht (und das sieht man an den wirklichen Gebrauchsfällen dieser Sätze).

"Hunde sind vierbeinig" ist eine für den Alltagsgebrauch extrem simplifizierte Zusammenfassung einer ganzen Reihe z. T. sehr komplexer zusammenhängender Gedanken und Einsichten über die Anatomie und Biologie von Hunden, statistische Häufung, menschliche Erwartungshaltungen bezüglich Hunden, etc., die man im Einzelnen aufdröseln müsste, zumal ich vermute, dass es - schon aufgrund der Vielfalt und Heterogenität der mit ihm ausgedrückten Gedanken - extreme Unterschiede zwischen den einzelnen Gebrauchsfällen dieses Satzes geben dürfte. (Man muss sich immer ansehen, wann und zu welchen Zwecken solche Sätze überhaupt verwendet werden, gerade weil es Sätze des alltäglichen Umgangs sind und nicht der Wissenschaft. Ein häufiger Anwendungsfall dieses Satzes dürfte wohl die Verwendung im Gespräch mit kleinen Kindern sein, z. B. um ihnen die Zahl "vier" beizubringen. Dass ein solcher Satz hauptsächlich im Umgang mit Kindern fällt, zeigt eben schon seinen extremen Grad an Simplifizierung und Zusammenfassung.)

Die anderen beiden Aussagen dürften hingegen (sofern sie nicht wie hier als Beispielsätze auftauchen) in aller Regel eher unter das fallen, was Harry G. Frankfurt als "Bullshit" bezeichnet, was du schon daran siehst, dass ihre Vertreter ihre angeblichen "Begründungen" meist rein willkürlich nach Belieben auswählen, wie sie gerade in den Kram passen, beziehungsweise im Zweifelsfall auch völlig ohne Begründung auskommen. (Deshalb kann das Gesetz z. B. § 130 StGB die schlimmsten Auswüchse dieser Art von Sätzen sanktionieren, ohne den Kern der Meinungsfreiheit zu verletzen.) Ein Stereotyp dieser Art lebt gerade davon, dass er seine Aussage absichtlich zwischen "manche X", "die meisten X" und "alle X" semantisch in der Schwebe hält, also charakteristisch selbst immer schon die Struktur eines Motte-and-Bailey hat. Nur dadurch kann er überhaupt als Stereotyp funktionieren. (Man darf dieser Art von Stereotypen nicht mehr Rationalität einräumen als sie tatsächlich besitzen.)


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 29.12.2023, 07:27, insgesamt einmal bearbeitet

#228:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 29.12.2023, 07:23
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jdf hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Konsequenter Weise steht auch den Lesben ihr safe space zu.

Natürlich. Wo ist das Problem?

Ich dachte, die Forderung wäre transphob.

Doch, doch, du hast das schon richtig verstanden. Natürlich ist es transphob, wenn deine Lesben Trans-Lesben tatsächlich aus ihren safe spaces ausschließen wollen. Aber wo ist das Problem? Sollen sie das doch machen. Dann sind sie eben transphob. Und ich nenne sie dann eben transphob. - Der Witz ist ja, dass manche der Transphobisten aus irgendeinem Grund nicht transphob genannt werden wollen, aber das ist nun wieder deren Problem. Schulterzucken

Vor allem wüsste ich doch ganz gerne, wie oft das überhaupt passiert. Soweit ich weiß sind es doch eher die TERFs, die regelmäßig als laute Minderheit aus lesbischen Communities herausgeworfen werden und dann darüber jammern.

#229:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 29.12.2023, 14:21
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Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Vor allem wüsste ich doch ganz gerne, wie oft das überhaupt passiert. Soweit ich weiß sind es doch eher die TERFs, die regelmäßig als laute Minderheit aus lesbischen Communities herausgeworfen werden und dann darüber jammern.

Ach komm, das ist doch alles völlig Wurst. Kern der Sache ist doch, dass man mit der Strohmannproduktion der Anti-Woke-Knalltüten die gesamte Bundesrepublik beheizen könnte. Denn diese Leute haben einfach keine vernünftigen Argumente für ihre Positionen:


1. Strohmänner

Es werden nur Extrempositionen der woken Seite angegriffen (zB Themen wie die bärtige Transfrau oder die Kindersexualität oder wie zuletzt die Schizophrenie als Form der Neurodivergenz oder die Maori-Mythologie als Wissenschaft). Meine Antworten, als normalste Vertreterin der woken, extremen Mitte, sind offensichtlich uninteressant, nachdem ich ein paar Fragen eben ganz normal beantwortet habe und kein Empörungspotenzial geliefert habe.


2. Begriffsverwendungen

Viele Begriffsverwendungen scheinen mir einzig den Zweck zu haben, eine Distanzierung zu provozieren. Inzwischen will zB kaum noch jemand "woke" genannt werden, denn woke und Wokeismus uä Begriffe werden als Dysphemismus benutzt und sind inzwischen mit allen möglichen negativen Eigenschaften aufgeladen. Geht mir am Arsch vorbei. Ich identifiziere mich als woke. Bring it on! Zeigt mir eure wahren Schotten!

"TERF" dagegen gilt den anti-woken Würstchen als slur. Mir kommen die Tränen.

Und wer zB Safe Spaces für Schwarze als Rassentrennung bezeichnet, hat den Schuss nicht gehört - da braucht man bloß mal kurz wiki befragen. löl.

Von Normalität, Geschlecht, Gender und Trans will ich erst gar nicht anfangen...


3. Quod licet Iovi...

Safe Spaces für Frauen oder Lesben sind legitim. (Wie werden in diesen "Safe Spaces" für Frauen eigentlich die Hetero-Frauen vor den Übergriffen der Homo-Frauen geschützt? Frage für einen Freund.) Dagegen sind Safe Spaces für Schwarze abzulehnen. Weil Spaltung der Gesellschaft, weil Rassentrennung, weil Entsolidarisierung! Genau...

Wer will nicht gern und mit Recht Trans-Frauen als Männer bezeichnen, aber wehe jemand nennt einen dann transphob. Die Meinungsfreiheit ist ein hohes gut! Aber nur für mich! Die Heulsusigkeit der Anti-Woke-Schneeflocken kennt keine Grenzen.


4. Cherry Picking

Marie-Luise Vollbrecht als bestes Beispiel: Es gibt nur zwei biologische Geschlechter. Und? Wen interessiert's? Im Personenstandsgesetz sind drei Geschlechter vorgesehen. Wer Vertretern der "Trans-Ideologie" Wissenschaftsfeindlichkeit vorwirft, aber bei seiner Betrachtung in biologistischer Weise die entsprechenden medizinischen und psychologischen Erkenntnisse in Bezug auf das Geschlecht ignoriert, ist nicht satisfaktionsfähig.

Und der einschlägig bekannte Aufruf, den Vollbrecht vor ihrem Vortrag erstunterzeichnet hat, enthält nicht nur einen Fehlschluss, nicht nur ein Scheinargument. Zum Suchen und Finden:
https://www.evaengelken.de/aufruf-schluss-mit-der-falschberichterstattung-des-oeffentlich-rechtlichen-rundfunks/


5. FDGO

Wer auf Minderheitenrechte scheißt, scheißt auf die FDGO. Kann man machen, ist aber scheiße. So einfach ist das.

Und die Auslegung des GG obliegt nicht irgendwelchen Anti-Trans-Intelligenzallergikern, sondern dem BVerfG, das konsequenterweise als das woke BVerfG zu bezeichnen ist, da es Intersexuellen und Trans-Menschen gegen den Widerstand unserer konservativen bis rechtsextremen Mitbürger maßgeblich zu ihren Rechten verholfen hat und weiterhin verhilft.

Unser geliebtes Bundesverfassungsgericht ist inzwischen zu einem der, wenn nicht dem, wichtigsten Bollwerk gegen die Ochlokratie auf deutschem Boden geworden - wobei es mir sehr zweifelhaft erscheint, dass die Ochlokraten tatsächlich überhaupt eine Mehrheit bilden, aber auch gewichtige Minderheiten können eine liberale Demokratie zerstören, wie wir wissen.



Fuck your feelings!

#230:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 29.12.2023, 15:22
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
Meine Antworten, als normalste Vertreterin der woken, extremen Mitte, sind offensichtlich uninteressant, nachdem ich ein paar Fragen eben ganz normal beantwortet habe und kein Empörungspotenzial geliefert habe.

Das ist mir auch schon aufgefallen, dass auf deine Beiträge hier fast überhaupt nicht eingegangen wird. Der ganze Diskurs lebt davon, dass man mit "Woken" grundsätzlich nicht redet, sondern nur über sie.

#231:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 29.12.2023, 18:09
    —
jdf hat folgendes geschrieben:


1. Strohmänner

Es werden nur Extrempositionen der woken Seite angegriffen (zB Themen wie die bärtige Transfrau oder die Kindersexualität oder wie zuletzt die Schizophrenie als Form der Neurodivergenz oder die Maori-Mythologie als Wissenschaft). Meine Antworten, als normalste Vertreterin der woken, extremen Mitte, sind offensichtlich uninteressant, nachdem ich ein paar Fragen eben ganz normal beantwortet habe und kein Empörungspotenzial geliefert habe.


Ich bin da nicht sooo intern bewandert bei der GWUP, aber genau darüber geht meines Wissens ja der Streit bei der GWUP.
Einige, die sich im Vorstand haben wählen lassen, vertreten solche Extrempositionen.
Und es wird ja nicht "wissenschaftlich" diskutiert, sondern da geht es gegen Personen.

#232:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 29.12.2023, 22:43
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Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn dir Nickels normalitätsbezogene Interpretation generischer Generalisierungen wie "Hunde sind vierbeinig", "Polen klauen" und "Der Russe säuft" missfällt, wie interpretierst du sie dann (logisch-semantisch)?

So wie ich das sehe, qualifiziert sich keine dieser drei Aussagen als wissenschaftlicher Satz oder auch nur als direkter Ausdruck einer Erkenntnis. Das heißt aber freilich nicht, dass die Sätze gar keinen sinnvollen Gebrauch hätten.


Generische Generalisierungen (GGs) mögen nicht einfach zu interpretieren sein, aber sie sind keine sinnlosen Sätze und werden in der Tat häufig gebraucht.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Dennoch müssen wir uns m. E. von der Vorstellung verabschieden, dass "Hunde sind vierbeinig" semantisch ohne Weiteres in die selbe Kategorie fällt wie die anderen beiden Sätze, nur weil er grammatikalisch so ähnlich aussieht (und das sieht man an den wirklichen Gebrauchsfällen dieser Sätze).


Ich räume ein, dass die gleiche grammatikalische Form in logisch-semantischer Hinsicht unterschiedlich interpretierbar ist. Es ist also fraglich, ob es eine einheitliche Interpretation geben kann, die für alle Fälle von GGs gleichermaßen gilt. Es ist auch eine Sache, wie Linguisten und Logiker als Wissenschaftler GGs auslegen, und eine andere, was damit im unwissenschaftlichen Alltagsgebrauch gemeint ist (Sprachtheorie vs. Sprechpraxis).

(Siehe "Conceptual Distinctions amongst Generics" [PDF])

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
"Hunde sind vierbeinig" ist eine für den Alltagsgebrauch extrem simplifizierte Zusammenfassung einer ganzen Reihe z. T. sehr komplexer zusammenhängender Gedanken und Einsichten über die Anatomie und Biologie von Hunden, statistische Häufung, menschliche Erwartungshaltungen bezüglich Hunden, etc., die man im Einzelnen aufdröseln müsste, zumal ich vermute, dass es - schon aufgrund der Vielfalt und Heterogenität der mit ihm ausgedrückten Gedanken - extreme Unterschiede zwischen den einzelnen Gebrauchsfällen dieses Satzes geben dürfte. (Man muss sich immer ansehen, wann und zu welchen Zwecken solche Sätze überhaupt verwendet werden, gerade weil es Sätze des alltäglichen Umgangs sind und nicht der Wissenschaft. Ein häufiger Anwendungsfall dieses Satzes dürfte wohl die Verwendung im Gespräch mit kleinen Kindern sein, z. B. um ihnen die Zahl "vier" beizubringen. Dass ein solcher Satz hauptsächlich im Umgang mit Kindern fällt, zeigt eben schon seinen extremen Grad an Simplifizierung und Zusammenfassung.)


Bei diesem Beispiel ist Nickels Lesart sehr plausibel: "Hunde sind vierbeinig" = "Alle anatomisch normalen Hunde sind vierbeinig." Normalität bedeutet hier die Abwesenheit von Faktoren (Entwicklungsstörung, Krankheit, Unfall, absichtliche Amputation), die die evolutionsbiologisch entstandene und phylogenetisch bestimmte Vierbeinigkeit von Hunden entweder verhindern und beenden. Man kann also sagen, dass all diejenigen Hunde vierbeinig sind, bei denen nichts dazwischengekommen ist.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Die anderen beiden Aussagen dürften hingegen (sofern sie nicht wie hier als Beispielsätze auftauchen) in aller Regel eher unter das fallen, was Harry G. Frankfurt als "Bullshit" bezeichnet, was du schon daran siehst, dass ihre Vertreter ihre angeblichen "Begründungen" meist rein willkürlich nach Belieben auswählen, wie sie gerade in den Kram passen, beziehungsweise im Zweifelsfall auch völlig ohne Begründung auskommen. (Deshalb kann das Gesetz z. B. § 130 StGB die schlimmsten Auswüchse dieser Art von Sätzen sanktionieren, ohne den Kern der Meinungsfreiheit zu verletzen.) Ein Stereotyp dieser Art lebt gerade davon, dass er seine Aussage absichtlich zwischen "manche X", "die meisten X" und "alle X" semantisch in der Schwebe hält, also charakteristisch selbst immer schon die Struktur eines Motte-and-Bailey hat. Nur dadurch kann er überhaupt als Stereotyp funktionieren. (Man darf dieser Art von Stereotypen nicht mehr Rationalität einräumen als sie tatsächlich besitzen.)


Über den Wahrheitswert von GGs kann erst dann entschieden werden, wenn hinreichend klar ist, wie sie logisch-semantisch aufzufassen sind. Es ist allerdings möglich, dass Verwender von GGs gar nicht daran interessiert sind, sie zu präzisieren, d.h. ihre quantitative Vagheit aufzuheben. Wie viele Russen müssen Säufer sein, damit es wahr ist, dass Russen saufen/der Russe säuft? Es müssen wohl nicht alle von ihnen Säufer sein, aber die Quantoren "viele" und "die meisten" sind vage. (Sind 25% schon viele? Sind 51% schon die meisten?)

Mann kann solche Sätze mithilfe von Adverbien paraphrasieren, aber die quantitative Vagheit verschwindet dadurch nicht: "Russen saufen gebräuchlicherweise/gewöhnlicherweise/üblicherweise." Man kann auch sagen: "Bei den Russen ist es Brauch, viel Alkohol zu trinken." So gelesen, ist es ein zutreffendes kulturelles Stereotyp, auch wenn es nichts Genaues darüber besagt, wie viele Russen tatsächlich viel Alkohol trinken.

Ja, als GGs ausgedrückte Stereotype können in strafrechtlich relevanter Weise diskriminierend sein (wie "Araber sind Vergewaltiger"), weil sie absolut pauschal eine ganze Bevölkerungsgruppe in Verruf bringen.

#233:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 29.12.2023, 23:24
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jdf hat folgendes geschrieben:
Viele Begriffsverwendungen scheinen mir einzig den Zweck zu haben, eine Distanzierung zu provozieren. Inzwischen will zB kaum noch jemand "woke" genannt werden, denn woke und Wokeismus uä Begriffe werden als Dysphemismus benutzt und sind inzwischen mit allen möglichen negativen Eigenschaften aufgeladen. Geht mir am Arsch vorbei. Ich identifiziere mich als woke. Bring it on! Zeigt mir eure wahren Schotten!


Was versteht du denn unter "Wokeness" oder "Wokeismus"? Wer gehört für dich zur Woken Linken und wer nicht? (Linkssein ist nicht dasselbe wie Wokesein!)
Man kann darunter eine bestimmte politische Theorie (Ideologie/Philosophie) verstehen oder/und eine bestimmte politische Praxis (eine bestimmte Art und Weise, Politik zu betreiben).

jdf hat folgendes geschrieben:
"TERF" dagegen gilt den anti-woken Würstchen als slur. Mir kommen die Tränen.


Dieses Akronym ist von Anfang an als Schmähwort verwendet worden!

jdf hat folgendes geschrieben:
Und wer zB Safe Spaces für Schwarze als Rassentrennung bezeichnet, hat den Schuss nicht gehört…


Es ist eine neue Rassentrennung, die ideologisch nicht von den Weißen ausgeht und betrieben wird (abgesehen von denjenigen Weißen, die Anhänger der kritischen Rassentheorie sind), sondern von Schwarzen oder "Leuten von Farbe". Diese benötigen an den (Hoch-)Schulen jedenfalls keine "Schutzräume", in denen sie vor Weißen "sicher" sind. (Der Vergleich mit Frauenhäusern hinkt völlig!)
Ich weiß, es geht den woken Rassentrennern keineswegs nur um physische Sicherheit, sondern vor allem auch um psychischen Schutz vor der "kulturellen Hegemonie" des weißen Mannes. Man möchte nicht nur rassisch, sondern auch kulturell unter sich bleiben—als Akt der "Dekolonisierung".

#234:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 29.12.2023, 23:57
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smallie hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
An US-Unis gibt es inzwischen einige Häuser, die nur Schwarzen offenstehen. Das wurde als diskriminierend kritisiert, ich persönlich sehe das entspannt: lasst sie machen, das legt sich wieder. Konsequenter Weise steht auch den Lesben ihr safe space zu.


Ich sehe das nicht entspannt, denn hier verhalten sich die Wachen Linken reaktionär: Zurück zur Rassentrennung!

Ja, ist Rassentrennung.

Nein, die Behauptung, das sei Rassentrennung, ist absurder Bullshit.
Wer das behauptet, verharmlost in eklatanter Weise, was wirkliche Rassentrennung bedeutet(e).

Rassentrennung ging von essentialistisch verstandenen "Rassen" aus und davon, dass diese Rassen grundsätzlich getrennt werden sollten, letztlich in allen Lebensbereichen, von Familien, Bildung, Wohnen, Arbeit bis zum Klo, mit einer eindeutig als besser bewerteten und bevorzugten "Rasse".

Kritische Theorien dazu sehen - wie Myrons Textwände belegen, was er aber wahrscheinlich nicht bemerkt hat - "Rasse" und ähnliche Dinge nicht essentialistisch, sondern als gesellschaftlich konstruiert und wollen sie dekonstruieren, d.h. letztendlich überwinden.
Sie stehen nur auf dem Standpunkt, dass durch Rassismus konstruierte Rassen (! - nicht umgekehrt) qua dieser Konstruktion gesellschaftliche Realität haben und nicht einfach per Willenserklärung abgeschafft werden können (etwa durch die behauptete "Farbenblindheit" von Leuten, die behaupten, es gebe heute keinen Rassismus mehr).
Durch diese konstruierte Realität gibt es dann auch von Rassismus betroffene Personen, die Rückzugsräume brauchen, in denen sie zeitweise das erleben können, was andere immer haben: Ncht von Rassismus betroffen zu sein.
Abgesehen von diesen "Safe Spaces" mit diesem spezifischen Zweck wollen sie aber natürlich keine Trennung, sondern im Gegenteil Zugang zu allen Lebensbereichen.

Das ist im Kern der Unterscheid in allen Bereichen von rechter und linker Identitätspolitik: Rechte Identitätspolitik behauptet essentialistische, feste Identitäten, begrüßt sie, will sie festigen und einer Gruppe Vorrang verschaffen; linke Identitätspolitik findet konstruierte, veränderbare Identitäten vor, will sie dekonstruieren, muss sich aber vorläufig paradovxerweise mit ihnen beschäftigen, weil sie als Konstruktion Realität haben.

Beides hat lediglich das gemein, dass sie sich irgendwie mit "Identität" beschäftigen, allerdings eben in komplett gegenteiliger Weise. So, wie sich auch Täter und Opferberatung beide mit Verbrechen beschäftigen. Ähnlich pervers ist es, beides gleichsetzen zu wollen, oder etwa die Opferberatung abzuschaffen, weil man Leute nicht auf die Rolle als Opfer festlegen wolle.

#235:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 00:19
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
Marie-Luise Vollbrecht als bestes Beispiel: Es gibt nur zwei biologische Geschlechter. Und? Wen interessiert's? Im Personenstandsgesetz sind drei Geschlechter vorgesehen. Wer Vertretern der "Trans-Ideologie" Wissenschaftsfeindlichkeit vorwirft, aber bei seiner Betrachtung in biologistischer Weise die entsprechenden medizinischen und psychologischen Erkenntnisse in Bezug auf das Geschlecht ignoriert, ist nicht satisfaktionsfähig.


Die "Diversen" oder "Nonbinären" bilden kein drittes Geschlecht!

Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse in Bezug auf das Geschlecht hat Frau Vollbrecht denn ignoriert?

jdf hat folgendes geschrieben:
Wer auf Minderheitenrechte scheißt, scheißt auf die FDGO. Kann man machen, ist aber scheiße. So einfach ist das.


Nein, so einfach ist das nicht; denn wir haben es hier mit einem komplexen politischen Thema zu tun. Es geht um Rechte (von Individuen oder Gruppen), Umverteilung, Anerkennung. (Siehe unteres Bild!)

Ich finde, dass die radikale kulturelle ("identitär-minoritäre") Linke (mit ihrer multikulturalistischen, postkolonialistischen und postmodernistischen Ausrichtung) in Sachen Minderheitenrechte (und darüber hinaus) fragwürdige Auffassungen vertritt (gelinde gesagt). Diese abzulehnen, macht einen nicht zu einem illiberalen Reaktionär!



Bildquelle: Andrew Heywood. Political Ideologies: An Introduction. 7th ed. London: Red Globe/Macmillan, 2021. p. 229

#236:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 00:32
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Myron hat folgendes geschrieben:
Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse in Bezug auf das Geschlecht hat Frau Vollbrecht denn ignoriert?

Alle, bei denen es nicht um Gameten geht.

Und wenn wir uns darauf einigen können, dass der Mensch in Bezug auf Geschlecht mehr ist als seine Gameten, ist das einfach eine von aktivistischen Motiven geprägte, grob unwissenschaftliche Verkürzung des Themas.

(Für Nachfragen: Das wurde alles in den passenden Threads schon dargelegt.)

#237:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 00:38
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Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
"TERF" dagegen gilt den anti-woken Würstchen als slur. Mir kommen die Tränen.


Dieses Akronym ist von Anfang an als Schmähwort verwendet worden!

Weil Transphobie nun mal Arschlochverhalten ist.
Nichtsdestotrotz ist "trans-excluding radical feminist" eine abolut korrekte Beschreibung dessen, was diese Leute sagen und machen. Sie wollen alle mindestens Transpersonen aus dem Feminismus ausschließen, punktum. Manche gehen so weit, das Phänomen "trans" als solches zu leugnen. Damit ist die erste Hälfte der Abkürzung sachlich völlig korrekt. (Zugegeben: Bei der zweiten Hälfte habe ich bei manchen Leuten meine Zweifel. Aber über die wird ja nicht gestritten.)


Zuletzt bearbeitet von tillich (epigonal) am 30.12.2023, 01:00, insgesamt 2-mal bearbeitet

#238:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 00:58
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vrolijke hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:


1. Strohmänner

Es werden nur Extrempositionen der woken Seite angegriffen (zB Themen wie die bärtige Transfrau oder die Kindersexualität oder wie zuletzt die Schizophrenie als Form der Neurodivergenz oder die Maori-Mythologie als Wissenschaft). Meine Antworten, als normalste Vertreterin der woken, extremen Mitte, sind offensichtlich uninteressant, nachdem ich ein paar Fragen eben ganz normal beantwortet habe und kein Empörungspotenzial geliefert habe.


Ich bin da nicht sooo intern bewandert bei der GWUP, aber genau darüber geht meines Wissens ja der Streit bei der GWUP.
Einige, die sich im Vorstand haben wählen lassen, vertreten solche Extrempositionen.
Und es wird ja nicht "wissenschaftlich" diskutiert, sondern da geht es gegen Personen.

Ich habe beim hpd noch einmal recherchiert (Suche nach dem Stichwort "gwup").

Nach den dortigen Texten ist es absolut eindeutig so, dass zuerst einige Leute sich im Rahmen der GWUP mit entsprechenden Themen genau so kritisch beschäftigen wollten wie mit für die GWUP klassischen Themen wie Wünschelrutengehen, Parapsychologie etc.
Man könnte also sagen: Diese Leute wollten die GWUP im Kampf gegen den sog. "Wokismus" benutzen, was m.W. eine ziemlich harsche Veränderung der Themensetzung des Vereins wäre, und wofür das üblcihe Instrumentarium der GWUP nicht passen würde. Dementsprechend sind auch die entsprechenden Texte keineswegs auf dem Niveau, das ich von der GWUP erwarten würde. Und du selbst, vrolijke, meintest ja oben, dass derartige Themen eigentlich nicht zur GWUP passen würden.

Und dann sind Leute als Kandidaten für den Vorstand aufgetreten, die gegen diesen Richtungswechsel waren und "ihre alte GWUP zurückhaben" wollten. Nicht diese neuen Leute haben also "woke Themen" hineingebracht, sondern sie sind dagegen aufgetreten.
Dass diese Leute die genannten Extrempositionen vertreten würden, halte ich bis zum Beleg des Gegenteils übrigens für ein Gerücht der Anti-"Woke"-Aktivisten.

Übrigens zur Ehrlichkeit der Anti-Woke-Kämpfer: Einer der wackeren Recken der intellektuellen und wissenschaftlichen Redlichkeit war sich nicht zu blöd, bei einer demokratischen Vorstandswahl von einem "Putsch" zu sprechen, weil die ihm missfallenden Kandidaturen "überraschend" und "unangekündigt" gewesen seien. Während auf dem Foto zum gleichen Artikel eine Tagesordnung abgebildet war, in der die entsprechenden Kandidaturen schon wenigstens einen Monat vor der Versammlung schriftlich angekündigt wurden ...

#239:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 01:15
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Nein, die Behauptung, das sei Rassentrennung, ist absurder Bullshit.
Wer das behauptet, verharmlost in eklatanter Weise, was wirkliche Rassentrennung bedeutet(e).

Rassentrennung ging von essentialistisch verstandenen "Rassen" aus und davon, dass diese Rassen grundsätzlich getrennt werden sollten, letztlich in allen Lebensbereichen, von Familien, Bildung, Wohnen, Arbeit bis zum Klo, mit einer eindeutig als besser bewerteten und bevorzugten "Rasse".


Ich habe nicht behauptet, dass die Linksidentitären eine totalitäre Rassentrennung in allen Bereichen des öffentlichen Lebens anstreben.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Das ist im Kern der Unterscheid in allen Bereichen von rechter und linker Identitätspolitik: Rechte Identitätspolitik behauptet essentialistische, feste Identitäten, begrüßt sie, will sie festigen und einer Gruppe Vorrang verschaffen; linke Identitätspolitik findet konstruierte, veränderbare Identitäten vor, will sie dekonstruieren, muss sich aber vorläufig paradovxerweise mit ihnen beschäftigen, weil sie als Konstruktion Realität haben.


Sowohl linker als auch rechter Identitarismus und die jeweilige Identitätspolitik funktionieren nur dann, wenn (objektive) Identitäten keine Fiktionen oder Illusionen sind. Was sozial "konstruiert" wird, ist Teil der sozialen Realität. (Ob Rassen bloße Artefakte ohne natürliche Bestimmung sind, sei hier dahingestellt.)

Der woke David Halperin spricht von Queerness als "an identity without an essence"; aber die Linksidentitären laufen mit ihrem "strategischen Essenzialismus" Gefahr, in einen ontologischen Essenzialismus zu verfallen.

Die (objektive) Gesamtidentität von etwas oder jemandem besteht in all denjenigen Arten, zu denen es/sie/er gehört. Dazu zählen sowohl natürliche als auch kultürliche Arten. Man kann z.B. Mensch, Deutscher und Lehrer sein.
Die allgemeine ontologische Diskussion, ob es Arten überhaupt gibt, (falls ja) was genau sie sind, und ob sie ein Wesen haben, wird übrigens nicht nur in der Soziologie geführt, sondern z.B. auch in der Biologie. Die Unterscheidung zwischen essence kinds und (essenceless) cluster kinds findet man darin seit langem. Die meisten Biologen haben die alte Lehre von den Speziesessenzen verworfen.

P.S.:
Wenn von Gattungen, Genera (Sing. "Genus"), Spezies, Sorten, Typen oder Rassen die Rede ist, dann ist immer von Arten (im allgemeinen ontologischen Sinn) die Rede.


Zuletzt bearbeitet von Myron am 30.12.2023, 01:28, insgesamt einmal bearbeitet

#240:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 01:22
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tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Weil Transphobie nun mal Arschlochverhalten ist.


Das Zurückweisen der Behauptung, dass Transfrauen/-männer Frauen/Männer seien, macht einen nicht zum "Transphobiker"!

#241:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 01:26
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Ich habe nicht behauptet, dass die Linksidentitären eine totalitäre Rassentrennung in allen Bereichen des öffentlichen Lebens anstreben.

Die reale Trennung angeblich realer Rassen in allen oder den wichtigsten Bereichen des Lebens ist aber nun mal die Bedeutung des Worts. Wenn du das gleiche Wort wie für die reale Rassentrennung sachfremd auch für "safe spaces" verwendest, obwohl Umfang und Intention der Maßnahmen gegensätzlich sind, tust du eben so, als wäre beides das Gleiche.

Und machst dich dadurch zum nützlichen Idioten von Rechtsextremen, die von "anti-weißem Rassismus" fabulieren, wo es tatsächlich nur um solche "safe spaces" im Kampf gegen Rassismus geht.
Zur Beschreibung und auch zur Kritik des Phänomens von solchen safe Spaces ist die Verwendung des Worts "Rassentrennung" dagegen völlig überflüssig.

#242:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 02:14
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
…Ich finde, dass die radikale kulturelle ("identitär-minoritäre") Linke (mit ihrer multikulturalistischen, postkolonialistischen und postmodernistischen Ausrichtung) in Sachen Minderheitenrechte (und darüber hinaus) fragwürdige Auffassungen vertritt (gelinde gesagt). Diese abzulehnen, macht einen nicht zu einem illiberalen Reaktionär!


Wir müssten freilich im Einzelnen besprechen, um welche (bestehenden oder geforderten) Minderheitenrechte für welche Minderheiten es geht. Sprechen wir von besonderen Gruppenrechten/Kollektivrechten oder von Individualrechten? Üblicherweise ist ersteres gemeint, wenn von Minderheitenrechten die Rede ist.

Will Kymlicka, einer der wichtigsten Theoretiker des (liberalen) Multikulturalismus, unterscheidet zwischen folgenden Gruppenrechten von Minderheiten: Selbstregierungsrechte (Autonomierechte), polyethnische Rechte, spezielle Repräsentationsrechte.

Zitat:
"I will distinguish:
* self-government rights (the delegation of powers to national minorities, often through some form of federalism);
* polyethnic rights (financial support and legal protection for certain practices associated with particular ethnic or religious groups); and
* special representation rights (guaranteed seats for ethnic or national groups within the central institutions of the larger state)."

(Kymlicka, Will. Multicultural Citizenship: A Liberal Theory of Minority Rights. New York: Oxford University Press, 1995. pp. 6-7)


Zuletzt bearbeitet von Myron am 30.12.2023, 02:38, insgesamt einmal bearbeitet

#243:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 02:28
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Und machst dich dadurch zum nützlichen Idioten von Rechtsextremen, die von "anti-weißem Rassismus" fabulieren, wo es tatsächlich nur um solche "safe spaces" im Kampf gegen Rassismus geht.
Zur Beschreibung und auch zur Kritik des Phänomens von solchen safe Spaces ist die Verwendung des Worts "Rassentrennung" dagegen völlig überflüssig.


Hinter dem ganzen woken Gerede von "safe spaces" steckt ein grotesker Begriff von Sicherheit und Schutz vor Gefahr oder Bedrohung, bei dem der Schutz vor physischer Gewalt (fast) keine Rolle spielt. Die "hypersensible" Linke fühlt sich ja schon "unsafe", wenn sie mit anderen Meinungen konfrontiert wird.


Zuletzt bearbeitet von Myron am 30.12.2023, 03:13, insgesamt einmal bearbeitet

#244:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 02:36
    —
Schon der Minderheitenbegriff der Woken Linken ist speziell; denn sie interessieren sich ja nicht für alle Minderheiten (und deren Rechte), sondern nur für einige—nämlich diejenigen, die sie für unterdrückt oder benachteiligt erachten. Andere Minderheiten wie die Könige oder die Milliardäre kümmern sie überhaupt nicht.

#245:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 03:23
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Nichtsdestotrotz ist "trans-excluding radical feminist" eine abolut korrekte Beschreibung dessen, was diese Leute sagen und machen. Sie wollen alle mindestens Transpersonen aus dem Feminismus ausschließen, punktum.


Was den deskriptiven Aspekt von "TERF" betrifft, so hast du insofern unrecht, als die genderkritischen Feministinnen nicht alle Transpersonen ausschließen, sondern nur alle Transfrauen, welche für sie Männer sind. Der genderkritische Feminismus versteht sich als Feminismus für Frauen. Transmänner sowie weibliche "nonbinäre" Personen zählt er zu den Frauen, sodass sie nicht ausgeschlossen werden.

Zitat:
"[T]he accusation behind ‘TERF’, or ‘trans-exclusionary radical feminist’, is partly correct. Gender-critical feminists are not exclusionary of trans people per se, but they include in their constituency transmen rather than transwomen, and female nonbinary people rather than no/all nonbinary people. Gender-critical feminists do this because our constituency, as already explained, is female people. Far from excluding trans people per se from the constituency of feminism, gender-critical feminists are very concerned with the situation of transmen and female nonbinary people."

(Lawford-Smith, Holly. Gender-Critical Feminism. Oxford: Oxford University Press, 2022. p. 61)

#246:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 08:58
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Schon der Minderheitenbegriff der Woken Linken ist speziell; denn sie interessieren sich ja nicht für alle Minderheiten (und deren Rechte), sondern nur für einige—nämlich diejenigen, die sie für unterdrückt oder benachteiligt erachten. Andere Minderheiten wie die Könige oder die Milliardäre kümmern sie überhaupt nicht.

Also die Linken setzen sich nicht für die Rechte von Leuten ein, deren Rechte gar nicht missachtet oder bedroht sind. Also sie verschwenden ihre Energie nicht für unnützen Unsinn. Und das ist jetzt schlecht, weil...? Mit den Augen rollen

Linke sehen übrigens normalerweise auch nicht die Blonden oder die Blauäugigen oder die Dackelzüchter oder die Leute, die regelmäßig Sonntags im Comicshop um die Ecke Magic: The Gathering spielen als gesellschaftliche Minderheiten im hier gemeinten Sinne an - noch tut das sonst irgendwer in der Soziologie oder selbst auch nur in der alltäglichen Umgangssprache. Es ist fast so, als wäre dein Minderheitenbegriff der spezielle. Pfeifen

#247:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 15:52
    —
vrolijke hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:


1. Strohmänner

Es werden nur Extrempositionen der woken Seite angegriffen (zB Themen wie die bärtige Transfrau oder die Kindersexualität oder wie zuletzt die Schizophrenie als Form der Neurodivergenz oder die Maori-Mythologie als Wissenschaft). Meine Antworten, als normalste Vertreterin der woken, extremen Mitte, sind offensichtlich uninteressant, nachdem ich ein paar Fragen eben ganz normal beantwortet habe und kein Empörungspotenzial geliefert habe.


Ich bin da nicht sooo intern bewandert bei der GWUP, aber genau darüber geht meines Wissens ja der Streit bei der GWUP.
Einige, die sich im Vorstand haben wählen lassen, vertreten solche Extrempositionen.
Und es wird ja nicht "wissenschaftlich" diskutiert, sondern da geht es gegen Personen.

Die Frage dürfte sich mit tillichs Beitrag wohl erledigt haben.

#248:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 16:30
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Viele Begriffsverwendungen scheinen mir einzig den Zweck zu haben, eine Distanzierung zu provozieren. Inzwischen will zB kaum noch jemand "woke" genannt werden, denn woke und Wokeismus uä Begriffe werden als Dysphemismus benutzt und sind inzwischen mit allen möglichen negativen Eigenschaften aufgeladen. Geht mir am Arsch vorbei. Ich identifiziere mich als woke. Bring it on! Zeigt mir eure wahren Schotten!

Was versteht du denn unter "Wokeness" oder "Wokeismus"?

Ich bin politisch interessiert und aufmerksam. Ich engagiere mich gegen ungerechtfertigte Diskriminierungen. Meine Arbeit in diesem Forum und mein Anschreiben gegen Schwachsinn (hier und auch anderswo) sind Teil meines Engangements.


Myron hat folgendes geschrieben:
Wer gehört für dich zur Woken Linken und wer nicht? (Linkssein ist nicht dasselbe wie Wokesein!)

Keine Ahnung.


Myron hat folgendes geschrieben:
Man kann darunter eine bestimmte politische Theorie (Ideologie/Philosophie) verstehen oder/und eine bestimmte politische Praxis (eine bestimmte Art und Weise, Politik zu betreiben).

Aha.


Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
"TERF" dagegen gilt den anti-woken Würstchen als slur. Mir kommen die Tränen.

Dieses Akronym ist von Anfang an als Schmähwort verwendet worden!

Das meine ich mit Anschreiben gegen Schwachsinn:

Zitat:
Die Abkürzung wurde 2008 zum ersten Mal im englischsprachigen Raum benutzt.[1][2] Als Akronym wurde sie Ende der 2000er Jahre von der feministischen Bloggerin Viv Smythe als „absichtlich technisch neutrale Bezeichnung“[3] geschaffen, mit der sich cis-Radikalfeministinnen von trans-exklusiven Ansätzen abgrenzen wollten.[4] Smythe erklärt, der Begriff sei nicht beleidigend gemeint gewesen, und betont, dass sie mit vielen trans-inklusiven Radikalfeministinnen produktiv zusammengearbeitet habe.[5] 2008 analysierte sie radikalfeministische Standpunkte und schuf mit TERF eine Bezeichnung für Gruppen, die trans Personen aus ihrem Feminismus ausschlossen. Radikalfeminismus konzentriert sich darauf, gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse aus patriarchalen Strukturen zu analysieren. Ein Fokus liegt dabei beispielsweise in der Beseitigung bestehender Geschlechterrollen und damit verbundener Hierarchien.[6]

https://de.wikipedia.org/wiki/TERF

Wie gesagt: Mir kommen die Tränen.


Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Und wer zB Safe Spaces für Schwarze als Rassentrennung bezeichnet, hat den Schuss nicht gehört…


Es ist eine neue Rassentrennung, die ideologisch nicht von den Weißen ausgeht und betrieben wird (abgesehen von denjenigen Weißen, die Anhänger der kritischen Rassentheorie sind), sondern von Schwarzen oder "Leuten von Farbe".

Hast du den Schuss immer noch nicht gehört? Lies über den Begriff "Rassentrennung"!


Myron hat folgendes geschrieben:
Diese benötigen an den (Hoch-)Schulen jedenfalls keine "Schutzräume", in denen sie vor Weißen "sicher" sind.

Aha. Ich habe von den konkreten Umständen dieser "Schutzräume" sicherlich weniger Ahnung als du, daher bin ich mir sicher, dass du deine Behauptung auch schlüssig begründen kannst. Und im übrigen wird nicht nur gemacht, was "benötigt" wird, aber das ist dir wahrscheinlich sowieso klar.


Myron hat folgendes geschrieben:
(Der Vergleich mit Frauenhäusern hinkt völlig!)

Ich habe nun nicht gerade an Frauenhäuser als Safe Spaces gedacht, aber gut: Welche "Räume" sind für dich "Safe Spaces" für Frauen? Und wie werden in diesen "Safe Spaces" Hetero-Frauen vor den Übergriffen von Homo-Frauen geschützt?


Myron hat folgendes geschrieben:
Ich weiß, es geht den woken Rassentrennern keineswegs nur um physische Sicherheit, sondern vor allem auch um psychischen Schutz vor der "kulturellen Hegemonie" des weißen Mannes.

Was du so alles weißt. Woher weißt du das denn?


Myron hat folgendes geschrieben:
Man möchte nicht nur rassisch, sondern auch kulturell unter sich bleiben—als Akt der "Dekolonisierung".

Na sowas... Ist das tatsächlich so? Und tatsächlich als Akt der Dekolonisierung (was immer das sein soll)?

#249:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 17:07
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Marie-Luise Vollbrecht als bestes Beispiel: Es gibt nur zwei biologische Geschlechter. Und? Wen interessiert's? Im Personenstandsgesetz sind drei Geschlechter vorgesehen. Wer Vertretern der "Trans-Ideologie" Wissenschaftsfeindlichkeit vorwirft, aber bei seiner Betrachtung in biologistischer Weise die entsprechenden medizinischen und psychologischen Erkenntnisse in Bezug auf das Geschlecht ignoriert, ist nicht satisfaktionsfähig.


Die "Diversen" oder "Nonbinären" bilden kein drittes Geschlecht!

Kein drittes biologisches Geschlecht - manche sagen so, andere sagen so. Diese Diskussion geht mir allerdings am Arsch vorbei, weil sie in Bezug auf die Gesetzgebung in unserer geliebten Bundesrepublik ohnehin bloß ein Red Herring ist. Die Biologie kommt mit zwei Geschlechtern aus und das ist fein für mich.

Im Hinblick auf unser Personenstandsrecht spielt die Biologie allerdings eine nachgeordnete Rolle. Daher sieht das Personenstandsrecht unserer geliebten Bundesrepublik die Personenstandseinträge "männlich", "weiblich", "divers" und "keine Angabe" vor. Und auch das ist fein für mich.


Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Marie-Luise Vollbrecht als bestes Beispiel: Es gibt nur zwei biologische Geschlechter. Und? Wen interessiert's? Im Personenstandsgesetz sind drei Geschlechter vorgesehen. Wer Vertretern der "Trans-Ideologie" Wissenschaftsfeindlichkeit vorwirft, aber bei seiner Betrachtung in biologistischer Weise die entsprechenden medizinischen und psychologischen Erkenntnisse in Bezug auf das Geschlecht ignoriert, ist nicht satisfaktionsfähig.

(...)
Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse in Bezug auf das Geschlecht hat Frau Vollbrecht denn ignoriert?

Hab ich doch schon geschrieben.


Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Wer auf Minderheitenrechte scheißt, scheißt auf die FDGO. Kann man machen, ist aber scheiße. So einfach ist das.


Nein, so einfach ist das nicht; denn wir haben es hier mit einem komplexen politischen Thema zu tun. Es geht um Rechte (von Individuen oder Gruppen), Umverteilung, Anerkennung. (Siehe unteres Bild!)

Doch, doch, das ist so einfach. Aus der FDGO, namentlich dem Grundgesetz (und diversen völkerrechtlichen Verträgen), folgt zwingend eine Schutzpflicht des Staates zugunsten von Minderheiten. Diese Schutzpflicht wird durch die Gewährung von Rechten und das Verbot staatlicher (teils auch privatrechtlicher) Diskriminierung verwirklicht.

Und wer auf solche Minderheitenrechte oder auch auf das Diskriminierungsverbot scheißt, scheißt damit auch zwingend auf die FDGO. Kann man machen, wird aber von vielen als Arschloch-Move angesehen.


Myron hat folgendes geschrieben:
Ich finde, dass die radikale kulturelle ("identitär-minoritäre") Linke (mit ihrer multikulturalistischen, postkolonialistischen und postmodernistischen Ausrichtung) in Sachen Minderheitenrechte (und darüber hinaus) fragwürdige Auffassungen vertritt (gelinde gesagt).

Viele Menschen vertreten viele fragwürdige Auffassungen. Das ist trivial.


Myron hat folgendes geschrieben:
Diese abzulehnen, macht einen nicht zu einem illiberalen Reaktionär!

Du kannst ablehnen, was du willst. Entscheidend ist, wie du dich äußerst. Und wenn du dich wie ein illiberaler Reaktionär äußerst, wirst du damit rechnen müssen, auch als ein solcher bezeichnet zu werden. Ob du nun tatsächlich auch ein illiberalen Reaktionär bist, ist mir dabei völlig egal.

#250:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 17:12
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Weil Transphobie nun mal Arschlochverhalten ist.


Das Zurückweisen der Behauptung, dass Transfrauen/-männer Frauen/Männer seien, macht einen nicht zum "Transphobiker"!

Nein, das wohl nicht. Es macht einen eher, zumindest dem Anschein nach, zu einem "Transphobisten", besonders dann, wenn man sich mit dem Thema bereits befasst hat und die Zurückweisung der Behauptung einer informierten Entscheidung folgt.

#251:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 19:45
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:

Oho. Es ist schon interessant, welche Macht uns Wokies von manchen Leuten zugesprochen wird.

Zugegeben, der Vergleich hinkt ein bisschen, aber auf ein Kriterium dieser Art müßte man sich einigen, wenn wir "ist ein kleineres Problem" und "ist ein größeres" einschätzen wollten.

Doch, doch, auf diesen Vergleich wollte ich hinaus - aber ein wenig anders:

Ich habe versäumt zu sagen, warum der Vergleich ein bisschen hinkt. Die Kirchen, vertreten durch die Trägervereine von Krankenhäusern usw. entlassen Menschen dafür was sie im Privatleben treiben: Kirchenaustritte, Scheidungen, homosexuelle Beziehungen. Dozenten an woken Unis werden oft arbeitsbezogen entlassen. Wie der Dozent, der im Kunstunterricht historische Mohammed-Bilder zeigte.


jdf hat folgendes geschrieben:
"...es ist ja nicht so, daß der Mann Macht über mich hatte", schreibst du. Solche Männer haben mit ihrer Macht allein in der BRD wahrscheinlich hunderttausende Leben zerstört und sicher tausende Menschen in den Selbstmord getrieben, weil diese Menschen in irgendeiner Weise der Kirche oder den jeweiligen Priestern nicht passten. Dein Pfarrer konnte dir nichts anhaben, was sehr gut ist.

Weil ich nicht auf die Kirche als Arbeitgeber angewiesen war. Als Erzieher oder Arzt würde es anders aussehen. Vor einigen Jahren gab's Urteile vom EuGH, daß sich die Kirche nur in kirchlichem auf Tendenzbetrieb berufen darf. Was daraus geworden ist, weiß ich nicht. Auf der woken Seite kann ich mich an vielleicht ein Dutzend Entlassungen oder ähnlicher Vorfälle in den letzten Jahren erinnern.


jdf hat folgendes geschrieben:
Was aber ist nun dein Problem mit uns Wokies? Die Kirche kannst du abschütteln, ...

Bedingt. Für mein Alltagsleben ja. Solange jedoch der Staat die Bischofsgehälter bezahlt oder Gesetze einen kirchlichen Stempel tragen (Abtreibung, Fortpflanzungsmedizin) wirkt die Kirche noch.


jdf hat folgendes geschrieben:
...uns Wokies nicht? Kann dir das, was wir erzählen, nicht gepflegt am Arsch vorbeigehen?

Das ZDF schreibt, weiß sei, wer nicht von Rassismus betroffen ist. Die Juden hat VanHanegem bereits genannt. Ich ergänze um die Samen in Schweden. Wer sich in Geschichte auskennt, wird weitere Fälle finden.


jdf hat folgendes geschrieben:
Deshalb will man auch nicht in Dörfern leben...

Ich wurde vor der Geburt nicht gefragt. Weinen


jdf hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Natürlich. Wo ist das Problem?

Ich dachte, die Forderung wäre transphob.

Sollte sie das nicht sein, habe ich etwas völlig falsch verstanden.

Doch, doch, du hast das schon richtig verstanden. Natürlich ist es transphob, wenn deine Lesben Trans-Lesben tatsächlich aus ihren safe spaces ausschließen wollen. Aber wo ist das Problem? Sollen sie das doch machen. Dann sind sie eben transphob. Und ich nenne sie dann eben transphob. - Der Witz ist ja, dass manche der Transphobisten aus irgendeinem Grund nicht transphob genannt werden wollen, aber das ist nun wieder deren Problem. Schulterzucken

Das sehe da einen sprachlichen Widerspruch:

Entweder ist etwas ein Problem, dann passt eine Vokabel wie transphob. Oder es ist kein Problem, dann passt transphob nicht.

#252:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 19:52
    —
Fast alles im Folgendem kann ich mit Zitaten von mir aus diesem Thread beantworten.

jdf hat folgendes geschrieben:
Denn diese Leute haben einfach keine vernünftigen Argumente für ihre Positionen:

1. Strohmänner

Es werden nur Extrempositionen der woken Seite angegriffen


Einige Beiträge darüber steht bei mir etwas sehr ähnliches.

smallie hat folgendes geschrieben:
Folgendes gehört mal ausdrücklich gesagt.

... was aus dem woken Lager ist nachvollziehbar? Wo wird es absurd? Wer von euch sagt, daran ist nichts nachvollziehbar? Wer sagt, daran ist nichts absurdes?




jdf hat folgendes geschrieben:
Meine Antworten, als normalste Vertreterin der woken, extremen Mitte, sind offensichtlich uninteressant, nachdem ich ein paar Fragen eben ganz normal beantwortet habe und kein Empörungspotenzial geliefert habe.

Das sagt nur aus, daß du kein 100%iger bist. Oben bereits erwähnt: einen woken Wahlomaten bauen anhand einer Liste der woken Einzelthemen. Abhaken und abzählen, wo man zustimmt.



jdf hat folgendes geschrieben:
2. Begriffsverwendungen

Viele Begriffsverwendungen scheinen mir einzig den Zweck zu haben, eine Distanzierung zu provozieren.

Zur sozialen Konstruktion der Rasse bei Obama habe ich schon vor zwei oder mehr Jahren geschrieben. Ich lehne ja nicht blind alles ab, was aus der Ecke kommt.

smallie hat folgendes geschrieben:
Von mir wirst du nicht hören: woke ist generell blöd, deshalb ist das Subthema x automatisch falsch. Als Heuristik, womit sich die Beschäftigung lohnt, ist das in Ordnung. Ein Argument ist es nicht.




jdf hat folgendes geschrieben:
Und wer zB Safe Spaces für Schwarze als Rassentrennung bezeichnet, hat den Schuss nicht gehört - da braucht man bloß mal kurz wiki befragen. löl.

Antwort folgt bei tillich.



jdf hat folgendes geschrieben:
Safe Spaces für Frauen oder Lesben sind legitim. (Wie werden in diesen "Safe Spaces" für Frauen eigentlich die Hetero-Frauen vor den Übergriffen der Homo-Frauen geschützt? Frage für einen Freund.) Dagegen sind Safe Spaces für Schwarze abzulehnen.

Ist das so? Bei mir nicht.

smallie hat folgendes geschrieben:
An US-Unis gibt es inzwischen einige Häuser, die nur Schwarzen offenstehen. Das wurde als diskriminierend kritisiert, ich persönlich sehe das entspannt: lasst sie machen, das legt sich wieder. Konsequenter Weise steht auch den Lesben ihr safe space zu.

Wo sind die Kriterien dafür, was passiert, wenn zwei gegensätzliche Identitäten aufeinandertreffen?




jdf hat folgendes geschrieben:
Es gibt nur zwei biologische Geschlechter. Und? Wen interessiert's?

Mich. Weil die zwei Geschlechter für die Biologie jenseits der Einzeller so grundlegend sind, wie die Mechanik für die Physik. Ist mir schon klar, daß Wissenschaft ein Nischenthema ist, das vergleichsweise wenige interessiert.

"Es gibt nur zwei Geschlechter" - was oft genug bestritten wird. Wenn das so weiter geht, steht's am Ende noch in den Schulbüchern.


jdf hat folgendes geschrieben:
Im Personenstandsgesetz sind drei Geschlechter vorgesehen.

Ich finde das Personenstandsgesetz ganz in Ordnung. Nicht in Ordnung ist, die Biologie umzuschreiben, um das zu begründen.


jdf hat folgendes geschrieben:
Wer Vertretern der "Trans-Ideologie" Wissenschaftsfeindlichkeit vorwirft, aber bei seiner Betrachtung in biologistischer Weise die entsprechenden medizinischen und psychologischen Erkenntnisse in Bezug auf das Geschlecht ignoriert, ist nicht satisfaktionsfähig.

Man braucht keine Biologie, um Normen abzustecken.

(Der einzige Beitrag, der nicht aus diesem Thread stammt.)

smallie hat folgendes geschrieben:
Biologisten wohin man schaut

1) Es hat sich herumgesprochen: manchmal sind auch Tiere homosexuell. Woraus gefolgert wird: also ist Homosexualität natürlich - deshalb kann man nicht dagegen sein.

Das ist ein schlechtes Argument. Infantizid, Kannibalismus, ... sind ebenfalls natürlich.

... Ich verstehe nicht, warum man bei solchen Fragen immer wieder unsinnigerweise Biologie als Rechtfertigung heranzieht. Angenommen, jemand würfe mir vor, ich sei nicht ganz normal. Dann rechtfertige ich mich doch nicht durch Rückgriff auf die Biologie, sondern sage: "Was stört dich an mir?"

Merke: wenn bei solchen Streitthemen die Biologie herhalten muß, ist der Streit auf dem Holzweg.




jdf hat folgendes geschrieben:
Wer auf Minderheitenrechte scheißt, scheißt auf die FDGO. Kann man machen, ist aber scheiße. So einfach ist das.

Minderheitenrechte sind hier bereits eingepreist:

smallie hat folgendes geschrieben:
Einschränkungen

Reicht es nicht, allgemeine Kriterien aufzustellen, wann Macht unzulässig ausgeübt wird?

Man schützt Minderheiten, in dem man verhindert, daß andere unzulässig Macht über sie ausüben.



jdf hat folgendes geschrieben:
Fuck your feelings!

Dann bist du definitiv nicht woke. Gefühle sind Trumpf. "Mohammed-Bilder" verletzen meine Gefühle, der böse Dozent muß weg.



PS: deine Kritik scheint sich an einem generischen Anti-Wokeismus auszurichten, die Stammtischvariante sozusagen. Mit meinen Aussagen hat das wenig zu tun.

#253:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 19:57
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Und machst dich dadurch zum nützlichen Idioten von Rechtsextremen, die von "anti-weißem Rassismus" fabulieren, wo es tatsächlich nur um solche "safe spaces" im Kampf gegen Rassismus geht.
Zur Beschreibung und auch zur Kritik des Phänomens von solchen safe Spaces ist die Verwendung des Worts "Rassentrennung" dagegen völlig überflüssig.


Hinter dem ganzen woken Gerede von "safe spaces" steckt ein grotesker Begriff von Sicherheit und Schutz vor Gefahr oder Bedrohung, bei dem der Schutz vor physischer Gewalt (fast) keine Rolle spielt. Die "hypersensible" Linke fühlt sich ja schon "unsafe", wenn sie mit anderen Meinungen konfrontiert wird.

Aha. Du sprichst also - a) - den Angehörigen von diskriminierten Minderheiten schon mal per se ihre Bedürfnisse ab, mal unter sich zu sein, um mal eine Zeitlang frei von alltägliochen Diskriminerungen zu sein.
Und diese Negierung solcher Bedürfnisse soll dann - b) - ein Argument dafür sein (jedenfalls bringst du es im Kontext dieser Diskussion so, nämlich als Reaktion auf entsprechende Kritik), - c) - solche Bedürfnisse selbst als "Rassentrennung", also als rassistisches Verlangen, zu verleumden.

Das ist a) völlig unempathisch gegenüber der Situation diskriminierter Minderheiten, b) absolut unlogisch, und c) eine Täter-Opfer-Umkehr der rassistischen Strukturen der Gesellschaft par excellence.
All das entspricht auch völlig der Argumentation minderheitenfeindlicher Rechtsextremer zur Bekämpfung antirassistischer, queerer (usw.) Bewegungen.
Aber wenn man diese Nähe feststellen würde, wäre das natürlich eine ganz böse Verleumdung.

#254:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 20:25
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
Kein drittes biologisches Geschlecht - manche sagen so, andere sagen so. Diese Diskussion geht mir allerdings am Arsch vorbei, weil sie in Bezug auf die Gesetzgebung in unserer geliebten Bundesrepublik ohnehin bloß ein Red Herring ist. Die Biologie kommt mit zwei Geschlechtern aus und das ist fein für mich.

Nicht einmal die Biologie kommt wirklich mit zwei Geschlechtern aus. Das tut sie nur auf der Ebene der Gameten, nur da gibt es - und das wiederum wird von keinem noch so "woken" Transaktivisten bestritten - tatsächlich nur zwei Geschlechter.

Die Gameten mögen dann grundlegend für die biologische Definition von "Geschlecht" sein, aber sobald die Ebene der Gameten verlassen wird und die Biologie von körperlichen Geschlechtsmerkmalen, Hormonen, Verhalten etc.pp. spricht, geht die simple Zweiteilung eben nicht mehr auf. Spätestens bei Arten mit echten Zwittern. Und ebenso ist klar, dass bei Arten wie dem Menschen die simple Zweiteilung aufgrund der verschiedenen Ebenen von Geschlecht nicht aufgeht.

Das heißt, die Anti-Trans-Aktivisten verwenden einen Begriff von Geschlecht, der in der Trans-Debatte nicht nur sachfremd, weil extrem biologistisch ist (denn wie du zurecht feststellst, geht es nicht primär um die Biologie), sondern sogar innerhalb der Biologie für die Frage unangemessen wäre, denn es geht nun mal nicht um Gameten, sondern um Individuen.


Zuletzt bearbeitet von tillich (epigonal) am 30.12.2023, 21:19, insgesamt 2-mal bearbeitet

#255:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 21:18
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Das sagt nur aus, daß du kein 100%iger bist. Oben bereits erwähnt: einen woken Wahlomaten bauen anhand einer Liste der woken Einzelthemen. Abhaken und abzählen, wo man zustimmt.

Ahja, endlich eine Definition des wahren Schotten, äh Woken: Ein wahrer Woker ist nur der, der allen Extrempositionen, die man irgendwo finden kann, zustimmt. Alle anderen, die sagen, die Rede vom gefährlichen Wokismus sei doch Quatsch, weil ein solcher "wahrer Wokismus" kaum existiere, sind eben keine "wahren Woken".

In der Realität sieht der Kampf gegen den "Wokismus" aber anders aus: Da wird alles als "woke" angegriffen und als Beispiel für die angebliche Breite und Gefährlichkeit dieser angeblichen "Bewegung" genommen, was diesem Strohmann auch nur in einem einzigen Punkt annähernd entspricht.

Der angebliche Wokismus wird also dadurch zur ach so schlimmen Gefahr aufgeblasen, dass einerseits inhaltlich alles zu einer Strohmann-Ideologie zusammengekleistert wird, was irgendjemand irgendwo mal als Extremposition vertreten hat, sodass die angebliche "woke Ideologie" als furchtbar gefährlich, extrem und absurd erscheint, und gleichzeitig für die Breite der "woken Bewegung" alle Ereignisse und Personen zusammengeklaubt werden, die auch nur in einem einzigen Punkt annähernd damit in Verbindung gebracht werden.

Die gezielte Unschärfe des Begriffs "woke" erlaubt es also, den angeblichen Inhalt des Begriffs in zwei Richtungen zur Gefahr aufzublasen und dabei zu vertuschen, dass dieses zwei Richtungen sachlich gar nicht vereinbar sind.

Ein selbsterlebtes Beispiel: In einer Diskussion in einem anderen Forum (Teilnehmende: Lehrer:innen für Deutsch als Fremd-/Zweitsprache) meinte jemand, eine Formulierung wie "zwei abwesende Teilnehmende" sei sprachlich falsch. Ich habe mit grammatischen (Funktion des Präsens und des Partizip I) und sprachgeschlichtlichen (Vergleich mit dem ähnlich gebildeten Wort "Vorsitzende") Argumenten für die Korrektheit der Formulierung argumentiert. Dabei habe ich explizit nicht dafür argumentiert, dass man solche (oder andere) Formen geschlechtergerechter Sprache verwenden müsse oder solle, sondern nur, dass diese nicht falsch seien.

Und obwohl ich in meiner Argumentation also strikt fachlich blieb (und lediglich als Ziel der Verwendung solcher Formulierungen "genderinklusive Sprache" nannte) und ausdrücklich niemanden Sprachvorschriften machen wollte, kamen von der anderen Seite dann Kampfbegriffe gegen mich wie "Mitläufer", "übler Gendermainstream", "statt Rückgrat zu beweisen", "Verantwortung für unsere Sprache übernehmen", "schweigende Mehrheit" und natürlich eben "woke". Ich wurde also mit meinen völlig harmlosen (da ich niemandem etwas vorschrieb) und strikt fachlichen Beiträgen zum Repräsentanten einer hochgefährlichen, quasi diktatorischen Bewegung aufgeblasen.


So laufen reale Diskussionen im Umfeld des angeblichen Wokismus doch. Also erzähl doch bitte nicht, jemand wie jdf oder eben ich, der inhaltlich nicht dem Strohmann der "woken Ideologie" entspricht, sei eben kein "100%iger", kein "wahrer Wokie" und also gar nicht wirklich gemeint. Doch, in solchen Diskussionen ist man damit gemeint und wird auch genau so angegriffen.

#256:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 21:23
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
An US-Unis gibt es inzwischen einige Häuser, die nur Schwarzen offenstehen. Das wurde als diskriminierend kritisiert, ich persönlich sehe das entspannt: lasst sie machen, das legt sich wieder. Konsequenter Weise steht auch den Lesben ihr safe space zu.


Ich sehe das nicht entspannt, denn hier verhalten sich die Wachen Linken reaktionär: Zurück zur Rassentrennung!

Ja, ist Rassentrennung.

Nein, die Behauptung, das sei Rassentrennung, ist absurder Bullshit.
Wer das behauptet, verharmlost in eklatanter Weise, was wirkliche Rassentrennung bedeutet(e).

Das ist deine Auslegung des Wortes. Andere legen es anders aus.

Das Wort tauchte kürzlich in der Anhörung zu den Vorfällen in Harvard nach dem 7. Oktober auf.

Zitat:
As It Happened: Harvard President Claudine Gay Testifies Before Congress on Antisemitism
December 5, 2023

Der Abgeordnete Burgess Owens (R-Utah) kritisierte die Universitätspräsidenten wegen anderer Formen der Diskriminierung auf ihrem Campus. Owens fragte Gay, ob es in Ordnung sei, "Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe zu segregieren".

"Ich bin gegen Segregation", sagte Gay.

"Sie findet auf Ihrem Campus statt", erwiderte Owens ...

Owens fragte Kornbluth auch nach den Studentenwohnungen auf dem MIT-Campus und verwies auf das Wohnheim Chocolate City, wo, so Owens, "Weiße ausgeschlossen sind". Auf der Website der Universität wird das Wohnheim als "brotherhood" für Studenten bezeichnet, "die sich mit Urban Culture identifizieren und gemeinsame Hintergründe, Interessen, Ethnien und/oder Erfahrungen teilen".

Kornbluth erklärte, dass die MIT-Studenten sich aussuchen können, welchem Wohnheim sie sich anschließen wollen. "Es ist kein Ausschlussverfahren", sagte Kornbluth. "Es ist eigentlich eine positive Auswahl durch die Studenten."

https://www.thecrimson.com/article/2023/12/5/gay-testimony-congress-live-updates/


Hier auf Youtube zu sehen 'Is It Okay To Segregate People Based On Their Color?': Burgess Owens Grills Harvard President Gay Willst du den Vorwurf eklatanter Verharmlosung auf Mr. Owens ausdehnen?


Es lassen sich etliche weitere Verwendungen finden, nur eine davon:

Obersver hat folgendes geschrieben:
Do Colleges Actually Welcome Segregation on Campus?

A National Association of Scholars survey of 173 public and private colleges and universities found that 71 percent have some version of voluntary segregation.

https://observer.com/2019/05/college-campus-segregation-commencements/


Für dich scheint Rassentrennung mit Zwang verbunden zu sein. Bei mir ist das nicht so. Weil der Zwang bei mir nicht im Wort steckt, muß ich ihn ausdrücklich erwähnen.

smallie hat folgendes geschrieben:
Solange die das nicht zu einer Regel für alle erheben, ist das deren Sache. Sie schaden damit niemand anderem.

Ich hab mir sogar eine Abbruchbedingung überlegt. Das mache ich immer so, wenn ich über etwas nachdenke: schauen, wie weit man einen Ansatz treiben kann, bevor er kippt.

smallie hat folgendes geschrieben:
Die Grenze, ab der es absurd wird, sehe ich durchaus: wenn 80% aller Schwarzen, 80% aller Weißen, Asiaten, Latinos, Native das so sehen, hat man einen segregierten Campus. Was niemand will.

Menschen verwenden Wörter gelegentlich anders. Das läßt sich rausfinden, indem man auf den Kontext schaut.


PS: Ist meine Ausdrucksweise mißverständlich? Unverständlich? Ohne Erklärung nicht nachvollziehbar? Mit Erklärung jetzt nachvollziehbar?

#257:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 21:48
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Das sagt nur aus, daß du kein 100%iger bist. Oben bereits erwähnt: einen woken Wahlomaten bauen anhand einer Liste der woken Einzelthemen. Abhaken und abzählen, wo man zustimmt.

Ahja, endlich eine Definition des wahren Schotten, äh Woken: Ein wahrer Woker ist nur der, der allen Extrempositionen, die man irgendwo finden kann, zustimmt. Alle anderen, die sagen, die Rede vom gefährlichen Wokismus sei doch Quatsch, weil ein solcher "wahrer Wokismus" kaum existiere, sind eben keine "wahren Woken".

Mist. Ich wollte schon dieses Zitat als Blocker einbauen.

smallie hat folgendes geschrieben:
2) Identität ist eine Tendenz, eine Statistik. Wer versucht, Identität genauer und immer genauer festzunageln, landet beim wahren Schotten.

Das gilt auch für Wokismus.


smallie hat folgendes geschrieben:
Also erzähl doch bitte nicht, jemand wie jdf oder eben ich, der inhaltlich nicht dem Strohmann der "woken Ideologie" entspricht, sei eben kein "100%iger", kein "wahrer Wokie" und also gar nicht wirklich gemeint.

Das erzähle ich auch nicht. Bei mir sind die 60, 70, 80%igen natürlich auch mit gemeint.


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Doch, in solchen Diskussionen ist man damit gemeint und wird auch genau so angegriffen.

Mit Angriffen bin ich äußerst sparsam. Glaube nicht, daß mir in diesem Thread einer rausgerutscht ist. Mit Angriffen würde ich nur vom Thema ablenken, weil es dann um den Angriff und eben nicht mehr um mein Thema geht.

#258:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 22:51
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Der Abgeordnete Burgess Owens (R-Utah) kritisierte die Universitätspräsidenten wegen anderer Formen der Diskriminierung auf ihrem Campus. Owens fragte Gay, ob es in Ordnung sei, "Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe zu segregieren".

"Ich bin gegen Segregation", sagte Gay.

"Sie findet auf Ihrem Campus statt", erwiderte Owens ...

Owens fragte Kornbluth auch nach den Studentenwohnungen auf dem MIT-Campus und verwies auf das Wohnheim Chocolate City, wo, so Owens, "Weiße ausgeschlossen sind". Auf der Website der Universität wird das Wohnheim als "brotherhood" für Studenten bezeichnet, "die sich mit Urban Culture identifizieren und gemeinsame Hintergründe, Interessen, Ethnien und/oder Erfahrungen teilen".

Kornbluth erklärte, dass die MIT-Studenten sich aussuchen können, welchem Wohnheim sie sich anschließen wollen. "Es ist kein Ausschlussverfahren", sagte Kornbluth. "Es ist eigentlich eine positive Auswahl durch die Studenten."

[...] Willst du den Vorwurf eklatanter Verharmlosung auf Mr. Owens ausdehnen?

Nach dieser Antwort der Uni-Präsidentin und einer Mini-Recherche, welchen Umfang das auf dem Campus hat und wie das praktiziert wird: Klar trifft dieser Vorwurf auch Owens (ich muss ihn dafür allerdings nicht ausweiten), auch wenn der es wahrhaftig besser wissen müsste.

smallie hat folgendes geschrieben:
Es lassen sich etliche weitere Verwendungen finden, nur eine davon:
Obersver hat folgendes geschrieben:
Do Colleges Actually Welcome Segregation on Campus?

A National Association of Scholars survey of 173 public and private colleges and universities found that 71 percent have some version of voluntary segregation.

https://observer.com/2019/05/college-campus-segregation-commencements/

Ja nun, "konservative" (im US-amerikanischen Sinn) Poliker:innen und Medien versuchen eben, durch eine veränderte Wortverwendung rassistische Segregation (im ursprünglichen Sinne), die eine Hierarchie von "Rassen" mit echter Trennung festschreiben und dadurch Machtpositionen rassistisch verteilen wollte, und anti-rassistisches Empowerment, das begrenzte und freiwillige Safe Spaces als eine Möglichkeit benutzt, genau gegenteilige Ziele zu erreichen, in einen Topf zu werfen und damit ersteres zu verharmlosen und letzteres zu diskreditieren.

Das überrascht mich insofern nicht, als es ja genau das ist, was ich kritisiere. Es ändert auch nichts an meiner Kritik, weil es eben eine Neuverwendung des Wortes ist, die die absolut wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Phänomenen gezielt verwischt. "Segregation" im ursprünglichen SInn steht nun mal für eine politische Praxis, die anderen aufgedrückt wird und nicht freiwillige Entscheidungen meint.

#259:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 30.12.2023, 23:52
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Schon der Minderheitenbegriff der Woken Linken ist speziell; denn sie interessieren sich ja nicht für alle Minderheiten (und deren Rechte), sondern nur für einige—nämlich diejenigen, die sie für unterdrückt oder benachteiligt erachten. Andere Minderheiten wie die Könige oder die Milliardäre kümmern sie überhaupt nicht.

Also die Linken setzen sich nicht für die Rechte von Leuten ein, deren Rechte gar nicht missachtet oder bedroht sind. Also sie verschwenden ihre Energie nicht für unnützen Unsinn. Und das ist jetzt schlecht, weil...?
Linke sehen übrigens normalerweise auch nicht die Blonden oder die Blauäugigen oder die Dackelzüchter oder die Leute, die regelmäßig Sonntags im Comicshop um die Ecke Magic: The Gathering spielen als gesellschaftliche Minderheiten im hier gemeinten Sinne an - noch tut das sonst irgendwer in der Soziologie oder selbst auch nur in der alltäglichen Umgangssprache. Es ist fast so, als wäre dein Minderheitenbegriff der spezielle.


Für die identitär-minoritäre Linke bedeutet "Minderheit" im Grunde dasselbe wie "unterdrückte/benachteiligte/ausgebeutete Gruppe/Klasse". Es steht also der qualitative Aspekt im Vordergrund und nicht der quantitative. Ebenso im Vordergrund steht der kulturelle Aspekt und nicht der ökonomische. Sie interessieren sich hauptsächlich für das "kulturelle Proletariat", das nicht durch den wirtschaftlichen Status definiert ist.
Die ökonomischen Proletarier im marxistischen Sinn bildeten und bilden immer noch die Mehrheit (weltweit) im Vergleich mit der Minderheit der Reichen!

Zitat:
"Whereas the top-down initiatives of the Old Left had tried to help people who were humiliated by poverty and unemployment, or by what Richard Sennett has called the "hidden injuries of class," the top-down initiatives of the post-Sixties left have been directed toward people who are humiliated for reasons other than economic status."

(Rorty, Richard. Achieving Our Country: Leftist Thought in Twentieth Century America. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1998. p. 80)

#260:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 31.12.2023, 00:25
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Was versteht du denn unter "Wokeness" oder "Wokeismus"?

Ich bin politisch interessiert und aufmerksam. Ich engagiere mich gegen ungerechtfertigte Diskriminierungen. Meine Arbeit in diesem Forum und mein Anschreiben gegen Schwachsinn (hier und auch anderswo) sind Teil meines Engangements.


Wer ist schon für ungerechtfertige Diskriminierungen?

Wenn "woke sein" nichts weiter bedeutet, als "politisch interessiert und aufmerksam zu sein", dann bin ich sehr woke.

jdf hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Wer gehört für dich zur Woken Linken und wer nicht? (Linkssein ist nicht dasselbe wie Wokesein!)

Keine Ahnung.


Hm…, aber du weißt trotzdem, dass du dazugehörst. Wie kannst du das wissen, wenn du nicht weißt, was es bedeutet, zu den Woken Linken zu gehören? Es bedeutet jedenfalls nicht einfach, politisch interessiert und aufmerksam zu sein! (Viele Rechtsextreme sind politisch sehr interessiert und sehr aufmerksam.)

jdf hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
"TERF" dagegen gilt den anti-woken Würstchen als slur. Mir kommen die Tränen.

Dieses Akronym ist von Anfang an als Schmähwort verwendet worden!

Das meine ich mit Anschreiben gegen Schwachsinn:

Zitat:
Die Abkürzung wurde 2008 zum ersten Mal im englischsprachigen Raum benutzt.[1][2] Als Akronym wurde sie Ende der 2000er Jahre von der feministischen Bloggerin Viv Smythe als „absichtlich technisch neutrale Bezeichnung“[3] geschaffen, mit der sich cis-Radikalfeministinnen von trans-exklusiven Ansätzen abgrenzen wollten.[4] Smythe erklärt, der Begriff sei nicht beleidigend gemeint gewesen, und betont, dass sie mit vielen trans-inklusiven Radikalfeministinnen produktiv zusammengearbeitet habe.[5] 2008 analysierte sie radikalfeministische Standpunkte und schuf mit TERF eine Bezeichnung für Gruppen, die trans Personen aus ihrem Feminismus ausschlossen. Radikalfeminismus konzentriert sich darauf, gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse aus patriarchalen Strukturen zu analysieren. Ein Fokus liegt dabei beispielsweise in der Beseitigung bestehender Geschlechterrollen und damit verbundener Hierarchien.[6]

https://de.wikipedia.org/wiki/TERF

Wie gesagt: Mir kommen die Tränen.


Danke für die Info! Ich wusste ehrlich nicht, dass seine Erfinderin dieses Akronym mit rein beschreibender Absicht eingeführt hat. Nichtdestoweniger ist es bald von anderen mit beleidigender Absicht verwendet worden.

Zitat:
"TERF…Originally used within the radical feminist movement. The author of quot. 2008 (a trans-inclusive feminist) has stated that the term was intended as a neutral description; however, except when it is a self-description, TERF is now often used with derogatory or dismissive intent."

Quelle: https://www.oed.com/dictionary/terf_n


jdf hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
(Der Vergleich mit Frauenhäusern hinkt völlig!)

Ich habe nun nicht gerade an Frauenhäuser als Safe Spaces gedacht, aber gut: Welche "Räume" sind für dich "Safe Spaces" für Frauen? Und wie werden in diesen "Safe Spaces" Hetero-Frauen vor den Übergriffen von Homo-Frauen geschützt?


Äh…, ich spreche von Frauenhäusern, wo Frauen Schutz vor gewalttätigen Männern (oder Frauen) finden. Es ist unsinnig, jeden Ort (Kneipe, Club, etc.), jeden Verein und jede Veranstaltung, wo nur Frauen zugelassen sind, als "safe space" zu bezeichnen.

Im Merriam-Webster Dictionary findet sich eine woke Definition:

Zitat:
"safe space = a place (as on a college campus) intended to be free of bias, conflict, criticism, or potentially threatening actions, ideas, or conversations"

Quelle: https://www.merriam-webster.com/dictionary/safe%20space


Hier wird mit einem völlig inflationären Begriff von Sicherheit operiert, bei dem der Schutz vor echter Gewalt nebensächlich oder gar gänzlich unwichtig ist. Safe spaces sind also hauptsächlich als soziale "Blasen" gedacht, in denen Menschen vor Debatten mit Andersdenkenden/-fühlenden, Kritik und der Konfrontation mit anderen Ideen geschützt werden sollen. Schutzräume im woken Sinn sind also so etwas wie "Wellness-Oasen" für die "hypersensible Linke" oder die "Schneeflöckchen-Generation".

#261:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 31.12.2023, 01:04
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Für die identitär-minoritäre Linke bedeutet "Minderheit" im Grunde dasselbe wie "unterdrückte/benachteiligte/ausgebeutete Gruppe/Klasse". Es steht also der qualitative Aspekt im Vordergrund und nicht der quantitative. Ebenso im Vordergrund steht der kulturelle Aspekt und nicht der ökonomische. Sie interessieren sich hauptsächlich für das "kulturelle Proletariat", das nicht durch den wirtschaftlichen Status definiert ist.

Was du nicht alles weißt.

#262:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 31.12.2023, 01:06
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Das Zurückweisen der Behauptung, dass Transfrauen/-männer Frauen/Männer seien, macht einen nicht zum "Transphobiker"!

Nein, das wohl nicht. Es macht einen eher, zumindest dem Anschein nach, zu einem "Transphobisten", besonders dann, wenn man sich mit dem Thema bereits befasst hat und die Zurückweisung der Behauptung einer informierten Entscheidung folgt.


Ich bin in Sachen Geschlecht(er) sehr gut informiert; und mein Urteil ist, dass transsexuelle Männer/Frauen keine Frauen/Männer sind (auch nicht die hormonbehandelten und operierten), sondern höchstens Scheinfrauen/Scheinmänner.
Das bedeutet mitnichten, dass sie juristisch grundsätzlich nicht und damit niemals als Frauen/Männer gelten sollen, oder dass man sie als Untermenschen betrachten und behandeln soll.

Ein Transphobiker im eigentlichen Sinn ist jemand, der Transsexuelle oder Transvestiten als solche verachtet oder hasst, und nichts dagegen hat, wenn sie als solche beleidigt oder körperlich angegriffen werden. In diesem Sinn bin ich ein absoluter Anti-Transphobiker!

#263:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 31.12.2023, 01:21
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Hinter dem ganzen woken Gerede von "safe spaces" steckt ein grotesker Begriff von Sicherheit und Schutz vor Gefahr oder Bedrohung, bei dem der Schutz vor physischer Gewalt (fast) keine Rolle spielt. Die "hypersensible" Linke fühlt sich ja schon "unsafe", wenn sie mit anderen Meinungen konfrontiert wird.

Aha. Du sprichst also - a) - den Angehörigen von diskriminierten Minderheiten schon mal per se ihre Bedürfnisse ab, mal unter sich zu sein, um mal eine Zeitlang frei von alltägliochen Diskriminerungen zu sein.


Quatsch! Selbstverständlich dürfen alle sozialen Gruppen "mal unter sich sein", aber das ist nicht der Punkt; denn es geht hier um eine besondere ideologisch-politische Vorstellung von und Forderung nach "Unter-sich-sein" (wie im Fall der "Schutzräume" für Farbige an Hochschulen).

Zur Information: Ich habe keinerlei schlechtes Gewissen, wenn ich Farbige oder farbige Person(en) schreibe/sage; denn die Behauptung, dass der englische Ausdruck "person of color" koscher ist, aber die beiden bedeutungsgleichen deutschen Ausdrücke nicht, ist lächerlich.

#264:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 31.12.2023, 01:35
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Das sagt nur aus, daß du kein 100%iger bist. Oben bereits erwähnt: einen woken Wahlomaten bauen anhand einer Liste der woken Einzelthemen. Abhaken und abzählen, wo man zustimmt.

Ahja, endlich eine Definition des wahren Schotten, äh Woken: Ein wahrer Woker ist nur der, der allen Extrempositionen, die man irgendwo finden kann, zustimmt. Alle anderen, die sagen, die Rede vom gefährlichen Wokismus sei doch Quatsch, weil ein solcher "wahrer Wokismus" kaum existiere, sind eben keine "wahren Woken".

Mist. Ich wollte schon dieses Zitat als Blocker einbauen.


Zur Erinnerung, ich habe geschrieben:

"Die Wache Linke mag als politische Bewegung/Richtung eine bunte Wolke sein, was aber nicht bedeutet, dass sie am Wolkenhimmel der politischen Ideologien keinerlei erkennbare Gestalt sowie keinerlei kennzeichnende und unterscheidende Inhalte (Leitbegriffe & Grundwerte) aufweist."

Für alle großen ideologischen Ismen gilt, dass sie jeweils im Plural in Erscheinung treten. Ich habe unlängst ein Buch von Tony Wright mit dem Titel Socialisms: Old and New gelesen. Der Sozialismus insgesamt besteht also aus mehr oder weniger unterschiedlichen Sozialismen. (Gleiches gilt für den Liberalismus und den Konservatismus.) Das bedeutet, wie gesagt, jedoch nicht, dass es innerhalb des politischen Gesamtspektrums von ganz links nach ganz rechts keinerlei identifizierbare Grenzen gibt.

#265:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 31.12.2023, 04:52
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Nicht einmal die Biologie kommt wirklich mit zwei Geschlechtern aus. Das tut sie nur auf der Ebene der Gameten, nur da gibt es - und das wiederum wird von keinem noch so "woken" Transaktivisten bestritten - tatsächlich nur zwei Geschlechter.

Die Gameten mögen dann grundlegend für die biologische Definition von "Geschlecht" sein, aber sobald die Ebene der Gameten verlassen wird und die Biologie von körperlichen Geschlechtsmerkmalen, Hormonen, Verhalten etc.pp. spricht, geht die simple Zweiteilung eben nicht mehr auf. Spätestens bei Arten mit echten Zwittern. Und ebenso ist klar, dass bei Arten wie dem Menschen die simple Zweiteilung aufgrund der verschiedenen Ebenen von Geschlecht nicht aufgeht.

Das heißt, die Anti-Trans-Aktivisten verwenden einen Begriff von Geschlecht, der in der Trans-Debatte nicht nur sachfremd, weil extrem biologistisch ist (denn wie du zurecht feststellst, geht es nicht primär um die Biologie), sondern sogar innerhalb der Biologie für die Frage unangemessen wäre, denn es geht nun mal nicht um Gameten, sondern um Individuen.


"Nobody thinks we are disembodied gametes." – Emma Hilton (Biologin)

Doch, die Biologie kommt wirklich mit zwei Geschlechtern aus!
(Die transbinären Kreuzungs-/Paarungstypen bei isogametischen Spezies gelten nicht als Geschlechter.)

Biologen behaupten auch nicht, dass die Zweigeschlechtlichkeit bedeutet, dass alle Individuen entweder (nur) männlich oder (nur) weiblich sind, oder dass innerhalb einer Spezies nur zwei Arten sexueller Phänotypen oder sexuellen Verhaltens vorkommen.

Die Annahme der natürlichen Zweigeschlechtlichkeit wird durch Spezies mit (simultanem oder sequenziellem) Hermaphrodismus nicht widerlegt. Organismen, die sowohl Eizellen als auch Samenzellen erzeugen, bilden kein drittes Geschlecht, weil sie keine dritte Art von Keimzellen erzeugen!

Es gibt einige "intersexuelle" Menschen, in deren Körpern sich sowohl (mehr oder weniger weit entwickeltes) Eierstockgewebe als auch (mehr oder weniger weit entwickeltes) Hodengewebe befindet; aber es ist beim Menschen bislang kein einziger Fall bekannt, in dem eine Erzeugung sowohl von Eizellen als auch von Samenzellen stattgefunden hat.

Eine "intersexuelle" Person, die entweder Eizellen oder Samenzellen erzeugen kann, kann als weiblich oder männlich klassifiziert werden. Der Ausdruck "Intersexualität" suggeriert irreführenderweise, dass alle sogenannten Intersexuellen weder als weiblich noch als männlich klassifiziert werden können; doch das ist falsch. Denn Intersexualität ist genau genommen durch das Vorliegen einer Störung der Geschlechtsentwicklung definiert, woraus nicht folgt, dass die betroffenen Individuen geschlechtslos oder doppelgeschlechtlich sind, oder gar ein drittes Geschlecht bilden.

#266:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 31.12.2023, 14:56
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
...uns Wokies nicht? Kann dir das, was wir erzählen, nicht gepflegt am Arsch vorbeigehen?

Das ZDF schreibt, weiß sei, wer nicht von Rassismus betroffen ist. Die Juden hat VanHanegem bereits genannt. Ich ergänze um die Samen in Schweden. Wer sich in Geschichte auskennt, wird weitere Fälle finden.

95% dessen, was der ÖRR produziert, ist für mich bestenfalls uninteressant, der Rest geht mir auf den Sack oder kotzt mich sogar an. Trotzdem zahle ich gern meinen Rundfunkbeitrag für die letzten 5%.

Ich denke, es gibt da einfach zu hohe Erwartungen an den ÖRR, mehr fällt mir dazu nicht ein.


smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Deshalb will man auch nicht in Dörfern leben...

Ich wurde vor der Geburt nicht gefragt. Weinen

Du hast mein Mitgefühl.


smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Natürlich. Wo ist das Problem?

Ich dachte, die Forderung wäre transphob.

Sollte sie das nicht sein, habe ich etwas völlig falsch verstanden.

Doch, doch, du hast das schon richtig verstanden. Natürlich ist es transphob, wenn deine Lesben Trans-Lesben tatsächlich aus ihren safe spaces ausschließen wollen. Aber wo ist das Problem? Sollen sie das doch machen. Dann sind sie eben transphob. Und ich nenne sie dann eben transphob. - Der Witz ist ja, dass manche der Transphobisten aus irgendeinem Grund nicht transphob genannt werden wollen, aber das ist nun wieder deren Problem. Schulterzucken

Das sehe da einen sprachlichen Widerspruch:

Entweder ist etwas ein Problem, dann passt eine Vokabel wie transphob. Oder es ist kein Problem, dann passt transphob nicht.

Von mir aus kann jeder, der will, transphob sein, genauso wie Nazi oder Furry oder woke. Ist alles nicht verboten und ich kann es auch nicht verbieten. Warum soll das mein Problem sein? Warum ein Widerspruch?

Ich habe erst ein Problem mit was auch immer, wenn Handlungen erfolgen, die gegen Gesetze verstoßen. Und wenn irgendwelche Trullas ihre Räume trans-frei halten wollen, dann ist das genauso okay, wie wenn ich meine Räume nazi-frei halte. Schulterzucken

#267:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 31.12.2023, 17:07
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
"Nobody thinks we are disembodied gametes." – Emma Hilton (Biologin)

Ob die Leute so denken, weiß ich nicht, denn ich kann ja nicht in ihre Köpfe gucken.
Leute wie Volbrecht argumentieren aber so.

Myron hat folgendes geschrieben:
Die Annahme der natürlichen Zweigeschlechtlichkeit wird durch Spezies mit (simultanem oder sequenziellem) Hermaphrodismus nicht widerlegt. Organismen, die sowohl Eizellen als auch Samenzellen erzeugen, bilden kein drittes Geschlecht, weil sie keine dritte Art von Keimzellen erzeugen!

Aha.
Ist so ein Organismus dann also a) männlich oder b) weiblich?
Wenn du dich nicht ohne weitere Verrenkungen für a) oder b) entscheiden kannst, bestätigst du meine Behauptung, dass die Biologie jenseits der Ebene der Gameten nicht mit diesen zwei Kategorien auskommt, sondern weitere Beschreibungen braucht.
Dass sie alles auf der Grundlage von zwei Gametentypen erklären kann, ist banal und entspricht auch genau dem, was ich längst geschrieben habe.

Myron hat folgendes geschrieben:
Doch, die Biologie kommt wirklich mit zwei Geschlechtern aus!
(Die transbinären Kreuzungs-/Paarungstypen bei isogametischen Spezies gelten nicht als Geschlechter.)

Biologen behaupten auch nicht, dass die Zweigeschlechtlichkeit bedeutet, dass alle Individuen entweder (nur) männlich oder (nur) weiblich sind, oder dass innerhalb einer Spezies nur zwei Arten sexueller Phänotypen oder sexuellen Verhaltens vorkommen.

Bei der aktuellen Diskussion darum, wie man mit den Phänomenen Trans/Inter/Queer umgeht (konkret: Selbst bestimmungsgesetz), geht es aber nun mal genau um die Frage, ob "alle Individuen entweder (nur) männlich oder (nur) weiblich sind". Es geht nämlich um die Individuen und nicht um die Beschreibung der Gametentypen bei der Art homo sapiens. Nur, wenn man davon ausginge, dass es nur männliche oder weibliche Individuen gäbe, wären weitere mögliche Geschlechtseinträge außer "männlich" und "weiblich" und eine Möglichkeit zum Wechsel der Eintragung überflüssig.

Mit deiner Aussage bestätigst du meine Behauptung, dass nicht einmal die Biologie gegen einen dritten Geschlechtseintrag spricht und dass die Argumentation der Anti-Trans-Aktivisten nicht nur biologistisch, sondern auch in Bezug auf die Biologie falsch ist.

---------------------------------

Manchmal frage ich mich, ob du Beiträge anderer Leute überhaupt sinnentnehmend liest / lesen willst, bevor du darauf reagierst.

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Nebenbei sieht man hier sehr schön, wie schwachsinnig es ist, Diskussionen unter dem schwammigen, alles und nichts umgreifenden Kampfbegriff "woke" zu führen.
Sobald es konkret wird, kommt man in Sachdiskussionen über Einzelthemen, die dann dadurch gestört werden, dass ganz viele Einzelthemen beim angeblich "gleichen Thema" durcheinander diskutiert werden.

Konkret hier, aber es gilt genauso für die öffentliche Debatte: Threads zu Themen wie Trans, Rassismus etc. hatten wir ja schon alle, und da wurden eigentlich auch schon die jeweiligen Argumente ausgetauscht. Das einzige, was in diesem Thread neu ist, ist, wie die Themen sinnlos durcheinander gehen.

#268:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 31.12.2023, 17:18
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
Und wenn irgendwelche Trullas ihre Räume trans-frei halten wollen, dann ist das genauso okay, wie wenn ich meine Räume nazi-frei halte. Schulterzucken

Das sehe ich anders. Nein, das ist nicht genauso OK.
"Trans" schadet anderen nicht, "Nazi" schon. Deswegen ist es in sehr viel mehr Bereichen OK, Nazis auszuschließen, als Transleute.
Und das Argument von Safe Spaces zieht genau dann, wenn es bei den Spaces ganz konkret um den Inhalt der Unterhose geht.

#269:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 01.01.2024, 18:24
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Meine Antworten, als normalste Vertreterin der woken, extremen Mitte, sind offensichtlich uninteressant, nachdem ich ein paar Fragen eben ganz normal beantwortet habe und kein Empörungspotenzial geliefert habe.

Das sagt nur aus, daß du kein 100%iger bist. Oben bereits erwähnt: einen woken Wahlomaten bauen anhand einer Liste der woken Einzelthemen. Abhaken und abzählen, wo man zustimmt.

Da ist er schon, der Wahre Schotte. Wer bestimmt denn so, was in den woken Wahlomaten kommt, hmm?

Ich habe mir die Duden-Definition von woke angesehen und festgestellt: "Ja, das trifft auf mich zu." - Also identifiziere ich mich als woke.


smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
2. Begriffsverwendungen

Viele Begriffsverwendungen scheinen mir einzig den Zweck zu haben, eine Distanzierung zu provozieren.

Zur sozialen Konstruktion der Rasse bei Obama habe ich schon vor zwei oder mehr Jahren geschrieben. Ich lehne ja nicht blind alles ab, was aus der Ecke kommt.

"Woke" als negativ aufgeladener Kampfbegriff hat mE den Zweck, eine Distanzierung davon zu provozieren. Das mein take.


smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Und wer zB Safe Spaces für Schwarze als Rassentrennung bezeichnet, hat den Schuss nicht gehört - da braucht man bloß mal kurz wiki befragen. löl.

Antwort folgt bei tillich.

Du kannst den Begriff Rassentrennung auslegen, wie du willst, ich folge da lieber wiki und nenne Rassentrennung einen staatlichen Eingriff mittels Gesetzen oder Verordnungen, der eine räumliche oder soziale Trennung von verschiedenen "Rassen" in einer Gesellschaft und in deren öffentlichen Raum bewirkt bzw fördert.

Ein Diskriminierungsverbot besteht in D nur für den Staat und ausgewählte Schuldverhältnisse. Außerhalb dessen, darf jeder in seinem "Herrschaftsbereich" diskriminieren (und zB "Rassen", Geschlechter, Nationalitäten, Berufsgruppen und whatever trennen), wie er will.

Deshalb bestimme ich, wer in meiner Wohnung lebt und diskriminiere alle anderen aus meiner Wohnung raus. Und es geht mir am Arsch vorbei, ob du das jetzt Rassentrennung nennst oder nicht.


smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Safe Spaces für Frauen oder Lesben sind legitim. (Wie werden in diesen "Safe Spaces" für Frauen eigentlich die Hetero-Frauen vor den Übergriffen der Homo-Frauen geschützt? Frage für einen Freund.) Dagegen sind Safe Spaces für Schwarze abzulehnen.

Ist das so? Bei mir nicht.

smallie hat folgendes geschrieben:
An US-Unis gibt es inzwischen einige Häuser, die nur Schwarzen offenstehen. Das wurde als diskriminierend kritisiert, ich persönlich sehe das entspannt: lasst sie machen, das legt sich wieder. Konsequenter Weise steht auch den Lesben ihr safe space zu.

Wo sind die Kriterien dafür, was passiert, wenn zwei gegensätzliche Identitäten aufeinandertreffen?

Wer als Kind jemals Stress mit seinen Eltern hatte, sollte eigentlich das Konzept von Safe Spaces verstehen.

Und deshalb meine ich, dass sich da nichts legen muss.


smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Es gibt nur zwei biologische Geschlechter. Und? Wen interessiert's?

Mich. Weil die zwei Geschlechter für die Biologie jenseits der Einzeller so grundlegend sind, wie die Mechanik für die Physik. Ist mir schon klar, daß Wissenschaft ein Nischenthema ist, das vergleichsweise wenige interessiert.

Kontext...


smallie hat folgendes geschrieben:
"Es gibt nur zwei Geschlechter" - was oft genug bestritten wird. Wenn das so weiter geht, steht's am Ende noch in den Schulbüchern.

Jaja, der Dammbruch. Im übrigen steht viel Müll in Schulbüchern. Und jeder sucht sich seine Sachen raus, die er als Müll bezeichnet.


smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Im Personenstandsgesetz sind drei Geschlechter vorgesehen.

Ich finde das Personenstandsgesetz ganz in Ordnung. Nicht in Ordnung ist, die Biologie umzuschreiben, um das zu begründen.

Umzuschreiben?


smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Wer Vertretern der "Trans-Ideologie" Wissenschaftsfeindlichkeit vorwirft, aber bei seiner Betrachtung in biologistischer Weise die entsprechenden medizinischen und psychologischen Erkenntnisse in Bezug auf das Geschlecht ignoriert, ist nicht satisfaktionsfähig.

Man braucht keine Biologie, um Normen abzustecken.

Eben.


jdf hat folgendes geschrieben:
Wer auf Minderheitenrechte scheißt, scheißt auf die FDGO. Kann man machen, ist aber scheiße. So einfach ist das.

Minderheitenrechte sind hier bereits eingepreist:

smallie hat folgendes geschrieben:
Einschränkungen

Reicht es nicht, allgemeine Kriterien aufzustellen, wann Macht unzulässig ausgeübt wird?

Man schützt Minderheiten, in dem man verhindert, daß andere unzulässig Macht über sie ausüben. [/quote]
Hä?


smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Fuck your feelings!

Dann bist du definitiv nicht woke. Gefühle sind Trumpf. "Mohammed-Bilder" verletzen meine Gefühle, der böse Dozent muß weg.

Wer heutzutage Mohammed-Bilder öffentlich zeigt, macht dies, um zu provozieren. Wenn er dann auf die Fresse kriegt, soll er halt heulen.


smallie hat folgendes geschrieben:
PS: deine Kritik scheint sich an einem generischen Anti-Wokeismus auszurichten, die Stammtischvariante sozusagen. Mit meinen Aussagen hat das wenig zu tun.

Dann bist du wohl kein Wahrer Schotte. ; )

#270:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 01.01.2024, 18:37
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Kein drittes biologisches Geschlecht - manche sagen so, andere sagen so. Diese Diskussion geht mir allerdings am Arsch vorbei, weil sie in Bezug auf die Gesetzgebung in unserer geliebten Bundesrepublik ohnehin bloß ein Red Herring ist. Die Biologie kommt mit zwei Geschlechtern aus und das ist fein für mich.

Nicht einmal die Biologie kommt wirklich mit zwei Geschlechtern aus. Das tut sie nur auf der Ebene der Gameten, nur da gibt es - und das wiederum wird von keinem noch so "woken" Transaktivisten bestritten - tatsächlich nur zwei Geschlechter.

Die Gameten mögen dann grundlegend für die biologische Definition von "Geschlecht" sein, aber sobald die Ebene der Gameten verlassen wird und die Biologie von körperlichen Geschlechtsmerkmalen, Hormonen, Verhalten etc.pp. spricht, geht die simple Zweiteilung eben nicht mehr auf. Spätestens bei Arten mit echten Zwittern. Und ebenso ist klar, dass bei Arten wie dem Menschen die simple Zweiteilung aufgrund der verschiedenen Ebenen von Geschlecht nicht aufgeht.

Das heißt, die Anti-Trans-Aktivisten verwenden einen Begriff von Geschlecht, der in der Trans-Debatte nicht nur sachfremd, weil extrem biologistisch ist (denn wie du zurecht feststellst, geht es nicht primär um die Biologie), sondern sogar innerhalb der Biologie für die Frage unangemessen wäre, denn es geht nun mal nicht um Gameten, sondern um Individuen.

Wie gesagt, manche sagen so, andere so. Das ganze interessiert mich in der Diskussion über Rechte von Divers- oder Trans-Personen schlich nicht.

#271:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 01.01.2024, 19:14
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Fuck your feelings!

Dann bist du definitiv nicht woke. Gefühle sind Trumpf. "Mohammed-Bilder" verletzen meine Gefühle, der böse Dozent muß weg.

Wer heutzutage Mohammed-Bilder öffentlich zeigt, macht dies, um zu provozieren. Wenn er dann auf die Fresse kriegt, soll er halt heulen.

Bin mir nicht sicher, ob ich dem in dieser Allgemeinheit zustimme. Was war nochmal der konkrete Fall?

#272:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 01.01.2024, 20:51
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Fuck your feelings!

Dann bist du definitiv nicht woke. Gefühle sind Trumpf. "Mohammed-Bilder" verletzen meine Gefühle, der böse Dozent muß weg.

Wer heutzutage Mohammed-Bilder öffentlich zeigt, macht dies, um zu provozieren. Wenn er dann auf die Fresse kriegt, soll er halt heulen.

Bin mir nicht sicher, ob ich dem in dieser Allgemeinheit zustimme. Was war nochmal der konkrete Fall?

Falls smallie diesen Fall meint (es geht allerdings um eine Dozentin, daher bin ich nicht sicher) und falls die Darstellung in den Medien korrekt ist, würde ich jdf in diesem Fall (bei vielen anderen Fällen hätte er recht) widersprechen.

Da ging es um einen Kurs über Kunstgeschichte und Weltreligionen, in dem sie auch ein historisches Bild aus dem islamischen Raum selbst gezeigt hat. Das sie vor und im Kurs angekündigt und die Möglichkeit gegeben, sich das nicht anzuschauen, wenn man ein Problem damit hat. Das hatte also sowohl in der Lehre seinen guten Sinn, es war kein provokatives Bild und sie hat auf potentielle verletzte Gefühle wegen Bilderverbot Rücksicht genommen. Noch richtiger kann man es mMn nicht machen.

Es ist also nicht jeder Islamophobievorwurf (und dementsprechend auch nicht jeder Rassismusvorwurf etc.) automatisch richtig. Das heißt aber natürlich auch nicht, dass entsprechende Vorwürfe automatisch illegitim wären (was wiederum Islamfeinde ezc. behaupten), sondern dass man sich immer den konkreten Fall anschauen muss. Eigentlich banal, aber das muss man gerade in der aufgeheizten Atmosphäre um solche Themen wohl manchmal sagen. Der Kampfbegriff "woke" ist dabei kontraproduktiv, weil es ja gerade sein Zweck ist, sich gerade nicht den Einzelfall anzuschauen, sondern alles über einen Kamm zu scheren.

#273:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 01.01.2024, 23:03
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
Wer heutzutage Mohammed-Bilder öffentlich zeigt, macht dies, um zu provozieren. Wenn er dann auf die Fresse kriegt, soll er halt heulen.


Erstens: "Mythos Bilderverbot…Darf man Mohammed zeigen? Nein, das ist nicht erlaubt, sagen die meisten Muslime. Doch der Islam kennt kein Bilderverbot. Jahrhundertelang haben Künstler den Propheten gezeichnet."

Zweitens: Wenn ein Kunsthistoriker ein Sachbuch (mit Bildern) über Mohammed-Darstellungen veröffentlicht, dann will er die Moslems damit sicher nicht provozieren.

Drittens: Selbst wenn jemand Mohammed-Darstellungen mit provozierender Absicht veröffentlicht, dann gibt das keinem Moslem (oder Nichtmoslem) das Recht, ihn deswegen zusammenzuschlagen oder zu enthaupten.

Religionskritik ist immer provozierend. Soll sie deshalb verboten werden? Wohl kaum!

(Der Inhalt des Korans ist eine extreme Provokation für Atheisten wie mich, aber ich fordere kein Druck- und Verbreitungsverbot.)

#274:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 01.01.2024, 23:17
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Was versteht du denn unter "Wokeness" oder "Wokeismus"?

Ich bin politisch interessiert und aufmerksam. Ich engagiere mich gegen ungerechtfertigte Diskriminierungen. Meine Arbeit in diesem Forum und mein Anschreiben gegen Schwachsinn (hier und auch anderswo) sind Teil meines Engangements.


Wer ist schon für ungerechtfertige Diskriminierungen?

Du zum Beispiel.


Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Wer gehört für dich zur Woken Linken und wer nicht? (Linkssein ist nicht dasselbe wie Wokesein!)

Keine Ahnung.


Hm…, aber du weißt trotzdem, dass du dazugehörst. Wie kannst du das wissen, wenn du nicht weißt, was es bedeutet, zu den Woken Linken zu gehören? Wie kannst du das wissen, wenn du nicht weißt, was es bedeutet, zu den Woken Linken zu gehören?

Ich? Keine Ahnung, ob ich zur Woken Linken gehöre. Was soll das denn sein?


Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Wer gehört für dich zur Woken Linken und wer nicht? (Linkssein ist nicht dasselbe wie Wokesein!)

Keine Ahnung.


Es bedeutet jedenfalls nicht einfach, politisch interessiert und aufmerksam zu sein!

Ich habe ja auch noch eine weitere Eigenschaft genannt.


Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
(Der Vergleich mit Frauenhäusern hinkt völlig!)

Ich habe nun nicht gerade an Frauenhäuser als Safe Spaces gedacht, aber gut: Welche "Räume" sind für dich "Safe Spaces" für Frauen? Und wie werden in diesen "Safe Spaces" Hetero-Frauen vor den Übergriffen von Homo-Frauen geschützt?


Äh…, ich spreche von Frauenhäusern, wo Frauen Schutz vor gewalttätigen Männern (oder Frauen) finden. Es ist unsinnig, jeden Ort (Kneipe, Club, etc.), jeden Verein und jede Veranstaltung, wo nur Frauen zugelassen sind, als "safe space" zu bezeichnen.

Im Merriam-Webster Dictionary findet sich eine woke Definition:

Zitat:
"safe space = a place (as on a college campus) intended to be free of bias, conflict, criticism, or potentially threatening actions, ideas, or conversations"

Quelle: https://www.merriam-webster.com/dictionary/safe%20space


Hier wird mit einem völlig inflationären Begriff von Sicherheit operiert, bei dem der Schutz vor echter Gewalt nebensächlich oder gar gänzlich unwichtig ist. Safe spaces sind also hauptsächlich als soziale "Blasen" gedacht, in denen Menschen vor Debatten mit Andersdenkenden/-fühlenden, Kritik und der Konfrontation mit anderen Ideen geschützt werden sollen. Schutzräume im woken Sinn sind also so etwas wie "Wellness-Oasen" für die "hypersensible Linke" oder die "Schneeflöckchen-Generation".

Und? Soll sich doch jeder seine Schutzräume bauen, wie er will. Schulterzucken

#275:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 01.01.2024, 23:26
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
…und sie hat auf potentielle verletzte Gefühle wegen Bilderverbot Rücksicht genommen. Noch richtiger kann man es mMn nicht machen.


Hinzu kommt, dass das Bilderverbot kein koranisches Verbot ist, sodass selbst islamische Theologen nicht gezwungen sind, es anzuerkennen. Des Weiteren gilt es höchstens für Moslems selbst, und nicht für Nichtmoslems, die von der allgemeinen Kunst- und Lehrfreiheit Gebrauch machen.

#276:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 01.01.2024, 23:51
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
…Das heißt, die Anti-Trans-Aktivisten verwenden einen Begriff von Geschlecht, der in der Trans-Debatte nicht nur sachfremd, weil extrem biologistisch ist (denn wie du zurecht feststellst, geht es nicht primär um die Biologie), sondern sogar innerhalb der Biologie für die Frage unangemessen wäre, denn es geht nun mal nicht um Gameten, sondern um Individuen.

Wie gesagt, manche sagen so, andere so. Das ganze interessiert mich in der Diskussion über Rechte von Divers- oder Trans-Personen schlich nicht.


Normative Urteile lassen sich nicht einfach aus Tatsachen ableiten, aber dennoch spielt die Frage nach den Tatsachen stets eine wesentliche Rolle bei moralischen/juristischen Entscheidungen; denn, wie der große Moralphilosoph Richard Hare sagt, "die Tatsachenfragen sind es, die 99% der Schwierigkeiten verursachen." – Das trifft auch im Fall der Rechte von "Divers- oder Trans-Personen" zu, wo die geschlechtsbezogenen Fakten zentrale Streitpunkte sind.

Zitat:
"…the factual questions are the ones that cause 99 per cent of the trouble. We can see this if we study any two people arguing about a moral question. We shall nearly always find them disputing each other's facts. To revert for a moment to the problem of the draftee who has to decide whether to go into the army: most of his problem is to find out what is actually happening in, for example, Vietnam, and what the actual consequences of various courses of action, whether on his or his governments part, are likely in fact to be.

Nevertheless, it is fairly obvious that one might find out all the facts that anybody wanted to adduce, and still be in doubt what one ought to do. We can see this more clearly if we suppose that there are two draftees and they are arguing with one another about the question. It is obvious that they could agree, for example, that if they went into the armed forces and obeyed their orders, they would find themselves killing a lot of civilians in the course of attacks on military objectives. One of them might think it morally indefensible to kill civilians in the course of fighting (especially if the civilians had nothing to do with the fighting, but were innocent bystanders). The other might think that this, although in itself an evil, had to be done if necessary in order to secure some greater good. One can agree about a fact, but disagree about its bearing on a moral issue."

(Hare, R. M. Sorting Out Ethics. Oxford: Oxford University Press, 1997. pp. 35-6)


Zuletzt bearbeitet von Myron am 02.01.2024, 00:03, insgesamt 2-mal bearbeitet

#277:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 01.01.2024, 23:54
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
Ich? Keine Ahnung, ob ich zur Woken Linken gehöre. Was soll das denn sein?


Siehe meine erläuternden Beiträge dazu!

#278:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 02.01.2024, 00:55
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Ich? Keine Ahnung, ob ich zur Woken Linken gehöre. Was soll das denn sein?


Siehe meine erläuternden Beiträge dazu!

"erläuternd" Lachen

Du meinst deine zusammenkopierten Textwände, die du sparsam kommentierst, die nicht immer zur Diskussion passen und sich teilweise widersprechen?
Bei dir war es ja in der Diskussion ja schon ein negativer Punkt, dass sich die "woke Linke" nicht um Millierdäe und Könige kümmere. Wie soll man das denn ernst nehmen?

Mir fehlt immer noch eine Definition der "woken Linken", die ...
- knapp und einigermaßen handhabbar ist,
- erkennen lässt, was daran schlecht sein soll,
- und auch zur öffentlichen Diskussion passt, d.h. etwas beschreibt, das tatsächlich ein nennenswertes Phänomen ist.

Was ich in der ganzen aufgeregten Diskussion immer wieder wahrnehme, sind dagegen ...
- ein ganzes Bündel von verschiedenen Themen und Bewegungen, die sich kaum sinnvoll unter eine Definition bringen lassen,
- die im Großen und Ganzen berechtigte oder mindestens diskussionswürdige Anliegen von benachteiligten Gruppen verfolgen,
- und bei denen es natürlich auch kritikwürdige Extrempositionen gibt, die aber keineswegs die Riesenbedeutung haben, zu der interessierte politische Akteure den angeblichen "Wokismus" aufblasen wollen.

Im Übrigen gilt:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Nebenbei sieht man hier sehr schön, wie schwachsinnig es ist, Diskussionen unter dem schwammigen, alles und nichts umgreifenden Kampfbegriff "woke" zu führen.
Sobald es konkret wird, kommt man in Sachdiskussionen über Einzelthemen, die dann dadurch gestört werden, dass ganz viele Einzelthemen beim angeblich "gleichen Thema" durcheinander diskutiert werden.

Konkret hier, aber es gilt genauso für die öffentliche Debatte: Threads zu Themen wie Trans, Rassismus etc. hatten wir ja schon alle, und da wurden eigentlich auch schon die jeweiligen Argumente ausgetauscht. Das einzige, was in diesem Thread neu ist, ist, wie die Themen sinnlos durcheinander gehen.

Jetzt kommt also auch noch das Thema "islamisches Bilderverbot" dazu. Wie gut, dass wir den Begriff "Wokismus" haben, sonst könnten wir das hier im FGH ja gar nicht diskutieren.

#279:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 02.01.2024, 01:19
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Normative Urteile lassen sich nicht einfach aus Tatsachen ableiten, aber dennoch spielt die Frage nach den Tatsachen stets eine wesentliche Rolle bei moralischen/juristischen Entscheidungen; [...]

Aber nur die relevanten Tatsachen.

jdf hat durchaus recht, wenn er meint, dass rein biologische Aussagen bei der Beurteilung einer sozialen und juristischen Frage selbst eigentlich nicht relevant sind. Sie sind eigentlich abzulehnender Biologismus. Relevant wären sie nur im Zusammenhang mit sozialen und psychologischen Tatsachen. und da haben wir nun mal die Tatsache, dass es offenkundig Transpersonen gibt, die sich mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht, sondern mit einem anderen oder keinem Geschlecht identifizieren und so leben, und dass das für diese Personen eine sehr hohe persöniche Bedeutung hat.

Das kann als Tatsachenhintergrund für die Frage völlig ausreichen, völlig unabhängig davon, was die Biologie zur Anzahl der Geschlechter sagt.

Ich dagegen mache mir gerne den Spaß, zu zeigen, dass Anti-Trans-Aktivisten mit ihren biologistischen Argumenten sogar in der Biologie falsch liegen. Das hat mMn insofern Überzeugungskraft, als es zeigt, wie faktenfrei ihre Positionen tatsächlich sind. Logisch notwendig ist das für die Entscheidung aber eigentlich nicht.

#280:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 02.01.2024, 03:36
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Normative Urteile lassen sich nicht einfach aus Tatsachen ableiten, aber dennoch spielt die Frage nach den Tatsachen stets eine wesentliche Rolle bei moralischen/juristischen Entscheidungen; [...]

Aber nur die relevanten Tatsachen.
jdf hat durchaus recht, wenn er meint, dass rein biologische Aussagen bei der Beurteilung einer sozialen und juristischen Frage selbst eigentlich nicht relevant sind. Sie sind eigentlich abzulehnender Biologismus. Relevant wären sie nur im Zusammenhang mit sozialen und psychologischen Tatsachen. und da haben wir nun mal die Tatsache, dass es offenkundig Transpersonen gibt, die sich mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht, sondern mit einem anderen oder keinem Geschlecht identifizieren und so leben, und dass das für diese Personen eine sehr hohe persöniche Bedeutung hat.

Das kann als Tatsachenhintergrund für die Frage völlig ausreichen, völlig unabhängig davon, was die Biologie zur Anzahl der Geschlechter sagt.

Ich dagegen mache mir gerne den Spaß, zu zeigen, dass Anti-Trans-Aktivisten mit ihren biologistischen Argumenten sogar in der Biologie falsch liegen. Das hat mMn insofern Überzeugungskraft, als es zeigt, wie faktenfrei ihre Positionen tatsächlich sind. Logisch notwendig ist das für die Entscheidung aber eigentlich nicht.


Relevanz ist zwar kein wertfreier Begriff, weil es dabei auch um unterschiedliche Gewichtungen geht; aber die angeführten Tatsachen bzw. Tatsachenbehauptungen sollten natürlich themenbezogen sein, d.h. (direkt) etwas mit dem ethischen/politischen Thema zu tun haben.

Ja, es ist eine psychologische Tatsache, dass es Personen mit einer subjektiven Geschlechtsidentität (= geschlechtliche Selbstidentifikation) gibt, die nicht ihrer objektiven Geschlechtsidentität (= natürliches Geschlecht) entspricht. Wenn nun aber behauptet wird, es gäbe gar keine objektive, naturgegebene Geschlechtsidentität, oder zumindest keine binäre, dann dürfen dagegen sehr wohl biologische Tatsachen vorgebracht werden, weil diese durchaus relevant sind für dieses Thema.

Und überhaupt folgt aus jener psychologischen Tatsache eben nicht, dass die subjektive Geschlechtsidentität als bloßer Glaube oder bloßes Gefühl (und damit als reiner Geisteszustand) zum alleinigen Kriterium für den rechtlichen Geschlechtsstatus gemacht werden soll. Die Befürworter argumentieren, dass Betroffene zugunsten ihres Wohlbefindens ein Recht auf in körperlicher Hinsicht bedingungslose geschlechtliche Selbstbestimmung hätten, wohingegen die Gegner argumentieren, dass die negativen sozialen Folgen (insbesondere for Frauen) schwerer wögen als die individualistischen/egoistischen Ansprüche Betroffener auf Freiheit und Freude.

#281:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 02.01.2024, 05:59
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Ich? Keine Ahnung, ob ich zur Woken Linken gehöre. Was soll das denn sein?

Siehe meine erläuternden Beiträge dazu!

"erläuternd" Lachen
Du meinst deine zusammenkopierten Textwände, die du sparsam kommentierst, die nicht immer zur Diskussion passen und sich teilweise widersprechen?


Meine (gar nicht so sparsamen) Ausführungen zur Wachen Linken mögen dich nicht befriedigen, aber hast du Besseres und Erhellenderes dazu beigetragen?!

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Bei dir war es ja in der Diskussion ja schon ein negativer Punkt, dass sich die "woke Linke" nicht um Millierdäe und Könige kümmere. Wie soll man das denn ernst nehmen?


Nein, mein Punkt bezog sich lediglich auf die stillschweigende begriffliche Gleichsetzung von "Minderheit" und "unterdrückte/benachteiligte/ausgebeutete Minderheit". Denn der Minderheitenbegriff beinhaltet an sich nichts über die gesellschaftliche oder wirtschaftliche Stellung einer Minderheit.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Mir fehlt immer noch eine Definition der "woken Linken", die ...
- knapp und einigermaßen handhabbar ist,
- erkennen lässt, was daran schlecht sein soll,
- und auch zur öffentlichen Diskussion passt, d.h. etwas beschreibt, das tatsächlich ein nennenswertes Phänomen ist.

Was ich in der ganzen aufgeregten Diskussion immer wieder wahrnehme, sind dagegen ...
- ein ganzes Bündel von verschiedenen Themen und Bewegungen, die sich kaum sinnvoll unter eine Definition bringen lassen,
- die im Großen und Ganzen berechtigte oder mindestens diskussionswürdige Anliegen von benachteiligten Gruppen verfolgen,
- und bei denen es natürlich auch kritikwürdige Extrempositionen gibt, die aber keineswegs die Riesenbedeutung haben, zu der interessierte politische Akteure den angeblichen "Wokismus" aufblasen wollen.


* Ja, das linke/linksliberale Grundanliegen hat durchaus seine Berechtigung: "die Emanzipation des Menschen aus versklavenden Verhältnissen" (M. Horkheimer)
Diese Phrase lässt sich allerdings auf sehr unterschiedliche Weise interpretieren: Welche Verhältnisse sind versklavend? Wer soll wovon wie und in welchem Maß befreit werden?

* Ja, was die Diskussion erheblich erschwert, ist der Umstand, dass wir es hier nicht nur mit einem einzigen Thema zu tun haben, sondern mit einer vielschichtigen Thematik, einem Themenkomplex (der sich verhält wie ein Syndrom zu einem einzelnen Symptom). Entsprechend gibt es eine Vielzahl linker Theoretiker, die sich damit befasst haben und nicht alle dieselben Meinungen und Forderungen vertreten. Was schon für die Neue Linke der 60er/70er-Jahre galt, gilt auch für deren Nachfolgerin.

* Ja, wenn die Beschreibung der Wachen Linken—der "Neuen Neuen Linken" = der radikalen kulturellen, identitär-minoritären Linken (mit ihrer multikulturalistischen, postkolonialistischen und postmodernistischen Ausrichtung)—allzu generell ausfällt, dann sieht man die Bäume vor lauter Wald nicht; und wenn sie allzu speziell ausfällt, dann sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht.

Die Wache Linke der Gegenwart stufe ich wie die Neue Linke der 60er/70er als linksradikal ein, weil auch sie tiefgreifende und umfassende Veränderungen der Verhältnisse anstrebt (ohne staatskommunistisch gesinnt zu sein) und vor illiberalen Mitteln in der politischen Auseinandersetzung nicht zurückschreckt—obgleich die Militanz vieler Aktivisten bislang zu keiner woken RAF geführt hat. (Manche ihrer Kampfmittel sind jedoch wie Mobbing Formen von Psychoterror.)

Den Politologen Eric Kaufmann habe ich bereits zitiert. Er nennt den Wokeismus kulturellen Sozialismus und benennt folgende allgemeine Kennzeichen:

Zitat:
"“Cultural socialism” is generally characterised by some or all of the following beliefs, amongst others:

* the importance of equal (or more than equal) outcomes for historically disadvantaged identity groups (e.g. race, gender and sexual minorities) and the protection of such minority identity groups from psychological harm as its overriding values;

* the sacralisation of disadvantaged identity groups (in particular, race) such that the paramount value of equality of outcome and harm protection justifies the restriction of cultural liberal values such as free expression, academic freedom, equal treatment, due process and scientific rationality.

* the moralising of political questions, replacing debate over evidence, values and the nature of the Good with binary “right vs. wrong” moral norms;

* the centering of race, sexuality and gender such that unequal outcomes or claims of harm based on membership in historically marginalised racial, sexuality and gender identity groups are more important than claims based on other characteristics (psychological, philosophical, socioeconomic, not to mention membership in historically dominant racial or gender groups);

* subjective and lived experience is as, or more, important and valuable than testable and falsifiable externally-valid measures."

Quelle: https://thecritic.co.uk/being-anti-woke-as-a-protected-philosophical-belief/

#282:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 02.01.2024, 08:32
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Fuck your feelings!

Dann bist du definitiv nicht woke. Gefühle sind Trumpf. "Mohammed-Bilder" verletzen meine Gefühle, der böse Dozent muß weg.

Wer heutzutage Mohammed-Bilder öffentlich zeigt, macht dies, um zu provozieren. Wenn er dann auf die Fresse kriegt, soll er halt heulen.

Bin mir nicht sicher, ob ich dem in dieser Allgemeinheit zustimme. Was war nochmal der konkrete Fall?

Falls smallie diesen Fall meint (es geht allerdings um eine Dozentin, daher bin ich nicht sicher) und falls die Darstellung in den Medien korrekt ist, würde ich jdf in diesem Fall (bei vielen anderen Fällen hätte er recht) widersprechen.

Da ging es um einen Kurs über Kunstgeschichte und Weltreligionen, in dem sie auch ein historisches Bild aus dem islamischen Raum selbst gezeigt hat. Das sie vor und im Kurs angekündigt und die Möglichkeit gegeben, sich das nicht anzuschauen, wenn man ein Problem damit hat. Das hatte also sowohl in der Lehre seinen guten Sinn, es war kein provokatives Bild und sie hat auf potentielle verletzte Gefühle wegen Bilderverbot Rücksicht genommen. Noch richtiger kann man es mMn nicht machen.

Genau an so einen Fall hatte ich nämlich beim Lesen auch gedacht.

#283:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 02.01.2024, 08:41
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Meine (gar nicht so sparsamen) Ausführungen zur Wachen Linken mögen dich nicht befriedigen, aber hast du Besseres und Erhellenderes dazu beigetragen?!

"Meine (gar nicht so sparsamen) Gottesbeweise mögen dich nicht befriedigen, aber hast du Atheist etwa Besseres und Erhellenderes beigetragen als deine Zurückweisung des ganzen Konzepts."

tillich muss hier überhaupt nichts "Besseres" zum Begriff der "woken Linken" beitragen. Du bist derjenige in der Bringschuld.

Myron hat folgendes geschrieben:
Ja, das linke/linksliberale Grundanliegen hat durchaus seine Berechtigung: "die Emanzipation des Menschen aus versklavenden Verhältnissen" (M. Horkheimer)
Diese Phrase lässt sich allerdings auf sehr unterschiedliche Weise interpretieren: Welche Verhältnisse sind versklavend? Wer soll wovon wie und in welchem Maß befreit werden?

Die vermeintliche inhaltliche Vagheit ist ein Resultat von Geschichtsvergessenheit. Das Horkheimer-Zitat ist bereits eine inhaltliche Verknappung eines Zitats von Karl Marx, das gleichzeitig sehr viel weiter geht und sehr viel deutlicher ist, nämlich der Rede vom "kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist" (MEW 1, S. 385). Man wird feststellen, dass Marx mit keinem Wort die von der Linken zu behebenden Missstände auf den Status der Sklaverei verkürzt. So insistiert er z. B. in seinem Werk auch immer wieder darauf, dass das Elend des Lohnarbeiters ein ganz anderes ist als das des Sklaven. In den westlichen Gesellschaften ist Sklaverei heute faktisch abgeschafft, für die Linke (oder den "Linksliberalismus", zu dem ich mich übrigens nicht zähle) bliebe also nach Horkheimers Diktum bzw. nach deiner Definition überhaupt nichts mehr zu tun. Mit Verlaub: Das hätten einige Leute vielleicht gerne! Wer versucht, irgendein linkes Projekt auf Horkheimers Diktum zu verkürzen, ist entweder ein Idiot oder er lügt. Auf jeden Fall schadet er der Linken.

#284:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 02.01.2024, 13:07
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Das Zurückweisen der Behauptung, dass Transfrauen/-männer Frauen/Männer seien, macht einen nicht zum "Transphobiker"!

Nein, das wohl nicht. Es macht einen eher, zumindest dem Anschein nach, zu einem "Transphobisten", besonders dann, wenn man sich mit dem Thema bereits befasst hat und die Zurückweisung der Behauptung einer informierten Entscheidung folgt.


Ich bin in Sachen Geschlecht(er) sehr gut informiert; und mein Urteil ist, dass transsexuelle Männer/Frauen keine Frauen/Männer sind (auch nicht die hormonbehandelten und operierten), sondern höchstens Scheinfrauen/Scheinmänner.
Das bedeutet mitnichten, dass sie juristisch grundsätzlich nicht und damit niemals als Frauen/Männer gelten sollen, oder dass man sie als Untermenschen betrachten und behandeln soll.

Ein Transphobiker im eigentlichen Sinn ist jemand, der Transsexuelle oder Transvestiten als solche verachtet oder hasst, und nichts dagegen hat, wenn sie als solche beleidigt oder körperlich angegriffen werden. In diesem Sinn bin ich ein absoluter Anti-Transphobiker!

Hatten wir schon:

jdf hat folgendes geschrieben:
Aber vllt ist deine eigentümliches Sprachverständnis ja auch ein Produkt deiner persönlichen Psychodivergenz? Mit den Augen rollen


Zitat:
Transphobie (wie englisch transphobia von lateinisch trans „jenseitig, darüber hinaus“, und von „Phobie“ von altgriechisch phóbos „Furcht, Schrecken“) oder Transfeindlichkeit bezeichnet eine soziale Abneigung (Aversion) oder Feindseligkeit (Aggressivität) gegen transgeschlechtliche Personen. Eine transphobe Einstellung kann mit Vorurteilen und Ekeln gegenüber trans Personen verbunden sein und zu Aggressionen und gesellschaftlichen Diskriminierungen gegen sie führen.[1] Transphobie kann sich ausdrücken durch Infragestellen oder Aberkennen der Geschlechtsidentität der betroffenen Personen sowie durch psychische und körperliche Gewalt bis hin zur Ermordung von trans Menschen.[2][3] In öffentlichen Debatten kommt transfeindliche Gewalt allerdings kaum oder gar nicht vor.[4]

https://de.wikipedia.org/wiki/Transphobie

Mindestens das blau markierte trifft auf deine Äußerungen zu.

Und nochmal: Was du bist, kann ich nicht sagen, weil ich lediglich deine Äußerungen kenne und die sind in Teilen transphob bzw transfeindlich.

#285:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 02.01.2024, 13:19
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Und wenn irgendwelche Trullas ihre Räume trans-frei halten wollen, dann ist das genauso okay, wie wenn ich meine Räume nazi-frei halte. Schulterzucken

Das sehe ich anders. Nein, das ist nicht genauso OK.
"Trans" schadet anderen nicht, "Nazi" schon. Deswegen ist es in sehr viel mehr Bereichen OK, Nazis auszuschließen, als Transleute.
Und das Argument von Safe Spaces zieht genau dann, wenn es bei den Spaces ganz konkret um den Inhalt der Unterhose geht.

Davon habe ich nicht geschrieben. Ich bezog mich lediglich auf das Ausschließen von Menschen aus bestimmten privaten Räumen, mit dem ich kein Problem habe, denn dieses Auschließen ist ein Recht. - Was allerdings nicht bedeutet, dass ich das nicht scheiße finden kann.

#286:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 02.01.2024, 13:23
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Fuck your feelings!

Dann bist du definitiv nicht woke. Gefühle sind Trumpf. "Mohammed-Bilder" verletzen meine Gefühle, der böse Dozent muß weg.

Wer heutzutage Mohammed-Bilder öffentlich zeigt, macht dies, um zu provozieren. Wenn er dann auf die Fresse kriegt, soll er halt heulen.

Bin mir nicht sicher, ob ich dem in dieser Allgemeinheit zustimme. Was war nochmal der konkrete Fall?

Ich auch nicht. Aber ich sehe das schon als eine safe bet an.

Im übrigen ist das US-Arbeitsrecht, soweit ich weiß, ziemlich broken. Wer weiß was Uni-Dozenten so alles in ihren Arbeitsverträgen stehen haben...

#287:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 02.01.2024, 13:32
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Wie gesagt, manche sagen so, andere so. Das ganze interessiert mich in der Diskussion über Rechte von Divers- oder Trans-Personen schlich nicht.

Normative Urteile lassen sich nicht einfach aus Tatsachen ableiten, aber dennoch spielt die Frage nach den Tatsachen stets eine wesentliche Rolle bei moralischen/juristischen Entscheidungen; denn, wie der große Moralphilosoph Richard Hare sagt, "die Tatsachenfragen sind es, die 99% der Schwierigkeiten verursachen." – Das trifft auch im Fall der Rechte von "Divers- oder Trans-Personen" zu, wo die geschlechtsbezogenen Fakten zentrale Streitpunkte sind.

Keine Ahnung, ob das stimmt.

Aber wenn du das so siehst, wirst du sicher auch dieser Aussage zustimmen, wenn es um die Entwicklung von Normen (Gesetzen) geht:

jdf hat folgendes geschrieben:
Wer Vertretern der "Trans-Ideologie" Wissenschaftsfeindlichkeit vorwirft, aber bei seiner Betrachtung in biologistischer Weise die entsprechenden medizinischen und psychologischen Erkenntnisse in Bezug auf das Geschlecht ignoriert, ist nicht satisfaktionsfähig.

#288:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 02.01.2024, 13:36
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Ich? Keine Ahnung, ob ich zur Woken Linken gehöre. Was soll das denn sein?

Siehe meine erläuternden Beiträge dazu!

Wenn du dabei die Beiträge meinst, die tillich hier meint, bitte ich um eine Beantwortung meiner Frage in deinen eigenen Worten. Ich diskutiere hier schließlich mit dir und nicht mit irgendwelchen Veröffentlichungen.

#289:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 02.01.2024, 22:34
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Meine (gar nicht so sparsamen) Ausführungen zur Wachen Linken mögen dich nicht befriedigen, aber hast du Besseres und Erhellenderes dazu beigetragen?!

tillich muss hier überhaupt nichts "Besseres" zum Begriff der "woken Linken" beitragen. Du bist derjenige in der Bringschuld.


In dieser Diskussion über Wokeness haben alle Teilnehmer eine "Bringschuld", was die Begriffsklärung anbelangt; und meine habe ich, so gut ich kann, erfüllt. Wer meine Darstellung der Wachen Linken bemängelt, möge es auf konstruktive Weise besser machen!

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Ja, das linke/linksliberale Grundanliegen hat durchaus seine Berechtigung: "die Emanzipation des Menschen aus versklavenden Verhältnissen" (M. Horkheimer)
Diese Phrase lässt sich allerdings auf sehr unterschiedliche Weise interpretieren: Welche Verhältnisse sind versklavend? Wer soll wovon wie und in welchem Maß befreit werden?

Die vermeintliche inhaltliche Vagheit ist ein Resultat von Geschichtsvergessenheit. Das Horkheimer-Zitat ist bereits eine inhaltliche Verknappung eines Zitats von Karl Marx, das gleichzeitig sehr viel weiter geht und sehr viel deutlicher ist, nämlich der Rede vom "kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist" (MEW 1, S. 385). Man wird feststellen, dass Marx mit keinem Wort die von der Linken zu behebenden Missstände auf den Status der Sklaverei verkürzt. So insistiert er z. B. in seinem Werk auch immer wieder darauf, dass das Elend des Lohnarbeiters ein ganz anderes ist als das des Sklaven. In den westlichen Gesellschaften ist Sklaverei heute faktisch abgeschafft, für die Linke (oder den "Linksliberalismus", zu dem ich mich übrigens nicht zähle) bliebe also nach Horkheimers Diktum bzw. nach deiner Definition überhaupt nichts mehr zu tun. Mit Verlaub: Das hätten einige Leute vielleicht gerne! Wer versucht, irgendein linkes Projekt auf Horkheimers Diktum zu verkürzen, ist entweder ein Idiot oder er lügt. Auf jeden Fall schadet er der Linken.


Gemach! Unter "versklavenden Verhältnissen" versteht Horkheimer keineswegs nur Sklaverei im engeren Sinn als leibeigene Knechtschaft, sondern im weiteren Sinn dasselbe wie Marx im obigen Zitat. Für die Sozialisten ist die Abschaffung der Sklaverei im engeren Sinn eine notwendige, aber noch lange keine hinreichende Bedingung für eine vollständige Emanzipation des Menschen von allen Verhältnissen, die im weiteren Sinn versklavend sind, d.h. unterdrückend, erniedrigend, ausbeutend, benachteiligend. Die Sklaverei im engeren Sinn ist abgeschafft, aber die Sklaverei im weiteren Sinn als Zustand der Unfreiheit (des Fehlens negativer oder/und positiver Freiheit) noch lange nicht. Die armen Arbeiter sind Sklaven des Kapitalismus, auch wenn sie keine Leibeigenen der reichen Kapitalisten sind.
Es gibt also noch viel zu tun, sagen die Linken und insbesondere die Wachen Linken, für die alle Arten negativer Diskriminierung, das Fehlen von Anerkennung und Respekt, jedes Fehlen von sozialer Gerechtigkeit, jedes Fehlen von Diversität, Äquität (* & Inklusion zu den versklavenden Verhältnissen zählen. (* Fairness durch ergebnisorientierte Ressourcengleichheit statt bloßer meritokratischer Chancengleichheit)

#290:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 02.01.2024, 23:27
    —
jdf hat folgendes geschrieben:

Zitat:
Transphobie (wie englisch transphobia von lateinisch trans „jenseitig, darüber hinaus“, und von „Phobie“ von altgriechisch phóbos „Furcht, Schrecken“) oder Transfeindlichkeit bezeichnet eine soziale Abneigung (Aversion) oder Feindseligkeit (Aggressivität) gegen transgeschlechtliche Personen. Eine transphobe Einstellung kann mit Vorurteilen und Ekeln gegenüber trans Personen verbunden sein und zu Aggressionen und gesellschaftlichen Diskriminierungen gegen sie führen.[1] Transphobie kann sich ausdrücken durch Infragestellen oder Aberkennen der Geschlechtsidentität der betroffenen Personen sowie durch psychische und körperliche Gewalt bis hin zur Ermordung von trans Menschen.[2][3] In öffentlichen Debatten kommt transfeindliche Gewalt allerdings kaum oder gar nicht vor.[4]

https://de.wikipedia.org/wiki/Transphobie

Mindestens das blau markierte trifft auf deine Äußerungen zu.


Der auf mich zutreffende Teil sollte aber nicht Teil der Definition von "Transphobie" sein, weil es völlig unangebracht und ungerechtfertigt ist, bereits das "Infragestellen oder Aberkennen der Geschlechtsidentität der betroffenen Personen" als transphobes Verhalten zu bezeichnen, wobei die ganze Formulierung der oben zitierten Definition verzerrend und irreführend ist. Denn es geht hier nicht um objektive Geschlechtsidentität (= das natürliche Geschlecht), sondern lediglich um subjektive Geschlechtsidentität (= geschlechtliche Selbstidentifikation), die in nichts weiter besteht als einem Gefühl, einem Glauben oder einer Behauptung. Was Gegner der woken Transgendertheorie in Frage oder Abrede stellen, ist nicht die psychologische Tatsache der subjektiven Geschlechtsidentität, sondern dass diese geschlechtsbestimmend ist—d.h. dass jede Person mit weiblicher subjektiver Geschlechtsidentität de facto eine Frau ist (und entsprechend auch de jure als Frau gelten soll).

#291:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 02.01.2024, 23:41
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
Aber wenn du das so siehst, wirst du sicher auch dieser Aussage zustimmen, wenn es um die Entwicklung von Normen (Gesetzen) geht:

jdf hat folgendes geschrieben:
Wer Vertretern der "Trans-Ideologie" Wissenschaftsfeindlichkeit vorwirft, aber bei seiner Betrachtung in biologistischer Weise die entsprechenden medizinischen und psychologischen Erkenntnisse in Bezug auf das Geschlecht ignoriert, ist nicht satisfaktionsfähig.


Sieht nach Strohmann-Einwand aus, denn welche Gegner der antibiologischen (Trans-)Gendertheorie ignorieren tatsächlich und nachweislich die "medizinischen und psychologischen Erkenntnisse in Bezug auf das Geschlecht"? Wenn man leugnet, dass das Geschlecht eine rein psychologische oder soziologische Kategorie sei, oder dass das biologische Geschlecht nonbinär oder "spektral" sei, dann leugnet man damit jedenfalls keine psychologischen oder soziologischen Tatsachen bezüglich des Geschlechts. Man beharrt damit lediglich auf dem biologischen Standpunkt, dass das Geschlecht einer Person nicht durch psychologische oder soziologische Tatsachen definiert ist.

#292:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 02.01.2024, 23:50
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Ich? Keine Ahnung, ob ich zur Woken Linken gehöre. Was soll das denn sein?

Siehe meine erläuternden Beiträge dazu!

Wenn du dabei die Beiträge meinst, die tillich hier meint, bitte ich um eine Beantwortung meiner Frage in deinen eigenen Worten. Ich diskutiere hier schließlich mit dir und nicht mit irgendwelchen Veröffentlichungen.


Ich will mich nicht ständig wiederholen, also lies doch bitte meine einschlägigen Beiträge samt eingefügter Zitate (die ich bewusst ausgewählt habe)!

#293:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 00:15
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Aber wenn du das so siehst, wirst du sicher auch dieser Aussage zustimmen, wenn es um die Entwicklung von Normen (Gesetzen) geht:

jdf hat folgendes geschrieben:
Wer Vertretern der "Trans-Ideologie" Wissenschaftsfeindlichkeit vorwirft, aber bei seiner Betrachtung in biologistischer Weise die entsprechenden medizinischen und psychologischen Erkenntnisse in Bezug auf das Geschlecht ignoriert, ist nicht satisfaktionsfähig.


Sieht nach Strohmann-Einwand aus, denn welche Gegner der antibiologischen (Trans-)Gendertheorie ignorieren tatsächlich und nachweislich die "medizinischen und psychologischen Erkenntnisse in Bezug auf das Geschlecht"? Wenn man leugnet, dass das Geschlecht eine rein psychologische oder soziologische Kategorie sei, oder dass das biologische Geschlecht nonbinär oder "spektral" sei, dann leugnet man damit jedenfalls keine psychologischen oder soziologischen Tatsachen bezüglich des Geschlechts. Man beharrt damit lediglich auf dem biologischen Standpunkt, dass das Geschlecht einer Person nicht durch psychologische oder soziologische Tatsachen definiert ist.

Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es nichts was gegen eine biologische Definition von Geschlecht spricht. Umgekehrt spricht aber auch nichts gegen eine rein psychologische Definition. Sowohl biologische als auch psychologische Tatsachen sind natürliche Tatsachen. Ein Primat des einen über das andere lässt sich nicht wissenschaftlich begründen, sondern könnte nur durch Konvention festgelegt werden. Man kann folglich nicht widerspruchsfrei das eine Konzept wissenschaftsfeindlich nennen und das andere nicht.

#294:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 00:47
    —
Einige Antworten zusammengefasst. Was mir am Wesentlichsten erschien.

jdf hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Das ZDF schreibt, weiß sei, wer nicht von Rassismus betroffen ist. Die Juden hat VanHanegem bereits genannt. Ich ergänze um die Samen in Schweden. Wer sich in Geschichte auskennt, wird weitere Fälle finden.

95% dessen, was der ÖRR produziert, ist für mich bestenfalls uninteressant, der Rest geht mir auf den Sack oder kotzt mich sogar an. Trotzdem zahle ich gern meinen Rundfunkbeitrag für die letzten 5%.

Ich denke, es gibt da einfach zu hohe Erwartungen an den ÖRR, mehr fällt mir dazu nicht ein.

Ich habe meinen Fernseher verschenkt, als ich 25 war. Das Programm war damals schon so flach, wie heute die Bildschirme.

Unabhängig davon sollte im Fernsehen keine Pseudowissenschaft verbreitet werden. Wer will fake news im Fernsehen? Das ist keine zu hohe Erwartung.


jdf hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
"Es gibt nur zwei Geschlechter" - was oft genug bestritten wird. Wenn das so weiter geht, steht's am Ende noch in den Schulbüchern.

Jaja, der Dammbruch. Im übrigen steht viel Müll in Schulbüchern. Und jeder sucht sich seine Sachen raus, die er als Müll bezeichnet.

Gelegentlich finde ich einen Fehler in Schulbüchern. Ich schätze sie auf einen sehr niedrigen, einstelligen Prozent-Anteil oder noch weniger. Öfter halte ich die Darstellung eines Themas für ungeschickt, aber darüber kann man streiten, anders als bei den objektiven Fehlern.

Von ein paar Fehlern in Schulbüchern geht die Welt nicht unter, werden die Kinder nicht unbedingt dümmer und die Pisa-Ergebnisse nicht schlechter.

Den Anspruch auf korrekte Schulbücher möchte ich nicht dennoch nicht aufgeben. Oben hieß es, Neuseeland und Matauranga Maori seien weit weg, was interessieren deren Schulbücher? Jetzt sind wir bei unseren.



tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Nicht einmal die Biologie kommt wirklich mit zwei Geschlechtern aus. Das tut sie nur auf der Ebene der Gameten, nur da gibt es - und das wiederum wird von keinem noch so "woken" Transaktivisten bestritten - tatsächlich nur zwei Geschlechter.

Das könnte erklären, warum wir anderer Meinung sind. Würde ich das Fette glauben, hätten wir eine Meinungsverschiedenheit weniger. Oft genug habe ich anderes gelesen. Erstbeste Suchfunde, beide Zitate verschweigen, daß es auf der Ebene der Gameten eine natürliche Zweigeschlechtlichkeit gibt.


Bundesverband Trans hat folgendes geschrieben:
Soll Geschlecht jetzt abgeschafft werden?

Ob in der Medizin, der Biologie oder in den Sozialwissenschaften – aus wissenschaftlicher Sicht ist die Vorstellung einer „natürlichen“ Zweigeschlechtlichkeit inzwischen widerlegt.

https://www.bundesverband-trans.de/wp-content/uploads/2023/02/soll-geschlecht-jetzt-abgeschafft-werden-ONLINE_Version-Okt-22.pdf


Bundeszentrale für politische Bildung hat folgendes geschrieben:
Geschlecht, biologisches

Im Deutschen sind mit biologischem Geschlecht (Englisch "Sex") alle körperlichen, geschlechtsspezifischen Merkmale gemeint. Gemeinhin wird damit eine natürliche Binarität von Mann/Frau konstruiert, die sich nach Erkenntnissen der Inter*-Forschung nicht (mehr) halten lässt.

Sauer, Arn (2018): LSBTIQ-Lexikon. Grundständig überarbeitete Lizenzausgabe des Glossars des Netzwerkes Trans*Inter*Sektionalität. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn.

https://www.bpb.de/themen/gender-diversitaet/geschlechtliche-vielfalt-trans/500924/geschlecht-biologisches/


Ein drittes Beispiel folgt in Quaratäne.

#295:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 00:55
    —
So, jetzt bin ich dran mit einer Textwüste. Bitte nicht!


Rücksprung zu einem Post von vor vielen Seiten. Ich sprach von Sokal und seinem Hoax. Wokeness war damals kein Thema. Die verwegenen Aussagen von critical studies schon.

Judith Butler ist eine Gallionsfigur der critical gender studies. Laut Butler ist biologisches Geschlecht ein Konstrukt und es gibt keinen Unterschied zwischen sex und gender.

Zitat:
Gender Trouble - Feminism and the subversion of identity
Judith Butler - 1990

If the immutable character of sex is as culturally constructed as gender; indeed, perhaps it was always already gender, with the consequence that the distinction between sex and gender turns out to be no distinction at all.

https://lauragonzalez.com/TC/BUTLER_gender_trouble.pdf


Eine längere Kostprobe ihrer Prosa. Zeilenschaltungen von mir. Warnung: das zu lesen ist Zeitverschwendung.

Zitat:
Bodies that Matter - On the discursive Limits of "Sex"
Judith Butler - 1993

Sexuelle Differenz ist jedoch niemals einfach eine Funktion materieller Unterschiede, die nicht in irgendeiner Weise durch diskursive Praktiken sowohl markiert als auch geformt werden. Die Behauptung, dass sexuelle Unterschiede untrennbar mit diskursiven Abgrenzungen verbunden sind, ist nicht dasselbe wie die Behauptung, dass der Diskurs sexuelle Unterschiede verursacht.

Die Kategorie "Geschlecht" ist von Anfang an normativ; sie ist das, was Foucault ein "regulatorisches Ideal" genannt hat. In diesem Sinne fungiert "Sex" nicht nur als Norm, sondern ist Teil einer regulativen Praxis, die die Körper, die sie regiert, produziert, d.h. deren regulative Kraft als eine Art Produktivkraft verdeutlicht wird, die Macht, die Körper, die sie kontrolliert, zu produzieren - einzugrenzen, zu verbreiten, zu unterteilen. Sex" ist also ein Regulierungsideal, dessen Materialisierung erzwungen wird, und diese Materialisierung findet durch bestimmte hochgradig regulierte Praktiken statt (oder unterbleibt).

Mit anderen Worten: "Sex" ist ein ideales Konstrukt, das sich im Laufe der Zeit unter Zwang materialisiert. Es handelt sich nicht um eine einfache Tatsache oder einen statischen Zustand eines Körpers, sondern um einen Prozess, bei dem regulierende Normen "Sex" materialisieren und diese Materialisierung durch eine erzwungene Reiteration dieser Normen erreichen. Dass diese Reiteration notwendig ist, ist ein Zeichen dafür, dass die Materialisierung nie ganz abgeschlossen ist, dass die Körper nie ganz mit den Normen übereinstimmen, durch die ihre Materialisierung angetrieben wird.

In der Tat sind es die Instabilitäten, die Möglichkeiten der Rematerialisierung, die durch diesen Prozess eröffnet werden, die einen Bereich markieren, in dem die Macht des regulatorischen Gesetzes gegen sich selbst gewendet werden kann, um Reartikulationen hervorzubringen, die die hegemoniale Kraft eben dieses regulatorischen Gesetzes in Frage stellen.

https://monoskop.org/images/d/df/Butler_Judith_Bodies_That_Matter_On_the_Discursive_Limits_of_Sex_1993.pdf


Blocker: bitte nicht sagen: "Wen interessiert Butler?" Sie ist eine vielzitierte Autorin.

#296:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 01:14
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Wer ist schon für ungerechtfertige Diskriminierungen?

Du zum Beispiel.


Nein, niemand ist für Diskriminierungen, die er/sie für moralisch falsch hält.
Unter welcher allgemeinen Bedingung ist Diskriminierung verwerflich? Es scheint zwei Hauptauffassungen zu geben:

1. Diskriminierung ist genau dann moralisch falsch, wenn sie gegenüber den Betroffenen respektlos ist.
2. Diskriminierung ist genau dann moralisch falsch, wenn sie bei den Betroffenen Harm verursacht.

Die nächste Frage ist, was genau unter Respekt und Harm zu verstehen ist.

"Harm" ist auch ein deutsches Wort mit folgenden Bedeutungen:

Zitat:
"HARM: 1) leid, kränkung, verletzung, 2) anhaltendes leid, kummer, gram"

Grimmsches Wörterbuch: https://www.dwds.de/wb/dwb/harm


Im Grimmschen Wörterbuch sind auch die folgenden lateinischen Bedeutungen aufgeführt (die unteren deutschen Übersetzungen stammen wiederum aus dem Lateinisch-Deutschen Wörterbuch von Karl Georges):

Zitat:
HARM:

1. calamitas: "Schaden, Verlust, Unheil, Unglück, Verderben"

2. contumelia: "jede jmds. sittliches Gefühl, Ehre u. Würde herabwürdigende Handlung od. Rede, die Ehrenkränkung, die entehrende, entwürdigende Beschimpfung, der entehrende, entwürdigende Schimpf, die Schmach, in Worten auch = die Schmähung, die Schmährede, Verunglimpfung, der beleidigende, ehrenrührige Ausdruck od. Ausfall, in Taten = die entehrende, entwürdigende, empörende Mißhandlung, der beleidigende usw. Übermut"

3. iniuria: "jede widerrechtliche Handlung = das Unrecht, die Rechtsverletzung, Ungerechtigkeit, Gewalttätigkeit; übh. Verletzung, Schaden"

4. acerbitas: "das Herbe, die Bitterkeit eines Gefühls, eines Erlebnisses, die Drangsal, das herbe Ungemach, bittere Mißgeschick, … – im Plur., herbe, schmerzliche Gefühle, Besorgnisse, Erlebnisse, Drangsale, Kränkungen"

5. aegritudo: "der leidende Zustand, das Unwohlsein, I) des Körpers, das Übelbefinden, die Krankheit, Unpäßlichkeit… – II) des Gemüts, das Seelenleiden, die Mißstimmung, der Mißmut, die Betrübnis, der Kummer, Gram, die Besorgnis"

6. aerumna: "Trübsal, Drangsal, Not"

7. luctus: "Trauer"

8. maeror: "die Wehmut, stille, tiefe Betrübnis, Trauer"

Quelle: http://www.zeno.org/Kategorien/T/Georges-1913


Das Wort "Respekt" hat ebenfalls mehrere Bedeutungen:

Zitat:
Respekt als

1. Toleranz; Gewährenlassen, Duldsamkeit, Nachsichtigkeit

2. Akzeptanz; Achtung, Anerkennung, Billigung, Wertschätzung, Bewunderung, Ehrerbietung
(Alles, was akzeptiert wird, wird toleriert; aber nicht alles, was toleriert wird, wird akzeptiert.)

3. Takt; Anstand, Schicklichkeit, sittliches Feingefühl für (situativ) richtiges, angemessenes Benehmen im Umgang mit anderen

4. Höflichkeit, Freundlichkeit

5. Fügsamkeit, Gehorsamkeit, Nachgiebigkeit (Unterwerfung unter bestehende Gesetze, Regeln, Normen)

6. furchtsame Scheu, Vorsicht (z.B. Respekt vor giftigen Schlangen)

(Quelle: meine eigene, selbst erstellte Liste)

#297:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 01:40
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es nichts was gegen eine biologische Definition von Geschlecht spricht. Umgekehrt spricht aber auch nichts gegen eine rein psychologische Definition. Sowohl biologische als auch psychologische Tatsachen sind natürliche Tatsachen. Ein Primat des einen über das andere lässt sich nicht wissenschaftlich begründen, sondern könnte nur durch Konvention festgelegt werden. Man kann folglich nicht widerspruchsfrei das eine Konzept wissenschaftsfeindlich nennen und das andere nicht.


Geist und Gesellschaft sind in der Tat Teil der Natur als physischen Kosmos. Psychologische oder soziologische Tatsachen haben in diesem Sinne nichts Außer-/Übernatürliches an sich; aber meine Rede vom natürlichen Geschlecht (Sexus naturalis) betont bewusst den begrifflichen Gegensatz von Natur und Kultur, zwischen dem Nichtmenschengemachten und dem Menschengemachten, zwischen Entdeckung und Erfindung, zwischen Observation und Konstruktion.

Eine adäquate & nichtzirkuläre psychologische Geschlechtsdefinition ist mir noch nicht begegnet. Kennst du eine? Kann sie aus etwas anderem bestehen als kulturellen Stereotypen/Klischees?

#298:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 01:50
    —
smallie hat folgendes geschrieben:

Bundesverband Trans hat folgendes geschrieben:
Soll Geschlecht jetzt abgeschafft werden?

Ob in der Medizin, der Biologie oder in den Sozialwissenschaften – aus wissenschaftlicher Sicht ist die Vorstellung einer „natürlichen“ Zweigeschlechtlichkeit inzwischen widerlegt.

https://www.bundesverband-trans.de/wp-content/uploads/2023/02/soll-geschlecht-jetzt-abgeschafft-werden-ONLINE_Version-Okt-22.pdf


Bundeszentrale für politische Bildung hat folgendes geschrieben:
Geschlecht, biologisches

Im Deutschen sind mit biologischem Geschlecht (Englisch "Sex") alle körperlichen, geschlechtsspezifischen Merkmale gemeint. Gemeinhin wird damit eine natürliche Binarität von Mann/Frau konstruiert, die sich nach Erkenntnissen der Inter*-Forschung nicht (mehr) halten lässt.

Sauer, Arn (2018): LSBTIQ-Lexikon. Grundständig überarbeitete Lizenzausgabe des Glossars des Netzwerkes Trans*Inter*Sektionalität. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn.

https://www.bpb.de/themen/gender-diversitaet/geschlechtliche-vielfalt-trans/500924/geschlecht-biologisches/


Das hier Behauptete ist Bockmist—hervorgebracht und verbreitet von Leuten, die die Fakten an ihre Ideologie anpassen wollen. Die natürliche Zweigeschlechtlichkeit des Menschen wird weder durch Transsexuelle noch durch "Intersexuelle" widerlegt. Niemand von diesen Personen verfügt über eine dritte Art von Keimdrüsen (Gonaden), die eine dritte Art von Keimzellen (Gameten) erzeugen.

Hinter der angeblich "wissenschaftlichen Sicht", die die natürliche Zweigeschlechtlichkeit widerlegt habe, verbirgt sich die pseudowissenschaftliche Sicht der (Trans-)Gender Studies.

#299:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 02:12
    —
smallie hat folgendes geschrieben:

Judith Butler ist eine Gallionsfigur der critical gender studies. Laut Butler ist biologisches Geschlecht ein Konstrukt und es gibt keinen Unterschied zwischen sex und gender.

Zitat:
Gender Trouble - Feminism and the subversion of identity
Judith Butler - 1990

If the immutable character of sex is as culturally constructed as gender; indeed, perhaps it was always already gender, with the consequence that the distinction between sex and gender turns out to be no distinction at all.

https://lauragonzalez.com/TC/BUTLER_gender_trouble.pdf


Zitat:
"If gender is the cultural meanings that the sexed body assumes, then a gender cannot be said to follow from a sex in any one way. Taken to its logical limit, the sex/gender distinction suggests a radical discontinuity between sexed bodies and culturally constructed genders. Assuming for the moment the stability of binary sex, it does not follow that the construction of “men” will accrue exclusively to the bodies of males or that “women” will interpret only female bodies. Further, even if the sexes appear to be unproblematically binary in their morphology and constitution (which will become a question), there is no reason to assume that genders ought also to remain as two. The presumption of a binary gender system implicitly retains the belief in a mimetic relation of gender to sex whereby gender mirrors sex or is otherwise restricted by it. When the constructed status of gender is theorized as radically independent of sex, gender itself becomes a free-floating artifice, with the consequence that man and masculine might just as easily signify a female body as a male one, and woman and feminine a male body as easily as a female one."

(Butler, Judith. Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity. New York: Routledge, 1999. p. 10)


Mit der Einführung des Genderbegriffs à la Butler wird das Geschlecht als Sexus (naturalis) entweder für inexistent oder für irrelevant erklärt, und das Geschlecht als Gender zu einem sozial konstruierten, "freischwebenden Kunststück" ("free-floating artifice") gemacht—einer "performance", die von biologischen/physiologischen Tatsachen völlig losgelöst und unabhängig ist.

#300:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 02:33
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Den Politologen Eric Kaufmann habe ich bereits zitiert. Er nennt den Wokeismus kulturellen Sozialismus und benennt folgende allgemeine Kennzeichen:

Deine fortwährende "Diskussions-"Strategie, ergoogelte Texte in den Raum zu werfen, statt selbst zu diskutieren, ist inzwischen mehr als ärgerlich; ich stimme da jdf zu. Verstärkt wird das, wenn du auch noch fremdsprachlich zitierst. Du zeigst Faulheit in der Diskussion, wenn du die Standpüunkte nicht in eigenen Worten in der hiesigen Diskussionssprache vorbringst.
Aber gut, sehen wir uns das mal an.

Zitat:
"“Cultural socialism” is generally characterised by some or all of the following beliefs, amongst others:

Diesen von ihm gewählten Begriff finde ich schon recht merkwürdig, denn was soll das von ihm gezeichnete Phänomen (mMn größtenteils Strohmänner, aber dazu unten mehr) überhaupt mit Sozialismus zu tun haben? Er schreibt ja, dass (sozio-)ökonomische Aspekte darin angeblich nicht (oder jedenfalls weniger relevant als andere Aspekte) seien, aber inwiefern soll das dann Sozialismus sein?
In einem vorigen Zitat las ich, dass er damit eine Übertragung einer Polarität von Unterdrückten vs. Unterdrückern von ökonomischen auf andere Aspewkte charakterisieren wolle, aber eine solche Polarität ist ja nun keineswegs für den Sozialismus spezifisch - die Bedeutung ökonomischer Aspewkte aber sehr wohl.

Der Begriff hört sich also für mich nicht sehr sinnvoll an. Mit drängt sich der Verdacht auf, dass er weniger analytisch begründet ist als darin, ein Kulturkampfschlagwort zu schaffen, dass wohl nicht zufällig an den verschwörungstheoretischen Begriff des "cultural marxism" erinnert.

Zitat:
* the importance of equal (or more than equal) outcomes for historically disadvantaged identity groups (e.g. race, gender and sexual minorities) and the protection of such minority identity groups from psychological harm as its overriding values;

Gleiche Beteiligung (am gesellschaftlichen "outcome") von benachteiligten Gruppen fände ich ja nun gut. Was sollte hier das Problem sein?
Für fragwürdig halte ich aber, dass die Benachteigungen (nur?) historisch seien: Leugnet er damit aktuelle Diskriminierungen, die mMn zweifelsfrei existiieren?
Für eine bösartige Unterstellung halte ich es, dass aus der Beseitigung von Benachteiligungen schwuppdiwupps angeblich auch Bevorzugungen werden dürften - diese beiden Punkte wären klassische Talking Points rechter Positionen, die Einsatz für Minderheitenrechte verleumden wollen.
Unklar ist ferner, inwiefern diese Werte "vorrangig" sein sollten - ich halte das für sehr zweifelhaft und würde behaupten, dass die meisten Positionen, die unter sein Verdikt des "cultural socialism" / "wokism" fallen würden, andere Aspekte, etwa die sozioökonomischen, sehr wohl auch für sehr bedeutsam halten würden.

Zitat:
* the sacralisation of disadvantaged identity groups (in particular, race) such that the paramount value of equality of outcome and harm protection justifies the restriction of cultural liberal values such as free expression, academic freedom, equal treatment, due process and scientific rationality.

Erst einmal halte ich den Begriff der "Sakralisierung" an dieser Stelle für völlig abwegig. MMn halte ich es für den typischen (wiederum oft von rechtsaußen kommenden, vgl. den Unsinn von der "Klimareligion") Take, unerwünschte politische Positionen argumentersetzend dadurch zu diskreditieren, dass man unterstellt, sie seien so etwas wie eine Religion.

Ebenfalls halte ich es für eine Unterstellung, es würde grundsätzlich gerechtfertigt, kultur-liberale Werte wie freie Meinungsäußerung einzuschränken. (Übrigens hat dieser Vorwurf noch einen besonderen Witz - wenn man Heuchelei witzig findet -, aber dazu unten mehr.)

Natürlich können allerdings verschiedene Werte in Konflikt geraten, beispielsweise etwa Schutz von Minderheiten gegen freie Meinungsäußerung, und dann muss abgewogen werden (in Deutschland z.B. durch den Straftatbestand der Volksverhetzung). Das ist aber banal und nur dann bemerkenswert, wenn man einen der Werte grundsätzlich negieren will. Will er den Schutz von Minderheiten als Wert negieren? Wirklich sinnvoll wäre sein Vorwurf nur dann.

Zitat:
* the moralising of political questions, replacing debate over evidence, values and the nature of the Good with binary “right vs. wrong” moral norms;

Geht es hier um den Unterschied von Ethik und Moral und er behauptet, die "Woken" würden ethische Debatten ablehnen und nur einmal festgesetzte moralische Normen vertreten? Das mag für einige intellektuell schlichte Extrempositionen gelten. Aber erstens wäre es für die Mehrheit dessen, was er wohl unter "cultural socialism" fasseb würde, m.E. eine bösartige und faktenwidirige Unterstellung; und zweitens gibt es das ja wohl im Anti-"Woken"-Lager mindestens genauso. (Auch das ist aus seiner Feder wieder in ähnlicher Weise witzig, wieder s.u.)

Zitat:
* the centering of race, sexuality and gender such that unequal outcomes or claims of harm based on membership in historically marginalised racial, sexuality and gender identity groups are more important than claims based on other characteristics (psychological, philosophical, socioeconomic, not to mention membership in historically dominant racial or gender groups);

Ich verstehe den Satz nicht wirklich. Wie kann man Rasse und Sexualität und Geschlecht in den Mittelpunkt stellen? In den Mittelpunkt stellen kann man nur eine Sache. MMn ist die Beschreibung hier unmittelbar selbstwidersprüchlich (wenn ich es nicht falsch verstehe, kann ja sein).
Möglich ist allerdings, dass man für eine bestimmte Frage, für ein bestimmtes Thema einen solchen Aspekt in den Mittelpunkt stellt, für eine andere Frage aber einen anderen - und dann frage ich mich wieder, was daran dann problematisch sein soll. Dass man für verschiedene Fragen verschiedene Aspekte in den Mittelpunkt rückt, ist ja wohl banal, und auch die angeblich vernachlässigten Aspekte, die er aufzählt, könnten dann ja zum Zuge kommen.

Zitat:
* subjective and lived experience is as, or more, important and valuable than testable and falsifiable externally-valid measures."

Dass gelebte und subjektive Erfahrungen wichtig sind, würde ich unterschrieben; wo ist das Problem?
Dass sie im "cultural socialism" dagegen wichtiger seien als überprüfbare Gegebenheiten, halte ich wiederum für Unterstellungen.

------------------------------------------------

Insgesamt handelt es sich mMn nicht um eine sinnvolle Beschreibung realer Positionen oder Bewegungen, sondern im Wesentlichen um einen groß aufgebauten Strohmann, der gerade genug Bezug zur Realität hat, um zum Feindbildaufbau zu taugen. Also im Wesentlichen genau das, was ich seit Seite 1 des Threads über den "Wokeismus"-Begriff sage.

------------------------------------------------

Schließlich noch was zur Person: Du führst Eric Kaufmann als "Politologen" ein, so als sei seine Beschreibung des "cultural socialism" im Wesentlichen aus "neutraler", unvoreingenommener, jedenfalls im Westlichen wissenschaftlich-methodischer Analyse des Gegenstandes erwachsen.

Das ist keineswegs der Fall. Kaufmann ist vielmehr selbst parteipolitisch bei Tory-Debatten engagiert und hält deren Führung für von "progressiven Eliten" bestimmt (die Führung der Tories!), sobald jemand vorsichtig bereit ist, von vom Obersten Gericht als rechtsstaatswidrig verworfenen Plänen zum Umgang mit Immigranten abzurücken.

Und er empfiehlt den Tories Ron de Santis als Vorbild. Ron de Santis, der in seinem Bundesstaat eine aktiv minderheitenfeindliche Politik macht, Rassismus und Sklaverei verharmlost, in die Angelegenheiten bis zur Personalpolitik von Universitäten eingreift, Schulbibliotheken von unerwünschten Büchern säubern lässt etc.pp. und insgesamt voll auf eine kulturkämpferisch-spalterische Politik setzt.

Sorry, aber so jemand taugt in gar keiner Weise als Quelle für sachliche Analyse, sondern es ist ganz klar, dass das, was er schreibt, Teil eines vom rechten Rand kommenden, anti-"woken" Kulturkampfes ist. (Und das ist kein ad hominem, denn es ist nun mal der politische Kontext seiner Aussagen bestätigt ja nur das, was ich oben bereits inhaltlich dargelegt habe.)
Und außerdem ist es offenkundig übelste Heuchelei, wenn sich so jemand als Hüter liberaler Prinzipien aufspielt und der Gegenseite vorwirft, sie sei gegen akademische Freiheiten und freie Meinungsäußerung.

https://en.wikipedia.org/wiki/Eric_Kaufmann#Political_engagement

#301:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 02:46
    —
Horkheimers Rede von der "Emanzipation des Menschen aus versklavenden Verhältnissen" bedeutet für die Gender People die sexuelle Emanzipation von Mutter Natur. Man will sich von ihr nicht länger vorschreiben lassen, welches Geschlecht man hat. Fortan soll der Mensch allein das Maß aller geschlechtlichen Dinge sein! Nur er hat nun in absoluter Freiheit das Sagen, und Mutter Natur hat zu schweigen! Der freie Mensch erschafft und bestimmt sein Geschlecht selbst! Keine andere Autorität—keine objektive Natur, kein Gott, kein Kaiser—wird mehr anerkannt!

Zitat:
"On this view, there is no such thing as human nature, for human beings make themselves up as they go along. They create themselves, as poets create poems."

(Rorty, Richard. "Democracy and Philosophy." 2007. Reprinted in What Can We Hope For? Essays on Politics, edited by W. P. Malecki and Chris Voparil, 34-48. Princeton, NJ: Princeton University Press, 2022. p. 44)

#302:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 02:46
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Nicht einmal die Biologie kommt wirklich mit zwei Geschlechtern aus. Das tut sie nur auf der Ebene der Gameten, nur da gibt es - und das wiederum wird von keinem noch so "woken" Transaktivisten bestritten - tatsächlich nur zwei Geschlechter.

Das könnte erklären, warum wir anderer Meinung sind. Würde ich das Fette glauben, hätten wir eine Meinungsverschiedenheit weniger. Oft genug habe ich anderes gelesen. Erstbeste Suchfunde, beide Zitate verschweigen, daß es auf der Ebene der Gameten eine natürliche Zweigeschlechtlichkeit gibt.
[Zitate]

In den beiden Zitaten geht es nun mal auch nicht um das Geschlecht von Gameten, sondern um das Geschlecht von menschlichen Individuen. Und da ist die Aussage, dass die Vorstellung einer strikten Zweigeschlechtlichkeit auch biologisch nicht hinreichend ist, nun mal einfach richtig.

Außerdem sind Texte, in denen Gameten nicht vorkommen (=/= verschwiegen werden) wenig geeignet (zurückhaltend gesagt), um meine Aussage, dass die Zweigeschlechtlichkeit von Gameten von niemandem geleugnet werde, zu widerlegen.

---------------------------

Und noch einmal meine Frage: Warum diskutieren wir diese Detailfragen hier in so einem zusammenhanglosen Alles-und-Nichts-Thread? Das haben wir alles, und mehr als einmal, in spezifischen, themenbezogenen Threads schon durchgekaut. Das hier noch einmal zu tun, bringt keinerlei Gewinn für eine sachliche Debatte.

Und jetzt als nächstes dann Butler. Nee, sorry, ich habe keinen Bock mehr, euch bei eurer Themenspringerei zu folgen.

#303:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 03:03
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

In den beiden Zitaten geht es nun mal auch nicht um das Geschlecht von Gameten, sondern um das Geschlecht von menschlichen Individuen. Und da ist die Aussage, dass die Vorstellung einer strikten Zweigeschlechtlichkeit auch biologisch nicht hinreichend ist, nun mal einfach richtig.


Ein Individuum mit männlichen/weiblichen Gameten (* ist per definitionem ein männliches/weibliches Individuum. Das solltest du wissen, und ich vermute, du weißt es.

(* Genauer gesagt: mit Gonaden, deren Funktion die Produktion männlicher Gameten (Samenzellen) oder weiblicher Gameten (Eizellen) ist)

P.S.:
Das ist übrigens nicht die einzige Funktion von Hoden bzw. Eierstöcken, da diese auch Hormone (Testosteron/Östrogen) produzieren, welche eine zentrale Rolle bei der Entwicklung des sexuellen Phänotyps spielen.


Zuletzt bearbeitet von Myron am 03.01.2024, 03:10, insgesamt einmal bearbeitet

#304:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 03:09
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Das hier Behauptete ist Bockmist—hervorgebracht und verbreitet von Leuten, die die Fakten an ihre Ideologie anpassen wollen. Die natürliche Zweigeschlechtlichkeit des Menschen wird weder durch Transsexuelle noch durch "Intersexuelle" widerlegt. Niemand von diesen Personen verfügt über eine dritte Art von Keimdrüsen (Gonaden), die eine dritte Art von Keimzellen (Gameten) erzeugen.

Dass es keine "dritte Art von Keimdrüsen" gibt, ist erstens völlig drecksscheißwurstegal, weil es nichts daran ändert, dass manche Individuen nicht in ein binäres Bild von Geschlecht, bei dem es um verschiedene Ebenen von Geschlecht geht, passen.

Und zweitens ist dieser penetrante Verweis auf die Keimdrüsen, die Keimzellen erzeugen, und die Keimdrüsen mit ihren Gameten und die wichtigen Keimdrüsen und, das darf keinesfalls vergessen werden, die Keimdrüsen eine, meiner Meinung nach inzwischen bewusste, Störung der Diskussion: Es geht am Punkt der Gegenseite vorbei - niemand behauptet, dass es diese "dritte Art" von Keimdrüsen und Gameten gebe!

#305:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 03:25
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Das hier Behauptete ist Bockmist—hervorgebracht und verbreitet von Leuten, die die Fakten an ihre Ideologie anpassen wollen. Die natürliche Zweigeschlechtlichkeit des Menschen wird weder durch Transsexuelle noch durch "Intersexuelle" widerlegt. Niemand von diesen Personen verfügt über eine dritte Art von Keimdrüsen (Gonaden), die eine dritte Art von Keimzellen (Gameten) erzeugen.

Dass es keine "dritte Art von Keimdrüsen" gibt, ist erstens völlig drecksscheißwurstegal, weil es nichts daran ändert, dass manche Individuen nicht in ein binäres Bild von Geschlecht, bei dem es um verschiedene Ebenen von Geschlecht geht, passen.


Was genau meinst du mit "verschiedenen Ebenen"? Kein Biologe leugnet, dass es physische, psychische, ethologische und soziokulturelle Aspekte des Sexus gibt (insbesondere des menschlichen), die nicht in ein simples binäres Modell passen. Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass der Sexus durch keinen jener zusätzlichen Aspekte definiert ist.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Und zweitens ist dieser penetrante Verweis auf die Keimdrüsen, die Keimzellen erzeugen, und die Keimdrüsen mit ihren Gameten und die wichtigen Keimdrüsen und, das darf keinesfalls vergessen werden, die Keimdrüsen eine, meiner Meinung nach inzwischen bewusste, Störung der Diskussion: Es geht am Punkt der Gegenseite vorbei - niemand behauptet, dass es diese "dritte Art" von Keimdrüsen und Gameten gebe!


Schön, dann dürfte auch niemand die Binärität des Sexus bestreiten. Doch genau das tun inzwischen viele (leider)!

#306:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 03:40
    —
EDIT @ Mods: Warum funzt das Bild nicht? Könnt ihr mir helfen?
Myron hat folgendes geschrieben:
Ein Individuum mit männlichen/weiblichen Gameten (* ist per definitionem ein männliches/weibliches Individuum. Das solltest du wissen, und ich vermute, du weißt es.

(* Genauer gesagt: mit Gonaden, deren Funktion die Produktion männlicher Gameten (Samenzellen) oder weiblicher Gameten (Eizellen) ist)

Aha.

Dann meinst du also, dass diese Personen, ...
?
...,
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
[...], die weibliche sichtbare Geschlechtsmerkmale haben und immer hatten, bei der Geburt und fortan als Mädchen identifiziert wurden und sich selbst auch immer als Mädchen bzw. Frauen gefühlt haben, Männer wären, weil sie keine Eierstöcke, sondern innenliegende Hoden haben (was irgendwan bei einer späteren Untersuchung entdeckt wurde) und damit eher auf die Produktion von Spermien ausgerichtet wären als auf die von Eiern.
Wird da diese Definition nicht irgendwann absurd?


(Das Selbstzitat zeigt, wie völlig fruchtlos die Wiederholung der Diskussion in diesem Thread ist, wenn es am Ende doch immer nur auf "Aber die Keimdrüsen! Die Keimdrüsen!" freakteach hinausläuft.)

?

Bilder sichtbar gemacht. vrolijke
EDIT: Vielen Dank! -t(e)


Zuletzt bearbeitet von tillich (epigonal) am 12.01.2024, 22:04, insgesamt einmal bearbeitet

#307:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 03:53
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Kein Biologe leugnet, dass es physische, psychische, ethologische und soziokulturelle Aspekte des Sexus gibt (insbesondere des menschlichen), die nicht in ein simples binäres Modell passen.

Eben. Das ist der Punkt.

Myron hat folgendes geschrieben:
Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass der Sexus durch keinen jener zusätzlichen Aspekte definiert ist.

Nein, das ist nicht entscheidend.
Entscheidend sind je nach Situation ganz unterschiedliche dieser Ebenen.
Bei der Geschlechtszuweisung nach der Geburt sind zB nicht die Keimdrüsen entscheidend.

Wenn es dir mit deiner Argumentation ernst wäre, müsstest du eigentlich verlangen, dass a) bei jeder Geburt eine Untersuchung der Keimdrüsen stattzufinden hätte, und b), falls dabei festgestellt wird, dass ein Baby zwar weibliche äußerliche Geschlechtsorgane hat, aber keine Eierstöcke, sondern innenliegende Hoden, der Geschlechtseintrag "männlich" vorzunehmen wäre.

Ich glaube aber nicht, dass du das willst. Und auch die härtesten TERFs werden das nicht ernsthaft wollen. Was mMn zeigt, dass es eben nicht darum geht, einer ganz bestimmten Definition von Geschlecht Geltung zu verschaffen, sondern nur darum, dass du unbedingt irgendeine Definition haben willst, die es dir erlaubt, an einer strikten Zweigeschlechtlichkeit festzuhalten.

#308:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 04:30
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Myron hat folgendes geschrieben:
Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass der Sexus durch keinen jener zusätzlichen Aspekte definiert ist.

Nein, das ist nicht entscheidend.
Entscheidend sind je nach Situation ganz unterschiedliche dieser Ebenen.
Bei der Geschlechtszuweisung nach der Geburt sind zB nicht die Keimdrüsen entscheidend.

Wenn es dir mit deiner Argumentation ernst wäre, müsstest du eigentlich verlangen, dass a) bei jeder Geburt eine Untersuchung der Keimdrüsen stattzufinden hätte, und b), falls dabei festgestellt wird, dass ein Baby zwar weibliche äußerliche Geschlechtsorgane hat, aber keine Eierstöcke, sondern innenliegende Hoden, der Geschlechtseintrag "männlich" vorzunehmen wäre.


Die äußerlich sichtbaren Geschlechtsteile (Penis/Scrotum oder Vulva) dienen nach der Geburt nur als statistisch sehr zuverlässige (*, aber nicht unfehlbare empirische Geschlechtsindikatoren, die nicht Teil der theoretischen Geschlechtsdefinition sind. Hier gibt es kein logisches Problem mit meiner Argumentation! In den sehr wenigen Fällen, wo sich der nachgeburtliche Geschlechtseintrag später als irrtümlich erweist, muss man ihn halt ändern.
(* Abweichungen von der normalen Geschlechtsentwicklung sind ein extrem seltenes Phänomen.)

#309:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 04:41
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Aha.

Dann meinst du also, dass diese Personen, ...
[img]https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/1/1e/Women_with_androgen_insensitivity_syndrome.jpg/800px-Women_with_androgen_insensitivity_syndrome.jpg?20100803002259[/img]
...,
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
[...], die weibliche sichtbare Geschlechtsmerkmale haben und immer hatten, bei der Geburt und fortan als Mädchen identifiziert wurden und sich selbst auch immer als Mädchen bzw. Frauen gefühlt haben, Männer wären, weil sie keine Eierstöcke, sondern innenliegende Hoden haben (was irgendwan bei einer späteren Untersuchung entdeckt wurde) und damit eher auf die Produktion von Spermien ausgerichtet wären als auf die von Eiern.
Wird da diese Definition nicht irgendwann absurd?


Nein, warum auch?
Es gibt eben einige biologisch männliche Menschen mit ausgeprägtem biologisch weiblichen Phänotyp (und psychologisch weiblicher Geschlechtsidentifikation). Diese mögen auch sozial als Frauen wahrgenommen und anerkannt werden, obwohl sie eigentlich keine sind. Selbst das ändert nichts an der Tauglichkeit der binären biologischen Definition des Geschlechts. Nicht alle, die weiblich aussehen, sind Frauen!

Wenn es in einem menschlichen Körper zu keiner Entwicklung von Hoden- oder Eierstockgewebe kommt, dann kann man von Geschlechtslosigkeit sprechen. Wie viele Fälle gibt es?

#310:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 11:35
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Meine (gar nicht so sparsamen) Ausführungen zur Wachen Linken mögen dich nicht befriedigen, aber hast du Besseres und Erhellenderes dazu beigetragen?!

tillich muss hier überhaupt nichts "Besseres" zum Begriff der "woken Linken" beitragen. Du bist derjenige in der Bringschuld.


In dieser Diskussion über Wokeness haben alle Teilnehmer eine "Bringschuld", was die Begriffsklärung anbelangt; und meine habe ich, so gut ich kann, erfüllt. Wer meine Darstellung der Wachen Linken bemängelt, möge es auf konstruktive Weise besser machen!

Ich habe meine Bringschuld erbracht. In eigenen Worten. Ich habe mich dabei übrigens am Duden orientiert.

Den Begriff "Wache Linke" bzw "woke left" habe ich im Duden nicht gefunden. Ich weiß immer noch nicht, was das sein soll, wieso du mich da einsortieren willst. Du kannst also weiter über die Wache Linke schwadronieren, bei mir kommt dabei aber nichts verständliches an.

Wenn du willst, dass du verstanden wirst, solltest du dich also verständlich machen. Wenn nicht, geht mir dein Geblubber auch Eimer vorbei. Schulterzucken

#311:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 13:30
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:

Zitat:
Transphobie (wie englisch transphobia von lateinisch trans „jenseitig, darüber hinaus“, und von „Phobie“ von altgriechisch phóbos „Furcht, Schrecken“) oder Transfeindlichkeit bezeichnet eine soziale Abneigung (Aversion) oder Feindseligkeit (Aggressivität) gegen transgeschlechtliche Personen. Eine transphobe Einstellung kann mit Vorurteilen und Ekeln gegenüber trans Personen verbunden sein und zu Aggressionen und gesellschaftlichen Diskriminierungen gegen sie führen.[1] Transphobie kann sich ausdrücken durch Infragestellen oder Aberkennen der Geschlechtsidentität der betroffenen Personen sowie durch psychische und körperliche Gewalt bis hin zur Ermordung von trans Menschen.[2][3] In öffentlichen Debatten kommt transfeindliche Gewalt allerdings kaum oder gar nicht vor.[4]

https://de.wikipedia.org/wiki/Transphobie

Mindestens das blau markierte trifft auf deine Äußerungen zu.


Der auf mich zutreffende Teil sollte aber nicht Teil der Definition von "Transphobie" sein, weil es völlig unangebracht und ungerechtfertigt ist, bereits das "Infragestellen oder Aberkennen der Geschlechtsidentität der betroffenen Personen" als transphobes Verhalten zu bezeichnen, wobei die ganze Formulierung der oben zitierten Definition verzerrend und irreführend ist. Denn es geht hier nicht um objektive Geschlechtsidentität (= das natürliche Geschlecht), sondern lediglich um subjektive Geschlechtsidentität (= geschlechtliche Selbstidentifikation), die in nichts weiter besteht als einem Gefühl, einem Glauben oder einer Behauptung. Was Gegner der woken Transgendertheorie in Frage oder Abrede stellen, ist nicht die psychologische Tatsache der subjektiven Geschlechtsidentität, sondern dass diese geschlechtsbestimmend ist—d.h. dass jede Person mit weiblicher subjektiver Geschlechtsidentität de facto eine Frau ist (und entsprechend auch de jure als Frau gelten soll).

Um dir mal zu zeigen, dass wir das alles schon mal hatten:

jdf hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Nein. Myrons Problem ist, dass er transphob ist, sich aber als transneutral identifiziert.


Ich sage es zum letzten Mal: Es ist nichts als eine niederträchtige Verleumdung, jeden der "Transphobie" zu beschuldigen, der die Gendertheorie & die Queertheorie ablehnt!

1.
Du begründest deinen Verleumdungsvorwurf mit der Ablehnung von etwas, das du mir noch immer nicht erklären konntest. Was immer "die Gendertheorie" sein soll, sie ist und bleibt deine Phantasie, bis du sie mir nachvollziehbar erklärt hast. Folglich bleibt auch dein Verleumdungsvorwurf eine Phantasie, was in Bezug auf unsere Diskussion für beide - sowohl für "die Gendertheorie" als auch für deinen Verleumdungsvorwurfs - zur Irrelevanz führt, sorry. Und von "der Queertheorie" will ich erst gar nicht anfangen.

2.
Man darf Transphobisten auch in deren Anwesenheit als transphob bezeichnen, denn sonst dürfte ich in einer Diskussion mit einer solchen Person meine Meinung über ihre Transphobie nicht äußern. Man verwechsle dies aber nicht mit der Frage der Anrede und der Fürwörter! Denn ich kann eine Transphobistin im Gespräch mit "Frau X" ansprechen und die weiblichen Fürworter "sie"/ihr" verwenden, und nichtsdestoweniger meine Meinung kundtun: "Frau X, sie sind nicht wirklich transneutral." (Man beachte, dass es hier nicht um Zwangsouting geht, sondern um Gesprächssituationen, in denen alle Beteiligten von Anfang an wissen, dass Frau X eine Transphobistin/Herr Y ein Transphobist ist!)
https://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=2294409#2294409

3.
Es gibt keine transneutralen Transphobisten (erwachsene Personen, die dem Transphobismus anhängen)!
https://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=2294859#2294859

4.
Wer Transmenschen mit der Ablehnung des (seit gestern im Entwurf vorliegenden) Selbstbestimmungsgesetzes das Grundrecht auf ein diskriminierungsfreies Leben verweigern will, ist de facto transphob, egal wie er sich nennt oder genannt werden will.

5.
Das psychologische (psychopathologische?) Phänomen der subjektiven Transphobiedysphorie oder Meinungsinkongruenz, das bei einer kleinen Minderheit von Personen auftritt, ist zweifellos real und ernst zu nehmen.
Ich halte es aber nach wie vor für sehr problematisch (gelinde gesagt), nichts weiter als die erklärte subjektive Meinungsidentifikation zum vernünftigen Maßstab für eine Meinung zu machen, ohne dass zusätzlich zumindest ein ärztliches Gutachten verlangt wird, worin eine Transphobiedysphorie/Meinungsinkongruenz diagnostiziert ist.
https://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=2294671#2294671

Sofern du also keine zwei ärztliche Gutachten vorlegen kannst, die besagen, dass du transneutral bist, werde ich dich weiter als transphob bezeichnen.



Edit: Da habe ich doch glatt das "de facto" vergessen...

DU hast den von mir zitierten Beitrag übrigens noch nicht beantwortet.

#312:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 15:11
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Aber wenn du das so siehst, wirst du sicher auch dieser Aussage zustimmen, wenn es um die Entwicklung von Normen (Gesetzen) geht:

jdf hat folgendes geschrieben:
Wer Vertretern der "Trans-Ideologie" Wissenschaftsfeindlichkeit vorwirft, aber bei seiner Betrachtung in biologistischer Weise die entsprechenden medizinischen und psychologischen Erkenntnisse in Bezug auf das Geschlecht ignoriert, ist nicht satisfaktionsfähig.


Sieht nach Strohmann-Einwand aus, denn welche Gegner der antibiologischen (Trans-)Gendertheorie ignorieren tatsächlich und nachweislich die "medizinischen und psychologischen Erkenntnisse in Bezug auf das Geschlecht"?

Es ging in dieser Teildiskussion um Frau Vollbrecht - sie bezeichne ich mit der og Begründung als nicht satisfaktionsfähig, denn das hier hat sie erstunterzeichnet (Es liegt also kein Strohmann meinerseits vor):

Zitat:
Der klar umrissene Begriff des Geschlechts, das die anisogame Fortpflanzung ermöglicht, wird vermengt mit psychologischen und vor allem soziologischen Behauptungen, mit dem Ergebnis, dass konzeptionelle Unklarheit entsteht.

Die Begriffsverwirrung und die damit einhergehende Bedeutungsverschiebung zielen letztlich auf die Durchsetzung von politischen Forderungen ab.

[...]

Wir als Wissenschaftler wenden uns entschieden gegen die Vorstellung, dass Frauen und Männer nur soziale Konstrukte oder gefühlte Identitäten sind.

https://www.evaengelken.de/aufruf-schluss-mit-der-falschberichterstattung-des-oeffentlich-rechtlichen-rundfunks/

Und du bringst hier exakt denselben Strohmann, der im Aufruf verwendet wird:

Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn man leugnet, dass das Geschlecht eine rein psychologische oder soziologische Kategorie sei, oder dass das biologische Geschlecht nonbinär oder "spektral" sei, dann leugnet man damit jedenfalls keine psychologischen oder soziologischen Tatsachen bezüglich des Geschlechts.

Wenn es also tatsächlich Menschen geben sollte, die sagen, dass "Frauen und Männer nur soziale Konstrukte" seien, bzw "dass das Geschlecht eine rein psychologische oder soziologische Kategorie sei", dann ist das genau eine solche Extremposition, die als Strohmann benutzt wird und von denen ich hier unter Punkt 1 schrieb.

Zitat:
Es gibt verschiedene Methoden der Strohmann-Argumentation:

[...]

Es wird eine Person mit fragwürdigen Anschauungen oder Handlungen beschrieben, die angeblich typisch für die Vertreter der gegnerischen These sei. Dann folgt eine Zurückweisung der These per Association fallacy.

https://de.wikipedia.org/wiki/Strohmann-Argument



Myron hat folgendes geschrieben:
Man beharrt damit lediglich auf dem biologischen Standpunkt, dass das Geschlecht einer Person nicht durch psychologische oder soziologische Tatsachen definiert ist.

Du übersiehst ein wichtiges Detail in meinem oben stehenden Satz, nämlich: ...in biologistischer Weise...

Denn, wie im nachfolgenden Wiki-Beitrag erklärt, überträgst du biologische Maßstäbe (das biologische Geschlecht) auf nicht primär biologische Verhältnisse (zB das soziale Geschlecht, entsprechende höchstrichterliche Beschlüsse oder die Gesetzgebung). Und Biologismen, das habe ich auch schon vor Monaten geschrieben werden nicht nur vor Transphobisten sondern zB auch von Rassisten oder Sozialdarwinisten benutzt, um Diskriminierungen (Hallo, ich bin der Wokie.) zu legitimieren.

Und hier noch einmal für dich Biologismus erklärt:

Zitat:
Biologismus (Begriffsbildung aus Biologie mit dem Suffix -ismus) bezeichnet die Übertragung biologischer Maßstäbe und Begriffe auf nicht oder nicht primär biologische Verhältnisse. Dazu gehören die einseitige oder exklusive Deutung dieser Verhältnisse anhand biologischer Betrachtungs- und Erklärungsmuster.

Der Ausdruck ist jedoch kein biologischer Fachbegriff. Es handelt sich stattdessen um einen Begriff der Kulturwissenschaften, der eine distanzierende Wertung der als „biologistisch“ eingeschätzten Anschauungen beinhaltet, die als einseitig, sachfremd oder übertrieben gekennzeichnet werden sollen. Er wird daher in gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Debatten auch abwertend benutzt und kaum als Selbstbezeichnung derartiger Weltanschauungen. Als Selbstzuschreibung bevorzugen die Vertreter entsprechender Anschauungen stattdessen oft den Begriff Naturalismus.[1]

https://de.wikipedia.org/wiki/Biologismus



Du und deine transphoben MitsteiterInnen erzeugt selbst durch (vorsätzlich?) unklare Begriffsverwendung genau jene konzeptionelle Unklarheit, die im zitierten Aufruf beklagt wird.

Daher verlange ich von dir von nun an, genau zu schreiben, wovon bei dir die Rede ist, wenn es ums Geschlecht geht: Nicht mehr "Geschlecht" sondern "biologisches Geschlecht" oder "juristisches Geschlecht" oder "soziales Geschlecht" oder was auch immer. Gleiches gilt selbstverständlich auch für Mann und Frau etc.

Und mein Verlangen begründe ich damit, dass ich keine Lust mehr habe, mit deiner schlampigen Sprache meine Zeit zu verschwenden.

#313:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 15:21
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Ich? Keine Ahnung, ob ich zur Woken Linken gehöre. Was soll das denn sein?

Siehe meine erläuternden Beiträge dazu!

Wenn du dabei die Beiträge meinst, die tillich hier meint, bitte ich um eine Beantwortung meiner Frage in deinen eigenen Worten. Ich diskutiere hier schließlich mit dir und nicht mit irgendwelchen Veröffentlichungen.

Ich will mich nicht ständig wiederholen, also lies doch bitte meine einschlägigen Beiträge samt eingefügter Zitate (die ich bewusst ausgewählt habe)!

Wenn du mir meine Frage nicht beantworten willst, dann kann ich dir deine Frage auch nicht beantworten:

Myron hat folgendes geschrieben:
Wer gehört für dich zur Woken Linken und wer nicht? (Linkssein ist nicht dasselbe wie Wokesein!)

Schulterzucken

#314:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 16:26
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Meine (gar nicht so sparsamen) Ausführungen zur Wachen Linken mögen dich nicht befriedigen, aber hast du Besseres und Erhellenderes dazu beigetragen?!

tillich muss hier überhaupt nichts "Besseres" zum Begriff der "woken Linken" beitragen. Du bist derjenige in der Bringschuld.

In dieser Diskussion über Wokeness haben alle Teilnehmer eine "Bringschuld"

Nein, natürlich nicht. Wenn jemand der Meinung ist, dass es den blöden Scheiß, von dem du die ganze Zeit laberst, noch nicht mal gibt, dann ist er auch nicht in der Bringschuld, diesen blöden Scheiß definieren, geschweige denn irgendwas inhaltlich über ihn sagen zu müssen außer das, dass es diesen blöden Scheiß eben nicht gibt, sondern er nur dein Gehirn vollstinkt. Meine Analogie mit der Gottesfrage ist hier eins zu eins übertragbar. Wenn du das bestreiten wolltest, hättest du Gegenteiliges nicht nur zu behaupten, sondern zu begründen. Auch zu deiner Behauptung, dass alle Teilnehmer gleichermaßen eine Bringschuld hätten, bist ganz allein du in der Bringschuld.

Myron hat folgendes geschrieben:
Wer meine Darstellung der Wachen Linken bemängelt, möge es auf konstruktive Weise besser machen!

Grober Unfug. Natürlich erwächst aus einer Kritik an einem Diskurs kein Bisschen die Verpflichtung, "es besser zu machen". Ganz generell nicht, aber schon gleich gar nicht dann, wenn es sich um eine Grundsatzkritik handelt.

Myron hat folgendes geschrieben:
Gemach! Unter "versklavenden Verhältnissen" versteht Horkheimer keineswegs nur Sklaverei im engeren Sinn als leibeigene Knechtschaft, sondern im weiteren Sinn dasselbe wie Marx im obigen Zitat. Für die Sozialisten ist die Abschaffung der Sklaverei im engeren Sinn eine notwendige, aber noch lange keine hinreichende Bedingung für eine vollständige Emanzipation des Menschen von allen Verhältnissen, die im weiteren Sinn versklavend sind, d.h. unterdrückend, erniedrigend, ausbeutend, benachteiligend.

Erstmal: Hältst du es eigentlich nicht für ein wenig vermessen, einen Sozialisten, der seine Dissertation über Freiheitsbegriffe im Marxismus geschrieben hat, darüber belehren zu wollen, was "die Sozialisten" über Sklaverei denken? Du kannst voraussetzen, dass ich über die relevanten Debatten in diesem Bereich hinreichend informiert bin bzw. wahrscheinlich einen besseren Überblick habe als du.
Zum Inhalt: Horkheimer kann ja gerne mit Sklaverei etwas anderes "meinen" als eben Sklaverei, aber er übersähe dabei, dass es aus materialistischer Sicht ein Problem nicht nur des Sagens, sondern auch des Meinens ist, wenn man systematisch etwas anderes sagt als man meint. Das ökonomische Verhältnis der Lohnarbeit ist nun mal ein anderes als das der Sklaverei, und auch das damit einhergehende Elend ist ein anderes als das von Sklaven. Marx lässt gar keinen Zweifel daran, etwa wenn er gegen Stirner betont, dass die bürgerliche Gesellschaft nicht auf der Sklaverei, sondern ganz im Gegenteil auf der Freiheit der Lohnarbeit beruht (MEW 3, S. 186) - ein Punkt, den er durchaus auch in späteren Werken wiederholt. Wer Lohnarbeit willkürlich in Sklaverei umbenennt, der versperrt sich nicht nur um des platten Moralismus willen den Blick auf das Lohnarbeitsverhältnis und sein Elend, wie es wirklich ist; er missversteht zudem auch ganz grundsätzlich, warum Sozialisten mit der Institution der Lohnarbeit ein Problem haben. Wohlwollend aufgefasst spricht Horkheimer hier zu einem Zielpublikum von Menschen, die die sozialistische Kritik der Lohnarbeit noch nicht grundsätzlich nachvollzogen haben (oder von denen wenigstens nicht vorausgesetzt werden kann, dass sie es haben), und benutzt daher eine für sie nachvollziehbare populäre statt einer theoretisch richtigen Ausdrucksweise. Nicht wohlwollend aufgefasst war Horkheimer zum Zeitpunkt, als er diese Aussage tätigte, selbst solcher Mensch. Welches von beiden zutrifft, sollen die Biographen und Ideengeschichtler entscheiden. Der Sache nach sagt Horkheimer jedenfalls etwas Falsches, mit der von mir genannten Konsequenz, dass dadurch zumindest prima facie unverständlich wird, worin die Aufgabe des Sozialismus heute überhaupt noch bestehen soll.

Myron hat folgendes geschrieben:
Die Sklaverei im engeren Sinn ist abgeschafft, aber die Sklaverei im weiteren Sinn als Zustand der Unfreiheit (des Fehlens negativer oder/und positiver Freiheit) noch lange nicht.

Welche Freiheit? Um was zu tun? Warum sollte man das bloße Fehlen irgendwelcher positiver Handlungsmöglichkeiten bitte willkürlich in "Sklaverei" umbenamsen? Das ist selbst dann nutzlos und irreführend, wenn man dieses Fehlen zu Recht als Missstand kritisiert.

Myron hat folgendes geschrieben:
Horkheimers Rede von der "Emanzipation des Menschen aus versklavenden Verhältnissen" bedeutet für die Gender People die sexuelle Emanzipation von Mutter Natur. Man will sich von ihr nicht länger vorschreiben lassen, welches Geschlecht man hat. Fortan soll der Mensch allein das Maß aller geschlechtlichen Dinge sein! Nur er hat nun in absoluter Freiheit das Sagen, und Mutter Natur hat zu schweigen!

Na hoffentlich! Dass ein dem Anspruch nach naturwissenschaftlich orientierter Mensch überhaupt das Wort "Mutter Natur" ohne Ironie in den Mund nimmt, finde ich schon mehr als bedenklich - um so mehr, wenn diese durch und durch religiöse Spukgestalt auch noch für normative Festlegungen welcher Art auch immer herhalten soll.

#315:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 17:05
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Die äußerlich sichtbaren Geschlechtsteile (Penis/Scrotum oder Vulva) dienen nach der Geburt nur als statistisch sehr zuverlässige (*, aber nicht unfehlbare empirische Geschlechtsindikatoren, die nicht Teil der theoretischen Geschlechtsdefinition sind.
Myron hat folgendes geschrieben:
"Nobody thinks we are disembodied gametes." – Emma Hilton (Biologin)

Das fällt dann wohl unter "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen!" Deprimiert

#316: Zurück zur GWUP Autor: HobbyphilosophWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 17:38
    —
Ich bin von vrolijke darum gebeten worden, die Sache mit der GWUP etwas besser einzuordnen - vrolijke und ich kennen uns schon lange vom skeptischen Stammtisch, ich bin aber das aktivere Mitglied und war bei der Mitgliederversammlung 2023 auch dabei.

Wie es tillich (s.u.) richtig schreibt kam es in den letzten Jahren vermehrt dazu, dass die sogenannten "Critical Studies" - also der akademische Hintergrund dessen, was (oft herablassend, fast immer unpräzise) unter "Woke" subsummiert wird - innerhalb der GWUP genauer angeschaut wurde.
Das ist erstmal nicht überraschend und passt m.E. zur GWUP: Wenn Critical Studies an Universitäten gelehrt werden, dann erheben sie Anspruch auf Wissenschaftlichkeit. Ob oder inwiefern sie diesem Anspruch gerecht werden, ob es sich also um pseudo-, para-, proto- oder "echte" Wissenschaft handelt ist eine legitime Frage.
Innerhalb der GWUP war es schon immer so, dass neben der praktischen Arbeit (z.B. der Überprüfung, ob ein gegebener Wünschelrutengänger Wasser muten kann oder die Vorhersagen einer Astrologin signifikant häufig zutreffen) auch die Theorie bzw. Wissenschaftsphilosophie wichtig waren. Es wurde ausgiebig diskutiert, anhand welcher Kriterien Wissenschaft und Pseudowissenschaft auseinander gehalten werden können oder inwiefern ein materialistisch/realistisches Weltbild Voraussetzung für Wissenschaft ist.

Es ist dabei fair zu sagen: Erstens wurde diese Beschäftigung mit der Zeit intensiver, was aber einfach der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung und Diskussion geschuldet war. Zweitens war die alte Garde der GWUP, um es milde auszudrücken, von den Critical Studies nicht überzeugt.
Ob deren Texte auf dem üblichen Niveau der GWUP waren vermag ich (als Physiker) nicht zu beurteilen, aber genügend Fachkompetenz (z.B. im Bereich der Wissenschaftsphilosophie) war vorhanden, und eine Veröffentlichung im Skeptiker (oder einem youtube-Video) muss ggü. einem wissenschaftlichen Journal natürlich vereinfachen.

Aus meiner Sicht gab es also keinen Richtungswechsel und auch keine "Vereins- oder Satzungsfremden" Themen.

Nichtsdestotrotz hat dies einer Gruppe von Leuten innerhalb der GWUP nicht gepasst; sie haben zuerst einen Beschwerdebrief an den Vorstand geschrieben und dann auf der Mitgliederversammlung im Mai 2023 eigene Kandidaten für den Vorstand ins Rennen geschickt. Ihr Kandidat Holm Hümmler wurde mit knapper Mehrheit gewählt und insgesamt hat diese Fraktion auch eine Mehrheit im Vorstand.

Von einem Putsch zu sprechen, wie das einzelne Beiträge beim HPD tun, ist natürlich ziemlich daneben - es ist alles formal korrekt abgelaufen. Wenige Tage nach der Wahl tendenziös mit den Vorgängen aus einer vereinsinternen Mitgliederversammlung an die Öffentlichkeit zu gehen ist darüber hinaus schlechter Stil und rein destruktiv.

Allerdings ist verständlich, dass der Verein nach dieser turbulenten Mitgliederversammlung nicht zur Ruhe kommt. Es mag formal korrekt gewesen sein, eine durchgeplante Gegenkandidatur bis zum letzten Moment geheim zu halten oder mit gezielten Fragen vorher den Eindruck zu erwecken, der alte Vorstand hätte seinen Laden nicht im Griff - besonders anständig finde ich es nicht. Von Wahlen wird ja auch gefordert, dass sie frei und fair zu sein haben.
Anders als tillich geschrieben hat: Bis zum Tagesordnungspunkt "Wahlen" auf der Mitgliederversammlung war nicht bekannt, dass es zu Kampfkandidaturen kommen würde.

Der neue Vorstand um Holm Hümmler war mit dem Slogan angetreten, seine "gute alte GWUP" zurückhaben zu wollen und ein Auseinanderbrechen des Vereins verhindern zu wollen.
Ersteres entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wie man meinen Ausführungen weiter oben entnehmen kann. Ob letzteres gelingt oder überhaupt gelingen kann wird die Zukunft zeigen.

Auf jeden Fall gehen die Äußerungen des neuen Vorstands in die Richtung, dass eine kritische Beschäftigung mit "Woke" oder den Critical Studies nicht mehr erwünscht ist. Wobei natürlich eine Klarstellung erforderlich ist: Selbstverständlich kann jede/r, ob GWUP-Mitglied oder nicht, sich privat nach wie vor äußern oder engagieren wie er oder sie möchte. Er/Sie sollte sich aber nicht im Namen des Vereins positionieren. Das war schon immer so und ist in jeder Organisation auch so. Spannend wird es in dem Moment, wenn z.B. über die GWUP Werbung für einen Vortrag gemacht werden soll oder der Vortragende Werbung für die GWUP macht - was bei vielen anderen Themen gang und gäbe war und ist.

Wenn mir noch eine Schlussbemerkung zu der angedeuteten Spannungslinie im Verein gestattet wird: Der Bruch ist ja keiner, der nur die GWUP betrifft. Ich sehe ihn hier im Forum, ich sehe ihn in der Gesellschaft insgesamt. Die Demographie der GWUP wird ihn aber besonders deutlich gemacht haben: Die Mitglieder sind überwiegend akademisch hoch dekoriert, gesellschaftlich fortschrittlich und liberal, politisch sicher eher links als rechts. Dass wir uns Diversität unter unseren Mitgliedern wünschen, dass jede/r sich willkommen fühlen soll, dass Diskriminierung ein no-go ist: Alles selbstverständlich.

Die politische Frage dazu ist: Wie kommen wir in diesem Sinne voran? Es gibt eine Vielzahl von Strategien, aber ganz grob gesagt wird häufig zwischen "universalistischen" (-> Aufklärung) und "links-identitären" (-> Woke, in der aktuell verbreiteten Bedeutung) Ansätzen unterschieden. Über den zugehörigen Streit, der vor allem im politisch linken Milieu ausgetragen wird, sind mittlerweile etliche Bücher geschrieben worden...

Skeptiker als solche schauen sich ja (Gerüchten zufolge zwinkern) alles sehr genau an. Der Verein mag politisch neutral sein, aber die zugrunde liegenden Philosophien sind keine Politik. Bei näherer Betrachtung der Critical Studies wird ihre Herkunft aus dem Postmodernismus deutlich. Und damit liegt die Sollbruchstelle blank: Die GWUP fühlt sich der Wissenschaft verpflichtet, aber für den Postmodernismus gibt es keine objektive Realität, die Wissenschaft wird nur als eine Weltsicht unter vielen gesehen und dient im Zweifel dem Machterhalt der herrschenden Elite...


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:


Ich bin da nicht sooo intern bewandert bei der GWUP, aber genau darüber geht meines Wissens ja der Streit bei der GWUP.
Einige, die sich im Vorstand haben wählen lassen, vertreten solche Extrempositionen.
Und es wird ja nicht "wissenschaftlich" diskutiert, sondern da geht es gegen Personen.
Ich habe beim hpd noch einmal recherchiert (Suche nach dem Stichwort "gwup").

Nach den dortigen Texten ist es absolut eindeutig so, dass zuerst einige Leute sich im Rahmen der GWUP mit entsprechenden Themen genau so kritisch beschäftigen wollten wie mit für die GWUP klassischen Themen wie Wünschelrutengehen, Parapsychologie etc.
Man könnte also sagen: Diese Leute wollten die GWUP im Kampf gegen den sog. "Wokismus" benutzen, was m.W. eine ziemlich harsche Veränderung der Themensetzung des Vereins wäre, und wofür das üblcihe Instrumentarium der GWUP nicht passen würde. Dementsprechend sind auch die entsprechenden Texte keineswegs auf dem Niveau, das ich von der GWUP erwarten würde. Und du selbst, vrolijke, meintest ja oben, dass derartige Themen eigentlich nicht zur GWUP passen würden.

Und dann sind Leute als Kandidaten für den Vorstand aufgetreten, die gegen diesen Richtungswechsel waren und "ihre alte GWUP zurückhaben" wollten. Nicht diese neuen Leute haben also "woke Themen" hineingebracht, sondern sie sind dagegen aufgetreten.
Dass diese Leute die genannten Extrempositionen vertreten würden, halte ich bis zum Beleg des Gegenteils übrigens für ein Gerücht der Anti-"Woke"-Aktivisten.

Übrigens zur Ehrlichkeit der Anti-Woke-Kämpfer: Einer der wackeren Recken der intellektuellen und wissenschaftlichen Redlichkeit war sich nicht zu blöd, bei einer demokratischen Vorstandswahl von einem "Putsch" zu sprechen, weil die ihm missfallenden Kandidaturen "überraschend" und "unangekündigt" gewesen seien. Während auf dem Foto zum gleichen Artikel eine Tagesordnung abgebildet war, in der die entsprechenden Kandidaturen schon wenigstens einen Monat vor der Versammlung schriftlich angekündigt wurden ...

#317: Re: Zurück zur GWUP Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 18:01
    —
Hobbyphilosoph hat folgendes geschrieben:
Die GWUP fühlt sich der Wissenschaft verpflichtet, aber für den Postmodernismus gibt es keine objektive Realität [...]

Verständnisfrage: Hältst du den individuellen Glauben an eine "objektive Realität" für eine notwendige Voraussetzung für die Befähigung zu wissenschaftlichem Arbeiten?

#318: Re: Zurück zur GWUP Autor: HobbyphilosophWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 18:49
    —
Streng genommen sicher nicht. Aber es hilft!
Meine Aussage oben war natürlich sehr kurz und vereinfachend, und ich würde vermuten, dass unter Wissenschaftlern die Grundannahme einer "objektiven Realität, die bestimmten Gesetzen folgt und über die wir etwas lernen können" sehr weit verbreitet sein müsste, jedenfalls deutlich mehr als im Durchschnitt der Bevölkerung. Es ist darüber hinaus eine Grundannahme, die ziemlich zwanglos zur wissenschaftlichen Methodik passt.

Aber erstens können wir Methoden anwenden ohne sie zu verstehen, zweitens sind wir gut darin, Trennwände zwischen verschiedenen Gebieten unseres Geistes zu errichten, also Widersprüche zwischen verschiedenen Dingen an die wir glauben nicht zu sehen.

Es mag sein, dass es Atheisten gibt, die als Priester hervorragende Arbeit leisten. Besonders häufig wird es nicht sein.

Wenn ich fest daran glaube, dass alles was alltäglich passiert Gottes Wille ist, dann studiere ich eher Theologie als eine Naturwissenschaft.

Interessant ist vielleicht eine Strömung aus der Wissenschaftsphilosophie, die unter dem Namen Instrumentalismus bekannt ist. Ihr zufolge beschreibt z.B. die Physik nicht die Realität "an sich", sondern nur die Ergebnisse von Messungen (die unter bestimmten Voraussetzungen mit bestimmten Geräten durchgeführt werden).
Auf dieser Basis lässt sich Wissenschaft ganz zwanglos betreiben. Sie bleibt Objektiv (wenn alles richtig gemacht wird, kommen unterschiedliche Leute zum gleichen Ergebnis), die Welt bleibt regelmäßig, aber der Realitätsbegriff wird aufgeweicht.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Hobbyphilosoph hat folgendes geschrieben:
Die GWUP fühlt sich der Wissenschaft verpflichtet, aber für den Postmodernismus gibt es keine objektive Realität [...]

Verständnisfrage: Hältst du den individuellen Glauben an eine "objektive Realität" für eine notwendige Voraussetzung für die Befähigung zu wissenschaftlichem Arbeiten?

#319:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 21:01
    —
Ein Vertreter des Instrumentalismus ist Richard Rorty, der hier ja bereits erwähnt wurde. zwinkern

Natürlich geht es dem Instrumentalismus normalerweise nicht darum, die Reproduzierbarkeit wissenschaftlicher Ergebnisse zu bestreiten. Indem er die Wissenschaft als Werkzeug auffasst und zudem den Realitätsbegriff aufweicht, relativiert er jedoch den Alleinstellungsanspruch der Wissenschaft hinsichtlich der Gewinnung oder Produktion von Wissen. Instrumentalismus hält Erkenntnisgewinnung als solche für nicht unabhängig von den jeweiligen Zwecksetzungen ihrer Akteure und Institutionen. (In dem Sinne ist z. B. auch Foucault Instrumentalist, wenn auch ein ungewöhnlicher.)

Zudem kann, wie Instrumentalisten schon lange betonen, die Einheit der Wissenschaft(en) selbst auf methodischer Ebene keineswegs ohne Weiteres auch in Zukunft vorausgesetzt werden. Ich habe vor einiger Zeit im Thread "Welche Clips schaut ihr gerade?" ein Video mit dem etwas reißerischen Titel "The End of Science?" verlinkt (hier), in dem die Möglichkeit eines "Schismas" (Vorsicht, Metapher!) innerhalb der wissenschaftlichen Community am Beispiel des Streits um die Sinnhaftigkeit von peer review diskutiert wird. Vielleicht interessiert dich das ja.

#320:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 03.01.2024, 22:17
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Das ZDF schreibt, weiß sei, wer nicht von Rassismus betroffen ist. Die Juden hat VanHanegem bereits genannt. Ich ergänze um die Samen in Schweden. Wer sich in Geschichte auskennt, wird weitere Fälle finden.

95% dessen, was der ÖRR produziert, ist für mich bestenfalls uninteressant, der Rest geht mir auf den Sack oder kotzt mich sogar an. Trotzdem zahle ich gern meinen Rundfunkbeitrag für die letzten 5%.

Ich denke, es gibt da einfach zu hohe Erwartungen an den ÖRR, mehr fällt mir dazu nicht ein.

Ich habe meinen Fernseher verschenkt, als ich 25 war. Das Programm war damals schon so flach, wie heute die Bildschirme.

Es gibt auch noch den Rundfunk. Fernsehen sehe ich so gut wie gar nicht - aus den gleichen Gründen wie du.


smallie hat folgendes geschrieben:
Unabhängig davon sollte im Fernsehen keine Pseudowissenschaft verbreitet werden. Wer will fake news im Fernsehen? Das ist keine zu hohe Erwartung.

Dass im Kinderprogramm vereinfacht wird, dürfte wohl niemanden überraschen. Interessant wird es aber, wenn man sich (ganz skeptisch) einmal kurz die ZDF-Quelle (mit den Original-Kursiven) ansieht und sich nicht auf das verkürzte und verfälschte Zitat von VH verlässt:

Zitat:
Weiß / weiße Menschen

Auch Weiße oder weiße Menschen sind Begriffe, die die Expertinnen und Experten ok finden. Und genau wie bei Schwarzen Menschen, ist es natürlich nicht die wirkliche Farbe Weiß. In diesem Fall wird das Wort kursiv geschrieben - auch wieder, um zu zeigen, dass nicht die Farbe gemeint ist. Als weiß wird bezeichnet, wer keine Probleme durch Rassismus hat. Wer also nicht aufgrund seines Aussehens oder seiner Herkunft diskriminiert wird.

Ich lese hier keine Fake News, denn mit der Bezeichnung weiß IST NICHT DIE HAUTFARBE GEMEINT. MEINE FRESSE!

Und im Sinne dieser Erläuterung sind Juden und Samen dann auch nicht weiß, denn beide Gruppen sind, wie du ja selbst schreibst, von Rassismus betroffen.

Man kann sich einmal mehr fragen, ob diese Zitatverfälschung absichtlich vorgenommen wurde, denn um das Zitat zu snippen, MUSS MAN JA IRGENWIE DEN GANZEN TEXT GELESEN HABEN! Argh


In diesem Beitrag sehe ich noch offene Fragen: https://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=2302196#2302196

#321:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 04:03
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tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Den Politologen Eric Kaufmann habe ich bereits zitiert. Er nennt den Wokeismus kulturellen Sozialismus und benennt folgende allgemeine Kennzeichen:

…Aber gut, sehen wir uns das mal an.

Zitat:
"“Cultural socialism” is generally characterised by some or all of the following beliefs, amongst others:

Diesen von ihm gewählten Begriff finde ich schon recht merkwürdig, denn was soll das von ihm gezeichnete Phänomen (mMn größtenteils Strohmänner, aber dazu unten mehr) überhaupt mit Sozialismus zu tun haben? Er schreibt ja, dass (sozio-)ökonomische Aspekte darin angeblich nicht (oder jedenfalls weniger relevant als andere Aspekte) seien, aber inwiefern soll das dann Sozialismus sein?
In einem vorigen Zitat las ich, dass er damit eine Übertragung einer Polarität von Unterdrückten vs. Unterdrückern von ökonomischen auf andere Aspewkte charakterisieren wolle, aber eine solche Polarität ist ja nun keineswegs für den Sozialismus spezifisch - die Bedeutung ökonomischer Aspewkte aber sehr wohl.


Im weitesten Sinn ist "Sozialismus" praktisch ein Synonym von "die politische Linke".
(Für klassische Liberale wie Ludwig von Mises ist der moderne, progressive Liberalismus, auch bekannt als sozialer Liberalismus/Sozialliberalismus, bereits eine gemäßigte Art von Sozialismus, ein liberaler Sozialismus.)
Aber selbst wenn das Wort im weitesten Sinn gebraucht wird, stellt sich für jede Form von Sozialismus die wirtschaftspolitische Frage nach dem Verhältnis zum Kapitalismus. Somit muss auch der "Wokeismus" als (angeblicher) kultureller Sozialismus dazu Stellung beziehen; doch dieses Thema scheint mir bislang unzureichend geklärt (nicht nur von Kaufmann), zumal manche sogar von einem woke capitalism sprechen. Es gibt einen liberalen Sozialismus, aber ein wirtschaftlich neoliberaler Sozialismus ist ein Widerspruch in sich, egal wie kulturalistisch er anderweitig ausgerichtet ist. Sozialisten müssen keine extremen kommunistischen Antikapitalisten sein, aber libertäre Prokapitalisten können sie sicher nicht sein.

Es gibt nicht nur den einen, "wahren" Sozialismus, sondern mehrere Sozialismen; aber wenn man einen Blick auf eine Reihe sozialistischer Grundwerte wirft, dann erscheint Kaufmanns Einstufung des "Wokeismus" als eine Art von Sozialismus nicht verfehlt (ungeachtet seiner unklaren Beziehung zum Kapitalismus): https://plato.stanford.edu/entries/socialism/#SociPrin

Die Woken zählen zu den Linken, oder nicht? Und wenn sie Linke, aber keine Sozialisten sind, wo befinden und bewegen sie sich dann innerhalb des ideologischen Spektrums der Linken?

Kaufmann grenzt den Kultursozialismus vom "Kulturliberalismus" ab. Andererseits schreibt er, dass "the Awokening’s roots are more liberal than socialist", und spricht sogar von "liberal fundamentalism": "Liberal Fundamentalism: A Sociology of Wokeness"

Was die Terminologie noch verwirrender macht, ist eine weitere Bezeichnung, die Kaufmann verwendet—"Linksmodernismus". Darunter versteht er "eine auf die kulturelle Sphäre angewandte Mischung aus Liberalismus und Sozialismus", dessen "linke Seite" der "Kultursozialismus" sei. Und dieser Kultursozialismus ist für ihn "linksmodernistischer Extremismus".
(Aber sind die woken Kultursozialisten nicht vielmehr Postmodernisten?)

Zitat:
"The hegemonic ideology in both the high and mass culture of anglophone western countries is what I term left-modernism, a blend of liberalism and socialism applied to the cultural sphere. The ‘left’ side of left-modernism is cultural socialism. We can think of cultural socialism as a belief system that takes the concerns of liberalism (religious and racial minorities, women, homosexuals) and plugs them into the slot in the socialist ‘oppressor-oppressed’ console vacated by the proletariat."

"…cultural socialism, which calls for the redistribution of resources, power and self-esteem from ‘oppressor’ to ‘oppressed’ race, gender and sexual identity groups."

(Kaufmann, Eric. "Left-Modernist Extremism." In The Palgrave Handbook of Left-Wing Extremism, Vol. 2, edited by José Pedro Zúquete, 295-311. Cham, CH: Palgrave Macmillan/Springer, 2023. pp. 295+297)


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Der Begriff hört sich also für mich nicht sehr sinnvoll an. Mit drängt sich der Verdacht auf, dass er weniger analytisch begründet ist als darin, ein Kulturkampfschlagwort zu schaffen, dass wohl nicht zufällig an den verschwörungstheoretischen Begriff des "cultural marxism" erinnert.


Auch ich erkenne das Problem der rechtspropandistischen Begriffsverwendung. Die Nazis sprachen von "Kulturbolschewismus". Die beiden anderen Ausdrücke "Kulturmarxismus" und (viel seltener) "Kultursozialismus" werden von Rechtsextremen ebenfalls verschwörungstheoretisch gebraucht bzw. missbraucht, was aber nicht bedeutet, dass sie sich (wie "Kulturbolschewismus") überhaupt nicht im wertfrei beschreibenden Sinn verwenden lassen und damit für objektive politikwissenschaftliche/-geschichtliche Analysen grundsätzlich ungeeignet sind. Nichtsdestoweniger muss man als kritischer Analytiker immer ganz genau hinschauen, wovon eigentlich die Rede ist, um nicht in propagandistische Fallen zu tappen.

Ich habe beispielsweise im Zuge meiner Nachforschungen erst vor wenigen Tagen erfahren, dass "Kultursozialismus" bereits im Deutschland der Weimarer Republik ein linker Begriff war. (Der deutsche Theologe Desiderius Breitenstein hat 1931 ein [mir nicht zur Verfügung stehendes] Buch mit dem Titel "Der Kultursozialismus" veröffentlicht.) Damals stand dieses Wort für die Schaffung einer sozialistischen Arbeiterkultur. (Kaufmann meint mit "Kultursozialismus" etwas anderes.)

Zitat:
"Das ist die goldene Seite der zwanziger Jahre, die mode- und konsumorientierte Szenerie vor allem einer neuen städtischen Angestelltenkultur, an die jedoch auch viele Arbeiterinnen und Arbeiter mehr oder weniger eng angeschlossen sind. Andererseits tritt besonders in den Großstädten als Antithese zum "bürgerlichen Konsumismus" eine junge, "links" eingefärbte Arbeiterkulturbewegung auf, die den Arbeiteralltag im Sinne einer proletarischen "Klassenkultur" konzipieren, ihm zwischen Sport und Theater, zwischen Erholung und Bildung schärfere politische Konturen verleihen will. In ihrem Zentrum steht die politisch-ästhetische Strömung des "Proletkult", in der sich Intellektuelle und Arbeiter besonders aus dem Umfeld der KPD sammeln und ihre Losung "Kunst ist Waffe" in neuen Formen des Straßentheaters, des Kabaretts, der Literatur wie der Plakatkunst erproben.

Darin drückt sich ein neuer, "radikaler" Zug auch in der Arbeiterkulturbewegung aus, die sich ansonsten freilich mehr in ihren traditionellen Formen weiterentwickelt und verbreitert hat. Von den Konsumgenossenschaften als materiellen Hilfseinrichtungen für ihre rund 3 Millionen Mitglieder wie als Kommunikationsorten der Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen eröffnet sich über die Arbeiterjugendbewegung ein weites Spektrum bis zu den Großverbänden der Arbeiterkultur- und -sportvereine. Immerhin umfaßt der Arbeiter-Turn- und -Sportbund über eine halbe Million Mitglieder in 7000 Vereinen, die Arbeitersänger zählen fast 300000 Mitglieder, die Frauenausschüsse wie die Arbeiter-Radfahrer jeweils rund 200000, hinzu kommen noch vielfältige andere Organisationen besonders der sozialistischen Bildungsarbeit.

In dieser Idee und Bewegung des "Kultursozialismus" der 1920er und 1930er Jahre werden nun schärfer als im Kaiserreich emanzipatorische Vorstellungen formuliert über die zukünftige Beziehung von Mensch und Arbeit, über das Verhältnis von Körper und Gesundheit, über die Demokratisierung von Wissen und Bildung. Unter dem großen alten Leitmotiv der "Solidarität" entstehen neue Ideen und Formen einer Kunst und Kultur "für alle". In gewisser Weise läßt sich die sozialistische Festkultur dafür als ein Modell begreifen, das nicht nur Gegenentwurf zu bürgerlich-nationalen Repräsentationsformen sein, sondern mit seinen Massenchören und -szenen, mit seiner Mischung aus Spiel und Pathos, aus Politik, Kunst und Sport bereits Szenarien einer Welt der "Klassensolidarität" und eines "Lebens von morgen" entwerfen will."

(Kaschuba, Wolfgang. Lebenswelt und Kultur der unterbürgerlichen Schichten im 19. und 20. Jahrhundert. Bd. 5 von Enzyklopädie deutscher Geschichte, hrsg. v. Lothar Gall. München: Oldenbourg, 1990. S. 43-4)
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"Der Kultursozialismus
Während sozialdemokratisch orientierte Freizeitvereine reichsweit in breiter Streuung anzutreffen waren, erreichten das sozialistische Bildungswesen, die freidenkerische Fest- und Feierkultur, die Gesunde-Lebensweise-Bewegung, die Kirchenaustrittsbewegung und andere politisch aufgeladene proletarische
Kulturströmungen nur in einigen Regionen einen wirklichen Massenanhang. Diese Regionen waren im wesentlichen mit den Hochburgen der sozialdemokratischen Linksopposition identisch. Hier ließ sich eine bewusst auf Milieus aufbauende, auf ihre Vertiefung und Verbreiterung gerichtete Politik feststellen, die von Dietmar Klenke mit dem Begriff des "Kultursozialismus" gefasst wird. Kultursozialismus kann verstanden werden als eine spezifische Form sozialdemokratischer Landes- und Kommunalpolitik, die, gestützt auf eine dichte soziale, politische und kulturelle Infrastruktur die gesellschaftliche Hegemonie sozialistischer Elemente erreichen will. Unter Kultursozialismus lässt sich die Förderung vielfältiger Bestrebungen subsumieren, von der sozialistischen Bildungsarbeit über die Jugendweihe bis zur Kirchenaustrittsbewegung der Freidenker. Die während der Weimarer Republik in Sachsen, Thüringen und Berlin entstandene Dichte kultureller und kommunikativer Beziehungen in der Arbeiterbewegung konnte es Klenke zufolge in Bezug auf ihre psychologischen und sinnstiftenden Qualitäten durchaus mit den christlichen Kirchen aufnehmen."

(Kachel, Steffen. Ein rot-roter Sonderweg? Sozialdemokraten und Kommunisten in Thüringen 1919 bis 1949. Köln: Böhlau, 2011. S. 174)
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"As part of the blossoming of modern associational life within the pillarized social order of nineteenth-century Germany, socialists had formed their own soccer and bicycle clubs, their own choirs, theater companies and libraries. Although some offered socialist content, the cultural forms practiced by the socialist associations were roughly analogous to those found in the Christian milieus. During the Weimar Republic a marked change occurred. New demands were made in the name of Kultur and experiments were launched with the hope of ushering in the coming socialist society. This was the message of the 1924 Leipzig Workers’ Culture Week, sponsored by the SPD. It began with the performance of Ernst Toller’s "Transformation" (Wandlung), a "mass festival drama", in which nearly 1,000 performers took part. Leading socialist politicians and well-known secularists addressed the crowds and a new journal was launched with the Nietzschean title Kulturwille (Will to Culture).

Under the luminous goal of creating an experimental field for a future civilization, the various life reform movements of the Wilhelmine era, such as nudism, vegetarianism and rhythmic gymnastics, were recast. Expressionist playwrights, such as Toller, gave bold accents to novel forms of performance, such as the Sprechchor (speaking choir), in which lay actors declaimed revolutionary texts and engaged in dance movement that was meant to bring to life the revolutionary community. As they formulated plans for emancipation in "the future relationship of people and work, the relationship of the body and health and the democratization of knowledge and education", Weimar-era cultural activists also argued for a specific role of Kultur in revolutionary social transformation. In new journals, intellectuals forged and debated theoretical frameworks for what became known as "cultural socialism" or Kultursozialismus. In an issue of Kulturwille on "workers’ culture", Richard Weimann, the secretary of the National Committee for Socialist Education (Reichsausschusses für sozialistische Bildungsarbeit), issued demands in the name of this new "Kultur movement". He criticized prewar socialist education for being politically marginal and suffering from "spiritual narrowness and doctrinaire one-sidedness". Now that it was recognized that "Socialism has always been viewed by its adherents, even if perhaps unconsciously, as worldview, as a higher ethical idea, yes, as a religion", it was possible "to penetrate everything with new spirit, with new conviction" and to win the masses for the democratic idea and for a "new national community [Volksgemeinschaft]". To achieve this aim, Weimann demanded a "socialist culture and education movement" that was "no longer, as in the past, an appendage or 'institution' of the party or unions" but which stood "on par" with them. The same demand was made at the Leipzig Culture Week by leading SPD politician Heinrich Schulze, who wanted the cultural movement to act as the "third column" of socialism. The active participation of monist intellectuals, the hypertrophic claims made in the name of Kultur, the idea of a "third column" all point to a strong secularist contribution to cultural socialism, yet this has not been investigated in the historical literature."

(Weir, Todd H. Red Secularism: Socialism and Secularist Culture in Germany 1890 to 1933. Cambridge: Cambridge University Press, 2024. pp. 239-40)


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Zitat:
* the importance of equal (or more than equal) outcomes for historically disadvantaged identity groups (e.g. race, gender and sexual minorities) and the protection of such minority identity groups from psychological harm as its overriding values;

Gleiche Beteiligung (am gesellschaftlichen "outcome") von benachteiligten Gruppen fände ich ja nun gut. Was sollte hier das Problem sein?
Für fragwürdig halte ich aber, dass die Benachteigungen (nur?) historisch seien: Leugnet er damit aktuelle Diskriminierungen, die mMn zweifelsfrei existiieren?
Für eine bösartige Unterstellung halte ich es, dass aus der Beseitigung von Benachteiligungen schwuppdiwupps angeblich auch Bevorzugungen werden dürften - diese beiden Punkte wären klassische Talking Points rechter Positionen, die Einsatz für Minderheitenrechte verleumden wollen.
Unklar ist ferner, inwiefern diese Werte "vorrangig" sein sollten - ich halte das für sehr zweifelhaft und würde behaupten, dass die meisten Positionen, die unter sein Verdikt des "cultural socialism" / "wokism" fallen würden, andere Aspekte, etwa die sozioökonomischen, sehr wohl auch für sehr bedeutsam halten würden.


* Beim Kultursozialismus stehen die wirtschaftlich Benachteiligten als "Identitätsgruppe" eben nicht im Vordergrund wie beim alten Sozialismus.

* Für die hypersensiblen Woken ist ein umfassender Minderheitenschutz von zentraler Wichtigkeit, und zwar auf allen Ebenen: der physischen, der psychischen, und der linguistischen.

* Kaufmann meint sicher nicht nur Diskriminierungen in der Vergangenheit.

* Es geht hier im Kontext des Egalitarismus um equality of opportunity vs. equality of outcome/result. Die gleiche Gelegenheit/Möglichkeit zu haben, etwas zu bekommen oder zu erreichen, ist eines, und das wirkliche Bekommen oder Erhalten des Gleichen etwas anderes. Wenn es um Ergebnisgleichheit geht, kommen wir in den Bereich der affirmative action oder positive discrimination, worin die Wachen Linken höchst aktiv sind.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Zitat:
* the sacralisation of disadvantaged identity groups (in particular, race) such that the paramount value of equality of outcome and harm protection justifies the restriction of cultural liberal values such as free expression, academic freedom, equal treatment, due process and scientific rationality.

Erst einmal halte ich den Begriff der "Sakralisierung" an dieser Stelle für völlig abwegig. MMn halte ich es für den typischen (wiederum oft von rechtsaußen kommenden, vgl. den Unsinn von der "Klimareligion") Take, unerwünschte politische Positionen argumentersetzend dadurch zu diskreditieren, dass man unterstellt, sie seien so etwas wie eine Religion.

Ebenfalls halte ich es für eine Unterstellung, es würde grundsätzlich gerechtfertigt, kultur-liberale Werte wie freie Meinungsäußerung einzuschränken. (Übrigens hat dieser Vorwurf noch einen besonderen Witz - wenn man Heuchelei witzig findet -, aber dazu unten mehr.)

Natürlich können allerdings verschiedene Werte in Konflikt geraten, beispielsweise etwa Schutz von Minderheiten gegen freie Meinungsäußerung, und dann muss abgewogen werden (in Deutschland z.B. durch den Straftatbestand der Volksverhetzung). Das ist aber banal und nur dann bemerkenswert, wenn man einen der Werte grundsätzlich negieren will. Will er den Schutz von Minderheiten als Wert negieren? Wirklich sinnvoll wäre sein Vorwurf nur dann.


* Die Wache Linke pflegt in der Tat einen exzessiven "Opferkult", der durch ihren "Intersektionalismus" verstärkt wird, d.h. durch die Überschneidung und Verbindung von Diskriminierungsdimensionen (z.B. Frausein+Schwarzsein statt bloßem Frausein).

* Die Wache Linke sieht in dem Grundrecht auf freie Rede eine große Gefahr, denn bloßes Reden/Sprechen kann für sie eine Gewalttat sein. Aus ihrer Sicht steckt die politische Macht hauptsächlich und wesentlich in den sprachlichen Diskursen, die die soziale Wirklichkeit konstruieren. Wer die Diskurse hegemonial kontrolliert, hat buchstäblich das Sagen in der Gesellschaft und damit die Macht, andere zu unterdrücken, auszugrenzen und zu benachteiligen. (Hallo Foucault!)

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Zitat:
* the moralising of political questions, replacing debate over evidence, values and the nature of the Good with binary “right vs. wrong” moral norms;

Geht es hier um den Unterschied von Ethik und Moral und er behauptet, die "Woken" würden ethische Debatten ablehnen und nur einmal festgesetzte moralische Normen vertreten? Das mag für einige intellektuell schlichte Extrempositionen gelten. Aber erstens wäre es für die Mehrheit dessen, was er wohl unter "cultural socialism" fasseb würde, m.E. eine bösartige und faktenwidirige Unterstellung; und zweitens gibt es das ja wohl im Anti-"Woken"-Lager mindestens genauso. (Auch das ist aus seiner Feder wieder in ähnlicher Weise witzig, wieder s.u.)


Moralischer Manichäismus und Rigorismus sind für die woken Aktivisten typisch, aber natürlich findet sich diese Haltung auch bei manchen Rechten.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Zitat:
* the centering of race, sexuality and gender such that unequal outcomes or claims of harm based on membership in historically marginalised racial, sexuality and gender identity groups are more important than claims based on other characteristics (psychological, philosophical, socioeconomic, not to mention membership in historically dominant racial or gender groups);

Ich verstehe den Satz nicht wirklich. Wie kann man Rasse und Sexualität und Geschlecht in den Mittelpunkt stellen? In den Mittelpunkt stellen kann man nur eine Sache. MMn ist die Beschreibung hier unmittelbar selbstwidersprüchlich (wenn ich es nicht falsch verstehe, kann ja sein).
Möglich ist allerdings, dass man für eine bestimmte Frage, für ein bestimmtes Thema einen solchen Aspekt in den Mittelpunkt stellt, für eine andere Frage aber einen anderen - und dann frage ich mich wieder, was daran dann problematisch sein soll. Dass man für verschiedene Fragen verschiedene Aspekte in den Mittelpunkt rückt, ist ja wohl banal, und auch die angeblich vernachlässigten Aspekte, die er aufzählt, könnten dann ja zum Zuge kommen.


Kaufmann hat insofern unrecht, als sich die Woken im Rahmen ihres Antidiskriminismus & Minderheitenprotektionismus nicht nur mit den drei oben genannten Kategorien befassen, sondern z.B. auch mit körperlicher Behinderung, Geisteskrankheit, Übergewicht (Fettleibigkeit). Armut ist für sie aber immer noch ziemlich uninteressant.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Zitat:
* subjective and lived experience is as, or more, important and valuable than testable and falsifiable externally-valid measures."

Dass gelebte und subjektive Erfahrungen wichtig sind, würde ich unterschrieben; wo ist das Problem?
Dass sie im "cultural socialism" dagegen wichtiger seien als überprüfbare Gegebenheiten, halte ich wiederum für Unterstellungen.


Der Rationalitäts- und Wissenschaftsskeptizismus der postmodernen Philosophie hat die Kultursozialisten (im Kaufmannschen Sinn) großteils zu ausgesprochenen Vernunft- und Wissenschaftsfeinden werden lassen. Die objektivistisch-universalistische Epistemologie der "positivistischen Wissenschaft" wird nicht länger anerkannt und durch eine subjektivistisch-partikularistische "Standpunktepistemologie" ersetzt, worin narratives of lived experience (of members of minorities/oppressed groups) [kein Zitat] die neuen Quellen epistemischer Autorität sind.
Außerdem ist das, was gemeinhin die Wissenschaft genannt wird, aus dieser Sicht überhaupt nichts weiter als ideologisch verseuchte "männliche weiße Wissenschaft".

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Insgesamt handelt es sich mMn nicht um eine sinnvolle Beschreibung realer Positionen oder Bewegungen, sondern im Wesentlichen um einen groß aufgebauten Strohmann, der gerade genug Bezug zur Realität hat, um zum Feindbildaufbau zu taugen. Also im Wesentlichen genau das, was ich seit Seite 1 des Threads über den "Wokeismus"-Begriff sage.


Nein, du hast unrecht! Sie mag unperfekt und stellenweise kritikwürdig sein, aber Kaufmanns Beschreibung der Wachen Linken geht an deren (theoretischer & praktischer) Realität nicht vorbei. Von einer Themaverfehlung und einem "groß aufgebauten Strohmann" kann jedenfalls keine Rede sein.

Den "Wokeismus" als eine Art von Sozialismus zu bezeichnen, scheint objektiv begründbar, wenngleich "Sozialismus" ein sehr dehnbarer Begriff ist. Statt von kulturellem Sozialismus spreche ich mittlerweile lieber von identitärem/minoritärem Sozialismus. Ein besserer Ismus fällt mir derzeit nicht ein.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Schließlich noch was zur Person: Du führst Eric Kaufmann als "Politologen" ein,…


Er ist ja auch einer!

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
…so als sei seine Beschreibung des "cultural socialism" im Wesentlichen aus "neutraler", unvoreingenommener, jedenfalls im Westlichen wissenschaftlich-methodischer Analyse des Gegenstandes erwachsen.

Das ist keineswegs der Fall. Kaufmann ist vielmehr selbst parteipolitisch bei Tory-Debatten engagiert und hält deren Führung für von "progressiven Eliten" bestimmt (die Führung der Tories!), sobald jemand vorsichtig bereit ist, von vom Obersten Gericht als rechtsstaatswidrig verworfenen Plänen zum Umgang mit Immigranten abzurücken.

Und er empfiehlt den Tories Ron de Santis als Vorbild. Ron de Santis, der in seinem Bundesstaat eine aktiv minderheitenfeindliche Politik macht, Rassismus und Sklaverei verharmlost, in die Angelegenheiten bis zur Personalpolitik von Universitäten eingreift, Schulbibliotheken von unerwünschten Büchern säubern lässt etc.pp. und insgesamt voll auf eine kulturkämpferisch-spalterische Politik setzt.

Sorry, aber so jemand taugt in gar keiner Weise als Quelle für sachliche Analyse, sondern es ist ganz klar, dass das, was er schreibt, Teil eines vom rechten Rand kommenden, anti-"woken" Kulturkampfes ist. (Und das ist kein ad hominem, denn es ist nun mal der politische Kontext seiner Aussagen bestätigt ja nur das, was ich oben bereits inhaltlich dargelegt habe.)
Und außerdem ist es offenkundig übelste Heuchelei, wenn sich so jemand als Hüter liberaler Prinzipien aufspielt und der Gegenseite vorwirft, sie sei gegen akademische Freiheiten und freie Meinungsäußerung.


(Politische Freunde von DeSantis oder Trump sind nicht meine politischen Freunde!)

Natürlich darf man Kaufmanns persönliche politische Ansichten hinterfragen; aber daraus dass er bestimmte eigene politische Ansichten hat und vertritt, die du nicht teilst, folgt nicht, dass er ein miserabler Politikwissenschaftler ist, der bei seiner Arbeit zu keinerlei Objektivität fähig (oder willens) ist, und deshalb "in gar keiner Weise als Quelle für sachliche Analyse [taugt]."

Mein Eindruck ist, dass du jedwede Charakterisierung & Kritisierung der Wachen Linken grundsätzlich ablehnst und als "strohmännisch" oder "verschwörerisch" verdammst, die von Leuten stammt, die nicht zu den Wachen Linken oder gar zu den Rechten gehören. Welche objektive Rechtfertigung gibt es denn für dieses Verhalten?!
(Bedenke, dass es unter Rechten wie unter Linken große Unterschiede gibt! Der demokratisch-liberale Konservatismus, wie ihn die CDU/CSU vertritt, ist vom Faschismus und Nationalsozialismus weit entfernt!)

#322:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 05:25
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Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

In dieser Diskussion über Wokeness haben alle Teilnehmer eine "Bringschuld"

Nein, natürlich nicht. Wenn jemand der Meinung ist, dass es den blöden Scheiß, von dem du die ganze Zeit laberst, noch nicht mal gibt, dann ist er auch nicht in der Bringschuld, diesen blöden Scheiß definieren, geschweige denn irgendwas inhaltlich über ihn sagen zu müssen außer das, dass es diesen blöden Scheiß eben nicht gibt, sondern er nur dein Gehirn vollstinkt. Meine Analogie mit der Gottesfrage ist hier eins zu eins übertragbar. Wenn du das bestreiten wolltest, hättest du Gegenteiliges nicht nur zu behaupten, sondern zu begründen. Auch zu deiner Behauptung, dass alle Teilnehmer gleichermaßen eine Bringschuld hätten, bist ganz allein du in der Bringschuld.


Wenn jemand ernsthaft behauptet, dass die Wache Linke nichts weiter als eine Fiktion sei, dann ist er blind und bekommt von der politischen Realität nichts mit!
Ist für dich die Neue Linke der 60er/70er auch nichts weiter als eine Fiktion? (Das ist nämlich die Vorgängerin der Wachen Linken, die ich bereits mehrmals alternativ als "Neue Neue Linke" bezeichnet habe.)

Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Myron hat folgendes geschrieben:
Gemach! Unter "versklavenden Verhältnissen" versteht Horkheimer keineswegs nur Sklaverei im engeren Sinn als leibeigene Knechtschaft, sondern im weiteren Sinn dasselbe wie Marx im obigen Zitat. Für die Sozialisten ist die Abschaffung der Sklaverei im engeren Sinn eine notwendige, aber noch lange keine hinreichende Bedingung für eine vollständige Emanzipation des Menschen von allen Verhältnissen, die im weiteren Sinn versklavend sind, d.h. unterdrückend, erniedrigend, ausbeutend, benachteiligend.

Erstmal: Hältst du es eigentlich nicht für ein wenig vermessen, einen Sozialisten, der seine Dissertation über Freiheitsbegriffe im Marxismus geschrieben hat, darüber belehren zu wollen, was "die Sozialisten" über Sklaverei denken?…


Dein akademischer Titel in Ehren—aber dein Einwand ist albern, weil es doch offensichtlich ist, dass Horkheimer in seinem Text von 1937 nicht (nur) die weltweite Abschaffung der Sklaverei im alten rechtlichen Sinn fordert. Der Lohnarbeiter im Kapitalismus—der die Möglichkeit hat, seine Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt frei anzubieten und zu verkaufen—ist weder ein Sklave im Sinne eines Leibeigenen noch ein abhängiger Untertan wie zu Zeiten des Feudalismus. Nichtsdestoweniger bleiben die ökonomischen Verhältnisse im Kapitalismus aus marxistischer Sicht weiterhin in anderer Weise "versklavend", oder etwa nicht? Falls nicht, weshalb wollen die Marxisten den Kapitalismus dann abschaffen?

Aus der neomarxistischen Sicht der Frankfurter Schule und der Neuen Linken gibt es im gesamten soziokulturellen Bereich weitere versklavende Verhältnisse, "in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist" (Marx)—auch wenn er sich dessen gar nicht bewusst ist (Stichwort falsches Bewusstsein).

Zitat:
"Kritische Theorie zielt "auf die Emanzipation des Menschen aus versklavenden Verhältnissen" ab (Horkheimer…). Die Rede von Versklavung lässt sich seit Marx zur Rede von ökonomischen Verhältnissen, die die ihnen Unterworfenen versklaven, spezifizieren, da offenbar von der Organisation der Wirtschaft der Gesellschaft mehr als von der Organisation anderer Bereiche des sozialen Lebens die "vernünftige Verfassung der Gesellschaft" abhängt und von dieser wiederum die "freie Entwicklung der Individuen". Der Bezugsbereich der kritischen Theorie ist das gesellschaftliche Leben in allen seinen Äußerungen (kritische Theorie der Gesellschaft), aber eine Teiltheorie der kritischen Theorie wird spezifisch eine kritische Theorie der Wirtschaft der Gesellschaft (kritische Theorie der Ökonomie) sein."

(Kettner, Matthias. "Kritische Theorie und die Modernisierung des moralischen Engagements." In Modelle kritischer Gesellschaftstheorie: Traditionen und Perspektiven der Kritischen Theorie, hrsg. v. Alex Demirovic, 77-100. Stuttgart: Metzler, 2003. S. 79)


Wenn die Wachen Linken heutzutage von "strukturellem Rassismus" und "strukturellem Sexismus" sprechen, dann sind das Paradebeispiele für aus ihrer Sicht versklavende (unfrei machende) Gesellschaftsverhältnisse, von denen sie die Betroffenen befreien wollen.

Zitat:
"I believe that nobody is free in this society. Nobody."

(Marcuse, Herbert. "Marcuse Defines His New Left Line." 1968. In Collected Papers of Herbert Marcuse, Vol. 3: The New Left and the 1960s, edited by Douglas Kellner, 100-117. Abingdon: Routledge, 2005. p. 112)

#323: Re: Zurück zur GWUP Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 06:49
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Hobbyphilosoph hat folgendes geschrieben:
Die politische Frage dazu ist: Wie kommen wir in diesem Sinne voran? Es gibt eine Vielzahl von Strategien, aber ganz grob gesagt wird häufig zwischen "universalistischen" (-> Aufklärung) und "links-identitären" (-> Woke, in der aktuell verbreiteten Bedeutung) Ansätzen unterschieden. Über den zugehörigen Streit, der vor allem im politisch linken Milieu ausgetragen wird, sind mittlerweile etliche Bücher geschrieben worden…


Wie seltsam, wo es die Wache Linke (die identitäre Linke) laut Tarvoc doch gar nicht gibt! zwinkern

Hobbyphilosoph hat folgendes geschrieben:
Skeptiker als solche schauen sich ja (Gerüchten zufolge zwinkern) alles sehr genau an. Der Verein mag politisch neutral sein, aber die zugrunde liegenden Philosophien sind keine Politik. Bei näherer Betrachtung der Critical Studies wird ihre Herkunft aus dem Postmodernismus deutlich. Und damit liegt die Sollbruchstelle blank: Die GWUP fühlt sich der Wissenschaft verpflichtet, aber für den Postmodernismus gibt es keine objektive Realität, die Wissenschaft wird nur als eine Weltsicht unter vielen gesehen und dient im Zweifel dem Machterhalt der herrschenden Elite…


Ja, die woke Geringschätzung oder gar Verachtung der Wissenschaft (als bloß "männliche weiße Wissenschaft") haben wir dem postmodernistischen Einfluss zu verdanken; aber es gibt nicht nur den einen Postmodernismus, sondern mehrere Postmodernismen, d.h. eine ganze Reihe verschiedener Theoretiker/innen mit verschiedenen Theorien, die zum Postmodernismus gezählt werden.

Welcher Denker/Welche Denkerin, die gewöhnlich zu den Postmodernen gezählt wird, leugnet tatsächlich das Vorhandensein einer objektiven (nichtgeistigen oder nichtsprachlichen) Realität und ist damit ein psychologischer oder "glossologischer" (linguistischer) Idealist?

Jacques Derrida vielleicht mit seiner berühmt-berüchtigten Aussage, dass es nichts außerhalb des Textes gebe? Reduziert er die ganze Welt ontologisch auf sprachliche Texte, auf Sätze, Wörter, Buchstaben? Wenn man Folgendes liest, dann ist dies nicht der Fall. Denn er sagt, er meine lediglich, dass nichts außerhalb von Kontexten (bzw. Strukturen) existiere, was in der Tat nicht bedeutet, dass nichts außerhalb linguistischer Texte existiert.

Zitat:
"The phrase which for some has become a sort of slogan, in general so badly understood, of deconstruction ("there is nothing outside the text" [il n'y a pas de hors-texte]), means nothing else: there is nothing outside context. In this form, which says exactly the same thing, the formula would doubtless have been less shocking. I am not certain that it would have provided more to think about."

(Derrida, Jacques. Limited Inc. Translated by Samuel Weber. Evanston, IL: Northwestern University Press, 1988. p. 136)

"What I call "text" implies all the structures called "real," "economic," "historical," socio-institutional, in short: all possible referents. Another way of recalling once again that "there is nothing outside the text." That does not mean that all referents are suspended, denied, or enclosed in a book, as people have claimed, or have been naive enough to believe and to have accused me of believing. But it does mean that every referent, all reality has the structure of a differential trace, and that one cannot refer to this "real" except in an interpretive experience. The latter neither yields meaning nor assumes it except in a movement of differential referring. That's all."

(Derrida, Jacques. Limited Inc. Translated by Samuel Weber. Evanston, IL: Northwestern University Press, 1988. p. 148)

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"Derrida does not claim that we are trapped in language or that all experience is linguistic (whatever that could possibly mean). Derrida never denies the reality of the real world or the possibility of reference. He merely wants to give an account of what our everyday understanding of the “real” presupposes, and attempt to describe the “real” differently. When physicists argue that material objects are in fact immaterial waves of energy or subatomic articles spinning around in a vacuum, they do not deny the reality of the material world. They merely attempt to redescribe how we think about the “material” in a description that they believe to be more comprehensive and useful.

Similarly, Derrida never denies the “real world”, or “facts”, or “objectivity”. Like the physicists, he attempts to redescribe these concepts in a more comprehensive and useful manner. His point is just that their meaning is always determined according to a determinate context."

(Dooley, Mark, and Liam Kavanagh. The Philosophy of Derrida. Stocksfield: Acumen, 2007. p. 56)


Hochinteressant sind auch die folgenden allgemeinen kritischen Aussagen von Richard Rorty über den Postmodernismus, der selbst als einer von dessen Hauptvertretern gilt (sowie als der Hauptvertreter des Neopragmatismus). Wenn jemand wie er nicht genau weiß, was der Postmodernismus eigentlich ist, wer soll es dann wissen?

Zitat:
"The word 'postmodernism' has been rendered almost meaningless by being used to mean so many different things. If you read a random dozen out of the thousands of books whose titles contain the word 'postmodern', you will encounter at least half a dozen widely differing definitions of that adjective. I have often urged that we would be better off without it – that the word is simply too fuzzy to convey anything."

(Rorty, Richard. Philosophy and Social Hope. New York: Penguin, 1999. p. 262)

"I've never known what the term 'postmodern' means."

(Rorty, Richard. In: Richard Rorty & John Searle. "Rorty v. Searle, At Last: A Debate." Logos 2/3 (1999): 20–67. p. 46)

"I cannot find any good use for the term postmodernism. Lyotard’s book The Postmodern Condition did not succeed in giving the term a useful sense, nor have later attempts. If one reads ten books with postmodern in the title one will emerge with at least five or six different meanings for that flexible term. I would prefer to talk about Foucault, Derrida, and the rest individually, rather than trying to lump them together as representatives of something called postmodern philosophy. I have no idea what is supposed to make a painting, or a novel, or a political attitude, "postmodern"."

(Rorty, Richard. "On Philosophy and Politics." Interview by Chronis Polychroniou. In Take Care of Freedom and Truth Will Take Care of Itself: Interviews with Richard Rorty, edited by Eduardo Mendieta, 89-103. Stanford, CA: Stanford University Press, 2006. p. 95)

"Heidegger and Derrida are often referred to as "postmodern" philosophers. I have sometimes used "postmodern" myself, in the rather narrow sense defined by Lyotard as "distrust of metanarratives." But I now wish that I had not. The term has been so over-used that it is causing more trouble than it is worth. I have given up on the attempt to find something common to Michael Graves's buildings, Pynchon's and Rushdie's novels, Ashberry's poems, various sorts of popular music, and the writings of Heidegger and Derrida. I have become more hesitant about attempts to periodize culture—to describe every part of a culture as suddenly swerving off in the same new direction at approximately the same time. Dramatic narratives may well be, as MacIntyre has suggested, essential to the writing of intellectual history. But it seems safer and more useful to periodize and dramatize each discipline or genre separately, rather than trying to think of them all as swept up together in massive sea changes."

(Rorty, Richard. Introduction to Essays on Heidegger and Others: Philosophical Papers, Vol. 2, 1-6. New York: Cambridge University, 1991. p. 1)

"I am not fond of the term “postmodernism”[.]"

(Rorty, Richard. "Feminism and Pragmatism." 1991. Reprinted in Truth and Progress: Philosophical Papers, Vol. 3, 202-227. New York: Cambridge University Press, 1998. p. 210n18)

#324: Re: Zurück zur GWUP Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 07:06
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Hochinteressant sind auch die folgenden allgemeinen kritischen Aussagen von Richard Rorty über den Postmodernismus, der selbst als einer von dessen Hauptvertretern gilt (sowie als der Hauptvertreter des Neopragmatismus). Wenn jemand wie er nicht genau weiß, was der Postmodernismus eigentlich ist, wer soll es dann wissen?

Zitat:
"I cannot find any good use for the term postmodernism. Lyotard’s book The Postmodern Condition did not succeed in giving the term a useful sense, nor have later attempts. If one reads ten books with postmodern in the title one will emerge with at least five or six different meanings for that flexible term. I would prefer to talk about Foucault, Derrida, and the rest individually, rather than trying to lump them together as representatives of something called postmodern philosophy. I have no idea what is supposed to make a painting, or a novel, or a political attitude, "postmodern"."

(Rorty, Richard. "On Philosophy and Politics." Interview by Chronis Polychroniou. In Take Care of Freedom and Truth Will Take Care of Itself: Interviews with Richard Rorty, edited by Eduardo Mendieta, 89-103. Stanford, CA: Stanford University Press, 2006. p. 95)


Es ergibt auch Sinn, den Postmodernismus in einzelne Themen aufzudröseln:

* Antiabsolutismus (Relativismus/Kontextualismus)
* Antibinarismus
* Antiessenzialismus
* Antifundamentalismus (epistemologisch, methodologisch, ethisch)
* Antihumanismus
* Antimonismus (Pluralismus)
* Antineutralismus
* Antinezessitarismus (Kontingentismus)
* Antiobjektivismus (Subjektivismus)
* Antiokzidentalismus
* Antipositivismus
* Antirationalismus (Antilogozentrismus)
* Antirealismus (sozialer/linguistischer Konstruktionismus)
* Antirepräsentationalismus
* Antiszientismus
* Antiuniversalismus (Partikularismus)
* Poststrukturalismus
* Eklektizismus/Polystilismus
* Ironismus (Rorty)
* Nihilismus
* Pessimismus
* Skeptizismus

#325:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 07:19
    —
Wer mehr über die Postmodernisten und ihre Themen erfahren will:
[Sorry, ist wieder auf Englisch; aber eine derart informative Übersicht habe ich in keinem deutschsprachigen Fachbuch gefunden!]:

Zitat:
"Who Are These ‘Postmodernists’?

The list of scholars whose works are – directly or indirectly, explicitly or implicitly, rightly or wrongly – associated with the rise of postmodern thought is long. In alphabetical order, we may mention the following scholars who – in many cases, contrary to their will, or, in some cases, posthumously and, hence, without their knowledge – appear to have played a noticeable role in the construction and development of postmodern thought:

Perry Anderson (1938–), Jean Baudrillard (1929–2007), Zygmunt Bauman (1925–), Steven Best (1955–), Judith Butler (1956–), Gilles Deleuze (1925–95), Jacques Derrida (1930–2004), Mike Featherstone (1946–), Michel Foucault (1926–1984), Francis Fukuyama (1952–), Félix Guattari (1930–92), Donna J. Haraway (1944–), Sandra Harding (1935–), Nancy Hartsock (1943–2015), David Harvey (1935–), Ihab H. Hassan (1925–), Martin Heidegger (1889–1976), Ágnes Heller (1929–), Linda Hutcheon (1947–), Andreas Huyssen (1942–), Luce Irigaray (1932–), Fredric Jameson (1934–), Keith Jenkins (1943–), Douglas Kellner (1943–), Ernesto Laclau (1935–2014), Scott Lash (1945–), Bruno Latour (1947–), David Lyon (1948–), Jean-François Lyotard (1924–98 ), Michel Maffesoli (1944–), Doreen Massey (1944–), Chantal Mouffe (1943–), Linda J. Nicholson (1947–), Friedrich Nietzsche (1844–1900), Richard Rorty (1931–2007), Steven Seidman (1948–), Hugh J. Silverman (1945–), Edward Soja (1940–), Keith Tester (1960–), John Urry (1946–), Gianni Vattimo (1936–), Robert Venturi (1925–), Wolfgang Welsch (1946–), Ludwig Wittgenstein (i.e. the later Wittgenstein) (1889–1951), Iris Marion Young (1949–2006), and Slavoj Žižek (1949–).

Of course, the above list is necessarily selective and, thus, not exhaustive."

(Susen, Simon. The ‘Postmodern Turn’ in the Social Sciences. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2015. pp. 22-3)

——————

"One can classify the scholars whose works are associated with the ‘postmodern turn’ in terms of their discursive positioning. (a) Posthumous and unwitting participants are those scholars whose works began to be linked to postmodern thought long after their death. (b) Reluctant and non-proselytizing participants are those thinkers who do not explicitly identify with the label ‘postmodern’, or – in some cases – even reject it, but whose works are nevertheless associated with this term. (c) Moderate sympathizers are those theorists who, while they do not necessarily proclaim the advent of postmodernity or of the ‘postmodern turn’, endorse the postmodern project, no matter how vaguely defined. (d) Enthusiastic supporters and contributors are those who explicitly advocate, and actively participate in, the creation of a postmodern paradigm and the construction of a postmodern society. According to this categorization, it is possible to classify the scholars whose works are associated with the ‘postmodern turn’ as follows:

* posthumous and unwitting participants (e.g. Heidegger, Nietzsche, Wittgenstein);
* reluctant and non-proselytizing participants (e.g. Butler, Deleuze, Derrida, Foucault, Fukuyama, Guattari, Harvey, Heller, Irigaray, Jameson, Laclau, Latour, Massey, Mouffe, Rorty, Urry, Young);
* moderate sympathizers (e.g. Anderson, Baudrillard, Bauman, Best, Haraway, Harding, Hartsock, Hutcheon, Huyssen, Kellner, Lash, Lyon, Maffesoli, Tester, Vattimo, Venturi, Welsch, Žižek);
* enthusiastic supporters and contributors (e.g. Featherstone, Hassan, Lyotard, Jenkins, Lyotard, Nicholson, Seidman, Silverman, Soja).

What is noticeable when considering the above classification is the following: although there are only a handful of posthumous and unwitting participants, given that they are widely regarded as ‘classical figures’ of Western intellectual thought, their works are of canonical significance to the postmodern project. Furthermore, the vast majority of thinkers whose writings are linked to the ‘postmodern turn’ can be described either as reluctant and non-proselytizing participants or as moderate sympathizers. Ironically, then, the principal intellectual figures whose names are associated with postmodern thought do not unambiguously identify with this label. Critics may legitimately argue that, in this light, the ‘postmodern turn’ is a project that lacks explicit, strong, and widespread support among those who are considered to be key representatives of its intellectual spirit. It comes as no surprise, therefore, that self-declared, open, and whole-hearted supporters of the ‘postmodern turn’ represent a clear minority."

(Susen, Simon. The ‘Postmodern Turn’ in the Social Sciences. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2015. pp. 26-7)

——————

"More controversially, one can classify – and, indeed, rank – the scholars whose works are associated with the ‘postmodern turn’ in terms of their intellectual influence:

* highly influential (established ‘classics’, ‘paradigm inventors’, and ‘game changers’) (e.g. Foucault, Heidegger, Nietzsche, later Wittgenstein);
* very influential (very prominent contemporary scholars) (e.g. Anderson, Baudrillard, Bauman, Butler, Deleuze, Derrida, Fukuyama, Guattari, Jameson, Laclau, Latour, Lyotard, Maffesoli, Mouffe, Rorty, Žižek);
* influential (prominent contemporary scholars) (e.g. Best, Featherstone, Haraway, Harding, Hartsock, Harvey, Hassan, Heller, Hutcheon, Huyssen, Irigaray, Jenkins, Kellner, Lash, Lyon, Massey, Nicholson, Seidman, Silverman, Soja, Tester, Urry, Vattimo, Venturi, Welsch, Young).

Surely, league tables aimed at capturing the impact of particular scholars in academic fields and subfields are not only contentious and relatively arbitrary, but also potentially dangerous and counterproductive. If we are willing to accept, however, that – for the right or the wrong reasons – some intellectual figures are, overall, more influential than others, then we are confronted with a striking phenomenon when examining the wider significance of scholars whose works are associated with postmodern thought: only some of them may be characterized as ‘pioneering’ early modern or modern thinkers; quite a few of them may be conceived of as ‘pioneering’ late modern or postmodern thinkers; yet, a noticeably large proportion of postmodern advocates and sympathizers can be classified as influential ‘commentators’ and ‘recyclers’, rather than as ‘paradigm inventors’, within contemporary intellectual disputes."

(Susen, Simon. The ‘Postmodern Turn’ in the Social Sciences. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2015. p. 31)

——————

"One can classify the scholars whose works are associated with the ‘postmodern turn’ in terms of their oppositional attitude(s):

* the critique of anthropocentrism (e.g. Best, Foucault, Latour, Lyotard);
* the critique of binaries (e.g. Butler, Foucault, Haraway, Hartsock, Irigaray, Latour, Nicholson, Rorty, Young);
* the critique of (and a certain fascination with) consumer capitalism (e.g. Best, Featherstone, Harvey, Jameson, Kellner, Lash, Tester, Urry);
* the critique of disciplinary power and surveillance (e.g. Foucault, Lyon);
* the critique of essentialism (e.g. Butler, Deleuze, Derrida, Foucault, Guattari, Haraway, Harding, Hartsock, Irigaray, Mouffe, Nietzsche, Seidman, Young);
* the critique of foundationalism (e.g. Butler, Foucault, Latour, Nietzsche, Rorty, Seidman, Silverman, Young, Žižek);
* the critique of heteronormativity (e.g. Butler, Foucault, Haraway, Harding, Hartsock, Irigaray, Nicholson, Seidman, Young);
* the critique of logocentrism and representationalism (e.g. Derrida, later Wittgenstein);
* the critique of metanarratives (e.g. Lyotard, Seidman);
* the critique of metaphysics (e.g. Heidegger);
* the critique of modern reason (e.g. Foucault, Guattari, Heidegger, Lyotard, Nietzsche, Rorty, Seidman, Silverman);
* the critique of modernity (e.g. Bauman, Foucault, Hassan, Heidegger, Hutcheon, Huyssen, Lyotard, Maffesoli, Seidman, Tester, Vattimo, Venturi, Welsch, Žižek);
* the critique of orthodox Marxism (e.g. Anderson, Deleuze, Foucault, Fukuyama, Guattari, Harvey, Heller, Jameson, Kellner, Laclau, Lash, Lyotard, Massey, Mouffe);
* the critique of traditional notions of sociality (e.g. Maffesoli, Seidman);
* the critique of teleologism (e.g. Foucault, Fukuyama, Jenkins, Laclau, Lyotard, Mouffe, Nietzsche, Seidman, Silverman, Welsch);
* the critique of the instrumental organization of space (e.g. Harvey, Massey, Soja, Venturi).
* the critique of the political economy of the sign (e.g. Baudrillard);
* the critique of the subject (e.g. Foucault, Heidegger, Laclau, Latour, Lyotard, Mouffe, Nietzsche, Rorty, Seidman, Silverman, Žižek).

As illustrated in the above list, the cultivation of an eclectically minded ‘oppositional attitude’ is crucial to the ‘postmodern spirit’. In this sense, the postmodern endeavour is an attempt to break away from the canonical presuppositions of Enlightenment thought. While the opposition to orthodox Marxism is vital to the ‘postmodern spirit’, it is striking that most Francophone thinkers whose writings are brought into connection with the postmodern project come – both politically and intellectually – from a Marxist tradition and are, as a result, often described as ‘post-Marxists’. Of course, as demonstrated above, the subversive nature of postmodern thought has many facets. Its opposition to the grand narrative of ‘scientific socialism’, however, is particularly important for the following reason: it indicates that the crisis of Marxism and the rise of postmodernism, in the early 1990s, historically coincide."

(Susen, Simon. The ‘Postmodern Turn’ in the Social Sciences. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2015. pp. 27-8 )

#326:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 07:29
    —
Hier ist eine Namensliste aus dem Buch Fifty Key Postmodern Thinkers, die allerdings nicht nur Philosophen enthält, sondern auch Schriftsteller wie Paul Auster, Komponisten wie Philip Glass (Hä?), Filmregisseure wie Quentin Tarrantino (Hä?), und Künstler wie Cindy Sherman.

Zitat:
"1 Theodor W. Adorno (1903–69)
2 Paul Auster (b. 1947)
3 John Barth (b. 1930)
4 Roland Barthes (1915–80)
5 Jean Baudrillard (1929–2007)
6 Zygmunt Bauman (b. 1925)
7 Daniel Bell (1919–2011)
8 Homi K. Bhabha (b. 1949)
9 Nicolas Bourriaud (b. 1965)
10 Judith Butler (b. 1956)
11 John D. Caputo (b. 1940)
12 Hélène Cixous (b. 1937)
13 Guy Debord (1931–94)
14 Gilles Deleuze (1925–95)
15 Félix Guattari (1930–92)
16 Jacques Derrida (1930–2004)
17 Umberto Eco (b. 1932)
18 Paul K. Feyerabend (1924–94)
19 Michel Foucault (1926–84)
20 Clifford Geertz (1926–2006)
21 Kenneth J. Gergen (b. 1935)
22 William Gibson (b. 1948)
23 Philip Glass (b. 1937)
24 Stephen Greenblatt (b. 1937)
25 Peter Halley (b. 1953)
26 Donna J. Haraway (b. 1944)
27 David Harvey (b. 1935)
28 Linda Hutcheon (b. 1947)
29 Luce Irigaray (b. 1930)
30 Fredric Jameson (b. 1934)
31 Charles Jencks (b. 1939)
32 Rem Koolhaas (b. 1944)
33 Thomas S. Kuhn (1922–96)
34 Ernesto Laclau (b. 1935)
35 Chantal Mouffe (b. 1943)
36 David Lynch (b. 1946)
37 Jean-François Lyotard (1924–98 )
38 Brian McHale (b. 1954)
39 Benoit B. Mandelbrot (1924–2010)
40 Steve Reich (b. 1936)
41 Richard Rorty (1931–2007)
42 Edward W. Said (1935–2003)
43 Cindy Sherman (b. 1954)
44 Gayatri Chakravorty Spivak (b. 1941)
45 Quentin Tarantino (b. 1963)
46 René Thom (1923–2002)
47 Robert Venturi (b. 1925)
48 Graham Ward (b. 1955)
49 Hayden White (b. 1928)
50 Slavoj Žižek (b. 1949)"

(Sim, Stuart. Fifty Key Postmodern Thinkers. Abingdon: Routledge, 2013. pp. vi-vii)

#327:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 07:36
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Hier ist eine Namensliste aus dem Buch Fifty Key Postmodern Thinkers, die allerdings nicht nur Philosophen enthält, sondern auch Schriftsteller wie Paul Auster, Komponisten wie Philip Glass (Hä?), Filmregisseure wie Quentin Tarrantino (Hä?), und Künstler wie Cindy Sherman.

Zitat:
"…
18 Paul K. Feyerabend (1924–94)
…"

(Sim, Stuart. Fifty Key Postmodern Thinkers. Abingdon: Routledge, 2013. pp. vi-vii)


Es ist seltsam, dass Simon Susen in seinem oben zitierten großartigen Buch Feyerabend nicht erwähnt. Ich weiß nicht, ob sich Feyerabend ("Mr. Anything goes") selbst als Postmodernist bezeichnet hat/hätte, aber in diesen Kontext scheint er hineinzugehören.

Paul Feyerabend: https://plato.stanford.edu/entries/feyerabend/

#328:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 09:09
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
Ich habe meine Bringschuld erbracht. In eigenen Worten. Ich habe mich dabei übrigens am Duden orientiert.

Den Begriff "Wache Linke" bzw "woke left" habe ich im Duden nicht gefunden. Ich weiß immer noch nicht, was das sein soll, wieso du mich da einsortieren willst. Du kannst also weiter über die Wache Linke schwadronieren, bei mir kommt dabei aber nichts verständliches an.


Ich will dich nirgendwo "einsortieren", solange ich gar nicht weiß, wie du politisch denkst; aber du hast dich selbst als "woke" bezeichnet, oder nicht?
Im DUDEN ist "woke" als "in hohem Maß politisch wach und engagiert gegen (insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung" definiert; aber diese Definition ist für unsere Debatte völlig ungenügend und ungeeignet, weil sie viele Linke "verwokt", die nicht zur Woken Linken gehören (wollen).

jdf hat folgendes geschrieben:
Wenn du willst, dass du verstanden wirst, solltest du dich also verständlich machen. Wenn nicht, geht mir dein Geblubber auch Eimer vorbei.


Es ist ziemlich unverschämt, meine ernsthaften und wohlgemeinten Klärungsbemühungen als "Geblubber" abzutun! Wie wär's, wenn du deinen Intellekt etwas mehr anstrengtest?!

#329: Re: Zurück zur GWUP Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 09:36
    —
Hobbyphilosoph hat folgendes geschrieben:
Streng genommen sicher nicht. Aber es hilft!
Meine Aussage oben war natürlich sehr kurz und vereinfachend, und ich würde vermuten, dass unter Wissenschaftlern die Grundannahme einer "objektiven Realität, die bestimmten Gesetzen folgt und über die wir etwas lernen können" sehr weit verbreitet sein müsste, jedenfalls deutlich mehr als im Durchschnitt der Bevölkerung. Es ist darüber hinaus eine Grundannahme, die ziemlich zwanglos zur wissenschaftlichen Methodik passt.


Ontologische Idealisten, denen zufolge die Welt entweder nur aus immateriellen/mentalen Ideen oder aus immateriellen/mentalen Ideen + immateriellen/mentalen Substanzen besteht (wie in Berkeley's Welt), müssen keineswegs "Anomisten" sein, d.h. bestreiten, dass die Abfolge unserer sinnlichen Ideen (Empfindungen) bestimmten, wissenschaftlich erforschbaren und erkennbaren Gesetzen unterliegt.

In diesem Zusammenhang ist übrigens Searle's Unterscheidung von epistemischer/epistemologischer Objektivität/Subjektivität und ontischer/ontologischer Objektivität/Subjektivität wichtig—denn es kann epistemisch objektive Tatsachen (als wahre Aussagen/Gedanken) über ontisch subjektive Sachen geben:

Zitat:
"Ein großer Teil unserer Weltsicht beruht auf unserem Begriff der Objektivität und dem Kontrast zwischen dem Objektiven und dem Subjektiven. Bekanntlich ist diese Unterscheidung eine Sache des Grades, aber es wird seltener bemerkt, dass sowohl 'objektiv' wie 'subjektiv' verschiedene Bedeutungen haben. Für unsere gegenwärtige Diskussion sind zwei Bedeutungen entscheidend, ein epistemischer und ein ontologischer Sinn der Unterscheidung von objektiv-subjektiv. Epistemisch gesprochen sind 'objektiv' und 'subjektiv' primär Prädikate von Urteilen. Wir sprechen oft von Urteilen als 'subjektiv', wenn wir meinen, dass ihre Wahrheit oder Falschheit nicht 'objektiv' entschieden werden kann, weil Wahrheit oder Falschheit nicht einfach eine Tatsachenfrage ist, sondern von bestimmten Einstellungen, Gefühlen und Gesichtspunkten der Urteilenden und der Hörer des Urteils abhängt. Ein Beispiel für ein solches Urteil ist etwa 'Rembrandt ist ein größerer Künstler als Rubens'. In diesem Sinn von 'subjektiv' kontrastieren wir derartige subjektive Urteile mit objektiven Urteilen wie etwa dem Urteil 'Rembrandt lebte während des Jahres 1632 in Amsterdam'. Im Fall solcher Urteile sind die Tatsachen, die sie wahr oder falsch machen, von den Einstellungen oder Gefühlen beliebiger Menschen über sie unabhängig. In diesem epistemischen Sinn können wir nicht nur von objektiven Urteilen, sondern auch von objektiven Tatsachen sprechen. Den objektiv wahren Urteilen korrespondieren objektive Tatsachen. Es sollte aus diesen Beispielen deutlich geworden sein, dass der Kontrast zwischen epistemischer Objektivität und epistemischer Subjektivität eine Sache des Grades ist. Neben dem epistemischen Sinn der Unterscheidung von subjektiv und objektiv gibt es auch einen verwandten ontologischen Sinn. Im ontologischen Sinn sind 'objektiv' und 'subjektiv' Prädikate von Gegenständen und Gegenstandstypen, und zwar Zuschreibungen von Existenzarten. Im ontologischen Sinn sind Schmerzen subjektive Gebilde, weil ihre Existenzart darauf beruht, dass sie von Subjekten gefühlt werden. Aber im Gegensatz zu Schmerzen sind zum Beispiel Berge ontologisch objektiv, weil ihre Existenzart unabhängig von einem Wahrnehmenden oder überhaupt einem geistigen Zustand ist. Wir können den Unterschied zwischen diesen Unterschieden deutlich sehen, wenn wir über die Tatsache nachdenken, dass wir epistemisch subjektive Feststellungen über Gegenstände treffen können, die ontologisch objektiv sind, und ganz ähnlich, dass wir epistemisch objektive Feststellungen über Gegenstände treffen können, die ontologisch subjektiv sind. Zum Beispiel handelt die Aussage 'Der Mt. Everest ist schöner als der Mt. Whitney' von ontologisch objektiven Gegenständen, trifft aber ein subjektives Urteil. Andererseits berichtet die Aussage 'Ich empfinde jetzt einen Schmerz im unteren Teil meines Rückens' eine epistemisch objektive Tatsache in dem Sinn, dass sie durch die Existenz einer wirklichen Tatsache, die nicht von irgendeiner Haltung, Einstellung oder Meinung von Beobachtern abhängig ist, wahr gemacht wird. Das Phänomen selber freilich, der wirkliche Schmerz, hat eine subjektive Existenzart."

(Searle, John R. Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Übers. M. Suhr. Reinbek: Rowohlt, 1997. 17-19)

#330:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 09:48
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Der auf mich zutreffende Teil sollte aber nicht Teil der Definition von "Transphobie" sein, weil es völlig unangebracht und ungerechtfertigt ist, bereits das "Infragestellen oder Aberkennen der Geschlechtsidentität der betroffenen Personen" als transphobes Verhalten zu bezeichnen, wobei die ganze Formulierung der oben zitierten Definition verzerrend und irreführend ist. Denn es geht hier nicht um objektive Geschlechtsidentität (= das natürliche Geschlecht), sondern lediglich um subjektive Geschlechtsidentität (= geschlechtliche Selbstidentifikation), die in nichts weiter besteht als einem Gefühl, einem Glauben oder einer Behauptung. Was Gegner der woken Transgendertheorie in Frage oder Abrede stellen, ist nicht die psychologische Tatsache der subjektiven Geschlechtsidentität, sondern dass diese geschlechtsbestimmend ist—d.h. dass jede Person mit weiblicher subjektiver Geschlechtsidentität de facto eine Frau ist (und entsprechend auch de jure als Frau gelten soll).

Um dir mal zu zeigen, dass wir das alles schon mal hatten:…


Ja, hatten wir; und ich habe immer noch recht bei diesem Punkt!

#331:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 09:59
    —
jdf hat folgendes geschrieben:

Und du bringst hier exakt denselben Strohmann, der im Aufruf verwendet wird:…


Du hast unrecht, weil die Gendertheoretiker/innen nachweislich durch die Einführung des Genderbegriffs eine begriffliche Entbiologisierung/Entnaturalisierung des Geschlechts vollzogen haben. Gender ist schlicht und ergreifend keine biologische Kategorie! Das ist keine Extremposition innerhalb der Gendertheorie, sondern die Standardposition!

#332:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 10:13
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

In dieser Diskussion über Wokeness haben alle Teilnehmer eine "Bringschuld"

Nein, natürlich nicht. Wenn jemand der Meinung ist, dass es den blöden Scheiß, von dem du die ganze Zeit laberst, noch nicht mal gibt, dann ist er auch nicht in der Bringschuld, diesen blöden Scheiß definieren, geschweige denn irgendwas inhaltlich über ihn sagen zu müssen außer das, dass es diesen blöden Scheiß eben nicht gibt, sondern er nur dein Gehirn vollstinkt. Meine Analogie mit der Gottesfrage ist hier eins zu eins übertragbar. Wenn du das bestreiten wolltest, hättest du Gegenteiliges nicht nur zu behaupten, sondern zu begründen. Auch zu deiner Behauptung, dass alle Teilnehmer gleichermaßen eine Bringschuld hätten, bist ganz allein du in der Bringschuld.

Wenn jemand ernsthaft behauptet, dass die Wache Linke nichts weiter als eine Fiktion sei, dann ist er blind und bekommt von der politischen Realität nichts mit!

Fiktion? Es geht hier doch nicht darum, zu bestreiten, dass sich Linke heute oft für Identitätsfragen interessieren. tillich hat hier doch immer wieder davon gesprochen, dass er den Begriff der "woken Linken" als mystifizierende Vereinheitlichung völlig heterogener Personen, Ideen und Fragestellungen zurückweist, die z. T. kaum zusammenhängen und die man (außer in Fällen, wo sie tatsächlich nachweislich überlappen) auch gesondert zu betrachten hätte (das Beispiel mit der Maori-Lehre im Wissenschaftsbetrieb ist in diesem Punkt ja ganz exemplarisch). Wenn er das tut, dann ist er nicht in der Bringschuld, was die Definition des Begriffs angeht, weil er den Begriff als solchen für ill-defined hält und daher zurückweist. Man ist nun mal nicht verpflichtet, zur Definition eines Begriffs beizutragen, den man als solchen nicht teilt. Du bist ihm gegenüber in der Bringschuld, ihm plausibel zu machen, dass das überhaupt ein vernünftiger Begriff ist. Er ist nicht dir gegenüber in der Bringschuld, einen daraus vernünftigen Begriff zu machen.

Myron hat folgendes geschrieben:
Dein akademischer Titel in Ehren—aber dein Einwand ist albern, weil es doch offensichtlich ist, dass Horkheimer in seinem Text von 1937 nicht (nur) die weltweite Abschaffung der Sklaverei im alten rechtlichen Sinn fordert

Also weil Horkheimer offensichtlich etwas anderes meint als er sagt, ist mein "Einwand", dass er etwas anderes sagt als er meint und das ein Problem ist, albern? Am Kopf kratzen

Myron hat folgendes geschrieben:
Der Lohnarbeiter im Kapitalismus—der die Möglichkeit hat, seine Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt frei anzubieten und zu verkaufen—ist weder ein Sklave im Sinne eines Leibeigenen noch ein abhängiger Untertan wie zu Zeiten des Feudalismus. Nichtsdestoweniger bleiben die ökonomischen Verhältnisse im Kapitalismus aus marxistischer Sicht weiterhin in anderer Weise "versklavend", oder etwa nicht? Falls nicht, weshalb wollen die Marxisten den Kapitalismus dann abschaffen?

Ist dir mal in den Sinn gekommen, dass Sklaverei womöglich nicht die einzige mögliche Art problematischer ökonomischer Verhältnisse ist? Verhungern und verelenden kann man übrigens auch als freier Mensch. Überhaupt benutzen Marx und Engels für die Beschreibung der Notlage der Arbeiter sehr oft Worte wie "Elend" oder "Verarmung" (wobei damit nicht nur die unmittelbare materielle Verfügbarkeit von Ressourcen gemeint ist, sondern z. B. auch die Vereinseitigung der Ausbildung menschlicher Fähigkeiten). Ein anderer wichtiger Begriff auf der ökonomischen Ebene ist der der "Ausbeutung", der übrigens im Kapital Bd. 1 streng ökonomisch bestimmt wird. Das Lohnarbeitsverhältnis im Kapitalismus ist ein Ausbeutungsverhältnis, aber ein Ausbeutungsverhältnis anderer Art als die Sklaverei. Schon die Art, wie dabei Wert generiert und abgeschöpft wird, ist eine andere. Aber davon abgesehen ist die Ausbeutung der Lohnarbeit und die Lage und das Elend der Lohnarbeiter auch noch nicht mal das einzige Problem am Kapitalismus. Es gibt also durchaus Begrifflichkeiten jenseits des Sklavereibegriffs, mit denen sich gesellschaftliche und ökonomische Verhältnisse kritisieren lassen. Schon der von mir zitierte "kategorische Imperativ" Marxens enthält ja bereits eine ganze Reihe solcher Begriffe ("erniedrigtes, geknechtetes, verlassenes, verächtliches"). Tatsächlich passt, wenn du schon einen anachronistischen Begriff zur Kritik der Lohnarbeit verwenden willst, der der Knechtschaft sogar immer noch besser als der der Sklaverei.

Myron hat folgendes geschrieben:
Zitat:
"Kritische Theorie zielt "auf die Emanzipation des Menschen aus versklavenden Verhältnissen" ab (Horkheimer…). Die Rede von Versklavung lässt sich seit Marx zur Rede von ökonomischen Verhältnissen, die die ihnen Unterworfenen versklaven, spezifizieren, da offenbar von der Organisation der Wirtschaft der Gesellschaft mehr als von der Organisation anderer Bereiche des sozialen Lebens die "vernünftige Verfassung der Gesellschaft" abhängt und von dieser wiederum die "freie Entwicklung der Individuen". Der Bezugsbereich der kritischen Theorie ist das gesellschaftliche Leben in allen seinen Äußerungen (kritische Theorie der Gesellschaft), aber eine Teiltheorie der kritischen Theorie wird spezifisch eine kritische Theorie der Wirtschaft der Gesellschaft (kritische Theorie der Ökonomie) sein."

(Kettner, Matthias. "Kritische Theorie und die Modernisierung des moralischen Engagements." In Modelle kritischer Gesellschaftstheorie: Traditionen und Perspektiven der Kritischen Theorie, hrsg. v. Alex Demirovic, 77-100. Stuttgart: Metzler, 2003. S. 79)

Mein Gott, kann der Mann keine klaren Sätze strukturieren? Da muss man sich erstmal durch jeden Satz durchgraben, um zum Kern dessen zu kommen, was der Autor überhaupt sagen will. Also die Rede von der Versklavung lässt sich seit Marx (!) dahingehend spezifizieren (!!), dass die Sklaverei ein ökonomisches Verhältnis ist, in dem Menschen versklavt werden (abgesehen davon, dass das tautologisch ist: wo findet man das bei Marx?), weil von der Wirtschaft der Gesellschaft ihre vernünftige Verfassung abhängt (okay, aber wo ist der Zusammenhang zum Vorherigen?), und von der Vernunft wiederum die freie Entwicklung (ich nehme an, der Autor meint hier die Marxsche Forderung nach allseitiger Entfaltung der Fähigkeiten und Anlagen des Individuums und nicht bloß die Entwicklung zum freien Lohnarbeiter - das macht das Argument zumindest verständlich, wenn auch falsch, weil der Begriff, den Marx und Engels zu diesem Freiheitsbegriff in Opposition stellen, nicht der der Sklaverei, sondern der sehr viel weitere Begriff des Elends und der Verelendung ist). Der letzte Satz ist wieder eine Tautologie: Die kritische Theorie beschäftigt sich mit der ganzen Gesellschaft, "aber" (???) unter anderem auch spezifisch mit der Wirtschaft (die ein Aspekt bzw. eine "Äußerung" der Gesellschaft ist!). Die Tautologie würde verschwinden, wenn davon die Rede wäre, dass die kritische Theorie besonders einer Wirtschaftstheorie bedarf, weil ökonomische Verhältnisse andere Aspekte (oder "Äußerungen") der Gesellschaft in besonderem Maße strukturieren und daher zur kritischen Erklärung dieser nötig sind. Dieser Gedanke ist aber allerhöchstens angedeutet und so wie es da steht, muss der Leser erraten, dass das gemeint ist. Aber da du das Zitat an dieser Stelle abbrichst, kann ich natürlich nicht ausschließen, dass der Autor das im Folgenden näher ausführt.

#333: Re: Zurück zur GWUP Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 10:42
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Hochinteressant sind auch die folgenden allgemeinen kritischen Aussagen von Richard Rorty über den Postmodernismus, der selbst als einer von dessen Hauptvertretern gilt (sowie als der Hauptvertreter des Neopragmatismus). Wenn jemand wie er nicht genau weiß, was der Postmodernismus eigentlich ist, wer soll es dann wissen?
Zitat:
"The word 'postmodernism' has been rendered almost meaningless by being used to mean so many different things. [...] I would prefer to talk about Foucault, Derrida, and the rest individually, rather than trying to lump them together as representatives of something called postmodern philosophy.

Also wenn Rorty über den Begriff "Postmodernismus" sagt, dass der Begriff fast bedeutungslos ist, weil er für eine extreme Vielzahl völlig heterogener Dinge, Personen und Ansichten verwendet wird, dann ist das eine valide Kritik and Begriffsverwendungen und nicht eine Leugnung der Existenz dieser heterogenen Dinge, Personen und Ansichten, aber wenn tillich genau die selbe Kritik an deinem Begriff der "woken Linken" äußert, dann ist das deiner Meinung nach sehr wohl eine blinde, realitätswidrige Leugnung der Existenz all der völlig heterogenen Dinge, Personen und Ansichten, die unter diesen Begriff fallen sollen? Magst du uns diesen hermeneutischen Doppelstandard vielleicht einmal näher begründen?

((Übrigens muss ich dich korrigieren, was die Zuordnung Rortys angeht: Meines Wissens war seine Zuordnung zur Postmoderne immer nur eine Fremdzuordnung und nie eine Selbstzuschreibung. Insofern ist dein Hinweis, dass Rorty der Postmoderne zugeschrieben wird, in diesem Zusammenhang leicht irreführend. Meines Wissens ist der einzige Philosoph, der diesen Begriff überhaupt jemals als Selbstbezeichnung verwendet hat, Lyotard. Bei Bruno Latour bin ich mir gerade nicht ganz sicher. Aber sonst wüsste ich es nur von Lyotard.))

#334:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 10:53
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Wer gehört für dich zur Woken Linken und wer nicht? (Linkssein ist nicht dasselbe wie Wokesein!)

Schulterzucken

Mir ist das schon beim ersten Mal aufgefallen, ich hätte vielleicht gleich von Anfang an was dazu sagen sollen. Ich finde es extrem intellektuell unredlich von Myron, dass er vorgibt, sich für deinen eigenen Begriff der "woken Linken" zu interessieren, dir aber gleichzeitig schon im Voraus Vorschriften dazu machen will, wie deine Begriffsbildung gefälligst auszusehen habe. Ist das die "Bringschuld", von der er hier spricht: dass wir alle him doch bitte genau das zu "bringen" hätten, was ihm begrifflich und inhaltlich in den Kram passt?!

#335:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 11:00
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Ich weiß nicht, ob sich Feyerabend ("Mr. Anything goes") selbst als Postmodernist bezeichnet hat/hätte [...]

Da Feyerabend aus einem ganz anderen theoretischen Umfeld kommt als die Leute, die üblicherweise so bezeichnet werden (und schon gleich ganz als die wenigen, die sich selbst so nennen), würde ich das doch stark bezweifeln.

#336:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 12:00
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Wenn jemand ernsthaft behauptet, dass die Wache Linke nichts weiter als eine Fiktion sei, dann ist er blind und bekommt von der politischen Realität nichts mit!

Fiktion? Es geht hier doch nicht darum, zu bestreiten, dass sich Linke heute oft für Identitätsfragen interessieren. tillich hat hier doch immer wieder davon gesprochen, dass er den Begriff der "woken Linken" als mystifizierende Vereinheitlichung völlig heterogener Personen, Ideen und Fragestellungen zurückweist, die z. T. kaum zusammenhängen und die man (außer in Fällen, wo sie tatsächlich nachweislich überlappen) auch gesondert zu betrachten hätte (das Beispiel mit der Maori-Lehre im Wissenschaftsbetrieb ist in diesem Punkt ja ganz exemplarisch). Wenn er das tut, dann ist er nicht in der Bringschuld, was die Definition des Begriffs angeht, weil er den Begriff als solchen für ill-defined hält und daher zurückweist. Man ist nun mal nicht verpflichtet, zur Definition eines Begriffs beizutragen, den man als solchen nicht teilt. Du bist ihm gegenüber in der Bringschuld, ihm plausibel zu machen, dass das überhaupt ein vernünftiger Begriff ist. Er ist nicht dir gegenüber in der Bringschuld, einen daraus vernünftigen Begriff zu machen.


Wenn du die Realität der Wachen/Woken Linken nicht bestreitest, dir aber der Name missfällt, dann such dir doch einen der angebotenen Alternativbegriffe aus, worin "wach"/"woke" nicht vorkommt: "die Neue Neue Linke", "die identitäre/minoritäre Linke", "die radikale kulturelle Linke" (seit den 80ern/90ern als postmodern-postkoloniale, multikulturelle Linke).

Du darfst natürlich irgendeinen anderen Namen vorschlagen, falls du mit diesen auch nicht zufrieden bist. Ich würde dir dann mitteilen, ob mir dein Vorschlag zusagt.

Das Wichtigste ist, dass du endlich zugibst, dass wir von einem mehr oder weniger klar identifizierbaren, aber realen politischen Phänomen sprechen. Die Neue Linke als Vorläuferin der Wachen Linken ist, wie gesagt, auch kein einfaches und einheitliches politisches Phänomen; aber kein Politologe bestreitet, dass es die Neue Linke überhaupt gegeben hat. Wer behauptet, dass dieser Name keinerlei fassbaren Bezug in der Geschichte der Linken hat?!

Der Historiker John Diggins unterscheidet in seinem Buch The Rise and Fall of the American Left (1992) zwischen vier großen Phasen der amerikanischen Linken im 20. Jahrhundert:

1. "the Lyrical Left" (1910er-20er)
2. "the Old Left" (1930er-50er)
3. "the New Left" (1960er-70er)
4. "the Academic Left" (>~1975/80)

3 und 4 überlappen in den späten 70ern. Diggins' Academic Left entspricht weitgehend Rorty's Cultural Left, wobei Rorty diese schon bei der New Left in den späten 60ern beginnen lässt. Diggins' Old Left nennt er the Reformist Left.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Myron hat folgendes geschrieben:
Der Lohnarbeiter im Kapitalismus—der die Möglichkeit hat, seine Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt frei anzubieten und zu verkaufen—ist weder ein Sklave im Sinne eines Leibeigenen noch ein abhängiger Untertan wie zu Zeiten des Feudalismus. Nichtsdestoweniger bleiben die ökonomischen Verhältnisse im Kapitalismus aus marxistischer Sicht weiterhin in anderer Weise "versklavend", oder etwa nicht? Falls nicht, weshalb wollen die Marxisten den Kapitalismus dann abschaffen?

Ist dir mal in den Sinn gekommen, dass Sklaverei womöglich nicht die einzige mögliche Art problematischer ökonomischer Verhältnisse ist? Verhungern und verelenden kann man übrigens auch als freier Mensch.


Hä…? Genau davon habe ich doch gesprochen—dass Versklavung im erweiterten Horkheimerschen Sinn nicht dasselbe ist wie Sklaverei im ursprünglichen Sinn! Du kannst jenen Zustand allgemein Unfreimachung, Unterdrückung oder Ausbeutung nennen.


Zuletzt bearbeitet von Myron am 04.01.2024, 12:07, insgesamt einmal bearbeitet

#337:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 12:05
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn du die Realität der Wachen/Woken Linken nicht bestreitest, dir aber der Name missfällt [...]

Mir missfällt aber nicht der Name, sondern der Begriff. Der Unterschied zwischen Name und Begriff ist dir geläufig?

Manchmal habe ich das Gefühl, du verstehst die Kritik, die hier an dem Begriff geäußert wird, überhaupt nicht. Nochmal: Diese Kritik ist genau parallel zu Rortys Kritik am Begriff "Postmoderne", die du selbst hier zitiert hast.

Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ist dir mal in den Sinn gekommen, dass Sklaverei womöglich nicht die einzige mögliche Art problematischer ökonomischer Verhältnisse ist? Verhungern und verelenden kann man übrigens auch als freier Mensch.

Hä…? Genau davon habe ich doch gesprochen—dass Versklavung im erweiterten Horkheimerschen Sinn nicht dasselbe ist wie Sklaverei im ursprünglichen Sinn!

Verstehst du eigentlich nicht, dass diese Erweiterung des Sklavereibegriffs auf völlig andere Verhältnisse theoretisch gerechtfertigt werden muss?! Du tust so, als wäre diese Ausdehnung irgendwie das Selbstverständlichste auf der Welt und als müsste man das einfach kritiklos hinnehmen. Und genau das stelle ich in Frage.

#338:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 14:04
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ich finde es extrem intellektuell unredlich von Myron, dass er vorgibt, sich für deinen eigenen Begriff der "woken Linken" zu interessieren, dir aber gleichzeitig schon im Voraus Vorschriften dazu machen will, wie deine Begriffsbildung gefälligst auszusehen habe.

Jups. Und ob seiner fortgesetzten Unredlichkeit verliere ich so langsam meine Geduld. Ich werde von nun an gelegentlich Fragen in meine Beiträge einfügen, um Belege für diese Unredlichkeiten, die in diesem Forum bekanntlich verboten sind, zu sammeln.

#339:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 14:49
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Ich habe meine Bringschuld erbracht. In eigenen Worten. Ich habe mich dabei übrigens am Duden orientiert.

Den Begriff "Wache Linke" bzw "woke left" habe ich im Duden nicht gefunden. Ich weiß immer noch nicht, was das sein soll, wieso du mich da einsortieren willst. Du kannst also weiter über die Wache Linke schwadronieren, bei mir kommt dabei aber nichts verständliches an.


Ich will dich nirgendwo "einsortieren", solange ich gar nicht weiß, wie du politisch denkst; aber du hast dich selbst als "woke" bezeichnet, oder nicht?

Selbstverständlich bin ich woke. Und ich habe mich auch schon politisch verortet:

jdf hat folgendes geschrieben:
Ich, als Wokeist und Vertreter der extremen Mitte...



Myron hat folgendes geschrieben:
Im DUDEN ist "woke" als "in hohem Maß politisch wach und engagiert gegen (insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung" definiert; aber diese Definition ist für unsere Debatte völlig ungenügend und ungeeignet, weil sie viele Linke "verwokt", die nicht zur Woken Linken gehören (wollen).

Es ist ohne weiteres möglich, links und woke zu sein, ohne zur "Woken Linken" zu gehören, ansonsten würde ich für die "Woke Linke" als großgeschriebene konventionalisierte Bezeichnung ja wohl auch Definitionen oä finden können und müsste nicht auf dein Schwadronieren angewiesen sein.

Zitat:
Adjektive und Partizipien werden auch dann großgeschrieben, wenn sie Bestandteile von Berufsbezeichnungen, Dienststellungen oder Titeln oder von Klassifikationseinheiten der Botanik, der Zoologie oder von Fahrzeugtypen sind bzw. wenn sie innerhalb konventionalisierter Bezeichnungen auftreten.

https://de.wikipedia.org/wiki/Grossschreibung

Da ich nun aber keine Definitionen für die "Woke Linke" finde, frage ich dich: Stimmst du mir zu, dass die "Woke Linke" als konventionalisierte Bezeichnung gar nicht besteht, sondern bloß deine Erfindung ist?


Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Wenn du willst, dass du verstanden wirst, solltest du dich also verständlich machen. Wenn nicht, geht mir dein Geblubber auch Eimer vorbei.


Es ist ziemlich unverschämt, meine ernsthaften und wohlgemeinten Klärungsbemühungen als "Geblubber" abzutun! Wie wär's, wenn du deinen Intellekt etwas mehr anstrengtest?!

Falls du jemals meine Diskussionsweise verfolgt hättest, hättest du sehen können, dass meine Geduld, verschämt, ernsthaft und wohlmeinend zu diskutieren, endlich ist, wenn ich es mit unredlichen Diskutanten zu tun habe. Irgendwann kommt regelmäßig der Punkt, an dem ich beginne, unverschämt, sarkastisch und unfreundlich zu diskutieren. Dieser Punkt ist in den Diskussionen mit dir, Myron, nunmehr nicht das erste Mal erreicht.

#340:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 17:20
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
[...]

Um dir mal zu zeigen, dass wir das alles schon mal hatten:…

Ja, hatten wir; und ich habe immer noch recht bei diesem Punkt!

Allein, es fehlt die schlüssige Begründung für deine Behauptung.

Zentrales Merkmal transfeindlicher Argumentationen ist die Gegenüberstellung ausschließlich des biologischen Geschlechts mit der psychologischen geschlechtlichen Selbstidentifikation. Dabei wird das soziale Geschlecht absichtsvoll aus der Betrachtung ausgeschlossen.

Der Zweck dieses Vorgehens ist es, dem Phänomen der Transgeschlechtlichkeit die gesellschaftliche Komponente zu nehmen und die Transgeschlechtlichkeit als ein persönliches und psychologisches Problem der Betroffenen darzustellen, das damit nicht auf gesellschaftspolitischer Ebene zu behandeln ist sondern ausschließlich beim Arzt.


Und du, lieber Myron, machst das so:

Myron hat folgendes geschrieben:
Der auf mich zutreffende Teil sollte aber nicht Teil der Definition von "Transphobie" sein, weil es völlig unangebracht und ungerechtfertigt ist, bereits das "Infragestellen oder Aberkennen der Geschlechtsidentität der betroffenen Personen" als transphobes Verhalten zu bezeichnen, wobei die ganze Formulierung der oben zitierten Definition verzerrend und irreführend ist. Denn es geht hier nicht um objektive Geschlechtsidentität (= das natürliche Geschlecht), sondern lediglich um subjektive Geschlechtsidentität (= geschlechtliche Selbstidentifikation), die in nichts weiter besteht als einem Gefühl, einem Glauben oder einer Behauptung.

Du schließt das soziale Geschlecht aus der Betrachtung aus, indem du die Begriffe objektive Geschlechtsidentität (= das natürliche Geschlecht) und subjektive Geschlechtsidentität (= geschlechtliche Selbstidentifikation) gegenüberstellst. (Wobei schon der Begriff "natürliches Geschlecht" eine unklare Begriffsverwendung ist, aber geschenkt.) Und dabei die objektive Geschlechtsidentität mit dem natürlichen (oder biologischen(?)) Geschlecht in fälschlicher Weise gleichsetzt.

Denn eine objektive Identität beschränkt sich nicht nur auf natürliche (biologische) Eigenschaften:

Zitat:
Aus dieser sowohl historisch umfangreichen als auch disziplinär breiten Beschäftigung mit dem Gegenstand lässt sich erklären, warum „Identität“ terminologisch und definitorisch alles andere als leicht zu fassen ist: Termini wie „Rolle“, „Person“, „Selbst“, „Individuum“ oder „Ich“ werden z. T. synonym verwendet, z. T. für unterschiedliche Konzeptionen verwendet. „Identität“ ist (paradoxerweise) nicht gleich „Identität“.

Für die moderne Identitätsforschung ist die Frage zentral, wie Gruppen oder Individuen zu Antworten auf die Frage kommen, wer sie sind und worauf diese Selbstdefinitionen beruhen (vgl. Kresic, 2006: S. 62). Jörissen (2000) identifiziert drei Dimensionen, auf denen sich wissenschaftliche Identitätskonzeptionen verorten lassen:
1. „subjektive vs. objektive Identität“: Identitätskonzepte werden entweder im Bewusstsein von Personen oder aber „qua sozialer Position oder Lebenslage“ (ebd.: S. 16) verortet;

https://journals.ub.uni-koeln.de/index.php/k_ON/article/view/1570/1707

Sowie:

Zitat:
Diese objektive, sozusagen äußerlich sichtbare Identität basiert auf dem ‚Bauplan’, ist in den Genen begründet. Gleichwohl legt der ‚Genotyp’ den Phänotyp des Menschen nicht vollständig fest, weder seine Physiognomie noch seinen Charakter und seinen Verhaltensphänotyp.

Und die ‚objektive’ Identität beschränkt sich nicht auf körperliche Merkmale, sondern umfasst das gesamte Spektrum menschlicher Lebensäußerungen. Jeder Mensch bildet seinen ‚persönlichen Stil’ aus Unterricht[Schreibfehler?] tut alles, was er denkt, fühlt und wie der handelt, ‚auf seine Art’.

Dazu gehört u.a
• wie der Organismus funktioniert, ob man z.B. leicht friert,
• wie man sich bewegt und was einen bewegt,
• was einem gefällt, Vorlieben und Geschmack, was man gerne tut, worauf man ‚abfährt’,
• was man gut kann und welche Gewohnheiten man hat, also Kompetenzen und Fähigkeiten
• der individuelle Stil, die Kreativität, wie man sich selbst und seine Umwelt ‚gestaltet’,
• wie man sich ausdrückt und kommuniziert,
• worüber man sich so seine Gedanken macht und was einem wichtig und bedeutsam ist, woran man sich orientiert, etwa politische Überzeugungen und Religion,
• die Menschen, die einem wichtig sind, wie man seine sozialen Kontakte und sein soziales Leben gestaltet, und
• Die Kultur, vielleicht die Nation, der Fußballclub und die Musikgruppe, die man mag.

https://www.ph-heidelberg.de/fileadmin/wp/wp-klauss/Identit%C3%A4t_und_GB_Liebenau_2012.pdf

Damit ist deine Begründung für deine Zurückweisung des wiki-Artikels falsch, die Zurückweisung selbst mithin nichtig: Bereits das "Infragestellen oder Aberkennen der Geschlechtsidentität der betroffenen Personen" als transphobes Verhalten zu bezeichnen, bleibt angebracht und gerechtfertigt.

Du zeigst also transphobes Verhalten, sehe ich das richtig?


Myron hat folgendes geschrieben:
Was Gegner der woken Transgendertheorie in Frage oder Abrede stellen, ist nicht die psychologische Tatsache der subjektiven Geschlechtsidentität, sondern dass diese geschlechtsbestimmend ist—d.h. dass jede Person mit weiblicher subjektiver Geschlechtsidentität de facto eine Frau ist (und entsprechend auch de jure als Frau gelten soll).

Und den Gegnern der woken Transgendertheorie ist dabei keine absurde Gedankenakrobatik zu blöde, um ihr niederträchtiges Diskriminierungsverlangen ggü Staat und Gesellschaft zu begründen.

Doof dabei ist nur, dass manche diese absurde Gedankenakrobatik als solche benennen und die Anhänger der Transfeindlichkeit trotzdem transphob nennen.

Ich nenne dich transphob. Fuck your feelings! Deal with it. Cool

#341:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 17:32
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:

Und du bringst hier exakt denselben Strohmann, der im Aufruf verwendet wird:…

Du hast unrecht, weil die Gendertheoretiker/innen nachweislich durch die Einführung des Genderbegriffs eine begriffliche Entbiologisierung/Entnaturalisierung des Geschlechts vollzogen haben. Gender ist schlicht und ergreifend keine biologische Kategorie! Das ist keine Extremposition innerhalb der Gendertheorie, sondern die Standardposition!

Ich weise deinen Beitrag aufgrund unklarer Begriffsverwendung als Müll zurück:

jdf hat folgendes geschrieben:
Du und deine transphoben MitsteiterInnen erzeugen selbst durch vorsätzlich(!) unklare Begriffsverwendung genau jene konzeptionelle Unklarheit, die im zitierten Aufruf beklagt wird.

Daher verlange ich von dir von nun an, genau zu schreiben, wovon bei dir die Rede ist, wenn es ums Geschlecht geht: Nicht mehr "Geschlecht" sondern "biologisches Geschlecht" oder "juristisches Geschlecht" oder "soziales Geschlecht" oder was auch immer. Gleiches gilt selbstverständlich auch für Mann und Frau etc.

Aber du kannst es gern noch einmal versuchen. zwinkern


Und wenn du das tust, snippe bitte so, dass die Mitleser ohne Probleme verstehen können, auf welchen Teil meines Beitrags du tatsächlich antwortest:

jdf hat folgendes geschrieben:
Wenn es also tatsächlich Menschen geben sollte, die sagen, dass "Frauen und Männer nur soziale Konstrukte" seien, bzw "dass das Geschlecht eine rein psychologische oder soziologische Kategorie sei", dann ist das genau eine solche Extremposition, die als Strohmann benutzt wird und von denen ich hier unter Punkt 1 schrieb.

Ausrufezeichen

#342:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 20:50
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es nichts was gegen eine biologische Definition von Geschlecht spricht. Umgekehrt spricht aber auch nichts gegen eine rein psychologische Definition.

Einer meiner Lieblingsautoren hat sich zu diesem Thema eine Geschichte ausgedacht.

In der Bibel heißt es, Jonah wurde von einem Walfisch verschluckt. Ein Wal ist jedoch kein Fisch. Oder?


Slate Star Codex hat folgendes geschrieben:
The Categories were made for Man, not Man for the Categories
Scott Alexander, Nov 21, 2014

Nehmen wir an, du reist zurück ins alte Israel und versuchst, König Salomon zu erklären, dass Wale eine Art Säugetier und keine Fischart sind.

Dein Übersetzer ist nicht sehr gut, also hältst du inne, um Salomo "Fisch" und "Säugetier" zu erklären. Du erklärst ihm, dass Fische "Heringe, Barsche und Lachse sind" und Säugetiere "Kühe, Schafe und Schweine" sind. Salomo sagt dir, dass dein Wort "Fisch" auf Hebräisch dag und dein Wort "Säugetier" auf Hebräisch behemah ist.

Also versuchst du es noch einmal und sagst, dass ein Wal ein behemah ist und kein dag. Salomon lacht dich aus und sagt, du seist ein Idiot.

Du erklärst ihm, dass du kein Idiot bist, dass alle Arten von Tieren etwas haben, das man Gene nennt, und dass die Gene eines Wals denen der anderen behemah viel näher sind als denen des dag.

Salomon sagt, er habe noch nie etwas von diesen Genen gehört, und dass vielleicht die Genetik etwas mit euren seltsamen Fremdwörtern "Fisch" und "Säugetier" zu tun hat, aber dag sind nur Flossentiere, die im Meer schwimmen, und behemah sind nur vierbeinige Lebewesen, die auf der Erde laufen.

Du versuchst zu erklären, dass Salomon sich irrt, dass die dag nicht dadurch definiert sind, dass sie im Meer schwimmen und Flossen haben, sondern durch ihre Gene.

Salomon sagt, dass du das Wort "dag" vor zehn Minuten noch nicht kanntest, und jetzt glaubst du plötzlich, es besser zu kennen als er, der es sein ganzes Leben lang benutzt hat? "Wer ist gestorben damit du zu einem Experten für biblisches Hebräisch wurdest?"

https://slatestarcodex.com/2014/11/21/the-categories-were-made-for-man-not-man-for-the-categories/


Mir gefällt sowas. Daß Wörter unterschiedlich ausgelegt werden, war oben schon bei der segregation Thema. Viele Debatten fielen kürzer aus, wäre man hier etwas achtsamer.

Der Artikel ist viel länger, am Ende landet Scott beim Trans-Thema. Ich zitiere nichts, mein Thema ist ein anderes.


Babyface hat folgendes geschrieben:
Sowohl biologische als auch psychologische Tatsachen sind natürliche Tatsachen. Ein Primat des einen über das andere lässt sich nicht wissenschaftlich begründen, sondern könnte nur durch Konvention festgelegt werden.

Die Biologie, also die Genetik, bestimmt das endokrine System, das Gehirn, letztlich das Verhalten. Bei einem Frosch wirst du keine "elterliche Liebe" finden, bei Säugetieren schon. Das ist genetisch gesteuert. (Was nicht heißen soll, daß es keine schlechten Eltern geben kann.) In diesem Sinn läßt sich eine Hierarchie bilden, was Ursache und was Wirkung ist. Was nicht ausschließt, daß Psyche ein emergentes System mit eigenen Regeln ist, aber halt mit einem biologisch nudge, einem leichten Drall. Die Psyche hingegen wirkt auf die Gene nicht ein.


Babyface hat folgendes geschrieben:
Man kann folglich nicht widerspruchsfrei das eine Konzept wissenschaftsfeindlich nennen und das andere nicht.

Was hältst du von diesem Kriterium?

gender studies sind unwissenschaftlich, falls sich noch niemand in der Zunft Sarah Blaffer Hrdy angenommen hat. Hrdy schreibt in Mothers and Others darüber, wo psychologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern herkommen. Hrdy ist nur eins von vielen Beispielen, in denen etablierte Erkenntnisse - nicht zu Kenntnis genommen werden.

#343:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 22:42
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ich finde es extrem intellektuell unredlich von Myron, dass er vorgibt, sich für deinen eigenen Begriff der "woken Linken" zu interessieren, dir aber gleichzeitig schon im Voraus Vorschriften dazu machen will, wie deine Begriffsbildung gefälligst auszusehen habe.

Jups. Und ob seiner fortgesetzten Unredlichkeit verliere ich so langsam meine Geduld. Ich werde von nun an gelegentlich Fragen in meine Beiträge einfügen, um Belege für diese Unredlichkeiten, die in diesem Forum bekanntlich verboten sind, zu sammeln.


Wenn ihr in der Sache Fehldeutungen oder Irrtümer meinerseits aufzeigt, dann nehme ich das hin; aber was ich mir nicht gefallen lasse, ist der moralische Vorwurf der Unredlichkeit! Denn ich argumentiere hier nach bestem Wissen und Gewissen! (Unfehlbar bin ich natürlich nicht.)

#344:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.01.2024, 23:52
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
Allein, es fehlt die schlüssige Begründung für deine Behauptung.…


Meine Antwort findest du hier: https://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=2302305#2302305

#345:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 05.01.2024, 00:16
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn du die Realität der Wachen/Woken Linken nicht bestreitest, dir aber der Name missfällt [...]

Mir missfällt aber nicht der Name, sondern der Begriff. Der Unterschied zwischen Name und Begriff ist dir geläufig?

Manchmal habe ich das Gefühl, du verstehst die Kritik, die hier an dem Begriff geäußert wird, überhaupt nicht. Nochmal: Diese Kritik ist genau parallel zu Rortys Kritik am Begriff "Postmoderne", die du selbst hier zitiert hast.


Wenn Rorty recht hat mit seiner Behauptung, "that we would be better off without [the word 'postmodern(ism)']," weil "the word is simply too fuzzy to convey anything," dann müssten wir auch auf das Wort "modern(ism)" verzichten. Doch wie viele Gelehrte sind bereit, das zu tun? Viele sehr kluge und sehr gebildete Leute haben Fachbücher über das Thema die Moderne bzw. die Postmoderne geschrieben. Reden die alle komplett aneinander vorbei? Gibt es wirlich keinerlei Zusammenhang in der unbestreitbaren Vielfalt? Ist beispielsweise der allgemein gehaltene Encyclopaedia-Britannica-Artikel über die Postmoderne/den Postmodernismus bloß leeres Geschwätz: https://www.britannica.com/topic/postmodernism-philosophy

Ich habe da meine Zweifel, obgleich ich zugebe, dass es sich wahrlich nicht um leicht zu treffende Ziele handelt. Das gilt auch für die Wache Linke (die radikale kulturelle Linke); aber ich bestreite, dass der Grund dafür ist, dass es wegen des Fehlens einer Zielscheibe gar nichts zu treffen gibt.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Hä…? Genau davon habe ich doch gesprochen—dass Versklavung im erweiterten Horkheimerschen Sinn nicht dasselbe ist wie Sklaverei im ursprünglichen Sinn!

Verstehst du eigentlich nicht, dass diese Erweiterung des Sklavereibegriffs auf völlig andere Verhältnisse theoretisch gerechtfertigt werden muss?! Du tust so, als wäre diese Ausdehnung irgendwie das Selbstverständlichste auf der Welt und als müsste man das einfach kritiklos hinnehmen. Und genau das stelle ich in Frage.


Du machst es unnötig kompliziert, denn es geht schlicht um eine metaphorische Gebrauchserweiterung der Wörter "Sklaverei" oder "Versklavung".

#346:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 05.01.2024, 00:23
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Der auf mich zutreffende Teil sollte aber nicht Teil der Definition von "Transphobie" sein […]

Ist er ja auch nicht. Der beschreibt eher eine Folge von Transphobie. Der Rückschluss auf Transphobie ist ohne zusätzliche Annahmen ungültig und daher zurückzuweisen.

#347:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 05.01.2024, 00:39
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
…Da ich nun aber keine Definitionen für die "Woke Linke" finde, frage ich dich: Stimmst du mir zu, dass die "Woke Linke" als konventionalisierte Bezeichnung gar nicht besteht, sondern bloß deine Erfindung ist?


Die gänzlich deutsche Bezeichnung "die Wache Linke" ist in der Tat im deutschsprachigen (noch) so gut wie ungebräuchlich. Google liefert nur fünf Ergebnisse. (Eines davon verweist auf einen meiner Beiträge hier.)

Bei der Phrase "wachen Linken" gibt es 216 Ergebnisse, und bei "woken Linken" 4.690 Treffer.

Auch in der Google-Buchsuche gibt es Ergebnisse für "woken Linken" und "woke Linke"—eines davon in einem Buch von Thilo Sarrazin. (Jetzt könnt ihr wieder mit der rechten Verschwörungstheorie dahergekommen!)
Es gibt auch ein Buch mit dem Titel "Der neue Kulturkampf: Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht".

Für den englischen Ausdruck "the woke left" gibt es in der Google-Suche 203.000 Treffer und für "woke left" allein 253.000. Er ist also im englischsprachigen Raum längst nicht mehr ungebräuchlich!

#348:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 05.01.2024, 00:52
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Die gänzlich deutsche Bezeichnung "die Wache Linke" ist in der Tat im deutschsprachigen (noch) so gut wie ungebräuchlich. Google liefert nur fünf Ergebnisse. (Eines davon verweist auf einen meiner Beiträge hier.)


Der Ausdruck "die Wache Linke" kann sich im deutschsprachigen Raum im Laufe der Zeit genauso etablieren wie der Ausdruck "die Neue Linke", für den Google 52.800 Treffer liefert—und für "Neue Linke" allein 88.300.

#349:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 05.01.2024, 00:56
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
gender studies sind unwissenschaftlich, falls sich noch niemand in der Zunft Sarah Blaffer Hrdy angenommen hat. Hrdy schreibt in Mothers and Others darüber, wo psychologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern herkommen. Hrdy ist nur eins von vielen Beispielen, in denen etablierte Erkenntnisse - nicht zu Kenntnis genommen werden.


Neben den Gender Studies gibt es eine echt wissenschaftliche, empirische Sexualpsychologie/-soziologie.

#350:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 05.01.2024, 04:37
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Ich habe da meine Zweifel, obgleich ich zugebe, dass es sich wahrlich nicht um leicht zu treffende Ziele handelt. Das gilt auch für die Wache Linke (die radikale kulturelle Linke); aber ich bestreite, dass der Grund dafür ist, dass es wegen des Fehlens einer Zielscheibe gar nichts zu treffen gibt.


Rorty—der nicht im Verdacht steht, ein Rechter zu sein—schreibt:

Zitat:
"[N]obody denies the existence of what I have called the cultural Left[.]"

(Rorty, Richard. Achieving Our Country: Leftist Thought in Twentieth Century America. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1998. p. 91)

"The heirs of the New Left of the Sixties have created, within the academy, a cultural Left. Many members of this Left specialize in what they call the "politics of difference" or "of identity" or "of recognition." This cultural Left thinks more about stigma than about money, more about deep and hidden psychosexual motivations than about shallow and evident greed."

(Rorty, Richard. Achieving Our Country: Leftist Thought in Twentieth Century America. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1998. pp. 76-7)


Hier ist ein deutschsprachiger Artikel aus der sehr linken Zeitschrift Marxistische Erneuerung von 2005 (worin Nancy Fraser's Unterscheidung von "the social left" & "the cultural left" übernommen wird):

Zitat:
"Es gibt a) soziale Linke. Dies sind die (alten) sozialen Bewegungen, also Arbeiterbewegung, Gewerkschaften und auch der Staatssozialismus. Sie treten für Gerechtigkeit durch materielle Umverteilung ein, die Ökonomie wird als Zentrum der Gesellschaft angesehen, vorrangiger Akteur zur Herstellung von Gerechtigkeit ist der Staat. Ich spreche hier von Umverteilungsregister.

Daneben gibt es b) kulturelle Linke. Dies sind vor allem die so genannten neuen sozialen Bewegungen (wie z.B. feministische und Schwulenbewegung, Bürgerinitiativen, kulturelle und antirassistische Initiativen). Sie fordern zwar auch Umverteilung, betonen aber stärker die Herstellung von Gerechtigkeit durch die Anerkennung von Differenzen (z.B. Geschlechterfragen, Antirassismus, Demokratisierung Lebensstile); die Akteure sind Staat und Zivilgesellschaft. Ich spreche hier von Anerkennungsregister. Diese Unterscheidung stammt aus den Debatten in den USA (Fraser 2001), sie ist auf die Verhältnisse hierzulande, wo die soziale Linke gesellschaftlich weit mächtiger und die kulturelle Linke weit weniger akademisiert ist als in den USA, nicht vollständig übertragbar. Ihre Anwendung auf die Situation hierzulande ist aber trotzdem hilfreich. In der Grafik sind die zwei Grammatiken dargestellt.

Wir haben also zwei unterschiedliche Register: das der (historisch gesehen) älteren sozialen Linken und das neuere einer kulturellen Linken."

Quelle: https://www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de/de/article/813.soziale-und-kulturelle-linke.html


Oder siehe diesen Artikel im Tagesspiegel von 2008:

Zitat:
"…Die Linke zerfällt seit geraumer Zeit in eine soziale und eine kulturelle Linke.…"

Quelle: https://www.tagesspiegel.de/kultur/links-linker-linkisch-1607368.html


Ein Artikel in der Frankfurter Rundschau von 11/23:

Zitat:
"Inhaltlich tobe seit längerem ein Richtungsstreit innerhalb der Partei [die Linke]. Jun spricht von der „kulturellen Linken“ auf der einen und der „ökonomischen Linken“ auf der anderen Seite.…"

Quelle: https://www.fr.de/politik/linke-sahra-wagenknecht-parteitag-bsw-bundestag-politik-augsburg-zr-92681592.html


In dem Artikel in der Zeitschrift Marxistische Erneuerung ist "vorrangiger Gegenstand des politischen Handelns" der sozialen (ökonomischen) Linken die "materielle Ordnung", und derjenige der kulturellen (symbolischen) Linken die "symbolische Ordnung".

#351:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 05.01.2024, 06:02
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Hier ist ein deutschsprachiger Artikel aus der sehr linken Zeitschrift Marxistische Erneuerung von 2005 (worin Nancy Fraser's Unterscheidung von "the social left" & "the cultural left" übernommen wird): https://www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de/de/article/813.soziale-und-kulturelle-linke.html


Es ist darin kein Autorenname angegeben, aber meine Recherche hat ergeben, dass es sich um Bernd Hüttner handelt. Siehe diesen PDF-Text von 2006: https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Utopie_kreativ/188/188Huettner.pdf

http://www.bernd-huettner.de/veroeffentlichungen/

https://de.wikipedia.org/wiki/Bernd_H%C3%BCttner

——————
Ein Originalzitat aus einem Buch von Nancy Fraser, das Hüttner gewiss gelesen hat:
[Besonders interessant ist, dass sie die kulturellen Linken als "Postsozialisten" betrachtet.]

Zitat:
"…The second constitutive feature of the "postsocialist" condition concerns a shift in the grammar of political claims-making. Claims for the recognition of group difference have become intensely salient in the recent period, at times eclipsing claims for social equality. This phenomenon can be observed at two levels. Empirically, of course, we have seen the rise of "identity politics," the decentering of class, and, until very recently, the corresponding decline of social democracy. More deeply, however, we are witnessing an apparent shift in the political imaginary, especially in the terms in which justice is imagined. Many actors appear to be moving away from a socialist political imaginary, in which the central problem of justice is redistribution, to a "postsocialist" political imaginary, in which the central problem of justice is recognition. With this shift, the most salient social movements are no longer economically defined "classes" who are struggling to defend their "interests," end "exploitation," and win "redistribution." Instead, they are culturally defined "groups" or "communities of value" who are struggling to defend their "identities," end "cultural domination," and win "recognition." The result is a decoupling of cultural politics from social politics, and the relative eclipse of the latter by the former.

Here, interlaced with historical developments, we encounter currents of "postsocialist" ideology. Some celebrate the shift "from redistribution to recognition" as if struggles for distributive justice were no longer relevant. Others bemoan the decentering of class, which they equate with the decline of egalitarian economic claims, as if struggles for racial and gender justice were "merely cultural" and not also addressed to distribution. Together, such responses construct what appears to be an either/or choice: class politics or identity politics? social politics or cultural politics? equality or difference? redistribution or recognition? The implication is that these are mutually exclusive alternatives, that we must choose between social equality and multiculturalism, that redistribution and recognition cannot be combined.

These, I maintain, are false antitheses, which I challenge throughout this book. They have structured an increasingly bitter split between "the social left" and "the cultural left" in the United States, a split that recently erupted in the Social Text hoax. While one side insists in retrograde accents that "it's the economy, stupid," the other retorts in hypersophisticated tones that "it's the culture, stupid." Both thus evade what I take to be the crucial "postsocialist" tasks: first, interrogating the distinction between culture and economy; second, understanding how both work together to produce injustices; and third, figuring out how, as a prerequisite for remedying injustices, claims for recognition can be integrated with claims for redistribution in a comprehensive political project."

(Fraser, Nancy. Justice Interruptus: Critical Reflections on the "Postsocialist" Condition. New York: Routledge, 1997. pp. 2-3)

#352:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 05.01.2024, 06:21
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
…Siehe diesen PDF-Text von Bernd Hüttner (2006): https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Utopie_kreativ/188/188Huettner.pdf


"In der folgenden Tabelle sind die zwei Register vereinfacht und teilweise zugespitzt dargestellt." (Hüttner)



Bildquelle: * Hüttner, Bernd. "Anerkennung, Umverteilung, Gerechtigkeit: Probleme einer postfordistischen Linken." UTOPIE kreativ 188 (Juni 2006): 537–541. S. 538.


Zuletzt bearbeitet von Myron am 05.01.2024, 07:13, insgesamt einmal bearbeitet

#353:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 05.01.2024, 06:27
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Ein Originalzitat aus einem Buch von Nancy Fraser, das Hüttner gewiss gelesen hat:
[Besonders interessant ist, dass sie die kulturellen Linken als "Postsozialisten" betrachtet.]

Zitat:
"…These, I maintain, are false antitheses, which I challenge throughout this book. They have structured an increasingly bitter split between "the social left" and "the cultural left" in the United States, a split that recently erupted in the Social Text hoax. While one side insists in retrograde accents that "it's the economy, stupid," the other retorts in hypersophisticated tones that "it's the culture, stupid.…"

(Fraser, Nancy. Justice Interruptus: Critical Reflections on the "Postsocialist" Condition. New York: Routledge, 1997. pp. 2-3)


Es kann natürlich eine gemischte "soziokulturelle Linke" geben. Die Schnittmenge zwischen der sozialen (ökonomischen) Linken und der kulturellen (symbolischen) Linken muss nicht die leere Menge sein.

#354:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 05.01.2024, 08:39
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn Rorty recht hat mit seiner Behauptung, "that we would be better off without [the word 'postmodern(ism)']," weil "the word is simply too fuzzy to convey anything," dann müssten wir auch auf das Wort "modern(ism)" verzichten.

Das hättest du näher auszuführen. So wie es da steht, ist das ein non sequitur.

Myron hat folgendes geschrieben:
Viele sehr kluge und sehr gebildete Leute haben Fachbücher über das Thema die Moderne bzw. die Postmoderne geschrieben. Reden die alle komplett aneinander vorbei?

Durchaus möglich. Aber was ich mich davon abgesehen gerade frage, ist, warum du diese Einwände gegen Rortys Kritik nicht schon artikuliert hast, als du sie zitiertest. Oder kurz gesagt: Mir stellt sich gerade die Frage danach, welchen Zweck diese Zitation überhaupt hatte.

Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Verstehst du eigentlich nicht, dass diese Erweiterung des Sklavereibegriffs auf völlig andere Verhältnisse theoretisch gerechtfertigt werden muss?! Du tust so, als wäre diese Ausdehnung irgendwie das Selbstverständlichste auf der Welt und als müsste man das einfach kritiklos hinnehmen. Und genau das stelle ich in Frage.

Du machst es unnötig kompliziert, denn es geht schlicht um eine metaphorische Gebrauchserweiterung der Wörter "Sklaverei" oder "Versklavung".

Ich mache es vielleicht kompliziert, aber keineswegs unnötig. Dass eine solche Erweiterung natürlich eine Metapher sein muss, ist schon klar. Nur muss eben auch eine Metapher theoretisch gerechtfertigt werden, zumal dann, wenn sie die Gefahr einer Mystifikation der Verhältnisse beinhaltet. (Althusser schreibt richtig, dass solche Metaphern meist Hinweise darauf sind, dass die Beschäftigung mit dem Gegenstand auf dem Standpunkt der Beobachtung stehengeblieben ist und noch nicht zum Standpunkt der Theorie sich erhoben hat.)

#355:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 05.01.2024, 11:13
    —
smallie hat folgendes geschrieben:

Babyface hat folgendes geschrieben:
Man kann folglich nicht widerspruchsfrei das eine Konzept wissenschaftsfeindlich nennen und das andere nicht.

Was hältst du von diesem Kriterium?

gender studies sind unwissenschaftlich, falls sich noch niemand in der Zunft Sarah Blaffer Hrdy angenommen hat. Hrdy schreibt in Mothers and Others darüber, wo psychologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern herkommen. Hrdy ist nur eins von vielen Beispielen, in denen etablierte Erkenntnisse - nicht zu Kenntnis genommen werden.

Mein claim bezog sich auf Definitionen, nicht auf spezielle Theorien.
Um Anspruch auf Wissenschaftlichkeit zu erheben, müssen Definitionen klar, präzise und logisch widerspruchsfrei sein. Wenn sie das sind und darüberhinaus nicht zum Ausschluss bestimmter empirischer Fragestellungen führen, sehe ich kein fundamentales Problem.

Ich sehe hier weder durch eine rein biologische, noch durch eine rein psychologische Geschlechtsdefinition irgendjemanden darin gehindert oder eingeschränkt, irgendwelche natürlichen Regel- und Gesetzmäßigkeiten wissenschaftlich zu untersuchen und festzustellen, außer darin wie er die untersuchten Phänomene labelt.

Um den Punkt deutlich zu machen. Haargenau dasselbe würde zb auch für folgende Definition gelten:

„Weiblich sind alle Menschen mit blondem Haar. Alle anderen sind männlich.“

Hochgradig unkonventionell, aber nicht unwissenschaftlich..

#356:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 05.01.2024, 12:12
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Slate Star Codex hat folgendes geschrieben:
https://slatestarcodex.com/2014/11/21/the-categories-were-made-for-man-not-man-for-the-categories/

Mir gefällt sowas.

Super Artikel, gefällt mir sehr gut. Die Erwähnung von Kaiser Norton am Ende ist the cherry on top. Sehr glücklich

#357:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 05.01.2024, 22:09
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Wenn Rorty recht hat mit seiner Behauptung, "that we would be better off without [the word 'postmodern(ism)']," weil "the word is simply too fuzzy to convey anything," dann müssten wir auch auf das Wort "modern(ism)" verzichten.

Das hättest du näher auszuführen. So wie es da steht, ist das ein non sequitur.


Ich bin in dieser Angelegenheit kein Fachmann, aber lässt sich der Modernismus/die Moderne denn leichter ganz allgemein beschreiben als der Postmodernismus/die Postmoderne?
Wenn ich Bücher über Letzteres lese wie das hervorragende von Simon Susen, dann habe ich jedenfalls nicht den Eindruck, dass "the word is simply too fuzzy to convey anything." Es mag sehr "fuzzy" sein und zunächst nur sehr wenig Information liefern, aber es ist nicht absolut uninformativ. Deshalb halte ich Rortys Kritik für übertrieben, obgleich er ansonsten recht hat.

Zitat:
"Far from constituting a coherent ideological tradition or clearly definable school of thought, ‘postmodernism’ has been shaped by an eclectic and heterogeneous intellectual movement, whose supporters share one significant characteristic: namely, radical scepticism towards beliefs and principles associated with the project of modernity in general and with Enlightenment thought in particular. What advocates of ‘postmodernism’ also have in common, however, is that – paradoxically – they are intellectually and socially attached to the historical horizon from which they seek to detach themselves: the condition of modernity. It is not the existence of ‘the postmodern’ that has given rise to the notion of ‘the modern’; rather, it is the existence of ‘the modern’ that precedes the rise of the idea of ‘the postmodern’."

(Susen, Simon. The ‘Postmodern Turn’ in the Social Sciences. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2015. p. 21)

#358:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 05.01.2024, 22:42
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Der Historiker John Diggins unterscheidet in seinem Buch The Rise and Fall of the American Left (1992) zwischen vier großen Phasen der amerikanischen Linken im 20. Jahrhundert:

1. "the Lyrical Left" (1910er-20er)
2. "the Old Left" (1930er-50er)
3. "the New Left" (1960er-70er)
4. "the Academic Left" (>~1975/80)

3 und 4 überlappen in den späten 70ern. Diggins' Academic Left entspricht weitgehend Rorty's Cultural Left, wobei Rorty diese schon bei der New Left in den späten 60ern beginnen lässt. Diggins' Old Left nennt er the Reformist Left.


Ich muss mich korrigieren, denn Rorty sagt ja, die kulturellen Linken seien die Erben, also die Nachfolger der Neuen Linken—"die Neuen Neuen Linken" sozusagen. (Ein Artikel von 2017: "The Old New Left and the New New Left")
Eine Kommentatorin bestätigt dies:

Zitat:
"Rorty sees the cultural Left as an outgrowth of the New Left[.]"

(Warnke, Georgia. "Rorty and National Pride." In The Cambridge Companion to Rorty, edited by David Rondel, 222-242. Cambridge: Cambridge University, 2021. p. 223)


Rorty hat außerdem 1990 vom Auftauchen der kulturellen Linken "in the course of the last ten years or so" gesprochen: 1990 minus ~10 Jahre—also Ende der 70er, Anfang der 80er. Das deckt sich dann mit der Entstehung von Diggins' akademischer Linker.

Zitat:
"The heirs of the New Left of the Sixties have created, within the academy, a cultural Left."

(Rorty, Richard. Achieving Our Country: Leftist Thought in Twentieth Century America. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1998. p. 76)

"In the course of our conference, Henry Gates defined the "American Cultural Left" as a "Rainbow Coalition of feminists, deconstructionists, Althusserians, Foucauldians, people working in ethnic or gay studies, etc." The emergence of this left in the course of the last ten years or so is an important event in American academic life. The humanities, and particularly, the departments of literature, are where the action is in the American academy."

(Rorty, Richard. "Two Cheers for the Cultural Left." 1990. Reprinted in The Politics of Liberal Education, edited by Darryl J. Gless & Barbara Herrnstein Smith, 233-240. Durham: Duke University Press, 1992. pp 233-4)


Fußnote:
Hüttner schreibt 2006:

Zitat:
"Das Register der sozialen Linken ist historisch älter, das der kulturellen Linken eines der letzten ungefähr 40 Jahre."

(Hüttner, Bernd. "Anerkennung, Umverteilung, Gerechtigkeit: Probleme einer postfordistischen Linken." UTOPIE kreativ 188 (Juni 2006): 537–541. S. 538.)


2006 minus ~40 Jahre = ~1966. Damit zählt er die gesamte Neue Linke zur kulturellen Linken, was man nicht tun sollte. Denn es geht ja bei der kulturellen Linken (in Diggins' & Rortys Sinn) um eine vierte Linke im 20. Jahrhundert, und damit um einen historischen Kontrast zwischen dieser und der dritten Linken = der Neuen Linken der 1960er/70er, wenngleich der Übergang zwischen diesen beiden Linken fließend ist.

#359:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 05.01.2024, 22:57
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
…Denn es geht ja bei der kulturellen Linken (in Diggins' & Rortys Sinn) um eine vierte Linke im 20. Jahrhundert, und damit um einen historischen Kontrast zwischen dieser und der dritten Linken = der Neuen Linken der 1960er/70er, wenngleich der Übergang zwischen diesen beiden Linken fließend ist.


Wenn wir uns darüber verständigen könnten, dass sich "die Wache/Woke Linke" auf die Neue Neue Linke = die (post-70er) kulturelle Linke bezieht, dann kämen wir endlich vorwärts.

Da das Adjektiv "woke" im engeren politischen Sinn erst in den 2010ern eingeführt wurde, ist es natürlich sprachlich anachronistisch, es auf die kulturellen Linken in der Zeit von 1980-2010 anzuwenden. Ist das unzulässig? Dürfen Historiker keine neuen Bezeichnungen auf vergangene Zeiten anwenden, die damals noch nicht vorhanden und gebräuchlich waren? Ich meine, sie dürfen das.

#360:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 06.01.2024, 01:27
    —
jdf hat folgendes geschrieben:
Selbstverständlich bin ich woke. Und ich habe mich auch schon politisch verortet:
jdf hat folgendes geschrieben:
Ich, als Wokeist und Vertreter der extremen Mitte...


Was ist das, die "extreme Mitte"?

#361:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 06.01.2024, 01:54
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Ich bin in dieser Angelegenheit kein Fachmann, aber lässt sich der Modernismus/die Moderne denn leichter ganz allgemein beschreiben als der Postmodernismus/die Postmoderne?

"Modernismus" hat sogar eine extrem enge Bedeutung. Bzw. eigentlich wird das Wort für zwei völlig unterschiedliche Dinge verwendet, die sich aber beide sehr eng fassen lassen. "Modernismus" ist erstens der Name einer Position innerhalb des Katholizismus, die im Grunde diesen mit der Säkularisierung und der modernen Wissenschaft zu versöhnen sucht. Zweitens und davon völlig unabhängig bezeichnet das Wort auch eine Strömung in der Architektur des 20. Jahrhunderts. (Ich glaube, es gibt drittens noch eine lateinamerikanische Literaturgattung, die sich Modernismo nennt.)

Moderne ist hingegen etwas völlig anderes, nämlich eine historische Epoche (ca. 19. bis 20. Jahrhundert bzw. arguably bis heute), dir sich durch rapide Industrialisierung, das Aufbrechen traditioneller z. B. feudaler oder klerikaler Machtstrukturen, Erstarken des Bürgertums und erstmaliges Auftreten des Proletariats und der Volksmasse als politischer und gesellschaftlicher Faktoren, Herausbildung komplexerer nationaler Staatsapparate, Säkularisierung sowie Wissenschafts-, Technik- und Fortschrittsglauben auszeichnet. Die "Postmoderne" oder der "Postmodernismus" ist hingegen keine geschichtliche Epoche, sondern ein Sammelname für allerlei z. T. sehr heterogene Kritiker der Moderne seit Mitte des 20. Jahrhunderts.

#362:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 06.01.2024, 03:21
    —
Wenn von der kulturellen Linken/Kulturlinken die Rede ist, dann stellt sich früher oder später die Frage nach dem Begriff Kultur. Klar ist, dass "Kultur" im politischen Kontext nicht nur für Kunst steht. Der marxistische Theoretiker Raymond Williams (1921-1988—Mitbegründer der Cultural Studies) schreibt:

Zitat:
"Culture ist eines der zwei oder drei kompliziertesten Wörter in der englischen Sprache." [meine Übers.]

"Culture is one of the two or three most complicated words in the English language."

(Williams, Raymond. Keywords: A Vocabulary of Culture and Society. New York: Oxford University Press, 1985.)


Hm…Geschockt

Zitat:
"Kultur ist ein Gefüge aus Bedeutungskomplexen, das Sinnangebote bereitstellt."

(Lüddemann, Stefan. Kultur: Eine Einführung. 2. Aufl. Wiesbaden: Springer, 2019. S. 5)


Dies entspricht dem, was Williams schreibt: Die Kultursoziologie (ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts) betrachtet…

Zitat:
"…Kultur als das Bedeutungs-/Bezeichnungssystem, durch das notwendigerweise (obgleich auch mit anderen Mitteln) eine soziale Ordnung kommuniziert, reproduziert, erfahren und erforscht wird." (Williams) [meine Übers.]

"The sociology of culture, as it entered the second half of the twentieth century…sees culture as the signifying system through which necessarily (though among other means) a social order is communicated, reproduced, experienced and explored.

Thus there is some practical convergence between (i) the anthropological and sociological senses of culture as a distinct 'whole way of life', within which, now, a distinctive 'signifying system' is seen not only as essential but as essentially involved in all forms of social activity, and (ii) the more specialized if also more common sense of culture as 'artistic and intellectual activities', though these, because of the emphasis on a general signifying system, are now much more broadly denned, to include not only the traditional arts and forms of intellectual production but also all the 'signifying practices' - from language through the arts and philosophy to journalism, fashion and advertising - which now constitute this complex and necessarily extended field. "

(Williams, Raymond. The Sociology of Culture. New York: Schocken, 1982. pp. 12-3)

#363:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 06.01.2024, 03:46
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Ich bin in dieser Angelegenheit kein Fachmann, aber lässt sich der Modernismus/die Moderne denn leichter ganz allgemein beschreiben als der Postmodernismus/die Postmoderne?

Moderne ist hingegen etwas völlig anderes, nämlich eine historische Epoche (ca. 19. bis 20. Jahrhundert bzw. arguably bis heute), dir sich durch rapide Industrialisierung, das Aufbrechen traditioneller z. B. feudaler oder klerikaler Machtstrukturen, Erstarken des Bürgertums und erstmaliges Auftreten des Proletariats und der Volksmasse als politischer und gesellschaftlicher Faktoren, Herausbildung komplexerer nationaler Staatsapparate, Säkularisierung sowie Wissenschafts-, Technik- und Fortschrittsglauben auszeichnet. Die "Postmoderne" oder der "Postmodernismus" ist hingegen keine geschichtliche Epoche, sondern ein Sammelname für allerlei z. T. sehr heterogene Kritiker der Moderne seit Mitte des 20. Jahrhunderts.


Man kann unterscheiden zwischen der Moderne/Postmoderne als einer (sozial- und kultur-)historischen Epoche und dem Modernismus/Postmodernismus im engeren Sinn als einem philosophischen und politischen (ideologischen) Phänomen. Beginnt der philosophisch-politische Modernismus nicht mit der Philosophie der Aufklärung? Diese ist es ja auch, gegen die sich der philosophisch-politische Postmodernismus richtet.

Wir haben es allerdings in der Gegenwart mit einer "Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen" (Bloch) zu tun, denn das Moderne besteht weiter neben dem Postmodernen.


Zuletzt bearbeitet von Myron am 06.01.2024, 04:19, insgesamt einmal bearbeitet

#364:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 06.01.2024, 03:58
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
…Beginnt der philosophisch-politische Modernismus nicht mit der Philosophie der Aufklärung? Diese ist es ja auch, gegen die sich der philosophisch-politische Postmodernismus richtet.


Philosophie und Politik sind allerdings nicht dasselbe. Ich habe Rorty mehrmals erwähnt und zitiert. Einerseits ist er ein Gegner der Metaphysik & Epistemik der Aufklärung, aber andererseits ist er ein Freund ihrer liberalen Ethik & Politik. Er hat sich mal (mit einem Augenzwinkern) als "postmodern bourgeois liberal" bezeichnet.

Zitat:
"That designation [“postmodern bourgeois liberal”] was supposed to be a joke. I thought it was a cute oxymoron—but no one else seemed to think it was funny."

(Rorty, Richard. "Toward a Postmetaphysical Culture." Interview by Michael O'Shea. 1995. In Take Care of Freedom and Truth Will Take Care of Itself: Interviews with Richard Rorty, edited by Eduardo Mendieta, 46-55. Stanford, CA: Stanford University Press, 2006. p. 52)

#365:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 06.01.2024, 05:54
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Es kann natürlich eine gemischte "soziokulturelle Linke" geben. Die Schnittmenge zwischen der sozialen (ökonomischen) Linken und der kulturellen (symbolischen) Linken muss nicht die leere Menge sein.


Die ausschließlich materialistische Linke ("Basis-Linke") und die ausschließlich kulturalistische Linke ("Überbau-Linke") sind eher Idealtypen (in Max Webers Sinn), was aber keineswegs bedeutet, dass diese Unterscheidung sinnlos ist; denn es geht um unterschiedliche Schwerpunktsetzungen mit einem Spielraum zwischen den beiden Extremen oder Polen.

#366:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 06.01.2024, 12:22
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Ich bin in dieser Angelegenheit kein Fachmann, aber lässt sich der Modernismus/die Moderne denn leichter ganz allgemein beschreiben als der Postmodernismus/die Postmoderne?

Moderne ist hingegen etwas völlig anderes, nämlich eine historische Epoche (ca. 19. bis 20. Jahrhundert bzw. arguably bis heute), dir sich durch rapide Industrialisierung, das Aufbrechen traditioneller z. B. feudaler oder klerikaler Machtstrukturen, Erstarken des Bürgertums und erstmaliges Auftreten des Proletariats und der Volksmasse als politischer und gesellschaftlicher Faktoren, Herausbildung komplexerer nationaler Staatsapparate, Säkularisierung sowie Wissenschafts-, Technik- und Fortschrittsglauben auszeichnet. Die "Postmoderne" oder der "Postmodernismus" ist hingegen keine geschichtliche Epoche, sondern ein Sammelname für allerlei z. T. sehr heterogene Kritiker der Moderne seit Mitte des 20. Jahrhunderts.

Man kann unterscheiden zwischen der Moderne/Postmoderne als einer (sozial- und kultur-)historischen Epoche und dem Modernismus/Postmodernismus im engeren Sinn als einem philosophischen und politischen (ideologischen) Phänomen. Beginnt der philosophisch-politische Modernismus nicht mit der Philosophie der Aufklärung? Diese ist es ja auch, gegen die sich der philosophisch-politische Postmodernismus richtet.

Es gibt keine mir bekannte philosophische oder politische Strömung mit dem Namen "Modernismus". Was ich unter diesem Namen kenne, habe ich dir in dem von dir nicht mitzitierten Teil meines Beitrags aufgezählt.

#367:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 06.01.2024, 15:07
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Es lassen sich etliche weitere Verwendungen finden, nur eine davon:
Obersver hat folgendes geschrieben:
Do Colleges Actually Welcome Segregation on Campus?

A National Association of Scholars survey of 173 public and private colleges and universities found that 71 percent have some version of voluntary segregation.

https://observer.com/2019/05/college-campus-segregation-commencements/

Ja nun, "konservative" (im US-amerikanischen Sinn) Poliker:innen und Medien ...

Der Observer ist britisch und dem Guardian angeschlossen. Die stehen Mitte-Links.
Mr. Owen ist ein schwarzer Senator.

Beide ...
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
... versuchen eben, durch eine veränderte Wortverwendung rassistische Segregation (im ursprünglichen Sinne), die eine Hierarchie von "Rassen" mit echter Trennung festschreiben und dadurch Machtpositionen rassistisch verteilen wollte, und anti-rassistisches Empowerment, das begrenzte und freiwillige Safe Spaces als eine Möglichkeit benutzt, genau gegenteilige Ziele zu erreichen, in einen Topf zu werfen und damit ersteres zu verharmlosen und letzteres zu diskreditieren.

Ich bin ja gerade in der komfortablen Position, daß wir in der Sache einer Meinung sind, also pro-black-only-housing. Umso mehr fällt mir auf, wie unterschiedlich wir das begründen. Ich kann Mr. Owens Kritik nachvollziehen, auch wenn ich sie nicht teile. Du schreibst ihm eine Agenda zu.

Mr. Owens fragte, was sei, wenn alle Rassen ihre eigenen Häuser haben wollen. Das ist eine vernünftige Frage. Weiter berief Owens sich auf ein altes Gesetz. (DeepL übersetzt das falsch, deshalb im Original.)

Zitat:
Civil Rights Act 1964
Title VI states that:

No person in the United States shall, on the ground of race, color, or national origin, be excluded from participation in, be denied the benefits of, or be subjected to discrimination under any program or activity receiving Federal financial assistance.

https://www2.ed.gov/about/offices/list/ocr/docs/hq43e4.html

Darüber läßt sich streiten.

Wer anderer Meinung ist als ich - ist vielleicht wirklich nur anderer Meinung. Ohne daß eine Agenda dahintersteckt.



tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Es ändert auch nichts an meiner Kritik, weil es eben eine Neuverwendung des Wortes ist, die die absolut wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Phänomenen gezielt verwischt. "Segregation" im ursprünglichen SInn steht nun mal für eine politische Praxis, die anderen aufgedrückt wird und nicht freiwillige Entscheidungen meint.

Das sagst du. Merriam-Webster sagt es anders. Ich sag, oh weia, jetzt habe ich mich auf einen Streit um Semantik eingelassen. Wo ist der Notausgang?

Merriam-Webster hat folgendes geschrieben:
segregation

1 : the act or process of segregating : the state of being segregated

2a : the separation or isolation of a race, class, or ethnic group by enforced or voluntary residence in a restricted area, by barriers to social intercourse, by separate educational facilities, or by other discriminatory means

2b: the separation for special treatment or observation of individuals or items from a larger group
segregation of gifted children into accelerated classes

3: the separation of allelic genes that occurs typically during meiosis

https://www.merriam-webster.com/dictionary/segregation

#368:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 06.01.2024, 16:52
    —
Babyface hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:

Babyface hat folgendes geschrieben:
Man kann folglich nicht widerspruchsfrei das eine Konzept wissenschaftsfeindlich nennen und das andere nicht.

Was hältst du von diesem Kriterium?

gender studies sind unwissenschaftlich, falls sich noch niemand in der Zunft Sarah Blaffer Hrdy angenommen hat. Hrdy schreibt in Mothers and Others darüber, wo psychologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern herkommen. Hrdy ist nur eins von vielen Beispielen, in denen etablierte Erkenntnisse - nicht zu Kenntnis genommen werden.

Mein claim bezog sich auf Definitionen, nicht auf spezielle Theorien.

Sorry, hab deinen Satz gekapert, unverschämter Weise ohne was dazu zu sagen. War gedanklich schon beim nächsten Thema.


Wir spielen GWUP

Angenommen, du bist in der GWUP. Was machst du, wenn du feststellen willst, ob critical studies wissenschaftlich sind oder nicht? Du schaust, wie weit sich die studies mit etablierter Wissenschaft decken. Ob sie zu bisher unbekannten Ergebnissen gekommen sind. Ob die Ansätze überhaupt empirisch überprüfbar sind, ob sie je überprüft wurden. Usw.



Babyface hat folgendes geschrieben:
Um Anspruch auf Wissenschaftlichkeit zu erheben, müssen Definitionen klar, präzise und logisch widerspruchsfrei sein. ... Um den Punkt deutlich zu machen. Haargenau dasselbe würde zb auch für folgende Definition gelten:

„Weiblich sind alle Menschen mit blondem Haar. Alle anderen sind männlich.“

Hochgradig unkonventionell, aber nicht unwissenschaftlich..

Definitionen alleine geben nichts her. Wissenschaft ist relational, sie stellt Beziehungen zwischen irgendwie und gelegentlich schlampig definiertem Zeugs her.

Was unterscheidet die Blonden vom Rest der Menschheit? Wer einen Unterschied dingfest machen kann, hat Wissenschaft betrieben. Ich persönlich erwarte nicht, daß der Blondinen-Ansatz viel brauchbares hervorbringt. Auch dann nicht, wenn man Haarfarbe korrekterweise als Spektrum sieht. zwinkern

#369:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 06.01.2024, 18:55
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Definitionen alleine geben nichts her. Wissenschaft ist relational, sie stellt Beziehungen zwischen irgendwie und gelegentlich schlampig definiertem Zeugs her.

Richtig. Deshalb gehören Vorwürfe, jemand ignoriere wissenschaftliche Erkenntnisse weil er eine spezielle Definition ablehnt, nicht in eine Debatte sondern in die non sequitur Restmülltonne.

(Zustimmung zum gesnipten Rest)

#370:  Autor: WilsonWohnort: Swift Tuttle BeitragVerfasst am: 07.01.2024, 08:29
    —
Ich hab den thread hier nicht mit der ihm gebuehrenden Aufmerksamkeit verfolgt. Vll
Ist der Inhalt meines folgenden links bereits Schnee von gestern, dennoch:

MIZ

Zitat:
Nikil Mukerji
Die Pseudowissenschaftlichkeit der Critical Studies – der Fall Robin DiAngelo
Die Critical Studies (nachfolgend: CS) sind Forschungsansätze im Zuständigkeitsbereich der Sozial- und Geisteswissenschaften. Sie umfassen u.a. die Critical Race Studies, Gender Studies, Disability Studies sowie Queer Studies und bilden den theoretischen Hintergrund für „woke“ Politik und Aktivismus. Kürzlich erläuterte Martin Mahner, warum die CS unter Pseudowissenschaftsverdacht stehen (MIZ 1/23). Dieser Text analysiert ein konkretes Beispiel aus dem CS-Kontext: die amerikanische Autorin und Diversity-Aktivistin Robin DiAngelo.


Weiter hier:
https://miz-online.de/die-pseudowissenschaftlichkeit-der-critical-studies-der-fall-robin-diangelo/

Hab ich entdeckt als ich hier im forum die empfohlenen links mal wieder checkte ( oben)

#371:  Autor: Babyface BeitragVerfasst am: 07.01.2024, 10:26
    —
Wilson hat folgendes geschrieben:
Ich hab den thread hier nicht mit der ihm gebuehrenden Aufmerksamkeit verfolgt. Vll
Ist der Inhalt meines folgenden links bereits Schnee von gestern, dennoch:

MIZ

Zitat:
Nikil Mukerji
Die Pseudowissenschaftlichkeit der Critical Studies – der Fall Robin DiAngelo
Die Critical Studies (nachfolgend: CS) sind Forschungsansätze im Zuständigkeitsbereich der Sozial- und Geisteswissenschaften. Sie umfassen u.a. die Critical Race Studies, Gender Studies, Disability Studies sowie Queer Studies und bilden den theoretischen Hintergrund für „woke“ Politik und Aktivismus. Kürzlich erläuterte Martin Mahner, warum die CS unter Pseudowissenschaftsverdacht stehen (MIZ 1/23). Dieser Text analysiert ein konkretes Beispiel aus dem CS-Kontext: die amerikanische Autorin und Diversity-Aktivistin Robin DiAngelo.


Weiter hier:
https://miz-online.de/die-pseudowissenschaftlichkeit-der-critical-studies-der-fall-robin-diangelo/

Hab ich entdeckt als ich hier im forum die empfohlenen links mal wieder checkte ( oben)

Danke. Dazu noch ein etwas ausführlicherer Beitrag von Mahner, warum die sog. „Critical Studies“ legitimer Untersuchungsgegenstand der GWUP sind: https://www.gwup.org/images/pdf/Mahner-CriticalStudies-GWUP.pdf

#372:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 07.01.2024, 14:07
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ich finde es extrem intellektuell unredlich von Myron, dass er vorgibt, sich für deinen eigenen Begriff der "woken Linken" zu interessieren, dir aber gleichzeitig schon im Voraus Vorschriften dazu machen will, wie deine Begriffsbildung gefälligst auszusehen habe.

Jups. Und ob seiner fortgesetzten Unredlichkeit verliere ich so langsam meine Geduld. Ich werde von nun an gelegentlich Fragen in meine Beiträge einfügen, um Belege für diese Unredlichkeiten, die in diesem Forum bekanntlich verboten sind, zu sammeln.


Wenn ihr in der Sache Fehldeutungen oder Irrtümer meinerseits aufzeigt, dann nehme ich das hin; aber was ich mir nicht gefallen lasse, ist der moralische Vorwurf der Unredlichkeit! Denn ich argumentiere hier nach bestem Wissen und Gewissen! (Unfehlbar bin ich natürlich nicht.)

Wer transfeindlichen Scheiß schreibt, aber behauptet, nicht transfeindlich zu sein, ist unredlich.

Wer unredliche Diskussionsmethoden anwendet ist unredlich.

#373:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 07.01.2024, 14:13
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
…Da ich nun aber keine Definitionen für die "Woke Linke" finde, frage ich dich: Stimmst du mir zu, dass die "Woke Linke" als konventionalisierte Bezeichnung gar nicht besteht, sondern bloß deine Erfindung ist?


Die gänzlich deutsche Bezeichnung "die Wache Linke" ist in der Tat im deutschsprachigen (noch) so gut wie ungebräuchlich. Google liefert nur fünf Ergebnisse. (Eines davon verweist auf einen meiner Beiträge hier.)

Bei der Phrase "wachen Linken" gibt es 216 Ergebnisse, und bei "woken Linken" 4.690 Treffer.

Auch in der Google-Buchsuche gibt es Ergebnisse für "woken Linken" und "woke Linke"—eines davon in einem Buch von Thilo Sarrazin. (Jetzt könnt ihr wieder mit der rechten Verschwörungstheorie dahergekommen!)
Es gibt auch ein Buch mit dem Titel "Der neue Kulturkampf: Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht".

Für den englischen Ausdruck "the woke left" gibt es in der Google-Suche 203.000 Treffer und für "woke left" allein 253.000. Er ist also im englischsprachigen Raum längst nicht mehr ungebräuchlich!

Ich bin nicht mehr gewillt, dein unredliches Ausweichen zu erdulden. Ich warte.

Myron hat folgendes geschrieben:
jdf hat folgendes geschrieben:
Selbstverständlich bin ich woke. Und ich habe mich auch schon politisch verortet:
jdf hat folgendes geschrieben:
Ich, als Wokeist und Vertreter der extremen Mitte...


Was ist das, die "extreme Mitte"?

Da kannst du lange warten.

#374:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 07.01.2024, 14:25
    —
Warum hast du diesen Beitrag nicht beantwortet?

Ist das Nichtbeantworten des Beitrags deiner Unredlichkeit geschuldet?

#375:  Autor: AlexJWohnort: Köln BeitragVerfasst am: 07.01.2024, 15:05
    —
Wilson hat folgendes geschrieben:
Ich hab den thread hier nicht mit der ihm gebuehrenden Aufmerksamkeit verfolgt. Vll
Ist der Inhalt meines folgenden links bereits Schnee von gestern, dennoch:

MIZ

Zitat:
Nikil Mukerji
Die Pseudowissenschaftlichkeit der Critical Studies – der Fall Robin DiAngelo
Die Critical Studies (nachfolgend: CS) sind Forschungsansätze im Zuständigkeitsbereich der Sozial- und Geisteswissenschaften. Sie umfassen u.a. die Critical Race Studies, Gender Studies, Disability Studies sowie Queer Studies und bilden den theoretischen Hintergrund für „woke“ Politik und Aktivismus. Kürzlich erläuterte Martin Mahner, warum die CS unter Pseudowissenschaftsverdacht stehen (MIZ 1/23). Dieser Text analysiert ein konkretes Beispiel aus dem CS-Kontext: die amerikanische Autorin und Diversity-Aktivistin Robin DiAngelo.


Weiter hier:
https://miz-online.de/die-pseudowissenschaftlichkeit-der-critical-studies-der-fall-robin-diangelo/

Hab ich entdeckt als ich hier im forum die empfohlenen links mal wieder checkte ( oben)


Und hier zwei der angeblich pseudo-wissenschaftliche Werke, die angeblich untersucht wurden.

https://libjournal.uncg.edu/ijcp/article/viewFile/249/116

White Fragility
by
Robin DiAngelo

https://robindiangelo.com/wp-content/uploads/2016/01/ClassTrumpRace.pdf

My Class Didn’t Trump My Race: Using Oppression to Face Privilege


Kann jeder gerne vergleichen. Es gibt ein Grund, warum Mukerji in seinen Artikel viel behauptet, aber nichts wirklich belegt, schon gar nicht Text kritisch am konkreten Beispiel. Stattdessen werden bestenfalls einzelne Sätze zitiert und dann behauptet, dass dies XYZ bedeuten, ohne das am eigentlichen Werk zu belegen.

Toll auch die Zusammenfassung von Mukerji

"DiAngelo kann zwar nicht aufgrund ihrer wissenschaftsphilosophi­schen Äußerungen als Pseudo­wissen­schaft­lerin eingeordnet werden. Da sie jedoch für ihre Thesen wissenschaftlichen Status reklamiert und in ihrer Argumentation systematisch wahrheitsindifferent zu verfahren scheint, erfüllt sie m.E. die Kriterien für Pseudowissenschaftlichkeit. Sie vertritt – anders als etwa Homöopathen und Astrologen – kein naturwissenschaftlich suspektes Weltbild. Doch die argumentativen Techniken, derer sie sich bedient, kennt man allesamt aus den klassischen Pseudowissenschaften (Mukerji & Ernst 2022). Und sie scheinen auch bei DiAngelo dem gleichen Zweck zu dienen: Es geht nicht darum, ergebnisoffen zu forschen, sondern vorab festgelegte Dogmen zu bestätigen.

Da DiAngelo eine Vertreterin der CS ist, lässt sich zumindest der Schluss ziehen, dass Pseudowissenschaft offenbar in den CS vorkommt. Da sie, wie eingangs erwähnt, eine einflussreiche Vertreterin dieser Fächergruppe ist und sie sich auf geteilte Grundlagen stützt, liegt die Vermutung nahe, dass die CS generell ein Pseudowissenschaftsproblem haben."

Mit den Augen rollen Also, das beste, was Mukerji hat, ist ein "scheinbare wahrheitsindifferentes Argumentationsverfahren", angebliche Anwendung von Techniken aus der Pseudowissenschaft, wie das nicht erwähnen und Zitieren von Gegenmeinungen Gröhl... und scheinbares Arbeiten zu belegen von Dogmen.

Na wenigstens macht die Dame sich "scheinbar" Mühe ihre Dogmen zu belegen, was man von Mukerji nicht behaupten kann.

Ich hab nicht viel von der Arbeit der Dame gelesen. Nur genug zu wissen, wer Pseudowissenschaftliches Müll schreibt, auch nach den Kriterien von Mukerji selbst. Wenn Mukerji jetzt ein großer Name in GWUP ist, liegt nach Mukerji "die Vermutung nahe, dass die" GWUP "generell ein Pseudowissenschaftsproblem haben."


Babyface hat folgendes geschrieben:

Danke. Dazu noch ein etwas ausführlicherer Beitrag von Mahner, warum die sog. „Critical Studies“ legitimer Untersuchungsgegenstand der GWUP sind: https://www.gwup.org/images/pdf/Mahner-CriticalStudies-GWUP.pdf


Was ein müll.

"Die CS sind stark beeinflusst von der sog. postmodernistischen Philosophie. Ein zentraler Punkt
dieser Richtung ist eine relativistische Erkenntnistheorie, wonach Erkenntnis bzw. Erkenntnisfähig-
keit nicht mehr als universell angesehen wird, sondern als relativ in Bezug auf bestimmte Individu-
en, Gruppen oder historische Perioden. In den CS taucht dieser Relativismus meist im Hinblick auf
verschiedene Gruppen („Identitäten“) und deren Wissensformen auf. Nun soll die Existenz von
Gruppenwissen nicht bestritten werden. Doch wenn jede Erkenntnis nur Gruppenwissen darstellt,
steht es keiner Gruppe zu, über den Wahrheitswert des Wissens einer anderen zu befinden. Die
Wissensformen verschiedener Identitäten sind also alle gleichwertig und gleichermaßen gültig.

Ein solcher erkenntnistheoretischer Relativismus führt naturgemäß zu einem Sammelsurium alter-
nativer Wissensformen und damit alternativer Fakten. Auf dieser Basis wäre es der GWUP nicht
möglich, „alternative Wissensformen“ wie Homöopathie oder Astrologie zu kritisieren. Die Arbeit
der GWUP setzt wie jede wissenschaftliche Arbeit eine universalistische Erkenntnistheorie voraus,
wonach alle rationalen Wesen bei gleicher korrekter Arbeitsweise und bei gleichem Sachstand im
Prinzip zu denselben wissenschaftlichen Erkenntnissen gelangen können, von Japan bis Mexiko,
von Spitzbergen bis Südafrika."

Hier möchte ich schreien bei korrekter Arbeitsweisen (inklusive Methoden und Mittle) und gleichen Sachstand du Volltrottel. Eine universelle Erkenntnis muss in der Regel aus einer Relativen nämlichen erst heraus gearbeitet werden. Das ist je nach wissenschaftliche Disziplin und Sachfrage mal einfacher, mal schwerer, mal dank Vorarbeit schon fertig, aber auch mal mit den gerade zur Verfügung stehenden Methoden und Mittle unmöglich.
Zum Beispiel wird man die Frage, welche Personen glücklicher sind, mit den derzeitigen Methoden nicht universell beantworten können.

Der Knack und Kernpunkt der CS und anliegend Postmoderne (wo zutreffend, das ist leider ein Sammelbegriff für zu viel Unterschiedliches) ist, dass in vielen Fällen gar nicht korrekt gearbeitet wird/wurde. Das ist auch in mehr als ausreichend vielen Fällen hinreichend belegt, dass man das nicht abstreiten kann. Bei den CS geht es hier tatsächlich mehrheitlich um Aufarbeitung, den das Fehlen dieser ist, was die CS kritisiert und wo für das C wirklich steht.
Bedauerlicherweise in manchen Fällen, wo die Mittle und Methoden fehlen oder es an der Umsetzung hapert, äußert sich die Kritik, eben mithilfe von Gegenüberstellung von wissenschaftlich gleichwertigen Erkenntnisse aus anderer Perspektive.
Bei letzteren ist die Gefahr der Pseudowissenschaftlichkeit nicht bestreitbar. Ich bin selbst dafür, da ein Auge drauf zuhalten. Wie auf alles, wo eine korrekte und vollständige Ausarbeitung fehlt.


Edit: Name Mukerji an vielen Stellen korrigiert. Hoffe, dass ich das jetzt überall richtig habe. Das scheint meine Legasthenie wirklich zu triggern.


Zuletzt bearbeitet von AlexJ am 07.01.2024, 16:36, insgesamt 2-mal bearbeitet

#376:  Autor: WilsonWohnort: Swift Tuttle BeitragVerfasst am: 07.01.2024, 15:20
    —
ich selbst kann hier nichts beitragen, kenne mich nicht genug aus.
nur so viel, ich schätze, dieser herr ist der autor, oder?

https://de.wikipedia.org/wiki/Nikil_Mukerji

#377:  Autor: AlexJWohnort: Köln BeitragVerfasst am: 07.01.2024, 16:41
    —
Wilson hat folgendes geschrieben:
ich selbst kann hier nichts beitragen, kenne mich nicht genug aus.
nur so viel, ich schätze, dieser herr ist der autor, oder?

https://de.wikipedia.org/wiki/Nikil_Mukerji


Ich gehe davon aus.

#378:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 07.01.2024, 21:18
    —
AlexJ hat folgendes geschrieben:
Ich hab nicht viel von der Arbeit der Dame gelesen. Nur genug zu wissen, wer Pseudowissenschaftliches Müll schreibt, auch nach den Kriterien von Mukerji selbst. Wenn Mukerji jetzt ein großer Name in GWUP ist, liegt nach Mukerji "die Vermutung nahe, dass die" GWUP "generell ein Pseudowissenschaftsproblem haben."


Man muss nur mal schauen, wie Mukerji in seiner Schlussfolgerung herumeiert und herumdruckst:

Mukerji hat folgendes geschrieben:
DiAngelo kann zwar nicht aufgrund ihrer wissenschaftsphilosophi­schen Äußerungen als Pseudo­wissen­schaft­lerin eingeordnet werden. Da sie jedoch für ihre Thesen wissenschaftlichen Status reklamiert und in ihrer Argumentation systematisch wahrheitsindifferent zu verfahren scheint, erfüllt sie m.E. die Kriterien für Pseudowissenschaftlichkeit. Sie vertritt – anders als etwa Homöopathen und Astrologen – kein naturwissenschaftlich suspektes Weltbild. Doch die argumentativen Techniken, derer sie sich bedient, kennt man allesamt aus den klassischen Pseudowissenschaften (Mukerji & Ernst 2022). Und sie scheinen auch bei DiAngelo dem gleichen Zweck zu dienen: Es geht nicht darum, ergebnisoffen zu forschen, sondern vorab festgelegte Dogmen zu bestätigen.

Also er kann DiAngelos angebliche Pseudowissenschaftlichkeit zwar an nichts Konkretem festmachen, aber er ordnet sie trotzdem so ein, weil - sie ihm trotz allem eben so scheint (sein Wort, nicht meins!). Muss ich erst darauf hinweisen, dass das jedem Anspruch auf Falsifizierbarkeit spottet? Wie verteidigt man sich bitte gegen sowas? Mir kommt der mehr als nur leise Verdacht, dass Mukerjis Urteil von vorne herein feststand und er sich die Begründungen dafür erst nachträglich zusammengeklaubt hat. Es sieht mir sehr so aus, als befinde Mukerji weniger über die Wissenschaftlichkeit oder Unwissenschaftlichkeit der untersuchten Texte als die Loyalität oder Illoyalität ihrer Autorin zu einer Weltanschauung, und als stehe das Urteil dazu bereits vor der Untersuchung fest.

Um uns dem Problem der Weltanschauung etwas zu nähern, gehen wir mal auf Mahners Behauptung ein, die GWUP müsse eine universalistische Erkenntnisauffassung voraussetzen, um wissenschaftliche Kritik betreiben zu können:

Mahner hat folgendes geschrieben:
Die CS sind stark beeinflusst von der sog. postmodernistischen Philosophie. Ein zentraler Punkt dieser Richtung ist eine relativistische Erkenntnistheorie, wonach Erkenntnis bzw. Erkenntnisfähigkeit nicht mehr als universell angesehen wird, sondern als relativ in Bezug auf bestimmte Individuen, Gruppen oder historische Perioden. In den CS taucht dieser Relativismus meist im Hinblick auf verschiedene Gruppen („Identitäten“) und deren Wissensformen auf. Nun soll die Existenz von Gruppenwissen nicht bestritten werden. Doch wenn jede Erkenntnis nur Gruppenwissen darstellt, steht es keiner Gruppe zu, über den Wahrheitswert des Wissens einer anderen zu befinden. Die Wissensformen verschiedener Identitäten sind also alle gleichwertig und gleichermaßen gültig.

Ein solcher erkenntnistheoretischer Relativismus führt naturgemäß zu einem Sammelsurium alternativer Wissensformen und damit alternativer Fakten. Auf dieser Basis wäre es der GWUP nicht möglich, „alternative Wissensformen“ wie Homöopathie oder Astrologie zu kritisieren. Die Arbeit der GWUP setzt wie jede wissenschaftliche Arbeit eine universalistische Erkenntnistheorie voraus, wonach alle rationalen Wesen bei gleicher korrekter Arbeitsweise und bei gleichem Sachstand im Prinzip zu denselben wissenschaftlichen Erkenntnissen gelangen können, von Japan bis Mexiko, von Spitzbergen bis Südafrika.

Erstens: Wie genau begründet Mahner, dass erst ein erkenntnistheoretischer Relativismus zu einem "Sammelsurium alternativer Wissensformen" führt, wo er doch oben selbst eingestanden hat, dass es Gruppenwissen - anscheinend auch ganz ohne Relativismus - bereits gibt? Oder rudert er hier hinter sein eigenes Eingeständnis zurück, dass es Gruppenwissen gäbe? Zweitens: Dass ein erkenntnistheoretischer Relativismus irgendwie wissenschaftliche Kritik an anderen Ansätzen ausschließen würde, wird von Mahner lediglich ziemlich begründungslos behauptet. In Wirklichkeit ist es extrem kontraintuitiv, anzunehmen, dass der Relativismus der Wissenschaft irgendwelche Vorschriften dazu machen würde, was sie wie kritisieren oder als unwissenschaftlich einordnen dürfe und was nicht. Relativismus ist doch viel eher eine Position dazu, was eine solche Kritik oder Einordnung leisten kann und was nicht. Ansichten auf ihre Wissenschaftlichkeit untersuchen und gegebenenfalls als unwissenschaftlich einordnen kann man ohne Weiteres auch mit einem relativistischen Wissenschaftsverständnis, aber das scheint Mahner irgendwie nicht auszureichen. Aber was könnte er denn darüber hinaus sonst noch wollen? Man hat das Gefühl, als würde Mahner sich darüber echauffieren, dass der Relativismus der Wissenschaft eine normative Kraft abspricht, die sie eigentlich überhaupt nicht beanspruchen dürfte, oder die zumindest selbst nicht als im eigentlichen Sinne wissenschaftlich einzustufen ist (und an deren Ablehnung daher grundsätzlich keine Einstufung von etwas als unwissenschaftlich hängen kann).

Um es kurz zu sagen: Meiner Ansicht nach verwechseln sowohl Mukerji als auch Mahner Wissenschaft mit ihrer eigenen Wissenschaftsphilosophie, und zwar systematisch.

Nachtrag: Deutlich wird das übrigens an den etwas seltsam und deplaziert anmutenden, fast schwärmerischen menschlichen Ansprüchen, die Mahner der Wissenschaft aufbürdet:

Mahner hat folgendes geschrieben:
Mit anderen Worten: Gruppenidentitäten und kulturelle Eigenheiten, die den wissenschaftlichen Zugang zur Welt zunächst eintrüben können, lassen sich früher oder später herausmitteln und damit transzendieren. Wissenschaftliche Erkenntnis hat damit nicht nur einen emanzipatorischen, sondern auch einen global verbindenden Charakter.

Also überall, wo Wissenschaft nicht zu menschlicher Emanzipation oder globaler Verbindung führt oder eingesetzt wird, sondern z. B. zum genauen Gegenteil, da ist sie gar keine Wissenschaft? Oder ist Mahner der Meinung, dass das nie vorkommt? Am Kopf kratzen

(Dass Mahner übrigens noch nicht mal den Unterschied zwischen erkenntnistheoretischem und ethischem Relativismus zu kennen scheint, kann man im Appendix seines Textes unter dem dritten Einwand nachlesen.)


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 07.01.2024, 23:27, insgesamt 2-mal bearbeitet

#379:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 07.01.2024, 22:32
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Mir kommt der mehr als nur leise Verdacht, dass Mukerjis Urteil nicht von vorne herein feststand und er sich die Begründungen dafür erst nachträglich zusammengeklaubt hat.

?
Ist da nicht ein "nicht" zu viel?

#380:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 07.01.2024, 23:24
    —
Wilson hat folgendes geschrieben:
Ich hab den thread hier nicht mit der ihm gebuehrenden Aufmerksamkeit verfolgt. Vll
Ist der Inhalt meines folgenden links bereits Schnee von gestern, dennoch:
MIZ
Zitat:
Nikil Mukerji
Die Pseudowissenschaftlichkeit der Critical Studies…



Was das Adjektiv "kritisch" in diesem Zusammenhang bedeutet:

Zitat:
"'Kritische Theorie' bezieht sich auf eine Familie von Theorien, die auf eine Kritik und Transformation der Gesellschaft durch die Integration normativer Perspektiven mit empirisch informierter Analyse gesellschaftlicher Konflikte, Widersprüche und Tendenzen abzielen. Im engeren Sinn bezieht sich 'kritische Theorie' (…) auf das Schaffen einiger Generationen von Philosophen und Sozialtheoretikern in der westlichen, europäischen Tradition des Marxismus, die als Frankfurter Schule bekannt sind. Sie nahm in den 1930ern am Institut für Sozialforschung in Frankfurt ihren Anfang und ist hauptsächlich für interdisziplinäre Forschung bekannt, die Philosophie und Sozialwissenschaft mit dem praktischen Ziel der Emanzipationsförderung verbindet." [meine Übers.]

"'Critical theory' refers to a family of theories that aim at a critique and transformation of society by integrating normative perspectives with empirically informed analysis of society’s conflicts, contradictions, and tendencies. In a narrow sense, 'Critical Theory' (often denoted with capital letters) refers to the work of several generations of philosophers and social theorists in the Western European Marxist tradition known as the Frankfurt School. Beginning in the 1930s at the Institute for Social Research in Frankfurt, it is best known for interdisciplinary research that combines philosophy and social science with the practical aim of furthering emancipation."

Critical Theory: https://plato.stanford.edu/entries/critical-theory/


Die kritische Frage, die sich stellt, ist, wie gut (in welchem Maß) all die gegenwärtigen kritischen Theorien/Studien empirisch informiert sind. Was ist dominant—das wissenschaftliche Denken & Forschen oder das philosophische/ideologische Denken & Deuten?

Die kritischen Theorien/Studien sind zu einer Großfamilie geworden:

01. (critical) age studies
02. critical animal studies
03. critical autism studies (siehe 5!)
04. (critical) black studies
05. critical disability studies / crip studies
06. gender theory
07. critical indigenous studies
08. "critical insanity studies" [meine Bez.] / mad studies (siehe 12!)
09. critical legal studies/theory
10. neurodiversity studies
11. critical obesity studies / fat studies
12. critical pedagogy/education
13. postcolonial theory
14. critical psychiatry/psychology
15. queer theory
16. critical race theory
17. critical science studies
18. critical terrorism studies
19. transgender theory
20. critical whiteness studies
21. (critical) women's studies/feminist studies

(kein Anspruch auf Vollzähigkeit!)

#381:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 07.01.2024, 23:27
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Mir kommt der mehr als nur leise Verdacht, dass Mukerjis Urteil nicht von vorne herein feststand und er sich die Begründungen dafür erst nachträglich zusammengeklaubt hat.

?
Ist da nicht ein "nicht" zu viel?

Ja, das "nicht" hinter "Urteil" gehört da nicht hin. Hab's entfernt.

#382:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 07.01.2024, 23:44
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Es kann natürlich eine gemischte "soziokulturelle Linke" geben. Die Schnittmenge zwischen der sozialen (ökonomischen) Linken und der kulturellen (symbolischen) Linken muss nicht die leere Menge sein.


Die ausschließlich materialistische Linke ("Basis-Linke") und die ausschließlich kulturalistische Linke ("Überbau-Linke") sind eher Idealtypen (in Max Webers Sinn), was aber keineswegs bedeutet, dass diese Unterscheidung sinnlos ist; denn es geht um unterschiedliche Schwerpunktsetzungen mit einem Spielraum zwischen den beiden Extremen oder Polen.


Wie Nancy Fraser meint, eine egalitäre Sozialpolitik der Umverteilung lässt sich mit einer emanzipatorischen Kulturpolitik der Anerkennung verbinden. (Kulturpolitik bedeutet hier nicht bzw. nicht nur Kunst- oder Sportpolitik.) Bei der kulturellen Linken dominiert Letzteres—daher ihr Name!

Zitat:
"Die Dimension der Anerkennung entspricht der Statushierarchie der Gesellschaft und mithin der Konstitution kulturell definierter Kategorien für soziale Akteure durch gesellschaftlich verwurzelte kulturelle Wertmuster – also der Konstitution von Statusgruppen, die jeweils durch den relativen Respekt, das relative Prestige und die Achtung, die einem die anderen entgegenbringen, gekennzeichnet sind. Die Dimension der Verteilung entspricht hingegen der gesellschaftlichen Wirtschaftsstruktur, mithin der Konstitution ökonomisch definierter Kategorien von Akteuren durch die herrschende Eigentumsordnung und den Arbeitsmarkt – also der Konstitution von Klassen, die durch ihre andersartige Ausstattung mit Ressourcen unterschieden sind. Außerdem entspricht jede Dimension einer analytisch eigenständigen Form der Benachteiligung: Die Dimension der Anerkennung entspricht der statusförmigen Benachteiligung, die in institutionalisierten kulturellen Wertmustern verwurzelt ist; die Verteilungsdimension entspricht dagegen der ökonomischen Klassenhierarchie, die in den strukturellen Merkmalen des Wirtschaftssystems verwurzelt ist.

Diese Entsprechungen setzen uns instand, das Problem, Umverteilung und Anerkennung zu integrieren, seinerseits in einen breiteren gesellschaftstheoretischen Zusammenhang zu stellen. Aus dieser Perspektive erscheinen Gesellschaften als komplexe Felder, die mindestens zwei analytisch unterschiedene Arten der sozialen Ordnung umfassen: einen ökonomischen Modus, in dem die Interaktion durch die funktionale Verflechtung strategischer Imperative geregelt wird, und einen kulturellen Modus, in dem die Interaktion durch institutionalisierte kulturelle Wertmuster reguliert wird. Wie wir noch sehen werden, wird die ökonomische Ordnung gewöhnlich auf den Märkten institutionalisiert; die kulturelle Ordnung kann über eine Vielfalt unterschiedlicher Institutionen (einschließlich Verwandtschaft, Religion und Gesetz) wirksam werden. Jeder Ordnungsmodus ist mit einer analytisch eigenständigen Art von Hindernis auf dem Weg zur partizipatorischen Parität verbunden: der kulturelle Modus mit mangelnder Anerkennung, der ökonomische mit disproportionaler Verteilung. In jeder Gesellschaft sind ökonomische und kulturelle Ordnung und Normierung miteinander verzahnt. Und doch stellt sich unweigerlich die Frage, wie genau sie sich. im Einzelfall überlagern. Unterscheidet sich die Wirtschaftsordnung institutionell von der kulturellen Ordnung, oder sind beide letztlich verschmolzen? Laufen Klassenstruktur und Statushierarchie auseinander, oder fallen sie zusammen? Sind ökonomische Benachteiligung und mangelnde Anerkennung ineinander konvertierbar, oder stoßen solche Konvertierungen letztlich auf Grenzen?"

(Fraser, Nancy. "Soziale Gerechtigkeit im Zeitalter der Identitätspolitik: Umverteilung, Anerkennung und Beteiligung." In: Nancy Fraser & Axel Honneth, Umverteilung oder Anerkennung? Eine politisch-philosophische Kontroverse, 13-128. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2003. S. 72-3)

#383:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.01.2024, 01:10
    —
AlexJ hat folgendes geschrieben:

Babyface hat folgendes geschrieben:

Danke. Dazu noch ein etwas ausführlicherer Beitrag von Mahner, warum die sog. „Critical Studies“ legitimer Untersuchungsgegenstand der GWUP sind: https://www.gwup.org/images/pdf/Mahner-CriticalStudies-GWUP.pdf


"Die CS sind stark beeinflusst von der sog. postmodernistischen Philosophie.…" – Martin Mahner


Fand der "postmodern turn" in den Cultural Studies nicht erst in späten 70ern oder frühen 80ern statt?
Die kritischen Theoretiker der Frankfurter Schule (Horkheimer, Marcuse, Adorno, Benjamin, Fromm et al.) waren keine Postmodernisten. (Selbst die jüngeren "Frankfurter" Habermas & Honneth sind keine Postmodernisten, oder?). Soweit ich weiß, waren auch die Begründer der (British) Cultural Studies in den 50ern und 60ern keine Postmodernisten (Richard Hoggart, Raymond Williams, Edward Thompson, Stuart Hall); und die 1964 gegründete Birmingham School of Cultural Studies (Birmingham Centre for Contemporary Cultural Studies) war anfänglich auch nicht postmodernistisch ausgerichtet.

#384:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.01.2024, 03:39
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Um es kurz zu sagen: Meiner Ansicht nach verwechseln sowohl Mukerji als auch Mahner Wissenschaft mit ihrer eigenen Wissenschaftsphilosophie, und zwar systematisch.


Weiß ich nicht; aber ich weiß, dass es in der wissenschaftsphilosophischen/-theoretischen Debatte einen berühmt-berüchtigten Gegensatz von Erklären und Verstehen gibt, und einen entsprechenden Gegensatz von positivistischer (strikt empirischer/nomologischer/explanativer/quantitativer) Sozialwissenschaft und antipositivistischer (hermeneutischer/interpretativer/qualitativer) Sozialwissenschaft.
Letztere läuft Gefahr, zu einer Pseudo- oder Unwissenschaft zu verkommen; und zwar dann, wenn sie nichts weiter ist als eine (ideologisch motivierte und manipulierte) Sozialphilosophie, der empirische Daten & Fakten letztlich gleichgültig sind.

Zitat:
"[T]he “positivist persuasion” (…) is often condensed as a few guiding principles held to mark out and govern the scientific enterprise as a whole. Applied to the study of social reality, these principles are generally summarized as follows (…):

* The scientific study of social phenomena must emulate the approach and methods successfully developed in the natural sciences.

* Just as there are laws of natural phenomena, there are laws of social phenomena, conceived as general statements specifying the existence of constant conjunctions between kinds of events or entities.

* The discovery of these laws depends primarily on observation, both as the source of data from which nomological generalizations are derived and as the empirical benchmark against which to test for their truth or falsity.

* Mathematical tools are given pride of place in the formalization of social data, whilst quantitative methods play a crucial role in the verification, experimental and non-experimental, of social scientific statements.

* Scientific progress is gauged both by reference to the subsumption of individual instances under general laws, and to the gradual reduction of the specific laws governing the diversity of social facts to a limited set of higher-level lawlike statements, the derivation of the latter from the most fundamental biological and physical laws of nature being regarded as a heuristic standard, if not a practical possibility.

* Any statement, hypothesis, or theory that cannot be reduced to observational terms or assessed factually is deemed unscientific; accordingly, since normative statements are not amenable to verification because of their lack of empirical content, they are to be excluded from the purview of scientific discourse.

In other words, a positivist social science is naturalistic in approach, committed to empiricism, driven by a search for general laws, mathematically informed and quantitatively oriented, longing for nomological reduction or at least theoretical unification, and axiologically neutral."

(Guillin, Vincent. "Comte and the Positivist Vision." In The Routledge Companion to Philosophy of Social Science, edited by Lee McIntyre & Alex Rosenberg, 7-17. New York: Routledge, 2017. pp. 7-8 )
———
"Interpretive social science (or interpretivism) and critical theory, despite important differences, converge on the view that the human or social sciences are “autonomous” and cannot be unified with or subsumed under the natural sciences. This is because the social sciences, as part of their object-domain, must take into consideration the meanings or “self-interpretations” of the social actors themselves in a way that is not true for the natural sciences. Arguments for the autonomy of the social sciences on these grounds extend back to debates in the late 19th century but they continue to surface in some of the most recent debates about the aims of social inquiry (…).

Interpretivism as a distinct approach in the social sciences can be traced back at least to the work of Wilhelm Dilthey. In response in particular to the positivism of J. S. Mill and Auguste Comte, Dilthey argued that there was a centrally important distinction between the Naturwissenschaften (natural sciences) and the Geisteswissenschaften (human or cultural or social sciences): whereas the former searched for universal laws and causal explanations, the latter were primarily concerned with isolating the meaning of particular historical events. One of Dilthey’s principal contributions to the social sciences was his claim that they depended upon a re-identification of the “lived experience” of the social actors themselves and that this precluded subsuming them under causal laws (…). Though he is sometimes misunderstood on this point, the social theorist Max Weber agreed with Dilthey on the importance of what he called “subjective meaning” of the actors involved in circumscribing the object-domain for the social sciences."

(Baynes, Kenneth. "Interpretivism and Critical Theory." In The Routledge Companion to Philosophy of Social Science, edited by Lee McIntyre & Alex Rosenberg, 75-87. New York: Routledge, 2017. p. 76)

#385:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.01.2024, 04:57
    —
AlexJ hat folgendes geschrieben:
Wilson hat folgendes geschrieben:

Zitat:
Nikil Mukerji
Die Pseudowissenschaftlichkeit der Critical Studies – der Fall Robin DiAngelo


Weiter hier:
https://miz-online.de/die-pseudowissenschaftlichkeit-der-critical-studies-der-fall-robin-diangelo/

Hab ich entdeckt als ich hier im forum die empfohlenen links mal wieder checkte ( oben)


Und hier zwei der angeblich pseudo-wissenschaftliche Werke, die angeblich untersucht wurden.

https://libjournal.uncg.edu/ijcp/article/viewFile/249/116

White Fragility
by
Robin DiAngelo


Wer Lust auf einen 41-seitigen Aufsatz hat:

Alan Sokal: "The Implicit Epistemology of White Fragility" (2023)


(Der Text ist online lesbar. Falls es mit dem Runterladen durch Klicken auf das Download-Feld nicht direkt klappt, dann über die rechte Maustaste Ziel speichern unter benutzen—oder wie das bei Nicht-Macs lautet!)

#386:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 10.01.2024, 00:48
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Die "Postmoderne" oder der "Postmodernismus" ist hingegen keine geschichtliche Epoche, sondern ein Sammelname für allerlei z. T. sehr heterogene Kritiker der Moderne seit Mitte des 20. Jahrhunderts.


Durch die Zeitangabe ordnest du den philosophischen (ästhetischen, metaphysischen, epistemischen) Postmodernismus doch in einen bestimmten kultur- und geistesgeschichtlichen Kontext ein, sodass man durchaus von einer Epoche oder Phase sprechen kann, so heterogen sie auch sein mag.

#387:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 10.01.2024, 01:00
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Wer Lust auf einen 41-seitigen Aufsatz hat:

Alan Sokal: "The Implicit Epistemology of White Fragility" (2023)


Zitat:
"My critique of DiAngelo's epistemology will have three strands, drawing attention to:

1) Vague, inconsistent and sometimes incoherent use of epistemological concepts and distinctions: in particular, confusion between actual knowledge and claims to knowledge, between knowledge and belief, and between knowledge and truth; confusion between objectivity and neutrality; and confusion between different senses of social construction.

2) Misrepresentation, to the point of caricature, of the nature of science and scientific method, and of ideas from the philosophy of science.

3) Logical and argumentative fallacies: notably the psychogenetic fallacy (also known as Bulverism) and the Kafka trap.

These flaws do not, in my view, disqualify the substantive content of DiAngelo's work; but they do cast it in a more problematic light, as I shall explain in the conclusion." (p. 3)


Sokal's Diagnose ist, dass DiAngelo's Postmodernismus in epistemologisch-methodologischer Hinsicht nur ein "postmodernism lite" ist:

Zitat:
"Unlike hard-core postmodernists, DiAngelo does not propound, whether implicitly or explicitly, a full-blown relativism with respect to truth or knowledge. She does cast repeated aspersions on the possibility of objectivity, but mainly as a way of discrediting the claims to objectivity of her ideological opponents, not as a consistent philosophical principle." (p. 4)

"DiAngelo's social constructivism, like her relativism, is also "lite"—or rather, it oscillates erratically between strong and weak forms." (p. 6)

#388:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 10.01.2024, 16:18
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Die "Postmoderne" oder der "Postmodernismus" ist hingegen keine geschichtliche Epoche, sondern ein Sammelname für allerlei z. T. sehr heterogene Kritiker der Moderne seit Mitte des 20. Jahrhunderts.

Durch die Zeitangabe ordnest du den philosophischen (ästhetischen, metaphysischen, epistemischen) Postmodernismus doch in einen bestimmten kultur- und geistesgeschichtlichen Kontext ein, sodass man durchaus von einer Epoche oder Phase sprechen kann, so heterogen sie auch sein mag.

Nach der Logik ist auch Immanuel Kant (und ebenso jede beliebige andere Person und überhaupt fast alles, was irgendwie in der Zeit existiert) eine Epoche, denn er lebte von 1724 bis 1804 und das ist eine Zeitangabe, die ihn in einen kultur- und geistesgeschichtlichen Kontext einordnet. Ich kann nicht glauben, dass ich erklären muss, dass es schon begrifflich einen Unterschied gibt zwischen "in einer Epoche vorkommen" und "eine Epoche sein". Du bist mal wieder richtig gut darin, dich dumm zu stellen. Mit den Augen rollen

#389:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 12.01.2024, 21:54
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Es lassen sich etliche weitere Verwendungen finden, nur eine davon:
Obersver hat folgendes geschrieben:
Do Colleges Actually Welcome Segregation on Campus?

A National Association of Scholars survey of 173 public and private colleges and universities found that 71 percent have some version of voluntary segregation.

https://observer.com/2019/05/college-campus-segregation-commencements/

Ja nun, "konservative" (im US-amerikanischen Sinn) Poliker:innen und Medien ...

Der Observer ist britisch und dem Guardian angeschlossen. Die stehen Mitte-Links.

Du meinst einen anderen "Observer", nämlich den hier: https://www.theguardian.com/observer
Der Observer, den du zitierst hast, gehört Jared Kushner, dem Schwiegersohn von Donald Trump (als er dessen offizieller Berater wurde, hat er die Zeitung zwar der Familienstiftung überschrieben, aber ... naja).
(Ich habe schon nachgeschaut, was das für eine Quelle ist, bevor ich sie als "konservatives Medium" bezeichnet habe ...)

smallie hat folgendes geschrieben:
Mr. Owen ist ein schwarzer Senator.

Und? Dass er es besser wissen müsste, habe ich ja geschrieben. Aber auch Schwarze können Quatsch erzählen, auch über Rassismus.
Hierzulande wollte neulich ein schwuler türkischstämmiger Migrant Mitglied der AfD werden. (Wollte es im Nachhinein als Test darstellen, glaub ich aber nicht.) Es gibt die verrücktesten Sachen.

smallie hat folgendes geschrieben:
Ich bin ja gerade in der komfortablen Position, daß wir in der Sache einer Meinung sind, also pro-black-only-housing. Umso mehr fällt mir auf, wie unterschiedlich wir das begründen. Ich kann Mr. Owens Kritik nachvollziehen, auch wenn ich sie nicht teile. Du schreibst ihm eine Agenda zu.

Mr. Owens fragte, was sei, wenn alle Rassen ihre eigenen Häuser haben wollen. Das ist eine vernünftige Frage. Weiter berief Owens sich auf ein altes Gesetz. (DeepL übersetzt das falsch, deshalb im Original.)

Ohne dass ich jetzt in einen Streit über die Semantik einsteigen möchte, bezieht sich Owens ja - gerade indem er sich auf dieses Gesetz bezieht - eindeutig auf die durch staatlichen Rassismus erzwungene Rassentrennung und setzt diese mit der freiwilligen Schaffung von Safe Spaces wie diesen Häusern gleich. Wenn jemand so hahnebüchenen Unsinn macht, schreibe ich dem, ja, eine Agenda zu. Und, o Wunder, das ist ja auch genau die Agenda seiner Partei: Kulturkampf von rechts.

#390:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 12.01.2024, 22:14
    —
Das ist jetzt ein paar Tage her, aber darauf wollte ich noch zurückkommen:
Myron hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Aha.

Dann meinst du also, dass diese Personen, ...
?
...,
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
[...], die weibliche sichtbare Geschlechtsmerkmale haben und immer hatten, bei der Geburt und fortan als Mädchen identifiziert wurden und sich selbst auch immer als Mädchen bzw. Frauen gefühlt haben, Männer wären, weil sie keine Eierstöcke, sondern innenliegende Hoden haben (was irgendwan bei einer späteren Untersuchung entdeckt wurde) und damit eher auf die Produktion von Spermien ausgerichtet wären als auf die von Eiern.
Wird da diese Definition nicht irgendwann absurd?

Nein, warum auch?

Es gibt eben einige biologisch männliche Menschen mit ausgeprägtem biologisch weiblichen Phänotyp (und psychologisch weiblicher Geschlechtsidentifikation). Diese mögen auch sozial als Frauen wahrgenommen und anerkannt werden, obwohl sie eigentlich keine sind. Selbst das ändert nichts an der Tauglichkeit der binären biologischen Definition des Geschlechts. Nicht alle, die weiblich aussehen, sind Frauen!

Wenn es in einem menschlichen Körper zu keiner Entwicklung von Hoden- oder Eierstockgewebe kommt, dann kann man von Geschlechtslosigkeit sprechen. Wie viele Fälle gibt es?

Also auch diese Personen sind deiner Meinung nach Männer. Ohne moderne Medizin hätte das zwar nie jemand gewusst, aber egal.
Da möchte ich dich einfach mal auslachen.

Gnädigerweise meinst du dennoch, sie könnten "sozial als Frauen wahrgenommen und anerkannt werden, ...". Jemanden als X anerkennen hieße ja, zu sagen: "Ja, du bist X" - was du allerdings im Nebensatz schon wieder bestreitest: "... obwohl sie eigentlich keine sind". Ob dieser Verwirrtheit möchte ich dich noch einmal auslachen.

#391: Re: Zurück zur GWUP Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 13.01.2024, 00:35
    —
Noch mal zurück zur GWUP selbst und deren Mitgliederversammlung:
Hobbyphilosoph hat folgendes geschrieben:
Anders als tillich geschrieben hat: Bis zum Tagesordnungspunkt "Wahlen" auf der Mitgliederversammlung war nicht bekannt, dass es zu Kampfkandidaturen kommen würde.

Ich hatte ja geschrieben, dass auf einer Tagesordnung, die bei einem hpd-Artikel abgebildet war, schon lange vorher Kandidaturen namentlich angekündigt worden seien. Das war aber falsch. Die namentlich angekündigten Kandidaturen bezogen sich auf den Wissenschaftsrat der GWUP, nicht auf den Vorstand. Ich hatte offenbar nicht genau hingeschaut und das verwechselt, weil es z.T. um dieselben Personen ging. Ich bitte um Entschuldigung für die falsche Darstellung.

#392:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 21.01.2024, 13:51
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Du meinst einen anderen "Observer", nämlich den hier: https://www.theguardian.com/observer
Der Observer, den du zitierst hast, gehört Jared Kushner, dem Schwiegersohn von Donald Trump (als er dessen offizieller Berater wurde, hat er die Zeitung zwar der Familienstiftung überschrieben, aber ... naja).

Jetzt hast du mich überrascht. Respekt. Auf den Gedanken, daß es noch einen anderen Observer geben könnte bin ich nicht gekommen.


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Ich bin ja gerade in der komfortablen Position, daß wir in der Sache einer Meinung sind, also pro-black-only-housing. Umso mehr fällt mir auf, wie unterschiedlich wir das begründen. Ich kann Mr. Owens Kritik nachvollziehen, auch wenn ich sie nicht teile. Du schreibst ihm eine Agenda zu.

Mr. Owens fragte, was sei, wenn alle Rassen ihre eigenen Häuser haben wollen. Das ist eine vernünftige Frage. Weiter berief Owens sich auf ein altes Gesetz. (DeepL übersetzt das falsch, deshalb im Original.)

Ohne dass ich jetzt in einen Streit über die Semantik einsteigen möchte,

Werden wir nicht. Reden wir darüber, wie sinnvoll es ist, jemandem eine Agenda zuzuschreiben.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
bezieht sich Owens ja - gerade indem er sich auf dieses Gesetz bezieht - eindeutig auf die durch staatlichen Rassismus erzwungene Rassentrennung und setzt diese mit der freiwilligen Schaffung von Safe Spaces wie diesen Häusern gleich. Wenn jemand so hahnebüchenen Unsinn macht, schreibe ich dem, ja, eine Agenda zu. Und, o Wunder, das ist ja auch genau die Agenda seiner Partei: Kulturkampf von rechts.

Ich bin ein fauler Mensch. Wenn ich vor der Wahl stehe:

    1) Owens Ansichten zu widerlegen.

    2a) Owens Ansichten zu widerlegen.
    2b) Seine Agenda zu belegen.


dann wähle ich 1). Owens Agenda ist für dieses Problem nicht von Bedeutung. Meinetwegen hat er seine Meinung erwürfelt oder das I-Ging befragt. Was immer seine Agenda ist ändert nichts daran, was ich für richtig oder für falsch halte.


In diesem Sinn bin ich agenda-agnostisch. Sowohl aus Prinzip, keine Ad-Hominems, wie auch aus Faulheit.

Wenn man das beherzigt, geht es plötzlich nicht mehr um eine ferndiagnostizierte Agenda: "Das sagst du weil du ... AfD-ler! Kommunist! Christ! Rassist! ... bist." Sondern nur noch darum: Was du sagst ist falsch, weil ...

Nach länger Abwesenheit vom Forum ist mir in diesem und im Nachbarthread aufgefallen, daß einige Herren sich mehr mit mir und meinen vermuteten Eigenschaften oder denen anderer auseinandersetzen, als damit, was gerade verhandelt wird. Tarvoc hat das gut drauf. Derartiges kommentiere ich seltenst, davon wird ja mein Argument nicht besser - im Gegenteil, ich würde es mit Nebensächlichem verwässern. Aber es fällt mir natürlich auf und ich wundere mich, da schreiben die Leute 20 Jahre in einem Forum und haben immer noch nicht gelernt, sauber zu argumentieren.



Für's Archiv: so formulieren andere, was ich gerade gesagt habe:

Zwei Autoren haben Fehler in einer Studie aufgedeckt. In einer Übersetzung wurden die Fehler zum Schwindel [fraud]. Sie haben dagegengehalten und sagten, es läge ihnen fern, jemandem Schwindel vorzuwerfen, sie wollten nur auf die Fehler hinweisen.

Statistical Modeling hat folgendes geschrieben:
Die Ursache von Unstimmigkeiten (seien es typographische Fehler, unangebrachte statistische Methoden, Fehler in der Analyse, unangebrachte Datenverarbeitung, akademisches Fehlverhalten, oder etwas anderes) ist ebenfalls irrelevant für jede Bewertung von Forschung. Jegliche Forschung mit schweren und offensichtlichen Inkonsistenzen kann als zu ungenau betrachtet werden, unabhängig von der Ursache. In anderen Worten, die Beschreibung einer Inkonsistenz macht keine Annahme über die Quelle der Inkonsistenz.

Andrew Gelmans Blog


Daß die Sache einen Namen habe ich erst kürzlich gelernt, stand in Myron's Link zu Sokal.

Zitat:
Bulverism

C.S. Lewis wrote about this in a 1941 essay

Man muss zeigen, dass ein Mensch im Unrecht ist, bevor man zu erklären beginnt, aus welchem Grund er im Unrecht ist. Die moderne Methode besteht darin, diskussionslos anzunehmen, dass er sich irrt, und dann die Aufmerksamkeit davon abzulenken (dem einzigen wirklichen Problem), indem man eifrig erklärt, wie er so dumm geworden ist. Im Laufe der letzten fünfzehn Jahre habe ich dieses Laster so häufig festgestellt, dass ich einen Namen dafür erfinden musste. Ich nenne es "Bulverismus".

https://en.wikipedia.org/wiki/Bulverism

#393:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 21.01.2024, 15:02
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Nach länger Abwesenheit vom Forum ist mir in diesem und im Nachbarthread aufgefallen, daß einige Herren sich mehr mit mir und meinen vermuteten Eigenschaften oder denen anderer auseinandersetzen, als damit, was gerade verhandelt wird. Tarvoc hat das gut drauf.

Wenn du meinst, dass ich oft zu ad hominems greife, steht es dir frei, solches diskussionsstörendes Verhalten der Moderation zu melden.

#394:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 23.01.2024, 19:08
    —
Das hülft ja nüscht.

Wenn Petrus dein Sündenregister durchgeht, würde er sagen: keine eigene Einsicht.

#395:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 24.01.2024, 01:04
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Das hülft ja nüscht.

Wenn Petrus dein Sündenregister durchgeht, würde er sagen: keine eigene Einsicht.

Also du stellst diese Behauptung einfach nur in den Raum, aber weder gedenkst du, die Moderation darüber in Kenntnis zu setzen, obwohl es sich dabei um systematische Regelverstöße handeln müsste, noch hast du die Absicht, mir zu kommunizieren, was du dabei im Sinn hast. Dass ich nicht dazu in der Lage bin, zu erraten, was du wohl meinen könntest, kreidest du mir als moralisches Versagen an. Habe ich das richtig verstanden?

Gut, in dem Falle muss ich deinen Vorwurf wohl selbst der Moderation antragen. Man kann ja regelmäßige und systematische Regelverstöße, wie ich sie angeblich begehe, nicht einfach unmoderiert im Raum stehen lassen.

#396:  Autor: jdfWohnort: Nekropole E|B BeitragVerfasst am: 24.01.2024, 01:34
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Das hülft ja nüscht.

Wenn Petrus dein Sündenregister durchgeht, würde er sagen: keine eigene Einsicht.

Ich mache dich auf diese Forumsregel aufmerksam:

Zitat:
2.1 Hinweise oder Beschwerden

Manchmal kommt es vor, dass einzelne Beiträge als Beleidigung aufgefasst werden oder Benutzer in anderer Weise einen Anlass zur Beschwerde darstellen. Es ist nicht sinnvoll, Beschwerden oder Hinweise an das Team öffentlich in den betreffenden Threads zu verfassen. Zum einen ist damit nicht sichergestellt, dass der Hinweis möglichst bald zur Kenntnis genommen wird. Zum anderen kann dadurch die Diskussion über den Anlass der Beschwerde weiter ausufern und die Diskussion über das eigentliche Thema stören.

Daher bitten wir Dich darum, Hinweise und Beschwerden grundsätzlich nicht in Diskussionsthreads zu schreiben, sondern als private Nachricht (PN) an Mitglieder des Teams zu richten. Alternativ können Hinweise und Beschwerden auch im Unterforum "Fragen, Anregungen und Kritik" geäußert werden.

Und ich bitte dich in diesem Kontext um Hinweise oder Beschwerden am dafür vorgesehenen Ort oder hilfsweise darum, deine Andeutungen ggü Tarvoc zu unterlassen.

#397:  Autor: narr BeitragVerfasst am: 18.02.2024, 21:59
    —
Ich habe noch mal ausführlich über diesen Faden nachgedacht und auch etliche Posts nochmals gelesen. Dabei ist mir dieser hier als ein gutes Beispiel für die Form der Wokebewegten Leute besonders aufgefallen.
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
narr hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
"Wokeismus" ist ein reiner, vernebelnder, dumpfbackiger, rechter Kampfbegriff*,...

Ist diese "Erklärung" - (= Einstellung?) nicht etwas kurzsichtig?

Nein, denn - und ich danke recht herzlich dafür - du lieferst ein exzellentes Beispiel für meine Darstellung.

Das ist ein nettes Beispiel. anstatt mit Argumenten zu kommen wird sofort beleidigt und behauptet. "ein reiner, vernebelnder, dumpfbackiger, rechter Kampfbegriff*,..."
wessen Formulierung ist das? ist das eine offizielle Definition? Wohl eher nicht. Aber so ein Einstieg setzt gleich den richtigen Ton für eine erhellende Diskussion... oder halt auch nicht.


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
narr hat folgendes geschrieben:
Die am Anfang der Bewegung verfolgten Ziele - „wachsames“ Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus - haben sich inzwischen zu einer Ideologie entwickelt, die das fördert, was sie bekämpfen will.

Das sind erst mal Behauptungen: ....

zu sagen "das sind Behauptungen" ist einfach. Nein, es sind keine Behauptungen. Und das sage in erster Instanz nicht ich, sondern Leute die sich damit befassen
"In Amerika greift die Ideologie des Wokeismus um sich. Wir Europäer erhalten eine Anschauung davon, was uns erst noch bevorsteht" (NZZ)
"Wokeness ist letztlich eine anti-wissenschaftliche Weltanschauung" (hpd)

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

1. Da hätten sich Ziele zu einer (!) Ideologie entwickelt, und
2. diese Ideologie fördere das, was sie bekämpfen wolle.

Für 1. müsste beschrieben werden, was für eine Ideologie das ist. Das tust du nicht,...

Wer vielleicht ab und an nicht nur das liest was in die eigene Bubble passt sondern auch Gegenstimmen wird da vielleicht besser wissen welche Art der Ideologie es ist.
Zur Erinnerung:
wiki hat folgendes geschrieben:
Ideologie (von französisch idéologie; zu altgriechisch ???? idéa, hier „Idee“, und ????? lógos „Lehre, Wissenschaft“ – eigentlich „Ideenlehre“)[1] steht im weiteren Sinne bildungssprachlich für Weltanschauung. ....


Wer sich allerdings mit Inhaltsverzeichnissen begnügt ... skeptisch
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Ich habe das Buch nicht gelesen, aber online ins Inhaltsverzeichnis geschaut. Schon daran kann man erkennen, dass es sich um genau so untheoretisches, wildes Sammelsurium handelt und eben nicht um eine geordnete Auseinandersetzung mit einer bestimmten, konkret darstellbaren "Ideologie".

och, manchmal hilft es die unterschiedlichen Definitionen eines Begriffs noch mal nach zu schlagen:
Definitionen von Oxford Languages hat folgendes geschrieben:

1.
an eine soziale Gruppe, eine Kultur o. Ä. gebundenes System von Weltanschauungen, Grundeinstellungen und Wertungen

2.
politische Theorie, in der Ideen (2) der Erreichung politischer und wirtschaftlicher Ziele dienen (besonders in totalitären Systemen) "eine faschistische, kommunistische Ideologie"


und hier kann man sicher von einer sozialen Gruppe aus gehen die versucht ihre Weltanschauung und Wertung mit recht aggressiven Mitteln unter die Leute zu bringen.
Und ganz nebenbei: Das hier ist ein Forum im Internet und kein Uni-seminar. Und wenn schon denn schon - dann muss man auch alle Definitionen eines Begriffs kennen und nicht nur von der eigenen, begrenzten Weltsicht aus gehen.

Und wer sich die Mühe macht z.B. René Pfisters Buch zu lesen würde auch mit Hintergrundinfos zur Herkunft dieser Haltung versorgt (Stichworte wären da z.B. Marcuse und Frankfurter Schule)

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
...deswegen ist der Verwender erstens zu faul oder zu dämlich, ... zum nützlichen Idioten der rechten. ...

Na ja, zum "nützlichen Idioten der Rechten" machen sich die Vertreter dieser Ideologie - oder wegen mir Weltanschauung schon selber.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
... (--> zu dämlich) ... (--> zu faul).

kommt oft, kann ja auch sein, dass es nur eine andere Sichtweise ist? Kann man also davon aus gehen, dass "andere Sichtweise" hier = "dämlich und faul" heißt?

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
.... Nur eben als einzelne Themen, sodass man sich mit ihnen auch konkret und differenziert auseinandersetzen konnte, und nicht unter einem sinnlosen Kampfbegriff zusammengemanscht.

"Nur eben" sind das keine einzelnen Themen, sondern alles Auswirkungen dieser Haltung.
Diskurs wird mit Behauptungen unterbunden, "Gefühl" wird über Fakten gestellt, Begriffe werden erfunden oder umgedeutet und als "Wahrheit" verkauft. Letztliche werden Opfer kreiert und ein Punktekatalog bestimmt wer wo in der Opferskala steht. Inzwischen kuschen Universitäten, Medien und Regierungen.
Das ist bedenklich.[/quote]

#398:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 19.02.2024, 15:16
    —
Eine politische Ideologie (im wertfreien politologischen Sinn) gibt Antworten auf die folgenden Grundfragen:

1. Wie ist die gesellschaftliche Wirklichkeit (und die Wirklichkeit insgesamt)?
2. Wie soll die gesellschaftliche Wirklichkeit sein?
3. Wie wird die gesellschaftliche Wirklichkeit, wie sie sein soll?

Sie besteht entsprechend aus einer analytisch-kritischen Beschreibung der gesellschaftlichen Wirklichkeit (und der Wirklichkeit insgesamt), einer idealen Vorstellung von ihr, und einer praktischen Planung der Verwirklichung der idealen Gesellschaftsvorstellung.

Eine politische Ideologie kann inhaltlich "dick" oder "dünn" sein, d.h. mehr oder weniger gehaltvoll oder umfassend. Der Liberalismus ist beispielsweise eine dicke Ideologie und der Populismus eine sehr dünne.

Zitat:
"It is useful to think of ideologies as comprising three inter-related components:

1. a critique of existing society—involving an assessment of its shortcomings in relation to certain cherished values, and an understanding of how the world works in terms of how current society operates to generate these defects;

2. a vision of the good society—again defined with reference to the cherished values, and combined with an understanding of how the world works reflected in proposals for how the good society would be organized;

3. a strategy to get from current society to the good society—involving an understanding of political power.

In this sense, an ideology is a coherent set of ideas: these three components fit together in a logical way. And an ideology may provide its adherents with a fairly comprehensive set of ideas, or a ‘world view’, which they can use to understand the world and navigate their way within it (or to change it). However ideologies may differ in the extent to which they attain this coherence, so the three components might best serve as an analytical framework which we can use to study and compare ideologies. Similarly, ideologies may differ in the extent to which they provide a comprehensive world view or look through a more restricted lens. So, again, this provides a criterion for comparing ideologies."

(Wetherly, Paul. "Introduction to Ideology." In Political Ideologies, edited by Paul Wetherly, 1-32. Oxford: Oxford University Press, 2017. p. 12)
——————
"Any short or single-sentence definition of ideology is likely to provoke more questions than it answers. Nevertheless, it provides a useful and necessary starting point. In this book, ideology is understood as the following:

An ideology is a more or less coherent set of ideas that provides the basis for organized political action, whether this is intended to preserve, modify or overthrow the existing system of power. All ideologies therefore have the following features. They:

(a) advance an account of the existing order, usually in the form of a ‘world-view’
(b) outline a model of the desired future, a vision of the ‘good society’
(c) explain how political change can and should be brought about – how to get from (a) to (b).

This definition is neither original nor novel, and is entirely in line with the social-scientific usage of the term. It nevertheless draws attention to some of the important and distinctive features of the phenomenon of ideology.

However, ideologies may be either ‘thick’ or ‘thin’, in terms of the configuration of their conceptual furniture. Whereas liberalism, conservatism and socialism are based on a broad and distinctive set of values, doctrines and beliefs, others, such as anarchism and feminism, are more thin-centred, often having a ‘cross-cutting’ character, in that they incorporate elements from ‘thicker’ ideological traditions. This also explains why there is (perhaps unresolvable) debate and confusion about whether nationalism and multiculturalism in particular are ideologies in their own right or merely embellishments to other, ‘host’, ideologies."

(Heywood, Andrew. Political Ideologies: An Introduction. 7th ed. London: Red Globe Press/Macmillan, 2021. pp. 7-10)


Zuletzt bearbeitet von Myron am 19.02.2024, 19:23, insgesamt einmal bearbeitet

#399:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 19.02.2024, 16:20
    —
narr hat folgendes geschrieben:
ist das eine offizielle Definition?

Was zur Hölle ist in diesem Kontext bitte eine "offizielle Definition"?? Am Kopf kratzen

narr hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
narr hat folgendes geschrieben:
Die am Anfang der Bewegung verfolgten Ziele - „wachsames“ Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus - haben sich inzwischen zu einer Ideologie entwickelt, die das fördert, was sie bekämpfen will.

Das sind erst mal Behauptungen:
1. Da hätten sich Ziele zu einer (!) Ideologie entwickelt, und
2. diese Ideologie fördere das, was sie bekämpfen wolle.

zu sagen "das sind Behauptungen" ist einfach. Nein, es sind keine Behauptungen.

Äähh, was denn bitte sonst? Weißt du nicht, was das Wort "Behauptung" bedeutet? Mit den Augen rollen

narr hat folgendes geschrieben:
Und das sage in erster Instanz nicht ich, sondern Leute die sich damit befassen

Dein Fehlschluss des Tages ist: argumentum ad auctoritatem (Berufung auf Autorität).

narr hat folgendes geschrieben:
"In Amerika greift die Ideologie des Wokeismus um sich. Wir Europäer erhalten eine Anschauung davon, was uns erst noch bevorsteht" (NZZ)
"Wokeness ist letztlich eine anti-wissenschaftliche Weltanschauung" (hpd)

Da haben wir es. Wer meint, das seien keine Behauptungen, der versteht ganz grundsätzlich nicht, was das Wort "Behauptung" bedeutet.

narr hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

1. Da hätten sich Ziele zu einer (!) Ideologie entwickelt, und
2. diese Ideologie fördere das, was sie bekämpfen wolle.

Für 1. müsste beschrieben werden, was für eine Ideologie das ist. Das tust du nicht,...

Wer vielleicht ab und an nicht nur das liest was in die eigene Bubble passt sondern auch Gegenstimmen wird da vielleicht besser wissen welche Art der Ideologie es ist.

Dein Fehlschluss des Tages ist: argumentum ad hominem circumstantiae ("Bulverismus").

Ob tillich sich in einer Bubble bewegt oder nicht, ist übrigens für deine diskursive Bringschuld, Behauptungen auch zu begründen und nicht nur vorauszusetzen, völlig gegenstandslos.

narr hat folgendes geschrieben:
und hier kann man sicher von einer sozialen Gruppe aus gehen die versucht ihre Weltanschauung und Wertung mit recht aggressiven Mitteln unter die Leute zu bringen.

Nein, davon kann man nicht einfach ausgehen, sondern das hat man zu belegen. Solltest du als Mitglied eines Vereins, der sich wissenschaftliche Skepsis auf die Fahnen geschrieben hat, eigentlich wissen.

narr hat folgendes geschrieben:
Und ganz nebenbei: Das hier ist ein Forum im Internet und kein Uni-seminar. Und wenn schon denn schon - dann muss man auch alle Definitionen eines Begriffs kennen und nicht nur von der eigenen, begrenzten Weltsicht aus gehen.

...Ich habe keinen blassen Schimmer, wofür oder wogegen das im Kontext dieser Diskussion ein Argument sein soll.

narr hat folgendes geschrieben:
Und wer sich die Mühe macht z.B. René Pfisters Buch zu lesen würde auch mit Hintergrundinfos zur Herkunft dieser Haltung versorgt (Stichworte wären da z.B. Marcuse und Frankfurter Schule)

Scherzkeks. Wenn ich was über Marcuse oder die Frankfurter Schule wissen will, lese ich zuallererst mal Marcuse und die Frankfurter Schule und nicht Pfister.

narr hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Oder aber er möchte dieses Wort nur für die Kritik ganz bestimmter Positionen verwenden. Dafür ist es aber in seiner gewollten Unbestimmtheit nicht geeignet, und deswegen ist der Verwender erstens zu faul oder zu dämlich, seine Kritik an diesen ganz bestimmten Positionen statt mit diesem großen Hammer auch so differenziert und konkret zu formulieren, dass sie eben nicht alles minderheitenfreundliche pauschal trifft, und er macht sich zweitens zum nützlichen Idioten der rechten.

kommt oft, kann ja auch sein, dass es nur eine andere Sichtweise ist? Kann man also davon aus gehen, dass "andere Sichtweise" hier = "dämlich und faul" heißt?

Ich habe mir mal die Freiheit genommen, das tillichsche Zitat von deiner sinnentstellenden Verkrüppelung zu reinigen und in seiner ursprünglichen Form wiederherzustellen. Eine Antwort auf deine Frage erübrigt sich mit dieser Wiederherstellung von selbst.

narr hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
.... Nur eben als einzelne Themen, sodass man sich mit ihnen auch konkret und differenziert auseinandersetzen konnte, und nicht unter einem sinnlosen Kampfbegriff zusammengemanscht.

"Nur eben" sind das keine einzelnen Themen, sondern alles Auswirkungen dieser Haltung.

"Nur eben" hättest du das (1) erst zu zeigen und eben nicht nur zu behaupten, und (2) müsstest du daher erstmal klar umrissen haben, was genau überhaupt mit "dieser Haltung" (welcher genau?) gemeint ist.

narr hat folgendes geschrieben:
Diskurs wird mit Behauptungen unterbunden, "Gefühl" wird über Fakten gestellt, Begriffe werden erfunden oder umgedeutet und als "Wahrheit" verkauft.

...Ich hoffe doch sehr, dass dir klar ist, dass Begriffe als Strukturen menschlichen Begreifens per definitionem "erfunden" sind. Oder meinst du, Begriffe wachsen auf Bäumen? Mit den Augen rollen

Davon abgesehen ist das eine ausgezeichnete Charakterisierung deines eigenen Modus operandi in diesem Thread im Allgemeinen und in diesem Beitrag von dir im Besonderen, aber was hat das bitte mit dem Thema zu tun? Am Kopf kratzen

#400:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 19.02.2024, 17:34
    —
narr hat folgendes geschrieben:
Die am Anfang der Bewegung verfolgten Ziele - „wachsames“ Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus - haben sich inzwischen zu einer Ideologie entwickelt, die das fördert, was sie bekämpfen will.

Zumindest ist die herausragende Bedeutung von Sprachregelungen im "Wokeismus" ein klares Indiz für Ideologie.

#401:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 20.02.2024, 10:23
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Dein Fehlschluss des Tages ist: argumentum ad auctoritatem (Berufung auf Autorität).

also ... nö, ich sehe da eher ein argumentum ad auxilium


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Dein Fehlschluss des Tages ist: argumentum ad hominem circumstantiae ("Bulverismus").

nö ... also das war vom auctor (um Deine Wortwahl zu versenden) wohl eher als argumentum in nomine patris et filii et spiritus sancti, et nunc et semper et in saecula saeculorum gemeint oder nicht?


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Äähh, was denn bitte sonst? Weißt du nicht, was das Wort "Behauptung" bedeutet? Mit den Augen rollen
...
Da haben wir es. Wer meint, das seien keine Behauptungen, der versteht ganz grundsätzlich nicht, was das Wort "Behauptung" bedeutet.

HIER haben wir es doch wohl mit einem Pulverismus in purissima sua forma zu tun.

#402:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 20.02.2024, 11:56
    —
VanHanegem hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Dein Fehlschluss des Tages ist: argumentum ad auctoritatem (Berufung auf Autorität).

also ... nö, ich sehe da eher ein argumentum ad auxilium


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Dein Fehlschluss des Tages ist: argumentum ad hominem circumstantiae ("Bulverismus").

nö ... also das war vom auctor (um Deine Wortwahl zu versenden) wohl eher als argumentum in nomine patris et filii et spiritus sancti, et nunc et semper et in saecula saeculorum gemeint oder nicht?


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Äähh, was denn bitte sonst? Weißt du nicht, was das Wort "Behauptung" bedeutet? Mit den Augen rollen
...
Da haben wir es. Wer meint, das seien keine Behauptungen, der versteht ganz grundsätzlich nicht, was das Wort "Behauptung" bedeutet.

HIER haben wir es doch wohl mit einem Pulverismus in purissima sua forma zu tun.

Unfug.

#403:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 20.02.2024, 19:00
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:

narr hat folgendes geschrieben:
Und wer sich die Mühe macht z.B. René Pfisters Buch zu lesen würde auch mit Hintergrundinfos zur Herkunft dieser Haltung versorgt (Stichworte wären da z.B. Marcuse und Frankfurter Schule)

Scherzkeks. Wenn ich was über Marcuse oder die Frankfurter Schule wissen will, lese ich zuallererst mal Marcuse und die Frankfurter Schule und nicht Pfister.


Du kannst gerne Marcuses Text Repressive Toleranz (1965) lesen, den Pfister als eine der ideologischen Wurzeln der gegenwärtigen Cancel Culture bespricht.

Zitat:
"Aber was sind das für Ideen? Es gibt viele Denker, die das geistige Fundament für die Phänomene gelegt haben, die ich in diesem Buch zu beschreiben versuche. Man könnte mit dem deutschen Soziologen Herbert Marcuse anfangen, der während der Nazizeit in die USA emigrierte und 1965 einen Essay mit dem Titel »Repressive Toleranz« veröffentlichte. Marcuse, der 1979 in Starnberg starb, blieb vor allem als Vordenker der Studentenrevolte in Erinnerung; aber sein kurzer, nur 36-seitiger Aufsatz wirkt bis heute nach.

In ihm vollführt Marcuse eine bemerkenswerte gedankliche Volte: Er erklärt die Toleranz, die das Zusammenleben von Menschen verschiedener Religionen und Bekenntnisse überhaupt erst möglich gemacht hat, zu einem Unterdrückungsinstrument in den Händen der Mächtigen – und zwar gerade in den Demokratien des Westens. Das Argument von Marcuse geht in zwei Richtungen. Zum einen schaffe die Toleranz eine Art Fiktion der Freiheit. Gerade weil die Bürger das Recht hätten, ihre Meinung zu äußern und zu wählen, würden sie sich in der Illusion wiegen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Toleranz werde so »zu einem Instrument, die Knechtschaft freizusprechen«, schreibt Marcuse. Auf der anderen Seite sei die Forderung nach Toleranz ein Mittel der Mächtigen, um ihre Politik mit dem Argument durchzusetzen, diese „sei zum Wohle aller da: »Toleranz gegenüber dem radikal Bösen erscheint jetzt als gut, weil sie dem Zusammenhalt des Ganzen dient auf dem Wege zum Überfluss …«

Marcuses Essay ist geprägt vom Zeitgeist der Sechzigerjahre – dem Widerstand gegen den Vietnamkrieg und der Kritik der amerikanischen Linken an der Konsumgesellschaft. Marcuse plädiert grundsätzlich für einen offenen Diskurs, den er aber unter den Bedingungen einer kapitalistischen Gesellschaft für unmöglich hält: »Unter der Herrschaft der monopolistischen Medien – selber bloße Instrumente ökonomischer und politischer Macht – wird eine Mentalität erzeugt, für die Recht und Unrecht, Wahr und Falsch vorherbestimmt sind, wo immer sie die Lebensinteressen der Gesellschaft berühren.« In der »totalitären Demokratie« würden die Herrschenden immer Mittel und Wege finden, sich an der Macht zu halten. Deshalb fordert Marcuse, politische Kräfte, die seiner Ansicht nach dem Fortschritt im Wege stehen, aus dem öffentlichen Diskurs zu verbannen:

»Dazu würde gehören, dass Gruppen und Bewegungen die Rede- und Versammlungsfreiheit entzogen wird, die eine aggressive Politik, Aufrüstung, Chauvinismus und Diskriminierung aus rassischen und religiösen Gründen befürworten oder sich der Ausweitung öffentlicher Dienste, sozialer Sicherheit, medizinischer Fürsorge usw. widersetzen. Darüber hinaus kann die Wiederherstellung der Denkfreiheit neue und strenge Beschränkungen der Lehren und Praktiken in den pädagogischen Institutionen „erfordern, die ihren ganzen Methoden und Begriffen nach dazu dienen, den Geist ins etablierte Universum von Rede und Verhalten einzuschließen – und dadurch a priori einer rationalen Einschätzung der Alternativen vorzubeugen.«

Es ist ein Argumentationsmuster, das in kaum abgewandelter Form in den vergangenen Jahren an amerikanische Universitäten zurückgekehrt ist. Inzwischen gibt es fast wöchentlich einen Fall, in dem ein Professor suspendiert oder eine Gastrednerin ausgeladen wird, weil sie Meinungen vertreten, die als unsensibel, rückständig oder verletzend gegenüber Minderheiten gelten. Insofern war Marcuse einer der Pioniere des Gedankens, dass Meinungsfreiheit, die konstitutiv für jede Demokratie ist, im Kern nichts weiter darstellt als einen Knüppel in der Hand der Herrschenden.
Man muss Marcuse zugutehalten, dass er aus seiner unbedingten Parteilichkeit nie einen Hehl gemacht hat. Es gehe ihm, so schreibt er, um den systematischen »Entzug von Toleranz gegenüber rückschrittlichen und repressiven Meinungen«."

(Pfister, René. Ein falsches Wort: Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht. München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2022. pp. 39-42)

#404:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 20.02.2024, 20:07
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:

narr hat folgendes geschrieben:
Und wer sich die Mühe macht z.B. René Pfisters Buch zu lesen würde auch mit Hintergrundinfos zur Herkunft dieser Haltung versorgt (Stichworte wären da z.B. Marcuse und Frankfurter Schule)

Scherzkeks. Wenn ich was über Marcuse oder die Frankfurter Schule wissen will, lese ich zuallererst mal Marcuse und die Frankfurter Schule und nicht Pfister.

Du kannst gerne Marcuses Text Repressive Toleranz (1965) lesen, den Pfister als eine der ideologischen Wurzeln der gegenwärtigen Cancel Culture bespricht.

Aber wieso sollte ich? Ich sagte wenn ich etwas über Marcuse wissen will, lese ich primär Marcuse und nicht Pfister. Das war ein Punkt bezüglich des philosophischen Wissenserwerbs durch Aufsuchen der Primärtexte vs. durch ausschließliche Konsultation von Sekundärtexten, kein Statement über Marcuses tatsächliche Relevanz für diese Diskussion (oder über mein tatsächliches Interesse an Marcuse, for that matter). Ich bin sowohl im als auch außerhalb des akademischen Betriebs viel in linken Kreisen unterwegs, inklusive solcher, die ihr mit Sicherheit als "woke" bezeichnen würdet. Meiner Einschätzung nach ist Marcuse in diesen Diskursen schon hier in Deutschland weitestgehend marginal. In den USA sowieso schon gleich ganz und gar.

Die von dir zitierte Passage von Pfister stellt dementsprechend auch keine tatsächliche geistesgeschichtliche Verbindung (z. B. durch den tatsächlichen Nachweis einer exzessiven Bezugnahme auf Marcuse in US-amerikanischen universitätspolitischen Diskursen) her, sondern konstatiert bzw. behauptet lediglich Ähnlichkeiten in der Argumentation und Praxis. Mit Verlaub: Das ist philosophiehistorische Schlamperei ersten Ranges. Mit so einer Methodik kann man auch "beweisen", dass die Ideologie der Nazis auf Nietzsche zurückgeht, oder ähnlichen Schwachsinn. (Aber wer weiß: Vielleicht führt Pfister den tatsächlichen Nachweis einer Verbindung ja woanders im Buch. Dann wäre aber dein Zitat schlecht gewählt.)

#405:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 20.02.2024, 21:33
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ich bin sowohl im als auch außerhalb des akademischen Betriebs viel in linken Kreisen unterwegs, inklusive solcher, die ihr mit Sicherheit als "woke" bezeichnen würdet. Meiner Einschätzung nach ist Marcuse in diesen Diskursen schon hier in Deutschland weitestgehend marginal. In den USA sowieso schon gleich ganz und gar.

Die von dir zitierte Passage von Pfister stellt dementsprechend auch keine tatsächliche geistesgeschichtliche Verbindung (z. B. durch den tatsächlichen Nachweis einer exzessiven Bezugnahme auf Marcuse in US-amerikanischen universitätspolitischen Diskursen) her, sondern konstatiert bzw. behauptet lediglich Ähnlichkeiten in der Argumentation und Praxis. Mit Verlaub: Das ist philosophiehistorische Schlamperei ersten Ranges. Mit so einer Methodik kann man auch "beweisen", dass die Ideologie der Nazis auf Nietzsche zurückgeht, oder ähnlichen Schwachsinn. (Aber wer weiß: Vielleicht führt Pfister den tatsächlichen Nachweis einer Verbindung ja woanders im Buch. Dann wäre aber dein Zitat schlecht gewählt.)


Der Nietzsche-Nazis-Vergleich hinkt, denn Marcuse lebte und lehrte zur Zeit der Neuen Linken, und war darin direkt als einflussreicher Theoretiker involviert. Außerdem hat sich die gegenwärtige Wache Linke aus der Neuen Linken entwickelt. Sie hat eine ideologische (Vor-)Geschichte und ist nicht plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht. Pfister hat recht, wenn er unter Verweis auf Marcuse von einem "Argumentationsmuster" der radikalen kulturellen Linken spricht, "das in kaum abgewandelter Form in den vergangenen Jahren an amerikanische Universitäten zurückgekehrt ist," und mit dem die eigene Intoleranz gegenüber Andersdenkenden gerechtfertigt wird. Dabei ist es nebensächlich, ob Marcuse bei den heutigen linksradikalen Studenten noch en vogue ist oder nicht, ob sie noch seine Texte lesen oder nicht; denn davon hängt der tradierte Einfluss seines Denkens auf die Wache Linke nicht ab. Gedanken können auch anonym wirken, solange sie bewusst oder unbewusst als urheberunabhängige Ideen oder "Meme" weitergegeben werden.

#406:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 21.02.2024, 10:02
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Sie hat eine ideologische (Vor-)Geschichte und ist nicht plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht.

Klar. Hier wird ja auch nicht bezweifelt, dass sie eine geistesgeschichtliche Vorgeschichte hat, sondern dass sie so aussieht, wie Pfister sie charakterisiert. Das wäre nämlich zu belegen.

Myron hat folgendes geschrieben:
Dabei ist es nebensächlich, ob Marcuse bei den heutigen linksradikalen Studenten noch en vogue ist oder nicht, ob sie noch seine Texte lesen oder nicht; denn davon hängt der tradierte Einfluss seines Denkens auf die Wache Linke nicht ab. Gedanken können auch anonym wirken, solange sie bewusst oder unbewusst als urheberunabhängige Ideen oder "Meme" weitergegeben werden.

Aha. Wie wäre diese Hypothese denn empirisch überprüfbar?

Marcuses Kritik an der Toleranzidee war schon zu seinen Zeiten alles andere als neu - wenn man wollte, könnte man sie mit deiner Methode ohne Weiteres bis zu Plato zurückverfolgen. Weil Philosophiegeschichte nicht immer streng linear verläuft, könnte es sogar durchaus sein, dass man von Plato zu Marcuse weniger Zwischenschritte braucht als von Marcuse zu gegenwärtigen Linken. Das wäre natürlich erst zu prüfen, ist aber keineswegs von vorne herein auszuschließen. Sowas kommt eben, wenn man sich philosophiegeschichtlichen Fragen ohne jedwede theoretische und insbesondere kritische Armatur nähert. Man bekommt dann buchstäblich alles Beliebige heraus, das einem in den Kram passt - bzw. ganz grundsätzlich nur das, was man am Anfang in das Material hereinprojiziert. Deswegen ist es wichtig, jeden behaupteten Zusammenhang sauber belegen zu können, statt sich des Belegs überheben zu wollen, indem man einige unverdaute Brocken zum Thema Mimetik auskotzt.

#407:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 21.02.2024, 12:27
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Unfug.


Unfug besteht m.E. vor allem darin einem User ad hominems und zirkuläre Denkstrukturen zu unterstellen und dann selbst sowas zu schreiben:

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Äähh, was denn bitte sonst? Weißt du nicht, was das Wort "Behauptung" bedeutet? Mit den Augen rollen
...
Da haben wir es. Wer meint, das seien keine Behauptungen, der versteht ganz grundsätzlich nicht, was das Wort "Behauptung" bedeutet.

#408:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 21.02.2024, 14:00
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Marcuses Kritik an der Toleranzidee war schon zu seinen Zeiten alles andere als neu - wenn man wollte, könnte man sie mit deiner Methode ohne Weiteres bis zu Plato zurückverfolgen. Weil Philosophiegeschichte nicht immer streng linear verläuft, könnte es sogar durchaus sein, dass man von Plato zu Marcuse weniger Zwischenschritte braucht als von Marcuse zu gegenwärtigen Linken. Das wäre natürlich erst zu prüfen, ist aber keineswegs von vorne herein auszuschließen. Sowas kommt eben, wenn man sich philosophiegeschichtlichen Fragen ohne jedwede theoretische und insbesondere kritische Armatur nähert. Man bekommt dann buchstäblich alles Beliebige heraus, das einem in den Kram passt - bzw. ganz grundsätzlich nur das, was man am Anfang in das Material hereinprojiziert. Deswegen ist es wichtig, jeden behaupteten Zusammenhang sauber belegen zu können, statt sich des Belegs überheben zu wollen, indem man einige unverdaute Brocken zum Thema Mimetik auskotzt.


Ein weiteres Pfister-Zitat, das belegt, dass Marcuses Denken über "repressive Toleranz" bei den radikalen kulturellen Linken noch nicht ad acta gelegt ist, auch wenn die heutigen woken Studenten keine Marcuse-T-Shirts tragen:

Zitat:
"Man muss Marcuse zugutehalten, dass er aus seiner unbedingten Parteilichkeit nie einen Hehl gemacht hat. Es gehe ihm, so schreibt er, um den systematischen »Entzug von Toleranz gegenüber rückschrittlichen und repressiven Meinungen«. Denkt man Marcuses Gedanken konsequent zu Ende, hätten bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl 1964 sowohl Präsident Lyndon B. Johnson als auch sein Herausforderer Barry Goldwater disqualifiziert werden müssen. Johnson, weil er den Vietnamkrieg fortführte und deswegen als Militarist zu gelten hatte. Goldwater widersetzte sich dem »Civil Rights Act« von 1964, der die Rassentrennung im Süden der USA beenden sollte.

Es liegt auf der Hand, dass eine Theorie, die praktisch das gesamte politische Spektrum der USA zu Antidemokraten erklärt, selbst totalitäre Züge trägt, weshalb in den Vereinigten Staaten in der jüngsten Vergangenheit eine heftige Debatte darüber entbrannt ist, inwieweit Marcuse und die marxistisch beeinflusste »Frankfurter Schule«, der er angehörte, wirklich prägend sind für die aktuellen Debatten. Gerade Vertreter der einflussreichen »Critical Race Theory« haben das als hysterischen antikommunistischen Reflex zurückgewiesen.

Allerdings wird Marcuse immer noch angeführt, etwa wenn es darum geht, in den USA einer progressiven Pädagogik zum Durchbruch zu verhelfen. Im Jahr 2005 veröffentlichte Stephen Brookfield, Professor an der University of St. Thomas in Minnesota, einen Aufsatz [PDF], der stark von Marcuses Theorie geprägt ist. Laut Brookfield genügt es nicht, wenn Lehrer im Unterricht verschiedene Stimmen präsentierten, also auch die von schwarzen oder asiatischen Gelehrten. Denn dies würde nur dazu führen, dass diese neben den weißen Wissenschaftlern als das »exotisch Andere« wirkten, schreibt Brookfield. »Weiße Lehrer können ihr Gewissen beruhigen und sich in dem Glauben wiegen, dass ein Schritt in Richtung Inklusion und kultureller Gleichheit getan ist.« Um echte Toleranz in Sinne von Marcuse zu erreichen, sei es notwendig, die »Ideologie des Mainstreams« konsequent aus dem Unterricht zu verbannen – etwa indem ein Programm zur Erwachsenenbildung nur afrika-zentristische Stimmen und Überlegungen zulässt. Brookfield plädiert, mit anderen Worten, für eine radikale Einseitigkeit in Namen des Fortschrittes.

Zum anderen waren Marcuse und die »Frankfurter Schule« Vordenker für eine Generation von Theoretikern, deren Ideen das geistige Klima an US-Universitäten entscheidend beeinflussen sollten: Zu ihnen gehört unter anderem der französische Philosoph und Historiker Michel Foucault. Foucault war in seiner Jugend wie Marcuse selbst Kommunist, trat aber schon mit Mitte 20 wieder aus der Kommunistischen Partei Frankreichs aus. In einem Gespräch mit dem italienischen Journalisten Duccio Trombadori berichtete Foucault davon, wie sehr ihn die »Frankfurter Schule« beeindruckt habe. »Wenn ich die Verdienste der Philosophen der Frankfurter Schule anerkenne, so tue ich es mit dem schlechten Gewissen von jemandem, der ihre Bücher hätte früher lesen, sie früher hätte verstehen müssen«, sagte Foucault. »Vielleicht wäre ich, wenn ich die Philosophen dieser Schule in meiner Jugend kennengelernt hätte, von ihnen so begeistert gewesen, dass ich nichts weiter hätte tun können, als sie zu kommentieren.«"

(Pfister, René. Ein falsches Wort: Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht. München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2022. pp. 42-4)

#409:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 21.02.2024, 14:35
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Ein weiteres Pfister-Zitat, das belegt, dass Marcuses Denken über "repressive Toleranz" bei den radikalen kulturellen Linken noch nicht ad acta gelegt ist, auch wenn die heutigen woken Studenten keine Marcuse-T-Shirts tragen:

Zitat:
"…Allerdings wird Marcuse immer noch angeführt, etwa wenn es darum geht, in den USA einer progressiven Pädagogik zum Durchbruch zu verhelfen. Im Jahr 2005 veröffentlichte Stephen Brookfield, Professor an der University of St. Thomas in Minnesota, einen Aufsatz [PDF], der stark von Marcuses Theorie geprägt ist.…"

(Pfister, René. Ein falsches Wort: Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht. München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2022. pp. 42-4)


In einem 2019 veröffentlichten Buch schreibt Brookfield Folgendes, das belegt, dass Marcuses Denken auch in die kritische Rassentheorie hineinwirkt:

Zitat:
"Watching Out for Repressive Tolerance

In one of the most formative influences on my thinking about how white supremacy maintains itself, Herbert Marcuse (1965) explicates the concept of repressive tolerance. Put very simply, repressive tolerance is the process by which institutions manage threats to their authority and legitimacy so that they appear to be changing while keeping things as they are. Instead of opposing the challenge by directly rebutting or discrediting those issuing critiques, institutions respond in a far subtler and ultimately more effective way. They appear to take the challenge seriously, creating working parties, task forces, and advisory committees to document the grievances being brought to their attention. They then make small, symbolic changes to institutional functioning and present these as substantive and important. But as all these things are happening, the fundamental structure remains unchanged. White supremacist consciousness remains in place and whites continue to hold the levers of power and determine institutional culture and policy."

(Brookfield, Stephen D., & Associates. Teaching Race: How to Help Students Unmask and Challenge Racism. San Francisco, CA: Jossey-Bass, 2019. pp. 10-1)

#410:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 21.02.2024, 14:51
    —
In einem Artikel in der Irish Times von 2020 steht beispielsweise:

Zitat:
"…Another expert is Graham Finlay, the US-born academic who teaches Mill to politics students at UCD. Today's Unthinkable guest, he argues that Mill is best read in tandem with the German philosopher Herbert Marcuse, whose 1965 essay Repressive Tolerance can be seen to justify aspects of today's cancel culture.…"

Quelle: Cancel culture: can you defend people who say unpopular things?

#411:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 21.02.2024, 14:54
    —
Zitat:
Es liegt auf der Hand, dass eine Theorie, die praktisch das gesamte politische Spektrum der USA zu Antidemokraten erklärt, selbst totalitäre Züge trägt

Nein, das liegt überhaupt nicht auf der Hand, sondern wäre zu begründen. Die demokratische und auch menschenrechtliche Legitimierbarkeit der US-Militäreinsätze in Vietnam ist bestenfalls fragwürdig, und dass die Ablehnung der rechtlichen und gesellschaftlichen Gleichstellung der Schwarzen ein fundamental antidemokratischer Rassismus ist, steht ja wohl nicht in Frage. Insofern muss es keineswegs ein Zeichen eigener "totalitärer Züge" (was auch immer das heißen soll) sein, beide Kandidaten und sogar das (um es mal ganz deutlich zu sagen auch im Vergleich zu anderen demokratischen Staaten ohnehin nicht allzu breite) ganze politische Spektrum der USA zu diesem historischen Zeitpunkt (!) für undemokratisch zu halten, sondern das ist eine u. U. völlig im Rahmen demokratischer Werte und Prinzipien sich bewegende Meinung. Auch hier bleibt Pfister die Argumente für das für ihn "auf der Hand liegende" schuldig. (Abgesehen davon, dass Marcuse dazu, wie sein Ansatz auf diesen Fall anzuwenden war, durchaus anderer Ansicht gewesen sein kann als Pfister.)

Zitat:
weshalb in den Vereinigten Staaten in der jüngsten Vergangenheit eine heftige Debatte darüber entbrannt ist, inwieweit Marcuse und die marxistisch beeinflusste »Frankfurter Schule«, der er angehörte, wirklich prägend sind für die aktuellen Debatten. Gerade Vertreter der einflussreichen »Critical Race Theory« haben das als hysterischen antikommunistischen Reflex zurückgewiesen.

Sowohl, dass es diese Debatte gibt, als auch dass sie deshalb geführt wird und nicht aus völlig anderen Gründen (z. B. weil die Frankfurter Schule derzeit in einer ganzen Reihe rechter Verschwörungstheorien als Buhmann figuriert), hätte Pfister wieder zu belegen.

Zitat:
Allerdings wird Marcuse immer noch angeführt, etwa wenn es darum geht, in den USA einer progressiven Pädagogik zum Durchbruch zu verhelfen. Im Jahr 2005 veröffentlichte Stephen Brookfield, Professor an der University of St. Thomas in Minnesota, einen Aufsatz [PDF], der stark von Marcuses Theorie geprägt ist.

Stephen Brookfield? Nie gehört. Wer ist das, und warum sollte es mich interessieren? Haben du oder Pfister auch irgendeinen Beleg dafür, dass der Mann eine relevante Stimme darstellt? Ein einzelnes sieben Seiten langes Exposé, in dem unter anderem auch Marcuse zitiert wird, als Argument für die nachhaltige und ungebrochene Relevanz Marcuses in der gegenwärtigen Linken anzuführen, ist jedenfalls schon leicht abenteuerlich. Dem Text selbst muss man dabei allerdings zu Gute halten, dass er auch eine ganze Reihe von Autor*innen anführt, die aufgrund ihrer Relevanz tatsächlich diesbezüglich eines Blickes wert wären (bell hooks, Angela Davis, etc.). In einem acht Titel beinhaltenden Quellenverzeichnis (was bei einem siebenseitigen Essay übrigens ziemlich eindrucksvoll ist) macht Marcuse gerade einen Eintrag aus. Die Ironie ist natürlich, dass Brookfield damit einen alten weißen Mann neben eine Reihe schwarzer Autor*innen stellt - also das, was er laut seinem Aufsatz eigentlich gerade nicht mehr tun wollte.

Zitat:
Um echte Toleranz in Sinne von Marcuse zu erreichen, sei es notwendig, die »Ideologie des Mainstreams« konsequent aus dem Unterricht zu verbannen – etwa indem ein Programm zur Erwachsenenbildung nur afrika-zentristische Stimmen und Überlegungen zulässt. Brookfield plädiert, mit anderen Worten, für eine radikale Einseitigkeit in Namen des Fortschrittes.

Jaa, sowas steht da wohl drin. Wäre aber interessant, zu erfahren, auf welche Fächer sich das beziehen soll, was da leider nicht explizit steht. Mein Verdacht wäre: Spezifisch auf CRT. Wo das übrigens durchaus eine gewisse Berechtigung hat. Auf die Ironie, dass Brookfield das in seinem Text selber nicht praktiziert - was übrigens der einzige Grund ist, warum du den Text im Kontext unsere Diskussion überhaupt anführen kannst - habe ich ja oben bereits hingewiesen. Ob das wohl Absicht ist? Das muss wohl der Spekulation überlassen bleiben.

Zitat:
Zum anderen waren Marcuse und die »Frankfurter Schule« Vordenker für eine Generation von Theoretikern, deren Ideen das geistige Klima an US-Universitäten entscheidend beeinflussen sollten: Zu ihnen gehört unter anderem der französische Philosoph und Historiker Michel Foucault.

Lachen Lachen Lachen Für den Einfluss der Frankfurter Schule auf Foucaults theoretisches Werk hast du sicher auch Belege. Da bin ich ganz ehrlich mal gespannt.

Zitat:
In einem Gespräch mit dem italienischen Journalisten Duccio Trombadori berichtete Foucault davon, wie sehr ihn die »Frankfurter Schule« beeindruckt habe. »Wenn ich die Verdienste der Philosophen der Frankfurter Schule anerkenne, so tue ich es mit dem schlechten Gewissen von jemandem, der ihre Bücher hätte früher lesen, sie früher hätte verstehen müssen«, sagte Foucault. »Vielleicht wäre ich, wenn ich die Philosophen dieser Schule in meiner Jugend kennengelernt hätte, von ihnen so begeistert gewesen, dass ich nichts weiter hätte tun können, als sie zu kommentieren.«

Also mal abgesehen davon, dass ein einzelnes Interviewzitat ganz grundsätzlich nicht die Arbeit erspart, den Einfluss eines Theoretikers auf das Werk eines anderen im und am Werk selbst zu belegen, sagt Foucault hier, dass er sehr bedauert, dass die Frankfurter Schule keinen Einfluss mehr auf sein Werk haben konnte, weil er sie erst zu spät kennen gelernt und rezipiert habe - und du und offenbar auch Pfister machen daraus, dass die Frankfurter Schule Vordenker von Foucault gewesen seien. Also das Gegenteil dessen, was Foucault in dem von Pfister selbst zitierten Satz sagt. Da kann ich nur fragen: Wollt ihr mich eigentlich verkohlen? Mit den Augen rollen - Das Interview selbst besorge ich mir beizeiten vielleicht mal.

#412:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 21.02.2024, 15:18
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
In einem Artikel in der Irish Times von 2020 steht beispielsweise:

Zitat:
"…Another expert is Graham Finlay

Auch noch nie gehört. Geht dieses Gespräch jetzt so weiter, dass du einfach weiter irgendwelche zufälligen Beispiele raussuchst, wo irgendwer irgendwo mal Marcuse zitiert hat? Mit den Augen rollen

#413:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 21.02.2024, 15:25
    —
Andrew Feenberg (*1943), ein Student Marcuses und politischer Aktivist in der Zeit der Neuen Linken, verteidigt seinen Aufsatz mit dem Argument, Marcuses Vorschlag, reaktionäre Rede zu unterdrücken, sei lediglich eine pro-demokratische Provokation zur Entlarvung des Märchens von der liberalen Toleranz:

Zitat:
"[Marcuse's famous essay on Repressive Tolerance] has been caricatured by Marcuse’s critics more than once and recently blamed for the ravages of the so-called “cancel culture.” In fact, its actual content is democratic. Here, Marcuse observes that the liberal ideal of the “free market in ideas” does not exist where independent thought is overwhelmed by ubiquitous propaganda. Even if dissenters can be heard, they are drowned out by a background consensus supported by powerful forces in society against which it is increasingly difficult to contend. Under these circumstances, tolerance of dissent is an alibi for domination rather than an invitation to challenge the status quo.

Marcuse proposes to reverse the situation by suppressing reactionary speech while privileging the progressive alternative, but this proposal turns out to be a mere provocation aimed at demystifying the myth of liberal tolerance:

These same conditions render the critique of such tolerance abstract and academic, and the proposition that the balance between tolerance toward the Right and toward the Left would have to be radically redressed in order to restore the liberating function of tolerance becomes only an unrealistic speculation. [Marcuse]

After discussing the idea of educational dictatorship once again, he concludes "the established semi-democratic process is not a dictatorship or elite, no matter how intellectual and intelligent, but the struggle for a real democracy.""

(Feenberg, Andrew. The Ruthless Critique of Everything Existing: Nature and Revolution in Marcuse's Philosophy of Praxis. New York: Verso, 2023. pp. 104-5)

#414:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 21.02.2024, 15:29
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Geht dieses Gespräch jetzt so weiter, dass du einfach weiter irgendwelche zufälligen Beispiele raussuchst, wo irgendwer irgendwo mal Marcuse zitiert hat? Mit den Augen rollen

Meine Frage ist damit wohl beantwortet. Mit den Augen rollen

#415:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 21.02.2024, 15:30
    —
VanHanegem hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Unfug.


Unfug besteht m.E. vor allem darin einem User ad hominems und zirkuläre Denkstrukturen zu unterstellen und dann selbst sowas zu schreiben:

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Äähh, was denn bitte sonst? Weißt du nicht, was das Wort "Behauptung" bedeutet? Mit den Augen rollen
...
Da haben wir es. Wer meint, das seien keine Behauptungen, der versteht ganz grundsätzlich nicht, was das Wort "Behauptung" bedeutet.


Ganz unvoreingenommen gefragt: Erklär mal, inwiefern ein Verweis auf die Bedeutung des Wortes "Behauptung" ein ad hominem oder zirkulär ist.

Wikipedia hat folgendes geschrieben:
Eine Behauptung ist eine Aussage in Form einer Assertion mit dem Wunsch auf Zustimmung. Eine Behauptung beansprucht Geltung für den Inhalt der getätigten Aussage, bzw. des geäußerten Urteils.

Behauptungen im Bereich der Wissenschaften werden auch als Hypothesen bezeichnet. Sie bleiben solange unbewiesen, bis sie verifiziert oder falsifiziert werden. Behauptungen, sofern sie öffentlich aufgestellt werden, so dass eine interessierte Öffentlichkeit sie zur Kenntnis nehmen kann, insbesondere normative und politische Behauptungen werden als Thesen (des Behauptenden) bezeichnet.

Mit einer Behauptung verfolgt jemand den Zweck, von ihm formulierte Meinungen oder einen bestimmten Sachverhalt zu äußern, um damit einen bestimmten Adressatenkreis zu beeinflussen.

#416:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 22.02.2024, 09:29
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Ganz unvoreingenommen gefragt: Erklär mal, inwiefern ein Verweis auf die Bedeutung des Wortes "Behauptung" ein ad hominem oder zirkulär ist.

Deine Bemerkung ein bestimmter Nutzer wisse nicht, was eine Behauptung sei, halte ich für ad-hominem:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Äähh, was denn bitte sonst? Weißt du nicht, was das Wort "Behauptung" bedeutet? Mit den Augen rollen
...
Da haben wir es. Wer meint, das seien keine Behauptungen, der versteht ganz grundsätzlich nicht, was das Wort "Behauptung" bedeutet.

Dieses ad-hominem wird nun im Zirkelschluss verwendet um zu begründen, dass bestimmte Äußerungen des angegriffenen Nutzers den Charakter von Behauptungen hätten.

Insoweit geht Deine rückfrage mit schlafwandlerischer Sicherheit meilenweit an der tatsächlich stattgefundenen Diskussion vorbei

#417:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 22.02.2024, 12:04
    —
VanHanegem hat folgendes geschrieben:
Dieses ad-hominem wird nun im Zirkelschluss verwendet um zu begründen, dass bestimmte Äußerungen des angegriffenen Nutzers den Charakter von Behauptungen hätten.

Also du meinst, meine Behauptung, dass narr die Bedeutung des Wortes "Behauptung" nicht kenne (und nicht etwa die Bedeutung selbst), sei mein Argument dafür gewesen, dass die fraglichen Aussagen Behauptungen waren? Am Kopf kratzen
...Sorry, aber auf so eine bizarre Lesart muss man erstmal kommen. Pillepalle Ganz ehrlich: Das wird mir jetzt doch zu blöd. Ich muss ja nicht durch jeden Reifen springen. Mit den Augen rollen

Auf die eigentliche Streitfrage, um die es dabei überhaupt ging, bist du jetzt übrigens bezeichnenderweise gar nicht eingegangen.

#418:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 22.02.2024, 14:21
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Geht dieses Gespräch jetzt so weiter, dass du einfach weiter irgendwelche zufälligen Beispiele raussuchst, wo irgendwer irgendwo mal Marcuse zitiert hat? Mit den Augen rollen

Meine Frage ist damit wohl beantwortet. Mit den Augen rollen


Es handelt sich zwar um Beispiele, aber nicht um "irgendwelche zufällig rausgesuchten".
Der thematische Ausgangspunkt zur Erinnerung:

narr hat folgendes geschrieben:
Und wer sich die Mühe macht z.B. René Pfisters Buch zu lesen würde auch mit Hintergrundinfos zur Herkunft dieser Haltung versorgt (Stichworte wären da z.B. Marcuse und Frankfurter Schule)


Es geht also um die Frage der ideologischen Wurzeln der Intoleranz und Illiberalität, die sich unter den zeitgenössischen RAKULIS (RAdikalen KUlturellen LInken) breitgemacht hat; und wie meine Beispiele belegen, ist Marcuses These von der (die eigene Intoleranz rechtfertigenden) repressiven Toleranz ein Thema in der aktuellen Debatte.

#419:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 22.02.2024, 14:26
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Es geht also um die Frage der ideologischen Wurzeln der Intoleranz und Illiberalität [...]

Das Konzept des Toleranzparadoxons ist dir geläufig? Stammt übrigens nicht von Marcuse, sondern von einem gewissen Karl Popper. Marcuses Argument gegen "repressive Toleranz" ist im Kern das selbe Argument, nur anders verpackt.

Myron hat folgendes geschrieben:
[...] wie meine Beispiele belegen, ist Marcuses These von der (die eigene Intoleranz rechtfertigenden) repressiven Toleranz ein Thema in der aktuellen Debatte.

Als ob die Frage hier nicht die nach der Relevanz deiner Beispiele wäre.

#420:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 22.02.2024, 14:40
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Zitat:
"In einem Gespräch mit dem italienischen Journalisten Duccio Trombadori berichtete Foucault davon, wie sehr ihn die »Frankfurter Schule« beeindruckt habe. »Wenn ich die Verdienste der Philosophen der Frankfurter Schule anerkenne, so tue ich es mit dem schlechten Gewissen von jemandem, der ihre Bücher hätte früher lesen, sie früher hätte verstehen müssen«, sagte Foucault. »Vielleicht wäre ich, wenn ich die Philosophen dieser Schule in meiner Jugend kennengelernt hätte, von ihnen so begeistert gewesen, dass ich nichts weiter hätte tun können, als sie zu kommentieren.«"

[Pfister, René. Ein falsches Wort: Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht. München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2022. S. 43-4]


Also mal abgesehen davon, dass ein einzelnes Interviewzitat ganz grundsätzlich nicht die Arbeit erspart, den Einfluss eines Theoretikers auf das Werk eines anderen im und am Werk selbst zu belegen, sagt Foucault hier, dass er sehr bedauert, dass die Frankfurter Schule keinen Einfluss mehr auf sein Werk haben konnte, weil er sie erst zu spät kennen gelernt und rezipiert habe - und du und offenbar auch Pfister machen daraus, dass die Frankfurter Schule Vordenker von Foucault gewesen seien. Also das Gegenteil dessen, was Foucault in dem von Pfister selbst zitierten Satz sagt. Da kann ich nur fragen: Wollt ihr mich eigentlich verkohlen? Mit den Augen rollen - Das Interview selbst besorge ich mir beizeiten vielleicht mal.


Zitat:
"Zum anderen waren Marcuse und die »Frankfurter Schule« Vordenker für eine Generation von Theoretikern, deren Ideen das geistige Klima an US-Universitäten entscheidend beeinflussen sollten: Zu ihnen gehört unter anderem der französische Philosoph und Historiker Michel Foucault."

(Pfister, René. Ein falsches Wort: Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht. München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2022. S. 43)


Pfister sagt nicht, dass die Frankfurter Vordenker von Foucault waren, sondern, dass sowohl die Frankfurter als auch Foucault "Vordenker für eine Generation von Theoretikern [waren], deren Ideen das geistige Klima an US-Universitäten entscheidend beeinflussen sollten."

Zitat:
"Duccio Trombadori: With the events of '68, another theoretical current regained strength and was confinned as a point of reference of notable importance in youth culture. I'm speaking of the Frankfurt School: Adorno, Horkheimer, and much more than them, Marcuse, found themselves with their works at the center of student ideological debates. The struggle against repression, the antiauthoritarianism, the escape from "civilization," the radical denial of the "system": all these were themes that with more or less intellectual confusion were debated as watchwords by masses of youths. I'd like to know how your thought is related to that theoretical current, also because you don't seem to have dealt with it directly.

Michel Foucault: It would be necessary to understand better why, despite the work of many of its exponents in Paris after their expulsion from German universities by the Nazis, the Frankfurt School passed by unnoticed for a long time in France. It began to be discussed with a certain intensity and frequency only in relation to the thought of Marcuse and his Freudian-Marxism. In any case, I knew little about the Frankfurt School. I had read certain texts of Horkheimer's dedicated to an entire ensemble of discussions whose meaning I understood with difficulty, and in which I felt a certain laxness, above all concerning the historical materials analyzed. Then I recall having read a book on penal problems and the mechanisms of punishment that had been written in the U.S.A. by Kircheimer.

At that point I realized how the Frankfurt people had tried ahead of time to assert things that I too had been working for years to sustain. This even explains a certain irritation shown by some of them who saw that in France there were experiences that were – I won't say identical but in some ways very similar. In effect, correctness and theoretical fecundity would have asked for a much more thorough acquaintance with and study of the Frankfurt School. As far as I'm concerned, I think that the Frankfurt School set problems that are still being worked on. Among others, the effects of power that are connected to a rationality that has been historically and geographically defined in the West, starting from the sixteenth century on. The West could never have attained the economic and cultural effects that are unique to it without the exercise of that specific form of rationality. Now, how are we to separate this rationality from the mechanisms, procedures, techniques, and effects of power that determine it, which we no longer accept and which we point to as the form of oppression typical of capitalist societies, and perhaps of socialist societies too? Couldn't it be concluded that the promise of Aufklärung (Enlightenment), of attaining freedom through the exercise of reason, has been, on the contrary, overturned within the domain of Reason itself, that it is taking more and more space away from freedom? It's a fundamental problem that we all debate, that is common to so many, whether Communists or not. And this problem, as we know, was singled out by Horkheimer before the others; and it was the Frankfurt School that measured its relationship with Marx on the basis of this hypothesis. Wasn't it Horkheimer who sustained that in Marx there was the idea of a society as being like an immense factory?

Duccio Trombadori: You assign great importance to this current of thought. To what do you attribute the anticipations and the results attained by the Frankfurt School that you've briefly summarized?

Michel Foucault: I think that the Frankfurt School had a greater likelihood of knowing and analyzing early on with exact infonnation what was happening in the U.S.S.R. And this was within the framework of an intense and dramatic political struggle, while Nazism was digging the grave of the Weimar Republic; this was set against the background in Germany, where Marxism and theoretical reflection on Marx had a robust tradition of more than fifty years.

When I recognize all these merits of the Frankfurt School, I do so with the bad conscience of one who should have known them and studied them much earlier than was the case. Perhaps if I had read those works earlier on, I would have saved useful time, surely: I wouldn't have needed to write some things and I would have avoided certain errors. At any rate, if I had encountered the Frankfurt School while young, I would have been seduced to the point of doing nothing else in life but the job of commenting on them. Instead, their influence on me remains retrospective, a contribution reached when I was no longer at the age of intellectual "discoveries." And I don't even know whether to be glad or to feel sorry about it."

(Foucault, Michel. Remarks on Marx: Conversations with Duccio Trombadori. [PDF] Translated by R. James Goldstein & James Cascaito. New York: Semiotext(e), 1991. pp. 115-20)


Zuletzt bearbeitet von Myron am 22.02.2024, 15:37, insgesamt 2-mal bearbeitet

#421:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 22.02.2024, 14:43
    —
narr hat folgendes geschrieben:

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Das sind erst mal Behauptungen: ....

zu sagen "das sind Behauptungen" ist einfach. Nein, es sind keine Behauptungen. Und das sage in erster Instanz nicht ich, sondern Leute die sich damit befassen.


Nicht jede Behauptung ist eine bloße Behauptung!

#422:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 22.02.2024, 16:07
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Pfister sagt nicht, dass die Frankfurter Vordenker von Foucault waren, sondern, dass sowohl die Frankfurter als auch Foucault "Vordenker für eine Generation von Theoretikern [waren], deren Ideen das geistige Klima an US-Universitäten entscheidend beeinflussen sollten."


Dann war das hier gar kein Pfister-Zitat?

Myron hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Zum anderen waren Marcuse und die »Frankfurter Schule« Vordenker für eine Generation von Theoretikern, deren Ideen das geistige Klima an US-Universitäten entscheidend beeinflussen sollten: Zu ihnen gehört unter anderem der französische Philosoph und Historiker Michel Foucault.

(Pfister, René. Ein falsches Wort: Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht. München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2022. pp. 42-4)


Der Satz sagt entweder, dass Foucault zu den Theoretikern gehörte, deren Vordenker die Frankfurter Schule waren - was falsch wäre - oder dass Foucault selbst zur Frankfurter Schule gehörte - was noch viel falscher wäre. Da kannst du rumdoktern bis du schwarz wirst. Der Satz sagt was Falsches und er lässt sich nicht so uminterpretieren, dass er was Richtiges sagt.

#423:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 22.02.2024, 16:18
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
narr hat folgendes geschrieben:

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Das sind erst mal Behauptungen: ....

zu sagen "das sind Behauptungen" ist einfach. Nein, es sind keine Behauptungen. Und das sage in erster Instanz nicht ich, sondern Leute die sich damit befassen.

Nicht jede Behauptung ist eine bloße Behauptung!

Richtig, eine bloße Behauptung ist sie so lange, bis ein Beleg geliefert wird. Kleiner Tipp für dich: "Diese anderen Leute, die sich damit befassen, sagen das auch!" ist kein Beleg.

#424:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 22.02.2024, 16:38
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Pfister sagt nicht, dass die Frankfurter Vordenker von Foucault waren, sondern, dass sowohl die Frankfurter als auch Foucault "Vordenker für eine Generation von Theoretikern [waren], deren Ideen das geistige Klima an US-Universitäten entscheidend beeinflussen sollten."


Dann war das hier gar kein Pfister-Zitat?

Myron hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Zum anderen waren Marcuse und die »Frankfurter Schule« Vordenker für eine Generation von Theoretikern, deren Ideen das geistige Klima an US-Universitäten entscheidend beeinflussen sollten: Zu ihnen gehört unter anderem der französische Philosoph und Historiker Michel Foucault.

(Pfister, René. Ein falsches Wort: Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht. München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2022. pp. 42-4)


Der Satz sagt entweder, dass Foucault zu den Theoretikern gehörte, deren Vordenker die Frankfurter Schule waren - was falsch wäre - oder dass Foucault selbst zur Frankfurter Schule gehörte - was noch viel falscher wäre. Da kannst du rumdoktern bis du schwarz wirst. Der Satz sagt was Falsches und er lässt sich nicht so uminterpretieren, dass er was Richtiges sagt.


Nein, das ist eine Fehldeutung deinerseits; denn Pfister weiß—siehe seinen Verweis auf das Foucault-Interview!—, dass die Frankfurter Foucaults Denken nicht oder kaum beeinflusst haben, weil er mit deren Werken nicht oder kaum vertraut war. Seine Aussage ist also wie folgt zu lesen:

"Zu [den Vordenkern für eine Generation von Theoretikern, deren Ideen das geistige Klima an US-Universitäten entscheidend beeinflussen sollten,] gehört unter anderem der französische Philosoph und Historiker Michel Foucault."

Und nicht:

"Zu [der von der Frankfurter Schule beeinflussten Generation von Theoretikern, deren Ideen das geistige Klima an US-Universitäten entscheidend beeinflussen sollten,] gehört unter anderem der französische Philosoph und Historiker Michel Foucault."

#425:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 22.02.2024, 17:22
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Pfister sagt nicht, dass die Frankfurter Vordenker von Foucault waren, sondern, dass sowohl die Frankfurter als auch Foucault "Vordenker für eine Generation von Theoretikern [waren], deren Ideen das geistige Klima an US-Universitäten entscheidend beeinflussen sollten."


Dann war das hier gar kein Pfister-Zitat?

Myron hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Zum anderen waren Marcuse und die »Frankfurter Schule« Vordenker für eine Generation von Theoretikern, deren Ideen das geistige Klima an US-Universitäten entscheidend beeinflussen sollten: Zu ihnen gehört unter anderem der französische Philosoph und Historiker Michel Foucault.

(Pfister, René. Ein falsches Wort: Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht. München: Deutsche Verlags-Anstalt, 2022. pp. 42-4)


Der Satz sagt entweder, dass Foucault zu den Theoretikern gehörte, deren Vordenker die Frankfurter Schule waren - was falsch wäre - oder dass Foucault selbst zur Frankfurter Schule gehörte - was noch viel falscher wäre. Da kannst du rumdoktern bis du schwarz wirst. Der Satz sagt was Falsches und er lässt sich nicht so uminterpretieren, dass er was Richtiges sagt.


Nein, das ist eine Fehldeutung deinerseits; denn Pfister weiß—siehe seinen Verweis auf das Foucault-Interview!—, dass die Frankfurter Foucaults Denken nicht oder kaum beeinflusst haben, weil er mit deren Werken nicht oder kaum vertraut war. Seine Aussage ist also wie folgt zu lesen:

"Zu [den Vordenkern für eine Generation von Theoretikern, deren Ideen das geistige Klima an US-Universitäten entscheidend beeinflussen sollten,] gehört unter anderem der französische Philosoph und Historiker Michel Foucault."

Und nicht:

"Zu [der von der Frankfurter Schule beeinflussten Generation von Theoretikern, deren Ideen das geistige Klima an US-Universitäten entscheidend beeinflussen sollten,] gehört unter anderem der französische Philosoph und Historiker Michel Foucault."

Das ist keine "Fehldeutung" von tarvoc, sondern du möchtest den Satz jetzt umschreiben, weil er inhaltlich - wie tarvoc gezeigt hat - einfach falsch ist.

Das "zu ihnen" kann sich nur auf zwei Satzteile beziehen:
- entweder "Marcuse und die Frankfurter Schule"
- oder "eine Generation von Theoretikern", von denen gesagt wird, dass "Marcuse und die Frankfurter Schule" für sie Vordenker waren.
Und beides ist falsch, genau wie tarvoc schrieb.
Dass es - wie du es darstellen möchtest - verschiedene Vordenker gegeben hätte, nämlich einerseits "Marcuse und die Frankfurter Schule" und andererseits weitere Leute wie Foucault, steht da eindeutig nicht.

#426:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 22.02.2024, 17:25
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Seine Aussage ist also wie folgt zu lesen:

"Zu [den Vordenkern für eine Generation von Theoretikern, deren Ideen das geistige Klima an US-Universitäten entscheidend beeinflussen sollten,] gehört unter anderem der französische Philosoph und Historiker Michel Foucault."

Und nicht:

"Zu [der von der Frankfurter Schule beeinflussten Generation von Theoretikern, deren Ideen das geistige Klima an US-Universitäten entscheidend beeinflussen sollten,] gehört unter anderem der französische Philosoph und Historiker Michel Foucault."

Merkst du eigentlich nicht selbst, dass dein Parsing des Satzes nicht stimmen kann, weil Marcuse und die Frankfurter Schule in deiner Version völlig aus dem Satz herausfallen und auch nirgendwo in ihm mehr sinnvoll Platz hätten? Das "Vordenker für eine Generation von Theoretikern" bezieht sich im Satz ganz klar und eindeutig auf die Frankfurter Schule. Wenn man den Satz korrekt und vollständig auf deine Weise parsen wollte, dann stünde da Folgendes:

Zu [Marcuse und der »Frankfurter Schule«, Vordenkern für eine Generation von Theoretikern, deren Ideen das geistige Klima an US-Universitäten entscheidend beeinflussen sollten,] gehört unter anderem der französische Philosoph und Historiker Michel Foucault."

Und dann steht da die Falschheit, dass Foucault zu Marcuse und zur Frankfurter Schule gehört.

Der Satz drückt entweder einen falschen Gedanken aus oder er ist für den Gedanken, den er ausdrückt, fehlkonstruiert. Es kann ja sein, dass er was anderes gemeint hat, aber geschrieben hat er nun mal das.

Der Fehler liegt hier ganz allein bei Pfister und nicht bei mir. Ich lasse mir nicht seinen Bockmist als meinen Interpretationsfehler unterschieben.

#427:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 22.02.2024, 17:29
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Das ist keine "Fehldeutung" von tarvoc, sondern du möchtest den Satz jetzt umschreiben, weil er inhaltlich - wie tarvoc gezeigt hat - einfach falsch ist.

Das "zu ihnen" kann sich nur auf zwei Satzteile beziehen:
- entweder "Marcuse und die Frankfurter Schule"
- oder "eine Generation von Theoretikern", von denen gesagt wird, dass "Marcuse und die Frankfurter Schule" für sie Vordenker waren.
Und beides ist falsch, genau wie tarvoc schrieb.
Dass es - wie du es darstellen möchtest - verschiedene Vordenker gegeben hätte, nämlich einerseits "Marcuse und die Frankfurter Schule" und andererseits weitere Leute wie Foucault, steht da eindeutig nicht.

Du hast es mal wieder besser und konziser erklärt als ich. Daumen hoch!

#428:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 22.02.2024, 17:39
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Der Fehler liegt hier ganz allein bei Pfister und nicht bei mir. Ich lasse mir nicht seinen Bockmist als meinen Interpretationsfehler unterschieben.


Dann frage ihn doch selbst, wie er es meint! Falls er meiner Lesart nicht zustimmt, dann gebe ich gerne zu, mich geirrt zu haben.
(Seine E-Mail-Adresse findest du hier.)

#429:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 22.02.2024, 18:29
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Der Fehler liegt hier ganz allein bei Pfister und nicht bei mir. Ich lasse mir nicht seinen Bockmist als meinen Interpretationsfehler unterschieben.

Dann frage ihn doch selbst, wie er es meint!

Wozu denn? So wie ich das sehe, gibt es diesbezüglich zwei Möglichkeiten: Entweder er meint das, was er in dem Satz tatsächlich geschrieben hat, dann meint und schreibt er Bockmist. Oder er meint etwas ganz anderes als das, was er in dem Satz tatsächlich geschrieben hat, dann meint er vielleicht keinen, schreibt aber immer noch Bockmist. In beiden Fällen ist der Satz, um den es hier geht - Bockmist.

#430:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 22.02.2024, 20:01
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Der Fehler liegt hier ganz allein bei Pfister und nicht bei mir. Ich lasse mir nicht seinen Bockmist als meinen Interpretationsfehler unterschieben.


Dann frage ihn doch selbst, wie er es meint! Falls er meiner Lesart nicht zustimmt, dann gebe ich gerne zu, mich geirrt zu haben.
(Seine E-Mail-Adresse findest du hier.)

Sorry, aber das geht am Sinn von Büchern vorbei.
Die gibt es nicht, damit man die Leute dann doch persönlich fragen muss, ob sie es vielleicht auch ganz anders gemeint haben, als es da steht.

So wie es da steht, passt es auch zu einem mMn ziemlich typischen Wesenszug der Anti-"Woke"-Propaganda, nämlich alles mögliche sinnlos durcheinander zu schmeißen.
Was nach dem Inhaltsverzeichnis des Buches ja eh schon mein Eindruck war, der durch die online zugänglichen Leseproben auch nicht wirklich widerlegt wird. Schulterzucken

#431:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 22.02.2024, 20:33
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Sorry, aber das geht am Sinn von Büchern vorbei.

Ausrufezeichen Ausrufezeichen Ausrufezeichen

#432:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 23.02.2024, 12:03
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Richtig, eine bloße Behauptung ist sie so lange, bis ein Beleg geliefert wird. Kleiner Tipp für dich: "Diese anderen Leute, die sich damit befassen, sagen das auch!" ist kein Beleg.

so lasset uns das konkretisieren:
Wenn Person A behauptet ein korrekter Satz laute: "omnia quae ventura sunt in incerto iacent"
Person B hingegen wettet einen Moet dass korrekt sei: "omnia qua ventura sunt in incerto iacent"

dann ist nach Tarvoc der Hinweis auf den Landgraf Leitschuh (oder andere Litteraturstelle) KEIN Beleg vor die Richtigkeit von A???

#433:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 23.02.2024, 14:04
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Der Fehler liegt hier ganz allein bei Pfister und nicht bei mir. Ich lasse mir nicht seinen Bockmist als meinen Interpretationsfehler unterschieben.


Dann frage ihn doch selbst, wie er es meint! Falls er meiner Lesart nicht zustimmt, dann gebe ich gerne zu, mich geirrt zu haben.
(Seine E-Mail-Adresse findest du hier.)


Ich habe heute eine E-Mail an Pfister gesendet. Mal sehen, ob er antwortet.

#434:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 23.02.2024, 14:14
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Sorry, aber das geht am Sinn von Büchern vorbei.
Die gibt es nicht, damit man die Leute dann doch persönlich fragen muss, ob sie es vielleicht auch ganz anders gemeint haben, als es da steht.

So wie es da steht, passt es auch zu einem mMn ziemlich typischen Wesenszug der Anti-"Woke"-Propaganda, nämlich alles mögliche sinnlos durcheinander zu schmeißen.
Was nach dem Inhaltsverzeichnis des Buches ja eh schon mein Eindruck war, der durch die online zugänglichen Leseproben auch nicht wirklich widerlegt wird. Schulterzucken


Zum Sinn von Büchern gehört, dass man sie liest. Man soll ein Buch bekanntlich nicht nach seinem Umschlag beurteilen – auch nicht nach seinem Inhaltsverzeichnis.

Mein Eindruck ist, dass ihr jedes woke-kritische Buch als unlesenswertes propagandistisches Machwerk (rechter Ideologen) abtut.

#435:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 23.02.2024, 17:12
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Zum Sinn von Büchern gehört, dass man sie liest. Man soll ein Buch bekanntlich nicht nach seinem Umschlag beurteilen – auch nicht nach seinem Inhaltsverzeichnis.

Komisch. Im Studium habe ich am Anfang genau das gelernt - wie man durch Inhaltsverzeichnis, Literaturverzeichnis, evtl. Vorwort und Querlesen geeigneter Seiten entscheidet, ob ein Buch a) für ein bestimmtes Thema relevant ist und b) ob es zu diesem Thema auch relevante, neue Informationen, Argumentationsweisen zu bieten hat.
Inzwischen habe ich das bei Pfister gemacht und komme zum Schluss: Nein, nix neues, nur der gleiche Anti-"Woke"-Käse wie immer.

Warum macht man das und lernt es auch in einem Studium? Weil man sonst in irrelevantem Käse schlicht ertrinkt. Wenn ich jedes Buch lesen würde, wo mir einer sagt: "Das musst du aber lesen, dann wirst du zu dem Thema garantiert deine Meinung ändern!", käme ich zu nix mehr. Zumindest prüfe ich vorher, ob es wahrscheinlich ist, dass da etwas relevantes drinsteht, das ich noch nicht kenne.

Myron hat folgendes geschrieben:
Mein Eindruck ist, dass ihr jedes woke-kritische Buch als unlesenswertes propagandistisches Machwerk (rechter Ideologen) abtut.

Nun, ich habe mir durch das Lesen inzwischen ziemlich vieler Texte zum Thema die begründete Meinung gebildet, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass am Ende Quatsch rauskommt, wenn man mit dem Quatschbegriff "woke" oder "Man darf ja nix mehr sagen"- Unsinn anfängt.

Und trotzdem habe ich Pfisters Buch die Chance gewährt, mich durch Inhaltsverzeichnis, Vorwort und Querlesen einiger Abschnitte davon zu überzeugen, dass es bei ihm vielleicht anders sein könnte. Das hat es aber nicht geschafft. Ich könnte dafür jetzt ein paar beispielhafte Passagen herauspicken. Das ist es aber nicht wert. In diesen Passagen stehen dann nämlich - Überraschung! - genau solche Dinge drin, wie wir sie hier schon x-mal diskutiert haben. Das mache ich nicht zum x+1ten-Mal, nur um dich zufrieden zu stellen.

Du wirst dann nämlich auch nicht zufrieden sein, sondern mir sagen, dass ich das Buch eben ganz lesen müsste. Oder dass ich das, was da steht, falsch verstehen würde, weil es ja anders gemeint sei, als es da steht. Wie gerade geschehen.
Schulterzucken


Zuletzt bearbeitet von tillich (epigonal) am 23.02.2024, 17:23, insgesamt einmal bearbeitet

#436:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 23.02.2024, 17:22
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Der Fehler liegt hier ganz allein bei Pfister und nicht bei mir. Ich lasse mir nicht seinen Bockmist als meinen Interpretationsfehler unterschieben.

Dann frage ihn doch selbst, wie er es meint! Falls er meiner Lesart nicht zustimmt, dann gebe ich gerne zu, mich geirrt zu haben.
(Seine E-Mail-Adresse findest du hier.)


Ich habe heute eine E-Mail an Pfister gesendet. Mal sehen, ob er antwortet.

Was soll das bringen?
Bestenfalls (für dich) kommt in seiner Antwort heraus, dass er das meinte, von dem du denkst, dass er es meinte, und er das leider nur nicht auch so aufschreiben konnte: Dass Marcuse und die Frankfurter Schule einerseits und Foucault andererseits beide Vordenker für das angebliche Phänomen ("Wokeismus" oder wie immer er es zu nennen beliebt) wären.
Das spräche aber erstens nicht besonders dafür, dass das ein besonders sorgsam geschriebenes Buch wäre, von dem eine entsprechend gut Durchdringung der Sache zu erwarten wäre. Und zweitens würde es nur meine These bestätigen, dass auch da wieder mal alles mögliche ziemlich sinnfrei zusammengeworfen wird.

#437:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 23.02.2024, 17:39
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Ich habe heute eine E-Mail an Pfister gesendet. Mal sehen, ob er antwortet.

Was soll das bringen?
Bestenfalls (für dich) kommt in seiner Antwort heraus, dass er das meinte, von dem du denkst, dass er es meinte, und er das leider nur nicht auch so aufschreiben konnte: Dass Marcuse und die Frankfurter Schule einerseits und Foucault andererseits beide Vordenker für das angebliche Phänomen ("Wokeismus" oder wie immer er es zu nennen beliebt) wären.
Das spräche aber erstens nicht besonders dafür, dass das ein besonders sorgsam geschriebenes Buch wäre, von dem eine entsprechend gut Durchdringung der Sache zu erwarten wäre. Und zweitens würde es nur meine These bestätigen, dass auch da wieder mal alles mögliche ziemlich sinnfrei zusammengeworfen wird.


Warten wir's ab! Ich glaube jedenfalls nicht an den "Tod des Autors". Für mich ist weiterhin auch die Absicht des Autors (intentio auctoris) relevant.

#438:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 23.02.2024, 19:48
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Ich habe heute eine E-Mail an Pfister gesendet. Mal sehen, ob er antwortet.

Was soll das bringen?
Bestenfalls (für dich) kommt in seiner Antwort heraus, dass er das meinte, von dem du denkst, dass er es meinte, und er das leider nur nicht auch so aufschreiben konnte: Dass Marcuse und die Frankfurter Schule einerseits und Foucault andererseits beide Vordenker für das angebliche Phänomen ("Wokeismus" oder wie immer er es zu nennen beliebt) wären.
Das spräche aber erstens nicht besonders dafür, dass das ein besonders sorgsam geschriebenes Buch wäre, von dem eine entsprechend gut Durchdringung der Sache zu erwarten wäre. Und zweitens würde es nur meine These bestätigen, dass auch da wieder mal alles mögliche ziemlich sinnfrei zusammengeworfen wird.


Warten wir's ab! Ich glaube jedenfalls nicht an den "Tod des Autors". Für mich ist weiterhin auch die Absicht des Autors (intentio auctoris) relevant.

Ja, denk ich mir. Und deswegen habe ich ja meine Antwort so geschrieben, was bestenfalls für dich herauskommen würde, selbst wenn man den Text nicht so nimmt, wie er da steht, sondern eine davon unabhängige Intention des Autors für relevant hält. Also wenn man gerade nicht vom Tod des Autors ausgeht. Zu welchem Zweck hast du das Stichwort also in die Diskussion geworfen?

#439:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 23.02.2024, 21:17
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
...
Ich glaube jedenfalls nicht an den "Tod des Autors". Für mich ist weiterhin auch die Absicht des Autors (intentio auctoris) relevant.

Dabei ist das, was Barthes da schreibt, - ich kannte es vorher nicht - eigentlich der einzige logische Umgang mit Texten, die außerhalb von direkten Diskussionen abgeschickt werden. Bei denen sollte man davon ausgehen können, dass der, der sie abschickt, meint, was er sagt bzw. in der Lage ist, zu sagen, was er meint. Der von Dir zitierte Text ist diesbezüglich allerdings ein Trauerspiel und dass der Autor darin sogar eine Sonderstellung hat, sagt viel über die heutige SPIEGEL-Reaktion. Ein Text, bei dem man nachfragen muss, ist offensichtlich noch nicht fertig, lohnt also die Beschäftigung damit nicht.

Es gibt für mich nur eine Ausnahme von diesem "Tod des Autors": Das sind Gesetzestexte, die erstens nicht nur von einer Person stammen und zweitens immer auch Ausdruck eines gesellschaftlichen Prozesses sind, der mit der Verabschiedung eines Gesetzes nicht aufhört. Da hilft uns die Frage "Was wollte der Gesetzgeber uns damit eigentlich sagen?" den Versuch zu vermeiden, die Gesetze noch detaillierter zu formulieren.

#440:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 24.02.2024, 10:33
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Dabei ist das, was Barthes da schreibt, - ich kannte es vorher nicht - eigentlich der einzige logische Umgang mit Texten, die außerhalb von direkten Diskussionen abgeschickt werden.

Schon richtig, nur spielt der Tod des Autors hier - wie tillich schon richtig sagt - eigentlich gar keine Rolle. Bzw. ich halte das für ein Ablenkungsmaneuver Myrons.

Zum Tod des Autors habe ich jetzt mal einen Extra-Thread aufgemacht.

#441:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 24.02.2024, 15:22
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Schon richtig, nur spielt der Tod des Autors hier - wie tillich schon richtig sagt - eigentlich gar keine Rolle. Bzw. ich halte das für ein Ablenkungsmaneuver Myrons.


Meine Güte! Der Barthes war mir einfach eingefallen, als es um die Frage von Pfisters Autorenabsicht ging, die ich bezüglich seiner Aussage über Foucault für relevant halte.

#442:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 24.02.2024, 15:32
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Ein Text, bei dem man nachfragen muss, ist offensichtlich noch nicht fertig, lohnt also die Beschäftigung damit nicht.


In der Weltliteratur, insbesondere der philosophischen, wimmelt es von interpretationsbedürftigen, uneindeutigen oder unklaren Texten oder Textstellen. Die betreffenden Schriften sind nichtsdestoweniger "fertig".

#443:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 24.02.2024, 15:49
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Schon richtig, nur spielt der Tod des Autors hier - wie tillich schon richtig sagt - eigentlich gar keine Rolle. Bzw. ich halte das für ein Ablenkungsmaneuver Myrons.


Ich sehe hier schon einen indirekten Zusammenhang mit dem Thread-Thema; denn wenn es um (angebliche) Fälle von Diskriminierung geht, dann interessieren sich die Wachen Linken herzlich wenig für die (Ab-)Sicht des (angeblichen) Diskriminierers. Entscheidend ist die Lesart oder Sichtweise des (angeblichen) Opfers: Ich fühle mich diskriminiert, also bin ich diskriminiert!

#444:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 24.02.2024, 15:56
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Ein Text, bei dem man nachfragen muss, ist offensichtlich noch nicht fertig, lohnt also die Beschäftigung damit nicht.


In der Weltliteratur, insbesondere der philosophischen, wimmelt es von interpretationsbedürftigen, uneindeutigen oder unklaren Texten oder Textstellen. Die betreffenden Schriften sind nichtsdestoweniger "fertig".


Es besteht ein Unterschied zwischen interpretationsbedürftig und inhaltlich unsinnig.
Sowohl Tarvoc als auch tillich, mit denen ich mich sonst auch gerne streite, haben klar gezeigt, dass Pfister in Deinem Zitat inhaltlichen Unsinn absondert, den Du über eine gewaltsame externe Inhaltszuschreibung zu retten versuchst.

Ganz allgemein: Bei Belegen aus der Literatur sollte der Zitierende nach Möglichkeit versuchen, klare Textstellen zu zitieren, egal für wie wichtig er den Autoren hält. Das Zitieren der unklaren oder gar unsinnigen Passagen ist nur geeignet, den Autor zu diskreditieren - was allerdings auch ein Ziel sein kann.

#445:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 25.02.2024, 12:42
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Also du meinst, meine Behauptung, dass narr die Bedeutung des Wortes "Behauptung" nicht kenne (und nicht etwa die Bedeutung selbst), sei mein Argument dafür gewesen, dass die fraglichen Aussagen Behauptungen waren? Am Kopf kratzen
...Sorry, aber auf so eine bizarre Lesart muss man erstmal kommen. Pillepalle Ganz ehrlich: Das wird mir jetzt doch zu blöd. Ich muss ja nicht durch jeden Reifen springen. Mit den Augen rollen

Auf die eigentliche Streitfrage, um die es dabei überhaupt ging, bist du jetzt übrigens bezeichnenderweise gar nicht eingegangen.

Ach Du wolltest mit dem ad hominem gegen der unser @narr garnichts begründen? was dann? Ihm einfach nur eins reinwürgen?

Auf die Streitfage bin ich im übrigen längst eingegangen, gucktstdu da:
VanHanegem hat folgendes geschrieben:
narr hat folgendes geschrieben:
Die am Anfang der Bewegung verfolgten Ziele - „wachsames“ Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus - haben sich inzwischen zu einer Ideologie entwickelt, die das fördert, was sie bekämpfen will.

Zumindest ist die herausragende Bedeutung von Sprachregelungen im "Wokeismus" ein klares Indiz für Ideologie.

#446:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 25.02.2024, 15:13
    —
VanHanegem hat folgendes geschrieben:
Ach Du wolltest mit dem ad hominem gegen der unser @narr garnichts begründen? was dann? Ihm einfach nur eins reinwürgen?

Genau. Im Gegensatz zu narr, der z. B. mit seinem Vorwurf, tillich bewege sich in einer "Bubble" und ignoriere systematisch Gegenstimmen (obwohl tillich gerade dabei war, sich in der Diskussion mit narr kritisch mit einer solchen auseinanderzusetzen!), tillich eine reinwürgen und etwas begründen wollte, nämlich warum er tillich kein Argument in der Sache, Beleg oder auch nur sowas wie eine Erklärung oder Begründung seiner Position zu liefern brauche, sondern dessen Einwände und Nachfragen nach einem solchen getrost ignorieren könne. Genau das macht aus einer polemischen Spitze übrigens überhaupt erst ein argumentum ad hominem. Meine polemische Spitzen hingegen sind durchaus von Argumenten begleitet und ersetzen sie nicht, wie hier etwa von einem Verweis auf die Bedeutung des Wortes "Behauptung" (nebst Wikipedia-Zitat auf Nachfrage). Meine Spitzen gegen narr waren also weder ein Ersatz für Argumente noch Begründungen einer Diskussionsverweigerung. Genau das ist der Unterschied zwischen einer polemischen Spitze und einem argumentum ad hominem - dass zweiteres versucht, Argumente zur Sache zu ersetzen oder als ein solches zu fungieren. Eine polemische Spitze ist kein Fehlschluss und invalidiert auch nicht die Argumente in ihrer Umgebung, aber sie kann natürlich trotzdem ein Problem für die Netiquette, das Diskussionsklima und u. U. auch für die Forenregeln darstellen. Ob meine Spitzen gegen narr regelkonform waren oder nicht, soll die Moderation entscheiden - ich habe mich bereits selbst gemeldet. Ich persönlich halte sie auch deshalb für fair game, weil narr selbst diesbezüglich vorgelegt hat (wenn auch gegen tillich).

#447:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 25.02.2024, 19:39
    —
narr hat folgendes geschrieben:

Die am Anfang der Bewegung verfolgten Ziele - „wachsames“ Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus - haben sich inzwischen zu einer Ideologie entwickelt, die das fördert, was sie bekämpfen will.


Die Hauptziele der zeitgenössischen Wachen Linken sind nicht neu (innerhalb der Linken).

Zitat:
"Die klar definierte linke Position existierte schon, bevor die Unterscheidung zwischen »Links« und »Rechts« erfunden wurde. Linke glauben – wie die Jakobiner der Französischen Revolution –, dass die Güter dieser Welt ungerecht verteilt seien und dass der Fehler nicht in der menschlichen Natur begründet sei, sondern in der Enteignung durch eine herrschende Klasse. Linke definieren sich als die Gegner der bestehenden Macht, als die Vorkämpfer einer neuen Ordnung, die endlich die Grundlage für die uralten Klagen der Unterdrückten beseitigt.

Zwei Eigenschaften der neuen Ordnung rechtfertigen, warum sie erstrebenswert sein soll: Befreiung und »soziale Gerechtigkeit«. Diese beiden Zielsetzungen entsprechen annähernd den Losungen »Freiheit« und »Gleichheit« der Französischen Revolution – aber nur annähernd. Die Befreiung, die heute von linken Bewegungen gefordert wird, bedeutet nicht einfach die Freiheit von politischer Unterdrückung oder das Recht, ungestört den eigenen Angelegenheiten nachzugehen. Sie bedeutet die Emanzipation von den »Strukturen«, von Institutionen, Sitten und Gebräuchen, die die »bourgeoise« Ordnung geprägt und das System von gemeinsamen Normen und Werten, das heißt, das Wesen der westlichen Gesellschaften, gebildet haben. Selbst jene Linke, die die libertären Ideen der 1960er Jahre ablehnten, verstehen unter Freiheit die Befreiung von gesellschaftlichen Schranken. Viele ihrer Werke widmen sich der Dekonstruktion solcher Institutionen wie der Familie, der Schule, des Rechts und des Nationalstaats, die dafür sorgten, dass das Erbe der westlichen Zivilisation weitergegeben werden konnte. Diese Schriften – am ausdrücklichsten geschieht das in den Werken von Michael Foucault – stellen das, was andere als Instrumente der bürgerlichen Ordnung bezeichnen würden, als »Strukturen der Unterdrückung« dar.

Die Befreiung des Opfers ist eine ewige Aufgabe, denn kaum sind einige verschwunden, tauchen schon wieder neue am Horizont auf. Die Befreiung der Frauen von der Unterdrückung durch die Männer, der Tiere von der Misshandlung durch Menschen, der Homosexuellen und Transsexuellen von der »Homophobie«, selbst der Muslime von der »Islamophobie« – all dies wurde von den neueren linken Programmen absorbiert und ist unter der Kontrolle der zensurbewaffneten Bürokratie im Recht und in der Aufgabenstellung von Komitees verankert worden. Schritt für Schritt sind die alten Normen der gesellschaftlichen Ordnung verdrängt oder sogar als Verletzungen der »Menschenrechte« unter Strafe gestellt worden. Das Ziel der »Befreiung« hat mehr Gesetze hervorgebracht, als die Unterdrückung je hat erfinden können – denken wir allein an die heutigen Bestimmungen gegen »Diskriminierung«.

Dementsprechend ist das Ziel »sozialer Gerechtigkeit« nicht mehr die Gleichheit vor dem Recht oder der Anspruch auf das gleiche Recht aller Staatsbürger, wie die Aufklärung sie gefordert hatte. Das Ziel ist die umfassende Umgestaltung der Gesellschaft: Privilegien, Hierarchien und selbst die ungleiche Verteilung der Güter sollen überwunden oder zumindest infrage gestellt werden. Der noch radikalere Egalitarismus der Marxisten und Anarchisten des 19. Jahrhunderts, die das Privateigentum aufheben wollten, mag vielleicht an Anziehungskraft eingebüßt haben. Aber hinter der Parole der »sozialen Gerechtigkeit« haben sich Menschen mit einer noch verbisseneren Mentalität versammelt, die glauben, dass in jedem Bereich – seien es Eigentum, Freizeit, gesetzliche Privilegien, gesellschaftlicher Rang, Bildungschancen oder was auch immer wir für uns und unsere Kinder wünschen mögen – so lange Ungleichheit herrscht, bis das Gegenteil bewiesen wird. In jedem Bereich, in dem die gesellschaftliche Stellung von Individuen verglichen werden kann, ist Gleichheit die Standardposition.

Eingebettet in die sanftmütige Prosa von John Rawls könnte man diese Annahme noch übersehen. Aber in Anbetracht der Forderung Ronald Dworkins nach »respektiert werden als Gleicher« im Gegensatz zu »gleichem Respekt« wird man sich schon fragen, wohin dieses Argument führt. Das Entscheidende ist, dass das Argument nichts duldet, was sich ihm in den Weg stellen könnte: keinen vorhandenen Brauch, keine Institution, kein Recht und keine Hierarchie, keine Tradition, Unterscheidung und Regel und keinen Glauben, nichts, was keine unabhängige Beglaubigung vorweisen kann. Alles, was sich mit dem egalitären Ziel nicht vereinbaren lässt, muss abgerissen und neu erbaut werden, und die einfache Tatsache, dass mancher Brauch oder manche Institution überliefert wurde und akzeptiert ist, wird als Argument für die Erhaltung nicht ausreichen. Auf diesem Wege wird »soziale Gerechtigkeit« zu einer kaum verhüllten Forderung nach dem »klaren Schnitt« in der Geschichte, den Revolutionäre immer schon angestrebt hatten."

(Scruton, Roger. Narren, Schwindler, Unruhestifter: Linke Denker des 20. Jahrhunderts. Übers. v. Krisztina Koenen. München: FinanzBuch Verlag, 2021. S. 21-3)

#448:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 25.02.2024, 20:05
    —
VanHanegem hat folgendes geschrieben:

Auf die Streitfage bin ich im übrigen längst eingegangen, gucktstdu da:
VanHanegem hat folgendes geschrieben:
narr hat folgendes geschrieben:
Die am Anfang der Bewegung verfolgten Ziele - „wachsames“ Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus - haben sich inzwischen zu einer Ideologie entwickelt, die das fördert, was sie bekämpfen will.

Zumindest ist die herausragende Bedeutung von Sprachregelungen im "Wokeismus" ein klares Indiz für Ideologie.


Dass die Wache Linke im wertfreien Sinn ideologisch, d.h. Teil des (linken Bereichs des) Spektrums politischer Ideologien ist, steht außer Frage. Etwas anderes ist es zu sagen, sie sei auch ideologisch im Sinn von dogmatisch, doktrinär, fanatisch, militant, extremistisch oder fundamentalistisch.

#449:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 25.02.2024, 20:15
    —
fwo hat folgendes geschrieben:

Es besteht ein Unterschied zwischen interpretationsbedürftig und inhaltlich unsinnig.
Sowohl Tarvoc als auch tillich, mit denen ich mich sonst auch gerne streite, haben klar gezeigt, dass Pfister in Deinem Zitat inhaltlichen Unsinn absondert, den Du über eine gewaltsame externe Inhaltszuschreibung zu retten versuchst.


Du setzt voraus, dass meine Lesart der betreffenden Aussage Pfisters über Foucault eine Fehldeutung ist; doch das steht nach wie vor nicht fest. Denn aus der bloßen Satzform ergibt sich keine zwingende eindeutige Auslegung. Ich hoffe, Pfister antwortet auf meine E-Mail; denn dann würden wir erfahren, was er mit dem fraglichen Satz eigentlich sagen will.

#450:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 25.02.2024, 20:34
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:

Es besteht ein Unterschied zwischen interpretationsbedürftig und inhaltlich unsinnig.
Sowohl Tarvoc als auch tillich, mit denen ich mich sonst auch gerne streite, haben klar gezeigt, dass Pfister in Deinem Zitat inhaltlichen Unsinn absondert, den Du über eine gewaltsame externe Inhaltszuschreibung zu retten versuchst.


Du setzt voraus, dass meine Lesart der betreffenden Aussage Pfisters über Foucault eine Fehldeutung ist; doch das steht nach wie vor nicht fest. Denn aus der bloßen Satzform ergibt sich keine zwingende eindeutige Auslegung. Ich hoffe, Pfister antwortet auf meine E-Mail; denn dann würden wir erfahren, was er mit dem fraglichen Satz eigentlich sagen will.


Es kann nur eine Fehldeutung sein, denn was da steht, ist inhaltlich Unsinn, und wenn bei einer Deutung etwas anderes herauskommt, als im Text steht, ist es eine Fehldeutung.

Was Du da deutest, ist nicht, was da steht, sondern das, von dem Du Dir wünschtest, dass es da steht.
Auch wenn Dir der Autor antwortet, genau so sei es gemeint gewesen, um nicht zuzugeben, dass er Unsinn geschrieben hat, dann entstammt Deine Deutung nicht seinem Text, sondern Deinen hellseherischen Fähigkeiten. Die braucht es da nämlich.

#451:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 25.02.2024, 21:06
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Zitat:
"[N]obody denies the existence of what I have called the cultural Left[.]"

(Rorty, Richard. Achieving Our Country: Leftist Thought in Twentieth Century America. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1998. p. 91)

"The heirs of the New Left of the Sixties have created, within the academy, a cultural Left. Many members of this Left specialize in what they call the "politics of difference" or "of identity" or "of recognition." This cultural Left thinks more about stigma than about money, more about deep and hidden psychosexual motivations than about shallow and evident greed."

(Rorty, Richard. Achieving Our Country: Leftist Thought in Twentieth Century America. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1998. pp. 76-7)


Die zeitgenössische Wache Linke = (Radikale) Kulturelle Linke ist eine informelle akademisch-politische "Regenbogenkoalition" (H. L. Gates) von Theoretikern und Aktivisten aus dem Bereich der kritischen Theorie(n) (im Sinn der Frankfurter Schule) und der kulturellen Studien (im Sinn der Birminghamer Schule).
[Die cultural studies im Birminghamer Sinn sind critical cultural studies im Frankfurter Sinn von "kritisch".]

(Ich habe die Wache Linke als "bunte Wolke" bezeichnet, bevor ich auf Gates' "Regenbogenkoalition" stieß.)

Zitat:
"Ich habe den Begriff "kulturelle Linke" von dem afroamerikanischen Philosophen Henry Louis Gates übernommen. Gates will damit eine heterogene Szene von Protestbewegungen an den Universitäten auf einen Nenner bringen – Feministinnen, Homosexuelle, Schwarze, Hispanoamerikaner und so weiter. Die kulturelle Linke ist eine informelle Allianz von Minderheitengruppen. Diese Bewegungen sprechen sehr differenziert über Rasse, Ethnie und Geschlecht, aber über die Armen haben sie wenig zu sagen."

(Rorty, Richard. "Laßt uns das Thema wechseln." Interview in Die Zeit 30/1997 (18. Juli 1997): https://www.zeit.de/1997/30/Lasst_uns_das_Thema_wechseln)


Fußnote (meinerseits): Zu dieser "informellen Allianz" gehören auch weiße Männer (& Frauen).

Zitat:
"In the course of our conference, Henry Gates defined the "American Cultural Left" as a "Rainbow Coalition of feminists, deconstructionists, Althusserians, Foucauldians, people working in ethnic or gay studies, etc.""

"Im Verlauf unserer Konferenz definierte Henry Gates die "amerikanische kulturelle Linke" als "die Regenbogenkoalition aus Feminist/inn/en, Dekonstruktivisten, Althusserianern, Foucauldianern, Leuten, die in den ethnic oder gay studies etc. arbeiten"." [© meine Übers.]

(Rorty, Richard. "Two Cheers for the Cultural Left." 1990. Reprinted in The Politics of Liberal Education, edited by Darryl J. Gless & Barbara Herrnstein Smith, 233-240. Durham: Duke University Press, 1992. p. 233)


Gates' früheste schriftliche Verwendung von "the cultural left" (in Rortys Sinn), die ich gefunden habe, stammt aus dem Jahr 1989.

Zitat:
"…the cultural left, which I am defining here loosely and generously as that uneasy, shifting set of alliances formed by feminist critics, critics of so-called minority culture and Marxist and post-structuralist critics generally – in short, the rainbow coalition of contemporary critical theory."

"…die kulturelle Linke, die ich hier lose und großzügig als diejenige unstete, wechselhafte Menge von Allianzen definiere, die aus feministischen Kritikern, Kritikern der sogenannten Minderheitenkultur sowie allgemein aus marxistischen und poststrukturalistischen Kritikern besteht – kurzum, der Regenbogenkoalition der zeitgenössischen kritischen Theorie." [© meine Übers.]

(Gates, Henry Louis, Jr. "Whose Canon Is It, Anyway?" The New York Times Book Review, February 26, 1989. p. 1)

#452:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 25.02.2024, 21:32
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
…der kulturellen Studien (im Sinn der Birminghamer Schule).
[Die cultural studies im Birminghamer Sinn sind critical cultural studies im Frankfurter Sinn von "kritisch".]


Zitat:
"Cultural studies is an interlocking set of leftist intellectual and political practices. Its central purpose is twofold: (1) to produce detailed, contextualized analyses of the ways that power and social relations are created, structured, and maintained through culture; and (2) to circulate those analyses in public forums suitable to the tasks of pedagogy, provocation, and political intervention."

(Rodman, Gilbert B. Why Cultural Studies? Malden, MA: Wiley Blackwell, 2015. pp. 39-40)

"Cultural studies is both an intellectual and a political project."

(Rodman, Gilbert B. Why Cultural Studies? Malden, MA: Wiley Blackwell, 2015. p. 40)


Zitat:
"It remains difficult to pin down the boundaries of cultural studies as a coherent, unified, academic discipline with clear-cut substantive topics, concepts and methods that differentiate it from other disciplines. Cultural studies has always been a multi- or post-disciplinary field of enquiry which blurs the boundaries between itself and other ‘subjects’. It is not physics, it is not sociology and it is not linguistics, though it draws upon these subject areas. Indeed, there must be, as [Stuart] Hall (1992a) argues, something at stake in cultural studies that differentiates it from other subject areas.

For Hall, what is at stake is the connection that cultural studies seeks to make to matters of power and cultural politics. That is, to an exploration of representations of and ‘for’ marginalized social groups and the need for cultural change. Hence, cultural studies is a body of theory generated by thinkers who regard the production of theoretical knowledge as a political practice. Here, knowledge is never a neutral or objective phenomenon but a matter of positionality, that is, of the place from which one speaks, to whom, and for what purposes. At the start of the evolution of British cultural studies the idea that the field was politically engaged was taken as a defining characteristic. Today, cultural studies’ alignment with political activism is more controversial – both inside and outside of the field."

(Barker, Chris, and Emma A. Jane. Cultural Studies: Theory and Practice. 5th ed. London: SAGE Publications, 2016. p. 5)

"The Intellectual Strands of Cultural Studies: The concepts we have explored are drawn from a range of theoretical and methodological paradigms. The most influential theories within cultural studies have been: Marxism, culturalism, structuralism, poststructuralism, psychoanalysis and the politics of difference (under which heading, for the sake of convenience, we include feminism, theories of race, ethnicity and postcolonialism)."

(Barker, Chris, and Emma A. Jane. Cultural Studies: Theory and Practice. 5th ed. London: SAGE Publications, 2016. p. 14)

"CONTENTS

THE INTELLECTUAL STRANDS OF CULTURAL STUDIES

Marxism and the centrality of class
Capitalism
Marxism and cultural studies


Culturalism and structuralism
Culture is ordinary
Structuralism
Deep structures of language
Culture as ‘like a language’


Poststructuralism (and postmodernism)
Derrida: the instability of language
Foucault and discursive practices
Anti-essentialism
Postmodernism


Psychoanalysis and subjectivity
The Freudian self
The Oedipus complex


The politics of difference: feminism, race and postcolonial theory
Feminism
Race, ethnicity and hybridity
"

(Barker, Chris, and Emma A. Jane. Cultural Studies: Theory and Practice. 5th ed. London: SAGE Publications, 2016. pp. vii-viii)

#453:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 25.02.2024, 22:22
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Zitat:
"…In jedem Bereich, in dem die gesellschaftliche Stellung von Individuen verglichen werden kann, ist Gleichheit die Standardposition.

Eingebettet in die sanftmütige Prosa von John Rawls könnte man diese Annahme noch übersehen. Aber in Anbetracht der Forderung Ronald Dworkins nach »respektiert werden als Gleicher« im Gegensatz zu »gleichem Respekt« wird man sich schon fragen, wohin dieses Argument führt.…"

(Scruton, Roger. Narren, Schwindler, Unruhestifter: Linke Denker des 20. Jahrhunderts. Übers. v. Krisztina Koenen. München: FinanzBuch Verlag, 2021. S. 21-3)


Rawls und Dworkin werden dem Liberalismus zugerechnet; aber aus der Sicht klassischer Liberaler ist ihr egalitärer Sozialliberalismus eine Form von Sozialismus. Rawls definiert "justice as fairness" und erklärt, dass "justice as fairness is an egalitarian view." Es besteht für ihn also ein Zusammenhang zwischen (sozialer) Gerechtigkeit und (sozialer) Gleichheit, weil gesellschaftliche Fairness ein hohes Maß an Gleichheit erfordert.

#454:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 26.02.2024, 19:24
    —
...Sind wir mal wieder an dem Punkt angekommen, wo du anfängst, Selbstgespräche zu führen?

#455:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 26.02.2024, 22:09
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
...Sind wir mal wieder an dem Punkt angekommen, wo du anfängst, Selbstgespräche zu führen?


Dass meine "Selbstgespräche" der Erhellung des Thread-Themas dienen könnten, ist dir nicht in den Sinn gekommen, oder?

#456:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 27.02.2024, 02:02
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Dass meine "Selbstgespräche" der Erhellung des Thread-Themas dienen könnten, ist dir nicht in den Sinn gekommen, oder?

Das wäre dann allerdings das erste Mal gewesen. Dass ich deine Beiträge gelesen haben könnte, bevor ich einen Kommentar dazu abgebe, ist dir anscheinend nicht in den Sinn gekommen.

#457:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 27.02.2024, 11:48
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Dass die Wache Linke im wertfreien Sinn ideologisch, d.h. Teil des (linken Bereichs des) Spektrums politischer Ideologien ist, steht außer Frage. Etwas anderes ist es zu sagen, sie sei auch ideologisch im Sinn von dogmatisch, doktrinär, fanatisch, militant, extremistisch oder fundamentalistisch.

Sprachregelungen setzen m.E. die Existenz einer Doktrin voraus, die genauso wenig ohne Dogmen auskommen dürfte, wie die Mathematik ohne Axiome.

Fanatismus/Militanz/Extremismus sind natürlich andere Kisten

#458:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 27.02.2024, 15:26
    —
Hier gibt es übrigens eine nette und ganz ruhige Diskussion zu dem Thema

SWR>>KULTUR

Forum

Woke und identitär – Wird die Aufklärung gecancelt?

Claus Heinrich diskutiert mit
Prof. Dr. Susan Neiman, Direktorin Einstein Forum, Potsdam
Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Gründungsrektor Humanistische Hochschule, Berlin
Prof. Dr. Bernd Stegemann, Kultursoziologe an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Berlin

Es scheint in der Praxis nicht ganz so harmlos zu sein, wie tillich es sieht.

#459:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 27.02.2024, 16:21
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Hier gibt es übrigens eine nette und ganz ruhige Diskussion zu dem Thema

SWR>>KULTUR

Forum

Woke und identitär – Wird die Aufklärung gecancelt?

Claus Heinrich diskutiert mit
Prof. Dr. Susan Neiman, Direktorin Einstein Forum, Potsdam
Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Gründungsrektor Humanistische Hochschule, Berlin
Prof. Dr. Bernd Stegemann, Kultursoziologe an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Berlin

Es scheint in der Praxis nicht ganz so harmlos zu sein, wie tillich es sieht.


SWR2 Forum.
Die beste Diskussionssendung die ich kenne.

Hier kann man sich jede Woche die Themen schicken lassen, die die nächste Woche kommen.

#460:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 28.02.2024, 00:14
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Hier gibt es übrigens eine nette und ganz ruhige Diskussion zu dem Thema

SWR>>KULTUR

Forum

Woke und identitär – Wird die Aufklärung gecancelt?

Claus Heinrich diskutiert mit
Prof. Dr. Susan Neiman, Direktorin Einstein Forum, Potsdam
Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Gründungsrektor Humanistische Hochschule, Berlin
Prof. Dr. Bernd Stegemann, Kultursoziologe an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Berlin

Es scheint in der Praxis nicht ganz so harmlos zu sein, wie tillich es sieht.

Die Schlussfolgerung ist bei der Diskussionsbesetzung aber auch nicht verwunderlich. Neiman hat ein Buch gegen "woke" geschrieben, Stegemann eins gegen "Identitätspolitik", in dessen Klappentext "Black lives matter" genauso mit "Wir zuerst!" übersetzt wird wie "America first", und Nida-Rümelin schließlich eins gegen die sog. Cancel Culture.

Haben die in dieser Besetzung überhaupt diskutiert oder sich nur gegenseitig die Bälle zugespielt?

#461:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 28.02.2024, 01:43
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Hier gibt es übrigens eine nette und ganz ruhige Diskussion zu dem Thema

SWR>>KULTUR

Forum

Woke und identitär – Wird die Aufklärung gecancelt?

Claus Heinrich diskutiert mit
Prof. Dr. Susan Neiman, Direktorin Einstein Forum, Potsdam
Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Gründungsrektor Humanistische Hochschule, Berlin
Prof. Dr. Bernd Stegemann, Kultursoziologe an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Berlin

Es scheint in der Praxis nicht ganz so harmlos zu sein, wie tillich es sieht.

Die Schlussfolgerung ist bei der Diskussionsbesetzung aber auch nicht verwunderlich. Neiman hat ein Buch gegen "woke" geschrieben, Stegemann eins gegen "Identitätspolitik", in dessen Klappentext "Black lives matter" genauso mit "Wir zuerst!" übersetzt wird wie "America first", und Nida-Rümelin schließlich eins gegen die sog. Cancel Culture.

Haben die in dieser Besetzung überhaupt diskutiert oder sich nur gegenseitig die Bälle zugespielt?

War das jetzt gerade eine prophylaktische Immunisierung? zwinkern

Claus Heinrich hat da drei Leute geholte, die sich selbst als Linke verstehen.

Vor allen Dingen haben sie nicht nur theoretisiert sondern auch auf praktische Erfahrungen verwiesen.

Das Buch Nida-Rümelins hab ich noch ungelesen vor mir.

aus dem Vorwort:

"Dieses Buch wird sich allenfalls am Rande mit diesen Querelen und Quisquilien (gemeint ist die Moralisierung des Sprachgebrauchs - fwo) befassen. Vielmehr nimmt es das Phänomen Cancel Culture zum Ausgangspunkt einer tiefer gehenden Analyse. Tatsächlich ist die Praxis, unliebsame Meinungen zum Schweigen zu bringen uralt; sie lässt sich schon in der Antike verfolgen ....
Dieser Essay ist also nicht ein weiterer Beitrag zu einem vordergründigen politischen Schlagabtausch, der uns nun schon seit Jahren begleitet, in den USA seit Jahrzehnten, und wohl auch leider weiter begleiten wird. Es handelt sich um einen Versuch der Erklärung der Begriffe und Argumente....."

#462:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 28.02.2024, 01:46
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Hier gibt es übrigens eine nette und ganz ruhige Diskussion zu dem Thema

SWR>>KULTUR

Forum

Woke und identitär – Wird die Aufklärung gecancelt?

Claus Heinrich diskutiert mit
Prof. Dr. Susan Neiman, Direktorin Einstein Forum, Potsdam
Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Gründungsrektor Humanistische Hochschule, Berlin
Prof. Dr. Bernd Stegemann, Kultursoziologe an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Berlin

Es scheint in der Praxis nicht ganz so harmlos zu sein, wie tillich es sieht.

Die Schlussfolgerung ist bei der Diskussionsbesetzung aber auch nicht verwunderlich. Neiman hat ein Buch gegen "woke" geschrieben, Stegemann eins gegen "Identitätspolitik", in dessen Klappentext "Black lives matter" genauso mit "Wir zuerst!" übersetzt wird wie "America first", und Nida-Rümelin schließlich eins gegen die sog. Cancel Culture.

Haben die in dieser Besetzung überhaupt diskutiert oder sich nur gegenseitig die Bälle zugespielt?

War das jetzt gerade eine prophylaktische Immunisierung? zwinkern

Claus Heinrich hat da drei Leute geholte, die sich selbst als Linke verstehen.

Was willst du damit sagen? Dass die Auswahl der Teilnehmer nicht nur in einer Hinsicht einseitig ist? Am Kopf kratzen

#463:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 28.02.2024, 10:29
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
...
Was willst du damit sagen? Dass die Auswahl der Teilnehmer nicht nur in einer Hinsicht einseitig ist? Am Kopf kratzen

Kann man so sehen.

Ist ja auch nicht völlig abwegig, einen Gegenstand mal konzentriert von einer Seite aus zu beleuchten. Sonst wettern doch immer nur Konservative gegen die Cancel Culture.

Hier hast Du dann gewissermaßen mal ein paar "Nestbeschmutzer".

Aber wenn man sie nicht kennt, und man für wichtig hält, wer etwas sagt, hat man auch die Möglichkeit, sie sich in Wikipedia anzusehen - für alle drei existieren +- ausführliche Einträge.

#464:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 28.02.2024, 14:57
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Ist ja auch nicht völlig abwegig, einen Gegenstand mal konzentriert von einer Seite aus zu beleuchten.

Klar, kann man mal machen. Aber ständig? Wann werden denn in deutschen Medien Vertreter der sogenannten "woken" Seite überhaupt mal eingeladen? Geschweige denn, dass es eine konzentrierte Sendung von ihrer Seite gäbe. Ist schon etwas merkwürdig, ausgerechnet der Seite Zensurwünsche zu attestieren, die man nicht zu Wort kommen lässt.

#465:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 28.02.2024, 17:31
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Ist ja auch nicht völlig abwegig, einen Gegenstand mal konzentriert von einer Seite aus zu beleuchten.

Klar, kann man mal machen. Aber ständig? Wann werden denn in deutschen Medien Vertreter der sogenannten "woken" Seite überhaupt mal eingeladen? Geschweige denn, dass es eine konzentrierte Sendung von ihrer Seite gäbe. Ist schon etwas merkwürdig, ausgerechnet der Seite Zensurwünsche zu attestieren, die man nicht zu Wort kommen lässt.

LOL
Sie sind in unseren Medien ziemlich lautstark vertreten, nicht unbedingt in Diskussionen, aber hinreichend mit ihren Aktionen, sonst könnten sie weder von den Konservativen angefeindet noch von ein paar Linken beklatscht werden. Denk nur an die Vorfälle, in denen man versucht hat, Profs von der Uni zu mobben, was mir spontan einfällt, ist Bernd Lucke in Hamburg, wo anders ging es um Rassismusvorwürfe, oder Islamophobie usw.. Nervig finde ich in dem Zusammenhang z.B. bei Lucke, dass die Uni-Leitung dann nicht das Kreuz hat, sich hinter ihre Professoren zu stellen und die einfach aus der Sichtbarkeit entfernt.

Ich erfahre nur von diesen Dingen wenn sie sehr lautstark sind, weil mich dieses Thema sonst nicht interessiert. Insofern ist Dein "nicht zu Worte kommen lassen" fast wie das Gejammer der armen unterdrückten AfD.

Hier mal ein Sittenbild aus Frankreich, dass ich in der Schnelle gefunden habe.

#466:  Autor: narr BeitragVerfasst am: 28.02.2024, 18:57
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
[...]
Vor allen Dingen haben sie nicht nur theoretisiert sondern auch auf praktische Erfahrungen verwiesen.

interessante Diskussion. Danke für den Link.

Beschreibt jemand die Theorien die (auch) hinter dieser Bewegung stehen wird das als unbedeutend abgetan. "Man würde dann ja die Vertreter der entsprechenden Denkrichtungen lesen und nicht jemanden der sich mit dem Phänomen beschäftigt", werden praktische Erfahrungen und Entwicklungen beschrieben werden die als "anekdotische Sammlungen nichts miteinander zu tun habender Ereignisse" abgetan.

Für mich ist die Art der Diskussion wie sie von den Vertretern der Wokebewegung geführt wird Grund genug eine Ideologie, ja, Glaubensrichtung zu sehen. Aggressiv, versteckt bis offen feindlich, Gegner behaupten, selber "argumentiert" man. ...
Erinnert mich an die DKP Traurig

#467:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 28.02.2024, 20:07
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Sie sind in unseren Medien ziemlich lautstark vertreten, nicht unbedingt in Diskussionen, aber hinreichend mit ihren Aktionen, sonst könnten sie weder von den Konservativen angefeindet noch von ein paar Linken beklatscht werden.

Das hört sich jetzt so an: "Es wird doch ganz viel über diese Leute geschrieben, also kommen sie doch zu Wort!"

#468:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 28.02.2024, 20:21
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Sie sind in unseren Medien ziemlich lautstark vertreten, nicht unbedingt in Diskussionen, aber hinreichend mit ihren Aktionen, sonst könnten sie weder von den Konservativen angefeindet noch von ein paar Linken beklatscht werden.

Das hört sich jetzt so an: "Es wird doch ganz viel über diese Leute geschrieben, also kommen sie doch zu Wort!"

Wollte ich auch gerade schreiben.

#469:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 28.02.2024, 21:17
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Sie sind in unseren Medien ziemlich lautstark vertreten, nicht unbedingt in Diskussionen, aber hinreichend mit ihren Aktionen, sonst könnten sie weder von den Konservativen angefeindet noch von ein paar Linken beklatscht werden.

Das hört sich jetzt so an: "Es wird doch ganz viel über diese Leute geschrieben, also kommen sie doch zu Wort!"

Wollte ich auch gerade schreiben.

Jetzt sollte man aber auch in Betracht ziehen, was von ihnen berichtet wird:
Da geht es um Mobbing, glücklicherweise meist noch nicht um körperliches Mobbing, sondern um Nachrichten, die sie verbreiten. Sie stellen also ihre Position dar und werden dabei über die Berichterstattung auch von allen wahrgenommen. Und nur, weil sie so lautstark sind, sind sie doch überhaupt Thema.
Allerdings ist es so, dass sie nur in bestimmten, nicht allen, linken Kreisen Zustimmung erfahren.

Es handelt sich nicht um Strömungen, die breit in der Gesellschaft vertreten sind, da treffen sie überwiegend auf Unverständnis, aber in den Universitäten sind sie sehr lautstark und verbreiten - das war aus der Diskussion zu entnehmen - durchaus bei Teilen des Lehrkörpers auch Furcht.

Der Artikel aus der NZZ, den ich verlinkt habe, gibt ein noch stärkeres Bild für Frankreich.

Wäre ja schön, wenn ihr mal darauf eingehen würdet, anstatt euch darüber zu beschweren, dass die ja gar nicht zu Wort kommen.

#470:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 29.02.2024, 08:42
    —
fwo hat folgendes geschrieben:

Hier mal ein Sittenbild aus Frankreich, dass ich in der Schnelle gefunden habe.


Das damit zusammenhängende Phänomen des Judenhasses ist im Artikel nur am Rande erwähnt, dazu also noch ergänzend:

https://libmod.de/richard-c-schneider-ueber-franzoesische-juden-in-israel/

#471:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 29.02.2024, 20:57
    —
Hier noch einmal ein Sittengemälde aus Frankreich, das das Wirken der woken Gemeinde an den französischen Unis darstellt.

Das ist jetzt einmal in einem NZZ-Artikel aus Frankreich das selbe zusammengefasst, was auch die Leute in dem von mir verlinkten Gespräch von Deutschland erzählen.
fwo hat folgendes geschrieben:
Hier gibt es übrigens eine nette und ganz ruhige Diskussion zu dem Thema

SWR>>KULTUR

Forum

Woke und identitär – Wird die Aufklärung gecancelt?

Claus Heinrich diskutiert mit
Prof. Dr. Susan Neiman, Direktorin Einstein Forum, Potsdam
Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin, Gründungsrektor Humanistische Hochschule, Berlin
Prof. Dr. Bernd Stegemann, Kultursoziologe an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, Berlin

Es scheint in der Praxis nicht ganz so harmlos zu sein, wie tillich es sieht.


Auf meine erste Bitte, etwas zu diesen Vorgängen zu sagen, folgte ja eine ohrenbetäubende Stille.

Vielleicht könntet ihr ja ein bisschen verständlicher antworten.

#472:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 29.02.2024, 21:48
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Sie sind in unseren Medien ziemlich lautstark vertreten, nicht unbedingt in Diskussionen, aber hinreichend mit ihren Aktionen, sonst könnten sie weder von den Konservativen angefeindet noch von ein paar Linken beklatscht werden.

Das hört sich jetzt so an: "Es wird doch ganz viel über diese Leute geschrieben, also kommen sie doch zu Wort!"

Wollte ich auch gerade schreiben.

Jetzt sollte man aber auch in Betracht ziehen, was von ihnen berichtet wird:
Da geht es um Mobbing, glücklicherweise meist noch nicht um körperliches Mobbing, sondern um Nachrichten, die sie verbreiten. Sie stellen also ihre Position dar und werden dabei über die Berichterstattung auch von allen wahrgenommen. Und nur, weil sie so lautstark sind, sind sie doch überhaupt Thema.
Allerdings ist es so, dass sie nur in bestimmten, nicht allen, linken Kreisen Zustimmung erfahren.

Es handelt sich nicht um Strömungen, die breit in der Gesellschaft vertreten sind, da treffen sie überwiegend auf Unverständnis, aber in den Universitäten sind sie sehr lautstark und verbreiten - das war aus der Diskussion zu entnehmen - durchaus bei Teilen des Lehrkörpers auch Furcht.

Der Artikel aus der NZZ, den ich verlinkt habe, gibt ein noch stärkeres Bild für Frankreich.

Wäre ja schön, wenn ihr mal darauf eingehen würdet, anstatt euch darüber zu beschweren, dass die ja gar nicht zu Wort kommen.

Könntest du vorher selbst kurz darstellen, was du in dem Artikel aus der NZZ besonders bemerkenswert findest? Oder entsprechend in dem Gespräch?

Jetzt hört sich das nämlich präziser so an: "Es wird doch ganz viel über diese Leute geschrieben, also kommen sie doch zu Wort! Und das, obwohl es nur negative Sachen über sie zu schreiben gibt und sie eigentlich total irrelevant sind!" Wirkt nicht wie der Versuch einer unvoreingenommenen Auseinandersetzung.


Zuletzt bearbeitet von tillich (epigonal) am 29.02.2024, 21:55, insgesamt einmal bearbeitet

#473:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 29.02.2024, 21:53
    —
VanHanegem hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:

Hier mal ein Sittenbild aus Frankreich, dass ich in der Schnelle gefunden habe.


Das damit zusammenhängende Phänomen des Judenhasses ist im Artikel nur am Rande erwähnt, dazu also noch ergänzend:

https://libmod.de/richard-c-schneider-ueber-franzoesische-juden-in-israel/

"Damit" zusammenhängend? Womit? Mit dem Phänomen "woke"?

Ich bestreite, dass es da einen klaren Zusammenhang gibt (man für die Diskussion angenommen, "woke" wäre ein hinreichend klares Phänomen, um überhaupt sinnvoll von Zusammenhängen zu sprechen). Hier im FGH zB sind die Leute, die am ehesten als "Wokies" zu identifizieren wären, doch ziemlich klar keine Antisemiten. Wohingegen der von uns gegangene "Woke"-/PC-/Wasweißich-Kritiker BB gleichzeitig der schärfste Israel-"Kritiker" war.

#474:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 01.03.2024, 20:50
    —
Es gibt unter den Linksradikalen sowohl anti-israelische als auch pro-israelische Gruppen:

"Antiimperialistische" und "antideutsche" Strömungen im deutschen Linksextremismus

#475:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 02.03.2024, 14:01
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
"Damit" zusammenhängend? Womit?

mit den Vorgängen in Frankreich, beschrieben in fwo's link.

#476:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 02.03.2024, 16:35
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Das hört sich jetzt so an: "Es wird doch ganz viel über diese Leute geschrieben, also kommen sie doch zu Wort!"


Dann lassen wir "diese Leute" doch mal zu Wort kommen. Hier ist ein (englischsprachiger) Text über Cancel Culture auf einer Website des kulturwissenschaftlichen Bereichs der Universität Kiel:

https://www.cultural-studies.uni-kiel.de/current-issues-in-cultural-studies/cancel-culture

Zitat:
"‘Cancel Culture’ is a rearticulation of ‘Political Correctness’, demonizing progressive attempts to call out discriminatory speech and behavior as petty and totalitarian; the term’s function is to quash any attempts to critique dominant social positions – while in fact using the same tactics all along: banning, boycotting, silencing. Here, ‘Cancel Culture’ is the social media hyped-up version of previous moral panics, part of a cultural hegemonic power struggle and an attempt to stifle all opposition by branding such opposition as ‘mob rule’."


Die entscheidenden Fragen sind, welche Arten und Weisen von "Anprangerung" ("calling out") die Wachen Linken für zulässig halten (Diskussionsverhinderung durch Brüllaktionen oder Zutrittsblockaden?), und was genau sie unter "discriminatory speech and behavior" verstehen.

Was ist beispielsweise mit dem Fall der englischen Philosophin Kathleen Stock, die an ihrer (ehemaligen) Universität als angeblich transphobe "Hexe" in übelster Weise gemobbt wurde? Im Namen der Antidiskriminierung wurde sie unverdientermaßen zum Diskriminierungsopfer. In diesem und etlichen anderen Fällen haben die linksradikalen "Opferschützer" gewaltig über die Stränge geschlagen!

#477:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 02.03.2024, 17:18
    —
VanHanegem hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
"Damit" zusammenhängend? Womit?

mit den Vorgängen in Frankreich, beschrieben in fwo's link.

Aha. Kannst du den Zusammenhang auch begründen?
Wie Myrons Link zeigt (was allerdings irgendwie eh jeder weiß, oder nicht?), denken bei "den Linksradikalen" in dieser Frage die einen so, die anderen so. Sieht für mich nicht nach einem Zusammenhang aus.

#478:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 02.03.2024, 18:21
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Das hört sich jetzt so an: "Es wird doch ganz viel über diese Leute geschrieben, also kommen sie doch zu Wort!"


Dann lassen wir "diese Leute" doch mal zu Wort kommen. Hier ist ein (englischsprachiger) Text über Cancel Culture auf einer Website des kulturwissenschaftlichen Bereichs der Universität Kiel:

https://www.cultural-studies.uni-kiel.de/current-issues-in-cultural-studies/cancel-culture

Zitat:
"‘Cancel Culture’ is a rearticulation of ‘Political Correctness’, demonizing progressive attempts to call out discriminatory speech and behavior as petty and totalitarian; the term’s function is to quash any attempts to critique dominant social positions – while in fact using the same tactics all along: banning, boycotting, silencing. Here, ‘Cancel Culture’ is the social media hyped-up version of previous moral panics, part of a cultural hegemonic power struggle and an attempt to stifle all opposition by branding such opposition as ‘mob rule’."


Die entscheidenden Fragen sind, welche Arten und Weisen von "Anprangerung" ("calling out") die Wachen Linken für zulässig halten (Diskussionsverhinderung durch Brüllaktionen oder Zutrittsblockaden?), und was genau sie unter "discriminatory speech and behavior" verstehen.

Was ist beispielsweise mit dem Fall der englischen Philosophin Kathleen Stock, die an ihrer (ehemaligen) Universität als angeblich transphobe "Hexe" in übelster Weise gemobbt wurde? Im Namen der Antidiskriminierung wurde sie unverdientermaßen zum Diskriminierungsopfer. In diesem und etlichen anderen Fällen haben die linksradikalen "Opferschützer" gewaltig über die Stränge geschlagen!

Ich glaube nicht, dass das die entscheidende Frage des Artikels ist.
Und ich habe irgendwie die Stelle im Artikel verpasst, an der es um Kathleen Stock ging.

#479:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 02.03.2024, 19:01
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Und ich habe irgendwie die Stelle im Artikel verpasst, an der es um Kathleen Stock ging.


Ich habe dieses Beispiel erwähnt, eben weil der Artikel nichts dergleichen über die aggressive Vorgehensweise der linksradikalen Sittenwächter berichtet. Er erweckt den falschen Eindruck, dass sich hinter dem Vorwurf der Cancel Culture nichts weiter verbirgt als ein von Rechten aufgestellter Popanz zur Verhinderung "progressiver" Politik.

#480:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 03.03.2024, 15:33
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Und ich habe irgendwie die Stelle im Artikel verpasst, an der es um Kathleen Stock ging.


Ich habe dieses Beispiel erwähnt, eben weil der Artikel nichts dergleichen über die aggressive Vorgehensweise der linksradikalen Sittenwächter berichtet. Er erweckt den falschen Eindruck, dass sich hinter dem Vorwurf der Cancel Culture nichts weiter verbirgt als ein von Rechten aufgestellter Popanz zur Verhinderung "progressiver" Politik.

Eine angebliche "Cancel Culture" - das heißt eine angeblich bestehende ganze Kultur, in der es darum ginge, missliebige Meinungen einer bestimmten Richtung ohne Argumente zum Schweigen zu bringen - ist auch genau dieser Popanz. Es ist ein Popanz, mit dem idR genau das gemacht wird, was er angeblich beklagt: Unerwünschte Meinungen zum Schweigen zu bringen.

Beispiel aus den letzten Tagen: Das Otfried-Preußler-Gymnasium in Pullach will sich umbenennen. Es fängt schon damit an, dass ich absichtlich schreiben muss "will sich umbenennen" statt "soll umbenannt werden", wie es in rechten Publikationen zu lesen ist: Letzteres hört sich so an, als wären es irgendwelche anonymen, böswilligen Mächte, die von außen auf das Gymnasium zugreifen wollen; faktisch sind es aber die Schüler, die Eltern und die Lehrer der Schule, die das aus eigenem Antrieb, nach eigener, gründlicher Recherche und Diskussion so beschlossen haben, und der Gemeinderat hat sich dem mit großer Mehrheit angeschlossen. Es läuft also genau so, wie es in einer Demokratie laufen sollte: Die Schulgemeinde und die Kommune entscheiden in einem demokratischen Prozess nach inhaltlicher Debatte über den Namen ihrer Schule.

Und dagegen gibt es jetzt eine bundesweite Kampagne rechter Einflussnehmer, die diese Entscheidung als untragbare "Cancel Culture" hinstellen. Leute, die diese Entscheidung einen absoluten Scheißdreck angeht, wollen sich also mithilfe dieses Begriffs "Cancel Culture" in die demokratische Entscheidung derer, die es angeht, einmischen und sie verhindern.

Ob wir selbst diese Entscheidung so fällen würden, müssen wir gar nicht diskutieren (ich habe auch keine abschließende Meinung und muss auch keine haben, weil es mich nichts angeht), denn die Schulgemeinde hat zumindest gute Argumente dafür: Preußler war in seiner Jugend Nazi, hat einen dementsprechenden Propaganda-Jugendroman veröffentlicht und sich mit dieser Vergangenheit nicht öffentlich auseinandergesetzt. Es gibt natürlich auch Gegenargumente ("Jugendsünde!" vs das spätere, wesentlichere Werk Preußlers), und deswegen würde ich auch keinesfalls sagen, dass alle Otfried-Preußler-Schulen umbenannt werden müssten. Das fordert aber mW auch niemand (oder niemand relevantes).

Und solche Fälle, in denen Reaktionäre eine Debatte mithilfe des Schlagworts "Cancel Culture" statt mit inhaltlichen Argumenten ihre kulturelle Deutungshoheit durchsetzen wollen, haben ich und, denke ich, der Autor des Artikels vor Augen. Natürlich kann man in den konkreten Debatten auch unterschiedliche Positionen vertreten, so man denn gute Argumente für seine Position hat. Aber der Begriff Cancel Culture dient eben dazu, die Debatten abzuwürgen statt sie zu führen.

Und um zu deinem Beispiel zurückzukommen: Natürlich kann man auch im Fall Kathleen Stock eine konkrete Debatte führen. Dann kann man die Geschichte aber auch ganz anders erzählen: Philosophieprofessorin wirft sich plötzlich auf ein Thema, mit dem sie sich vorher nie befasst hat und dementsprechend wenig Expertise hat, und vertritt dabei transfeindliche Positionen; wird gleichzeitig als transfeindliche Aktivistin aktiv, mischt sich in politische und gesellschfatliche Debatten zur Frage ein und verzerrt dabei teilweise in böswilliger Weise gegnerische Positionen bis hin zur klaren Lüge (einen Fall haben wir in diesem Thread diskutiert); wird dann, ziemlich offenkundig für diesen transfeindlichen Aktivismus, von reaktionären Politiker:innen ausgezeichnet; bekommt dementsprechenden Gegenwind von Transaktivist:innen; hält den Gegenwind nicht aus und tritt von ihrer Position zurück, obwohl sie von ihrer Unileitung gestützt wird.
(Und ja, ich kenne das Gegenargument: "Aber Stock ist ganz lieb und überhaupt nicht transfeindlich!" Nee, klar. Außer in allen konkrten Streitfragen, zu denen sie Stellung genommen hat, aber sonst ist sie nicht transfeindlich ...)
Dass man das auch wieder ganz anders sehen kann, will ich nicht bestreiten. Der Punkt ist aber, dass man die konkrete Debatte inhaltlich führen muss, statt mit dem Hammer "Cancel Culture" draufzuhauen. Aber mit dieser konkreten Debatte haben wir hier eigentlich nicht so arg viel zu tun.

#481:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.03.2024, 19:52
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Ich habe dieses Beispiel erwähnt, eben weil der Artikel nichts dergleichen über die aggressive Vorgehensweise der linksradikalen Sittenwächter berichtet. Er erweckt den falschen Eindruck, dass sich hinter dem Vorwurf der Cancel Culture nichts weiter verbirgt als ein von Rechten aufgestellter Popanz zur Verhinderung "progressiver" Politik.

Eine angebliche "Cancel Culture" - das heißt eine angeblich bestehende ganze Kultur, in der es darum ginge, missliebige Meinungen einer bestimmten Richtung ohne Argumente zum Schweigen zu bringen - ist auch genau dieser Popanz. Es ist ein Popanz, mit dem idR genau das gemacht wird, was er angeblich beklagt: Unerwünschte Meinungen zum Schweigen zu bringen.


Der Ausdruck "Cancel Culture" ist eigentlich ein Unwort, weil hier das Wort "Kultur" in höchst seltsamer Weise gebraucht wird. Ich verstehe aber, dass damit eine systematische Strategie zur Bekämpfung der ideologischen Gegner gemeint ist (siehe unteres Zitat!). "Cancel Culture" bedeutet also eigentlich "Cancel Politics", d.h. es steht für zensur- oder sanktionspolitische Praktiken, die im "Culture War" gezielt eingesetzt werden—sowohl von Linken als auch von Rechten.

Dafür, dass insbesondere auch aufseiten der Wachen Linken eine illiberale Zensur- und Sanktionspolitik gegen deren erklärte Feinde betrieben wird (zu denen nicht nur Rechte zählen!), gibt es mittlerweile viele Belege (wie den Fall Stock).

Zitat:
"The term ‘Cancel Culture’, however, suggests that such individual actions now amount to a systematic form of oppression, suppressing dissenting voices and behaviors. What began as a defensive reaction against discrimination, then, is now stylized as a concerted act of discrimination in itself."

Quelle: https://www.cultural-studies.uni-kiel.de/current-issues-in-cultural-studies/cancel-culture


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Beispiel aus den letzten Tagen: Das Otfried-Preußler-Gymnasium in Pullach will sich umbenennen. Es fängt schon damit an, dass ich absichtlich schreiben muss "will sich umbenennen" statt "soll umbenannt werden", wie es in rechten Publikationen zu lesen ist: Letzteres hört sich so an, als wären es irgendwelche anonymen, böswilligen Mächte, die von außen auf das Gymnasium zugreifen wollen; faktisch sind es aber die Schüler, die Eltern und die Lehrer der Schule, die das aus eigenem Antrieb, nach eigener, gründlicher Recherche und Diskussion so beschlossen haben, und der Gemeinderat hat sich dem mit großer Mehrheit angeschlossen. Es läuft also genau so, wie es in einer Demokratie laufen sollte: Die Schulgemeinde und die Kommune entscheiden in einem demokratischen Prozess nach inhaltlicher Debatte über den Namen ihrer Schule.

Und dagegen gibt es jetzt eine bundesweite Kampagne rechter Einflussnehmer, die diese Entscheidung als untragbare "Cancel Culture" hinstellen. Leute, die diese Entscheidung einen absoluten Scheißdreck angeht, wollen sich also mithilfe dieses Begriffs "Cancel Culture" in die demokratische Entscheidung derer, die es angeht, einmischen und sie verhindern. Ideologisch unliebsame Bücher oder Aufsätze sollen nicht veröffentlicht oder zurückgezogen werden.

Ob wir selbst diese Entscheidung so fällen würden, müssen wir gar nicht diskutieren (ich habe auch keine abschließende Meinung und muss auch keine haben, weil es mich nichts angeht), denn die Schulgemeinde hat zumindest gute Argumente dafür: Preußler war in seiner Jugend Nazi, hat einen dementsprechenden Propaganda-Jugendroman veröffentlicht und sich mit dieser Vergangenheit nicht öffentlich auseinandergesetzt. Es gibt natürlich auch Gegenargumente ("Jugendsünde!" vs das spätere, wesentlichere Werk Preußlers), und deswegen würde ich auch keinesfalls sagen, dass alle Otfried-Preußler-Schulen umbenannt werden müssten. Das fordert aber mW auch niemand (oder niemand relevantes).

Und solche Fälle, in denen Reaktionäre eine Debatte mithilfe des Schlagworts "Cancel Culture" statt mit inhaltlichen Argumenten ihre kulturelle Deutungshoheit durchsetzen wollen, haben ich und, denke ich, der Autor des Artikels vor Augen. Natürlich kann man in den konkreten Debatten auch unterschiedliche Positionen vertreten, so man denn gute Argumente für seine Position hat. Aber der Begriff Cancel Culture dient eben dazu, die Debatten abzuwürgen statt sie zu führen.


Ja, das ist teilweise wahr. Mir ist nicht entgangen, dass Rechte oftmals "Cancel Culture!" schreien, sobald irgendwelche Entscheidungen getroffen oder Änderungen vorgenommen werden—und sei es auf demokratische Weise—, die ihnen gegen den ideologischen Strich gehen.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es sehr wohl eine linksradikale Zensur- und Sanktionspolitik gibt (zu deren Praxis Sprachregelungen, Denunziation, Diffamierung und Mobbing gehören), die von einem selbstgerechten moralischen Manichäismus und Rigorismus angefeuert wird und unsere Grundfreiheiten tatsächlich bedroht. Diskussionen, Debatten oder Diskurse (und selbst Forschungsprojekte), die mit der linksidentitären Ideologie nicht konform gehen und als "problematisch" (= gefährlich) gebrandmarkt werden, sollen verhindert, gestört, abgebrochen/unterbrochen oder gar gesetzlich verboten werden. "Problematische" Bücher oder Aufsätze sollen aus Gründen der "Antidiskriminierung" und des "Opferschutzes" nicht veröffentlicht oder zurückgezogen werden.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Und um zu deinem Beispiel zurückzukommen: Natürlich kann man auch im Fall Kathleen Stock eine konkrete Debatte führen. Dann kann man die Geschichte aber auch ganz anders erzählen: Philosophieprofessorin wirft sich plötzlich auf ein Thema, mit dem sie sich vorher nie befasst hat und dementsprechend wenig Expertise hat, und vertritt dabei transfeindliche Positionen; wird gleichzeitig als transfeindliche Aktivistin aktiv, mischt sich in politische und gesellschfatliche Debatten zur Frage ein und verzerrt dabei teilweise in böswilliger Weise gegnerische Positionen bis hin zur klaren Lüge (einen Fall haben wir in diesem Thread diskutiert); wird dann, ziemlich offenkundig für diesen transfeindlichen Aktivismus, von reaktionären Politiker:innen ausgezeichnet; bekommt dementsprechenden Gegenwind von Transaktivist:innen; hält den Gegenwind nicht aus und tritt von ihrer Position zurück, obwohl sie von ihrer Unileitung gestützt wird.
(Und ja, ich kenne das Gegenargument: "Aber Stock ist ganz lieb und überhaupt nicht transfeindlich!" Nee, klar. Außer in allen konkrten Streitfragen, zu denen sie Stellung genommen hat, aber sonst ist sie nicht transfeindlich ...)
Dass man das auch wieder ganz anders sehen kann, will ich nicht bestreiten. Der Punkt ist aber, dass man die konkrete Debatte inhaltlich führen muss, statt mit dem Hammer "Cancel Culture" draufzuhauen. Aber mit dieser konkreten Debatte haben wir hier eigentlich nicht so arg viel zu tun.


(Soweit ich weiß, stimmt es nicht, dass die Leitung ihrer (ehemaligen) Uni Stock tatkräftig unterstützt und vor den militanten Transaktivisten beschützt hat. Man hat sie letztlich im Regen stehen lassen!)

Es wird dich sicher nicht überraschen, wenn ich erwidere, dass es sich bei deiner alternativen "Erzählung" des Falles um ein Märchen handelt. Die Behauptung, Stock wäre eine bösartige und gemeingefährliche "Transphobikerin", die es verdient hätte, "gecancelt" zu werden, ist eine glatte Lüge!
Wirklich niederträchtig ist es, jede/n Genderkritiker/in als "transfeindlich" hinzustellen! Ebenso moralisch verwerflich ist die gnadenlose Art und Weise, wie die Gender-Guerilla mit ihren erklärten Feinden umspringt!

Man muss eine ideologische Zerrbrille tragen, um das Folgende als Ausdruck von Transphobie lesen zu können:

Zitat:
"In this book, I’ve rejected gender identity theory. Since current trans activism enthusiastically embraces gender identity theory, it follows that I don’t believe ordinary trans people are well served by current trans activism. Trans people are trans people. We should get over it. They deserve to be safe, to be visible throughout society without shame or stigma, and to have exactly the life opportunities non-trans people do. Their transness makes no difference to any of this. What trans people don’t deserve, however, is to be publicly misrepresented in philosophical terms that make no sense; nor to have their everyday struggles instrumentalised in the name of political initiatives most didn’t ask for, and which alienate other groups by rigidly encroaching on their hard-won rights. Nor do trans people deserve to be terrified by activist propaganda into thinking themselves more vulnerable to violence than they actually are.
Current trans activism needs a different vision and agenda. Equally, I think, ordinary women haven’t been well served by recent mainstream feminism."

(Stock, Kathleen. Material Girls: Why Reality Matters for Feminism. London: Fleet, 2021.)

#482:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 03.03.2024, 20:24
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
"Problematische" Bücher oder Aufsätze sollen aus Gründen der "Antidiskriminierung" und des "Opferschutzes" nicht veröffentlicht oder zurückgezogen werden.

Du meinst so wie in tausenden Bibliotheken im Bible Belt aufgrund gesetzlichen und staatlichen Zwanges? ...Ach nee, das kommt ja von rechts und nicht von links. Gehört dann wohl nicht zur Cancel Culture, muss man nicht drüber reden...?

Der Begriff Cancel Culture ist nämlich in gewisser Weise schon nicht ganz falsch, wenn es um linke Bestrebungen geht. Linke haben dafür nämlich üblicherweise lediglich "kulturelle" Mittel wie z. B. Mundpropaganda zur Erzeugung lokaler Graswurzel-Aktionen zur Verfügung, während Rechte für ihre Zensurbestrebungen (zusätzlich zu in ihren Zwecken und Methoden vergleichbarer massiver kultureller und medialer Einflussnahme natürlich) tatsächlich Cancel Politics betreiben, nämlich zum Zweck der Zensur politischer Gegner die geballte Macht der Staatsgewalt einsetzen, wo immer man sie lässt. Nur um mal klarzustellen, wie hier die tatsächlichen Machtverhältnisse und auch die tatsächlichen Unterschiede sowohl in der Verfügbarkeit als auch in der Wahl der Mittel liegen.

#483:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 03.03.2024, 21:18
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Und um zu deinem Beispiel zurückzukommen: Natürlich kann man auch im Fall Kathleen Stock eine konkrete Debatte führen. Dann kann man die Geschichte aber auch ganz anders erzählen: Philosophieprofessorin wirft sich plötzlich auf ein Thema, mit dem sie sich vorher nie befasst hat und dementsprechend wenig Expertise hat, und vertritt dabei transfeindliche Positionen; wird gleichzeitig als transfeindliche Aktivistin aktiv, mischt sich in politische und gesellschfatliche Debatten zur Frage ein und verzerrt dabei teilweise in böswilliger Weise gegnerische Positionen bis hin zur klaren Lüge (einen Fall haben wir in diesem Thread diskutiert); wird dann, ziemlich offenkundig für diesen transfeindlichen Aktivismus, von reaktionären Politiker:innen ausgezeichnet; bekommt dementsprechenden Gegenwind von Transaktivist:innen; hält den Gegenwind nicht aus und tritt von ihrer Position zurück, obwohl sie von ihrer Unileitung gestützt wird.
(Und ja, ich kenne das Gegenargument: "Aber Stock ist ganz lieb und überhaupt nicht transfeindlich!" Nee, klar. Außer in allen konkrten Streitfragen, zu denen sie Stellung genommen hat, aber sonst ist sie nicht transfeindlich ...)
Dass man das auch wieder ganz anders sehen kann, will ich nicht bestreiten. Der Punkt ist aber, dass man die konkrete Debatte inhaltlich führen muss, statt mit dem Hammer "Cancel Culture" draufzuhauen. Aber mit dieser konkreten Debatte haben wir hier eigentlich nicht so arg viel zu tun.

(Soweit ich weiß, stimmt es nicht, dass die Leitung ihrer (ehemaligen) Uni Stock tatkräftig unterstützt und vor den militanten Transaktivisten beschützt hat. Man hat sie letztlich im Regen stehen lassen!)

Es wird dich sicher nicht überraschen, wenn ich erwidere, dass es sich bei deiner alternativen "Erzählung" des Falles um ein Märchen handelt. Die Behauptung, Stock wäre eine bösartige und gemeingefährliche "Transphobikerin", die es verdient hätte, "gecancelt" zu werden, ist eine glatte Lüge!
Wirklich niederträchtig ist es, jede/n Genderkritiker/in als "transfeindlich" hinzustellen! Ebenso moralisch verwerflich ist die gnadenlose Art und Weise, wie die Gender-Guerilla mit ihren erklärten Feinden umspringt!

Jetzt wisch dir mal den Schaum vom Maul. Ist dir überhaupt aufgefallen, dass in tillichs Gegendarstellung das Wort "transphob" oder "Transphobiker" noch nicht mal vorkommt? Mit den Augen rollen
(Der ganze andere Quatsch übrigens auch nicht. Deine Zusammenfassung des sogenannten "Märchens" in tillichs Beitrag ist vor allem selbst ein Märchen über tillichs Beitrag.)

Erzähl doch mal, wer deiner Meinung nach überhaupt jemals legitim als transfeindlich zu bezeichnen wäre. Hast du dafür mal ein Beispiel?

Myron hat folgendes geschrieben:
Zitat:
"In this book, I’ve rejected gender identity theory. Since current trans activism enthusiastically embraces gender identity theory, it follows that I don’t believe ordinary trans people are well served by current trans activism. Trans people are trans people. We should get over it. They deserve to be safe, to be visible throughout society without shame or stigma, and to have exactly the life opportunities non-trans people do. Their transness makes no difference to any of this. What trans people don’t deserve, however, is to be publicly misrepresented in philosophical terms that make no sense; nor to have their everyday struggles instrumentalised in the name of political initiatives most didn’t ask for, and which alienate other groups by rigidly encroaching on their hard-won rights. Nor do trans people deserve to be terrified by activist propaganda into thinking themselves more vulnerable to violence than they actually are.
Current trans activism needs a different vision and agenda.
Equally, I think, ordinary women haven’t been well served by recent mainstream feminism."

(Stock, Kathleen. Material Girls: Why Reality Matters for Feminism. London: Fleet, 2021.)

Ich kenne die Frau nicht, aber das ist mindestens extrem patronizing, wie man im Englischen sagt. Wer hat die Frau eigentlich dazu berufen, Trans-Personen vorschreiben zu können, was gefälligst deren Interessen und Agenda zu sein haben?


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 03.03.2024, 21:31, insgesamt einmal bearbeitet

#484:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 03.03.2024, 21:30
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
"Cancel Culture" bedeutet also eigentlich "Cancel Politics", d.h. es steht für zensur- oder sanktionspolitische Praktiken, die im "Culture War" gezielt eingesetzt werden—sowohl von Linken als auch von Rechten.

Immerhin räumst du damit schon mal ein, dass es problematische Versuche, Meinungsäußerungen zu beschränken, mindestens genauso auf der Rechten gibt, wie du es von der Linken behauptest. Jetzt müsstest du nur noch erkennen, dass tatsächliche staatliche Machtmittel, um Zensur durchzusetzen, in aller Regel nur rechten Politiker:innen zur Verfügung stehen, während linken Aktivist:innen mit evtl. überzogenen Forderungen nur Protest bleibt und linke Politiker:innen in Machtpositionen (soweit man von "links" sprechen kann) sowas idR einfach nicht machen.

Myron hat folgendes geschrieben:
Dafür, dass insbesondere auch aufseiten der Wachen Linken eine illiberale Zensur- und Sanktionspolitik gegen deren erklärte Feinde betrieben wird (zu denen nicht nur Rechte zählen!), gibt es mittlerweile viele Belege (wie den Fall Stock).

Ach ja? Dann gib doch mal tatsächliche Beispiele für eine durchgesetzte Zensur von linker Seite, wie es zB die von tarvoc angesprochenen Bibliothekssäuberungen in einigen US-Bundesstaaten oder auch das dortige Verbot, im Schulunterricht über LGBTQ-Themen zu sprechen, sind.
Der Fall Stock ist kein Fall von Zensur, denn Stock wurde von staatlicher Seite für ihre Positionen nicht zensiert, sondern im Gegenteil belobigt. Es gab -zugegeben heftige - Proteste, denen sie dann nachgegeben hat, aber keine Zensur.

Myron hat folgendes geschrieben:
Ja, das ist teilweise wahr. Mir ist nicht entgangen, dass Rechte oftmals "Cancel Culture!" schreien, sobald irgendwelche Entscheidungen getroffen oder Änderungen vorgenommen werden—und sei es auf demokratische Weise—, die ihnen gegen den ideologischen Strich gehen.

Aha. Immerhin räumst du schon mal ein, dass es das gibt. Damit bist du ja schon fast bei der zentralen These des von dir verlinkten Artikels angekommen, dass genau das die wesentliche Funktion des Begriffs "Cancel Culture" ist.

Myron hat folgendes geschrieben:
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es sehr wohl eine linksradikale Zensur- und Sanktionspolitik gibt (zu deren Praxis Sprachregelungen, Denunziation, Diffamierung und Mobbing gehören), die von einem selbstgerechten moralischen Manichäismus und Rigorismus angefeuert wird und unsere Grundfreiheiten tatsächlich bedroht. Diskussionen, Debatten oder Diskurse (und selbst Forschungsprojekte), die mit der linksidentitären Ideologie nicht konform gehen und als "problematisch" (= gefährlich) gebrandmarkt werden, sollen verhindert, gestört, abgebrochen/unterbrochen oder gar gesetzlich verboten werden. "Problematische" Bücher oder Aufsätze sollen aus Gründen der "Antidiskriminierung" und des "Opferschutzes" nicht veröffentlicht oder zurückgezogen werden.

Dann bring doch mal a) Beispiele, wo das über die im gesellschaftlichen Meinungsstreit legitimen Formen von Protest hinausgeht.
Und zeig vor allem b), dass diese Beispiele dann eine ganze herrschende "Kultur" wären, wie es der Begriff behauptet, und nicht Streitfälle, wie sie in der Gesellschaft nun mal vorkommen und die man als Streitfälle auch aushalten muss.

Myron hat folgendes geschrieben:
Es wird dich sicher nicht überraschen, wenn ich erwidere, dass es sich bei deiner alternativen "Erzählung" des Falles um ein Märchen handelt.

Dass man das anders sehen (heißt: anders bewerten) kann, schrieb ich ja selbst. Aber das ist dann eben eine andere Bewertung. Sachlich falsch war an der möglichen anderen Bewertung, die ich darstellte (und die nicht unbedingt meine ist, dafür interessiert mich der Fall zu wenig), aber nichts.

Myron hat folgendes geschrieben:
Die Behauptung, Stock wäre eine bösartige und gemeingefährliche "Transphobikerin", die es verdient hätte, "gecancelt" zu werden, ist eine glatte Lüge! [...]

Man muss eine ideologische Zerrbrille tragen, um das Folgende als Ausdruck von Transphobie lesen zu können:
Zitat:
"In this book, I’ve rejected gender identity theory. Since current trans activism enthusiastically embraces gender identity theory, it follows that I don’t believe ordinary trans people are well served by current trans activism. Trans people are trans people. We should get over it. They deserve to be safe, to be visible throughout society without shame or stigma, and to have exactly the life opportunities non-trans people do. Their transness makes no difference to any of this. What trans people don’t deserve, however, is to be publicly misrepresented in philosophical terms that make no sense; nor to have their everyday struggles instrumentalised in the name of political initiatives most didn’t ask for, and which alienate other groups by rigidly encroaching on their hard-won rights. Nor do trans people deserve to be terrified by activist propaganda into thinking themselves more vulnerable to violence than they actually are.
Current trans activism needs a different vision and agenda. Equally, I think, ordinary women haven’t been well served by recent mainstream feminism."

(Stock, Kathleen. Material Girls: Why Reality Matters for Feminism. London: Fleet, 2021.)

Ja nun, das ist dann eben das "Aber Stock ist ganz lieb und überhaupt nicht transfeindlich!", das ich schon erwähnte. Nur ist sie eben gegen Self-ID, gegen die Akzeptanz von Trans-Personen in entsprechenden Räumen entsprechend ihrer geschlechtlichen Identität, gegen die Zugehörigkeit von Transpersonen zur LGBTQ- bzw eben nur LGB-Bewegung usw. Sprich: Theoretisch will sie ganz lieb sein, aber praktisch positioniert sie sich bei jeder Streitfrage transfeindlich. Man könnte auch sagen: Klassische "Ich hab ja nichts gegen ..., aber ..."-Rhetorik.

----------------------------------------------

Um es noch einmal klarzustellen: Natürlich mag es Streitfälle geben, wo linke Protestierende übers Ziel hinausschießen, unangemessene Kritik üben und/oder unangemessene Forderungen erheben. Es wäre merkwürdig, wenn es das nicht gäbe. Aber das sind eben Streitfälle, die zu einer offenen Gesellschaft dazugehören und ausgetragen werden müssen und keine angeblich herrschende "Cancel Culture". Letztere ist einfach nur ein Kampfbegriff von Reaktionären, die den offenen Streit eben nicht austragen, sondern im Ansatz ersticken wollen.


Zuletzt bearbeitet von tillich (epigonal) am 03.03.2024, 21:35, insgesamt einmal bearbeitet

#485:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 03.03.2024, 21:33
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Zitat:
"In this book, I’ve rejected gender identity theory. Since current trans activism enthusiastically embraces gender identity theory, it follows that I don’t believe ordinary trans people are well served by current trans activism. Trans people are trans people. We should get over it. They deserve to be safe, to be visible throughout society without shame or stigma, and to have exactly the life opportunities non-trans people do. Their transness makes no difference to any of this. What trans people don’t deserve, however, is to be publicly misrepresented in philosophical terms that make no sense; nor to have their everyday struggles instrumentalised in the name of political initiatives most didn’t ask for, and which alienate other groups by rigidly encroaching on their hard-won rights. Nor do trans people deserve to be terrified by activist propaganda into thinking themselves more vulnerable to violence than they actually are.
Current trans activism needs a different vision and agenda. Equally, I think, ordinary women haven’t been well served by recent mainstream feminism."

(Stock, Kathleen. Material Girls: Why Reality Matters for Feminism. London: Fleet, 2021.)

Ja nun, das ist dann eben das "Aber Stock ist ganz lieb und überhaupt nicht transfeindlich!", das ich schon erwähnte.

Na ja... wie ich oben schon erwähnte, halte ich auch das schon allein dem Wortlaut nach für sehr viel ambivalenter als man auf den ersten Blick vielleicht meinen könnte.

#486:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 03.03.2024, 21:38
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Zitat:
"In this book, I’ve rejected gender identity theory. Since current trans activism enthusiastically embraces gender identity theory, it follows that I don’t believe ordinary trans people are well served by current trans activism. Trans people are trans people. We should get over it. They deserve to be safe, to be visible throughout society without shame or stigma, and to have exactly the life opportunities non-trans people do. Their transness makes no difference to any of this. What trans people don’t deserve, however, is to be publicly misrepresented in philosophical terms that make no sense; nor to have their everyday struggles instrumentalised in the name of political initiatives most didn’t ask for, and which alienate other groups by rigidly encroaching on their hard-won rights. Nor do trans people deserve to be terrified by activist propaganda into thinking themselves more vulnerable to violence than they actually are.
Current trans activism needs a different vision and agenda. Equally, I think, ordinary women haven’t been well served by recent mainstream feminism."

(Stock, Kathleen. Material Girls: Why Reality Matters for Feminism. London: Fleet, 2021.)

Ja nun, das ist dann eben das "Aber Stock ist ganz lieb und überhaupt nicht transfeindlich!", das ich schon erwähnte.

Na ja... wie ich oben schon erwähnte, halte ich auch das schon allein dem Wortlaut nach für sehr viel ambivalenter als man auf den ersten Blick vielleicht meinen könnte.

Stimmt. Dass das auch paternalistisch ist (kann man "patronizing" so übersetzen?), ist eine gute Beobachtung.

#487:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 03.03.2024, 22:22
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Stimmt. Dass das auch paternalistisch ist (kann man "patronizing" so übersetzen?), ist eine gute Beobachtung.

Leo Dictionary gibt mir für "to patronize" die hier relevanten Übersetzungen "bevormunden" oder "gönnerhaft oder herablassend behandeln". Das passt m. E. beides hier, "bevormunden" vielleicht noch besser. "To patronize" hat aber so wie ich die Verwendung kennengelernt habe wohl auch die Konnotationen von "gegen oder ohne dessen Einverständnis für jemand anderen sprechen" oder auch sowas wie "jemandem seine eigene Lebenswirklichkeit und Interessen erklären wollen".

#488:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.03.2024, 22:30
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
"Problematische" Bücher oder Aufsätze sollen aus Gründen der "Antidiskriminierung" und des "Opferschutzes" nicht veröffentlicht oder zurückgezogen werden.

Du meinst so wie in tausenden Bibliotheken im Bible Belt aufgrund gesetzlichen und staatlichen Zwanges? ...Ach nee, das kommt ja von rechts und nicht von links. Gehört dann wohl nicht zur Cancel Culture, muss man nicht drüber reden...?


Zitat:
"Cancel Culture" bedeutet also eigentlich "Cancel Politics", d.h. es steht für zensur- oder sanktionspolitische Praktiken, die im "Culture War" gezielt eingesetzt werden—sowohl von Linken als auch von Rechten." – Myron


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Der Begriff Cancel Culture ist nämlich in gewisser Weise schon nicht ganz falsch, wenn es um linke Bestrebungen geht. Linke haben dafür nämlich üblicherweise lediglich "kulturelle" Mittel wie z. B. Mundpropaganda zur Erzeugung lokaler Graswurzel-Aktionen zur Verfügung, während Rechte für ihre Zensurbestrebungen (zusätzlich zu in ihren Zwecken und Methoden vergleichbarer massiver kultureller und medialer Einflussnahme natürlich) tatsächlich Cancel Politics betreiben, nämlich zum Zweck der Zensur politischer Gegner die geballte Macht der Staatsgewalt einsetzen, wo immer man sie lässt. Nur um mal klarzustellen, wie hier die tatsächlichen Machtverhältnisse und auch die tatsächlichen Unterschiede sowohl in der Verfügbarkeit als auch in der Wahl der Mittel liegen.


Dort, wo die SPD, die Grünen oder die Linke (auf Bundes- oder Landesebene) mitregieren, stehen ihnen auch andere Mittel zur Verfügung. Was hältst du beispielsweise hiervon:

Zitat:
"Das grüne Familienministerium unterstützt mit Steuergeldern eine Website der Amadeu-Antonio-Stiftung, bei der «antifeministisches» Verhalten gemeldet werden soll. So wird es kinderleicht, Eltern und konservative Politiker anzuschwärzen."

Quelle: https://www.nzz.ch/meinung/der-andere-blick/antifeminismus-meldestelle-ein-problem-fuer-die-demokratie-ld.1726891


Zensurpolitik muss nicht von der Regierung oder anderen staatlichen Institutionen ausgehen, denn sie kann auch privatwirtschaftlich oder zivilgesellschaftlich betrieben werden (z.B. in Unternehmen wie Verlagen, sozialen Medien wie Facebook und Twitter/X, in Vereinen).

Ich bestreite nicht, dass ein Unterschied zwischen harter Zensurpolitik (à la Russland, China, Nordkorea) und vergleichsweise weicher Zensurpolitik besteht. Nichtsdestoweniger kann auch die substaatliche soft cancel culture der radikalen kulturellen Linken für den einzelnen Betroffenen erhebliche negative berufliche und andere gesellschaftliche Folgen haben (sofern er/sie noch lebt und nicht posthum "gecancelt" wird). "Weich" ist nicht gleich "harmlos"! Und wenn es ihnen gelingt, die staatliche Gesetzgebung in ihrem ideologischen Sinn zu beeinflussen, dann kann daraus eine hard cancel culture werden, die Verstöße mit Geldbußen oder gar Gefängnisstrafen sanktioniert.

#489:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.03.2024, 23:13
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Zensurpolitik muss nicht von der Regierung oder anderen staatlichen Institutionen ausgehen, denn sie kann auch privatwirtschaftlich oder zivilgesellschaftlich betrieben werden (z.B. in Unternehmen wie Verlagen, sozialen Medien wie Facebook und Twitter/X, in Vereinen).


Wenn man das Wort "Zensurpolitik" auf staatliche Zensurpraktiken beschränken will, dann kann man zwischen solchen und nichtstaatlichen Zensurpraktiken unterscheiden.

#490:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.03.2024, 23:35
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Jetzt wisch dir mal den Schaum vom Maul. Ist dir überhaupt aufgefallen, dass in tillichs Gegendarstellung das Wort "transphob" oder "Transphobiker" noch nicht mal vorkommt?


Ist Transfeindlichkeit etwas anderes als Transphobie? (Ja, ich weiß, "Transphobie" bedeutet wortwörtlich "Transfurcht"; aber es wird de facto als Synonym von "Transfeindlichkeit" gebraucht, oder nicht?)

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Erzähl doch mal, wer deiner Meinung nach überhaupt jemals legitim als transfeindlich zu bezeichnen wäre. Hast du dafür mal ein Beispiel?


Faschos, Nazis, Erzkatholen. Wer Transsexuelle oder Transvestiten als solche allgemein hasst oder verabscheut, sie als solche herabwürdigt oder erniedrigt, der ist transfeindlich/transphob gesinnt.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Zitat:
"In this book, I’ve rejected gender identity theory. Since current trans activism enthusiastically embraces gender identity theory, it follows that I don’t believe ordinary trans people are well served by current trans activism. Trans people are trans people. We should get over it. They deserve to be safe, to be visible throughout society without shame or stigma, and to have exactly the life opportunities non-trans people do. Their transness makes no difference to any of this. What trans people don’t deserve, however, is to be publicly misrepresented in philosophical terms that make no sense; nor to have their everyday struggles instrumentalised in the name of political initiatives most didn’t ask for, and which alienate other groups by rigidly encroaching on their hard-won rights. Nor do trans people deserve to be terrified by activist propaganda into thinking themselves more vulnerable to violence than they actually are.
Current trans activism needs a different vision and agenda.
Equally, I think, ordinary women haven’t been well served by recent mainstream feminism."

(Stock, Kathleen. Material Girls: Why Reality Matters for Feminism. London: Fleet, 2021.)

Ich kenne die Frau nicht, aber das ist mindestens extrem patronizing, wie man im Englischen sagt. Wer hat die Frau eigentlich dazu berufen, Trans-Personen vorschreiben zu können, was gefälligst deren Interessen und Agenda zu sein haben?


Ich lese ihre Worte als Ausdruck von sympathizing und nicht von "patronizing", von aufrichtiger Mitempfindung und nicht von herablassender Bevormundung.

#491:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 04.03.2024, 00:34
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Ich lese ihre Worte als Ausdruck von sympathizing und nicht von "patronizing", von aufrichtiger Mitempfindung und nicht von herablassender Bevormundung.

Wer mit jemandem sympathisiert, versucht nicht, ihm vorzuschreiben, welche Agenda er gefälligst zu haben hat und welche nicht. Wer mit einer Gruppe sympathisiert, versucht auch nicht, die Gewalt herunterzuspielen, die die betreffenden Personen erfahren.

Mal zum Vergleich: Das hier sagt Kathleen Stock:
Zitat:
Nor do trans people deserve to be terrified by activist propaganda into thinking themselves more vulnerable to violence than they actually are.


Das hier sagt The Guardian:
Zitat:
A record number of hate crimes were committed against transgender people last year in England and Wales, even as racist and homophobic hate crimes recorded by police fell for the first time on record.

In the year ending March 2023, 4,732 hate crimes against transgender people were recorded – a rise of 11% on the previous year.


Wir haben hier jetzt drei Optionen: Entweder The Guardian gehört zu diesen linken Aktivisten, von denen Kathleen Stock spricht, und versucht aufgrund einer finsteren Agenda, Transgender-Personen einzureden, sie wären viel gefährdeter als sie es wirklich sind. Kann ja sein, immerhin wird das Blatt als linksliberal eingestuft. Dann müsste es allerdings ein Leichtes sein, die Darstellung im Artikel mit Zahlen und Fakten zu widerlegen, was Stock oder du dann gerne tun dürfen. Oder Stock ist zwar eine genuine Sympathisantin von Trans-Personen, aber so unwissend über deren Lage, dass sie schlichtweg keine Ahnung hat, wovon sie spricht - in welchem Fall sie erstmal ihre Hausaufgaben machen sollte, bevor sie den Mund zum Thema aufmacht, wie sich das für eine Wissenschaftlerin eigentlich gehört. Oder Stock sagt über das Ausmaß der Gefahr absichtlich die Unwahrheit. Ich weiß nicht, welche Motivation sie dafür haben könnte, aber die Handlung selbst zeugt gelinde gesagt nicht gerade von Sympathie für Trans-Personen.

Das sind die drei Möglichkeiten. Pick one.

Nur als kleines Bonmot noch dazu:

Zitat:
Transgender- and disability-based hate crimes were less likely to result in a charge or court summons than hate crimes based on a person’s race, religion or sexual orientation.

#492:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.03.2024, 04:41
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Mal zum Vergleich: Das hier sagt Kathleen Stock:
Zitat:
Nor do trans people deserve to be terrified by activist propaganda into thinking themselves more vulnerable to violence than they actually are.


Das hier sagt The Guardian:
Zitat:
A record number of hate crimes were committed against transgender people last year in England and Wales, even as racist and homophobic hate crimes recorded by police fell for the first time on record.

In the year ending March 2023, 4,732 hate crimes against transgender people were recorded – a rise of 11% on the previous year.


Wir haben hier jetzt drei Optionen: Entweder The Guardian gehört zu diesen linken Aktivisten, von denen Kathleen Stock spricht, und versucht aufgrund einer finsteren Agenda, Transgender-Personen einzureden, sie wären viel gefährdeter als sie es wirklich sind. Kann ja sein, immerhin wird das Blatt als linksliberal eingestuft. Dann müsste es allerdings ein Leichtes sein, die Darstellung im Artikel mit Zahlen und Fakten zu widerlegen, was Stock oder du dann gerne tun dürfen. Oder Stock ist zwar eine genuine Sympathisantin von Trans-Personen, aber so unwissend über deren Lage, dass sie schlichtweg keine Ahnung hat, wovon sie spricht - in welchem Fall sie erstmal ihre Hausaufgaben machen sollte, bevor sie den Mund zum Thema aufmacht, wie sich das für eine Wissenschaftlerin eigentlich gehört. Oder Stock sagt über das Ausmaß der Gefahr absichtlich die Unwahrheit. Ich weiß nicht, welche Motivation sie dafür haben könnte, aber die Handlung selbst zeugt gelinde gesagt nicht gerade von Sympathie für Trans-Personen.

Das sind die drei Möglichkeiten. Pick one.


Stock geht in ihrem Buch auf das Thema Gewalt gegen Transgender (& die vorgelegten Statistiken) ausführlicher ein. Ich kann das hier aber nicht alles zitieren. Es wäre also gut, wenn du ihr Buch selbst läsest.

Sie wirft bestimmten Transorganisationen vor, mit Statistiken wirklichkeitsverzerrende Propaganda zu betreiben, wobei sie nicht leugnet, dass "transphobic violence does happen in the UK", und dass es "a genuine social problem of aggression towards trans people" gibt. ABER:

Zitat:
"Beyond information about criminal convictions, to get a true picture of the extent to which violence towards trans people is a social problem in the UK, what we really need is data that isn’t produced by trans activist organisations for the purposes of lobbying. We need data that conforms with (gold) standard academic norms for knowledge production. Whether we can get this in a climate in which most universities are also Stonewall Diversity Champions is another matter.
Such instances of propaganda by trans activist organisations encourage non-trans and trans people alike to think of trans people as unusually and extremely vulnerable to being murdered, attacked or dying by suicide. The propaganda is aimed at non-trans people in particular, and is designed to get them on board with the activist agenda."

(Stock, Kathleen. Material Girls: Why Reality Matters for Feminism. London: Fleet, 2021.)


Du erwähnst oben einen Artikel aus dem Guardian. Da dieser 2023 erschienen ist und ihr Buch 2021, konnte sie darauf logischerweise nicht eingehen. Sie erwähnt aber einen Guardian-Artikel zum selben Thema von 2019. Darin geht es um "the number of hate crimes reported to police". (Im Artikel von 2023 ist von "hate crimes recorded by police" die Rede.) Die Anzahl der Anzeigen bei der Polizei ist aber nicht mit der Anzahl der gerichtlichen Verurteilungen wegen eines nachgewiesenen Hassverbrechens identisch. Wie sieht denn die Statistik bei Letzterem aus?

Zum richtigen Verständnis muss man überdies wissen, dass die britische Polizei und der Crown Prosecution Service "Hassverbrechen" offiziell wie folgt definieren:

Zitat:
"Any criminal offence which is perceived by the victim or any other person, to be motivated by hostility or prejudice, based on a person's disability or perceived disability; race or perceived race; or religion or perceived religion; or sexual orientation or perceived sexual orientation or transgender identity or perceived transgender identity."

Quelle: https://www.cps.gov.uk/crime-info/hate-crime


Diese Definition macht die subjektive Wahrnehmung vermeintlicher Opfer oder von Zeugen zum wesentlichen Maßstab, was bereits fragwürdig ist. Denn wenn eine Transperson beleidigt, bedroht oder angegriffen wird, dann bedeutet dies nicht unbedingt, dass Transfeindlichkeit das Motiv ist.
Was die Definition noch schwammiger macht, ist, dass:

Zitat:
"There is no legal definition of hostility so we use the everyday understanding of the word which includes ill-will, spite, contempt, prejudice, unfriendliness, antagonism, resentment and dislike."

Quelle: https://www.cps.gov.uk/crime-info/hate-crime


Außerdem:

Zitat:
"Hate crime can fall into one of three main types: physical assault, verbal abuse and incitement to hatred."

Quelle: https://www.met.police.uk/advice/advice-and-information/hco/hate-crime/what-is-hate-crime/


Stock spricht aber nicht über alle drei Haupttypen von Hassverbrechen, sondern nur über physische Gewalt gegen Transgender, wozu ausschließlich Fälle von Körperverletzung, Totschlag oder Mord zählen. Über die Mordrate an Transgendern in Großbritannien schreibt sie (im Jahr 2021):

Zitat:
"When we look at the murder rate of trans people in the UK over a decade it turns out it is, on average, around one a year as an absolute value. No trans people have been murdered in the UK in the last two years. Generally speaking, roughly 1 per 100,000 people are murdered on average in the UK every year. As indicated in my introduction, according to Stonewall, their ‘best estimate’ of how many trans people there are in the UK is ‘about 600,000 trans and non-binary people in Britain, out of a population of over 60 million’. If that’s right, this means the murder rate for trans people is lower than for the general population as a whole. Needless to say, this isn’t a message you’re ever likely to get from attending a TDOR [Transgender Day of Remembrance] event in the UK."

(Stock, Kathleen. Material Girls: Why Reality Matters for Feminism. London: Fleet, 2021.)


Zwei abschließende Zitate, die belegen, dass ihr die körperliche Unversehrtheit von Transgendern keineswegs gleichgültig ist:

Zitat:
"Trans people deserve lives free from fear. They deserve laws and policies that properly protect them from discrimination and violence. But as I will argue, laws and policies based around gender identity are not the right route."

"I am not arguing against legal protections for trans people against violence, discrimination or coercive surgeries. I enthusiastically support these protections."

(Stock, Kathleen. Material Girls: Why Reality Matters for Feminism. London: Fleet, 2021.)

#493:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 04.03.2024, 07:25
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
"Cancel Culture" bedeutet also eigentlich "Cancel Politics", d.h. es steht für zensur- oder sanktionspolitische Praktiken, die im "Culture War" gezielt eingesetzt werden—sowohl von Linken als auch von Rechten.

Immerhin räumst du damit schon mal ein, dass es problematische Versuche, Meinungsäußerungen zu beschränken, mindestens genauso auf der Rechten gibt, wie du es von der Linken behauptest. Jetzt müsstest du nur noch erkennen, dass tatsächliche staatliche Machtmittel, um Zensur durchzusetzen, in aller Regel nur rechten Politiker:innen zur Verfügung stehen, während linken Aktivist:innen mit evtl. überzogenen Forderungen nur Protest bleibt und linke Politiker:innen in Machtpositionen (soweit man von "links" sprechen kann) sowas idR einfach nicht machen.


Na klar, die Rechten sind immer die Bösen und die Linken immer die Guten. zwinkern

Linke Parteien wie die Linke, die Grünen und die SPD verfügen übrigens als Teile von Bundes- oder Landesregierungen über staatliche Macht.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Dafür, dass insbesondere auch aufseiten der Wachen Linken eine illiberale Zensur- und Sanktionspolitik gegen deren erklärte Feinde betrieben wird (zu denen nicht nur Rechte zählen!), gibt es mittlerweile viele Belege (wie den Fall Stock).

Ach ja? Dann gib doch mal tatsächliche Beispiele für eine durchgesetzte Zensur von linker Seite, wie es zB die von tarvoc angesprochenen Bibliothekssäuberungen in einigen US-Bundesstaaten oder auch das dortige Verbot, im Schulunterricht über LGBTQ-Themen zu sprechen, sind.


Um bei Büchern zu bleiben, die "Rakulis" (radikalen kulturellen Linken) wollen "problematische" Literatur (wozu für sie genderkritische Werke gehören) am liebsten ebenfalls "canceln". Rechtsradikale, die über die Macht verfügen, das einfach per Gesetz zu vollziehen, sind ihnen gegenüber natürlich im Vorteil, solange sie nicht selbst Regierungsmacht besitzen.

* https://www.gbnews.com/news/yorkshire-news-censorship-trans-books-calderdale-mein-kampf

* https://www.gbnews.com/news/cancel-culture-row-cambridge-university-blacklists-books

Ich habe vor Kurzem Alex Byrne's neues (genderkritisches) Buch Gender Trouble gelesen, das ursprünglich bei Oxford University Press erscheinen sollte. Der Verlag cancelte den bereits mit Byrne abgeschlossenen Publikationsvertrag jedoch mit der Begründung, "that the book does not treat the subject in a sufficiently serious and respectful way." (Quelle) Diese Behauptung ist nachweislich unzutreffend; aber wenn es um politische Korrektheit geht, sind Fakten bekanntlich nebensächlich.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Der Fall Stock ist kein Fall von Zensur, denn Stock wurde von staatlicher Seite für ihre Positionen nicht zensiert, sondern im Gegenteil belobigt. Es gab -zugegeben heftige - Proteste, denen sie dann nachgegeben hat, aber keine Zensur.


Es waren nicht friedliche Proteste, die sie schließlich dazu bewogen haben "nachzugeben", sondern organisierter Psychoterror bis hin zur Androhung physischer Gewalt!

Stock bzw. ihre Bücher/Aufsätze/Zeitungsartikel wurden zwar nicht vonseiten des Staates zensiert, aber der Begriff "Cancel Culture" umfasst offenkundig auch andere Arten negativer Sanktionen (auf substaatlicher Ebene). Welche genau, das ist allerdings die Frage. Zensur zählt sicher dazu, aber was noch alles? Boykott, Sabotage, Mobbing, Denunziation, Diffamierung…? Es ist zugegebenermaßen unsinnig, jegliche Art politischen Protestes als Cancel Culture zu bezeichnen.
Der (unbekannte) Autor eines bereits erwähnten Artikels hat nicht unrecht, wenn er schreibt:

Zitat:
"In how far such a thing as a ‘Cancel Culture’ actually exists, in how far a variety of incidences add up to the formation of a structured pattern, however, is open to debate. In fact, it is not even clear what should fall under the category. To un-invite or de-platform someone from a talk or an exhibition because some members of the public object to the speaker’s or artist’s political positions? To call out a comedian for his sexist jokes and gross behavior on Twitter? To accuse a bestselling author, whose books continue to fly off the shelves, of transphobia? To put a disclaimer in front of some old Muppet Show episode? Despite such vagueness in application, most of today’s users of the term ‘Cancel Culture’ deliver an evaluation without caring much about constituting a coherent phenomenon[.]"

Quelle: https://www.cultural-studies.uni-kiel.de/current-issues-in-cultural-studies/cancel-culture


Etymologisch ist das englische Verb "to cancel" vom lateinischen Verb "cancellare" abgeleitet, das "gitterförmig machen, gittern; mit Gittern (×) durchstreichen, kanzellieren" bedeutet. Das ebenfalls davon abgeleitete deutsche Verb "kanzellieren" bedeutet entsprechend "(Geschriebenes) durch Durchkreuzen ungültig machen", also "aus-/durchixen". Es gibt aber unterschiedliche Arten und Weisen der "Aus-/Durchixung" von Menschen oder Sachen aus ideologischen Motiven.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Ja, das ist teilweise wahr. Mir ist nicht entgangen, dass Rechte oftmals "Cancel Culture!" schreien, sobald irgendwelche Entscheidungen getroffen oder Änderungen vorgenommen werden—und sei es auf demokratische Weise—, die ihnen gegen den ideologischen Strich gehen.

Aha. Immerhin räumst du schon mal ein, dass es das gibt. Damit bist du ja schon fast bei der zentralen These des von dir verlinkten Artikels angekommen, dass genau das die wesentliche Funktion des Begriffs "Cancel Culture" ist.


Tja, es kommt darauf an, wer ihn wie gebraucht; aber die "Kanzellierungskultur" ist gewiss kein Getreide, das nur auf linken Äckern wächst.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es sehr wohl eine linksradikale Zensur- und Sanktionspolitik gibt (zu deren Praxis Sprachregelungen, Denunziation, Diffamierung und Mobbing gehören), die von einem selbstgerechten moralischen Manichäismus und Rigorismus angefeuert wird und unsere Grundfreiheiten tatsächlich bedroht. Diskussionen, Debatten oder Diskurse (und selbst Forschungsprojekte), die mit der linksidentitären Ideologie nicht konform gehen und als "problematisch" (= gefährlich) gebrandmarkt werden, sollen verhindert, gestört, abgebrochen/unterbrochen oder gar gesetzlich verboten werden. "Problematische" Bücher oder Aufsätze sollen aus Gründen der "Antidiskriminierung" und des "Opferschutzes" nicht veröffentlicht oder zurückgezogen werden.

Dann bring doch mal a) Beispiele, wo das über die im gesellschaftlichen Meinungsstreit legitimen Formen von Protest hinausgeht.
Und zeig vor allem b), dass diese Beispiele dann eine ganze herrschende "Kultur" wären, wie es der Begriff behauptet, und nicht Streitfälle, wie sie in der Gesellschaft nun mal vorkommen und die man als Streitfälle auch aushalten muss.


Wie gesagt, das Wort "Kanzellierungskultur" steht für verschiedene Praktiken oder Modi Operandi, die in negativen sozialen Sanktionen gegenüber erklärten ideologischen Feinden bestehen, sei es auf staatlicher oder außerstaatlicher Ebene.

Die Frage ist, welche Formen von Protest oder Widerstand in einer liberaldemokratischen, "offenen" Gesellschaft legitim sind und welche nicht. Linke wie rechte Radikale/Extremisten neigen ihrer Natur nach zu einem hohen Maß an Intoleranz und zu illiberalen Vorgehensweisen.

"Berliner Humboldt-Universität: Israelfeindliche Studenten erzwingen den Abbruch einer Veranstaltung mit einer Richterin aus Israel"

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Um es noch einmal klarzustellen: Natürlich mag es Streitfälle geben, wo linke Protestierende übers Ziel hinausschießen, unangemessene Kritik üben und/oder unangemessene Forderungen erheben. Es wäre merkwürdig, wenn es das nicht gäbe. Aber das sind eben Streitfälle, die zu einer offenen Gesellschaft dazugehören und ausgetragen werden müssen und keine angeblich herrschende "Cancel Culture". Letztere ist einfach nur ein Kampfbegriff von Reaktionären, die den offenen Streit eben nicht austragen, sondern im Ansatz ersticken wollen.


Ja, es ist auch ein Kampfbegriff von Rechten, aber nicht nur; denn die radikalen Linksidentitären wollen "den offenen Streit" ebenfalls "nicht [liberaldemokratisch] austragen, sondern im Keim ersticken"!

Zitat:
"Projekt der Aufklärung: Demokratie? – Vom öffentlichen Vernunftgebrauch und einer vitalen Zivilkultur

Das Ideal der deliberativen Demokratie ist der herrschaftsfreie Diskurs. Es gibt keine Hierarchie zwischen den Diskursteilnehmern, alle haben die gleiche Möglichkeit, ihren Standpunkt zu Gehör zu bringen und zu begründen, niemand wird zum Schweigen gebracht, niemand beansprucht für sich die Diskurshoheit. Die Teilnehmer an einem Diskurs begegnen sich auf Augenhöhe, sie hören einander zu, schneiden sich nicht das Wort ab und beenden die Kommunikation nicht willkürlich.

Der Rückzug in die Zitadelle der eigenen Gewissheiten, die durch entgegenstehende Auffassungen nicht erschüttert werden, weil diese nicht mehr Teil des Diskurses sein dürfen, die Beschränkung des Austausches auf die Gemeinschaft Gleichgesinnter und der Versuch, die Meinungsäußerungen derjenigen, die nicht dazugehören, zu unterdrücken, markiert den Weg in die voraufklärerische Vergangenheit gefestigter Dogmen und weltanschaulicher Autoritäten.

Ohne den öffentlichen Vernunftgebrauch und eine vitale Zivilkultur, die diesen trägt, kann die Demokratie als Staats- und Gesellschaftsform nicht bestehen. Wenn dieser öffentliche Vernunftgebrauch durch Ausgrenzung, Parzellierung, Diskriminierung, Intoleranz und Cancel Culture zugrunde ginge, wäre die Demokratie als eine Form der kollektiven Selbstbestimmung der Gleichen und Freien nicht zu retten."

Julian Nida-Rümelin: https://politikkultur.de/aktuelle-meldungen/projekt-der-aufklaerung-demokratie/

#494:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 04.03.2024, 14:49
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Zitat:
"Trans people deserve lives free from fear. They deserve laws and policies that properly protect them from discrimination and violence. But as I will argue, laws and policies based around gender identity are not the right route."

(Stock, Kathleen. Material Girls: Why Reality Matters for Feminism. London: Fleet, 2021.)

Was ist denn für Stock der richtige Weg?

#495:  Autor: VanHanegem BeitragVerfasst am: 05.03.2024, 11:09
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Aha. Kannst du den Zusammenhang auch begründen?

Ich habe bereits auf fwo's link verwiesen. Wer lesen kann ist klar im Vorteil

#496:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 05.03.2024, 15:51
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Sie sind in unseren Medien ziemlich lautstark vertreten, nicht unbedingt in Diskussionen, aber hinreichend mit ihren Aktionen, sonst könnten sie weder von den Konservativen angefeindet noch von ein paar Linken beklatscht werden.

Das hört sich jetzt so an: "Es wird doch ganz viel über diese Leute geschrieben, also kommen sie doch zu Wort!"

Wollte ich auch gerade schreiben.

Jetzt sollte man aber auch in Betracht ziehen, was von ihnen berichtet wird:
Da geht es um Mobbing, glücklicherweise meist noch nicht um körperliches Mobbing, sondern um Nachrichten, die sie verbreiten. Sie stellen also ihre Position dar und werden dabei über die Berichterstattung auch von allen wahrgenommen. Und nur, weil sie so lautstark sind, sind sie doch überhaupt Thema.
Allerdings ist es so, dass sie nur in bestimmten, nicht allen, linken Kreisen Zustimmung erfahren.

Es handelt sich nicht um Strömungen, die breit in der Gesellschaft vertreten sind, da treffen sie überwiegend auf Unverständnis, aber in den Universitäten sind sie sehr lautstark und verbreiten - das war aus der Diskussion zu entnehmen - durchaus bei Teilen des Lehrkörpers auch Furcht.

Der Artikel aus der NZZ, den ich verlinkt habe, gibt ein noch stärkeres Bild für Frankreich.

Wäre ja schön, wenn ihr mal darauf eingehen würdet, anstatt euch darüber zu beschweren, dass die ja gar nicht zu Wort kommen.

Könntest du vorher selbst kurz darstellen, was du in dem Artikel aus der NZZ besonders bemerkenswert findest? Oder entsprechend in dem Gespräch?

Jetzt hört sich das nämlich präziser so an: "Es wird doch ganz viel über diese Leute geschrieben, also kommen sie doch zu Wort! Und das, obwohl es nur negative Sachen über sie zu schreiben gibt und sie eigentlich total irrelevant sind!" Wirkt nicht wie der Versuch einer unvoreingenommenen Auseinandersetzung.

Nur vorneweg: Eine unvoreingenommene Auseinandersetzung bedeute nicht, dass beide Seite zu Wort kommen müssen - ich muss mir bei der Sachlage nicht Putin anhören, um den russischen Krieg verurteilen zu können. Genauso gibt es bestimmte Sachlagen auch an den Universitäten. Die an der Diskussion Beteiligten sprechen von ihren praktischen Erfahrungen als Lehrende - da geht es nicht um einen theoretischen Streit.

Dass jemand nicht unbedingt 45 Minuten einer Diskussion anhören mag, kann ich ja noch verstehen, auch wenn mich die Reserviertheit gerade gegenüber diesen Gesprächsteilnehmern etwas verwundert. Aber beim Artikel einer Tageszeitung zuerst ein Referat des Inhalts zu verlangen, weil so ein Artikel ja viel zu lang ist, um da selbst reinzusehen... Ich würde sagen, deutlicher kann man es kaum machen, dass man sich mit diesem Thema nicht in einer Weise beschäftigen möchte, die theoretisch geeignet sein könnte, an den eigenen Vorurteilen zu kratzen. Warum antwortest Du dann überhaupt?

Aber hier mal ein paar wirklich herausragende Vorfälle, die auch bundesweit durch die Presse gingen. Ich nehme davon die letzten ab 2014 bis 2021 und nur die von links (rechte, die ähnlich wirken, gibt es auch.) Der Hauptteil der Liste stammt von Nida-Rümelin, aber mir sind auch noch welche eingefallen, die da reingehören. (Der direkte Zusammenhang dieser Vorfälle mit dem Thema wird erst am Ende deutlich - lies also bis bis zum Ende)

2014 Der Historiker Jörg Baberowski wurde als Rassist beschimpft und erhielt Morddrohungen.
2015 Das Satire-Magazin Charlie Hebdo veröffentlicht eine Mohammed-Karikatur: Radikalisierte Muslime töteten 12 Mitarbeiter aus der Redaktion und verletzten 20 weitere.
Das habe ich u.a. wegen des nächsten Punktes unter links aufgezählt.
2016 lud die Uni Augsburg Hamed abdel-Samad mit der Begründung aus, er habe schon auf Einladung der AfD gesprochen
2018 wurde an der Uni Siegen Professor Dieter Schönecker die Verwendung von Haushaltsmitteln für eine Einladung Thilo Sarrazins und des AfD-Politikers Marc Jongen im Rahmen einer Diskussionsveranstaltung zur Meinungsfreiheit untersagt. "Ungeachtet dessen, dass langjährige Mitarbeiter versicherten, dass Schönecker Welten von rechtspopulistischen und nationalistischen Vorstellungen entfernt sei, und selbstredend solchen Positionen auch keine propagandistische Bühne hätte bieten wollen, konnten die Vorträge nur unter Polizeischutz stattfinden. Es gab Störversuche, Diffamierungen und Morddrohungen gegen Schönecker".
2019 wurde ein Vortrag von Thomas de Maiziere im Rahmen des Literaturherbstes durch Demonstranten verhindert.
2019 haben Studenten versucht, das "Nazi-Schwein" Bernd Lucke davon abzuhalten, seine Vorlesungen zu halten - die Uni hat sich damals nur sehr halbherzig von den Mobbern distanziert.
2019 gab es einen Versuch, die Ethnologin Susanne Schröter an der Veranstaltung einer Diskussion mit dem Titel "Das islamische Kopftuch - Symbol der Würde oder der Unterdrückung?" zu hindern. Stattdessen forderte man ihren Rücktritt wegen Rassismus und Islamophobie.
2020 wurde in Frankreich ein Lehrer von einem islamistischen Lehrer enthauptet, weil er eine Karikatur des Propheten im Unterricht gezeigt hatte.
2021 wurde ein Auftrittsverbot für die Ressortleiterin der FAZ bei einer Veranstaltung zum Thema "Verletzungen von Minderheiten" gefordert.
2021 Die Stadt Hannover sagte eine Veranstaltung ab, auf der der emeritierte Professor Helmut Bley für neuere und afrikanische Geschichte an der Leibnitzuniversität Hannover einen Vortrag mit dem Titel "Kolonialgeschichte von Afrikaneren und Afrikanerinnen her denken" halten sollte. Grund: Die Initiative für Diskriminierungssensibilität und Rassismuskritik hatte etwas dagegen, dass ein alter weißer Mann, der sich nicht in afrikanische Verhältnisse hineindenken und einfühlen könne, zu diesem Thema sprechen sollte.
2021: Die Philosophin Kathleen Stock, die an der Universität von Sussex lehrte, sah sich nach eigenen Angaben nach jahrelangem Druck durch Studierende gezwungen, zu kündigen. Diese warfen ihr transphobe Ansichten vor, weil Stock eine feministische Philosophie vertritt, die auf der Anerkennung eines biologischen Geschlechts basiert.
2021 In einer englischen Kleinstadt wurde ein Lehrer suspendiert, weil er einer Schulklasse im Rahmen einer Unterrichtsstunde über Religion die Mohammed-Karikaturen aus Charlie Hebdo gezeigt hatte und muslimische Eltern deshalb die Entlassung gefordert hatten.

Die islamistischen Vorfälle habe ich hier mit aufgezählt, weil der besondere "Minderheiten-Schutz für Muslime" nicht beim militanten Islamismus aufhört - siehe das letzte Beispiel oder die einseitige Verurteilung Israels beim momentanen Krieg.

Diese Liste ist mit Sicherheit alles andere als vollständig, und natürlich zeigt sie nur die Extreme. Was diese Vorfälle nur bedingt zeigen, das ist die dauernde Auswirkung auf das Klima an den Hochschulen. Etwas ist davon zu sehen an den zögerlichen Reaktionen der Uni Hamburg beim Mobbing gegen Lucke. Was hier auch fehlt sind die Boykott-Aufrufe und Forderungen für Auftrittsverbote von z.B. Sängern, die man der "kulturellen Aneignung" für schuldig hält - Musik ist nicht mein Thema.

Bei der von mir verlinkten Diskussion geht es hauptsächlich um diese Stimmung, die Bedrohung von Dozenten, die Verhinderung von Diskussionen. Der Artikel der NZZ hat den selben Gegenstand in Form einer Reportage direkt von einer französischen Uni und entstand teilweise in der Begleitung einer konservativen Studentin.

#497:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 05.03.2024, 16:02
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Zitat:
"Trans people deserve lives free from fear. They deserve laws and policies that properly protect them from discrimination and violence. But as I will argue, laws and policies based around gender identity are not the right route."

(Stock, Kathleen. Material Girls: Why Reality Matters for Feminism. London: Fleet, 2021.)

Was ist denn für Stock der richtige Weg?

Im Gegensatz zu Myron finde ich Stocks Meinung relativ uninteressant, ich bin auch nicht geneigt, ihr zuzustimmen. Aber das ist auch nicht Gegenstand dieses Threads.
Was für mich am Fall Kathleen Stock interessant ist und thematisch auch in diesen Thread gehört, ist, dass sie wegen ihrer Meinung durch persönliche Drohungen dazu gedrängt wurde, ihren Job an der Uni aufzugeben. Deshalb ist sie auch in der kleinen Liste hierdrüber mit aufgezählt.

#498:  Autor: narr BeitragVerfasst am: 05.03.2024, 16:07
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Sie sind in unseren Medien ziemlich lautstark vertreten, nicht unbedingt in Diskussionen, aber hinreichend mit ihren Aktionen, sonst könnten sie weder von den Konservativen angefeindet noch von ein paar Linken beklatscht werden.

Das hört sich jetzt so an: "Es wird doch ganz viel über diese Leute geschrieben, also kommen sie doch zu Wort!"

Wollte ich auch gerade schreiben.

....
Diese Liste ist mit Sicherheit alles andere als vollständig, ...


Es wird auch egal sein, wie viel man hier auflistet. tillich (epigonal) und Tarvoc werden behaupten es handele sich um Anekdoten und wahllos verknüpfte Vorfälle, die nichts miteinander zu tun haben. Alles was nicht in den Kram passt sind Behauptungen nur sie bringen "Fakten". Wer sich die Arbeit machen wollte kann da sicher rabulistische Tendenzen aufzeigen. Den beiden geht es nicht darum sich offen über eine, imo gefährliche, Strömung in der Gesellschaft auszutauschen, sondern darum aggressiv ihre Meinung zu verkaufen.

#499:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 05.03.2024, 18:25
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
…2019 gab es einen Versuch, die Ethnologin Susanne Schröter an der Veranstaltung einer Diskussion mit dem Titel "Das islamische Kopftuch - Symbol der Würde oder der Unterdrückung?" zu hindern. Stattdessen forderte man ihren Rücktritt wegen Rassismus und Islamophobie.…


Ein Interview mit Schröter zum Thema Islamo-gauchisme:

https://www.nzz.ch/international/susanne-schroeter-der-weisse-westen-als-gemeinsamer-feind-schliesst-woke-linke-und-islamisten-zusammen-ld.1814912

#500:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 05.03.2024, 19:14
    —
narr hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) und Tarvoc werden behaupten es handele sich um Anekdoten und wahllos verknüpfte Vorfälle, die nichts miteinander zu tun haben.

Wie kommst du darauf, dass ich mich diesbezüglich überhaupt zu irgendeiner definitiven Behauptung versteigern würde oder müsste? Es kann ja durchaus sein, dass es da eine Verbindung gibt. Ich möchte aber schon darauf hinweisen, dass diejenigen, die eine Verbindung behaupten, diesbezüglich auch in der argumentativen Bringschuld sind, und nicht die, die dagegen skeptisch sind. Das heißt, ich würde dann schon ganz gerne diese Verknüpfung genau dargelegt haben, und zwar mit besseren Argumenten als "Islamistische Morde zählen auch zu der Liste, weil Linke das in Wahrheit doch voll geil finden, wenn Muslime Ungläubige abschlachten!!" Ich sehe jedenfalls nicht, dass fwo diesbezüglich irgendein überzeugendes Argument gebracht hätte, und das obwohl einiges andere an seinem Beitrag durchaus gut argumentiert ist und ich an der Aufnahme vieler anderer Punkte in seine Liste nichts auszusetzen habe. Dass Linke irgendwann mal die Enthauptung von Lehrern für das Zeigen von Mohammedbildern gutgeheißen hätten, geschweige denn dass so eine Meinung jemals auch nur eine signifikante Minderheit innerhalb der Linken gewesen wäre, hätte fwo dann aber doch erst noch zu belegen. Wenn dem nicht so ist, dann kann der betreffende Vorfall nämlich ehrlicherweise auch nicht in eine Liste mit Vorfällen "von links" aufgenommen werden. Es ist keine Verleugnung der Realität, nach Belegen und Argumenten für Zusammenhänge zu fragen und ansonsten gegenüber solchen Behauptungen skeptisch zu bleiben.

Ach ja: Der Versuch, andere Gesprächsteilnehmer durch Unterstellungen zu diskreditieren, bevor diese überhaupt Gelegenheit hatten, sich zur Sache zu äußern, ist übrigens ein ziemlich mieser eristischer Handgriff namens Poisoning the Well.

narr hat folgendes geschrieben:
Alles was nicht in den Kram passt sind Behauptungen nur sie bringen "Fakten".

Was ist das bitte für eine unsinnige begriffliche Gegenüberstellung? Dir ist schon klar, dass alle Behauptungen per definitionem Behauptungen von Fakten sind und dass auch Behauptungen von Fakten, die tatsächlich zutreffen, immer noch Behauptungen sind, die man zu belegen hat (nämlich gerade um ihr Zutreffen zu erweisen)? Oder sind dir schon diese grundlegenden epistemologischen Begrifflichkeiten und Konzepte unklar? Übrigens: Die Liste von fwo besteht weitestgehend aus nachprüfbar faktisch korrekten Behauptungen. Mit den Augen rollen

narr hat folgendes geschrieben:
Wer sich die Arbeit machen wollte kann da sicher rabulistische Tendenzen aufzeigen.

Put your money where your mouth is.


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 05.03.2024, 21:54, insgesamt einmal bearbeitet

#501:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 05.03.2024, 20:17
    —
Begriffliches:
Eve Ng unterscheidet in ihrem Buch über die (sogenannte) Kanzellierungskultur sinnvollerweise zwischen Kanzellierungszielen ("K-Zielen"), Kanzellierungspraktiken ("K-Praktiken") und Kanzellierungsdiskursen erster und zweiter Ordnung ("K-Diskurse", "K-Metadiskurse"). Kanzellierungskultur ("K-Kultur") umfasst für sie sowohl K-Praktiken als auch K-Diskurse.

Zitat:
"It is useful at this point to define a number of terms that will recur throughout. First, there is the cancel target, which can be an individual, brand, or company that is subject to what I refer to as “cancelling” or “cancel practices.” Some cancelling/cancel practices revolve around media, including social media posts, both those that explicitly use the term “cancelled” (e.g. #Elleniscancelled, #Youarecancelled), or posts that mean the same thing, such as the “Get out. BTS is dead” post. Other cancel practices involve withdrawing public support from the cancel target, such as unfollowing them on social media, no longer buying the brands in question or those promoted by a targeted celebrity, no longer watching the television/films or listening to the music they are associated with, and so on. At the institutional level, cancel practices may involve literal cancelling, such as networks cancelling television shows (or series or films in the works) of stars who have behaved problematically. Corporations may completely terminate their public associations with cancelled targets, or take less drastic measures, such as in response to the BTS Van Fleet award speech incident; conversely, celebrities may terminate their sponsorship agreements with companies deemed problematic. State-level actors may also be involved in cancel practices, such as the PRC government’s ban on Lady Gaga performing in mainland China after she met with the Dalai Lama in 2016. Employers may terminate employees, whether for famous celebrities, such as Roseanne Barr being fired from the revival of her ABC sitcom Roseanne in 2018 for racist tweets, and ordinary people, such as a white woman, Amy Cooper, losing her job after a May 2020 video of her interactions with a Black male birdwatcher, Christian Cooper, in New York City’s Central Park went viral.

Cancel discourses are discussions and commentary about cancel practices and their aftermath. Some cancel discourses, which can be thought of as “first-order” (cancel) discourses, occur on the same platform as the one where the original cancelling occurred; for example, a user retweeting a cancel tweet and adding their own comment to it (whether they are supporting or challenging the cancelling). Other (second-order) cancel discourses emerge outside of the digital spaces where the cancelling originated; news reports about the social media outrage to BTS’s Van Fleet award speech, for instance, or blog posts about cancelling events.

Finally, then, cancel culture, which, as other scholars have pointed out, is now commonly used in a pejorative sense within mainstream commentary. Thus, in noting that cancelling and related practices such as “calling out” are rooted in Black digital practices and, prior to that, Black oral traditions, media studies scholar Meredith Clark argued that these have been problematically “counter-framed through application of the reductive and malignant label ‘cancel culture’.” For example, Alan Dershowitz,
the prominent liberal lawyer and political commentator, identified cancel culture as the “illegitimate descendant” of both McCarthyism and Stalinism, and blamed it for stifling political free speech and artistic creativity, as well as derailing the careers of prominent politicians, business executives, and academics. And, from another point of the political spectrum, Kristian Jenkins defined cancel culture as “the process where activists drive opinion[,] forcing institutions to ‘cancel’ long dead luminaries because of sins committed when they were alive that contravene contemporary woke ethics, such as failing to condemn racism back then with sufficient zeal. Or when people are set upon by online mobs for breakingn woke codes, often leading to them losing their jobs,” claiming, among various purported victims, former U.S. President Donald Trump for being “impeached by the US Congress on false pretences because his political opponents hate him and what he stands for.”

In contrast, in this book, “cancel culture” encompasses both cancel practices and cancel discourses, and is used as an analytic term rather than one signaling a particular political standpoint. While this means that the term necessarily encompasses a heterogeneous set of practices and texts, it is a useful shorthand for referencing the relevant phenomena under consideration. In the social sciences, culture at large is often defined as a system of shared meanings and beliefs. For critical media and cultural studies, much of the focus is on how such meanings and beliefs are produced, consumed, and—importantly—contested on an uneven playing field. The fact that much mainstream commentary of “cancel culture” frames it in negative terms, even though, as I will discuss, cancel practices emerged from historically marginalized communities, is itself an example of this contestation.

Much cancelling activity occurs on social media platforms, and as such, there is an enormous amount of data; for even just a single case, there may be thousands, tens of thousands, or more cancel tweets, not to mention first-order and second-order discourses about the cancelling. A significant body of media studies research makes use of “big data” approaches to social media, which include methods for collecting, analyzing, and representing data, as well as considerations about research design and ethics specific to investigating large amounts of data that have varying levels of public-private access status. There are also qualitative methods, including online interviews and digital ethnography, that have partial roots in offline modes of research. Several scholars have advocated for mixed methods or multimodal approaches to studying social media. Whether quantitative, qualitative, or a combination of both, the goals of such research typically center on gaining understanding about various dimensions of social media, including those to do with users (e.g. motivations, practices, and effects), platform technologies, and broader economic, political, and legal aspects, in order to better theorize technology and society, as well as specific areas such as interpersonal interactions, identity and community formation, social activism and political engagement, and policy and regulation, just to name a few.

My approach to primary data in this book is intentionally eclectic, in order to cover multiple areas where the practices and discourses of cancel culture have emerged and proliferated. Some of the comments or posts I refer to have appeared in published articles and commentary essays; these are often selected by the authors for having high numbers of likes or reposts or for being one of the first instances of a particular cancel post (these two often overlap). I also refer to the few empirical studies that have begun to be published on cancel cases. In addition, I have gathered data myself from news article comment threads, and posts on Twitter and YouTube for U.S. cancel cases, and on the Chinese Weibo platform for the mainland Chinese cases. However, I do not take a quantitative “big data” approach, and my aim is not to be comprehensive, but reasonably representative of the opinions expressed at key digital sites. Thus, although I have not conducted full thematic analyses, for some case studies I identify comments, replies, or reposts that have garnered the most likes/recommendations from other users in order to analyze what perspectives they expressed, as well as noting other themes present in the comment threads overall. Second-order discourses are also important, i.e. commentaries about cancel posts and practices that frame mainstream understandings of “cancel culture.”"

(Ng, Eve. Cancel Culture: A Critical Analysis. Cham, CH: Palgrave Macmillan, 2022. pp. 5-7)

#502:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 05.03.2024, 21:20
    —
Was die (angeblichen) Fälle von Cancel Culture betrifft, haben wir es dabei bloß mit einem mehr oder weniger zusammenhangslosen Sammelsurium an Anekdoten zu tun, oder sind sie Beispiele für einen wirklichen "structural/systemic cancellism" vonseiten der Wachen Linken?

Ich bin auf ein sehr interessantes Buch von Adrian Daub gestoßen: Cancel Culture Transfer: Wie eine moralische Panik die Welt erfasst (2022)

Ich unterschreibe nicht alles darin, und sein Gesamturteil ist mir zu bagatellisierend (in Bezug auf den linksradikalen Illiberalismus); aber sehr lesenswert ist sein Buch allemal.

"Die Debatte um die „Cancel Culture“ wird vehement geführt, besonders in den USA. Der Literaturwissenschaftler Adrian Daub hat sich nun genauer mit dem Phänomen auseinandergesetzt – von dem nach seiner Analyse nicht viel übrig bleibt.…"

Quelle: https://www.deutschlandfunkkultur.de/cancel-culture-transfer-adrian-daub-100.html

Dort findet sich auch ein Radiointerview mit Daub!

Zitat:
"Dieses Buch ist Ausdruck meiner Sorge, dass oft selektiv und partiell argumentiert wird, wenn von Cancel Culture die Rede ist. Aus wichtigen gesellschaftlichen Verschiebungen, auf die wir dringend Antworten benötigen, werden bestimmte Strömungen, Tendenzen und Einzelfälle herausgepickt und andere geflissentlich ignoriert. Im Endeffekt haben wir es nicht mit hilfreichen Lösungsansätzen zu tun, wenn vor Cancel Culture gewarnt wird, sondern eher mit einer moralischen Panik. Diese hängt vor allem mit dem zusammen, was ich Aufmerksamkeitsökonomie nennen werde: Man redet über Cancel Culture, um nicht über anderes reden zu müssen, um bestimmte Diskurse, Positionen und Autoritäten zu legitimieren und andere zu delegitimieren. Das Problem am Diskurs um Cancel Culture ist, dass er reale Probleme in einer Art Jahrmarktspiegel verzerrt."

(Daub, Adrian. Cancel Culture Transfer: Wie eine moralische Panik die Welt erfasst. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2022. S. 10)

"Angesichts des angeblichen Umfangs und Facettenreichtums des Problems stellt sich natürlich die Frage, wie sich die Wahrnehmung zur »Wirklichkeit« verhält. Allein: Die Frage nach der Realität, sie geht leider selbst an der Realität vorbei. Cancel-Culture-Diagnosen werden fast komplett an einzelnen Anekdoten festgemacht, und diese Storys, wie PC-Storys vor ihnen, stellen keine unschuldigen Datenpunkte dar; vielmehr sind sie tendenziös gestrickte, häufig nur auf einer einzigen Gewährsperson basierende Fabeln, die im amerikanischen Fall oft genug von eindeutig politisch motivierten Akteur:innen lanciert werden. All das muss ignorieren, wer diese Storys überhaupt als Datenpunkte behandelt. Marc Fabian Erdl hat das 2004 als »unkritische Quellenrezeption« vonseiten des PC-Diskurses kritisiert. Definitiv lässt sich sagen: Solche Anekdoten werden in den letzten Jahren wieder gehäuft zur Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit gebracht. Nur sagt das eben nichts darüber aus, ob sich solche Vorfälle häufen.

Eine erste Schwierigkeit besteht nämlich darin, dass die Art Vorfälle, auf die die Beschreibung »Cancel Culture« passen soll, zutiefst heterogen ist. In den USA existieren etwa ein halbes Dutzend Onlinedatenbanken, die verschiedene Fälle von Cancel Culture dokumentieren sollen. Im Juli 2022 standen auf der Liste von Canceledpeople.com 173 Fälle, auf der der National Association of Scholars (NAS) 228, die Foundation for Individual Rights and Expression hatte 715 zusammengetragen und CollegeFix sogar 1566. So alarmierend diese Zahlen auch aussehen mögen, die Listen legen genauer besehen eher nahe, dass offenbar äußerst verschiedene Definitionen von Canceln zugrunde gelegt werden. Nur 387 Fälle kommen in mehr als einer dieser Listen vor. Selbst die, die vor Cancel Culture warnen, scheinen sich also nicht ganz einig zu sein, wovor sie nun eigentlich warnen.

Die erwähnte Webseite Canceledpeople.com zum Beispiel listet unter den vermeintlichen Opfern der Cancel Culture den 2020 von einem Islamisten getöteten französischen Lehrer Samuel Paty, den 1991 ermordeten japanischen Literaturwissenschaftler Hitoshi Igarashi und Ex-Präsident Donald Trump auf. Was angesichts solch grundverschiedener Vorfälle die Vokabel vom Canceln überhaupt noch bedeuten soll, ist äußerst unklar: Paty wurde Opfer eines Gewaltverbrechens. Igarashi wurde wahrscheinlich ermordet, weil er Salman Rushdies Die satanischen Verse ins Japanische übersetzt hatte. Doch der Fall ist bis heute nicht aufgeklärt, den oder die Täter:innen kann man also schlecht nach seinem oder ihrem »Wokeness«-Level befragen. Und Donald Trump ist – zumindest zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Buches – die vielleicht einflussreichste Figur in der Republikanischen Partei, angehimmelt von Millionen und auf bestem Wege, erneut Präsident der USA zu werden."

(Daub, Adrian. Cancel Culture Transfer: Wie eine moralische Panik die Welt erfasst. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2022. S. 41-3)

"Aber selbst auf dem Unicampus ist nicht immer klar, was Gecancelt-Werden denn nun genau bedeuten soll."

(Daub, Adrian. Cancel Culture Transfer: Wie eine moralische Panik die Welt erfasst. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2022. S. 44)

"Mein Punkt ist nicht, dass alle diese Fälle in Wahrheit völlig unproblematisch seien. Mein Punkt ist, dass das Gesamtbild, das sie ergeben, zutiefst uneindeutig ist."

(Daub, Adrian. Cancel Culture Transfer: Wie eine moralische Panik die Welt erfasst. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2022. S. 46)

"[D]ie Panik um politische Korrektheit war von Anfang an ihr Kontrapunkt: eine Möglichkeit, die Probleme auf eine Art und Weise anzusprechen, die sicherstellte, dass die Probleme nie wirklich angegangen werden können. Warnungen vor Cancel Culture (wie die PC-Warnungen vor ihnen) sagen nie genau, was eigentlich aufgrund der von ihnen beschriebenen Missstände geschehen soll. Dadurch erlauben sie es Konservativen (ob Neo- oder Paläokonservativen), liberal zu klingen, und umgekehrt Liberalen (Neo- wie Paläo-), wie Konservative zu klingen. In dieser Stasis liegt ein Stützpfeiler der globalen Ordnung in den westlichen Demokratien seit 1989. Der Kampf gegen Cancel Culture mag sich als Speerspitze eines wehrhaften Liberalismus verstehen. In Wahrheit ist er Teil des Backlash, der die liberale Demokratie überhaupt erst bedroht."

(Daub, Adrian. Cancel Culture Transfer: Wie eine moralische Panik die Welt erfasst. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2022. S. 341)

#503:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 05.03.2024, 21:25
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Zitat:
"…Eine erste Schwierigkeit besteht nämlich darin, dass die Art Vorfälle, auf die die Beschreibung »Cancel Culture« passen soll, zutiefst heterogen ist. In den USA existieren etwa ein halbes Dutzend Onlinedatenbanken, die verschiedene Fälle von Cancel Culture dokumentieren sollen. Im Juli 2022 standen auf der Liste von Canceledpeople.com 173 Fälle, auf der der National Association of Scholars (NAS) 228, die Foundation for Individual Rights and Expression hatte 715 zusammengetragen und CollegeFix sogar 1566. So alarmierend diese Zahlen auch aussehen mögen, die Listen legen genauer besehen eher nahe, dass offenbar äußerst verschiedene Definitionen von Canceln zugrunde gelegt werden. Nur 387 Fälle kommen in mehr als einer dieser Listen vor. Selbst die, die vor Cancel Culture warnen, scheinen sich also nicht ganz einig zu sein, wovor sie nun eigentlich warnen.…"

(Daub, Adrian. Cancel Culture Transfer: Wie eine moralische Panik die Welt erfasst. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2022. S. 41-3)


Hier sind die Links zu den erwähnten Websites mit Listen (angeblicher) K-Kultur-Vorfälle:

1. https://canceledpeople.org/cancellations/

2. https://www.nas.org/blogs/article/tracking-cancel-culture-in-higher-education

3. https://www.thefire.org/research-learn/scholars-under-fire

4. https://www.thecollegefix.com/cancel-culture-database/

#504:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 05.03.2024, 21:39
    —
Von Daub kenne ich das Buch über die Ideologie des Silicon Valley, das ich sehr lesenswert fand. Das Buch über Cancel Culture werde ich dann wohl auch mal lesen.

Nachtrag:
Myron hat folgendes geschrieben:
"Mein Punkt ist nicht, dass alle diese Fälle in Wahrheit völlig unproblematisch seien. Mein Punkt ist, dass das Gesamtbild, das sie ergeben, zutiefst uneindeutig ist."

(Daub, Adrian. Cancel Culture Transfer: Wie eine moralische Panik die Welt erfasst. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2022. S. 46)

Das ist übrigens so ziemlich genau der Punkt, den ich auch bezüglich fwos Liste machen würde. (Und nein, das ist nicht das selbe wie die tillich und mir von narr untergeschobene Behauptung, dass es auf gar keinen Fall irgendeine Verbindung zwischen Fällen auf der Liste gäbe oder geben könne.)

#505:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 05.03.2024, 22:57
    —
Zitat:
"Unlike some on the left, I have never doubted that “cancel culture” exists, fuelled by political intolerance and the toxic anonymity of social media. The great myth about cancel culture, however, is that it exists only on the left."

—David Olusoga: https://www.theguardian.com/commentisfree/2021/jan/03/cancel-culture-is-not-the-preserve-of-the-left-just-ask-our-historians


Es ist in der Tat lächerlich zu behaupten, politische Intoleranz und Illiberalität wären nur auf der linken Seite zu finden.

#506:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 06.03.2024, 05:32
    —
Für Alan Dershowitz ist die Cancel Culture zwar "ein Kind der gegenwärtigen Woke-Generation," aber "ein unehelicher Nachkomme sowohl des rechtsextremen McCarthyismus als auch des linksextremen Stalinismus."
Zitat:

"Cancel culture, though a child of the current woke generation, is an illegitimate descendant of both hard-right McCarthyism and hard-left Stalinism.
The difference, of course, is that both McCarthyism and Stalinism employed the power of government, whereas cancel culture employs the power of public opinion, social media, threats of economic boycotts, and other constitutionally protected forms of private action. This power is magnified by the pervasiveness and speed of the internet and social media, which are the weapons of choice deployed by cancel culture."

(Dershowitz, Alan. Cancel Culture: The Latest Attack on Free Speech and Due Process. New York: Hot Books, 2020.)


Im Folgenden wird der Begriff Cancel Culture definiert als "die Anwendung von Einschüchterung durch ein moralisch selbstherrliches Bündnis zur Ausgrenzung und unverhältnismäßigen Bestrafung eines angeblichen Missetäters." Hm…

Zitat:
"* Our definition of cancel culture is “The use of intimidation by a morally absolute coalition to isolate and disproportionately punish an alleged transgressor.”

* The Cancel Culture Curse identifies six elements that are hallmarks of cancel culture, which can be remembered using the acronym CANDEM:
Collective considered victim of the crime
Arises and accelerates quickly
Nature of the offense is trivial, minor, or fabricated
Disproportionate response is enacted
Everyone afraid to get involved
Moral absolutism by those doing the canceling

* The Six Elements of Cancel Culture provides a means by which to evaluate incidents and correctly classify them as cancel culture or otherwise."

(Nierman, Evan, and Mark Sachs. The Cancel Culture Curse: From Rage to Redemption in a World Gone Mad. New York: Skyhorse, 2023.)


[Fußnote: Laut den Autoren soll "CANDEM" wie das Verb "condemn" ausgesprochen werden.]

Zitat:
"On the Left, there is a tendency to downplay the impact of cancel culture or deny that it is really a problem. In some quarters, cancel culture is praised. It is seen as a necessary tool for holding powerful people accountable and mobilizing the masses to ensure that those in positions of influence cannot get away with whatever they wish. The Right, on the other hand, uses cancel culture as a political weapon. It decries it as a creation of the “woke” movement on the Left, brushing off scandals involving a conservative as the result of a so-called cancel culture campaign. To the Right, cancel culture is a buzzword, a natural successor to political correctness run amok, put on steroids, and activated by the liberal media and leftist elites."

(Nierman, Evan, and Mark Sachs. The Cancel Culture Curse: From Rage to Redemption in a World Gone Mad. New York: Skyhorse, 2023.)


In Daubs Buch kommt "die Tendenz" zum Vorschein, "die Auswirkungen der [linken] Cancel Culture herunterzuspielen oder zu leugnen, dass sie wirklich ein Problem darstellt."

#507:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 06.03.2024, 05:44
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Ich habe heute [23.2.] eine E-Mail an Pfister gesendet. Mal sehen, ob er antwortet.


Tja, bis jetzt hat er es nicht getan. Ich rechne auch nicht mehr damit. Schade!

#508:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 06.03.2024, 13:04
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
... Dass Linke irgendwann mal die Enthauptung von Lehrern für das Zeigen von Mohammedbildern gutgeheißen hätten, geschweige denn dass so eine Meinung jemals auch nur eine signifikante Minderheit innerhalb der Linken gewesen wäre, hätte fwo dann aber doch erst noch zu belegen. ....

Ich habe auf die eigenartige Blindheit vieler Linker weltweit hingewiesen, die die Raketen und Morde der Hamas offensichtlich nicht wahrnehmen, sondern sich ab dem ersten Tag der israelischen Reaktion nur gegen die Israelis wenden.
Für einen lautstarken Teil der Linken ist es anscheinend so, dass z.B. der Kampf gegen Israel alles rechtfertigt. Es ist ein blindes Agieren gegen alles, was von Islamisten als islamophob bezeichnet werden könnte, anders sind auch die Aktionen gegen Susanne Schröter nicht erklärbar. Allein die Übernahme der Vokabel islamophob zeigt diese Haltung. Oder kennst Du Linke, die christliche Fundamentalisten unterstützen, wenn die sich darüber beschweren, in ihrer besonderen Auslegung des Christentums beeinträchtigt zu werden? Wo sind die Demos gegen christianophobe Professoren?

Womit Du recht hast, das ist, dass niemand von den Linken die Enthauptung von Lehrern für das Zeigen von Mohammedbildern gutgeheißen hat (zumindest hab ich davon nichts gehört). Die andere Frage ist, wo Du eine Verurteilung derartiger Taten siehst? Nach dem Überfall der Hamas auf Israel jedenfalls kaum. Das Kriegsziel der Hamas bestand ja vom Überfall an erkennbar nicht in einem militärischen Sieg, der war unmöglich, sondern darin, weltweit die Linke gegen das Israel zu mobilisieren, das sich natürlich wehren würde. Nach diesem Überfall war Israel auch wieder leichter zu dämonisieren, weil unter diesen Bedingungen das Militär bzw. Teile davon seine Distanzierung von Netanjahu nicht weiter würde durchführen können - man hat das Militär wieder mit der Regierung geeint.

#509:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 06.03.2024, 13:50
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Ich habe heute [23.2.] eine E-Mail an Pfister gesendet. Mal sehen, ob er antwortet.


Tja, bis jetzt hat er es nicht getan. Ich rechne auch nicht mehr damit. Schade!

Was hast Du da erwartet?

Auch die Spitzenleute des SPIEGEL schreiben mal Mist. Wenn Du ihnen den dann explizit unter die Nase hältst, erkennen die den auch als solchen. Aber die Größe, das dann auch zuzugeben, wirst Du in dieser Narzissten-Zucht nicht finden.

Btw: Ich les nicht mehr viel SPIEGEL, aber wenn ich da heute reingucke, werde ich den Eindruck nicht los, dass sie den Mann, der mal die Schlussredaktion gemacht hat, inzwischen eingespart haben.

#510:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 06.03.2024, 15:00
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Womit Du recht hast, das ist, dass niemand von den Linken die Enthauptung von Lehrern für das Zeigen von Mohammedbildern gutgeheißen hat (zumindest hab ich davon nichts gehört). Die andere Frage ist, wo Du eine Verurteilung derartiger Taten siehst?

Äh bitte?? Also muss jetzt buchstäblich jede Einzelperson und jede Gruppe eine hochoffizielle Verurteilung der Tat herausgeben, sobald irgendwo jemand ermordet wird, oder ansonsten mit der Tat assoziiert werden, auch wenn sie ansonsten buchstäblich überhaupt nichts damit zu tun hat? fwo, solche Forderungen stellst du an keine andere Gruppe oder politische Richtung. Dass jemand einen effektiv grundlosen kaltblütigen Mord verurteilt, kann vorausgesetzt werden, solange er sich nicht gegenteilig äußert. Ansonsten hätte ich nämlich auch eine ganze Liste von Verbrechen aus ganz verschiedenen Richtungen, zu denen ich von dir noch nie ein Wort der Verurteilung gelesen habe. Das mit der Hamas ist ja ein gutes Argument, bei dem ich dir übrigens sogar zustimme, aber das hier ist einfach nur Bullshit. Die willkürliche Inklusion einer Tat wie dieser aus islamistischen Motiven und ohne jeden echten sachlichen Bezug zu irgendwelchen Linken in eine Liste linker Vorfälle ist einfach durch nichts zu rechtfertigen. Vor allem kann ich mir wirklich nicht vorstellen, dass du nicht selber ganz genau weißt, dass ein solches Argument wie dieses hier nicht ziehen kann. Ich muss mich also ernsthaft fragen, warum du sowas überhaupt schreibst.

fwo hat folgendes geschrieben:
Nach dem Überfall der Hamas auf Israel jedenfalls kaum.

Das kommt sehr darauf an, welchen Teil der Linken man fragt. Das ist nämlich zumindest hier in Deutschland in enormem Maße eine Generationenfrage innerhalb der Linken. Bei Linken aus den älteren Jahrgängen hast du wohl leider Recht. Umgekehrt sind Linke aus meiner eigenen und auch den nachfolgenden Generationen eher in die andere Richtung parteiisch. Von denen hört man eher mindestens genauso lautstarke einseitige und übertriebene Rechtfertigungen der Reaktion Israels, inklusive sämtlicher ziviler Opfer. Ich erinnere mich noch, dass ich mit meinem universitären linken Stammtisch (in dem alle Generationen von Boomern bis Gen Z vertreten sind) nur kurz nach dem Angriff bereits genau darüber extrem hitzige Streitgespräche hatte, bei denen ich selbst übrigens auf der pro-Israel-Seite positioniert war. Übrigens hoffe ich doch sehr, dass ich nicht extra sagen muss, dass der Angriff der Hamas ohne Einschränkung zu verurteilen ist (was aber eben nicht heißt, dass ich an der Reaktion nichts zu kritisieren hätte).

Im Übrigen nutzen hier in Deutschland beide Seiten innerhalb der Linken Strategien, die du und Myron unter "Cancel Culture" fassen würden.

fwo hat folgendes geschrieben:
Das Kriegsziel der Hamas bestand ja vom Überfall an erkennbar nicht in einem militärischen Sieg, der war unmöglich, sondern darin, weltweit die Linke gegen das Israel zu mobilisieren, das sich natürlich wehren würde.

Mit Verlaub: Quark. Es stimmt zwar, dass einer der Zwecke weltweite Mobilisierung von Israelgegnern aller Art war, aber dafür, dass das spezifisch auf Linke zielte, also in größerem Maße als auf andere Gruppen potenzieller Sympathisanten, hätte ich gerne einen Beleg. Das halte ich nämlich aus einer ganzen Reihe von Gründen für eine extrem kontraintuitive Behauptung. Die Haupt-Zielgruppe dürften meiner Einschätzung nach andere Muslime gewesen sein.

fwo hat folgendes geschrieben:
Nach diesem Überfall war Israel auch wieder leichter zu dämonisieren, weil unter diesen Bedingungen das Militär bzw. Teile davon seine Distanzierung von Netanjahu nicht weiter würde durchführen können - man hat das Militär wieder mit der Regierung geeint.

Also nach dem, was ich aus dem israelischen Militär gehört und gelesen habe, kann davon gar keine Rede sein. Gerade aus den Reihen der IDF und auch ehemaliger IDF-Offiziere bekommt Netanyahu nach wie vor dafür Kritik, dass seine Reaktion auf den Angriff militärisch und politisch ineffektiv sei und der Hamas nur weitere Rekruten in die Arme treibe (was übrigens meiner eigenen Einschätzung entspricht). Siehe z. B. hier oder hier. Von Nir Barkat, der ja auch lange im IDF gedient hat, hört man ähnliches. Also es kann ja durchaus sein, dass das ein Ziel der Hamas mit der Aktion war, aber zumindest mit diesem Ziel sind sie wohl eher gescheitert.

#511:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 06.03.2024, 15:37
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Womit Du recht hast, das ist, dass niemand von den Linken die Enthauptung von Lehrern für das Zeigen von Mohammedbildern gutgeheißen hat (zumindest hab ich davon nichts gehört). Die andere Frage ist, wo Du eine Verurteilung derartiger Taten siehst?

Äh bitte?? Also muss jetzt buchstäblich jede Einzelperson und jede Gruppe eine hochoffizielle Verurteilung der Tat herausgeben, sobald irgendwo jemand ermordet wird, oder ansonsten mit der Tat assoziiert werden, auch wenn sie ansonsten buchstäblich überhaupt nichts damit zu tun hat? fwo, solche Forderungen stellst du an keine andere Gruppe oder politische Richtung. Dass jemand einen effektiv grundlosen kaltblütigen Mord verurteilt, kann vorausgesetzt werden, solange er sich nicht gegenteilig äußert. Ansonsten hätte ich nämlich auch eine ganze Liste von Verbrechen aus ganz verschiedenen Richtungen, zu denen ich von dir noch nie ein Wort der Verurteilung gelesen habe. Das mit der Hamas ist ja ein gutes Argument, bei dem ich dir übrigens sogar zustimme, aber das hier ist einfach nur Bullshit. Die willkürliche Inklusion einer Tat wie dieser aus islamistischen Motiven und ohne jeden echten sachlichen Bezug zu irgendwelchen Linken in eine Liste linker Vorfälle ist einfach durch nichts zu rechtfertigen. Vor allem kann ich mir wirklich nicht vorstellen, dass du nicht selber ganz genau weißt, dass ein solches Argument wie dieses hier nicht ziehen kann. Ich muss mich also ernsthaft fragen, warum du sowas überhaupt schreibst.
...

Es kommt mir dabei nicht darauf an, dass da jeder sich explizit gegen die Hamas bz. diesen Überfall äußern muss.
Das kann auch implizit sein, wie es bei Dir der Fall war, indem Du anerkannt hast, dass Israel keine Wahl hatte, als militärisch auf diesen Überfall zu antworten. Damit muss auch nicht unbedingt eine Zustimmung zum Ausmaß dieser Antwort einhergehen.

Aber wenn jemand sich überhaupt zu diesem Krieg äußert und dabei den Überfall und die seit Jahren fliegenden Raketen, deren Anzahl mit dem Überfall auch schlagartig nach oben gegangen ist, unerwähnt lässt, um dabei laut gegen die israelische Militäraktion zu protestieren, dann gehe ich bei dem davon aus, dass er die Aktion der Hamas zumindest unbewusst für in Ordnung hält.

#512:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 06.03.2024, 18:33
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Das kann auch implizit sein, wie es bei Dir der Fall war, indem Du anerkannt hast, dass Israel keine Wahl hatte, als militärisch auf diesen Überfall zu antworten.

Ganz ehrlich: Das ist mir zu abstrakt. Dass ein Staat keine andere Wahl hat, als auf eine direkte Herausforderung seines Gewaltmonopols irgendwie auch mit Gewalt zu reagieren, ist eine Binse - schon weil ein Staat im Kern gar nichts anderes ist als sein Gewaltmonopol. Das gilt für Israel klarerweise genauso wie für jeden anderen Staat der Welt auch. Aber um das klarzustellen: Ich bin nicht der Ansicht, dass Israel keine andere Wahl hatte als so zu reagieren, wie Netanyahu das ganz konkret getan hat. Mit dieser Meinung stehe ich auch nicht alleine, sondern das sehen die von mir bereits genannten israelischen Militärexperten ähnlich. Militärische Antwort ist eben nicht gleich militärische Antwort. Das ist übrigens auch deshalb relevant, weil die Provokation einer Überreaktion der Gegenseite - insbesondere dann, wenn diese selbst wieder große zivile Opfer fordert - gerade der Sinn und Zweck solcher Terroraktionen wie der der Hamas ist und die Täter bei der Planung und Ausführung genau darauf spekulieren.

#513:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 06.03.2024, 18:51
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Das kann auch implizit sein, wie es bei Dir der Fall war, indem Du anerkannt hast, dass Israel keine Wahl hatte, als militärisch auf diesen Überfall zu antworten.

Ganz ehrlich: Das ist mir zu abstrakt. Dass ein Staat keine andere Wahl hat, als auf eine direkte Herausforderung seines Gewaltmonopols irgendwie auch mit Gewalt zu reagieren, ist eine Binse - schon weil ein Staat im Kern gar nichts anderes ist als sein Gewaltmonopol. Das gilt für Israel klarerweise genauso wie für jeden anderen Staat der Welt auch. Aber um das klarzustellen: Ich bin nicht der Ansicht, dass Israel keine andere Wahl hatte als so zu reagieren, wie Netanyahu das ganz konkret getan hat. Mit dieser Meinung stehe ich auch nicht alleine, sondern das sehen die von mir bereits genannten israelischen Militärexperten ähnlich. Militärische Antwort ist eben nicht gleich militärische Antwort. Das ist übrigens auch deshalb relevant, weil die Provokation einer Überreaktion der Gegenseite - insbesondere dann, wenn diese selbst wieder große zivile Opfer fordert - gerade der Sinn und Zweck solcher Terroraktionen wie der der Hamas ist und die Täter bei der Planung und Ausführung genau darauf spekulieren.

Das sehe ich genauso!

#514:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 06.03.2024, 18:56
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Das kann auch implizit sein, wie es bei Dir der Fall war, indem Du anerkannt hast, dass Israel keine Wahl hatte, als militärisch auf diesen Überfall zu antworten.

Ganz ehrlich: Das ist mir zu abstrakt. Dass ein Staat keine andere Wahl hat, als auf eine direkte Herausforderung seines Gewaltmonopols irgendwie auch mit Gewalt zu reagieren, ist eine Binse - schon weil ein Staat im Kern gar nichts anderes ist als sein Gewaltmonopol. Das gilt für Israel klarerweise genauso wie für jeden anderen Staat der Welt auch. Aber um das klarzustellen: Ich bin nicht der Ansicht, dass Israel keine andere Wahl hatte als so zu reagieren, wie Netanyahu das ganz konkret getan hat. Mit dieser Meinung stehe ich auch nicht alleine, sondern das sehen die von mir bereits genannten israelischen Militärexperten ähnlich. Militärische Antwort ist eben nicht gleich militärische Antwort. Das ist übrigens auch deshalb relevant, weil die Provokation einer Überreaktion der Gegenseite - insbesondere dann, wenn diese selbst wieder große zivile Opfer fordert - gerade der Sinn und Zweck solcher Terroraktionen wie der der Hamas ist und die Täter bei der Planung und Ausführung genau darauf spekulieren.

Bei der Beurteilung sind wir uns einig. Deshalb steht da auch noch der Nachsatz zu dem, den Du zitiert hast.

Tarvoc hat folgendes geschrieben:
.....
fwo hat folgendes geschrieben:
Das Kriegsziel der Hamas bestand ja vom Überfall an erkennbar nicht in einem militärischen Sieg, der war unmöglich, sondern darin, weltweit die Linke gegen das Israel zu mobilisieren, das sich natürlich wehren würde.

Mit Verlaub: Quark. Es stimmt zwar, dass einer der Zwecke weltweite Mobilisierung von Israelgegnern aller Art war, aber dafür, dass das spezifisch auf Linke zielte, also in größerem Maße als auf andere Gruppen potenzieller Sympathisanten, hätte ich gerne einen Beleg. Das halte ich nämlich aus einer ganzen Reihe von Gründen für eine extrem kontraintuitive Behauptung. Die Haupt-Zielgruppe dürften meiner Einschätzung nach andere Muslime gewesen sein.
...

Ich bin dabei nur davon ausgegangen, dass die nicht weniger schlau sind als ich. Ich hatte diese linke Sympathiewelle für Gaza bzw. Hasswelle gegen Israel in einer Diskussion unmittelbar nach dem Angriff (nicht hier) vorhergesagt. Dadrüber, wer die Hauptzielgruppe war, werde ich mich nicht streiten.

#515:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 06.03.2024, 21:08
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

In Daubs Buch kommt "die Tendenz" zum Vorschein, "die Auswirkungen der [linken] Cancel Culture herunterzuspielen oder zu leugnen, dass sie wirklich ein Problem darstellt."


Diese Tendenz zeigt sich unter anderem in der relativierenden und verharmlosenden Art, wie Daub über den Fall Stock schreibt. Er hat zwar insofern recht, als sie außerhalb ihrer (ehemaligen) Universität nicht zum Schweigen gebracht wurde, da sie ja weiterhin Interviews geben, an Podiumsdiskussionen teilnehmen sowie Artikel und Bücher veröffentlichen kann. Dass sie nichtsdestoweniger von militanten Transaktivisten in niederträchtigster Weise verteufelt und zur Zielscheibe systematischen Mobbings gemacht wurde, mit der (leider erfolgreichen) Absicht, ihre Entlassung bzw. ihren Rücktritt zu erzwingen, scheint er aber nicht wahrhaben zu wollen.

Außerdem haben weder Stock noch irgendwelche anderen genderkritischen Feministinnen jemals einen Diskurs über die "Existenzberechtigung" von Transgendern geführt. (Kennst du welche?) Der "sich immer weiter verfinsternde gesellschaftliche Diskurs" wird von tatsächlich transphoben Ultrakonservativen und Faschos geführt, und nicht von Genderkritiker/inne/n wie Stock oder Alex Byrne.

Zitat:
"Die angebliche Mundtotmachung von Kathleen Stock von der University of Sussex, der Studierende transphobe journalistische Auslassungen und politischen Aktivismus vorwarfen, hat die deutschsprachige Zeitungswelt 2021/22 elektrisiert. In den zwölf Monaten zwischen dem 1. August 2021 und dem 1. August 2022 erschienen knapp über 130 Zeitungsartikel zu Stock, davon allein in der Welt. In den ersten stand noch die Kontroverse um Studierendenproteste gegen Stocks politische Aktivitäten im Mittelpunkt. Aber auch als es um Stocks Buch Material Girls ging, schaffte es Rezension um Rezension, vor allem die »regelrechte Hetzjagd« durch »Transgender-Aktivisten« (wie die Welt schrieb) in den Mittelpunkt zu rücken. Diese hätten die Debatte um trans Personen und Gender-Fragen unterbinden wollen. Im Einzelfall lässt sich diese Aufmerksamkeitsökonomie vielleicht verteidigen, im Aggregat allerdings muss man fragen, wie ernst es diese Zeitungen mit der »Debatte« und der »Streitkultur« meinen, wenn Kathleen Stock im deutschsprachigen Feuilleton hundert Mal zu Wort kommt und zum Beispiel der Yale-Professor und Stock-Kritiker Robin Dembroff kein einziges Mal, die Grande Dame der trans Historiker:innen Susan Stryker ein Mal, die Philosophin Rebecca Kukla (Georgetown) kein Mal und die Berkeley-Anglistin Grace Lavery zwei Mal. Die Professorin selbst unterhält löblicherweise eine unvollständige Aufstellung ihrer Kritiker:innen auf ihrer Webseite, auf der alle Namen außer Laverys gut nachzulesen sind."

(Daub, Adrian. Cancel Culture Transfer: Wie eine moralische Panik die Welt erfasst. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2022. S. 262-3)

"Aufmerksamkeitsökonomisch betrachtet ist es kein Zufall, dass die Cancel-Culture-Debatte vor allem mit Anekdoten und relativ kontextfreien Beispielen geführt wird. Denn anhand der Beispiele, die wir herausgreifen, signalisieren wir dreierlei. Wir signalisieren erstens, wessen Belange und Ängste wir ernst nehmen – also zum Beispiel Kathleen Stocks (äußerst legitime) Angst vor Internettrollen, aber nicht die (zumindest ebenso legitime) Angst ihrer transgender Studierenden vor einem sich immer weiter verfinsternden gesellschaftlichen Diskurs über ihre Existenzberechtigung. Selbst wenn beide Befindlichkeiten ihren Niederschlag finden, steht in Cancel-Culture-Storys häufig einem Gefühl der Bedrohung, der Knebelung und der Zensur eine reale Bedrohung, Knebelung und Zensur gegenüber. Das als Kategorienfehler abzutun geht am Kern des Phänomens vorbei. Der Kategorienfehler ist der Sinn der Sache. Dem von solchen Anekdoten angesprochenen Publikum wird das wohlige Gefühl vermittelt, dass den eigenen Gefühlen ein absolutes Primat zukommt."

(Daub, Adrian. Cancel Culture Transfer: Wie eine moralische Panik die Welt erfasst. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2022. S. 321)





#516:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 06.03.2024, 21:28
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Zitat:
"…Aber auch als es um Stocks Buch Material Girls ging, schaffte es Rezension um Rezension, vor allem die »regelrechte Hetzjagd« durch »Transgender-Aktivisten« (wie die Welt schrieb) in den Mittelpunkt zu rücken. Diese hätten die Debatte um trans Personen und Gender-Fragen unterbinden wollen.…"

(Daub, Adrian. Cancel Culture Transfer: Wie eine moralische Panik die Welt erfasst. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2022. S. 262-3)




Sieh an, was steht denn da?! – "IT'S NOT A DEBATE" – Für Stocks Feinde gibt es also nichts zu debattieren! Wer deren Transgenderdogmatik ablehnt, der gilt als böser und gefährlicher Mensch, dem man das Handwerk legen muss. Agitation ist angesagt, nicht Diskussion!

#517:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 06.03.2024, 22:54
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Myron hat folgendes geschrieben:
"IT'S NOT A DEBATE" – Für Stocks Feinde gibt es also nichts zu debattieren!

Ja, genau. So wie diese Kloschmierereien auch von sich selbst sagen, dass sie kein Feminismus und keine Philosophie seien, sondern nur Transphobie. Deine hermeneutischen Fähigkeiten lassen mal wieder sehr zu wünschen übrig. Mit den Augen rollen
Wobei ich fairerweise zugeben muss, dass mir die Zeile "and it's not on" bei der Deutung auch Kopfzerbrechen bereitet.

(Dass eine Kloschmiererei keine Debatte ist, sondern wenn überhaupt eine Form der Agitation, wäre übrigens ohnehin eine Binse.)

#518:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 07.03.2024, 01:14
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
"IT'S NOT A DEBATE" – Für Stocks Feinde gibt es also nichts zu debattieren!

Ja, genau. So wie diese Kloschmierereien auch von sich selbst sagen, dass sie kein Feminismus und keine Philosophie seien, sondern nur Transphobie. Deine hermeneutischen Fähigkeiten lassen mal wieder sehr zu wünschen übrig. Mit den Augen rollen
Wobei ich fairerweise zugeben muss, dass mir die Zeile "and it's not on" bei der Deutung auch Kopfzerbrechen bereitet.

(Dass eine Kloschmiererei keine Debatte ist, sondern wenn überhaupt eine Form der Agitation, wäre übrigens ohnehin eine Binse.)


Das sind keine Schmierereien, sondern sauber gedruckte Worte!
Mag sein, dass "IT" in "IT'S NOT A DEBATE, IT'S NOT FEMINISM, IT'S NOT PHILOSOPHY" für "WHAT SHE DOES/SAYS" steht; aber es ist klar, dass den für diese Anschläge Verantwortlichen jegliche Diskussionsbereitschaft abgeht. Sie wollten mit Stock kein sachliches Streitgespräch über das Thema Transgender führen, sondern sie einfach fertigmachen, weil sie in deren Augen nichts weiter ist als ein transphobes, Transstudenten gefährdendes Miststück.

"IT'S NOT ON" bedeutet "Es ist inakzeptabel/intolerabel": https://www.collinsdictionary.com/dictionary/english/not-on-just-not-on

#519:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 07.03.2024, 02:25
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Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
"IT'S NOT A DEBATE" – Für Stocks Feinde gibt es also nichts zu debattieren!

Ja, genau. So wie diese Kloschmierereien auch von sich selbst sagen, dass sie kein Feminismus und keine Philosophie seien, sondern nur Transphobie. Deine hermeneutischen Fähigkeiten lassen mal wieder sehr zu wünschen übrig. Mit den Augen rollen
Wobei ich fairerweise zugeben muss, dass mir die Zeile "and it's not on" bei der Deutung auch Kopfzerbrechen bereitet.

(Dass eine Kloschmiererei keine Debatte ist, sondern wenn überhaupt eine Form der Agitation, wäre übrigens ohnehin eine Binse.)

Ein bisschen mehr Vorsicht mit der Hermeneutik.

Ich neige da nicht genau zu Myrons Interpretation, ich würde das anders übersetzen.

Vorweg: Es ist Kathleen Stock, der die Transphobie vorgeworfen wird, das ist keine Aussage zum Kleber.

d.h. IT bezieht in allen Zeilen auf die Haltung der Frau Stock, der man vorwirft
Trans-Studenten unsicher zu machen.
Zitat:
Es (=Was sie sagt,) ist keine (=gehört nicht in eine) Diskussion,
ist kein Feminismus
und keine Philosophie.

Es ist nur Transphobie
und das geht gar nicht.

Schmeißt diese Frau raus.


Mit Verneinung von Philosophie und Feminismus wird das generelle Existenzrecht der Frau Stock an der Uni bestritten.

Das ist keine Kloschmiererei, die jemand beim Scheißen mit dem Filzstift auf den Kacheln absondert, sondern es handelt sich um gedruckte Aufkleber, die halt auch im Klo verklebt wurden und da wahrscheinlich am längsten hängengeblieben sind.

Was hier erkennbar ist, ist Teil eines organisierten Mobbings gegen eine Person mit unbequemer Meinung, von dem wir inzwischen auch wissen, dass es erfolgreich war.

Deine Haltung zu dieser "Kloschmiererei" ist die des Philosophen, der in diesen Äußerungen keinen Debattenbeitrag erkennen kann und sie nur mit spitzen Fingern anfasst (und deshalb auch die eine Zeile auf den Aufkleber selbst bezieht) und der das am liebsten übergehen möchte.

Worum es hier geht, ist wirklich keine Debatte, sondern das Schaffen einer lebensfeindlichen Umgebung für Menschen mit anderer Meinung, insofern hat Myron hier aus Versehen mal auf den Punkt getroffen.

Das ist das Klima, von dem Nida-Rümelin meint, es sei das Ende der Aufklärung.
Der Untertitel seines Buches lautet dann auch
"Ein Plädoyer für eigenständiges Denken".

(Ich komme im Moment nur leider nicht dazu, es zu lesen)

#520:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 07.03.2024, 14:59
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Worum es hier geht, ist wirklich keine Debatte, sondern das Schaffen einer lebensfeindlichen Umgebung für Menschen mit anderer Meinung, insofern hat Myron hier aus Versehen mal auf den Punkt getroffen.

Mit dem Schaffen lebensfeindlicher Umgebungen für bestimmte Menschen haben "Gender Critics" gerade in Großbritannien ja nun selbst einiges an praktischer Erfahrung - nicht umsonst hat das Königreich inzwischen den Spitznamen "TERF Island" weg. Eigentlich möchte ich dazu nur sagen, wie man in den Wald hineinruft, so schallt es auch wieder heraus - aber das wäre unfair, weil ich nicht weiß, in welchem Maße Kathleen Stock als Person da tatsächlich aktiv war. Dass Reaktionen auf Diskriminierung auch mal Leute treffen, die vielleicht nicht ganz so extrem sind, ist natürlich doof. Ich habe Stocks Buch nicht gelesen, aber sicher, womöglich kann man das als Überreaktion einstufen - aber man darf halt auch nicht vergessen, dass das nicht einfach aus dem Nichts kommt.

Siehe auch:
UK named one of the least friendly countries to trans people nebst einem Link zur zitierten Studie
Transphobia rife among UK employers: 1 in 3 won't hire a trans person
Stonewall: LGBT in Britain: Trans report
CNN: Anti-trans rhetoric is rife in UK media

#521:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 08.03.2024, 12:10
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Worum es hier geht, ist wirklich keine Debatte, sondern das Schaffen einer lebensfeindlichen Umgebung für Menschen mit anderer Meinung, insofern hat Myron hier aus Versehen mal auf den Punkt getroffen.

Mit dem Schaffen lebensfeindlicher Umgebungen für bestimmte Menschen haben "Gender Critics" gerade in Großbritannien ja nun selbst einiges an praktischer Erfahrung - nicht umsonst hat das Königreich inzwischen den Spitznamen "TERF Island" weg. Eigentlich möchte ich dazu nur sagen, wie man in den Wald hineinruft, so schallt es auch wieder heraus - aber das wäre unfair, weil ich nicht weiß, in welchem Maße Kathleen Stock als Person da tatsächlich aktiv war. Dass Reaktionen auf Diskriminierung auch mal Leute treffen, die vielleicht nicht ganz so extrem sind, ist natürlich doof. Ich habe Stocks Buch nicht gelesen, aber sicher, womöglich kann man das als Überreaktion einstufen - aber man darf halt auch nicht vergessen, dass das nicht einfach aus dem Nichts kommt.

Siehe auch:
UK named one of the least friendly countries to trans people nebst einem Link zur zitierten Studie
Transphobia rife among UK employers: 1 in 3 won't hire a trans person
Stonewall: LGBT in Britain: Trans report
CNN: Anti-trans rhetoric is rife in UK media

Woran Du da "eigentlich" vorbeisehen würdest, ist nicht einmal Selbstjustiz sondern eine Form von Lynchmob: Bei dem Druck, der da erzeugt wurde, glaube ich nicht, dass das die paar queeren Hansels sind, die das veranstalten, bei denen ich auch ein gewisses Verständnis hätte.
Aber um diesen Druck zu erzeugen, braucht man man genügend Überzeugungstäter, die sich sicher sind, den absoluten moralischen Kompass zu haben, und sich das Recht nehmen, ihre Moral auch mit Terror durchzusetzen.

Das sieht für mich eher danach aus, als hätte man sich der Trans-Personen angenommen, um die moralische Keule gegen Gegner schwingen zu können - unter anderen Bedingungen würde man das wohl eher paternalistisch nennen.

Der Wiki-Artikel zu Frau Stock ist recht ausführlich, ich habe mir auch die Links am Ende mal angesehen.
Da ist Jule Govrin von Geschichte der Gegenwart, die eine direkte Linie von der letztlich genetischen Sicht Stocks zum Faschismus zieht und damit natürlich alles rechtfertigt. Dann gibt es den Artikel von der TAZ, deren Autor Weissenburger Stock auch als transfeindlich einordnet, aber sich gleichzeitig dagegen wendet, einfach Gleiches mit Gleichem zu vergelten - wo bleibt da die moralische Überlegenheit? Der Artikel aus der NZZ beschäftigt sich mehr mit der Stimmung an der Uni und ist damit am dichtesten am Thema dieses Threads.

Am interessantesten fand ich die Besprechung des Stock-Buches "Material Girls" von Eszter Kováts, die sich nur diese Äußerung der Stock ansieht und zu einem anderen Ergebnis über die Person kommt als die anderen, die sich mit der Person befassen. Dabei sieht es für mich nicht so aus, als würde sie inhaltlich mit Stock übereinstimmen.

Für mich sieht es so aus, als läge die Schuld der Frau Stock darin, dass sie von Transphoben, und damit meine ich Menschen, deren Abneigung von der Trans-Identität bis zum Hass geht, zitierbar ist, sie hat keine aggressive aber eine sehr gute Schreibe. Sie wird also auch zitiert und ist dadurch gegenwärtig. Sie zu jagen ist so als würde man zur Bekämpfung des Islamismus Mullahs jagen, und zwar alle, auch die, die nicht zum Kampf aufrufen.

Insofern ist
Zitat:
Dass Reaktionen auf Diskriminierung auch mal Leute treffen, die vielleicht nicht ganz so extrem sind, ist natürlich doof.
eine Haltung, die ich nicht so gut finde. Das ist so ein "selber schuld: wer nicht für mich ist, ist gegen mich."

Das war noch nie meine Haltung. Die Schlüsselfrage für mich in diesem Zusammenhang, die auch bei Deinen Links zum Thema TERF zu stellen ist, ist, was eigentlich transphob ist.

Die Schlüsselfrage für diesen Thread ist aber eine andere: Wer kämpft da gegen wen mit welchen Bandagen. Der Fall Stock scheint mir wirklich symptomatisch zu sein.

#522:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 08.03.2024, 13:00
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Woran Du da "eigentlich" vorbeisehen würdest, ist nicht einmal Selbstjustiz sondern eine Form von Lynchmob:

Davon würde ich nur reden, wenn Gesetze gebrochen oder zu physischer Gewalt gegriffen wurde. Bekannt ist mir das in diesem Fall nicht, aber ich kenne den Fall nicht so gut. Was ist denn diesbezüglich vorgefallen? Gab es Gewaltdrohungen gegen Stock? Solche wären natürlich als Aktionsform absolut inakzeptabel. Zettel wie die obigen in die Toiletten zu hängen oder friedlich zu demonstrieren sehe ich aber als legitime Aktionsformen an. Siehst du das anders? Welche Aktionsformen sind denn deiner Meinung nach legitim?

fwo hat folgendes geschrieben:
Bei dem Druck, der da erzeugt wurde, glaube ich nicht, dass das die paar queeren Hansels sind, die das veranstalten, bei denen ich auch ein gewisses Verständnis hätte.
Aber um diesen Druck zu erzeugen, braucht man man genügend Überzeugungstäter, die sich sicher sind, den absoluten moralischen Kompass zu haben, und sich das Recht nehmen, ihre Moral auch mit Terror durchzusetzen.

Was? Terror, ernsthaft? Terror ist ein klar definierter Begriff in der Politikwissenschaft. Was ist denn da vorgefallen, das unter diesen Begriff fiele?

fwo hat folgendes geschrieben:
Die Schlüsselfrage für diesen Thread ist aber eine andere: Wer kämpft da gegen wen mit welchen Bandagen. Der Fall Stock scheint mir wirklich symptomatisch zu sein.

Wir reden aber immer noch über Großbritannien? Mit welchen Bandagen da ein guter Teil der Bevölkerung gegen eine sexuelle Minderheit "kämpft" (die übrigens nicht die einzige ist, die unter der britischen Gesellschaft zu leiden hat, Großbritannien hat mit Toleranz im Bereich Sexualität generell Schwierigkeiten, die z. T. bis tief in die Gesetzgebung hineinreichen), kannst du unter anderem den von mir in meinem letzten Beitrag gesetzten Links entnehmen. Zu TERFs im Speziellen, deren Aktionsformen bis hin zu Gesetzesvorschlägen und ihrer Zusammenarbeit mit Rechtsradikalen kann ich dir gerne auch was raussuchen. Myron hat ja schon einen Artikel verlinkt, in dem eine TERF ein Zweckbündnis mit evangelikalen Christen (!) vorschlägt.

#523:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 08.03.2024, 16:34
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Woran Du da "eigentlich" vorbeisehen würdest, ist nicht einmal Selbstjustiz sondern eine Form von Lynchmob:

Davon würde ich nur reden, wenn Gesetze gebrochen oder zu physischer Gewalt gegriffen wurde. Bekannt ist mir das in diesem Fall nicht, aber ich kenne den Fall nicht so gut. Was ist denn diesbezüglich vorgefallen? Gab es Gewaltdrohungen gegen Stock? Solche wären natürlich als Aktionsform absolut inakzeptabel. Zettel wie die obigen in die Toiletten zu hängen oder friedlich zu demonstrieren sehe ich aber als legitime Aktionsformen an. Siehst du das anders? Welche Aktionsformen sind denn deiner Meinung nach legitim?

Wenn ich mir bei Eszter Kováts ansehe, was und wie Stock schreibt, dann ist alles über der Diskussion unangebracht - man sollte mit abweichenden Meinungen genauso unbehelligt leben können wie mit einer abweichenden Sexualität.

Es hat aber laut NZZ Gewaltdrohungen bis hin zu Morddrohungen gegeben. Die müssen der Polizei auch vorgelegen haben, sonst ist deren Ratschlag, das Haus mit Kameras zu versehen, schlecht zu verstehen.
btw: Es sind bei uns bereits erheblich weniger eingreifende Aktionen als Mobbing strafbar, die rechtliche Lage in England kenne ich nicht.
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Bei dem Druck, der da erzeugt wurde, glaube ich nicht, dass das die paar queeren Hansels sind, die das veranstalten, bei denen ich auch ein gewisses Verständnis hätte.
Aber um diesen Druck zu erzeugen, braucht man man genügend Überzeugungstäter, die sich sicher sind, den absoluten moralischen Kompass zu haben, und sich das Recht nehmen, ihre Moral auch mit Terror durchzusetzen.

Was? Terror, ernsthaft? Terror ist ein klar definierter Begriff in der Politikwissenschaft. Was ist denn da vorgefallen, das unter diesen Begriff fiele?

Es gibt Terror nicht nur in den Politikwissenschaften, auch in der Psychologie.
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Die Schlüsselfrage für diesen Thread ist aber eine andere: Wer kämpft da gegen wen mit welchen Bandagen. Der Fall Stock scheint mir wirklich symptomatisch zu sein.

Wir reden aber immer noch über Großbritannien? Mit welchen Bandagen da ein guter Teil der Bevölkerung gegen eine sexuelle Minderheit "kämpft" (die übrigens nicht die einzige ist, die unter der britischen Gesellschaft zu leiden hat, Großbritannien hat mit Toleranz im Bereich Sexualität generell Schwierigkeiten, die z. T. bis tief in die Gesetzgebung hineinreichen), kannst du unter anderem den von mir in meinem letzten Beitrag gesetzten Links entnehmen. Zu TERFs im Speziellen, deren Aktionsformen bis hin zu Gesetzesvorschlägen und ihrer Zusammenarbeit mit Rechtsradikalen kann ich dir gerne auch was raussuchen. Myron hat ja schon einen Artikel verlinkt, in dem eine TERF ein Zweckbündnis mit evangelikalen Christen (!) vorschlägt.

Dass die Briten da ihre Probleme haben ist schon bekannt, seit sie Turing in den Selbstmord getrieben haben. Ich verfolge das nur am Rande, aber selbst ich habe mitbekommen, dass sie diese Probleme noch nicht losgeworden sind.

Nur reden wir hier nicht über GB allgemein, sondern über die Universitäten. Sollte man auch da die Baseballschläger als Argumente einführen, nur weil die sich am Fußballplatz vielleicht eingebürgert haben?

Das ist doch das Thema, um das es hier geht.

Was Du da als Zweckbündnisse bezeichnest, würde ich eher als selffullfillig prophecy ansehen: Wir sind sehr soziale Tiere, die alleine nicht überlebensfähig sind (s.o. Turing). Wenn Du Menschen isolierst, gehen sie auch in Gemeinschaften, die sie vorher verabscheut haben. Wir haben bei uns solch komische "Zweckbündnisse" auch schon erlebt und hier auch schon diskutiert, sowohl bei Außenseitern unter den Historikern (die, was die beanstandete "Historisierung des Nationalsozialismus" angeht, inzwischen vom Mainstream umarmt werden) wie auch bei Biologen. Wenn ich sie wegen ihrer Meinung als Nazi abstemple und isoliere, erzeuge ich eine ziemlich hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie bei denen unterkriechen und damit deren Renommee erhöhen.

#524:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 08.03.2024, 16:57
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Dass die Briten da ihre Probleme haben ist schon bekannt, seit sie Turing in den Selbstmord getrieben haben. Ich verfolge das nur am Rande, aber selbst ich habe mitbekommen, dass sie diese Probleme noch nicht losgeworden sind.

Nur reden wir hier nicht über GB allgemein, sondern über die Universitäten. Sollte man auch da die Baseballschläger als Argumente einführen, nur weil die sich am Fußballplatz vielleicht eingebürgert haben?

Universitäten existieren aber nun mal nicht in einem Vakuum. Oder meinst du, die Diskriminierung sexueller Minderheiten höre an den Türschwellen der Hörsäle auf? Dass bei Stock Grenzen weit überschritten wurden, ist geschenkt. Aber die Transgender und auch die Aktivisten für Trans Rights haben diesen gesellschaftlichen Konflikt nicht angefangen. Auch an den Unis nicht. Das sollte man bitte nicht vergessen.

fwo hat folgendes geschrieben:
Was Du da als Zweckbündnisse bezeichnest, würde ich eher als selffullfillig prophecy ansehen:

For the record: Der Ausdruck Zweckbündnis stammt von Myron.

fwo hat folgendes geschrieben:
Wenn Du Menschen isolierst, gehen sie auch in Gemeinschaften, die sie vorher verabscheut haben. Wir haben bei uns solch komische "Zweckbündnisse" auch schon erlebt und hier auch schon diskutiert, sowohl bei Außenseitern unter den Historikern (die, was die beanstandete "Historisierung des Nationalsozialismus" angeht, inzwischen vom Mainstream umarmt werden) wie auch bei Biologen. Wenn ich sie wegen ihrer Meinung als Nazi abstemple und isoliere, erzeuge ich eine ziemlich hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie bei denen unterkriechen und damit deren Renommee erhöhen.

Es ist schon witzig, dass du dieses Argument für TERFs gelten lässt, aber für Transgender und deren Aktivisten anscheinend nicht. Dass Ausgrenzung und Diskriminierung Leute in Extreme treiben kann, ist gerade das Argument, das ich hier in Anschlag bringe (wobei man noch hinzufügen sollte, dass TERF sein eine Entscheidung ist, trans sein hingegen nicht). Und angesichts der Tatsache, dass du noch vor Kurzem hier in diesem Thread einen islamistischen Mord der Linken angelastet hast, weil diese sich für deine Begriffe nicht gründlich genug distanziert hat, müsste ein Bündnis der TERFs mit Nazis, ob nun Zweckbündnis oder Suche nach Nestwärme, eigentlich sämtliche Nazi-Gewalttaten aus deiner Sicht auf die TERFs zurückfallen lassen. Ebenso Dinge wie Abtreibungsverbote im Falle von Bündnissen zwischen TERFs und religiösen Konservativen. Welchen Schluss soll ich denn bitte daraus ziehen, dass du an Linke und sexuelle Minderheiten offensichtlich andere Standards anlegst als an Rechte und TERFs??


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 08.03.2024, 17:24, insgesamt einmal bearbeitet

#525:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 08.03.2024, 17:23
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
....
Es ist schon witzig, dass du dieses Argument für TERFs gelten lässt, aber für Transgender und deren Aktivisten anscheinend nicht. Dass Ausgrenzung Leute in Extreme treiben kann, ist gerade das Argument, das ich hier in Anschlag bringe. Und angesichts der Tatsache, dass du noch vor Kurzem hier in diesem Thread einen islamistischen Mord der Linken angelastet hast, weil diese sich für deine Begriffe nicht gründlich genug distanziert hat, müsste ein Bündnis der TERFs mit Nazis, ob nun Zweckbündnis oder Suche nach Nestwärme, eigentlich sämtliche Nazi-Gewalttaten aus deiner Sicht auf die TERFs zurückfallen lassen. Ebenso Dinge wie Abtreibungsverbote im Falle von Bündnissen zwischen TERFs und religiösen Konservativen. Welchen Schluss soll ich denn bitte daraus ziehen, dass du an Linke und sexuelle Minderheiten offensichtlich andere Standards anlegst als an Rechte und TERFs??

Was ich geschrieben habe, habe ich zu Individuen geschrieben. Ob man diese Mechanismen auch direkt auf Gruppen übertragen kann, da hab ich meine Zweifel.

#526:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 08.03.2024, 17:25
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
....
Es ist schon witzig, dass du dieses Argument für TERFs gelten lässt, aber für Transgender und deren Aktivisten anscheinend nicht. Dass Ausgrenzung Leute in Extreme treiben kann, ist gerade das Argument, das ich hier in Anschlag bringe. Und angesichts der Tatsache, dass du noch vor Kurzem hier in diesem Thread einen islamistischen Mord der Linken angelastet hast, weil diese sich für deine Begriffe nicht gründlich genug distanziert hat, müsste ein Bündnis der TERFs mit Nazis, ob nun Zweckbündnis oder Suche nach Nestwärme, eigentlich sämtliche Nazi-Gewalttaten aus deiner Sicht auf die TERFs zurückfallen lassen. Ebenso Dinge wie Abtreibungsverbote im Falle von Bündnissen zwischen TERFs und religiösen Konservativen. Welchen Schluss soll ich denn bitte daraus ziehen, dass du an Linke und sexuelle Minderheiten offensichtlich andere Standards anlegst als an Rechte und TERFs??

Was ich geschrieben habe, habe ich zu Individuen geschrieben. Ob man diese Mechanismen auch direkt auf Gruppen übertragen kann, da hab ich meine Zweifel.

Verstehe ich nicht. Auf welche Individuen bezieht sich das jetzt? Am Kopf kratzen

#527:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 08.03.2024, 19:04
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Was Du da als Zweckbündnisse bezeichnest, würde ich eher als selffullfillig prophecy ansehen:

For the record: Der Ausdruck Zweckbündnis stammt von Myron.

Ach sorry, das war in 'ne ganz anderen Thread. Hier geht aber inzwischen auch alles durcheinander. Mit den Augen rollen

#528:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.03.2024, 19:43
    —
fwo hat folgendes geschrieben:

Der Wiki-Artikel zu Frau Stock ist recht ausführlich, ich habe mir auch die Links am Ende mal angesehen.
Da ist Jule Govrin von Geschichte der Gegenwart, die eine direkte Linie von der letztlich genetischen Sicht Stocks zum Faschismus zieht und damit natürlich alles rechtfertigt.


Govrin ist eine Dummschwätzerin!

https://geschichtedergegenwart.ch/terf/

Schon der erste Satz ist eine glatte Lüge:

"Die Philosophin Kathleen Stock hat in vergangenen Jahren beständig behauptet, Menschen, die trans sind, würden nicht existieren, da nur biologisches Geschlecht ‚real‘ sei."

Siehe Uwe Steinhoffs Gegenrede:

Träume einer Genderseherin: Eine Erwiderung auf die Anwürfe der Transgenderideologin Jule Govrin gegen die Philosophin Kathleen Stock

#529:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.03.2024, 19:53
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Die Schlüsselfrage für mich in diesem Zusammenhang, die auch bei Deinen Links zum Thema TERF zu stellen ist, ist, was eigentlich transphob ist.


Darauf gibt es eine klare Antwort:

Zitat:
"Wer Transsexuelle oder Transvestiten als solche allgemein hasst oder verabscheut, sie als solche herabwürdigt oder erniedrigt, der ist transfeindlich/transphob gesinnt."

—Myron: https://freigeisterhaus.de/viewtopic.php?p=2303931#2303931

#530:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.03.2024, 20:02
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:

fwo hat folgendes geschrieben:
Bei dem Druck, der da erzeugt wurde, glaube ich nicht, dass das die paar queeren Hansels sind, die das veranstalten, bei denen ich auch ein gewisses Verständnis hätte.
Aber um diesen Druck zu erzeugen, braucht man man genügend Überzeugungstäter, die sich sicher sind, den absoluten moralischen Kompass zu haben, und sich das Recht nehmen, ihre Moral auch mit Terror durchzusetzen.

Was? Terror, ernsthaft? Terror ist ein klar definierter Begriff in der Politikwissenschaft. Was ist denn da vorgefallen, das unter diesen Begriff fiele?


Man kann im weiteren Sinn auch dann von Terror sprechen, wenn ein furchteinflößender Zwang oder Druck ausgeübt wird, der nicht auf Gewaltanwendung oder -androhung basiert, sondern mit anderen Arten von Drohung oder Einschüchterung operiert. (Beispielsweise: "Wir werden dafür sorgen, dass du deinen Arbeitsplatz verlierst!")

#531:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.03.2024, 20:10
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"Exposing disinformation about Kathleen Stock": https://sex-matters.org/posts/freedom-of-speech/kathleen-stock/

#532:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.03.2024, 20:24
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Tarvoc hat folgendes geschrieben:

Universitäten existieren aber nun mal nicht in einem Vakuum. Oder meinst du, die Diskriminierung sexueller Minderheiten höre an den Türschwellen der Hörsäle auf? Dass bei Stock Grenzen weit überschritten wurden, ist geschenkt. Aber die Transgender und auch die Aktivisten für Trans Rights haben diesen gesellschaftlichen Konflikt nicht angefangen. Auch an den Unis nicht. Das sollte man bitte nicht vergessen.


Du scheinst vergessen zu haben, dass es radikale Aktivisten der kulturellen Linken gewesen sind, die den "Gender War" aus der theoretischen akademischen Sphäre in die praktische politische Sphäre übertragen haben. Für diese Leute gibt es keine "Trans Rights" ohne unterwürfige Anerkennung ihrer besonderen Geschlechtsphilosophie = gender (identity) theory & queer theory. Wer diese ablehnt, wird als Transphobiker hingestellt, der Transpersonen Menschenrechte absprechen will.

#533:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 09.03.2024, 01:57
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Myron hat folgendes geschrieben:
Wer diese ablehnt, wird als Transphobiker hingestellt, der Transpersonen Menschenrechte absprechen will.

Ich hab in meinem ganzen Leben noch keine "genderkritische" Person - dich inklusive - getroffen, die nicht in irgendeiner Weise Grundrechte wie u. A. das auf freie Persönlichkeitsentfaltung und/oder das auf körperliche Autonomie von Trans-Personen beschränken wollte. Mindestens ist das die absolute Norm und alles Gegenteilige die absolute Ausnahme. Bzw. bis jetzt sieht es selbst mit Ausnahmen absolut mau aus. Übrigens sind Menschenrechte auch nur das absolute Minimum menschlichen Miteinanders: Diskriminierung, Exklusion, Gängelung, Ungleichbehandlung etc. beginnen schon sehr viel früher als bei regelrechten Menschenrechtsverletzungen.

#534:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 09.03.2024, 16:20
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Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
....
Es ist schon witzig, dass du dieses Argument für TERFs gelten lässt, aber für Transgender und deren Aktivisten anscheinend nicht. Dass Ausgrenzung Leute in Extreme treiben kann, ist gerade das Argument, das ich hier in Anschlag bringe. Und angesichts der Tatsache, dass du noch vor Kurzem hier in diesem Thread einen islamistischen Mord der Linken angelastet hast, weil diese sich für deine Begriffe nicht gründlich genug distanziert hat, müsste ein Bündnis der TERFs mit Nazis, ob nun Zweckbündnis oder Suche nach Nestwärme, eigentlich sämtliche Nazi-Gewalttaten aus deiner Sicht auf die TERFs zurückfallen lassen. Ebenso Dinge wie Abtreibungsverbote im Falle von Bündnissen zwischen TERFs und religiösen Konservativen. Welchen Schluss soll ich denn bitte daraus ziehen, dass du an Linke und sexuelle Minderheiten offensichtlich andere Standards anlegst als an Rechte und TERFs??

Was ich geschrieben habe, habe ich zu Individuen geschrieben. Ob man diese Mechanismen auch direkt auf Gruppen übertragen kann, da hab ich meine Zweifel.

Verstehe ich nicht. Auf welche Individuen bezieht sich das jetzt? Am Kopf kratzen

Der eigentliche Anlass für diese Textpassage waren Aussagen von Erika Bachiochi, die ich beim Überfliegen mitbekommen hatte, aber in den Zusammenhang passt sie überhaupt nicht - wer sich auf die bezieht, muss fürchterlich in Nöten sein, in ähnlichen, in denen sie wohl Zeit ihres Lebens ist.

Wo man das, was ich meine, ansatzweise sehen kann, ist der Text der NZZ:
Zitat:
Nun will sich Stock an der University of Austin engagieren, die sich dem Kampf für die freie Rede und gegen Cancel-Culture verschrieben hat – auch wenn die Professorin betont, dass sie als Linke nicht alle Ansichten dortiger konservativer Kollegen teile.

Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, dass sich in so einer Umgebung ihre eigene Ansicht verändern wird. ***

Wen ich dabei ansonsten im Hinterkopf hatte, ist Ernst Nolte und Kutschera mit - für einen Biologen zugegebenermaßen eigenartigen Ansichten - den es zu den Christen getrieben hat, nachdem er wegen seiner Ansichten zur Homosexualität zunehmend angefeindet wurde.

*** Mir scheint immer noch, dass Du Dir die Rezension Stocks durch Eszter Kováts noch nicht angesehen hast. Mir scheint ein erheblicher Unterschied darin zu bestehen, was sie gesagt / geschrieben hat und wie sie wahrgenommen wird. Die Frage, welche Aktionsformen (außerhalb der Diskussion) ich gegen sie für zulässig hielte, ist für mich immer noch nicht begreifbar.

#535:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 09.03.2024, 16:34
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Die Frage, welche Aktionsformen (außerhalb der Diskussion) ich gegen sie für zulässig hielte, ist für mich immer noch nicht begreifbar.

Ich meinte das auch eher generell. Hatte dich so verstanden, als hieltest du Plakatierung und Demonstration als Aktionsformen im universitären Bereich generell nicht für angemessen. Ob man sich gerade über Stock so aufregen muss, weiss ich nicht. Das eine Zitat, das Myron gerade als Beispiel für Stocks Sympathie für Trans-Leute gebracht hätte, schien mir zumindest enorm patronizing zu sein und eben nicht "voller Empathie und Mitgefühl". Wenn das Zitat beispielhaft sein soll, finde ich diese Bewertung also reichlich sonderbar. Das allein rechtfertigt aber wohl nicht mehr an Gegenreaktion als eine Kritik mit den normalen Mitteln des akademischen Diskurses.

#536:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 09.03.2024, 16:45
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Philosophieprofessorin wirft sich plötzlich auf ein Thema, mit dem sie sich vorher nie befasst hat und dementsprechend wenig Expertise hat, und vertritt dabei transfeindliche Positionen; wird gleichzeitig als transfeindliche Aktivistin aktiv, mischt sich in politische und gesellschfatliche Debatten zur Frage ein und verzerrt dabei teilweise in böswilliger Weise gegnerische Positionen bis hin zur klaren Lüge (einen Fall haben wir in diesem Thread diskutiert);

tillich, kannst du (oder jemand anders hier) vielleicht nochmal verlinken, wo das hier schon mal diskutiert wurde? Für mich hört sich das nämlich an, als sei Stock auch über ihr Buch hinaus aktiv geworden.

#537:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 10.03.2024, 13:05
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
... Dann kann man die Geschichte aber auch ganz anders erzählen: Philosophieprofessorin wirft sich plötzlich auf ein Thema, mit dem sie sich vorher nie befasst hat und dementsprechend wenig Expertise hat, und vertritt dabei transfeindliche Positionen; wird gleichzeitig als transfeindliche Aktivistin aktiv, mischt sich in politische und gesellschfatliche Debatten zur Frage ein und verzerrt dabei teilweise in böswilliger Weise gegnerische Positionen bis hin zur klaren Lüge (einen Fall haben wir in diesem Thread diskutiert); wird dann, ziemlich offenkundig für diesen transfeindlichen Aktivismus, von reaktionären Politiker:innen ausgezeichnet; bekommt dementsprechenden Gegenwind von Transaktivist:innen; hält den Gegenwind nicht aus und tritt von ihrer Position zurück, obwohl sie von ihrer Unileitung gestützt wird.
(Und ja, ich kenne das Gegenargument: "Aber Stock ist ganz lieb und überhaupt nicht transfeindlich!" Nee, klar. Außer in allen konkrten Streitfragen, zu denen sie Stellung genommen hat, aber sonst ist sie nicht transfeindlich ...)
Dass man das auch wieder ganz anders sehen kann, will ich nicht bestreiten. Der Punkt ist aber, dass man die konkrete Debatte inhaltlich führen muss, statt mit dem Hammer "Cancel Culture" draufzuhauen. Aber mit dieser konkreten Debatte haben wir hier eigentlich nicht so arg viel zu tun.

Was gegen diese Geschichte von der thematisch Ahnungslosen spricht, ist, dass das Buch von Stock bei uns, bei denen die Transfeindlichkeit erheblich geringer ausfällt als in GB, viel positiver aufgenommen wird als an den Unis in GB. Eine Ausnahme ist die Rezension der Aktivistin Jule Govrin, den ich stimmungsmäßig auch eher als Hasstext empfunden habe, als als Rezension.

Ansonsten geht es in diesem Thread ja auch nicht um diese Debatte (ich stimme Stock ja auch inhaltlich nicht zu), sondern genau darum, dass sie nicht geführt, sondern durch persönliche Angriffe ersetzt wird.

Nur zur Erinnerung: Was hier also stattfindet, ist nicht, die Gegenreaktion auf Stock mit dem Hammer "Cancel Culture" zu bearbeiten, sondern die "Cancel Culture" selbst ist das Thema.

#538:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 10.03.2024, 13:27
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Nur zur Erinnerung: Was hier also stattfindet, ist nicht, die Gegenreaktion auf Stock mit dem Hammer "Cancel Culture" zu bearbeiten, sondern die "Cancel Culture" selbst ist das Thema.

Meinst du nicht, dass die Bewertung der "gecancelten" Inhalte für die Bewertung der Reaktionen auf sie eine Rolle spielt?

#539:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 10.03.2024, 20:11
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Nur zur Erinnerung: Was hier also stattfindet, ist nicht, die Gegenreaktion auf Stock mit dem Hammer "Cancel Culture" zu bearbeiten, sondern die "Cancel Culture" selbst ist das Thema.

Meinst du nicht, dass die Bewertung der "gecancelten" Inhalte für die Bewertung der Reaktionen auf sie eine Rolle spielt?

Stocks Aktion ist ein Essay, der in der erheblich queerfreundlicheren deutschen Umgebung auch bei queerfreundlichen Rezensenten keinen Anlass gegeben hat, zur "Gegengewalt" aufzurufen (mit der indirekten Ausnahme Jule Govrin, die hier schon faschistische Kräfte am Wirken sieht).
https://www.perlentaucher.de/buch/kathleen-stock/material-girls.html

Wenn wir das derart relativieren, müssen wir auch Herrn Putin Recht geben, der sich schließlich nur gegen den westlichen Faschismus wehrt.

#540:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 10.03.2024, 20:18
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Stocks Aktion ist ein Essay, der in der erheblich queerfreundlicheren deutschen Umgebung auch bei queerfreundlichen Rezensenten keinen Anlass gegeben hat, zur "Gegengewalt" aufzurufen (mit der indirekten Ausnahme Jule Govrin, die hier schon faschistische Kräfte am Wirken sieht).

Also stimmst du mir zu, dass die Bewertung der Inhalte für die Bewertung der Reaktionen eine Rolle spielt. Danke. Das war das einzige, wonach ich gefragt habe.

#541:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 10.03.2024, 20:34
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Stocks Aktion ist ein Essay, der in der erheblich queerfreundlicheren deutschen Umgebung auch bei queerfreundlichen Rezensenten keinen Anlass gegeben hat, zur "Gegengewalt" aufzurufen (mit der indirekten Ausnahme Jule Govrin, die hier schon faschistische Kräfte am Wirken sieht).

Also stimmst du mir zu, dass die Bewertung der Inhalte für die Bewertung der Reaktionen eine Rolle spielt. Danke. Das war das einzige, wonach ich gefragt habe.

Ja. Aber es handelt sich um die Bewertung, nicht um den Inhalt.

#542:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 10.03.2024, 20:41
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Stocks Aktion ist ein Essay, der in der erheblich queerfreundlicheren deutschen Umgebung auch bei queerfreundlichen Rezensenten keinen Anlass gegeben hat, zur "Gegengewalt" aufzurufen (mit der indirekten Ausnahme Jule Govrin, die hier schon faschistische Kräfte am Wirken sieht).

Also stimmst du mir zu, dass die Bewertung der Inhalte für die Bewertung der Reaktionen eine Rolle spielt. Danke. Das war das einzige, wonach ich gefragt habe.

Ja. Aber es handelt sich um die Bewertung, nicht um den Inhalt.

...Hä? Bei was handelt es sich um die Bewertung und nicht den Inhalt?

#543:  Autor: AlexJWohnort: Köln BeitragVerfasst am: 10.03.2024, 21:44
    —
fwo hat folgendes geschrieben:


*** Mir scheint immer noch, dass Du Dir die Rezension Stocks durch Eszter Kováts noch nicht angesehen hast. Mir scheint ein erheblicher Unterschied darin zu bestehen, was sie gesagt / geschrieben hat und wie sie wahrgenommen wird. Die Frage, welche Aktionsformen (außerhalb der Diskussion) ich gegen sie für zulässig hielte, ist für mich immer noch nicht begreifbar.


Die Rezension ist haarsträubend. Ich würde anhand derer auch annehmen, dass Stock transfeindlichen Unsinn von sich gegeben hat. Dort werden nämlich zahlreiche subjektive Vorwürfe in generalisierter, allgemeingültiger Form als Tatsache behauptet und ihr in den Mund gelegt. Wer Strohmänner aufbauen muss, um Punkten zu können, ist arm dran. Wer dabei pathologisierend wird, hat von mir beim Echo kein Mitleid zu erwarten.

#544:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 11.03.2024, 00:31
    —
AlexJ hat folgendes geschrieben:
Die Rezension ist haarsträubend. Ich würde anhand derer auch annehmen, dass Stock transfeindlichen Unsinn von sich gegeben hat. Dort werden nämlich zahlreiche subjektive Vorwürfe in generalisierter, allgemeingültiger Form als Tatsache behauptet und ihr in den Mund gelegt. Wer Strohmänner aufbauen muss, um Punkten zu können, ist arm dran. Wer dabei pathologisierend wird, hat von mir beim Echo kein Mitleid zu erwarten.


Bist du sicher, dass du diese Rezension gelesen hast und nicht irgendeine andere?!

#545:  Autor: AlexJWohnort: Köln BeitragVerfasst am: 11.03.2024, 10:31
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
AlexJ hat folgendes geschrieben:
Die Rezension ist haarsträubend. Ich würde anhand derer auch annehmen, dass Stock transfeindlichen Unsinn von sich gegeben hat. Dort werden nämlich zahlreiche subjektive Vorwürfe in generalisierter, allgemeingültiger Form als Tatsache behauptet und ihr in den Mund gelegt. Wer Strohmänner aufbauen muss, um Punkten zu können, ist arm dran. Wer dabei pathologisierend wird, hat von mir beim Echo kein Mitleid zu erwarten.


Bist du sicher, dass du diese Rezension gelesen hast und nicht irgendeine andere?!


Dass ausgerechnet du das fragst, deutet darauf hin, dass ich richtig liege.

Ich habe nicht nur die verlinkte gekürzte deutsche Übersetzung gelesen, sondern auch ein großer Teil des englischen Originals. Ich wollte nämlich wissen, ob sich dort tatsächlich auch nur ein Hauch eines Hinweises der angeblichen Empathie und Mitgefühls gibt, das im Titel und Schlusssatz so prominent behauptet wird. Da gibt es null.

Im Gegenteil finden sich wiederholt nur pathologisierende Unterstellungen, dass die Transseite allgemein dogmatisch, religiös, wissenschaftsfeindlich, übergreifend und nur in extreme Form gebe.
Zum Beispiel wird schlicht unterstellt, dass die Begriffe Mann und Frau neu definiert werden, weg vom angeblich historisch Biologischen und ausschließlich(!!!) vom Gefühl der Geschlechtsidentität bestimmt werden soll.
Das ist nicht nur ahistorisch, weil historisch schon immer das soziale Konstrukt des Geschlechts in diversen Formen ein Teil des Begriffs war, noch lange bevor die Biologie Gameten oder Chromosome entdeckt hat und so überhaupt ein klare, aber sehr eingeschränkte und vereinfachte biologische Definition möglich gemacht hat.(Groß Gameten=weiblich kleine Gameten=Männlich).
Es ist auch schwarz-weiß Malerei, wobei der eigene extreme Ausschließlichkeitsansatz der Gegenseite unterstellt wird.
Tatsache ist, dass Wörter in der Regel mehrere Definitionen haben, die je nach Kontext ihre Gültigkeit haben. Aus der Tatsache, dass es das Geschlecht eben auch als soziale Konstruktion gibt, leitet sich eben keine Ausschließlichkeit. Diese wird eben nur von der Trans feindlichen Seite propagandiert. Denn eine Koexistenz insbesondere ein gleichberechtigt gilt es abzuwenden.
Beim Streit um die Definition von Man und Frau handelt es sich um Wiederholung des Streites um das Wort Ehe. Wo man das Wort Ehe den Homosexuellen nicht zugestehen wollte.

Besonders ironisch hier ist noch, dass die Neuen klaren und minimal biologisch Definitionen, die dazu dienen sollen, Transmenschen von der Definition auszuschließen, politisch genau zu die von den anti-trans Feministen befürchten Konsequenzen führen würden, wenn sie die alleinige Definition des Wortes wären.
Denn aus der Größe der Gameten ergeben sich nun mal keine wissenschaftlich haltbare politischen Forderungen. Die ergeben sich ausschließlich aus den sozialen Konstrukten und typischen sekundären Sexualmerkmalen inklusive der Psychischen.

#546:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 11.03.2024, 11:12
    —
AlexJ hat folgendes geschrieben:
....
Ich habe nicht nur die verlinkte gekürzte deutsche Übersetzung gelesen, sondern auch ein großer Teil des englischen Originals. Ich wollte nämlich wissen, ob sich dort tatsächlich auch nur ein Hauch eines Hinweises der angeblichen Empathie und Mitgefühls gibt, das im Titel und Schlusssatz so prominent behauptet wird. Da gibt es null.
....

Ich habe mir auch das verlinkte Original durchgelesen und anscheinend haben wir doch unterschiedliche Texte gelesen.

#547:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 11.03.2024, 11:19
    —
AlexJ hat folgendes geschrieben:
Ich habe nicht nur die verlinkte gekürzte deutsche Übersetzung gelesen, sondern auch ein großer Teil des englischen Originals. Ich wollte nämlich wissen, ob sich dort tatsächlich auch nur ein Hauch eines Hinweises der angeblichen Empathie und Mitgefühls gibt, das im Titel und Schlusssatz so prominent behauptet wird. Da gibt es null.

Ich steige ganz ehrlich in der Diskussion nicht mehr durch. Bezieht sich das jetzt auf das Buch von Stock oder auf eine Rezension? Und wo kann man dieses englische Original nachlesen? Am Kopf kratzen

#548:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 11.03.2024, 11:21
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Stocks Aktion ist ein Essay, der in der erheblich queerfreundlicheren deutschen Umgebung auch bei queerfreundlichen Rezensenten keinen Anlass gegeben hat, zur "Gegengewalt" aufzurufen (mit der indirekten Ausnahme Jule Govrin, die hier schon faschistische Kräfte am Wirken sieht).

Also stimmst du mir zu, dass die Bewertung der Inhalte für die Bewertung der Reaktionen eine Rolle spielt. Danke. Das war das einzige, wonach ich gefragt habe.

Ja. Aber es handelt sich um die Bewertung, nicht um den Inhalt.

...Hä? Bei was handelt es sich um die Bewertung und nicht den Inhalt?

Es ist die Bewertung, die die Reaktion auslöst.
Worauf ich oben hingewiesen habe, ist, dass das identische Verhalten / der identische Text offensichtlich sehr unterschiedlich bewertet wird und deshalb sehr unterschiedliche Reaktionen auslöst: Wer jeden Andersdenkenden zum Nazi erklärt, empfindet dann den Baseballschläger auch als die richtige Reaktion für andere Gedanken.

#549:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 11.03.2024, 11:47
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Es ist die Bewertung, die die Reaktion auslöst.

Lachen Die Bewertung ist Teil der Reaktion, du Witzbold. Dass ein Text Reaktionen nur durch seine Lektüre und damit kognitive Verarbeitung auslösen kann, ist eine Binse. Oder meinst du, deine Reaktion auf den Text sei nicht auch von deiner Bewertung "ausgelöst"? Mit den Augen rollen

fwo hat folgendes geschrieben:
Worauf ich oben hingewiesen habe, ist, dass das identische Verhalten / der identische Text offensichtlich sehr unterschiedlich bewertet wird und deshalb sehr unterschiedliche Reaktionen auslöst:

Aber du hast klarerweise mit deiner Bewertung Recht und AlexJ mit seiner Unrecht?

#550:  Autor: AlexJWohnort: Köln BeitragVerfasst am: 11.03.2024, 13:00
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
AlexJ hat folgendes geschrieben:
Ich habe nicht nur die verlinkte gekürzte deutsche Übersetzung gelesen, sondern auch ein großer Teil des englischen Originals. Ich wollte nämlich wissen, ob sich dort tatsächlich auch nur ein Hauch eines Hinweises der angeblichen Empathie und Mitgefühls gibt, das im Titel und Schlusssatz so prominent behauptet wird. Da gibt es null.

Ich steige ganz ehrlich in der Diskussion nicht mehr durch. Bezieht sich das jetzt auf das Buch von Stock oder auf eine Rezension? Und wo kann man dieses englische Original nachlesen? Am Kopf kratzen


Die Rezension. Stock habe ich selbst nicht gelesen, halt mich daher dahin gehend zurück.

Das Original der Rezension ist am Ende der Übersetzung verlinkt. Hier nochmal als code:

Code:
https://progressivepost.eu/wp-content/uploads/PP18.pdf


fwo hat folgendes geschrieben:
AlexJ hat folgendes geschrieben:
....
Ich habe nicht nur die verlinkte gekürzte deutsche Übersetzung gelesen, sondern auch ein großer Teil des englischen Originals. Ich wollte nämlich wissen, ob sich dort tatsächlich auch nur ein Hauch eines Hinweises der angeblichen Empathie und Mitgefühls gibt, das im Titel und Schlusssatz so prominent behauptet wird. Da gibt es null.
....

Ich habe mir auch das verlinkte Original durchgelesen und anscheinend haben wir doch unterschiedliche Texte gelesen.


Kommt der Satz:
"Kathleen Stock analysiert in ihrem Buch, was wir in den vergangenen Jahren in der LGBT+-Bewegung erlebt haben: die Neubestimmung der Begriffe Mann/Frau von „männlichem/weiblichem Erwachsenen“ zu „erwachsener Mensch mit männlicher/weiblicher Geschlechtsidentität“. Das bedeutet, dass die Frage, Frau oder Mann zu sein, nicht mehr vom biologischen Geschlecht abhängt, sondern ausschließlich vom Gefühl der „Geschlechtsidentität“ bestimmt wird. Die politische Konsequenz wäre, dass das biologische Geschlecht keinen rechtlichen Schutz mehr verdient (für den Feministinnen seit Jahrzehnten kämpfen)."

"Kathleen Stock gives a refreshing account – because it is argumentative, not moralising – of the rapid changes we have seen in recent years in the LGBT movement: the re-definition of the concepts man/woman from "adult human male/female" to "adult human with male/female gender identity". That is, being a woman or man would be independent of your biological sex (that they
think is not detected but arbitrarily assigned), and solely defined by this mysterious feeling of gender identity'. And, as a political consequence, that biological sex would no longer deserve any legal protection (something for which feminists have fought for decades)."


Bei dir nicht vor? Oder könnte es sein, dass ideologische Scheuklappen am Werke sind? Oder meinst du das mit dem angeblichen Mitgefühl und Empathie für Transsexuelle/Aktivisten, das ich nicht finden konnte, vielleicht kannst du was dazu zitieren?

#551:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 11.03.2024, 22:57
    —
AlexJ hat folgendes geschrieben:
Das Original der Rezension ist am Ende der Übersetzung verlinkt. Hier nochmal als code:

Code:
https://progressivepost.eu/wp-content/uploads/PP18.pdf


Gerade die philosophischen Aussagen in der Rezension finde ich schon... interessant. Zum Beispiel:

Zitat:
And she proposes a fourth: that gender identity is an interpretation of our reality, an identification. While identifications are not completely conscious – on the contrary, they start subconsciously – a role is allowed for personal meaning-making (p. 132).

Das ist entweder trivial oder kommt mit der extrem merkwürdigen unterliegenden Annahme, dass es Identität ohne Identifikation gäbe bzw. dass nicht nur eine materielle Realität der Identifikation vorausgeht (was von meiner Seite geschenkt ist), sondern spezifisch eine Identität. Ich weiß noch nicht mal, was das überhaupt heißen soll. Selbstverständlich ist auch die Einteilung in Männer und Frauen nach Gonaden eine Identifikation dieser Personen, und zwar eine Fremdidentifikation, die jedes persönliche Sinn-Machen gerade verweigert.

Zitat:
But forming concepts is not an exclusionary, hierarchical act, but a necessary cognitive activity for humans.

Seltsame Gegenüberstellung. Dass Begriffsbildung eine notwendige kognitive Aktivität ist, ist natürlich richtig. Daraus folgt aber klarerweise nicht, dass konkrete Begriffsbildungen nicht exklusorisch oder hierarchisch sein oder sogar genau das zum Zweck haben können. Dass zum Beispiel die Begriffsbildungen der NS-Rassenlehre sowohl exklusorisch als auch hierarchisch waren, wird hier ja wohl hoffentlich niemand bestreiten. (Nur als Beispiel, um zu verdeutlichen, wie albern diese Entgegensetzung ist.)

Zitat:
Even if we start to use the concepts 'man' and 'woman' to talk about man-/woman-identifying people (of whichever biological sex), we will still need concepts for adult human males as females – as the underlying realities make it necessary to have words for that.

Der Punkt ist geschenkt. Die Frage, die sich mir halt nur stellt, ist: Na und? Unsere Begriffswelt wird eben komplexer, differenzierter, vielschichtier. So what, it happens all the time.

#552:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 12.03.2024, 12:21
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Es ist die Bewertung, die die Reaktion auslöst.

Lachen Die Bewertung ist Teil der Reaktion, du Witzbold. Dass ein Text Reaktionen nur durch seine Lektüre und damit kognitive Verarbeitung auslösen kann, ist eine Binse. Oder meinst du, deine Reaktion auf den Text sei nicht auch von deiner Bewertung "ausgelöst"? Mit den Augen rollen

fwo hat folgendes geschrieben:
Worauf ich oben hingewiesen habe, ist, dass das identische Verhalten / der identische Text offensichtlich sehr unterschiedlich bewertet wird und deshalb sehr unterschiedliche Reaktionen auslöst:

Aber du hast klarerweise mit deiner Bewertung Recht und AlexJ mit seiner Unrecht?

Nein - ich bilde mir nicht ein, im Besitz der Wahrheit zu sei.
Allerdings habe ich keine Ahnung, was Alexej an dem von ihm zitierten Absatz so über die Maßen aufregt. Dabei sollte aus den Diskussionen hier klar sein, welche Meinung ich selbst zur geschlechtlichen Identität habe, dass ich sachlich also nicht hinter Stock stehe.
Kannst Du mir Du das Empörende dieses Absatzes erklären?

Nochmal: Es geht mir nicht darum, Stock inhaltlich zu verteidigen - dafür gäbe es auch einen anderen Thread. Meine Frage ist, wie man angesichts ihrer Veröffentlichung auch nur versuchen kann, diese Aktionen gegen sie zu verteidigen.

Ich sehe die Kernaussage der Kováts-Besprechung in diesem Absatz:
Zitat:
Jede nicht-geschlechtskonforme Person (die also nicht den gesellschaftlichen Erwartungen an Männer und Frauen entspricht) – sexuelle und geschlechtliche Minderheiten eingeschlossen – hat das gleiche Recht auf ein Leben ohne Diskriminierung und ohne Angst vor Gewalt. Die aktuellen politischen Ziele des Trans- und Queer-Aktivismus gehen jedoch weit über diesen legitimen Anspruch hinaus, und zwar in dem Maße, wie die Begriffe Diskriminierung, Gewalt und Hass aufgebauscht werden – indem Gegenargumente gegen jede beliebige aktivistische Behauptung oder gegen sozialwissenschaftliche Forschungen zur Identitätsbildung oder zur Verbreitung nicht-binärer Geschlechtsidentitäten als ebendies behandelt werden. Dieses Phänomen verdient es, wissenschaftlich und politisch beachtet zu werden.


Und dem kann ich mich ohne Schwierigkeiten anschließen. Du nicht?

#553:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 12.03.2024, 16:50
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Nochmal: Es geht mir nicht darum, Stock inhaltlich zu verteidigen - dafür gäbe es auch einen anderen Thread. Meine Frage ist, wie man angesichts ihrer Veröffentlichung auch nur versuchen kann, diese Aktionen gegen sie zu verteidigen.

Welche Aktionen genau? Morddrohungen sind natürlich durch überhaupt nichts zu verteidigen, und das hat auch z. T. explizit niemand hier getan.

#554:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 12.03.2024, 22:19
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Nochmal: Es geht mir nicht darum, Stock inhaltlich zu verteidigen - dafür gäbe es auch einen anderen Thread. Meine Frage ist, wie man angesichts ihrer Veröffentlichung auch nur versuchen kann, diese Aktionen gegen sie zu verteidigen.

Welche Aktionen genau? Morddrohungen sind natürlich durch überhaupt nichts zu verteidigen, und das hat auch z. T. explizit niemand hier getan.

Jede Gewaltdrohung. Aber natürlich auch die Forderung, sie wegen einer abweichenden Meinung von der Uni zu schmeißen.

#555:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 12.03.2024, 22:28
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Jede Gewaltdrohung.

D'accord.

fwo hat folgendes geschrieben:
Aber natürlich auch die Forderung, sie wegen einer abweichenden Meinung von der Uni zu schmeißen.

Das hingegen halte ich - ohne damit schon ein Urteil über den konkreten Fall Stock abzugeben - eben sehr wohl für abhängig vom konkreten Inhalt der jeweiligen Meinung und dessen Bewertung. Man kommt also nicht darum herum, auch diesen zu diskutieren und zu bewerten, um sich ein Urteil darüber zu bilden, ob eine solche Forderung zu weit geht oder nicht. Und ich muss mich langsam fragen, warum du dich so sehr dagegen sträubst.

[Edit] Übrigens: Selbst wenn man einige der Arten, diese Forderung zu äußern, als Mobbing oder dergleichen auffassen kann, ist die Forderung selbst natürlich erstmal schlicht freie Meinungsäußerung. Oder siehst du das anders?

#556:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 02:15
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Jede Gewaltdrohung.

D'accord.

fwo hat folgendes geschrieben:
Aber natürlich auch die Forderung, sie wegen einer abweichenden Meinung von der Uni zu schmeißen.

Das hingegen halte ich - ohne damit schon ein Urteil über den konkreten Fall Stock abzugeben - eben sehr wohl für abhängig vom konkreten Inhalt der jeweiligen Meinung und dessen Bewertung. Man kommt also nicht darum herum, auch diesen zu diskutieren und zu bewerten, um sich ein Urteil darüber zu bilden, ob eine solche Forderung zu weit geht oder nicht. Und ich muss mich langsam fragen, warum du dich so sehr dagegen sträubst.

[Edit] Übrigens: Selbst wenn man einige der Arten, diese Forderung zu äußern, als Mobbing oder dergleichen auffassen kann, ist die Forderung selbst natürlich erstmal schlicht freie Meinungsäußerung. Oder siehst du das anders?

Das hängt für mich stark davon ab, wie diese Forderung begründet und geäußert wird.
"Da gibt es nichts zu diskutieren und die muss weg" hat keine Begründung sondern heißt einfach "Wir dulden keine andere Meinung!". Nicht für diese Haltung aber für diese Methode könnte ich Verständnis entwickeln, wenn Stock Russland für die Behandlung der Trans-Frage als beispielhaft bezeichnete und selbst keinen Widerspruch duldete.

Und natürlich kann man eine begründete Kündigungsforderung im dafür zuständigen Gremium einreichen. Stattdessen wird hier nur mit Lautstärke "von der Straße aus" versucht, einen Druck auf die privat finanzierte Uni, das Kollegium und natürlich die Frau selbst herzustellen.

Ich finde tatsächlich, dass an den Unis mehr und qualifizierter gestritten werden sollte als es der Fall ist, aber dieses Beispiel zeigt alles andere als einen qualifizierten Streit.
Ich sehe das Problem woanders: Die Zitierzirkel, die über Verbindungen einzelner Akteure zu den Zeitschriften gegeneinander im Wettbewerb um Zitierungen antreten, halte ich nicht für einen guten Weg, sich besseren Antworten bzw. Fragen zu nähern.

#557:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 08:20
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Das hingegen halte ich - ohne damit schon ein Urteil über den konkreten Fall Stock abzugeben - eben sehr wohl für abhängig vom konkreten Inhalt der jeweiligen Meinung und dessen Bewertung. Man kommt also nicht darum herum, auch diesen zu diskutieren und zu bewerten, um sich ein Urteil darüber zu bilden, ob eine solche Forderung zu weit geht oder nicht. Und ich muss mich langsam fragen, warum du dich so sehr dagegen sträubst.

[Edit] Übrigens: Selbst wenn man einige der Arten, diese Forderung zu äußern, als Mobbing oder dergleichen auffassen kann, ist die Forderung selbst natürlich erstmal schlicht freie Meinungsäußerung. Oder siehst du das anders?

Das hängt für mich stark davon ab, wie diese Forderung begründet und geäußert wird.

Bezieht sich das jetzt auf den Teil vor dem [edit] oder den Teil nach dem [edit]?

#558:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 11:31
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
....
Bezieht sich das jetzt auf den Teil vor dem [edit] oder den Teil nach dem [edit]?

Es bezog sich auf beide Teile.
Aber auf besonderen Wunsch speziell zur letzten Frage:
In der Massiertheit, in der diese "freie Meinungsäußerung" stattfand, finde ich diese Bezeichnung etwas trumpesk.

Diese "reinen Meinungsäußerungen" in dieser Form sind wohl auch nicht von den Drohungen zu trennen - das sind die selben Aktivisten. Menschen, die sich im Besitz der Wahrheit und deshalb auch moralisch über der restlichen Menschheit wähnen. Proud Boys in links, in England nur ohne die amerikanische Waffentradition.

Wenn sich bei uns der Antifaschismus ähnlich versteigt, haben diese Leute wenigstens noch reale Faschisten als Entschuldigung und nicht einfach Menschen mit anderer Meinung, die kurz zu Faschisten erklärt werden. Obwohl: Jule Govrin hat genau das bei Kathleen Stock versucht. Darüber fehlt mir eine Diskussion, die aber nicht auf der Straße stattfinden sollte.

#559:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 12:10
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
In der Massiertheit, in der diese "freie Meinungsäußerung" stattfand, finde ich diese Bezeichnung etwas trumpesk.

Diese "reinen Meinungsäußerungen" in dieser Form sind wohl auch nicht von den Drohungen zu trennen - das sind die selben Aktivisten.

Okay, also wenn ich eine bestimmte Meinung habe, gilt mein Recht auf freie Meinungsäußerung für diese nicht, wenn (1) zu viele andere Leute diese Meinung bereits öffentlich äußern, oder (2) es Leute mit der selben Meinung gibt, die Gewaltdrohungen verschicken. Bzw. es kann in dem Falle sogar pauschal davon ausgegangen werden, dass ich zu Letzteren gehöre, womit im Übrigen mein Recht auf freie Meinungsäußerung gleich komplett erlischt. Fasst das deine Position zu Meinungsfreiheit und Kontaktschuld korrekt zusammen?

Ich hoffe doch sehr, dass ich mich verlese, da tun sich nämlich gerade Abgründe auf.

#560:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 12:38
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
In der Massiertheit, in der diese "freie Meinungsäußerung" stattfand, finde ich diese Bezeichnung etwas trumpesk.

Diese "reinen Meinungsäußerungen" in dieser Form sind wohl auch nicht von den Drohungen zu trennen - das sind die selben Aktivisten.

Okay, also wenn ich eine bestimmte Meinung habe, gilt die Meinungsfreiheit für diese nicht, wenn (1) zu viele andere Leute das schon tun, und (2) es Leute mit der selben Meinung gibt, die Gewaltdrohungen verschicken. Tatsächlich kann in dem Falle sogar pauschal davon ausgegangen werden, dass ich das auch selbst tue. Fasst das deine Position zu Meinungsfreiheit und Kollektivschuld korrekt zusammen? ....

Nein. Wenn ich die unterschiedlichen Quellen, die ich durchgesehen habe, für mich zusammenfasse, haben wir es in Wirklichkeit mit einer sehr lautstarken Minderheit an der Grenze zur Kriminalität zu tun, die man nur dadurch bekämpfen kann, dass man sich von ihr fernhält und die eigene Meinung in anderer Art vertritt. Das ist der Rat, der auch bei Pegida, AfD und ähnlichem Gesochs gegeben wird, die ja auch, auch wenn sie selbst keine Lösung haben oder sogar kontraproduktiv sind, auf ungelöste Probleme hinweisen. Das ist der Rat, der auch Herrn Merz gegeben wird.

Ich gehe auch nicht davon aus, dass man die unbedingt braucht, um einen akademischen Diskurs anzuleiern.

#561:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 12:42
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
In der Massiertheit, in der diese "freie Meinungsäußerung" stattfand, finde ich diese Bezeichnung etwas trumpesk.

Diese "reinen Meinungsäußerungen" in dieser Form sind wohl auch nicht von den Drohungen zu trennen - das sind die selben Aktivisten.

Okay, also wenn ich eine bestimmte Meinung habe, gilt die Meinungsfreiheit für diese nicht, wenn (1) zu viele andere Leute das schon tun, und (2) es Leute mit der selben Meinung gibt, die Gewaltdrohungen verschicken. Tatsächlich kann in dem Falle sogar pauschal davon ausgegangen werden, dass ich das auch selbst tue. Fasst das deine Position zu Meinungsfreiheit und Kollektivschuld korrekt zusammen? ....

Nein. Wenn ich die unterschiedlichen Quellen, die ich durchgesehen habe, für mich zusammenfasse, haben wir es in Wirklichkeit mit einer sehr lautstarken Minderheit an der Grenze zur Kriminalität zu tun, die man nur dadurch bekämpfen kann, dass man sich von ihr fernhält und die eigene Meinung in anderer Art vertritt.

Von Leuten, die Gewaltdrohungen verschicken, sich fernzuhalten, ist sicher ganz grundsätzlich ein guter Rat. Aber was zur Hölle hat das damit zu tun, ob eine bestimmte Forderung unter die freie Meinungsäußerung fällt oder nicht??

#562:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 13:01
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
....
Von Leuten, die Gewaltdrohungen verschicken, sich fernzuhalten, ist sicher ganz grundsätzlich ein guter Rat. Aber was zur Hölle hat das damit zu tun, ob eine bestimmte Forderung unter die freie Meinungsäußerung fällt oder nicht??

Bevor Du hier weiter den Trump gibst und Gefühle zu Meinungen stilisierst:

Wir befinden uns an der Uni. Welche akademische Begründung gibt es, Kathleen Stock aus ihrem Amt zu entfernen?

#563:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 15:39
    —
Heute habe ich von einem Buch erfahren, dass das Phänomen "Woke" erklärt.

"Woke. Psychologie eines Kulturkampfs"

Ich überlege, ob ich es mir kaufe.

#564:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 17:38
    —
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Heute habe ich von einem Buch erfahren, dass das Phänomen "Woke" erklärt.

"Woke. Psychologie eines Kulturkampfs"

Ich überlege, ob ich es mir kaufe.

Ich habe mir vor einiger Zeit schon die Leseprobe angeschaut. Mein erster Eindruck ist, dass die typischen Anti-"Woke"-Talking-Points wiedergekäut werden, typischerweise auf der Grundlage anderer Anti-Woke-Bücher. Ich habe dabei den ganz starken Verdacht, dass Standpunkte der kritisiert:innen Autoren grob verfälschend wiedergegeben werden und dass dabei, wie eben auch in anderen Ant-"Woke"-Büchern, eine "Bewegung" zusammenfantasiert wird, die als Bewegung einfach nicht existiert, sondern als Feindbild aus verschiedenen einzelnen Phänomenen und Autor:innen zusammengeschustert wird.

Anscheinend wird das ganze dann noch mit Psychosoße übergossen (das scheint mir das einzig Originelle daran zu sein), und da bin ich schon generell skeptisch, ob das sachlich angemessen gemacht wird. Falls es so gemacht wird, dass eine gesellschaftliche Auseinandersetzung auf eine Weise pathologisiert wird, die nur auf individueller Ebene angemessen wäre, wäre es schon vom Ansatz her Bullshit.

Schließlich wurde das Buch auf den Ruhrbaronen außerordentlich positiv besprochen. Die sind aber gerade bei solchen Themen einfach nur eine dumme Propagandaschleuder. Was da zu einem solchen Thema positiv besprochen wird, ist schon fast garantiert keine sachliche, differenziert argumentierende Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern polemischer Scheiß.

#565:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 18:51
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Ich habe mir vor einiger Zeit schon die Leseprobe angeschaut. Mein erster Eindruck ist, dass die typischen Anti-"Woke"-Talking-Points wiedergekäut werden, typischerweise auf der Grundlage anderer Anti-Woke-Bücher. Ich habe dabei den ganz starken Verdacht, dass Standpunkte der kritisiert:innen Autoren grob verfälschend wiedergegeben werden und dass dabei, wie eben auch in anderen Ant-"Woke"-Büchern, eine "Bewegung" zusammenfantasiert wird, die als Bewegung einfach nicht existiert, sondern als Feindbild aus verschiedenen einzelnen Phänomenen und Autor:innen zusammengeschustert wird.


Schade, ich dachte, wir wären schon einen Schritt weiter.
Lies doch (nochmals), was ich im letzten November (an dich adressiert) geschrieben habe!

Ich habe auch bereits Henry Gates zitiert, der die kulturelle Linke (= dasjenige, das ich im weiten Sinn als Wache Linke bezeichne) treffenderweise eine "Regenbogenkoalition" nennt. (Richard Rorty spricht von einer "informellen Allianz von Minderheitengruppen".)
Wir haben es in der Tat mit einer bunten, mannigfaltigen, polythematischen Bewegung zu tun, die (um eine geographische Metapher zu verwenden) nicht aus einem einzigen Fluss besteht, sondern aus einem Flussnetz.

#566:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 19:19
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
(Richard Rorty spricht von einer "informellen Allianz von Minderheitengruppen".)


Eric Kaufmann nennt the woke Left "minoritarian Left" ("minoritäre Linke"). Andere nennen sie "identitarian Left" ("identitäre Linke") (wegen ihrer identity politics).

Zum besonderen Minderheitenbegriff in diesem Zusammenhang, siehe hier und hier!

Es steht also nicht der quantitative (numerische), sondern der qualitative Aspekt im Vordergrund, d.h. "minority" in der folgenden Bedeutung:

* "a part of a population thought of as differing from the rest of the population in some characteristics and often subjected to differential treatment" (Merriam-Webster)

* "a group having little power or representation relative to other groups within a society" (American Heritage)

In diesem Sinn gehört z.B. die Minderheit der Milliardäre nicht zum Klientel der Wachen Linken, weil es sich um keine machtlose, unterdrückte, fremdbestimmte, benachteiligte Minderheit handelt.


Zuletzt bearbeitet von Myron am 13.03.2024, 19:44, insgesamt 3-mal bearbeitet

#567:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 19:32
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
....
Von Leuten, die Gewaltdrohungen verschicken, sich fernzuhalten, ist sicher ganz grundsätzlich ein guter Rat. Aber was zur Hölle hat das damit zu tun, ob eine bestimmte Forderung unter die freie Meinungsäußerung fällt oder nicht??

Bevor Du hier weiter den Trump gibst und Gefühle zu Meinungen stilisierst:

Zu sagen, dass Stock von der Uni entfernt werden sollte, ist nach jeder Definition des Wortes eine Meinung, und wenn sie noch so unbegründet ist. Ich bin mir ziemlich sicher, jedes Gericht und jeder Gesetzgeber wird das genauso sehen. Und selbstverständlich fällt auch die Äußerung von Gefühlen unter Meinungsfreiheit. Dein Verständnis von Meinungsfreiheit ist absolut grauselig. Ich kann nicht fassen, dass ich dir das erklären muss. Ich hätte ganz ehrlich nicht gedacht, dass eine bloße Anerkennung einer solchen Äußerung als Meinung in dir schon derartige emotionale Widerstände hervorrufen würde, dass du Leuten ein Grundrecht absprichst. Du scheinst mir irgendwie die Anerkennung einer Meinung als von der Meinungsfreiheit gedeckt mit der Anerkennung eines darüber hinausgehenden universitären Geltungsanspruchs zu verwechseln, was mich doch sehr ernsthaft verblüfft.

Ich hatte ganz ehrlich nicht gedacht, dass mein ursprüngliches Statement zur Meinungsfreiheit überhaupt auf Widerspruch stoßen würde. Wie gesagt, da tun sich gerade Abgründe auf - und ganz ehrlich, auf so eine blödsinnige Diskussion habe ich keine Lust. Nur um diesen Krampf zu beenden ziehe ich meine ursprüngliche Äußerung zurück. Die fragliche Ansicht ist nicht von der freien Meinungsäußerung gedeckt, sondern genauso zu bewerten wie eine Morddrohung. Sperrt von mir aus jeden ein, der Stock nur schäl anschaut. Ich hoffe, damit hat sich diese Sache erledigt.


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 13.03.2024, 20:18, insgesamt 10-mal bearbeitet

#568:  Autor: vrolijkeWohnort: Stuttgart BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 20:03
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Heute habe ich von einem Buch erfahren, dass das Phänomen "Woke" erklärt.

"Woke. Psychologie eines Kulturkampfs"

Ich überlege, ob ich es mir kaufe.

Ich habe mir vor einiger Zeit schon die Leseprobe angeschaut. Mein erster Eindruck ist, dass die typischen Anti-"Woke"-Talking-Points wiedergekäut werden, typischerweise auf der Grundlage anderer Anti-Woke-Bücher. Ich habe dabei den ganz starken Verdacht, dass Standpunkte der kritisiert:innen Autoren grob verfälschend wiedergegeben werden und dass dabei, wie eben auch in anderen Ant-"Woke"-Büchern, eine "Bewegung" zusammenfantasiert wird, die als Bewegung einfach nicht existiert, sondern als Feindbild aus verschiedenen einzelnen Phänomenen und Autor:innen zusammengeschustert wird.

Anscheinend wird das ganze dann noch mit Psychosoße übergossen (das scheint mir das einzig Originelle daran zu sein), und da bin ich schon generell skeptisch, ob das sachlich angemessen gemacht wird. Falls es so gemacht wird, dass eine gesellschaftliche Auseinandersetzung auf eine Weise pathologisiert wird, die nur auf individueller Ebene angemessen wäre, wäre es schon vom Ansatz her Bullshit.

Schließlich wurde das Buch auf den Ruhrbaronen außerordentlich positiv besprochen. Die sind aber gerade bei solchen Themen einfach nur eine dumme Propagandaschleuder. Was da zu einem solchen Thema positiv besprochen wird, ist schon fast garantiert keine sachliche, differenziert argumentierende Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern polemischer Scheiß.

Danke! Schaun mer mal.

Es ist ja meistens so, dass jeder seine eigene Meinung bestätigen möchte. Anderslautende Literatur wird geflissentlich als nicht glaubhaft empfunden. zwinkern

#569:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 21:03
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Heute habe ich von einem Buch erfahren, dass das Phänomen "Woke" erklärt.

"Woke. Psychologie eines Kulturkampfs"

Ich überlege, ob ich es mir kaufe.

Ich habe mir vor einiger Zeit schon die Leseprobe angeschaut. Mein erster Eindruck ist, dass die typischen Anti-"Woke"-Talking-Points wiedergekäut werden, typischerweise auf der Grundlage anderer Anti-Woke-Bücher. Ich habe dabei den ganz starken Verdacht, dass Standpunkte der kritisiert:innen Autoren grob verfälschend wiedergegeben werden und dass dabei, wie eben auch in anderen Ant-"Woke"-Büchern, eine "Bewegung" zusammenfantasiert wird, die als Bewegung einfach nicht existiert, sondern als Feindbild aus verschiedenen einzelnen Phänomenen und Autor:innen zusammengeschustert wird.


Du kennst sicher die Redewendung "den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen"!

Zitat:
"Das Wort »Woke« dürfte, ginge es nach Verfechtern woken Denkens, gar nicht mehr verwendet werden. Denn es soll inzwischen ein rechter Kampfbegriff sein, der keinesfalls reproduziert werden dürfe.
Es ist eine Banalität zu erwähnen, dass Menschen nun einmal Begriffe benötigen, um Sachverhalte zu benennen. Bereits an diesem Punkt, der Begriffsbestimmung, kommt es zu einer absurden Forderung dieser woken Ideologie: Man darf sie nicht benennen und sie auch nicht einer Diskussion zugänglich machen."

(Bockwyt, Esther. Woke: Psychologie eines Kulturkampfs. Neu-Isenburg: Westend, 2024. S. 14)


Man kann noch einen Schritt weitergehen und zur Ablenkung argumentieren, dass es hier gar nichts Wirkliches zu benennen gebe, weil "diese woke Ideologie" nichts weiter als ein politisches Phantom sei, das Rechte zum (fiktiven) Gegenstand ihrer verschwörungstheoretischen Propaganda gegen die Linken gemacht haben.

Ich gebe dir insofern recht, als die Rede von dieser/der woken Ideologie den Umstand verschleiert, dass die Wache Linke auf der theoretischen (philosophischen) Ebene kein homogen-monolithischer Block ist. Es kann allerdings durchaus sein, dass sich bei der (radikalen) kulturellen Linken aus psychologischer Sicht ein typischer Politikstil oder Politikcharakter ihrer Vertreter ausmachen lässt. (Bockwyt ist ja Psychologin.)

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Anscheinend wird das ganze dann noch mit Psychosoße übergossen (das scheint mir das einzig Originelle daran zu sein), und da bin ich schon generell skeptisch, ob das sachlich angemessen gemacht wird. Falls es so gemacht wird, dass eine gesellschaftliche Auseinandersetzung auf eine Weise pathologisiert wird, die nur auf individueller Ebene angemessen wäre, wäre es schon vom Ansatz her Bullshit.


Es gibt einen Forschungszweig namens politische Psychologie und eine Psychologie politischer Ideologien, die keine Psychopathologie sein muss, sofern man unter ideologischem Denken nicht grundsätzlich so etwas wie "falsches Bewusstsein" versteht.

#570:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 21:20
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
....
Von Leuten, die Gewaltdrohungen verschicken, sich fernzuhalten, ist sicher ganz grundsätzlich ein guter Rat. Aber was zur Hölle hat das damit zu tun, ob eine bestimmte Forderung unter die freie Meinungsäußerung fällt oder nicht??

Bevor Du hier weiter den Trump gibst und Gefühle zu Meinungen stilisierst:

Zu sagen, dass Stock von der Uni entfernt werden sollte, ist nach jeder Definition des Wortes eine Meinung, und wenn sie noch so unbegründet ist. Ich bin mir ziemlich sicher, jedes Gericht und jeder Gesetzgeber wird das genauso sehen. Und selbstverständlich fällt auch die Äußerung von Gefühlen unter Meinungsfreiheit. Dein Verständnis von Meinungsfreiheit ist absolut grauselig. Ich kann nicht fassen, dass ich dir das erklären muss. Ich hätte ganz ehrlich nicht gedacht, dass eine bloße Anerkennung einer solchen Äußerung als Meinung in dir schon derartige emotionale Widerstände hervorrufen würde, dass du Leuten ein Grundrecht absprichst. Du scheinst mir irgendwie die Anerkennung einer Meinung als von der Meinungsfreiheit gedeckt mit der Anerkennung eines darüber hinausgehenden universitären Geltungsanspruchs zu verwechseln, was mich doch sehr ernsthaft verblüfft.

Ich hatte ganz ehrlich nicht gedacht, dass mein ursprüngliches Statement zur Meinungsfreiheit überhaupt auf Widerspruch stoßen würde. Wie gesagt, da tun sich gerade Abgründe auf - und ganz ehrlich, auf so eine blödsinnige Diskussion habe ich keine Lust. Nur um diesen Krampf zu beenden ziehe ich meine ursprüngliche Äußerung zurück. Die fragliche Ansicht ist nicht von der freien Meinungsäußerung gedeckt, sondern genauso zu bewerten wie eine Morddrohung. Sperrt von mir aus jeden ein, der Stock nur schäl anschaut. Ich hoffe, damit hat sich diese Sache erledigt.


Natürlich fällt das juristisch unter Meinungsfreiheit - das ist vor amerikanischen Gerichten auch mit einem Großteil der Trumphetze so.

Aber die juristische Ebene interessiert mich in dem Fall eigentlich nicht. Es ist ein persönlicher Angriff, bei dem versucht wird, Druck beim Arbeitgeber aufzubauen, der dazu führen soll, dass die Frau ihren Arbeitsplatz verliert. Ich empfinde das vom persönlichen Standpunkt als nicht weit entfernt von der Androhung körperlicher Gewalt. Natürlich kannst Du sagen "Ist doch nur eine Meinung, muss man doch äußern können!". Aber ich finde schon, dass man bei einer "Meinungsäußerung", die auf derartige Folgen abzielt, handfeste Gründe haben sollte.

Es geht doch angeblich um Moral und eine bessere Welt.

#571:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 21:28
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Heute habe ich von einem Buch erfahren, dass das Phänomen "Woke" erklärt.

"Woke. Psychologie eines Kulturkampfs"

Ich überlege, ob ich es mir kaufe.

Ich habe mir vor einiger Zeit schon die Leseprobe angeschaut. Mein erster Eindruck ist, dass die typischen Anti-"Woke"-Talking-Points wiedergekäut werden, typischerweise auf der Grundlage anderer Anti-Woke-Bücher. Ich habe dabei den ganz starken Verdacht, dass Standpunkte der kritisiert:innen Autoren grob verfälschend wiedergegeben werden und dass dabei, wie eben auch in anderen Ant-"Woke"-Büchern, eine "Bewegung" zusammenfantasiert wird, die als Bewegung einfach nicht existiert, sondern als Feindbild aus verschiedenen einzelnen Phänomenen und Autor:innen zusammengeschustert wird.

Anscheinend wird das ganze dann noch mit Psychosoße übergossen (das scheint mir das einzig Originelle daran zu sein), und da bin ich schon generell skeptisch, ob das sachlich angemessen gemacht wird. Falls es so gemacht wird, dass eine gesellschaftliche Auseinandersetzung auf eine Weise pathologisiert wird, die nur auf individueller Ebene angemessen wäre, wäre es schon vom Ansatz her Bullshit.

Schließlich wurde das Buch auf den Ruhrbaronen außerordentlich positiv besprochen. Die sind aber gerade bei solchen Themen einfach nur eine dumme Propagandaschleuder. Was da zu einem solchen Thema positiv besprochen wird, ist schon fast garantiert keine sachliche, differenziert argumentierende Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern polemischer Scheiß.

Mal reinhören:
https://www.youtube.com/watch?v=fsc1jYAJJhg

Ich mag ihre Art zu reden überhaupt nicht, aber die Pathologisierung, die Du prophylaktisch vermutest, findet nicht statt.

#572:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 21:50
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Aber die juristische Ebene interessiert mich in dem Fall eigentlich nicht. Es ist ein persönlicher Angriff, bei dem versucht wird, Druck beim Arbeitgeber aufzubauen, der dazu führen soll, dass die Frau ihren Arbeitsplatz verliert. Ich empfinde das vom persönlichen Standpunkt als nicht weit entfernt von der Androhung körperlicher Gewalt. Natürlich kannst Du sagen "Ist doch nur eine Meinung, muss man doch äußern können!". Aber ich finde schon, dass man bei einer "Meinungsäußerung", die auf derartige Folgen abzielt, handfeste Gründe haben sollte.

Ich bin mit allem daran einverstanden außer mit der Annäherung an Gewaltdrohungen, also an justiziable Handlungen - und diese war genau der Grund, warum ich das Recht auf freie Meinungsäußerung hier überhaupt erst angeführt hatte. Mit solchen Annäherungen lassen sich nämlich tatsächlich Grundrechte aushebeln. Zudem läuft eine Annäherung fast zwangsläufig immer in beide Richtungen, und ich glaube nicht, dass es in deinem Interesse sein kann, Gewaltdrohungen an legale Meinungsäußerungen anzunähern.

#573:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 22:02
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Man kann noch einen Schritt weitergehen und zur Ablenkung argumentieren, dass es hier gar nichts Wirkliches zu benennen gebe, weil "diese woke Ideologie" nichts weiter als ein politisches Phantom sei, das Rechte zum (fiktiven) Gegenstand ihrer verschwörungstheoretischen Propaganda gegen die Linken gemacht haben.

So weit bin ich längst gegangen, falls du es nicht mitbekommen hast.
Allerdings nicht zur Ablenkung, sondern als meine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema.

Die Argumentationsweise der Autorin lautet ja: Man braucht nun mal Begriffe für die Sachen.
Damit überspringt sie aber ganz unelegant die lästige zwischenfrage, ob es die Sache als solche überhaupt gibt. Das bestreiten Leute und lehnen den Begriff deshalb ab (und diskutieren auch darüber), sie lehnen nicht etwa den Begriff einfach so ab.

Mit der Argumentationsweise der Autorin könnten Antisemiten auch den Begriff der "jüdischen Weltverschwörung" verteidigen. Diese lästigen, idiotischen Gutmenschen, wollen uns einfach verbieten, darüber zu reden, und deswegen sogar diesen Begriff unterdrücken!
Aber irgendwie muss man nun mal über diese Sache reden, also braucht man auch den Begriff!
Damit würden die Antisemiten dann genauso wie die Autorin die Diskussion vermeiden, ob es eine jüdische Weltverschwörung überhaupt gibt oder ob das nicht einfach ausgedachter Unfug ist.

#574:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 22:05
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Heute habe ich von einem Buch erfahren, dass das Phänomen "Woke" erklärt.

"Woke. Psychologie eines Kulturkampfs"

Ich überlege, ob ich es mir kaufe.

Ich habe mir vor einiger Zeit schon die Leseprobe angeschaut. Mein erster Eindruck ist, dass die typischen Anti-"Woke"-Talking-Points wiedergekäut werden, typischerweise auf der Grundlage anderer Anti-Woke-Bücher. Ich habe dabei den ganz starken Verdacht, dass Standpunkte der kritisiert:innen Autoren grob verfälschend wiedergegeben werden und dass dabei, wie eben auch in anderen Ant-"Woke"-Büchern, eine "Bewegung" zusammenfantasiert wird, die als Bewegung einfach nicht existiert, sondern als Feindbild aus verschiedenen einzelnen Phänomenen und Autor:innen zusammengeschustert wird.

Anscheinend wird das ganze dann noch mit Psychosoße übergossen (das scheint mir das einzig Originelle daran zu sein), und da bin ich schon generell skeptisch, ob das sachlich angemessen gemacht wird. Falls es so gemacht wird, dass eine gesellschaftliche Auseinandersetzung auf eine Weise pathologisiert wird, die nur auf individueller Ebene angemessen wäre, wäre es schon vom Ansatz her Bullshit.

Schließlich wurde das Buch auf den Ruhrbaronen außerordentlich positiv besprochen. Die sind aber gerade bei solchen Themen einfach nur eine dumme Propagandaschleuder. Was da zu einem solchen Thema positiv besprochen wird, ist schon fast garantiert keine sachliche, differenziert argumentierende Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern polemischer Scheiß.

Mal reinhören:
https://www.youtube.com/watch?v=fsc1jYAJJhg

Ich mag ihre Art zu reden überhaupt nicht, aber die Pathologisierung, die Du prophylaktisch vermutest, findet nicht statt.

Nun, ich sprach ja, eben weil es nur der EIndruck aus Vorwort und Inhaltsverzeichnis war, nur im "falls".

Aber um noch etwas nur nach dem ersten EIndruck zu sagen:
Sie hat den zu meinem Eindruck schon absolut passenden Kanal gewählt.

#575:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 22:16
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:

Mal reinhören:
https://www.youtube.com/watch?v=fsc1jYAJJhg

Ich mag ihre Art zu reden überhaupt nicht, aber die Pathologisierung, die Du prophylaktisch vermutest, findet nicht statt.

Nun, ich sprach ja, eben weil es nur der EIndruck aus Vorwort und Inhaltsverzeichnis war, nur im "falls".

Aber um noch etwas nur nach dem ersten EIndruck zu sagen:
Sie hat den zu meinem Eindruck schon absolut passenden Kanal gewählt.


"Jasmin Dantas Kosubek (* 17. August 1987 in Reutlingen) ist eine deutsche Moderatorin. Sie arbeitete von 2014 bis 2021 für den mittlerweile eingestellten russischen Propaganda-Sender RT DE." (Wikipedia)

Das ist unschön. Ich kenne Bockwyts politische Einstellung nicht; aber daraus, dass sie einer RT-Tante ein Interview gegeben hat, folgt nicht, dass sie selbst rechtsextrem oder reaktionär gesinnt ist.

#576:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 22:49
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tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:

Schließlich wurde [Bockwyts] Buch auf den Ruhrbaronen außerordentlich positiv besprochen. Die sind aber gerade bei solchen Themen einfach nur eine dumme Propagandaschleuder. Was da zu einem solchen Thema positiv besprochen wird, ist schon fast garantiert keine sachliche, differenziert argumentierende Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern polemischer Scheiß.


"Die Ruhrbarone werden den Antideutschen zugerechnet." (Wikipedia)

Nur zur Information: Die sogenannten Antideutschen sind Linksextremisten!

P.S.:
Ich habe gerade bemerkt, dass Bockwyt als "Autorin der Ruhrbarone" bezeichnet wird. Da frage ich mich schon, wie ihr politisches Verhältnis zu diesen antideutschen Spinnern ist.


Zuletzt bearbeitet von Myron am 13.03.2024, 22:59, insgesamt 2-mal bearbeitet

#577:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 13.03.2024, 22:54
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Das ist unschön. Ich kenne Bockwyts politische Einstellung nicht; aber daraus, dass sie einer RT-Tante ein Interview gegeben hat, folgt nicht, dass sie selbst rechtsextrem oder reaktionär gesinnt ist.


Im Februar gewährte sie der Jungen Welt ein Interview. Daraus kann man genauso wenig schließen, dass sie linksextrem gesinnt ist.

#578:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 14.03.2024, 00:57
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tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Man kann noch einen Schritt weitergehen und zur Ablenkung argumentieren, dass es hier gar nichts Wirkliches zu benennen gebe, weil "diese woke Ideologie" nichts weiter als ein politisches Phantom sei, das Rechte zum (fiktiven) Gegenstand ihrer verschwörungstheoretischen Propaganda gegen die Linken gemacht haben.

So weit bin ich längst gegangen, falls du es nicht mitbekommen hast.


Es ist mir nicht entgangen.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Allerdings nicht zur Ablenkung, sondern als meine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema.

Die Argumentationsweise der Autorin lautet ja: Man braucht nun mal Begriffe für die Sachen.
Damit überspringt sie aber ganz unelegant die lästige zwischenfrage, ob es die Sache als solche überhaupt gibt. Das bestreiten Leute und lehnen den Begriff deshalb ab (und diskutieren auch darüber), sie lehnen nicht etwa den Begriff einfach so ab.


Wenn du meine ausführlichen Erläuterungen gelesen hast und immer noch bestreitest, dass es die Wache Linke—d.i. die (postmoderne) kulturelle, identitäre/minoritäre Linke—als reales politisches Phänomen gibt, dann muss ich dir bewusste Verstellung oder Täuschung unterstellen.

Dass es sich bei der Wachen Linken nicht um eine simple Art von Bürgerinitiative handelt, steht fest. Es handelt sich um eine breite, weitgefächerte Bewegung oder Strömung (ein "Flussnetz") innerhalb der Linken, deren theoretische Einflüsse und Grundlagen so komplex und divers sind wie diejenigen der Neuen Linken der 1960er/70er. (Ist letztere für dich auch nur ein rechtes Hirngespinst?)

Nichtsdestoweniger stehen sowohl die Neue Linke als auch die Wache Linke (als "Neueste Linke") ganz in der linken Tradition des Kampfes für "die Emanzipation des Menschen aus versklavenden Verhältnissen" (Horkheimer), dafür "alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist" (Marx).

Vorwärts marsch für Freiheit, Gleichheit & Gerechtigkeit! – Das ist an sich ein ehrenwertes Ziel; aber was genau die Wache Linke darunter versteht und daraus macht, ist eine andere Frage.

Aus analytischer Sicht besteht übrigens eine Unterscheidung zwischen der politischen Ideologie (Philosophie) der Wachen Linken und ihrer politischen Psychologie bzw. der Sozial- & Individualpsychologie ihrer Vertreter.


Zuletzt bearbeitet von Myron am 14.03.2024, 01:12, insgesamt einmal bearbeitet

#579:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 14.03.2024, 01:03
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Myron hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Das ist unschön. Ich kenne Bockwyts politische Einstellung nicht; aber daraus, dass sie einer RT-Tante ein Interview gegeben hat, folgt nicht, dass sie selbst rechtsextrem oder reaktionär gesinnt ist.


Im Februar gewährte sie der Jungen Welt ein Interview. Daraus kann man genauso wenig schließen, dass sie linksextrem gesinnt ist.

Vielleicht versuchen die Anti-"Woke"-Propagandisten die Hufeisentheorie wahr zu machen ... freakteach

#580:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 14.03.2024, 01:58
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Wenn du meine ausführlichen Erläuterungen gelesen hast und immer noch bestreitest, dass es die Wache Linke—d.i. die (postmoderne) kulturelle, identitäre/minoritäre Linke—als reales politisches Phänomen gibt, dann muss ich dir bewusste Verstellung oder Täuschung unterstellen.


Andererseits unterstelle ich jedem bewusste Verstellung oder Täuschung, oder zumindest Unwissenheit, der die politische Realität desjenigen rechten Anti-woke-Narrativs leugnet, das die Grenzen begründeter sachlicher Kritik in typisch propagandistischer Weise weit überschreitet. Die Kritik der Neuen Rechten an der Neuesten (Wachen) Linken ist selbst kritikwürdig.

Hier ist ein Aufsatz zu diesem Thema:

Zitat:
"Abstract: In this article, the so-called ‘anti-woke’ culture war is deconstructed through the notions of metapolitics in fascist discourses – linked to the Gramscian ‘hegemonisation’ and ‘the war of position’ – as well as the Schmittian friend/enemy distinction coupled with theories of deviance and moral panics. The appropriation of the neo-fascist culture war discourse by the mainstream right in the UK is analysed discursively, combining political discourse analysis, the discourse-historical approach and discourse-conceptual analysis. The anti-woke culture war by the British conservative party as well as rightwing media will serve to analyse how social justice struggles like anti-racism, anti-sexism and pro-LGBTQ rights are being abnormalised and positioned as extreme deviant political positions. Linked to this, so-called ‘cancel culture’ is strategically deployed by dominant groups to neutralise contestations against racist, sexist and anti-LGBTQ views. Finally, freedom of speech and the right to offend is weaponised to protect racist and discriminatory language and to position these idea’s as valid opinions worthy of democratic debate."

Bart Cammaerts: "The abnormalisation of social justice: The ‘anti-woke culture war’ discourse in the UK" (2022)

#581:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 14.03.2024, 12:46
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
vrolijke hat folgendes geschrieben:
Heute habe ich von einem Buch erfahren, dass das Phänomen "Woke" erklärt.

"Woke. Psychologie eines Kulturkampfs"

Ich überlege, ob ich es mir kaufe.

Ich habe mir vor einiger Zeit schon die Leseprobe angeschaut. Mein erster Eindruck ist, dass die typischen Anti-"Woke"-Talking-Points wiedergekäut werden, typischerweise auf der Grundlage anderer Anti-Woke-Bücher. Ich habe dabei den ganz starken Verdacht, dass Standpunkte der kritisiert:innen Autoren grob verfälschend wiedergegeben werden und dass dabei, wie eben auch in anderen Ant-"Woke"-Büchern, eine "Bewegung" zusammenfantasiert wird, die als Bewegung einfach nicht existiert, sondern als Feindbild aus verschiedenen einzelnen Phänomenen und Autor:innen zusammengeschustert wird.

Anscheinend wird das ganze dann noch mit Psychosoße übergossen (das scheint mir das einzig Originelle daran zu sein), und da bin ich schon generell skeptisch, ob das sachlich angemessen gemacht wird. Falls es so gemacht wird, dass eine gesellschaftliche Auseinandersetzung auf eine Weise pathologisiert wird, die nur auf individueller Ebene angemessen wäre, wäre es schon vom Ansatz her Bullshit.

Schließlich wurde das Buch auf den Ruhrbaronen außerordentlich positiv besprochen. Die sind aber gerade bei solchen Themen einfach nur eine dumme Propagandaschleuder. Was da zu einem solchen Thema positiv besprochen wird, ist schon fast garantiert keine sachliche, differenziert argumentierende Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern polemischer Scheiß.

Mal reinhören:
https://www.youtube.com/watch?v=fsc1jYAJJhg

Ich mag ihre Art zu reden überhaupt nicht, aber die Pathologisierung, die Du prophylaktisch vermutest, findet nicht statt.

Nun, ich sprach ja, eben weil es nur der EIndruck aus Vorwort und Inhaltsverzeichnis war, nur im "falls".

Aber um noch etwas nur nach dem ersten EIndruck zu sagen:
Sie hat den zu meinem Eindruck schon absolut passenden Kanal gewählt.

Interessanter Hinweis.
Allerdings sind mir, unabhängig davon, dass die Dame anscheinend bei RT gekündigt hat, weder in den Fragen noch in den Antworten RT-typische Desinformationen aufgefallen. Sonst hätte Frau Bockwyt wahrscheinlich auch Schwierigkeiten bekommen, noch einmal bei der NZZ zu schreiben - ihr normaler "Kanal".
Sie scheint einfach da aufzutreten, wo man sie lässt.

#582:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 14.03.2024, 13:04
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
fwo hat folgendes geschrieben:
Aber die juristische Ebene interessiert mich in dem Fall eigentlich nicht. Es ist ein persönlicher Angriff, bei dem versucht wird, Druck beim Arbeitgeber aufzubauen, der dazu führen soll, dass die Frau ihren Arbeitsplatz verliert. Ich empfinde das vom persönlichen Standpunkt als nicht weit entfernt von der Androhung körperlicher Gewalt. Natürlich kannst Du sagen "Ist doch nur eine Meinung, muss man doch äußern können!". Aber ich finde schon, dass man bei einer "Meinungsäußerung", die auf derartige Folgen abzielt, handfeste Gründe haben sollte.

Ich bin mit allem daran einverstanden außer mit der Annäherung an Gewaltdrohungen, also an justiziable Handlungen - und diese war genau der Grund, warum ich das Recht auf freie Meinungsäußerung hier überhaupt erst angeführt hatte. Mit solchen Annäherungen lassen sich nämlich tatsächlich Grundrechte aushebeln. Zudem läuft eine Annäherung fast zwangsläufig immer in beide Richtungen, und ich glaube nicht, dass es in deinem Interesse sein kann, Gewaltdrohungen an legale Meinungsäußerungen anzunähern.

Keine Angst - ich habe nicht vor, etwas an der Justiz zur Aushöhlung der Meinungsfreiheit zu ändern. Meinungsfreiheit ist fundamental für die Demokratie. Aber wir sollten nicht der Versuchung erliegen, zu meinen, unser Rechtssystem erlaube nur den Kapitalisten, höchst unmoralisch zu handeln.
Oder um Zille zu erweitern:
Man kann einen Menschen nicht nur mit einer Wohnung erschlagen wie mit einer Axt, man kann ihn auch durch die Nutzung der Meinungsfreiheit erledigen. Einen rein stimmungsmäßigen Druck auf einen Arbeitgeber auszuüben, jemanden zu entlassen, ist für mich ein Beispiel dafür. Andere, ähnlich wirkungsstarke Beispiele für solche Angriffe liefert sonst die BILD-Zeitung.

Wer nur die Strafbarkeit einer Handlung zum Maßstab erhebt, hat in meinen Augen einen kaputten Kompass.

#583:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 14.03.2024, 18:15
    —
fwo hat folgendes geschrieben:
Wer nur die Strafbarkeit einer Handlung zum Maßstab erhebt, hat in meinen Augen einen kaputten Kompass.

Wie gesagt: Die Meinungsfreiheit hatte ich hier nur angeführt, weil du selbst das Äußern einer solchen Forderung an Gewaltdrohungen, also an strafbare Handlungen angenähert hattest.

#584:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 15.03.2024, 21:05
    —
Die Ethnologie-Professorin Susanne Schröter hat ein Buch mit folgendem Titel geschrieben: Der neue Kulturkampf: Wie eine woke Linke Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft bedroht (Herder, 2024) – Wenn ich mich nicht irre, dann ist es das erste deutschsprachige Buch, dessen Titel die Bezeichnung "woke Linke" enthält.

#585:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 02.05.2024, 18:13
    —
Hier haben mehrere, leider anonyme Autoren eine sehr gründliche Auseinandersetzung mit dem schon diskutierten Text von Mahner geschrieben. Leseempfehlung für das Thema dieses Threads.

#586:  Autor: fwoWohnort: im Speckgürtel BeitragVerfasst am: 02.05.2024, 20:47
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Hier haben mehrere, leider anonyme Autoren eine sehr gründliche Auseinandersetzung mit dem schon diskutierten Text von Mahner geschrieben. Leseempfehlung für das Thema dieses Threads.

Und hier hat sich jemand, der weder "Wokismus" mag, noch Mahners Auseinandersetzung damit, zu dem Artikel aus dem Volksverpetzer geäußert.

#587:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.05.2024, 03:59
    —
Zitat:
"Schon die Verwendung des in der Forschung unüblichen, aber bei Verschwörungsideologen und „anti-woke“ Aktivisten James Lindsay (Co-Autor des von Mahner bereits 2022 hoch gelobten Buches Cynical Theories) gängigen Begriffs der „Critical Studies“, sollte uns zu denken geben."

Quelle: https://www.volksverpetzer.de/analyse/moral-panic-critical-studies/


Ein "unüblicher" Begriff?

In Pluckrose&Lindsay's Buch kommt er im Text nur einmal vor:

Zitat:
"Following Crenshaw’s recommendation, these rapidly emerging fields of critical studies of culture all rely heavily on social constructivism to explain why some identities are marginalized, while arguing that those social constructions are themselves objectively real."

(Pluckrose, Helen, and James Lindsay. Cynical Theories: How Activist Scholarship Made Everything about Race, Gender, and Identity; and Why This Harms Everybody. Durham, NC: Pitchstone, 2020. p. 58 )


* An der Akademie der Bildenden Künste in Wien kann man einen Master in Critical Studies erwerben: https://www.akbild.ac.at/de/studium/studienrichtungen/master-in-critical-studies

"Das Studium Master in Critical Studies orientiert sich vor allem an jenen kritischen Positionen, die u.a. von den Gender Studies, den Post- und Decolonial Studies, Subaltern Studies, Cultural Studies und Queer Studies, aber auch von der Frankfurter Schule, dem Poststrukturalismus und der Dekonstruktion inspiriert worden sind."

* An der Universität Lüneburg gibt es ein Center for Critical Studies: https://www.leuphana.de/zentren/center-for-critical-studies.html

"Das CCS zeichnet sich durch einen genealogischen Ansatz in Bezug auf zeitgenössische Probleme und Konfliktlinien aus, u. a.: Kapitalismus und Krise, Ökologie und Umwelt, Arbeit und Technologie, Kolonialismus und Dekolonialität, Gender und Queerness, Medien und Wahrheit, Rassismus und Migration, Protest und Polizei, Produktion und Reproduktion, Moderne und Postmoderne, Ästhetik und Widerstand, Aufklärung und Gegenaufklärung, Macht und Politik, Stadt und Kunst, sowie Provenienz und Eigentum."

* Beim Brill-Verlag gibt es eine Buchreihe unter dem Titel Critical Studies: https://brill.com/display/serial/CRST

* Beim Springer-Verlag gibt es ein Buch mit dem Titel Critical Studies: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-10412-2


Zuletzt bearbeitet von Myron am 03.05.2024, 05:11, insgesamt einmal bearbeitet

#588:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.05.2024, 04:21
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Ein "unüblicher" Begriff (= Critical Studies)?


Die folgenden Namen (die nicht für ein und dasselbe stehen) sind üblicher:

* Critical Theory (Frankfurt School)
* Cultural Studies (Birmingham School und darüber hinaus)

Daraus kann man Critical (Cultural) Studies machen, was auch schon getan wurde. Es gibt z.B. ein 2010 erschienenes Buch mit dem Titel Key Concepts in Critical Cultural Studies, und ein 1992 erschienenes Buch mit dem Titel Cultural Studies As Critical Theory.

#589:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.05.2024, 04:49
    —
Einige Zitate über die Cultural Studies aus einem autoritativen Fachbuch:

Zitat:
"It remains difficult to pin down the boundaries of cultural studies as a coherent, unified, academic discipline with clear-cut substantive topics, concepts and methods that differentiate it from other disciplines. Cultural studies has always been a multi- or post-disciplinary field of enquiry which blurs the boundaries between itself and other ‘subjects’. It is not physics, it is not sociology and it is not linguistics, though it draws upon these subject areas. Indeed, there must be, as [Stuart] Hall (1992a) argues, something at stake in cultural studies that differentiates it from other subject areas.

For Hall, what is at stake is the connection that cultural studies seeks to make to matters of power and cultural politics. That is, to an exploration of representations of and ‘for’ marginalized social groups and the need for cultural change. Hence, cultural studies is a body of theory generated by thinkers who regard the production of theoretical knowledge as a political practice. Here, knowledge is never a neutral or objective phenomenon but a matter of positionality, that is, of the place from which one speaks, to whom, and for what purposes. At the start of the evolution of British cultural studies the idea that the field was politically engaged was taken as a defining characteristic. Today, cultural studies’ alignment with political activism is more controversial – both inside and outside of the field."

(Barker, Chris, & Emma A. Jane. Cultural Studies: Theory and Practice. 5th ed. London: SAGE Publications, 2016. p. 5)


Zitat:
"Cultural Studies and Cultural Politics

Cultural studies is a multi-disciplinary or even post-disciplinary field of enquiry which blurs the boundaries between itself and other disciplines. However, since cultural studies does not wish to be thought of as ‘anything’ (Hall, 1992a), it has sought to differentiate itself through its politics. Cultural studies consistently claims to be centred on issues of power, politics and the need for social change. Indeed, cultural studies has aspirations to form links with political movements outside of the academy. Thus:

# Cultural studies is a body of theory reflexively produced with the idea that this process is a political practice.

For cultural studies, knowledge is never a neutral or objective phenomenon, but a matter of positionality, which Gray describes as, ‘Who can know what about whom, by what means and to what purposes’ (Gray, 1997: 94).

One of the central arguments of cultural studies is that its object of study, culture, is a zone of contestation over meaning. That is, within the field of culture, divergent understandings of the world have fought for ascendancy and the pragmatic claim to truth. In particular, meaning and truth in the domain of culture are constituted within patterns of power. It is in this sense that the ‘power to name’ and to make particular descriptions stick is a form of cultural politics.

Issues of cultural representation are ‘political’ because they are intrinsically bound up with questions of power. Power, as social regulation that is productive of the self, enables some kinds of knowledge and identities to exist and not others. It matters whether we are white or black, female or male, African or American, poor or rich, because of the differential cultural resources by which we will have been constituted and to which we will have access."

(Barker, Chris, & Emma A. Jane. Cultural Studies: Theory and Practice. 5th ed. London: SAGE Publications, 2016. pp. 601-2)


Zitat:
"Cultural politics: Concerned with issues of power in the acts of naming and representation that constitute our cultural maps of meaning. Cultural politics is concerned with the contestation over the meanings and resources of culture. It involves the writing of new languages by which to describe ourselves in the belief that this will have desirable social consequences.

Cultural studies: An interdisciplinary or post-disciplinary field of enquiry that explores the production and inculcation of maps of meaning. A discursive formation, or regulated way of speaking, concerned with issues of power in the signifying practices of human formations."

(Barker, Chris, & Emma A. Jane. Cultural Studies: Theory and Practice. 5th ed. London: SAGE Publications, 2016. p. 634)


Zitat:
"Criticizing cultural studies

Cultural studies has been criticized for, among other alleged problems, theoretical dilettante-ism, a lack of rigorous scientific method, an ahistorical focus on only contemporary readings of popular mass media texts, and being little more than a fad. Of particular provocation is cultural studies’ challenge to the idea that there exists a single objective reality or truth (…). The philosopher Roger Scruton uses this as the basis for his claim that, ‘Reason is now on the retreat, both as an ideal and as a reality’ (1999), while Harry G. Frankfurt, another contemporary philosopher, dismisses this approach to thinking as nothing less than ‘bullshit’ (2005).

In some cases, criticisms of cultural studies seem to have a degree of legitimacy – not least because some critiques come from scholars within the field itself. Graeme Turner, for instance, argues that contemporary cultural studies has lost track of its central goal of operating with political and moral purpose for the public good (2012: 12). Even [Stuart] Hall – one of the founding figures in the field – speaks of cultural studies as containing ‘a lot of rubbish’ (cited in Taylor, 2007). In others cases, however, attacks can be read as supporting the central cultural studies claim that there exists strong resistance to the notion that ‘low’ or mass popular culture be considered as seriously as those ‘high’ cultural forms that have traditionally been appreciated only by the elite. Consider, for example, the American literary critic Harold Bloom who views cultural studies as an ‘incredible absurdity’ and as yet another example of the ‘arrogance… of the semi-learned’ (cited in Gritz, 2003)."

(Barker, Chris, & Emma A. Jane. Cultural Studies: Theory and Practice. 5th ed. London: SAGE Publications, 2016. p. 8 )

#590:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.05.2024, 05:07
    —
Zitat:
"Criticizing cultural studies

…Even [Stuart] Hall – one of the founding figures in the field – speaks of cultural studies as containing ‘a lot of rubbish’ (cited in Taylor, 2007)…."

(Barker, Chris, & Emma A. Jane. Cultural Studies: Theory and Practice. 5th ed. London: SAGE Publications, 2016. p. 8 )


Stuart Hall (1932-2014) war ein Mastermind der britischen Cultural Studies. Von 1968 bis 1979 war er der Direktor des Centre for Contemporary Cultural Studies an der Universität von Birmingham (aka Birmingham School), das von 1964 bis 2002 existierte.

Zitat:
"I hadn't meant to talk to Stuart about cultural studies. But I realised that his pleas for a proper recognition of the ground upon which we operate was a way of referring to the ground-clearing work, the radical intellectual practice, that he hoped cultural studies might undertake. Was he still interested in that version of the subject?

[Hall:] "Yes, I do want to go on thinking about cultural studies. But not as a field. I never defended it as a field. I think that as a field it contains a lot of rubbish.""

(Taylor, Laurie. "Laurie Taylor’s Interviews: Culture’s Revenge: Laurie Taylor interviews Stuart Hall." New Humanist, 2007: https://newhumanist.org.uk/articles/960/cultures-revenge-laurie-taylor-interviews-stuart-hall)

#591:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.05.2024, 05:13
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

* An der Akademie der Bildenden Künste in Wien kann man einen Master in Critical Studies erwerben: https://www.akbild.ac.at/de/studium/studienrichtungen/master-in-critical-studies

"Das Studium Master in Critical Studies orientiert sich vor allem an jenen kritischen Positionen, die u.a. von den Gender Studies, den Post- und Decolonial Studies, Subaltern Studies, Cultural Studies und Queer Studies, aber auch von der Frankfurter Schule, dem Poststrukturalismus und der Dekonstruktion inspiriert worden sind."


Das ist genau der Zielbereich von Mahners Kritik!

#592:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 03.05.2024, 05:38
    —
Bisschen merkwürdig, das aus der Philosophie, Sozialwissenschaft und den Literaturwissenschaften auszulagern. An und für sich aber kein Problem. In Bochum gibt es ja auch zwei verschiedene voneinander getrennte Philosophie-Studiengänge (die übrigens beide überhaupt nichts mit Critical Studies zu tun haben).

Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 03.05.2024, 05:39, insgesamt einmal bearbeitet

#593:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.05.2024, 05:39
    —
Zitat:
"Es gibt in den von Mahner herangezogenen Disziplinen völlig selbstverständlich thematische Überschneidungen zwischen Wissenschaft und Aktivismus sowie personelle Korrelationen zwischen Wissenschaftler_innen und Akivist_innen.

Den „Critical Studies“ aber vorzuwerfen, damit größere Probleme zu haben als etwa die Physik, ist einem ehrlichen Diskurs ähnlich zuträglich, wie der Altbyzantinistik vorzuwerfen, sich im Gegensatz zur Chemie ständig mit längst vergangenen Zeiten zu befassen.

Es liegt nun einmal in der Natur des Faches. Dass die Trennung zwischen Aktivismus und Wissenschaft in den „Critical Studies“ nicht immer ausreichend sauber ist, mag stimmen."

Quelle: https://www.volksverpetzer.de/analyse/moral-panic-critical-studies/


Zitat:
"Cultural studies is a body of theory reflexively produced with the idea that this process is a political practice."

(Barker, Chris, & Emma A. Jane. Cultural Studies: Theory and Practice. 5th ed. London: SAGE Publications, 2016. p. 601)


Wie viele Chemiker, Physiker oder Altbyzantinisten verstehen ihre wissenschaftliche Arbeit von vornherein als politische Praxis?!


Zuletzt bearbeitet von Myron am 03.05.2024, 05:42, insgesamt einmal bearbeitet

#594:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 03.05.2024, 05:41
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Wie viele Chemiker, Physiker oder Altbyzantinisten verstehen ihre wissenschaftliche Arbeit von vornherein als politische Praxis?!

Gegenargument: Jeder gute Politikwissenschaftler versteht, dass sein Fach selbst nicht von seinen Auswirkungen auf das getrennt werden kann, was es erforscht, und es insofern selbst zumindest in gewisser Weise auch eine politische Praxis ist.
Dass das für Altbyzantinisten nicht ohne Weiteres gilt, liegt übrigens ausschließlich daran, dass das alte Byzanz untergegangen ist. Sobald Debatten über Geschichte politische Relevanz entwickeln, gilt das aber in Wirklichkeit auch für sie.

#595:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 03.05.2024, 05:44
    —
For the record: Ich finde die Auslagerung der Critical studies aus den Bereichen, zu denen sie ursprünglich gehören, auch merkwürdig. Und wahrscheinlich ist das auch langfristig ein Fehler. Aber ganz so leicht kann man es sich mit der Kritik nicht machen.

#596:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.05.2024, 05:51
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Wie viele Chemiker, Physiker oder Altbyzantinisten verstehen ihre wissenschaftliche Arbeit von vornherein als politische Praxis?!

Gegenargument: Jeder gute Politikwissenschaftler versteht, dass sein Fach selbst nicht von seinen Auswirkungen auf das getrennt werden kann, was es erforscht, und es insofern selbst zumindest in gewisser Weise auch eine politische Praxis ist.


Alle Wissenschaften und alle Wissenschaftler/innen sind Teil der Gesellschaft, sodass gewisse Wechselwirkungen zwischen dem wissenschaftlichen und dem außerwissenschaftlichen Bereich stattfinden; aber es ist etwas ganz anderes, wenn eine Wissenschaft grundsätzlich in den Dienst einer politischen Ideologie gestellt wird—hier einer linken—, so wie dies bei den Cultural Studies in all ihren Erscheinungsformen der Fall ist.

#597:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 03.05.2024, 05:57
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
aber es ist etwas ganz anderes, wenn eine Wissenschaft grundsätzlich in den Dienst einer politischen Ideologie gestellt wird—hier einer linken—, so wie dies bei den Cultural Studies in all ihren Erscheinungsformen der Fall ist.

Hmmm... meinst du, dass es für einen Konservativen unmöglich ist, in Critical Studies einen Abschluss zu bekommen?

#598:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.05.2024, 06:17
    —
Zitat:
"…[Im englischsprachigen Original ist sogar von „this scholarship-activism“ die Rede, einem Kernelemt der Verschwörungstheorie des Kulturmarxismus, der auch Lindsay nahesteht, wie sein Text „Race Marxism: The Truth About Critical Race Theory and Praxis“ (2022) eindrucksvoll belegt.]"

Quelle: https://www.volksverpetzer.de/analyse/moral-panic-critical-studies/


Dass der Kulturmarxismus kein Hirngespinst rechter Verschwörungstheoretiker ist, wissen die Autoren entweder nicht oder sie verschweigen es.

Zitat:
"In the collective mythology of cultural studies, Richard Hoggart (1957), Raymond Williams (1965, 1979, 1981, 1983) and Edward Palmer Thompson (1963) are held to be early figureheads representing the moment of ‘culturalism’. This perspective is later contrasted with ‘structuralism’. Indeed, culturalism is a post hoc term that owes its sense precisely to a contrast with structuralism."

(Barker, Chris, & Emma A. Jane. Cultural Studies: Theory and Practice. 5th ed. London: SAGE Publications, 2016. p. 17)


Zitat:
"One of the most far-reaching consequences of the New Left experience was the pivotal role it played in creating cultural Marxism in Britain. British cultural Marxism grew out of the effort to generate a socialist understanding of postwar Britain, to grasp the significance of working-class affluence, consumer capitalism, and the gready expanded role of the mass media in contemporary life. These changes posed a threat to the traditional Marxist assumption that the working class would inevitably usher in a socialist society. They also undermined the traditional Left's exclusive reliance on political and economic categories, for postwar transformations affected “the whole way of life” of working people and were reshaping their identities in new and complex ways. Cultural Marxists attempted to identify the contours of this new terrain and, in doing so, redefine social struggle. In opposition to orthodox Marxists who reduced culture to a secondary status—a reflection of real social relations—and conservatives who saw it as the best that has been thought and written, they viewed culture in anthropological terms, as an expression of everyday life and experience.

The development of a cultural Marxist perspective was critical to the creation of cultural studies and the development of “history from below.” Richard Hoggart, Raymond Williams, and Stuart Hall played pioneering roles in conceiving of cultural studies, an interdisciplinary critical approach to contemporary cultural practices that owed much to discussions and debates in and around the New Left. This effort was greatly advanced by the founding of the Centre for Contemporary Cultural Studies at the University of Birmingham in 1964. E. P. Thompson played a prominent role in producing a distinctive cultural Marxist history. His influential The Making of the English Working Class viewed the popular struggle of the common people in cultural terms, providing a New Left inflection to the tradition of Communist historiography. Although writers in both disciplines shared common theoretical and political oppositions and were deeply affected by the New Left context, they did not share a unified approach. Rather, they engaged in a constructive debate and dialogue that reproduced some of the fundamental tensions characteristic of the original New Left as well as creating new ones. Their collective efforts produced a new theoretical terrain."

(Dworkin, Dennis. Cultural Marxism in Postwar Britain: History, the New Left, and the Origins of Cultural Studies. Durham: Duke University Press, 1997. pp. 79-80)

#599:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.05.2024, 06:26
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
aber es ist etwas ganz anderes, wenn eine Wissenschaft grundsätzlich in den Dienst einer politischen Ideologie gestellt wird—hier einer linken—, so wie dies bei den Cultural Studies in all ihren Erscheinungsformen der Fall ist.

Hmmm... meinst du, dass es für einen Konservativen unmöglich ist, in Critical Studies einen Abschluss zu bekommen?


Er/sie sollte sich in diesem Fall besser nicht offen zum Konservatismus bekennen.
Die "Toleranz" der Wachen Linken erleben wir ja gerade an den US-Unis, wo ein antisemitischer woker Free-Palestine-Mob sein Unwesen treibt.

#600:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 03.05.2024, 06:32
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
aber es ist etwas ganz anderes, wenn eine Wissenschaft grundsätzlich in den Dienst einer politischen Ideologie gestellt wird—hier einer linken—, so wie dies bei den Cultural Studies in all ihren Erscheinungsformen der Fall ist.

Hmmm... meinst du, dass es für einen Konservativen unmöglich ist, in Critical Studies einen Abschluss zu bekommen?

Er/sie sollte sich in diesem Fall besser nicht offen zum Konservatismus bekennen.

Hast du einen Beleg dafür, dass jemand wegen so eines Bekenntnisses seinen Abschluss nicht erhalten hat?

#601:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.05.2024, 07:36
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Er/sie sollte sich in diesem Fall besser nicht offen zum Konservatismus bekennen.

Hast du einen Beleg dafür, dass jemand wegen so eines Bekenntnisses seinen Abschluss nicht erhalten hat?


Nein. Wenn jemand die Prüfungen besteht, dann darf die Universität das Abschlusszeugnis natürlich nicht verweigern; aber die Frage ist, welcher bekennende Konservative in den linken Kreisen der Cultural Studies bis zur Abschlussprüfung durchhält, ohne vorher weggemobbt zu werden.

#602:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.05.2024, 08:12
    —
Zitat:
"Mahners Herangehensweise stolpert schon in den ersten Zügen über ein schwerwiegendes Problem: die „Critical Studies“ als solches existieren nicht. Die von ihm zu einem Monolith zusammengeführten Disziplinen umfassen verschiedenste Ansätze und Methoden aus den Geistes- und Sozialwissenschaften – von Jura (z.B. Critical Race Theory) über die Soziologie bis zur Literaturwissenschaft. Der Begriff selbst ist in der von Mahner definierten Verwendung im akademischen Umfeld nicht gebräuchlich."

Quelle: https://www.volksverpetzer.de/analyse/moral-panic-critical-studies/


Die Cultural Studies und die kritische Theorie (der Frankfurter Schule) existieren sehr wohl als solche; aber ich räume ein, dass man die unterschiedlichen Theoretiker/innen und Theorien darin nicht einfach über einen Kamm scheren sollte. (Das soll nicht heißen, dass es keinerlei typische Gemeinsamkeiten gibt.)

Zur kritischen Theorie: https://plato.stanford.edu/entries/critical-theory/

(Koautor ist Robin Celikates, der sich mit dieser Materie bestens auskennt.)

Zu den Kulturstudien:

Zitat:
"It remains difficult to pin down the boundaries of cultural studies as a coherent, unified, academic discipline with clear-cut substantive topics, concepts and methods that differentiate it from other disciplines. Cultural studies has always been a multi- or post-disciplinary field of enquiry which blurs the boundaries between itself and other ‘subjects’. It is not physics, it is not sociology and it is not linguistics, though it draws upon these subject areas. Indeed, there must be, as [Stuart] Hall (1992a) argues, something at stake in cultural studies that differentiates it from other subject areas.

For Hall, what is at stake is the connection that cultural studies seeks to make to matters of power and cultural politics. That is, to an exploration of representations of and ‘for’ marginalized social groups and the need for cultural change. Hence, cultural studies is a body of theory generated by thinkers who regard the production of theoretical knowledge as a political practice. Here, knowledge is never a neutral or objective phenomenon but a matter of positionality, that is, of the place from which one speaks, to whom, and for what purposes. At the start of the evolution of British cultural studies the idea that the field was politically engaged was taken as a defining characteristic. Today, cultural studies’ alignment with political activism is more controversial – both inside and outside of the field."

(Barker, Chris, & Emma A. Jane. Cultural Studies: Theory and Practice. 5th ed. London: SAGE Publications, 2016. p. 5)


Zitat:
"Cultural studies:

* is a plural field of contesting perspectives which through the production of theory has sought to intervene in cultural politics;

* explores culture as the signifying practices of representation within the context of social power;

* draws on a variety of theories, including Marxism, structuralism, poststructuralism and feminism;

* is eclectic in its methods;

* asserts the positionality of all knowledge, including its own;

* coheres conceptually around the key ideas of culture, signifying practices, representation, discourse, power, articulation, texts, readers and consumption;

* is an interdisciplinary or post-disciplinary field of enquiry which explores the production and inculcation of maps of meaning;

* can be described as a language-game or discursive formation concerned with issues of power in the signifying practices of human life.

Above all, cultural studies is an exciting and fluid project that tells us stories about our changing world in the hope that we can improve it."

(Barker, Chris, & Emma A. Jane. Cultural Studies: Theory and Practice. 5th ed. London: SAGE Publications, 2016. pp. 42-3)


Zitat:
"Cultural studies is a multi-disciplinary or even post-disciplinary field of enquiry which blurs the boundaries between itself and other disciplines. However, since cultural studies does not wish to be thought of as ‘anything’ (Hall, 1992a), it has sought to differentiate itself through its politics. Cultural studies consistently claims to be centred on issues of power, politics and the need for social change. Indeed, cultural studies has aspirations to form links with political movements outside of the academy. Thus:

# Cultural studies is a body of theory reflexively produced with the idea that this process is a political practice.

For cultural studies, knowledge is never a neutral or objective phenomenon, but a matter of positionality, which Gray describes as, ‘Who can know what about whom, by what means and to what purposes’ (Gray, 1997: 94).

One of the central arguments of cultural studies is that its object of study, culture, is a zone of contestation over meaning. That is, within the field of culture, divergent understandings of the world have fought for ascendancy and the pragmatic claim to truth. In particular, meaning and truth in the domain of culture are constituted within patterns of power. It is in this sense that the ‘power to name’ and to make particular descriptions stick is a form of cultural politics."

(Barker, Chris, & Emma A. Jane. Cultural Studies: Theory and Practice. 5th ed. London: SAGE Publications, 2016. p. 601)


Zitat:
"Cultural studies: An interdisciplinary or post-disciplinary field of enquiry that explores the production and inculcation of maps of meaning. A discursive formation, or regulated way of speaking, concerned with issues of power in the signifying practices of human formations."

(Barker, Chris, & Emma A. Jane. Cultural Studies: Theory and Practice. 5th ed. London: SAGE Publications, 2016. p. 634)

#603:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.05.2024, 08:20
    —
Zitat:
"Es liegt nun einmal in der Natur des Faches. Dass die Trennung zwischen Aktivismus und Wissenschaft in den „Critical Studies“ nicht immer ausreichend sauber ist, mag stimmen. Das ist bei jungen Disziplinen, die hohen Anspruch auf soziale Anwendbarkeit ihrer Ergebnisse legen, immer wieder der Fall, macht diese aber nicht pseudo- oder gar antiwissenschaftlich sondern zu Disziplinen, in denen besonderes Augenmerk auf die Forschungsmethoden gelegt werden muss."

Quelle: https://www.volksverpetzer.de/analyse/moral-panic-critical-studies/


Dann werfen wir doch mal einen Blick auf die (qualitativen) Forschungsmethoden der Cultural Studies:

Zitat:
"Questions of Methodology

Cultural studies has not paid much attention to the classical questions of research methods and methodology. Thus, methodological texts by Pertti Alasuutari (1995), Jim McGuigan (1997b) and Ann Gray (2003) – and, in media studies, Alan McKee (2003), and Bonnie S. Brennen (2013) – are exceptions to the rule. Further, most of the debates in cultural studies have not been concerned with the technicalities of method but with the philosophical approaches that underpin them; that is, methodology. The most significant methodological debates within cultural studies have centred on the status of knowledge and truth, as discussed above. These are issues of epistemology, or the philosophy of knowledge. As we have seen, the realist argument is that a degree of certain knowledge about an independent object world (a real world) is possible even though methodological vigilance and reflexivity need to be maintained. Within cultural studies this point of view has more often than not appeared in a quasi-Marxist guise. In contrast, for poststructuralists knowledge is not a question of discovering objective and accurate truth but of constructing interpretations about the world which are ‘taken to be true’.

Key methodologies in cultural studies

Despite disputes about the status of knowledge, it is reasonably clear which methods are most widely deployed within cultural studies, though researchers disagree about their relative merits. We may start with the standard methodological distinction between quantitative and qualitative research methods. That is, between, respectively, methods that centre on numbers and the counting of things (e.g. statistics and surveys) and those that concentrate on the meanings generated by actors gathered through participant observation, interviews, focus groups and textual analysis. On the whole, cultural studies has favoured qualitative methods with their focus on cultural meaning.

Work in cultural studies has centred on three kinds of approach:

1. Ethnography, which has often been linked with culturalist approaches and a stress on ‘lived experience’.
2. A range of textual approaches, which have tended to draw from semiotics, poststructuralism and Derridean deconstruction.
3. A series of reception studies, which are eclectic in their theoretical roots."

(Barker, Chris, & Emma A. Jane. Cultural Studies: Theory and Practice. 5th ed. London: SAGE Publications, 2016. pp. 35-6)

#604:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.05.2024, 08:28
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Zitat:
"Key methodologies in cultural studies
…On the whole, cultural studies has favoured qualitative methods with their focus on cultural meaning.…"

(Barker, Chris, & Emma A. Jane. Cultural Studies: Theory and Practice. 5th ed. London: SAGE Publications, 2016. pp. 35-6)


In den Cultural Studies wird also vorwiegend (wenn nicht ausschließlich) "weiche Wissenschaft" betrieben.

Im wissenschaftstheoretischen Diskurs gibt es bekanntlich einen umstrittenen Gegensatz von Erklären und Verstehen, und einen entsprechenden Gegensatz von positivistischer (strikt empirischer/nomologischer/explanativer/quantitativer) Kultur-/Sozialwissenschaft und antipositivistischer (hermeneutischer/interpretativer/qualitativer) Kultur-/Sozialwissenschaft.

#605:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 03.05.2024, 08:54
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Die "Toleranz" der Wachen Linken erleben wir ja gerade an den US-Unis, wo ein antisemitischer woker Free-Palestine-Mob sein Unwesen treibt.


Da erfreut mich diese klare anti-antisemitische Stellungnahme von Hauptvertretern der kritischen Theorie wie Jürgen Habermas und Rainer Forst umso mehr: https://www.normativeorders.net/2023/grundsatze-der-solidaritat/

Zur Erinnerung: Fast alle Vertreter der ersten Generation der Frankfurter Schule waren Juden.

Diesen offenen Brief, den auch Robin Celikates (auch ein "kritischer Theoretiker") unterzeichnet hat, würde ich allerdings nicht unterschreiben: https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSdQexuMBpgFM3PK0DJUtRwYd1ZuKo3bIvsNrShXc11orOmzrA/viewform

Ein Kommentar dazu: https://jungle.world/artikel/2023/46/die-freiheit-der-barbarei

#606:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 03.05.2024, 09:18
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Er/sie sollte sich in diesem Fall besser nicht offen zum Konservatismus bekennen.

Hast du einen Beleg dafür, dass jemand wegen so eines Bekenntnisses seinen Abschluss nicht erhalten hat?

Nein. Wenn jemand die Prüfungen besteht, dann darf die Universität das Abschlusszeugnis natürlich nicht verweigern; aber die Frage ist, welcher bekennende Konservative in den linken Kreisen der Cultural Studies bis zur Abschlussprüfung durchhält, ohne vorher weggemobbt zu werden.

Selbe Frage wieder: Hast du dafür auch einen Beleg?

(Nicht dass ich das für gänzlich unplausibel halten würde. Es gibt durchaus solche Sachen im akademischen Betrieb, z. B. Mobbing gegen Marxisten und Keynesianer in den Wirtschaftswissenschaften, oder das generelle Mobbing aller gegen alle in der Rechtswissenschaft an vielen Unis. Einen Beleg hätte ich trotzdem gerne.)

Myron hat folgendes geschrieben:
In den Cultural Studies wird also vorwiegend (wenn nicht ausschließlich) "weiche Wissenschaft" betrieben.

Äh ja klar, was denn bitte sonst? Hab in meinem ganzen Leben noch niemanden getroffen, der Kulturwissenschaft zu den harten Naturwissenschaften zählt.

#607:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 05.05.2024, 19:25
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Hier haben mehrere, leider anonyme Autoren eine sehr gründliche Auseinandersetzung mit dem schon diskutierten Text von Mahner geschrieben. Leseempfehlung für das Thema dieses Threads.

Der Text ist lang. Nur eine Stelle herausgegriffen, weil ich Alan Sokal hier im Forum über die Jahre immer wieder mal erwähnt habe.


GEGEN EINE MORAL PANIC hat folgendes geschrieben:
PRÄMISSE 2 IST IN DIESER FORM FALSCH

Es stimmt zwar, dass in der postmodernistischen bzw. postmodernen Philosophie die in der Moderne vorherrschende Vorstellung von absolut wahren Überzeugungen insbesondere im sozialen Bereich hinterfragt und aufgebrochen wird, aber die Postmoderne und ihre Denker_innen generell als das relativistische Verleugnen der Existenz von Tatsachen darzustellen, ist bestenfalls eine starke Vereinfachung. [...]

Selbst Bruno Latour, der von Kritikern wie Alan Sokal häufig scharf kritisiert wurde, vertrat diesen extremen Standpunkt nicht und sah sich zu Lebzeiten wiederholt gezwungen, dieses Missverständnis aufzuklären ... Hier wird also ein weiteres grundsätzliches Problem deutlich: Mahners auf einem falschen Verständnis der postmodernen/poststrukturalistischen Theorie beruhendes und entsprechend völlig verzerrtes Bild von (linker) Identitätspolitik und den akademischen Disziplinen, die er hier ins Visier nimmt.

Von dieser Sache habe ich gehört. Laut Sokal behauptet Latour zum Beispiel, daß es vor Robert Koch keinen Tuberkelbazillus gab.

Wikipedia stellt die Sache so dar:

Zitat:
Alan Sokal kritisierte in seinem Buch „Modischer Unsinn“ [Fashionable Nonsense] Latours Relativismus, indem er sich auf einen Artikel von Latour in La Recherche aus dem Jahr 1998 bezog. In seiner Reaktion auf Untersuchungen, die zeigen, dass der Pharao Ramses II. wahrscheinlich an Tuberkulose starb, meinte Latour: „Wie konnte er an einem Bazillus sterben, der 1882 von Koch entdeckt wurde? ... Vor Koch hat der Bazillus keine wirkliche Existenz.“ Das ist genauso anachronistisch wie die Behauptung, der Pharao sei durch Maschinengewehrfeuer gestorben", sagt er.

Latour bemerkte, dass er gefragt wurde: „Glauben Sie an die Realität?“, was eine „schnelle und lachende Antwort“ zur Folge hatte.

https://en.wikipedia.org/wiki/Bruno_Latour

Im Volksverpetzer-Artikel hieß es, Latour "sah sich zu Lebzeiten wiederholt gezwungen, dieses Missverständnis aufzuklären." Die Aufklärung lautet: War ein Scherz. Scherz oder faule Ausrede? Wie auch immer. Der Scherz ist bei einigen hängengeblieben.

Aus einem Artikel der NYT, über zwei Ecken zitiert:

Statistic Modelling hat folgendes geschrieben:
Alan Sokal hat folgendes geschrieben:
NYT hat folgendes geschrieben:
So galt es lange Zeit als selbstverständlich, dass wissenschaftliche Fakten und Entitäten wie Zellen, Quarks und Prionen „da draußen“ in der Welt existieren, bevor sie von Wissenschaftlern entdeckt werden. Latour stellte diese Vorstellung auf den Kopf. In einer Reihe von kontroversen Büchern in den 1970er und 1980er Jahren vertrat er die Ansicht, dass wissenschaftliche Fakten stattdessen als Produkt wissenschaftlicher Forschung betrachtet werden sollten. ...

In Ihrem Artikel gehen Sie davon aus, dass Latours Ansicht richtig ist: Tatsächlich sagen Sie einige Absätze später, Latour habe gezeigt, „dass wissenschaftliche Fakten das Produkt allzu menschlicher Verfahren sind“. Aber wie Latour erklären auch Sie nie, inwiefern die traditionelle Sichtweise - dass Zellen, Quarks und Prionen „da draußen“ in der Welt existierten, bevor sie von Wissenschaftlern entdeckt wurden - falsch ist.

Ich stimme Sokal zu: Wissenschaftliche Fakten sind real. Ihre Entdeckung, Äußerung und (allzu oft) falsche Darstellung sind das Produkt menschlicher Verfahren, aber die Fakten und Entitäten existieren.

https://statmodeling.stat.columbia.edu/2018/12/07/40828/


Von Latour gibt es einen kleinen Aufsatz, eine semiotische Analyse der Relativität bei Einstein. Latour kommt unter anderem zum Schluß, daß die Relativität gar nicht so relativ sei, im Gegenteil, sie ermögliche, von einem Standpunkt in den anderen umzurechnen, was alles andere als relativ sei. Womit er recht hat. Allerdings übersieht er dabei, daß sich "Relativität" begriffshistorisch auf Galilei bezieht und daß es in der Speziellen Relativität möglich ist, Beispiele zu konstruieren, in denen man nicht sagen, kann welches Ereignis vor einem anderen kam.

Was Latour semiotische Analyse nennt ist nur eine auf drei Dutzend Seiten ausgewälzte Wortklauberei um "Relativität". Ich argwöhne, der Rest von Latours Arbeiten würde mich eben so wenig überzeugen.



Verwandte Beispiele aus Postcolonial Theory & Decolonizing Science

Damals, als dieser Thread aktuell war, habe ich ein bisschen rumgelesen zu diesem Thema. Ausgehend von Artikeln in Nature, Science, Scientific American bin ich deren Links und Quellenangaben gefolgt bin. Etwa ein Dutzend Artikel habe ich mir näher angesehen.

Ein Teil davon war vernünftig und nachvollziehbar, anderes war fragwürdig, der Rest hanebüchen oder gar bat shit crazy. Als hanebüchen empfand ich:

    - white empiricism. Diesen Begriffe kann ich mit einem (meinem persönlichen) Sinn aufladen und sagen ancient chinese empiricism geht anders als modern white empiricism. Mir scheint jedoch, die Formulierung greift Empirizismus als solchen an.

    - es kann mehrere Wahrheiten geben. Wird gerne wird behauptet, ohne das irgendwie einzuschränken. Den Angehörigen des Stamms der amerikanischen rednecks gefällt das, die bauen sich daraus ein TRUMP(F)-Argument. Dann wird sein ein Heulen und Zähneklappern, weil man zugelassen hat, daß alle mir nichts, dir nichts eine Wahrheit behaupten können. Fake news? Ach, nee, laß stecken. Wir haben es mit unterschiedlichen Wahrheiten zu tun.

    - Den Vogel hat eine Maori-Arbeit abgeschossen. In der hieß es sinngemäß: "Als die Europäer noch darüber nachdachten, wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen, hatten sie ihren kreativen Ansätze noch nicht aufgegeben."



tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
... eine sehr gründliche Auseinandersetzung ...

... würde so aussehen: Man einigt sich auf Kriterien, was als einschlägige Arbeit gilt, sucht Texte, die den Kriterien genügen und zählt dann, wie oft bestimmte Argumente in den Texten vorkommen.

So gesehen verstehe ich nicht, worüber in der GWUP gestritten wird. Eine Fraktion der GWUP wirft den "woken" politische und anti-progressive Agenda vor, die andere Fraktion sagt, der Vorwurf sei selbst politische und anti-progressive Agenda. (Dieser Riß geht nicht nur durch die GWUP.)

Soll die GWUP halt eine Übersichtsstudie machen. Ist das nicht im Interesse beider Seiten?


PS: Zyniker-smallie prophezeit: man wird sich bereits beim Verhandeln der Kriterien in die Haare kommen ... Pfeifen

#608:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 05.05.2024, 19:57
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Wikipedia stellt die Sache so dar:

Nicht dass ich hier Latour verteidigen wollen würde, aber du brichst dein Wikipedia-Zitat schon an einer recht bequemen Stelle ab. Vollständig zitiert lautet der Abschnitt bei Wikipedia:

Zitat:
Alan Sokal, in his Fashionable Nonsense, criticized Latour's relativism by referring to an article written by Latour in La Recherche in 1998. In his reaction to research showing that the pharaoh Ramses II probably died of tuberculosis, Latour thought "How could he pass away due to a bacillus discovered by Koch in 1882? ... Before Koch, the bacillus has no real existence." He says that it is as much of an anachronism as it would be to claim that the pharaoh died of machine-gun fire.

Latour noted that he had been asked "Do you believe in reality?", which caused a "quick and laughing answer".[55] Reality, for Latour, is neither something we have to believe in nor do we have lost access to it in the first place.

"'Do you believe in reality?' To ask such a question one has to become so distant from reality that the fear of losing it entirely becomes plausible—and this fear itself has an intellectual history [...] Only a mind put in the strangest position, looking at a world from inside out and linked to the outside by nothing but the tenuous connection of the gaze, will throb in the constant fear of losing reality; only such a bodiless observer will desperately look for some absolute life-supporting survival kit."

According to Latour, the originality of science studies lies in demonstrating that facts are both real and constructed. The accusation of a postmodern hostility to science, thus, not only fails to recognize that science studies aims at a more robust understanding how science is done in practice, but also shows a fundamental misunderstanding of the methods and insights of science studies. In fact, Latour has emphatically problematized the rise of anti-scientific thinking and so-called "alternative facts" For Latour, the recent attacks against climate sciences and other disciplines demonstrate that there is a real war on science going on requiring a more intimate cooperation between science and science studies.


https://en.wikipedia.org/wiki/Bruno_Latour (Abschnitt "In the Science Wars")

Wie gesagt, hab' keine Veranlassung, mich in einen wissenschaftstheoretischen Streit um Latour einzumischen und wäre in einem solchen wohl auch nicht auf seiner Seite. Hätte dazu aber wahrscheinlich auch nicht allzuviel beizutragen, da ich Latour schlichtweg nicht gut genug kenne - den von Sokal rezipierten Artikel Latours aus La Recherche von 1998 habe ich z. B. nicht gelesen. Mir war nur beim Lesen aufgefallen, dass du da an einer doch recht interessanten Stelle das Zitat abbrichst.

#609:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 06.05.2024, 20:15
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Wikipedia stellt die Sache so dar:

Nicht dass ich hier Latour verteidigen wollen würde, aber du brichst dein Wikipedia-Zitat schon an einer recht bequemen Stelle ab.

Weil das Zitat auch nichts anderes sagt, als was schon der Volksverpetzer-Artikel sagt.


Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Zitat:
Latour noted that he had been asked "Do you believe in reality?", which caused a "quick and laughing answer".[55] Reality, for Latour, is neither something we have to believe in nor do we have lost access to it in the first place.

"'Do you believe in reality?' To ask such a question one has to become so distant from reality that the fear of losing it entirely becomes plausible—and this fear itself has an intellectual history [...] Only a mind put in the strangest position, looking at a world from inside out and linked to the outside by nothing but the tenuous connection of the gaze, will throb in the constant fear of losing reality; only such a bodiless observer will desperately look for some absolute life-supporting survival kit."

According to Latour, the originality of science studies lies in demonstrating that facts are both real and constructed. The accusation of a postmodern hostility to science, thus, not only fails to recognize that science studies aims at a more robust understanding how science is done in practice, but also shows a fundamental misunderstanding of the methods and insights of science studies.

Das steckt alles in diesem Satz, samt Einschätzung. Was wäre gewonnen, wenn ich Latours Aufklärung zitiere?

smallie hat folgendes geschrieben:
Im Volksverpetzer-Artikel hieß es, Latour "sah sich zu Lebzeiten wiederholt gezwungen, dieses Missverständnis aufzuklären." Die Aufklärung lautet: War ein Scherz. Scherz oder faule Ausrede?

Dann gehe ich einen Schritt weiter und sage: Mißverständnis oder nicht, das Mißverständnis besteht weiter.

smallie hat folgendes geschrieben:
Wie auch immer. Der Scherz ist bei einigen hängengeblieben.



Sokal nennt ein weiteres Zitat Latours:

Sokal hat folgendes geschrieben:
Um die Zweideutigkeiten in Latours Thesen besser zu verstehen, sollten wir die dritte Regel der Methoden [Rules of Method] aus seinem Buch Science in Action noch einmal lesen:

    „Since the settlement of a controversy is the cause of Nature's representation, not the consequence, we can never use the outcome -- Nature -- to explain how and why a controversy has been settled“

Offensichtlich liegt hier eine tiefgreifende Verwechslung zwischen „Nature's representation“ und „Nature“ vor, d. h. zwischen unseren Theorien über die Welt und der Welt selbst. Je nachdem, wie man die Zweideutigkeit auflöst (indem man zweimal „Nature's representation“ oder „Nature“ verwendet), kann man zu [vier verschiedenen Aussagen kommen]

... In der Tat ist diese Art von Mehrdeutigkeit in Debatten sehr nützlich: Die radikale Interpretation kann verwendet werden, um die Aufmerksamkeit von in der Philosophie unerfahrenen Lesern zu erregen; und die harmlose Interpretation kann als Rückzugspunkt verwendet werden, wenn die offensichtliche Falschheit der radikalen Interpretation aufgedeckt wird („aber das habe ich nie gesagt ...“).

https://physics.nyu.edu/faculty/sokal/le_monde_english.html


Abgesehen davon ist Latour kein Einzelfall. Sokal zitiert:

    For the relativist [such as ourselves] there is no sense attachted to the idea that some standards or beliefs are really rational as distinct from merely locally accepted as such. - Barnes and Bloor, 1981

    Science legitimates itself by linking its discoveries with power, a connection whicht determines (not merely influences) what counts as reliable knowledge. - Aronowitz, 1988

#610:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 07.05.2024, 04:19
    —
Wen's interessiert, hier ist ein selbstkritischer Artikel von Latour aus dem Jahr 2004:

Why Has Critique Run out of Steam? From Matters of Fact to Matters of Concern (PDF)

Ein Kommentar dazu: How Critical Theory Learned to Trust the Science

#611:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 07.05.2024, 19:16
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Wen's interessiert, hier ist ein selbstkritischer Artikel von Latour aus dem Jahr 2004:

Why Has Critique Run out of Steam? From Matters of Fact to Matters of Concern (PDF)

Danke für diesen Link.

...to Matters of Concern hat folgendes geschrieben:
Habe ich mich törichterweise geirrt? Haben sich die Dinge so schnell geändert? In diesem Fall ginge die Gefahr nicht mehr von einem übermäßigen Vertrauen in ideologische Argumente aus, die sich als Tatsachen ausgeben - wie wir in der Vergangenheit so effizient zu bekämpfen gelernt haben -, sondern von einem übermäßigen Misstrauen gegenüber guten Tatsachen, die als schlechte ideologische Vorurteile getarnt sind!

War es falsch von mir, an der Erfindung dieses Bereichs, der als Wissenschaftsforschung [science studies] bekannt ist, mitzuwirken? Reicht es aus zu sagen, dass wir nicht wirklich gemeint haben, was wir gesagt haben? Warum brennt es mir auf der Zunge zu sagen, dass die globale Erwärmung eine Tatsache ist, ob es einem nun gefällt oder nicht? ... Sollten wir uns dafür entschuldigen, dass wir uns die ganze Zeit geirrt haben? Oder sollten wir lieber das Schwert der Kritik auf die Kritik selbst richten und hier ein wenig in uns gehen: Was wollten wir wirklich, als wir so sehr darauf bedacht waren, die soziale Konstruktion wissenschaftlicher Fakten aufzuzeigen? Es gibt schließlich keine Garantie dafür, dass wir immer Recht haben werden. Auch für die Kritik gibt es keinen sicheren Grund.

Was wäre, wenn Erklärungen, die sich automatisch auf die Macht, die Gesellschaft, den Diskurs berufen, ihren Nutzen überlebt hätten und so weit verkommen wären, dass sie nur noch die leichtgläubigste Art von Kritik nähren? ... Natürlich sind Verschwörungstheorien eine absurde Deformation unserer eigenen Argumente, aber wie Waffen, die durch eine undichte Grenze an die falschen Partei geschmuggelt werden, sind dies dennoch unsere Waffen. Trotz aller Verformungen ist unser Markenzeichen, das in den Stahl eingebrannt ist, leicht zu erkennen: Made in Criticalland.

Respekt.

Jetzt stehe ich blöd da mit meinem Vorwurf von Scherz und fauler Ausrede. Autsch.

Gegen eine Moral Panic hat folgendes geschrieben:
Hier wird also ein weiteres grundsätzliches Problem deutlich: Mahners auf einem falschen Verständnis der postmodernen/poststrukturalistischen Theorie beruhendes und entsprechend völlig verzerrtes Bild von (linker) Identitätspolitik und den akademischen Disziplinen, die er hier ins Visier nimmt.

Latour spricht von science studies und steckt damit alle critical studies in einen Sack. War das nicht gerade noch verpönt? Er spricht von "Erklärungen, die sich automatisch auf die Macht, die Gesellschaft, den Diskurs berufen". Was typisch für die kritisierten Disziplinen ist. So gesehen taugt der geläuterte Latour als Zeuge für Mahners Verständnis.

#612:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.05.2024, 04:22
    —
Unter science studies kann man im weiten Sinn Wissenschaftswissenschaft (science of science) verstehen, die folgende Bereiche umfasst: Wissen(schaft)ssoziologie, Wissenschaftspsychologie und Wissenschaftsgeschichte. Die Wissenschaftswissenschaft überschneidet sich mit der Wissenschaftsphilosophie/-theorie.

Im engeren Sinn verstehe ich unter science studies einen Zweig der linkspolitisch ausgerichteten (critical) cultural studies, der sich mit den Gebieten der allgemeinen Wissenschaftswissenschaft und -philosophie überschneidet.

Die großen Gegensätze:
– Naturalismus vs. Konstruktivismus
– Realismus vs. Instrumentalismus
– Repräsentationalismus vs. Antirepräsentationalismus
– epistemischer Fundamentalismus (Universalismus) vs. epistemischer Antifundamentalismus (Antiuniversalismus)
– Positivismus vs. Antipositivismus

Der wissenschaftliche Konstruktivismus (scientific constructivism) ist ein großes Thema in den science studies.

Zitat:
"If we take the metaphor of the manufacture of knowledge seriously, science emerges from the constructivist interpretation as a 'way of world-making' (Goodman, 1978). A factory is a production facility, and not an establishment designed to mimic nature. Nor would it seem that a process of fabrication is best described by a model which one-sidedly conceives of science as problem-solving (Laudan, 1977). The problem-solving model suggests that science is a successful tool for adequately coping with the world, even though we may not want to think of it as correctly representing the world. The vision behind this model is that of a decreasing stock of problems constituted by what we do not yet know about how to handle the world-out-there. The vision behind the constructivist programme as I conceive of it is that of a potentially increasing stock of problems created by science in the process of secreting an unending stream of entities and relations that make up 'the world'. The 'unknown world' as an intentional object of science is itself a function of a constantly changing scientific practice, of what at every moment of scientific work emerges as the known world. But this known world is a cultural object, a world identified and embodied in our language and our practices.

Thus, accepted theories must indeed be considered more than just useful instruments for facilitating measurements and observations, in the sense that they identify for us in our language and practices (and what more could there be?) what 'the world' really is and what it consists of. Yet this 'world' is itself the outcome of a process of inquiry which is construed generatively and ontologically, rather than descriptively and epistemologically. More concretely, inquiry is 'about' ever new procedures in terms of which 'something' can be practically reliably encountered and recognized as an object which displays identifiable characteristics, and which can thereby become incorporated in and constitutive of our future world.

To conclude, the interpretation of science I have advanced entails neither a subjectivist position (see the respective accusations of Bazerman, 1980, and Cozzens, 1980, against the La Jolla study) nor a relativist position in the common (say Mannheim's, 1954) sense of the word. It requires the working out of an empirical, constructivist epistemology which conceives of the order generated by science as a (material) process of embodiment and incorporation of objects in our language and practices. Needless to say, the effort to develop such an interpretation of science has only just begun. Quite obviously, I think that the programme will profit from (but need not be bounded by) the microscopic investigation of scientific practice."

(Knorr-Cetina, Karin D. "The Ethnographic Study of Scientific Work: Towards a Constructivist Interpretation of Science." In Science Observed: Perspectives on the Social Study of Science, edited by Karin D. Knorr-Cetina & Michael Mulkay, 115-140. London: SAGE, 1983. pp. 135-6)

#613:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.05.2024, 07:36
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Der wissenschaftliche Konstruktivismus (scientific constructivism) ist ein großes Thema in den science studies.


Zitat:
"Social constructionism is a particularly radical form of conceptual relativism with implications for our understanding of the methodology and subject matter of the sciences. According to social constructionism, nature as studied by scientists does not come carved at its joints (to use Plato’s metaphor from Phaedrus: 265d–266a). Reality—with its objects, entities, properties and categories—is not simply “out there” to be discovered only by empirical investigation or observation; rather, it is constructed through a variety of norm-governed socially sanctioned cognitive activities such as interpretation, description, manipulation of data, etc. Social constructionism has relativistic consequences insofar as it claims that different social forces lead to the construction of different “worlds” and that there is no neutral ground for adjudicating between them. The “Science Studies” approach of Bruno Latour is a prime example of constructionism with relativistic consequences. Latour and Woolgar (1986) have argued that so-called “scientific facts” and the “truths” of science emerge out of social and conceptual practices and inevitably bear their imprints. This is because the very idea of a mind-independent reality open to scientific study, or as they call it “out-there-ness”, itself is the consequence of scientific work rather than the cause. A crucial difference between scientific realists and constructionists is that whereas the realists see nature and society as the causes that explain the outcomes of scientific enquiry, for the constructionists the activity of

scientists and engineers and of all their human and non-human allies is the cause, of which various states of nature and societies are the consequence. (Callon & Latour 1992: 350–1)

Scientific theories are also products of socially constituted practices. They are

contextually specific constructions which bear the mark of the situated contingency and interest structure of the process by which they are generated. (Knorr-Cetina 1981: 226)

So called “scientific facts” and “natural kinds”, the primary subjects of scientific investigation are, at least in part, the products of the contingent social and epistemic norms that define the very subject matter of science. It may be argued that the view, if taken literally, entails a counter-intuitive form of backward causation to the effect that, for instance, the scientific facts about dinosaur anatomy 50 million years ago were caused in the 20th century when a scientific consensus about dinosaur anatomy was formed (see Boghossian 2006a). But constructionism, at least in its most extreme form, accepts this consequence, insisting that there are indeed no facts except for socially constructed ones, created and modified at particular times and places courtesy of prevailing theoretical and conceptual frameworks."

Relativism: https://plato.stanford.edu/entries/relativism/

#614:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 08.05.2024, 07:43
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Relativism: https://plato.stanford.edu/entries/relativism/


Zum Einstieg in das Thema Relativismus ist dieser ausgezeichnete SEP-Artikel nachdrücklich zu empfehlen!
Wem dieser nicht genügt, dem empfehle ich dieses Buch über dasselbe Thema, dessen Koautorin Maria Baghramian auch die Koautorin des SEP-Artikels ist: https://www.routledge.com/Relativism/Baghramian-Coliva/p/book/9781138818552

#615:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 08.05.2024, 20:31
    —
Zu einem weiteren Thema:

Gegen eine Moral Panic hat folgendes geschrieben:
Der wohl bedeutendste Streitfall in der Debatte ist die Forderung, die „Critical Studies“ unter den Generalverdacht der Pseudowissenschaftlichkeit zu stellen und die GWUP zur Bekämpfung dieser zu instrumentalisieren. Dass diese Forderung Produkt einer Moral Panic sowie mangelnder Recherche und Expertise ist, werden wir im Folgenden exemplarisch deutlich machen.

Mangelnde Recherche und Expertise. So, so.


Gegen eine Moral Panic hat folgendes geschrieben:
FRAUEN UND IHRE HÖHERE LEBENSERWARTUNG ALS MÄNNER

Andererseits zeigt sich, dass in den meisten Ländern Frauen eine höhere Lebenserwartung als Männer aufweisen (Kolip und Hurrelmann 2002). Die Gründe für die kürzere Lebenserwartung von Männern (insbesondere in Industrienationen) liegen primär im geschlechtsspezifisch geprägten sozialen Verhalten (Hornberg et al. 2016). Erlernte Geschlechterstereotype und durch Sozialisation verfestigte Rollenmuster beeinflussen sowohl die Gesundheit selbst, als auch das gesundheitsbezogene Verhalten: Männlichkeitsideale tragen zu einer erhöhten Risikobereitschaft bei, beispielsweise tendieren insbesondere junge Männer zu riskantem Verhalten im Straßenverkehr, wodurch sie deutlich häufiger Straßenverkehrsunfälle verursachen und auch häufiger verunglücken.

Tja. Weder die Autoren noch ihre Quellen wissen, was die Evolutionsbiologie, namentlich George C. Williams dazu gesagt hat. Das ist nicht so obskur, daß man Super-Spezial-Experte sein muß, um schon davon gehört zu haben. Auf Williams geht die gen-zentrische Sicht zurück, die Richard Dawkins später im egoistischen Gen popularisiert hat. Mit ein bisschen Recherche wäre die "Großmutter-Hypothese", die bei Williams erstmals auftaucht, leicht zu finden gewesen. Auch wenn es nur eine Hypothese ist, sie gehört erwähnt. Entweder fehlt das nötige google-fu zur Recherche - oder sie haben gar nicht recherchiert. Das betrifft nicht nur eine Person, sondern den ganzen Haufen. Interdisziplinäre-Scheuklappen-Experten.


George C. Williams hat folgendes geschrieben:
Pleiotropie, Natürliche Selektion und die Evolution des Alterns
1957

(6) Im normalen Lebenszyklus jeder Art sollte es nur eine geringe oder gar keine postreproduktive Phase geben.

Im gesamten Tierreich ist es eine allgemeine Regel, dass Weibchen länger leben als Männchen; es scheint also, dass die theoretischen Erwartungen erfüllt werden. Es gibt einige mögliche Ausnahmen, und leider beruhen sowohl die Regel als auch die Ausnahmen auf spärlichen Daten.

Auf den ersten Blick scheint es, dass diese Vorhersage nicht zutrifft. ...

[...]

Irgendwann im Laufe der menschlichen Evolution mag es für eine fünfundvierzig- oder fünfzigjährige Frau von Vorteil gewesen sein, ihre nachlassenden Fähigkeiten nicht mehr zwischen der Pflege der vorhandenen Nachkommen und der Erzeugung neuer Kinder aufzuteilen.

Die Beendigung der zunehmend gefährlichen Schwangerschaften würde es ihr ermöglichen, ihre gesamte verbleibende Energie der Betreuung ihrer lebenden Kinder zu widmen, und die Sterblichkeit bei der Geburt würde als mögliche Ursache für das Scheitern bei der Erziehung dieser Kinder wegfallen.

Die Menopause, obwohl offensichtlich eine Beendigung der Fortpflanzung, könnte als reproduktive Anpassung an einen Lebenszyklus entstanden sein, der bereits durch Alterung, ungewöhnliche Gefahren bei Schwangerschaft und Geburt und eine lange Zeit der frühkindlichen Abhängigkeit gekennzeichnet war. In diesem Fall ist es unangebracht, die Menopause als Teil des Alterungssyndroms zu betrachten.

https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/j.1558-5646.1957.tb02911.x

Wenn Leute von sowas noch nichts gehört haben, wundert es mich nicht, daß sie sich fragen, warum, warum nur, widersprechen Leute wie Mahner oder smallie unseren Thesen? Das kann nur Zeichen einer unseligen anti-progressiven Agenda sein!

#616:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 08.05.2024, 22:33
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Gegen eine Moral Panic hat folgendes geschrieben:
FRAUEN UND IHRE HÖHERE LEBENSERWARTUNG ALS MÄNNER

Andererseits zeigt sich, dass in den meisten Ländern Frauen eine höhere Lebenserwartung als Männer aufweisen (Kolip und Hurrelmann 2002). Die Gründe für die kürzere Lebenserwartung von Männern (insbesondere in Industrienationen) liegen primär im geschlechtsspezifisch geprägten sozialen Verhalten (Hornberg et al. 2016). Erlernte Geschlechterstereotype und durch Sozialisation verfestigte Rollenmuster beeinflussen sowohl die Gesundheit selbst, als auch das gesundheitsbezogene Verhalten: Männlichkeitsideale tragen zu einer erhöhten Risikobereitschaft bei, beispielsweise tendieren insbesondere junge Männer zu riskantem Verhalten im Straßenverkehr, wodurch sie deutlich häufiger Straßenverkehrsunfälle verursachen und auch häufiger verunglücken.

Tja. Weder die Autoren noch ihre Quellen wissen, was die Evolutionsbiologie, namentlich George C. Williams dazu gesagt hat. Das ist nicht so obskur, daß man Super-Spezial-Experte sein muß, um schon davon gehört zu haben. Auf Williams geht die gen-zentrische Sicht zurück, die Richard Dawkins später im egoistischen Gen popularisiert hat. Mit ein bisschen Recherche wäre die "Großmutter-Hypothese", die bei Williams erstmals auftaucht, leicht zu finden gewesen. Auch wenn es nur eine Hypothese ist, sie gehört erwähnt. Entweder fehlt das nötige google-fu zur Recherche - oder sie haben gar nicht recherchiert. Das betrifft nicht nur eine Person, sondern den ganzen Haufen. Interdisziplinäre-Scheuklappen-Experten.

Die Großmutter-Hypothese bezieht sich doch auf die Menopause. Darum geht e im zitierten Abschnitt aber nichts. Also warum hätte die Großmutter-Hypothese hier vorkommen sollen?

#617:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 09.05.2024, 01:32
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Zu einem weiteren Thema:

Gegen eine Moral Panic hat folgendes geschrieben:
Der wohl bedeutendste Streitfall in der Debatte ist die Forderung, die „Critical Studies“ unter den Generalverdacht der Pseudowissenschaftlichkeit zu stellen und die GWUP zur Bekämpfung dieser zu instrumentalisieren. Dass diese Forderung Produkt einer Moral Panic sowie mangelnder Recherche und Expertise ist, werden wir im Folgenden exemplarisch deutlich machen.

Mangelnde Recherche und Expertise. So, so.


Dass ausgerechnet die Kultur- & Sozialtheoretiker (insbesondere die Wissenschaftstheoretiker) der hypermoralischen und hypersensiblen Wachen Linken ihren Gegnern "moralische Panik" vorwerfen, ist kurios, gelinde gesagt.

#618:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 09.05.2024, 01:52
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Die "Toleranz" der Wachen Linken erleben wir ja gerade an den US-Unis, wo ein antisemitischer woker Free-Palestine-Mob sein Unwesen treibt.


Da erfreut mich diese klare anti-antisemitische Stellungnahme von Hauptvertretern der kritischen Theorie wie Jürgen Habermas und Rainer Forst umso mehr: https://www.normativeorders.net/2023/grundsatze-der-solidaritat/

Zur Erinnerung: Fast alle Vertreter der ersten Generation der Frankfurter Schule waren Juden.

Diesen offenen Brief, den auch Robin Celikates (auch ein "kritischer Theoretiker") unterzeichnet hat, würde ich allerdings nicht unterschreiben: https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSdQexuMBpgFM3PK0DJUtRwYd1ZuKo3bIvsNrShXc11orOmzrA/viewform

Ein Kommentar dazu: https://jungle.world/artikel/2023/46/die-freiheit-der-barbarei


Hier ist ein neuer offener Brief aus dem Kreis der akademischen Linken, worin die Besetzung von Uni-Gelände durch Free-Palestine-Demonstraten gutgeheißen und unterstützt wird:

https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSfVy2D5Xy_DMiaMx2TsE7YediR6qifxoLDP1zIjKzEl9t1LWw/viewform

Zu den Unterzeichnern gehört Rahel Jaeggi, eine prominente Vertreterin der jüngsten Generation der kritischen Theorie.

Medienartikel dazu:

* https://www.spiegel.de/panorama/propalaestinensische-proteste-an-universitaeten-in-berlin-lehrende-stellen-sich-hinter-studierende-a-1707b3f3-b34c-4760-a2e4-1057fc67ee6e

* https://www.spiegel.de/panorama/bildung/bildungsministerin-stark-watzinger-fassungslos-ueber-offenen-brief-von-uni-dozenten-a-f1bb59d1-3c0b-4358-955e-241e10790aee

#619:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 09.05.2024, 11:49
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Die "Toleranz" der Wachen Linken erleben wir ja gerade an den US-Unis, wo ein antisemitischer woker Free-Palestine-Mob sein Unwesen treibt.


Da erfreut mich diese klare anti-antisemitische Stellungnahme von Hauptvertretern der kritischen Theorie wie Jürgen Habermas und Rainer Forst umso mehr: https://www.normativeorders.net/2023/grundsatze-der-solidaritat/

Zur Erinnerung: Fast alle Vertreter der ersten Generation der Frankfurter Schule waren Juden.

Diesen offenen Brief, den auch Robin Celikates (auch ein "kritischer Theoretiker") unterzeichnet hat, würde ich allerdings nicht unterschreiben: https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSdQexuMBpgFM3PK0DJUtRwYd1ZuKo3bIvsNrShXc11orOmzrA/viewform

Ein Kommentar dazu: https://jungle.world/artikel/2023/46/die-freiheit-der-barbarei


Hier ist ein neuer offener Brief aus dem Kreis der akademischen Linken, worin die Besetzung von Uni-Gelände durch Free-Palestine-Demonstraten gutgeheißen und unterstützt wird:

https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSfVy2D5Xy_DMiaMx2TsE7YediR6qifxoLDP1zIjKzEl9t1LWw/viewform

Lies noch mal.

Tipp:
"Sie haben das Recht dazu" =/= "Ich finde das gut und unterstütze das"

#620:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 09.05.2024, 11:54
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Zu einem weiteren Thema:

Gegen eine Moral Panic hat folgendes geschrieben:
Der wohl bedeutendste Streitfall in der Debatte ist die Forderung, die „Critical Studies“ unter den Generalverdacht der Pseudowissenschaftlichkeit zu stellen und die GWUP zur Bekämpfung dieser zu instrumentalisieren. Dass diese Forderung Produkt einer Moral Panic sowie mangelnder Recherche und Expertise ist, werden wir im Folgenden exemplarisch deutlich machen.

Mangelnde Recherche und Expertise. So, so.


Dass ausgerechnet die Kultur- & Sozialtheoretiker (insbesondere die Wissenschaftstheoretiker) der hypermoralischen und hypersensiblen Wachen Linken ihren Gegnern "moralische Panik" vorwerfen, ist kurios, gelinde gesagt.

Das ist nicht kurios, das ist eine angemessene Beschriebung der Lage.
Wie sich die Leute darin überbieten, ständig neue Bücher, Artikel usw. auf den Markt zu schmeißen und dabei allerlei Untergangsszenarien zu beschwören, ist doch nur noch absurd.

Von einer der Protagonistinnen des Anti-Trans-Aktivismus (ich müsste nachgucken, welche) las ich auch das Zitat "Gendern macht mir Angst". Ich meine, man muss das Gendern ja nicht gut finden ... aber Angst? Lächerlich. Was soll das denn sonst sein, wenn nicht moralische Panik?
Dito die ganzen Horroszenarien, die der Anti-Trans-Aktivismus bzgl. des Selbstbestimmungsgesetzes u.Ä. heraufbeschwört.
Die Beispiele ließen sich fortsetzen.

#621:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 09.05.2024, 13:57
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Die Großmutter-Hypothese bezieht sich doch auf die Menopause.

Für mich gehört auch dies zur These: wenn Großmütter evolutionär nützlich sind, dann haben langlebige Großmütter einen Vorteil. Deshalb leben Frauen länger als Männer.


Der Artikel versteift sich auf soziale Ursachen, ohne andere Erklärungen überhaupt in Betracht zu ziehen.

Gegen eine Moral Panic hat folgendes geschrieben:
Die Gründe für die kürzere Lebenserwartung von Männern (insbesondere in Industrienationen) liegen primär im geschlechtsspezifisch geprägten sozialen Verhalten (Hornberg et al. 2016).

Wie zeigt man das? Die ersten 30 Seiten sind hier zu lesen.

Hornberg hat folgendes geschrieben:
Geschlecht und Gesellschaft

Eine angemessene Beschäftigung mit den Ursachen und Folgen männlicher Gesundheitsprobleme und Gesundheitsressourcen ist mehr als überfällig. Sie sollte sich nicht darin erschöpfen, die Liste von Risikoverhaltensweisen, die Männern attestiert werden wie Rauschmittelkonsum, Fehlernährung, Präferenz für gefährliche Sportarten, riskantes Verhalten im Straßenverkehr, mit den „gesünderen“ Verhaltensweisen und Lebensstilen von Frauen zu kontrastieren.

Betrachten wir eine Gruppe von Männern, die sich weiblich gesund verhalten und vergleichen deren Lebenserwartung mit der von Frauen. Wenn die Ursache für die Altersdifferenz der Geschlechter primär in sozial geprägtem Verhalten liegt, sollten diese Männer ebenso alt werden, wie Frauen.

Ich bezweifle stark, daß es so ist.


Gegen eine Moral Panic hat folgendes geschrieben:
Erlernte Geschlechterstereotype und durch Sozialisation verfestigte Rollenmuster beeinflussen sowohl die Gesundheit selbst, als auch das gesundheitsbezogene Verhalten: Männlichkeitsideale tragen zu einer erhöhten Risikobereitschaft bei, beispielsweise tendieren insbesondere junge Männer zu riskantem Verhalten im Straßenverkehr, wodurch sie deutlich häufiger Straßenverkehrsunfälle verursachen und auch häufiger verunglücken.

Die erhöhte Risikobereitschaft als erlerntes Stereotyp zu sehen, überzeugt mich auch nicht. Das ist als würde man sagen, die zu 90% männlichen Gefängnisinsassen werden durch erlerntes Verhalten erklärt.

#622:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 09.05.2024, 15:06
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Wie sich die Leute darin überbieten, ständig neue Bücher, Artikel usw. auf den Markt zu schmeißen und dabei allerlei Untergangsszenarien zu beschwören, ist doch nur noch absurd.

Das hat eine lange Tradition. Von der Offenbarung des Johannes über Nostradamus, Die sieben Todsünden der Menschheit, Die Grenzen des Wachstums bis hin zu Deutschland schafft sich ab.

Dein Satz ist mir zu unspezifisch. Er gilt für alle Themen.


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Von einer der Protagonistinnen des Anti-Trans-Aktivismus (ich müsste nachgucken, welche) las ich auch das Zitat "Gendern macht mir Angst". Ich meine, man muss das Gendern ja nicht gut finden ... aber Angst? Lächerlich.

So wie's dasteht kommt es tatsächlich lächerlich rüber. Ich nehme an, mit Gendern sei Binnen-I oder Gendersternchen gemeint.


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Was soll das denn sonst sein, wenn nicht moralische Panik?

Es ist einfach, sich ein zweifelhaftes Zitat der Gegenseite auszusuchen. Zu einfach. Man sollte sich die besten Argumente der Gegenseite ansehen und die nach allen Regeln der Kunst auseinander nehmen - oder ihnen gegeben falls zuzustimmen.

Errm. Mist. Ich vergaß, die Gegenseite hat keine besten Argumente, nicht mal gute. Pfeifen


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Dito die ganzen Horroszenarien, die der Anti-Trans-Aktivismus bzgl. des Selbstbestimmungsgesetzes u.Ä. heraufbeschwört.
Die Beispiele ließen sich fortsetzen.

Von Mahner zum SBGG ist ein weiter Weg. Denkst du, wenn man Mahner zustimmt, landet man zwangsläufig bei Anti-Trans-Aktivismus? Falls ja, sage ich "Horrorszenario" Mr. Green, falls nein, frage ich frech nach dem Themenbezug.

Ein wesentlicher Teil dieser Debatte ist älter als Trans- oder Anti-Trans-Aktivismus, ist älter als das wokeness-Etikett. Siehe die zwei Zitate im Sokal-Text, die sind von 1981 und 1988. Dieser Teil der Debatte löst sich nicht in Wohlgefallen auf, auch wenn wir uns in Sachen Trans-Aktivismus und SBGG einig werden.

#623:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 09.05.2024, 15:10
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Die Großmutter-Hypothese bezieht sich doch auf die Menopause.

Für mich gehört auch dies zur These: wenn Großmütter evolutionär nützlich sind, dann haben langlebige Großmütter einen Vorteil. Deshalb leben Frauen länger als Männer.

Warum sollten langlebige Frauen einen evolutionären Vorteil haben, langlebige Männer aber nicht? Die These stützt sich, denke ich, darauf, dass beim extrem sozialen Lebewesen Mensch auch nicht oder nicht mehr unmittelbar reproduzierende Individuen einen Vorteil für die Verbreitung ihrer Gene bieten können, indem sie für Verwandte bzw. die Gemeinschaft sorgen. Das träfe für Großmütter zu, aber nicht weniger für Großväter, schwule Onkel und lesbische Tanten und auch für jene Individuen, die sich aus kulturellen Gründen und/oder individueller Entscheidung nicht an der unmittelbaren Reproduktion beteiligen.
Die Hypothese erklärt also m.E. nur, warum es überhaupt Individuen gibt, die - wie nur unter anderem (!), wenn auch am auffälligsten Frauen nach der Menopause - nicht reproduzieren; sie begründet aber keinen Unterschied in der Lebenserwartung.

Sowieso zäumt deine Argumentation das Pferd von hinten auf. Erst einmal müsste man feststellen, wie groß der Unterschied in der Lebenserwartung ist und worauf er in humanmedizinischer Hinsicht beruht. Dann könnte man untersuchen, ob die humanmedizinischen Ursachen (denkbar etwa: Krebs in bestimmtem Alter) stärker in rein biologischen Unterschieden begründet sind (etwa: hormonelle Unterschiede, ein X-Chromosom weniger o.Ä.) oder in kulturell beeinflusstem, sich nach Geschlechtern statistisch unterscheidendem Risikoverhalten (etwa: Rauchen, Alkoholkonsum). Und dann, wenn man die "rein biologischen" Aspekte als primär herausgearbeitet hätte, könnte man eine evolutionäre Erklärung dafür suchen. Nicht umgekehrt.

smallie hat folgendes geschrieben:
Der Artikel versteift sich auf soziale Ursachen, ohne andere Erklärungen überhaupt in Betracht zu ziehen.

Gegen eine Moral Panic hat folgendes geschrieben:
Die Gründe für die kürzere Lebenserwartung von Männern (insbesondere in Industrienationen) liegen primär im geschlechtsspezifisch geprägten sozialen Verhalten (Hornberg et al. 2016).

Das stimmt nicht. Sogar in diesem extrem kurzen Zitat werden andere Erklärungen in Betracht gezogen, nämlich in der Einschränkung durch das Wort "primär".

Was du hingegen m.E. nicht hinreichend in Erwägung ziehst, ist, dass diese Beurteilung vielleicht nicht vor oder gar anstatt einer gründlichen Untersuchtung der möglichen, auch biologischen Ursachen getroffen wurde, sondern danach.

smallie hat folgendes geschrieben:
Wie zeigt man das? Die ersten 30 Seiten sind hier zu lesen.
[/quote]
Das ist mir jetzt erstens zu viel für gründliches Lesen und zweitens ja eh nur die Einleitung zum Band. Aber nach kurzem Überfliegen sind das doch nach solider Wissenschaft aus, worauf die sich beziehen. Auch die von dir im Zitat vermisste Unterschiedung von sex und gender kommt ja explizit vor.

smallie hat folgendes geschrieben:
Hornberg hat folgendes geschrieben:
Geschlecht und Gesellschaft

Eine angemessene Beschäftigung mit den Ursachen und Folgen männlicher Gesundheitsprobleme und Gesundheitsressourcen ist mehr als überfällig. Sie sollte sich nicht darin erschöpfen, die Liste von Risikoverhaltensweisen, die Männern attestiert werden wie Rauschmittelkonsum, Fehlernährung, Präferenz für gefährliche Sportarten, riskantes Verhalten im Straßenverkehr, mit den „gesünderen“ Verhaltensweisen und Lebensstilen von Frauen zu kontrastieren.

Betrachten wir eine Gruppe von Männern, die sich weiblich gesund verhalten und vergleichen deren Lebenserwartung mit der von Frauen. Wenn die Ursache für die Altersdifferenz der Geschlechter primär in sozial geprägtem Verhalten liegt, sollten diese Männer ebenso alt werden, wie Frauen.

Ich bezweifle stark, daß es so ist.

Nun, es gibt eine solche Studie. In Klöstern haben Mönche und Nonnen praktisch identische Lebensbedingungen. Und siehe da: Dort ist der Lebenserwartungsunterschied extrem gering.
https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/studie-unter-moenchen-lebe-langsam-stirb-alt-a-266212.html

Auch die deutlich unterschiedliche Höhe der Differenz in der Lebenserwartung je nach Land und Zeit spricht m.E. für eine hohe Bedeutung der sozialen Aspekte. Wäre die Biologie primär ausschlaggebend, müsste diese ja mehr oder weniger gleich bleiben.

smallie hat folgendes geschrieben:
Gegen eine Moral Panic hat folgendes geschrieben:
Erlernte Geschlechterstereotype und durch Sozialisation verfestigte Rollenmuster beeinflussen sowohl die Gesundheit selbst, als auch das gesundheitsbezogene Verhalten: Männlichkeitsideale tragen zu einer erhöhten Risikobereitschaft bei, beispielsweise tendieren insbesondere junge Männer zu riskantem Verhalten im Straßenverkehr, wodurch sie deutlich häufiger Straßenverkehrsunfälle verursachen und auch häufiger verunglücken.

Die erhöhte Risikobereitschaft als erlerntes Stereotyp zu sehen, überzeugt mich auch nicht. Das ist als würde man sagen, die zu 90% männlichen Gefängnisinsassen werden durch erlerntes Verhalten erklärt.

Nun, da beim Menschen fast alles Verhalten erlernt ist, ist meine Intuition erst einmal genau gegenteilig. Jedenfalls korreliert das genannte Verhalten ja ganz auffällig mit gesellschaftlich präsentierten Rollenbildern.

#624:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 09.05.2024, 15:45
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Wie sich die Leute darin überbieten, ständig neue Bücher, Artikel usw. auf den Markt zu schmeißen und dabei allerlei Untergangsszenarien zu beschwören, ist doch nur noch absurd.

Das hat eine lange Tradition. Von der Offenbarung des Johannes über Nostradamus, Die sieben Todsünden der Menschheit, Die Grenzen des Wachstums bis hin zu Deutschland schafft sich ab.

Dein Satz ist mir zu unspezifisch. Er gilt für alle Themen.

Natürlich gibt es eine Tradition für Untergangsszenarien. Ohne diese Tradition wären die aktuell geschriebenen gar nicht verständlich. Deshlab muss man natürlich immer untersuchen, welchen Realitätsgehalt die jeweiligen Szenarien haben.
Deshalb habe ich dann ja spezifische Beispiele genannt, worauf ich mich beziehe. Diese unmittelbar auf den von dir zitierten Satz folgenden spezifischen Beispiele erst beim Zitieren abzutrennen und dann dem Satz mangelnde Spezifizität vorzuwerfen ist, mit Verlaub, ein bisschen albern.

smallie hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Von einer der Protagonistinnen des Anti-Trans-Aktivismus (ich müsste nachgucken, welche) las ich auch das Zitat "Gendern macht mir Angst". Ich meine, man muss das Gendern ja nicht gut finden ... aber Angst? Lächerlich.

So wie's dasteht kommt es tatsächlich lächerlich rüber. Ich nehme an, mit Gendern sei Binnen-I oder Gendersternchen gemeint.

Ja, das ist gemeint, und es ist in der Tat genau so lächerlich.
Mir ist der Name wieder eingefallen: Rieke Hümpel.
Das ist auch eine der Autor:innen des transfeindlichen, schon mehrfach erwähnten "ÖRR-Dossiers".
https://www.welt.de/debatte/kommentare/article227000843/Sprache-Gendern-das-erinnert-mich-inzwischen-an-einen-Fleischwolf.html

Aber die Frau hat ihre gerechte Strafe erhalten, in Form eines Preises vom Landesverband MV des Vereins Deutsche Sprache. Noch böser als auf diese Weise kann man eine Position ja kaum als provinziell und reaktionär kennzeichnen.

smallie hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Dito die ganzen Horroszenarien, die der Anti-Trans-Aktivismus bzgl. des Selbstbestimmungsgesetzes u.Ä. heraufbeschwört.
Die Beispiele ließen sich fortsetzen.

Von Mahner zum SBGG ist ein weiter Weg. Denkst du, wenn man Mahner zustimmt, landet man zwangsläufig bei Anti-Trans-Aktivismus?

Nein, man landet nicht zwangsläufig bei diesen Auswüchsen der Anti-Woke-Hysterie. Beim beliebigen Zusammenwerfen von allem und nichts landet man im Wesentlichen bei dem, was einem beliebt. Ex falso quodlibet, oder so.

#625:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 09.05.2024, 18:06
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Die Großmutter-Hypothese bezieht sich doch auf die Menopause.

Für mich gehört auch dies zur These: wenn Großmütter evolutionär nützlich sind, dann haben langlebige Großmütter einen Vorteil. Deshalb leben Frauen länger als Männer.

Warum sollten langlebige Frauen einen evolutionären Vorteil haben, langlebige Männer aber nicht?

Das kann ich nicht beantworten, nur spekulieren.

    - Schwangerschaft in hohem Alter ist ein Risikofaktor. Ab einem gewissen Alter lohnt sie sich nicht mehr, es ist besser, die eigene Nachkommenschaft zu unterstützen. Für Männer stellt sich das Problem so nicht, denn die Zeugung ist kein Akt von 9 Monaten.

    - Falls die Menschen früher, meinetwegen vor 100 000 Jahren, mehr promisk waren als heute, ist nur auf mütterlicher Seite klar, wie die Abstammungsverhältnisse sind. Deshalb gibt es keine Großvater-These.


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Die These stützt sich, denke ich, darauf, dass beim extrem sozialen Lebewesen Mensch auch nicht oder nicht mehr unmittelbar reproduzierende Individuen einen Vorteil für die Verbreitung ihrer Gene bieten können, indem sie für Verwandte bzw. die Gemeinschaft sorgen.

Ja, das ist der Hintergrund.


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Das träfe für Großmütter zu, aber nicht weniger für Großväter, schwule Onkel und lesbische Tanten und auch für jene Individuen, die sich aus kulturellen Gründen und/oder individueller Entscheidung nicht an der unmittelbaren Reproduktion beteiligen.

Tatsächlich wurde Homosexualität mit solchen Überlegungen begründet. Ich bin da erst mal skeptisch. Daß sich kinderlose Onkeln oder Tanten um Kinder ihrer Geschwister kümmern, kommt oft genug vor.



tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Der Artikel versteift sich auf soziale Ursachen, ohne andere Erklärungen überhaupt in Betracht zu ziehen.

Gegen eine Moral Panic hat folgendes geschrieben:
Die Gründe für die kürzere Lebenserwartung von Männern (insbesondere in Industrienationen) liegen primär im geschlechtsspezifisch geprägten sozialen Verhalten (Hornberg et al. 2016).

Das stimmt nicht. Sogar in diesem extrem kurzen Zitat werden andere Erklärungen in Betracht gezogen, nämlich in der Einschränkung durch das Wort "primär".

Ja, hast recht, war etwas zu raumgreifend formuliert. Andererseits habe ich im Hornberg-Zitat keine sekundären Erklärungen gefunden. Also vielleicht doch berechtigt?


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Was du hingegen m.E. nicht hinreichend in Erwägung ziehst, ist, dass diese Beurteilung vielleicht nicht vor oder gar anstatt einer gründlichen Untersuchtung der möglichen, auch biologischen Ursachen getroffen wurde, sondern danach.

Den Gedanken hatte ich tatsächlich. Das können wir gerne als Kriterium nehmen. Wenn bei Hornberg, 2016, oder vergleichbarem, die Großmutter-These behandelt wird, will ich nichts gesagt haben. Das war ja mein Ausgangspunkt: Auch wenn es nur eine Hypothese ist, sie gehört erwähnt.



tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Auch die von dir im Zitat vermisste Unterschiedung von sex und gender kommt ja explizit vor.

Jetzt kann ich nicht folgen. Was meinst du?


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Nun, es gibt eine solche Studie. In Klöstern haben Mönche und Nonnen praktisch identische Lebensbedingungen. Und siehe da: Dort ist der Lebenserwartungsunterschied extrem gering.

Wenn sich das so bestätigt, und wenn ich ein bis zwei Jahre Unterschied als extrem gering ansehe, dann ist die "Großmutter-These" zur Lebensverlängerung erledigt.


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Auch die deutlich unterschiedliche Höhe der Differenz in der Lebenserwartung je nach Land und Zeit spricht m.E. für eine hohe Bedeutung der sozialen Aspekte. Wäre die Biologie primär ausschlaggebend, müsste diese ja mehr oder weniger gleich bleiben.

Eher nicht. Menschen in unterschiedlichen Regionen sind unterschiedlich groß. Die Größendifferenz zwischen den Geschlechtern bleibt erhalten.

#626:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 09.05.2024, 22:28
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Was du hingegen m.E. nicht hinreichend in Erwägung ziehst, ist, dass diese Beurteilung vielleicht nicht vor oder gar anstatt einer gründlichen Untersuchtung der möglichen, auch biologischen Ursachen getroffen wurde, sondern danach.

Den Gedanken hatte ich tatsächlich. Das können wir gerne als Kriterium nehmen. Wenn bei Hornberg, 2016, oder vergleichbarem, die Großmutter-These behandelt wird, will ich nichts gesagt haben. Das war ja mein Ausgangspunkt: Auch wenn es nur eine Hypothese ist, sie gehört erwähnt.

Nein, sie gehört nicht zwingend erwähnt. Humanmedizin und Gesundheitswissenschaften würden - das habe ich oben schon gesagt - zuerst untersuchen, was ist, d.h. ob es eine unterschiedliche Lebenserwartung zwischen den Geschlechtern gibt und wodurch sie konkret, d.h. bei den einzelnen Individuen, verursacht wird.
Erst danach würde die Evolutionsbiologie versuchen zu erklären, warum die entsprechenden Eigenschaften sich evolutionär durchsetzen konnten.
Eine Untersuchung der ersten Fragestellung wäre vollkommen valide, ohne die zweite Fragestellung auch nur im Mindesten anzugehen.

[Vergleich mithilfe eines ganz anderen Themas: Sichelzellkrankheit.
Humanmediziner stellen die Symptome der Krankheit fest, finden als Ursache die verformten Blutkörperchen, untersuchen die Mechanismen, wie und warum diese sich verformen, finden heraus, dass es sich um eine Erbkrankheit handelt, untersuchen, welches Gen mit welchen Aufgaben sich wie vererbt, usw. usw. (Also alles, was im entsprechenden Wikipedia-Artikel unter "Eigenschaften", "Ursache" und "Vererbung" steht.)
Die dazugehörige evolutionsbiologische Fragestellung wäre - wie bei allen anderen Erb- und vielen weiteren Krankheiten -, warum diese Eigenschaft trotz ihrer offenkundigen evolutionären Nachteile nicht ausgestorben ist, sondern sich vor allem in bestimmten Regionen gut erhalten konnte.
Im Fall dieser Krankheit hat man sogar über einen Zusammenhang mit Malaria ganz plausible Antworten auf die evolutionsbiologische Fragestellung gefunden. Nichtsdestotrotz wäre eine humanmedizinische Forschungsarbeit, die sich mit den Fragestellungen ihres Gebiets beschäftigt, in keiner Weise fehlerhaft, wenn sie die entsprechende evolutionsbiologische Hypothese außen vor lässt.]

Du verwechselst also systematisch die medizinische und die evolutionsbiologische Fragestellung. Die Fragestellung, warum Frauen eine höhere Lebenserwartung haben, ist aber rein medizinisch. Erst mit einer medizinischen Antwort darauf könnte man die evolutionsbiologische Fragestellung angehen.

Dazu kommt, wie ich oben schon argumentierte, dass die Großmutterhypothese nur eine Antwort darauf liefert, warum es beim Menschen einen relativ großen Anteil an Individuen gibt, die nicht (mehr) unmittelbar an der Fortpflanzung beteiligt sind; nicht aber darauf, warum die Lebenserwartung von Frauen höher sein sollte. (Letzteres wäre nur der Fall, wenn die Männchen der Art Mensch sich irgendwann, wie bei manchen anderen Tieren, grundsätzlich von den Weibchen und dem Nachwuchs separieren würden. Bei der hochsozialen Art Mensch ist das ja nicht der Fall.)
Und das, wie gesagt, selbst wenn man die logische Reihenfolge von medizinischer und evolutionsbiologischer Fragestellung umdrehen würde.
____________________

smallie hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Auch die von dir im Zitat vermisste Unterschiedung von sex und gender kommt ja explizit vor.

Jetzt kann ich nicht folgen. Was meinst du?

Du hattest oben bemängelt, der Artikel versteife sich "auf soziale Ursachen, ohne andere Erklärungen überhaupt in Betracht zu ziehen." Soziale Ursachen wären der "gender"-Aspekt, andere - du meinst ja offensichtlich rein körperliche - Ursachen der "sex"-Aspekt. In dem als Quelle angegebenen Text wird aber ausdrücklich betont, dass beide Aspekte berücksichtigt werden müssten (nur ein Beispiel u.a., fvm):
Hornberg et al. hat folgendes geschrieben:
Geschlecht – sowohl Gender als auch Sex – [...] zu betrachten, ist in Medizin und Public Health nicht allein mit Blick auf die Zielgruppe(n) bzw. Adressatinnen und Adressaten unverzichtbar.

Du müsstest also zeigen, dass der Artikel seine Quelle für dieses Thema falsch rezipiert.
____________________

smallie hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Auch die deutlich unterschiedliche Höhe der Differenz in der Lebenserwartung je nach Land und Zeit spricht m.E. für eine hohe Bedeutung der sozialen Aspekte. Wäre die Biologie primär ausschlaggebend, müsste diese ja mehr oder weniger gleich bleiben.

Eher nicht. Menschen in unterschiedlichen Regionen sind unterschiedlich groß. Die Größendifferenz zwischen den Geschlechtern bleibt erhalten.

Richtig. Eben. Die prozentuale Größendifferenz bleibt auch bei stark unterschiedlichen Durchschnittsgrößen mehr oder weniger erhalten. Die Lebenserwartungsdifferenz bleibt aber nicht in ähnlichem Ausmaß erhalten, sondern kann weit stärker schwanken - bis zum Faktor 4 (Bsp.: VAE 2,8 Jahre Differenz, Russland 11,3).

#627:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 10.05.2024, 01:19
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Hier ist ein neuer offener Brief aus dem Kreis der akademischen Linken, worin die Besetzung von Uni-Gelände durch Free-Palestine-Demonstraten gutgeheißen und unterstützt wird:

https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSfVy2D5Xy_DMiaMx2TsE7YediR6qifxoLDP1zIjKzEl9t1LWw/viewform

Lies noch mal.
Tipp:
"Sie haben das Recht dazu" =/= "Ich finde das gut und unterstütze das"


Zeige mir doch bitte das Gesetz, das sowohl Studenten als auch Nichtstudenten das Recht zubilligt, den Außen- oder Innenbereich einer Universität dauerhaft, tagelang (durch die Errichtung von Lagern) zu besetzen und dort politische Demonstrationen zu veranstalten, einschließlich solcher, die antisemitische Propaganda betreiben und jüdische Studenten in Gefahr bringen!
Es gibt zwar das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, aber es gilt nicht uneingeschränkt; und die Grenzen zulässiger Netanyahu- & Israel-Kritik werden hier weit überschritten, zumal es sich bei den Demonstranten um anti-israelische Linksradikale und Islamisten handelt.

#628:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 10.05.2024, 01:34
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Dass ausgerechnet die Kultur- & Sozialtheoretiker (insbesondere die Wissenschaftstheoretiker) der hypermoralischen und hypersensiblen Wachen Linken ihren Gegnern "moralische Panik" vorwerfen, ist kurios, gelinde gesagt.

Das ist nicht kurios, das ist eine angemessene Beschriebung der Lage.
Wie sich die Leute darin überbieten, ständig neue Bücher, Artikel usw. auf den Markt zu schmeißen und dabei allerlei Untergangsszenarien zu beschwören, ist doch nur noch absurd.


Ist es für dich nichts weiter als Panikmache, wenn man sich über das derzeitige Treiben der militanten postkolonialen Linken (als Teil der Free-Palestine-Front) an den Unis beschwert?

#629:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 10.05.2024, 02:23
    —
Zitat:
"Showdown bei den Skeptikern

Es wird spannend: Auf der Mitgliederversammlung der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) kommt es nach einem Jahr öffentlichen Streits, noch längeren internen Debatten und zahlreichen Austritten prominenter Mitglieder zum Showdown. Am 11. Mai wird die Frage geklärt, ob es für die Skeptikerinnen und Skeptiker in Deutschland bestimmte Themenfelder geben soll, zu denen man sich mit kritischen Fragen oder Stellungnahmen besser zurückhält. Oder ob alles, wirklich alles, was Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhebt, überprüft und gegebenenfalls als Pseudowissenschaft entlarvt werden soll – unabhängig davon, ob jemand lobenswerte Ziele verfolgt und wen man vor den Kopf stößt.…"

Quelle: https://hpd.de/artikel/showdown-den-skeptikern-22167

#630:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 10.05.2024, 02:40
    —
Zitat:
"Wie soll es nun mit der GWUP weitergehen, wenn Hümmler und sein Team die Richtung bestimmen, und welche Vorstellungen hat die Gruppe um Sebastiani von der Zukunft der deutschen Skeptiker? Wenig überraschend ist, dass beide Gruppen in ihren Wahlbroschüren betonen, für "Wissenschaft, Skeptizismus" (Team Hümmler) oder "wissenschaftlichen Skeptizismus" (Team Sebastiani) zu stehen und kritisches Denken fördern zu wollen."

Quelle: https://hpd.de/artikel/showdown-den-skeptikern-22167


Hier ist die Website des "Teams Sebastiani": https://skeptische-gesellschaft.de/

#631:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 10.05.2024, 07:11
    —
"Kritisierst Du noch, oder cancelst Du schon? Warum wissen­schaftlicher Skeptizismus freien Diskurs braucht" von André Sebastiani

#632:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 10.05.2024, 08:18
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:

Zitat:
"Key methodologies in cultural studies
…On the whole, cultural studies has favoured qualitative methods with their focus on cultural meaning.…"

(Barker, Chris, & Emma A. Jane. Cultural Studies: Theory and Practice. 5th ed. London: SAGE Publications, 2016. pp. 35-6)


In den Cultural Studies wird also vorwiegend (wenn nicht ausschließlich) "weiche Wissenschaft" betrieben.

Im wissenschaftstheoretischen Diskurs gibt es bekanntlich einen umstrittenen Gegensatz von Erklären und Verstehen, und einen entsprechenden Gegensatz von positivistischer (strikt empirischer/nomologischer/explanativer/quantitativer) Kultur-/Sozialwissenschaft und antipositivistischer (hermeneutischer/interpretativer/qualitativer) Kultur-/Sozialwissenschaft.


Die Frage, ob die Critical/Cultural Studies mit ihren qualitativen Methoden echte Wissenschaft oder bloß Scheinwissenschaft betreiben, hängt von der allgemeinen wissenschaftstheoretischen Frage ab, was genau eine echte Wissenschaft ausmacht und von einer Nicht- bzw. Scheinwissenschaft unterscheidet.

Science and Pseudo-Science: https://plato.stanford.edu/entries/pseudo-science/

Zitat:
"Common Qualitative and Quantitative Terms

Qualitative research ——— Quantitative research
Research question ——— Hypothesis
Subjective ——— Objective
Engaged researcher ——— Neutral observer
Transformative intellectual ——— Disinterested scientist
Research process ——— Operationalization
Critique ——— Predict
Experience ——— Experiment
Information ——— Data
Analysis ——— Measurement
Interpretation ——— Bias
Understanding ——— Explanation, prediction and control
Imbued with values ——— Value-free
Reconstructions ——— Cause and effect
Occurrence ——— Replication
Authenticity ——— Validity
Trustworthiness ——— Reliability
Contexts ——— Variables
Insights ——— Generalizations"

(Brennen, Bonnie S. Qualitative Research Methods for Media Studies. 2nd ed. New York: Routledge, 2017. pp. 15-6)

#633:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 10.05.2024, 22:08
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Ist es für dich nichts weiter als Panikmache, wenn man sich über das derzeitige Treiben der militanten postkolonialen Linken (als Teil der Free-Palestine-Front) an den Unis beschwert?

Nein. Wenn man eine konkrete Sache (!) begründet (!) und differenziert (!) kritisiert, habe ich damit überhaupt kein Problem. Was dem verständigen Leser des Threads klar sein sollte.

Es würde mich sehr glücklich machen, wenn alle Leute, die irgendwelche Unsinnsbücher a la "Woke!!! Ganz ganz schlimm!!! Alle Säue des Dorfs jetzt auch von mir noch mal weitergetrieben!" veröffentlichen, stattdessen genau das machen würden.

#634:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 10.05.2024, 22:35
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Auch wenn es nur eine Hypothese ist, sie gehört erwähnt.

Nein, sie gehört nicht zwingend erwähnt. Humanmedizin und Gesundheitswissenschaften würden - das habe ich oben schon gesagt - zuerst untersuchen, was ist, d.h. ob es eine unterschiedliche Lebenserwartung zwischen den Geschlechtern gibt und wodurch sie konkret, d.h. bei den einzelnen Individuen, verursacht wird.

Jetzt hat's bei mir Klick gemacht, und ich verstehe, was du mit Pferd von hinten aufzäumen gemeint hast.

Ich würde instinktiv den gegenteiligen Weg einschlagen und mir erst die biologische Grundlinie, das Basisalter suchen, wie alt Menschen beiderlei Geschlechtes werden. Und davon ausgehend nach kulturellen Einflüssen suchen. Aber genaugenommen wird man das Pferd von beiden Seiten aufzäumen müssen. Um die biologische Grundlinie zu finden, brauche ich eine ungefähre Vorstellung, was kulturelle Einflüsse sind, um sie auszuschalten oder Beispiele zu finden, in denen sie fehlen. Wenn du beim Kulturellen beginnst, weißt du nicht, welcher Anteil auf die Biologie zurückgeht.


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
[Vergleich mithilfe eines ganz anderen Themas: Sichelzellkrankheit.

Das ist zum Muster für viele andere Thesen geworden, mal mehr, mal weniger überzeugend.

    - "Nachteilige Eigenschaften müssen durch positive Effekte aufgewogen werden, sonst wären sie ausgestorben."
    - "Schizophrenie gleicht ihre Nachteile durch Vorteile an anderer Stelle aus, sonst würde sie aus dem Genpool verschwinden."


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Du verwechselst also systematisch die medizinische und die evolutionsbiologische Fragestellung. Die Fragestellung, warum Frauen eine höhere Lebenserwartung haben, ist aber rein medizinisch. Erst mit einer medizinischen Antwort darauf könnte man die evolutionsbiologische Fragestellung angehen.

Das ist keine Verwechslung. nee Bitte in "unverschämten, systematischen Reduktionismus" ändern, dann fühle ich mich angesprochen. Mr. Green

Medizin ist nur ein anderes Wort für "biologische Details beim Menschen". Weil nichts in der Biologie Sinn ergibt, außer im Lichte der Evolution, kann die Medizin nur eine mittelbare Antwort geben, sie ist nur ein Proxy für - Evolutionsbiologie.


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Dazu kommt, wie ich oben schon argumentierte, dass die Großmutterhypothese nur eine Antwort darauf liefert, warum es beim Menschen einen relativ großen Anteil an Individuen gibt, die nicht (mehr) unmittelbar an der Fortpflanzung beteiligt sind; nicht aber darauf, warum die Lebenserwartung von Frauen höher sein sollte.

Das ist einfach.

    - Was passiert, wenn Wilderer vorwiegend Elephanten mit großen Stoßzähnen schießen? Die Größe der Stoßzähne nimmt ab.

    - Was passiert, falls ab sofort die Körpergröße bei Menschen über den Fortpflanzungserfolg entscheidet? Dann werden die Menschen im Schnitt größer (oder kleiner, je nachdem.)

    - Was passiert, wenn die Anwesenheit einer Großmutter in der Familie die Überlebenswahrscheinlichkeit ihrer Enkel erhöht? Dann sollte man analog vermuten, daß die Zahl der Großmütter zunimmt - was nur geht, wenn sie länger leben.


Ob das wirklich so ist, muß man erst zeigen. Eckhart Voland hat friesische Kirchenregister gesichtet. Die Zahlen sehen so aus. Die zugrundeliegende Arbeit habe ich nicht gelesen, steht also wie die Klosterstudie erstmal unter mildem Vorbehalt.

Zitat:
Warum gibt es Großmütter?
Jan Breise und Eckart Voland - 2003

Dagegen wirkte sich die Großmutter mütterlicherseits fast durchgehend günstig aus. Im Durchschnitt erlebten von tausend Kindern etwa 126 nicht den ersten Geburtstag. War diese Oma vorhanden, starben im ersten Lebensjahr etwa 93. Am deutlichsten zeigte sich der Effekt in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres. In diesem Altersabschnitt starben ohne sie fast 34 anstatt etwa 17 von tausend Kindern. Die Großmutter mütterlicherseits half sozusagen mit, allein in diesem Lebensabschnitt etwa jedes zweite Kind zu retten, das sonst gestorben wäre.

Alles weitere ist Spekulation.


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Auch die von dir im Zitat vermisste Unterschiedung von sex und gender kommt ja explizit vor.

Jetzt kann ich nicht folgen. Was meinst du?

Du hattest oben bemängelt, der Artikel versteife sich "auf soziale Ursachen, ohne andere Erklärungen überhaupt in Betracht zu ziehen." Soziale Ursachen wären der "gender"-Aspekt, andere - du meinst ja offensichtlich rein körperliche - Ursachen der "sex"-Aspekt.

Jetzt kommen wir der Sache näher. Hoffe ich.

Naiv gedacht könnte der Mensch, sagen wir, mit 8 Jahren geschlechtsreif und nur dreißig Jahre alt werden. (Keine optimale Strategie für Kulturwesen.) Das Höchstalter eines Menschen wird oft in Richtung 110 oder mehr Jahre geschätzt. Wie alt ein Mensch werden kann, ist primär biologisch bestimmt. Hat sich vor, weiß nicht, 100 000 Jahren oder auch einer Million Jahren so eingependelt. Also so oder noch älter:


https://en.wikipedia.org/wiki/File:San_Schmuck.JPG

Das ist eine völlig andere Sicht der Dinge, als im Volksverpetzer-Artikel:

Gegen Moral Panic hat folgendes geschrieben:
Männlichkeitsideale tragen zu einer erhöhten Risikobereitschaft bei, beispielsweise tendieren insbesondere junge Männer zu riskantem Verhalten im Straßenverkehr, wodurch sie deutlich häufiger Straßenverkehrsunfälle verursachen und auch häufiger verunglücken.

Autos gibt es seit 120 Jahren. Besonders viele Spuren werden sie in unserem Genom noch nicht hinterlassen haben.

Schon erstaunlich, welch unterschiedliche Assoziationen man zu einem Thema haben kann.


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Eher nicht. Menschen in unterschiedlichen Regionen sind unterschiedlich groß. Die Größendifferenz zwischen den Geschlechtern bleibt erhalten.

Richtig. Eben. Die prozentuale Größendifferenz bleibt auch bei stark unterschiedlichen Durchschnittsgrößen mehr oder weniger erhalten. Die Lebenserwartungsdifferenz bleibt aber nicht in ähnlichem Ausmaß erhalten, sondern kann weit stärker schwanken - bis zum Faktor 4 (Bsp.: VAE 2,8 Jahre Differenz, Russland 11,3).

Die Lebenserwartung lag vor 150 Jahren noch ganz wo anders. Das hat weder etwas mit Evolutionsbiologie noch mit Gender-Zeug zu tun, sondern mit der geringeren Säuglingssterblichkeit dank moderner Medizin. Als Graphik: Lebenserwartung bei der Geburt Von hier.

Du wirst jetzt vielleicht einwenden, es geht nicht um Lebenserwartung im Allgemeinen, sondern um den Unterschied zwischen den Geschlechtern. Ok.

Die Variabilität der Lebenserwartung ist groß. Von den Menschenaffen zum sapiens, beim Menschen je nach Stand der Medizin und natürlich auch nach sozialen, meinetwegen Gender-Umständen. Die Behauptung von Hornberg und Co., die soziale Ebene sei die primäre, halte ich für etwas voreilig. Das klappt nur, wenn man die Biologie als gegeben betrachtet und sie nicht als Variable und Ergebnis einer weit über hunderttausend Jahre langen Geschichte begreift.

Läßt man alles weg, was nicht gender-sozial ist, bleibt natürlich das gender-soziale als primärer Effekt übrig.


Zuletzt bearbeitet von smallie am 10.05.2024, 23:22, insgesamt einmal bearbeitet

#635:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 10.05.2024, 22:59
    —
Für's Archiv. Muß man nicht lesen. Wollte den obigen Beitrag nicht unnötig verlängern, will die Zitate aber auch nicht wegwerfen, nach dem ich sie schon herausgesucht habe.

Jedenfalls ist die Großmutter-These nicht die einzige biologische These zur Altersdifferenz. Auch andere bleiben bei Hornberg etc. unerwähnt.

Zitat:
Why do women outlive men?
Max-Planck-Institut

Während Frauen zwei X-Chromosomen haben, verfügen Männer über ein X-Chromosom und ein Y-Chromosom. Wichtige genetische Informationen auf dem X-Chromosom sind daher bei Frauen doppelt vorhanden und können mögliche Genmutationen und Defekte auf dem anderen X-Chromosom ausgleichen.

Dies ist bei Männern nicht der Fall und ist zum Beispiel für die bei Männern viel häufiger auftretende Farbenblindheit verantwortlich. Ein Schlüsselfaktor bei der Alterung könnte sein, dass das X-Chromosom auch Gensegmente enthält, die das Immunsystem des Körpers beeinflussen

https://www.age.mpg.de/why-do-women-live-longer-than-men


Nur einen Satz zitiert:

Zitat:
Sex Differences in Lifespan
Steven Austad, Kathleen E. Fischer - 2016

Alternativ wurde angenommen, dass die sexuelle Selektion eine wichtige Rolle bei den Unterschieden in der Langlebigkeit zwischen den Geschlechtern spielt, da davon ausgegangen wird, dass sexuell selektierte Merkmale evolutionäre Fitnesskosten verursachen.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4932837/

#636:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 11.05.2024, 02:31
    —
Ein lesenswerter Text von Holger Marcks zum GWUP-internen Streit:

https://mit-cks.net/memo-das-skeptische-spektakel/

#637:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 11.05.2024, 21:24
    —
+++BREAKING NEWS+++

Die Würfel sind gefallen:

"Auf der Mitgliederversammlung wurde #TeamSebastiani als Vorstand gewählt, der nun mit frischen Ideen für den wissenschaftlichen Skeptizismus an den Start geht – offen für neues Engagement und neue Mitglieder!"

Quelle: https://twitter.com/gwup/status/1789362069768138853

#638:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 12.05.2024, 01:20
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Unter science studies kann man im weiten Sinn Wissenschaftswissenschaft (science of science) verstehen, die folgende Bereiche umfasst: Wissen(schaft)ssoziologie, Wissenschaftspsychologie und Wissenschaftsgeschichte. Die Wissenschaftswissenschaft überschneidet sich mit der Wissenschaftsphilosophie/-theorie.

Im engeren Sinn verstehe ich unter science studies einen Zweig der linkspolitisch ausgerichteten (critical) cultural studies, der sich mit den Gebieten der allgemeinen Wissenschaftswissenschaft und -philosophie überschneidet.

Die großen Gegensätze:
– Naturalismus vs. Konstruktivismus
– Realismus vs. Instrumentalismus
– Repräsentationalismus vs. Antirepräsentationalismus
– epistemischer Fundamentalismus (Universalismus) vs. epistemischer Antifundamentalismus (Antiuniversalismus)
– Positivismus vs. Antipositivismus

Der wissenschaftliche Konstruktivismus (scientific constructivism) ist ein großes Thema in den science studies.


Eine Übersicht über die betreffenden Bereiche:

1. philosophy of science (Wissenschaftsphilosophie/-theorie)
1.1 philosophy of social science (Wissenschaftsphilosophie/-theorie der Sozialwissenschaft)
2. social/cultural science (Sozial-/Kulturwissenschaft)
2.1 sociology (Soziologie)
2.1.1 sociology of science (Wissenschaftssoziologie)
2.1.2 sociology of (scientific) knowledge (Wissenssoziologie)
2.2 history (Geschichtswissenschaft)
2.2.1 history of science (Wissenschaftsgeschichte)
2.3. social/cultural anthropology (Sozial-/Kulturanthropologie)

4. social/cultural studies (Sozial-/Kulturstudien)
4.1 social/cultural studies of science = science studies (Sozial-/Kulturstudien der Wissenschaft = Wissenschaftsstudien)

(Der obige Trennstrich soll nicht bedeuten, dass es keine Überschneidungen zwischen 4.1 und den Bereichen 1&2 gibt.)

Die Wissenschaftsstudien (Wissenschafts- & Technologiestudien) lehnen die "abgehobene" traditionelle Wissenschaftstheorie ab, insbesondere die logisch-empiristische/positivistische und kritisch-rationalistische.

Wie wissenschaftlich sind die Science Studies?
Der prominente Wissenschaftstheoretiker Larry Laudan hat 1981 einen Aufsatz mit dem Titel "The Pseudo-Science of Science?" veröffentlicht und sich dabei auf das "starke Programm" der Wissenschaftswissenssoziologie (Sociology of Scientific Knowledge) bezogen. Diesem spricht er den Wissenschaftsstatus ab:

Zitat:
"What is crucial is the recognition that the pretensions of the strong programme to honorfic status as a science are thus far unfounded."

(Laudan, Larry. "The Pseudo-Science of Science?" 1981. Reprinted in Scientific Rationality: The Sociological Turn, edited by James Robert Brown, 41-73. Dordrecht: Springer, 1984. p. 53)


Allgemein gefragt: Sind die Wissenschaftsstudien (Sozial-/Kulturstudien der Wissenschaft) die Pseudowissenschaft der Wissenschaft?

#639:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 12.05.2024, 01:47
    —
Was sind die Science Studies/Wissenschaftsstudien (Social/Cultural Studies of Science / Sozial-/Kulturstudien der Wissenschaft)?

Zitat:
"Wesentlichen Anteil an dem steigenden sozial- und kulturwissenschaftlichen Interesse an wissenschaftlichen und technologischen Fragen hat ein Forschungsfeld, das sich in den 1970er Jahren herausbildete: die Science and Technology Studies (STS ).1 Mit ihnen trat neben die Wissenschaftstheorie und -philosophie, die auf die normativen und institutionellen Bedingungen sowie die epistemologischen Grundlagen der Wissenschaft fokussierte, eine empirisch orientierte und dezidiert methodisch reflexive Analyse der Produktion und Aneignung wissenschaftlichen Wissens. Das Forschungsinteresse verlagerte sich damit von der Rekonstruktion einer universalistischen Rationalität oder einer allgemeinen Analyse der Funktion von Wissenschaft hin zu den konkreten historischen, sozialen und kulturellen Bedingungen der Wissensproduktion. Hinzu kam nach kurzer Zeit schon eine Erweiterung des analytischen Fokus. Die STS untersuchten nicht nur die "Fabrikation" naturwissenschaftlichen Wissens, sondern nahmen auch technologische Artefakte und medizinische Praktiken in den Blick.

1 Das Akronym STS steht meist für Science and Technology Studies; auch der Sammelbegriff Science, Technology and Society ist üblich. Zuweilen wird das Forschungsfeld auch als Science Studies oder Social Studies of Science and Technology bezeichnet."

(Bauer, Susanne, Torsten Heinemann, & Thomas Lemke, Hrsg. Science and Technology Studies: Klassische Positionen und aktuelle Perspektiven. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2017. S. 7)


Zitat:
"Das transdisziplinäre Forschungsfeld der Science and Technology Studies (STS ) entstand in den 1970er Jahren am Schnittpunkt unterschiedlicher gesellschaftspolitischer Debatten und theoretischer Diskurse. Die Etablierung dieser Forschungsperspektive verdankt sich zunächst der wachsenden Bedeutung sozialer Bewegungen und radikaler Wissenschafts- und Technologiekritik in den 1960er und 1970er Jahren. In diesen Zusammenhängen wurden insbesondere die Voraussetzungen und Folgen kontroverser Technologien wie der Atomtechnologie, der Informations- und Kommunikationstechnologien oder der Gen- und Reproduktionstechnologien thematisiert. Im Fokus der Kritik standen die Vorstellung, dass wissenschaftliche und technologische Innovationen gleichbedeutend mit gesellschaftlichem Fortschritt seien, sowie die Annahme einer von gesellschaftlichen Interessen prinzipiell unabhängigen Forschung. Die in den 1970er Jahren in Westeuropa sowie in Nordamerika an Bedeutung gewinnende marxistische und feministische Wissenschaftsforschung sowie wissenschaftskritische Bewegungen innerhalb der Natur- und Ingenieurwissenschaften selbst problematisierten die Verflechtung universitärer Forschung mit ökonomischen und militärischen Interessen. Ein Beispiel dafür ist etwa die Radical-Science-Bewegung in Großbritannien, deren kritisches Augenmerk sich auf militärtechnologische Großprojekte während des Kalten Krieges, technologisch bedingte Umweltschäden und die Hegemonie westlicher Naturwissenschaften richtete. Weite Teile der entstehenden STS griffen diese Debatten in ihren Forschungsarbeiten auf.

Im gleichen Zeitraum entstand eine Reihe neuer theoretischer Debatten in den Geistes- und Sozialwissenschaften, die für die Untersuchung von Wissenschaft und Technik genutzt wurden. Zwei wissenschaftliche Entwicklungen waren dabei für die Konstitution des Forschungsfeldes der STS besonders wichtig. Zum einen erlaubte die Konjunktur sozialkonstruktivistischer und poststrukturalistischer Theorien in den 1970er Jahren eine kritische Distanz gegenüber positivistischen und realistischen Traditionen in der Wissenschaftstheorie und -philosophie. Zum anderen wurden Praktiken und Orte der Produktion von Wissen in wissenschaftssoziologische Fragestellungen zu den strukturellen und institutionellen Rahmenbedingungen von Wissenschaft einbezogen.

Kennzeichnend für die STS war also eine doppelte Erweiterungs- beziehungsweise Abgrenzungsbewegung. Die erste bezog sich auf die Auseinandersetzung mit der Wissenschaftstheorie, die von der Tradition des Logischen Positivismus und des Kritischen Rationalismus gekennzeichnet war. Diese begriff die Erkenntnisproduktion im Anschluss an die Arbeiten des Wiener Kreises sowie Karl Poppers vor allem als einen rationalistischen Prozess und untersuchte die Wissensgenese als weitgehend unabhängig von materiellen und sozialen Bedingungen. Mit diesem Fokus auf die "Logik der Forschung" richtete sich das Augenmerk auf die internen Geltungsbedingungen des Wissens, während seine komplexen Entstehungs- und Akzeptanzbedingungen tendenziell unberücksichtigt blieben. Dieses rationalistische Konzept der Erkenntnisproduktion führte zu einer strikten Unterscheidung und prinzipiellen Hierarchisierung von Wissenstypen, die das wissenschaftliche Wissen dem Alltagswissen sowie richtiges dem falschen Wissen gegenüberstellte.

Thomas Kuhn sorgte mit seinem 1962 erschienenen Buch Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen für einen grundlegenden Perspektivwechsel und ein Umdenken in der Wissenschaftstheorie. Die Studie stellte den Begriff des Paradigmas ins Zentrum, das disziplinäre Forschungsinhalte über längere Zeiträume hinweg in spezifischer Weise organisiert, bis es im Zuge wissenschaftlicher Revolutionen zu einem "Paradigmenwechsel" kommt. Kuhn bezog sich dabei unter anderem auf einen bis dahin weitgehend vergessenen Klassiker der Wissenschaftsforschung: Ludwik Fleck. Fleck prägte bereits in den 1920er und 1930er Jahren Begriffe wie "Denkstil" oder "Denkkollektiv" und interpretierte als Erster die Produktion wissenschaftlicher Fakten nicht als einen logisch-rationalen Prozess und eine objektive Repräsentation von Natur, sondern als eine soziale Praxis. Die Studien Flecks zur medizinischen Forschungspraxis wurden von der entstehenden sozialkonstruktivistischen Wissenschafts- und Technikforschung rezipiert und weiterentwickelt. Statt davon auszugehen, dass Wissenschaft Naturgesetze einfach repräsentiert, registriert oder entdeckt, war es das Ziel der sich formierenden STS, die Entstehungskontexte und Akzeptanzbedingungen des Wissens genauer zu untersuchen. Wissenschaft und Technologie entwickeln sich demnach nicht quasi-automatisch, linear oder aus einer ihnen selbst innewohnenden Logik heraus, sondern werden in ihrer Entstehung, Anwendung und Verbreitung durch sozio-kulturelle Faktoren bestimmt. Damit verschob sich der Akzent wissenschaftstheoretischer Fragestellungen von abstrakten Erkenntnisprozessen zu empirisch zu beantwortenden Fragen nach den konkreten wissenschaftlichen Praktiken sowie den spezifischen Orten der Wissensproduktion.

Hinzu kam eine zweite Erweiterungsbewegung, die weniger die Wissenschaftsphilosophie als die Wissenschaftssoziologie betraf. Diese etablierte sich in den 1930er Jahren als eigenständiges Feld innerhalb der Soziologie. Die Aufmerksamkeit dieser soziologischen Teildisziplin lag in den folgenden Jahrzehnten auf der Untersuchung der Wissenschaft als einer gesellschaftlichen Institution. Im Anschluss an die prägenden Arbeiten von Robert K. Merton analysierte die Wissenschaftssoziologie die normativen Grundlagen des wissenschaftlichen "Ethos" und die organisatorischen Voraussetzungen wissenschaftlicher Forschung. Der Schwerpunkt lag dabei auf den Kontexten wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion mit dem Ziel, die strukturellen und funktionalen Bedingungen einer als universell verstandenen Wissenschaft zu untersuchen. Weitgehend ausgeblendet blieben hingegen die Entstehungsbedingungen und Inhalte des Wissens. Die Wissenschaftssoziologie beschränkte sich also auf die Rahmenbedingungen wissenschaftlichen Wissens, ohne dessen epistemische Inhalte und materielle Voraussetzungen selbst zum Gegenstand der Forschung zu machen. Hier setzten die STS ein, die den Akzent von der Wissenschaftssoziologie zur "Soziologie wissenschaftlichen Wissens" verschoben.

Das sozialkonstruktivistische Programm und der Impuls, neue Räume für empirische Forschungsarbeiten zu öffnen, prägten entscheidend das erste Jahrzehnt der STS. Den Auftakt machte eine Forschungsperspektive, die zunächst vor allem in Großbritannien entwickelt und unter dem Namen Social Studies of Knowledge (SSK) bekannt wurde. Ihre wichtigsten Vertreter_innen arbeiteten an den Universitäten von Edinburgh und Bath. Die wissenschaftliche Wertschätzung der SSK ist eng mit den Arbeiten von David Bloor, Barry Barnes, Michael Mulkay, Andrew Pickering, Donald Mackenzie und Harry Collins verbunden.

Das Gründungsdokument dieses Forschungsprogramms ist der in diesem Band zum ersten Mal in deutscher Übersetzung publizierte Text "Das starke Programm in der Wissenssoziologie", der das Eröffnungskapitel des Mitte der 1970er Jahre erschienenen Buches Knowledge and Social Imagery von David Bloor bildet. Dieser einflussreiche Text formuliert das sogenannte starke Programm (strong programme) und fordert in vier Grundprinzipien eine radikale Neuausrichtung und substantielle Erweiterung der Wissenschaftssoziologie. Waren bis dahin soziologische Untersuchungen wissenschaftlichen Wissens auf Forschungshypothesen und Theorien beschränkt, die sich im weiteren historischen Verlauf als "fehlerhaft" oder "ideologisch" herausstellten, fordert Bloor eine "neutrale" und "symmetrische" Analyseperspektive. Nicht nur das falsche oder ideologische Wissen, sondern auch und vor allem das als wahr anerkannte wissenschaftliche Wissen solle zum Gegenstand soziologischer Analyse gemacht werden. Dabei sei gerade das scheinbar objektive, als besonders valide und "hart" begriffene naturwissenschaftliche und mathematische Wissen nicht auszusparen. Bloors grundlegende These ist, dass – unabhängig von ihrer Geltung und internen Konsistenz – ausnahmslos jede Form wissenschaftlichen Wissens gesellschaftlichen Einflussfaktoren unterliegt. Demnach lassen sich Wissensbestände und Erkenntnisformen aus der Untersuchung der ihnen zugrundeliegenden sozialen Kontexte und materiellen Bedingungen erklären. Die epistemischen Inhalte des wissenschaftlichen Wissens – und nicht nur dessen organisationale Voraussetzungen oder sozialen Rahmenbedingungen – werden damit prinzipiell als gesellschaftliches Phänomen begriffen."

(Bauer, Susanne, Torsten Heinemann, & Thomas Lemke, Hrsg. Science and Technology Studies: Klassische Positionen und aktuelle Perspektiven. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2017. S. 11-5)


Zitat:
"Science Studies ist ein vielschichtiger Begriff, der mehr als nur einen Gegenstandsbereich oder einen bestimmten Forschungsansatz umfasst. In der interdisziplinären Wissenschaftsforschung, an der heute neben Wissenschaftsgeschichte, Soziologie und Philosophie Disziplinen wie Kulturanthropologie, Geographie und Medienwissenschaft beteiligt sind, stehen die Science Studies für einen reflexiven Zugang zu (natur-)wissenschaftlichem Wissen jenseits einer linearen Fortschrittsgeschichte. Methodologisch impliziert ihr analytisch-reflexiver Ansatz, wissenschaftliche Fakten in ihrem lateinischen Wortsinn, ihrem Gemacht-Sein, wörtlich zu nehmen und sie in ihrer Genese, ihren Aushandlungen, Formaten und Effekten in den Blick zu nehmen. Dem Anliegen der Science Studies, Fakten und Festschreibungen als komplexe Stabilisierungen zu öffnen, kann ein Handbuchartikel kaum gerecht werden, zieht doch das hierfür erforderliche Systematisieren und Auswählen selbst unweigerlich Engführungen und Vereinfachungen nach sich. Ludwik Fleck fasste das Problem der Handbuchwissenschaft wie folgt zusammen: "Fragt man einen Forscher, wie es um irgendein Problem steht, so muß er erstens die Handbuchmeinung als etwas Unpersönliches, verhältnismäßig Fixes angeben, wiewohl er weiß, daß sie immer bereits überholt ist." (Fleck 1935/1980, 164). Die Funktionen wissenschaftlicher Publikationsformate und die Unterschiede zwischen Zeitschriftenwissenschaft und Handbuchwissenschaft zu untersuchen, gehört dabei zum Kern der Science Studies, haben sie doch zum Ziel, Wissenschaft in ihren konkreten Praktiken, gesellschaftlichen, apparativen und institutionellen Kontexten sowie in ihren Medialitäten zu verstehen. Flecks Reflexionen zu Denkstilen und Denkkollektiven in der Entstehung medizinischer Tatsachen sowie seine Beschreibung dabei vollzogener Stabilisierungsprozesse, welche systematisch bedingte ("passive") Kopplungen und kulturhistorisch-sozial bedingte ("aktive") Kopplungen unterscheidet (Fleck 1935/1980, 16), machen ihn zu einem Vertreter der Science Studies avant la lettre.

Als eigenes Forschungsfeld entwickelten sich die Science Studies seit den späten 1960er Jahren zunächst an verschiedenen Schnittstellen von Philosophie, Wissenschaftsgeschichte, Soziologie und Sozialanthropologie. In Form von Studien zur Wissenschaftsentwicklung und später als Laborethnographien nahmen die Science Studies gezielt die "klassischen Naturwissenschaften" in den Blick und setzten sich zunächst vor allem mit dem Wissenschaftsstil "exakter Wissenschaften", mit Fragen der Modellbildung und Systematisierung, des Verifizierens und Generalisierens auseinander (vgl. Kuhn 1962/1981; Bloor 1976; Lynch 1985). Neben den Lebenswissenschaften wie der Biochemie (vgl. Latour/Woolgar 1979; Knorr-Cetina 1981/1984) fokussierten sie zunächst insbesondere die als Leitwissenschaft geltende Physik (vgl. Traweek 1988; Knorr-Cetina 1999). Im Vergleich zum Begriff "Wissenschaft" im Deutschen, der auch die Geisteswissenschaften umfasst, impliziert der angelsächsische Begriff "science", und damit auch der "Science Studies", eine gewisse Eingrenzung auf die klassischen Naturwissenschaften. Gleichzeitig nahmen die Science Studies zunehmend neben den Naturwissenschaften insbesondere auch die quantitativ verfahrenden Sozialwissenschaften und die Ökonomie in den Blick (vgl. Desrosières 2005; MacKenzie 2006).

Die Science Studies entstanden zu einer Zeit, als Wissenschaft und Technologie zu staatlichen Großunternehmungen geworden waren. Die USA und die UdSSR stellten im Zuge des Kalten Krieges umfangreiche staatliche Mittel vor allem im Bereich der Weltraumforschung sowie militärischer und ziviler Atomtechnik, für Informationstechnologie und zunehmend für biomedizinische Forschung bereit. Über eine wissenschaftlich-technische Entwicklungspolitik dehnten beide Supermächte zudem ihre globalen Einflusssphären aus. Einige Stränge der Science Studies gehen auf die Kritik der Rolle des militärisch-industriellen Komplexes in der Wissenschafts- und Technologieentwicklung zurück. Entsprechende Debatten und die Auseinandersetzung mit dem sozialen Kontext von Naturwissenschaft und Technologie fanden sowohl in den Naturwissenschaften selbst als auch innerhalb der Sozialwissenschaften statt. In der britischen Soziologie entstand mit der Sociology of Scientific Knowledge (SSK) eine eigene Forschungsrichtung sozialkonstruktivistischer Prägung (vgl. Bloor 1976).

Anders als in Westeuropa stand in der Sowjetunion die soziale Bedingtheit und die gesellschaftliche Steuerung der Forschung im Zentrum staatlicher Wissenschaftspolitik. Dort entwickelte sich eine Wissenschaftsforschung als "Wissenschaftswissenschaft" (naukovedenie), die zum einen stark wissenschaftsphilosophisch und zum anderen szientometrisch orientiert war (vgl. Aronova 2011). Über die Blöcke des Kalten Krieges hinweg gab es jedoch durchaus wechselseitige Rezeption, Beobachtung und Austausch. Beispielsweise veröffentlichte die Zeitschrift Social Studies of Science 1984 einen Bericht des Dissidenten Alexey Levin zur Lage der sowjetischen Science Studies, indem er den sowjetischen Ansatz einer marxistischen Integration von externalistischer und internalistischer Geschichtsschreibung sowie ihren Fokus auf Mathematik und Physik beschrieb und ihre Abstraktheit und Isoliertheit von internationalen Debatten kritisierte (vgl. Levin 1984). Aus der Zeit der Perestrojka liegt zudem eine Ethnographie des Moskauer Instituts für Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftsforschung vor, in der ein italienischer Sozialanthropologe Einblick in die Struktur und den Alltag sowjetischer Wissenschaftsforschung der späten 1980er Jahre gibt (vgl. Mongili 1998).

Die jeweiligen Fachkontexte, in denen die Science Studies entstanden, führten bei ähnlichen Ansätzen zu jeweils unterschiedlichen Resonanzen: SoziologInnen begaben sich in den späten 1970er Jahren in naturwissenschaftliche Laboratorien, um dort die Herstellung naturwissenschaftlicher Fakten ethnographisch zu untersuchen. Teile der Ethnologie wandten sich – im Zuge von Debatten um die Rolle des Kolonialismus in der Entstehung des Faches – als repatriated anthropology verstärkt der Untersuchung westlicher Wissens- und Glaubenssysteme zu. Die Wissenschaftsgeschichte begann sich über die Geschichte von Institutionen hinaus mit epistemologischen Fragen sowie materiellen Praktiken der Forschung auseinanderzusetzen. Unter dem Dach der Society for the Social Studies of Science (4S) fanden sich VertreterInnen verschiedener Disziplinen seit etwa Mitte der 1970er Jahre regelmäßig zusammen. In diesem Kontext wurden in den 1970er Jahren gegründete Zeitschriften wie Social Studies of Science (seit 1971) und Science Technology & Human Values (seit 1976) zum Sprachrohr der zunehmend interdisziplinären Science Studies."

(Bauer, Susanne. "Science Studies." In Handbuch Wissenschaftsgeschichte, hrsg. v. Marianne Sommer, Staffan Müller-Wille, & Carsten Reinhardt, 55-67. Stuttgart: Metzler, 2017. S. 55-6)


Zitat:
"Science and Technology Studies bezeichnet ein hochgradig transdisziplinäres Forschungsfeld. Sein vorrangiges Ziel ist die empirische Untersuchung der vielfältigen Rollen von Wissen und Technologie in modernen Gesellschaften unter Verwendung von Methoden der Sozial-, Kultur- und Geschichtswissenschaften.

Das Forschungsfeld der STS ist in den späten 1970er Jahren vor allem am Schnittfeld von Wissenschaftsphilosophie, -geschichte und -soziologie auf der einen und Technikphilosophie, -geschichte und -soziologie auf der anderen Seite entstanden. Zentrales Anliegen war es, wissenschaftliches Wissen und Technik als soziale und kulturelle Phänomene zu verstehen und einer kritischen Analyse zugänglich zu machen. Ausgangspunkt war dabei die Beobachtung zahlreicher Forscherinnen und Forscher, dass erstens Wissenschaft und Technologie moderne Lebensweisen zwar zutiefst prägen, diese Prägungen von Handeln und Denken, von Politik und Ökonomie, von menschlichen Selbstverständnissen und moralischen Ordnungen jedoch nur unzureichend analysiert wurden. Zweitens wurde Wissenschaft zunehmend als eine Institution und Praxis verstanden, die ihrerseits in relevanter Weise durch Gesellschaft, d. h. durch lokale soziale und historische Konfigurationen geprägt ist. Und drittens wuchs die Unzufriedenheit mit hierarchischen Verständnissen verschiedener Wissensformen, die wissenschaftliches Wissen über oder zumindest abseits von anderen "alltäglichen" Wissensformen positionierten.

Die kritische Reflexion von Wissenschaft war bis dahin vorwiegend als Domäne der Philosophie angesehen worden, und den Geschichtswissenschaften blieb es vorbehalten, die Entwicklung technischer Innovationen nachzuvollziehen. Vor allem im Feld der Wissenschaftsforschung wurden Fragen nach Ontologie und Epistemologie, d. h. danach, was und wie Phänomene sind und wie wir dies wissen können, lange Zeit nicht empirisch mit Blick auf wissenschaftliche Praxis untersucht. Der Alltag von Wissenschaft spielte keine Rolle. Stattdessen wurde entweder theoretisch, innerhalb etablierter logischer oder rationaler Denkmodelle vorgegangen oder anhand von historischen Fallbeispielen, die anekdotisch oder mittels Quellenanalyse erschlossen wurden. (WISSENSCHAFTSTHEORIE) Auch die Wissenschaftssoziologie konzentrierte sich Mitte der 1950er und 1960er Jahre nicht auf Fragen nach alltäglichem Wissenschaftshandeln und wissenschaftlichem Wissen, sondern rückte Wissenschaft als Institution in den Vordergrund. (WISSENSCHAFTSSOZIOLOGIE)

Das Forschungsfeld der STS hat daher die alte Aufgabenteilung zwischen den Disziplinen grundlegend verändert und begonnen, sich Fragen von Wissensproduktion und seinen epistemologischen Voraussetzungen wie Konsequenzen empirisch zu widmen. Die Kombination der Perspektiven auf Wissenschaft und Technologie ermöglichte neue Einsichten – etwa dadurch, dass der Beitrag von Apparaten, Aufzeichnungsinstrumenten und Maschinen für die Produktion wissenschaftlichen Wissens genauer untersucht wurde. Die Frage, wie wir etwas wissen und wie Erkenntnis entsteht, war damit Ende der 1970er Jahre nicht länger lediglich eine abstrakt zu erörternde Frage nach geistigen Prozessen, sondern auch eine empirisch zu beantwortende Frage nach konkreter Forschungspraxis. Wissenschaft erschien in diesen Studien nicht mehr nur als Ergebnis rein intellektueller kontemplativer Tätigkeit, sondern als Ergebnis praktischen Tuns und sozialen Handelns. Dieser Wandel brachte mit der Soziologie wissenschaftlichen Wissens zunächst vor allem die verschiedenen Interessen der Forschenden ins Zentrum der Untersuchungen, die bis dahin bestenfalls als Störfaktor oder Barriere für wirkliche Erkenntnis thematisiert und damit de facto ausgeblendet worden waren. (SOCIOLOGY OF SCIENTIFIC KNOWLEDGE) Rasch kamen mit den so genannten Laborstudien ethnographische Untersuchungen verschiedener Forschungsalltage in Laboren hinzu. (LABORSTUDIEN) Auch die Untersuchungen von Technologie und Technologienutzung und -entwicklung reichten bald über die philosophischen und sozial- und kulturtheoretischen Analysen von Technik, als determinierendem und antihumanistischem Phänomen, hinaus. Stattdessen setzte sich ein empirischer Zugriff durch, der Technologie stets im Kontext seiner Produktions- und Nutzungspraxen begreift – ob in Wissenschaft oder Alltag. (SOZIALE KONSTRUKTION VON TECHNOLOGIE)

In der frühen STS Forschung, in den 1980er Jahren, standen vor allem Formen und Orte der Wissensproduktion und der Technologieentwicklung im Zentrum der Aufmerksamkeit. Durch Analysen dieser Zentren von wissenschaftlicher Wissensproduktion, gewissermaßen dem säkularen Hort von Fortschritt und Modernisierung der westlichen Welt, gelang es STS, wissenschaftliches Wissen und Technologie sozialwissenschaftlichen Analysen zugänglich zu machen. Im Rückblick erscheint dies für die heutigen Sozial- und Kulturwissenschaften mehr als selbstverständlich; Anfang der 1980er Jahre hatte dies jedoch durchaus ein provokatives Potential. Denn die sozialkonstruktivistische Wende entzauberte wissenschaftliches Wissen und ließ seinen epistemologischen Sonderstatus verblassen. Wissen jeder Art gilt heute Vielen in den Sozial- und Kulturwissenschaften lediglich als das profane Ergebnis eines hochgradig kontingenten sozialen Prozesses; wissenschaftliches Wissen wird damit prinzipiell genauso behandelt, wie andere Wissenstypen auch, z. B. Alltagswissen. Seine Besonderheit liegt nun in seinen spezifischen Produktionsbedingungen, seinem – kulturell zertifizierten – Sonderstatus und seiner herausgehobenen Funktion als Mittel der "gesellschaftlichen Selbsteinwirkung", etwa bei der Entwicklung technischer Innovationen oder als Reflexionsinstrument. Die Science and Technology Studies haben entscheidend zu diesem veränderten Blick auf Wissen beigetragen."

(Niewöhner, Jörg, Estrid Sørensen, & Stefan Beck. "Science and Technology Studies aus sozial- und kulturanthropologischer Perspektive." In Science and Technology Studies: Eine sozialanthropologische Einführung, hrsg. v. Stefan Beck, Jörg Niewöhner, & Estrid Sørensen, 9-48. Bielefeld: transcript, 2012. S. 11-4)


Zitat:
"Philosophy of science is not the only discipline to take science as its object. Both history of science and sociology of science share in this ambition. These three disciplines rarely come into conflict: indeed, the questions they pose about their object differ, they have developed diverging methods of investigation, and they advance perspectives that complement each other.

Another approach to science, close to the history and sociology of science but posing yet different questions, has been developing for the last 40 years or so. This is “social studies of science” or just “science studies.” Science studies’ mission is to renew the analysis of scientific activity by renouncing a certain number of suppositions commonly found in the other approaches. Specifically, it views science as just one human activity among many, without according it any special privilege relative to truth, objectivity, rationality, or the justification of the statements it produces. The modus operandi is to study “science as it is done” and not to develop a normative conception of science."

(Barberousse, Anouk. "Philosophy of Science and Science Studies." In The Philosophy of Science: A Companion, edited by Anouk Barberousse, Denis Bonnay, & Mikaël Cozic, 259-284. New York: Oxford University Press, 2018. p. 259)

"Science studies…developed amidst an outright rejection of the philosophical approach to science which dominated history of science up until the 1960s. One of their central motivations was that history of science is a historical discipline among others and that it is not legitimate for it to be so long cut off from general history, and from social, political and cultural history. Some went so far as to say that history of science was a sub- discipline of cultural history."

(Barberousse, Anouk. "Philosophy of Science and Science Studies." In The Philosophy of Science: A Companion, edited by Anouk Barberousse, Denis Bonnay, & Mikaël Cozic, 259-284. New York: Oxford University Press, 2018. p. 281)


Zitat:
"Science and technology studies—STS, for short—is an interdisciplinary field that investigates the institutions, practices, meanings, and outcomes of science and technology and their multiple entanglements with the worlds people inhabit, their lives, and their values. As a dynamic and innovative intellectual field, STS explores the transformative power of science and technology to arrange and rearrange contemporary societies. Over the past two hundred years, science and technology have evolved to be among the most significant forms of human activity and inseparable from social, political, and economic organization. They were and continue to be instruments of military power, economic innovation, democratic governance, moral judgment, political imagination, and cultural difference. Increasingly, science and technology permeate the social and material fabric of everyday life via, for example, the explanatory power of scientific models, the quantification of metrics of individual and organizational performance, and the globalization of information, communications, energy, transportation, and other technological infrastructures. Ultimately, science and technology shape how humans experience, imagine, assemble, and order the worlds they live in.

For STS, understanding science and technology means interrogating not only how science and technology shape social life and the world around us but also how the latter in turn shape developments in science and technology. Fundamentally, STS views science and technology as historical products of human labor, investments, choices, and designs. People construct and perform science and technology. At the same time, STS scholarship emphasizes that in the process of making science and technology, people also make and remake themselves, their bodies and identities, their societies, and their material surroundings. Thus, the idea that epistemic, technological, and social orders are co-produced has become commonplace in the field (Jasanoff 2004; Latour 1993); so, too, has reflexivity toward the situatedness of knowledge claims and technological developments (Haraway 1988). In this sense, all knowledge is local and reflects the specific historical moment, cultural context as well as the networks within which it is made. STS is sensitive to the moral economies that guide scientific research and technological development as well as to the various sociotechnical modalities through which ways of knowing and living get arranged. Classificatory practices, boundary-drawing activities—for example, between science and nonscience or between disciplinary specializations, specific entanglements of the social and the technical, and the complex processes of inclusions and exclusions created through these practices—all come in for careful attention within the work of the field (Bowker and Star 1999; Gieryn 1999).

STS aims to position science and technology alongside, intertwined with, and integral to other important arenas of human activity. It explores the particularities of where, when, and how people do science and technology and put them to work in making and changing the worlds they inhabit. STS research and pedagogy seek to open up science, technology, and society to critical assessment and interrogation. STS scholarship broadly asks, why have contemporary societies centered their imaginings of the past, present, and future on science and technology—and why do those visions differ so starkly from one another across times and cultures? Why do societies make science and technology—and, along the way, themselves—in one way as opposed to another? What and how do communities, from smaller groups to nations, choose to know, and how does that knowledge intersect with how they choose to live and govern? How do new sociotechnical arrangements come into being, get deliberated, and stabilize? How do people create diverse assemblages of cognitive, social, material, and technological realities, and what outcomes do these configurations have for how people live, work, and play? What happens when these arrangements are contested, changed, or even fall apart, potentially reconfiguring the worlds they have helped to constitute? STS has always asked cui bono—Who benefits from specific configurations of science and technology? Increasingly, STS also asks, how can our insights be put to work in ways that improve outcomes for people and the planet?"

(Felt, Ulrike, Rayvon Fouché, Clark A. Miller, et al., eds. The Handbook of Science and Technology Studies. 4th ed. Cambridge, MA: MIT Press, 2017. pp. 1-2)

#640:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 13.05.2024, 20:50
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Hab' ein bisschen zu folgendem rumgesucht.

tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Nun, es gibt eine solche Studie. In Klöstern haben Mönche und Nonnen praktisch identische Lebensbedingungen. Und siehe da: Dort ist der Lebenserwartungsunterschied extrem gering.
https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/studie-unter-moenchen-lebe-langsam-stirb-alt-a-266212.html

Bester Fund:

Zitat:
Women live longer than men even during severe famines and epidemics


Frauen sind die Meisterinnen in Sachen Lebenserwartung: Fast überall auf der Welt können sie heute damit rechnen, länger zu leben als Männer (1-3). Diese allgegenwärtige Ungleichheit fasziniert die Forscher seit Jahrzehnten (4). Die Gesamtheit der Forschungsergebnisse lässt den Schluss zu, dass diese Ungleichheit biologische Grundlagen hat, die durch soziale und ökologische Bedingungen beeinflusst werden. Ein tieferes Verständnis könnte von der biodemografischen Forschung profitieren (5). Im Folgenden stellen wir einige Ergebnisse dieser Forschung vor.

Für eine biologische Ursache des geschlechtsspezifischen Überlebensunterschieds sprechen Studien zu Gruppen, in denen Männer und Frauen einen ähnlicheren Lebensstil haben als in der Allgemeinbevölkerung, wie z. B. bei Nichtrauchern (6, 7) oder in religiösen Gruppen wie aktiven Mormonen ( 8 ) oder Mönchen und Nonnen im Kloster (9). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass, obwohl Männer und Frauen in diesen Gruppen einen ähnlicheren Lebensstil haben und Männer weniger Risikofaktoren ausgesetzt sind als Männer in der Allgemeinbevölkerung, immer noch ein geschlechtsspezifischer Unterschied in der Lebenserwartung besteht.

https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.1701535115

Der Ansatz des Artikels ist unterschiedliche Lebenserwartung bei schlechten Verhältnissen dingfest zu machen. Interessant. Damit will ich mich aber nicht aufhalten, relevant sind die Quellen 6 bis 9.

Quelle 9 scheint die Arbeit zu sein, auf die sich der Spiegel beruft.

Zitat:
Causes of Male Excess Mortality: Insights from Cloistered Populations
Marc Luy
2004


Diese Nonnenstudie rückt das in ein anderes Licht:

Zitat:
Trends in Mortality in Older Women: Findings from the Nun Study
Steven M. Butler, David A. Snowdon
1996

Die katholischen Schwestern wiesen eine hohe Sterblichkeitsrate bei Brustkrebs und Krebs der Fortpflanzungsorgane auf, was auf eine Auswirkung der Kinderlosigkeit hinweist, die sich bei älteren Frauen manifestiert.

Nonnen leben kürzer als Frauen, die Kinder hatten. Ob das in der Studie von Marc Luy berücksichtigt ist, läßt sich nicht sagen, weil die Arbeit nicht frei zugänglich ist.



Rücksturz zum Ausgangspunkt

Warum der Abschnitt FRAUEN UND IHRE HÖHERE LEBENSERWARTUNG ALS MÄNNER als Kritik an Mahner taugt, ist mir entgangen. Im Absatz darüber wird von einer "Über- und Fehlversorgung von Frauen" gesprochen. Ohne Fehlversorgung würden Frauen noch länger leben - oder?

Gegner einer Moral Panic hat folgendes geschrieben:
Wenn Unsinn verbreitet wird, dann darf, soll und muss das kritisieren werden. Das ist die Aufgabe der GWUP. Was Mahner aber in seinem Text versucht, ist etwas völlig anderes. Es handelt sich nicht um konkrete Kritik an kritikwürdigen Aussagen, sondern um eine pauschale Verurteilung eines komplexen Geflechts an Disziplinen, das der Autor augenscheinlich selbst nicht durchdringen kann.

Mahners Text ist eine Aufforderung, sich das "komplexe Geflecht" näher anzusehen. Darin detaillierte Kritik zu erwarten, ist etwas viel verlangt. Man wirft Mahner pauschale Verurteilung vor. Bei den Gegnern läuft es auf einen pauschalen Freispruch hinaus.

#641:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 13.05.2024, 22:20
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Möchte mich allmählich hier wieder ausklinken - nicht daß meine Synthesizer noch verstauben. zwinkern

Als vorläufiges Fazit:


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Dito die ganzen Horroszenarien, die der Anti-Trans-Aktivismus bzgl. des Selbstbestimmungsgesetzes u.Ä. heraufbeschwört.
Die Beispiele ließen sich fortsetzen.

Von Mahner zum SBGG ist ein weiter Weg. Denkst du, wenn man Mahner zustimmt, landet man zwangsläufig bei Anti-Trans-Aktivismus?

Nein, man landet nicht zwangsläufig bei diesen Auswüchsen der Anti-Woke-Hysterie. Beim beliebigen Zusammenwerfen von allem und nichts landet man im Wesentlichen bei dem, was einem beliebt. Ex falso quodlibet, oder so.

Ich persönlich denke, es war eine schlechte Idee von Mahner, die Streitvokabel "woke" überhaupt anzusprechen.

Typisch Mahner, sich auf solchen Streit um Begriffe einzulassen. Mahner/Bunge haben eine Philosophie der Evolutionsbiologie geschrieben. Darin behaupten sie, Gene seien keine Information und Evolution sei kein Algorithmus. Das ist Wortklauberei um "Information" und "Algorithmus". Jetzt auch noch Wortklauberei um "woke"? Alles der selbe Blödsinn.

Am Streit um Definitionen will ich mich tunlichst nicht beteiligen. Die rationale Gegenposition ist:

Zitat:
Taboo Your Words
Eliezer Yudkowsky
2008

When you find yourself in philosophical difficulties, the first line of defense is not to define your problematic terms, but to see whether you can think without using those terms at all. Or any of their short synonyms. And be careful not to let yourself invent a new word to use instead. Describe outward observables and interior mechanisms; don't use a single handle, whatever that handle may be.

https://www.lesswrong.com/posts/WBdvyyHLdxZSAMmoz/taboo-your-words

Yudkowsky hat so verdammt recht.

#642:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 14.05.2024, 01:00
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Typisch Mahner, sich auf solchen Streit um Begriffe einzulassen. Mahner/Bunge haben eine Philosophie der Evolutionsbiologie geschrieben. Darin behaupten sie, Gene seien keine Information und Evolution sei kein Algorithmus. Das ist Wortklauberei um "Information" und "Algorithmus". Jetzt auch noch Wortklauberei um "woke"? Alles der selbe Blödsinn.
Am Streit um Definitionen will ich mich tunlichst nicht beteiligen.


Wenn ein Begriff mehrdeutig ist—was bei "Information" wahrlich der Fall ist—, dann kommt es sehr oft zu Verwirrung, Missverständnissen und irrigen Annahmen. In solchen Fällen ist eine klärende Begriffsanalyse vonnöten, die keine überflüssige "Wortklauberei" ist, sondern ein wichtiger Teil sorgfältiger theoretischer Arbeit in der Philosophie und der Wissenschaft.

Mahner & Bunge schreiben übrigens nicht, dass es keine genetische Information gibt, sondern, dass das genetische Material (DNS) nur in einem bestimmten Sinn als Information bezeichnet werden kann. Zu dieser Schlussfolgerung gelangen sie nach Analyse der anderen Bedeutungen von "Information".

Zitat:
"One of the main problems with genetic information lies in the very word "information", which is so ambiguous that it is being used in the contemporary scientific literature in at least half a dozen different ways:

– information_1 = meaning (semantic information)
– information_2 = signal
– information_3 = message carried by a pulse-coded signal
– information_4 = quantity of order (negentropy) of a system
– information_5 = knowledge
– information_6 = communication of information_5 (knowledge) by social behavior (e.g. speech) involving a signal (information_2)

Gieven all these different senses of the word "information", it should come as no surprise that it has become an all-purpose term. It sounds very scientific, and seemingly indicates some deep insight, but it is often nothing but a disguise of ignorance, inviting people to proceed according to the rule "If you don't know what it is, call it information". So what, if anything, is information?"

(Mahner, Martin, & Mario Bunge. Foundations of Biophilosophy. Berlin: Springer, 1997. pp. 280-1)

"It will be obvious from the preceding considerations that "genetic information" cannot designate any one of above listed concepts of information. As [André] Lwoff (1962, p. 94 [Biological Order]) proposed long ago, "For the biologist, 'genetic information' refers to a given actual structure or order of the hereditary material and not to the negative entropy of this structure". Therefore, "genetic information" can refer only to the specific composition and structure of the genetic material. If used in this sense it is legitimate to continue to speak of genetic information."

(Mahner, Martin, & Mario Bunge. Foundations of Biophilosophy. Berlin: Springer, 1997. pp. 283-4)

#643:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 14.05.2024, 01:41
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Ich persönlich denke, es war eine schlechte Idee von Mahner, die Streitvokabel "woke" überhaupt anzusprechen.


Es ist doch hinreichend klar, worauf er sich bezieht, nämlich auf die akademische Linke mit ihren Critical Cultural Studies (und all deren Zweigen). Und wenn hier, wie Mahner argumentiert, der begründete Verdacht der Pseudowissenschaftlichkeit besteht, dann gehört es zur Kernaufgabe der GWUP, dieser Sache auf den Grund zu gehen—und zwar auch dann, wenn man damit in ein politisches Wespennest sticht und Gefahr läuft, rasch in die "politisch unkorrekte" rechte Ecke gestellt zu werden.

Martin Mahner: Warum die sog. "Critical Studies" unter Pseudowissenschaftsverdacht stehen

#644:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 14.05.2024, 01:54
    —
Humanistischer Pressedienst: Die GWUP hat einen neuen Vorstand: Der Richtungsstreit bei den deutschen Skeptikern ist erstmal entschieden

#645:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 14.05.2024, 18:36
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Mahner & Bunge schreiben übrigens nicht, dass es keine genetische Information gibt, sondern, dass das genetische Material (DNS) nur in einem bestimmten Sinn als Information bezeichnet werden kann. Zu dieser Schlussfolgerung gelangen sie nach Analyse der anderen Bedeutungen von "Information".

Was du zitiert hast, halte ich für vernünftig. Sorry, da habe ich etwas in den falschen Hals gekriegt. Information und Algorithmus war mal Streitpunkt zwischen El Schwalmo und mir. ES hat sich auf Mahner/Bunge berufen. Oder ich habe was mißverstanden oder meine Erinnerung trügt mich.

Bitte so tun, als hätte ich nichts gesagt. zwinkern

#646:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 14.05.2024, 19:21
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Ich persönlich denke, es war eine schlechte Idee von Mahner, die Streitvokabel "woke" überhaupt anzusprechen.


Es ist doch hinreichend klar, worauf er sich bezieht, nämlich auf die akademische Linke mit ihren Critical Cultural Studies (und all deren Zweigen).

Natürlich ist das klar.

Das ist ein alter Streit. Er geht mindestens bis in die 70er zurück und den Streit um Soziobiologie mit Edward O. Wilson auf der einen und Lewontin und Gould auf der anderen Seite.


Myron hat folgendes geschrieben:
Und wenn hier, wie Mahner argumentiert, der begründete Verdacht der Pseudowissenschaftlichkeit besteht, dann gehört es zur Kernaufgabe der GWUP, dieser Sache auf den Grund zu gehen...

Ist ja unstrittig zwischen uns. Die Frage ist, auf welchem Hügel willst du sterben? Das ist eine Sache der Argument-Ökonomie.

Welcher dieser beiden Ansätze ist einfacher?

    1a) Ich erkläre, daß woke kein Kampfbegriff ist.
    1b) Dann erkläre ich, wo die progressive Linke falsch liegt.

    2) Ich erkläre, wo die progressive Linke falsch liegt - seit mindestens fünfzig Jahren.


Myron hat folgendes geschrieben:
—und zwar auch dann, wenn man damit in ein politisches Wespennest sticht und Gefahr läuft, rasch in die "politisch unkorrekte" rechte Ecke gestellt zu werden.

Tja, das geht schnell. Tagesaktuell:

Myron und ich sind regelmäßige Leser von Jerry Coyne. Coyne ist gerade in Amsterdam, war eingeladen zu einer Podiumsdiskussion, es sollte um fehlerhafte Darstellungen der Evolutionsbiologie gehen. Sie wurde kurzfristig abgesagt, weil Coyne sich auf seinem Blog pro-israelisch geäußert hatte.

WEIT hat folgendes geschrieben:
Betabreak wies darauf hin, dass es vielen Mitgliedern des Betabreak-Ausschusses unangenehm war, Jerry Coyne und Maarten Boudry angesichts ihrer Haltung zum palästinensisch-israelischen Konflikt eine Bühne zu geben. [...] Der Betabreak-Ausschuss kam zu dem Schluss, dass die Debatte mit Boudry und Coyne angesichts des derzeitigen politischen Klimas nicht stattfinden konnte.

https://whyevolutionistrue.com/2024/05/14/press-release-of-our-cancellation/


Ist das nicht mit umgekehrtem Vorzeichen kürzlich in Deutschland passiert? Nancy Fraser, amerikanische Professorin, wurde von einem Vortrag ausgeladen, weil sie sich pro-palästinensisch geäußert hatte.

Weder im Vortrag von Coyne noch bei Fraser sollte es um den Nahen Osten gehen.

#647:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 14.05.2024, 20:11
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Tagesaktuell:
Myron und ich sind regelmäßige Leser von Jerry Coyne. Coyne ist gerade in Amsterdam, war eingeladen zu einer Podiumsdiskussion, es sollte um fehlerhafte Darstellungen der Evolutionsbiologie gehen. Sie wurde kurzfristig abgesagt, weil Coyne sich auf seinem Blog pro-israelisch geäußert hatte.

WEIT hat folgendes geschrieben:
Betabreak wies darauf hin, dass es vielen Mitgliedern des Betabreak-Ausschusses unangenehm war, Jerry Coyne und Maarten Boudry angesichts ihrer Haltung zum palästinensisch-israelischen Konflikt eine Bühne zu geben. [...] Der Betabreak-Ausschuss kam zu dem Schluss, dass die Debatte mit Boudry und Coyne angesichts des derzeitigen politischen Klimas nicht stattfinden konnte.

https://whyevolutionistrue.com/2024/05/14/press-release-of-our-cancellation/


Ist das nicht mit umgekehrtem Vorzeichen kürzlich in Deutschland passiert? Nancy Fraser, amerikanische Professorin, wurde von einem Vortrag ausgeladen, weil sie sich pro-palästinensisch geäußert hatte.

Weder im Vortrag von Coyne noch bei Fraser sollte es um den Nahen Osten gehen.


Nur am Rande: Coyne und Fraser sind beide jüdischer Abstammung.

Fraser hat sich nicht irgendwie "pro-palästinenisch" geäußert, sondern einen offenen Brief unterzeichnet und damit gutgeheißen, in dem Israel des Genozids bezichtigt und als Apartheid-Staat hingestellt wird. Außerdem wird das Hamas-Massaker in einer Weise relativiert, die man als implizite Rechtfertigung auffassen kann.
Apropos Massaker, davon ist gleich am Anfang des Briefes die Rede—aber nicht vom Hamas-Massaker, sondern vom "massacre being committed in Gaza by Israel". Damit wird der israelischen Regierung & Armee unterstellt, sie wären selbst Terroristen mit der massenmörderischen Absicht, so viele palästinensische Zivilisten wie möglich zu töten.
Des Weiteren enthält der Brief einen Aufruf zum "akademischen und kulturellen Boykott israelischer Institutionen" nebst einem Link zur Website der BDS-Bewegung.

Siehe: Antisemitismus in der BDS-Kampagne

Das ist schon starker Tobak!

Hier ist die Stellungnahme der Kölner Uni: https://portal.uni-koeln.de/universitaet/aktuell/presseinformationen/detail/absage-der-albertus-magnus-professur-2024

Kennst du anti-palästinensische Äußerungen von Coyne, die seine Ausladung in Amsterdam rechtfertigen?

Vom dortigen Veranstalter bekommt man nichts anderes zu hören als:

Zitat:
"Betabreak indicated that many members of committee of Betabreak were uncomfortable giving Jerry Coyne and Maarten Boudry a stage given their position on the Palestinian-Israeli conflict. Betabreak’s committee also expressed concern about the impression a debate with Coyne and Boudry would make on Betabreak’s organization. Betabreak’s committee concluded that the debate with Boudry and Coyne could not take place given the current political climate."

Quelle: https://whyevolutionistrue.com/2024/05/14/press-release-of-our-cancellation/

#648:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 14.05.2024, 23:09
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Fraser hat sich nicht irgendwie "pro-palästinenisch" geäußert, sondern einen offenen Brief unterzeichnet und damit gutgeheißen, in dem Israel des Genozids bezichtigt und als Apartheid-Staat hingestellt wird. Außerdem wird das Hamas-Massaker in einer Weise relativiert, die man als implizite Rechtfertigung auffassen kann.

Fraser hat ihre Gastprofessur nicht für ihre Einsichten zur Nahost-Politik erhalten. Was auch immer ihre Meinung in dieser Sache ist, beschädigt nicht, was sie in ihrem Fachgebiet sagt.

Die Ambivalenz, nicht bei allen Themen einer Meinung zu sein, kann ich aushalten. Sogar dann, wenn ich ihre Meinung zum Israel-Thema für grundfalsch halte.

Wo kommen wir hin, wenn man erst einen Gesinnungstest machen muß, bevor man vorzeigbar ist? smallie, wo stehst du in der Israel-Frage? Und je nach dem, wie ich antworte, sagt die eine oder andere Seite: falsche Antwort! Ab sofort steht alles, was du über Gott und die Welt und die Physik und die Biologie geschrieben hast und zukünftig schreiben wirst, unter Verdacht.

Bitte Coyne und Fraser auf eine Bühne stellen und hören, was sie zu sagen haben.


Myron hat folgendes geschrieben:
Siehe: Antisemitismus in der BDS-Kampagne

Das sollte man der woken Seite - hier finde ich den Begriff angebracht - immer wieder mal süffisant unter die Nase reiben, daß die US-woken eher anti-israelisch eingestellt sind.


Myron hat folgendes geschrieben:
Kennst du anti-palästinensische Äußerungen von Coyne, die seine Ausladung in Amsterdam rechtfertigen?

Die Frage verstehe ich nicht.


Myron hat folgendes geschrieben:
Vom dortigen Veranstalter bekommt man nichts anderes zu hören als:

Zitat:
"Betabreak indicated that many members of committee of Betabreak were uncomfortable giving Jerry Coyne and Maarten Boudry a stage given their position on the Palestinian-Israeli conflict. Betabreak’s committee also expressed concern about the impression a debate with Coyne and Boudry would make on Betabreak’s organization. Betabreak’s committee concluded that the debate with Boudry and Coyne could not take place given the current political climate."

Quelle: https://whyevolutionistrue.com/2024/05/14/press-release-of-our-cancellation/

Myron, das hatte ich auch zitiert.

#649:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 14.05.2024, 23:36
    —
smallie hat folgendes geschrieben:

Fraser hat ihre Gastprofessur nicht für ihre Einsichten zur Nahost-Politik erhalten. Was auch immer ihre Meinung in dieser Sache ist, beschädigt nicht, was sie in ihrem Fachgebiet sagt.


Mag sein, aber es gab einen nachvollziehbaren Interessenkonflikt aufseiten der Kölner Uni:

Zitat:
"Uns geht es bei der Bewertung der Frage nicht darum, ob Frau Fraser an der Universität zu Köln auftreten kann oder nicht. Sondern die Albertus Magnus Professur ist eine besondere Ehrung der Gesamtuniversität. [ … ]
Und natürlich ist es dann schwierig, das in Übereinstimmung zu bringen mit dem Aufruf zum Boykott israelischer Partnerinstitutionen, der auch in diesem Statement „Philosophy for Palestine“ drin steckt, wenn wir gerade als Universität zu Köln so viele Verbindungen zu Partnerinstitutionen in Israel haben. Insofern ist es eine Frage der Ehrung, und ob die Ehrung angemessen ist. Es geht gar nicht darum, ob Frau Fraser auf Einladung einer Kollegin oder eines Kollegen grundsätzlich eine Vorlesung halten kann, auftreten kann an unserer Universität zu Köln und auch ihre Positionen deutlich machen kann."

Quelle: https://portal.uni-koeln.de/universitaet/aktuell/presseinformationen/detail/absage-der-albertus-magnus-professur-2024


Dazu auch ein Radiointerview mit dem Unirektor: https://www.deutschlandfunk.de/haltung-zu-nahost-uni-koeln-laedt-us-philosophin-aus-interview-j-mukherjee-dlf-f3920942-100.html

Hier ist ein guter Kommentar in der TAZ: https://taz.de/Debatte-um-Nancy-Fraser/!6003850/

#650:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 15.05.2024, 21:39
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Mag sein, aber es gab einen nachvollziehbaren Interessenkonflikt aufseiten der Kölner Uni:

So 30% nachvollziehbar.

Ich glaube nicht, daß die Petition, die Fraser unterschrieben hat, auch nur bei einem Dutzend Menschen dazu geführt hat, daß sie jetzt anders denken. Die Petition hat keine Konsequenzen. Hätte sie welche, wäre es vielleicht eine gute Tat, sich dagegen zu stellen. Aber so? Eine distanzierende Stellungnahme der Uni hätte gereicht. (Die Uni Köln kann ihre Ehrenwürden natürlich vergeben oder entziehen, wie sie will.)

Wenn ich den Argumenten der Uni folge, müßte man an anderen Stellen nicht ebenso Konsequenzen ziehen? Judith Butler wird auf Seiten der Bundeszentrale für Politische Bildung zitiert. Muß das jetzt weg, weil Butler ebenfalls unterschrieben hat?

Nein, das soll weg, wenn man sich einig wird, daß Butler Blödsinn schreibt. Kritik an sonstigen themenfremden Haltungen Butlers spielt keine Rolle beim Versuch, den vermeintlichen Blödsinn zu entlarven.


Myron hat folgendes geschrieben:
Hier ist ein guter Kommentar in der TAZ: https://taz.de/Debatte-um-Nancy-Fraser/!6003850/

Daraus:

TAZ hat folgendes geschrieben:
Weshalb – die Kriterien der Identität der Uni Köln mal endlich ernst genommen – sollte eine Intellektuelle einen Preis zuerkannt bekommen, dem sie mit ihren Statements hohnspricht?

Gab es eine Laudatio anläßlich der Verleihung des Lehrstuhls? Dann wäre die der Maßstab, ob ihr der Preis zusteht oder entzogen werden muß.


TAZ hat folgendes geschrieben:
Manche Kolleg:Innen hätten sie gern als Opfer eines Phänomens, das sie als Cancel Culture, gar neuen McCarthyismus bezeichnen. Das ist falsch: In Deutschland hat es unglückliche Stornierungen gegeben, aber Verfolgungen dann doch nicht.

"Unglückliche Stornierungen" - der Autor pflegt einen kreativen Umgang mit Euphemismen und kaschiert das mit "Verfolgungen". Aha. In anderen Worten: Wir sind noch nicht bei McCarthy und der Stasi und der Gestapo - dann erst könnt ihr die Klappe aufmachen. Auch eine Meinung, aber eine depperte.


TAZ hat folgendes geschrieben:
Sie werden bloß alle nicht mehr wie moderne Mandarininnen* in den Manegen der kritisch-theoretischen Weltbilder vorgeführt werden können, jedenfalls nicht mehr fraglos als Topcheckerinnen der Weltenläufte.

Über die Bande gespielte Pauschalvorwürfe gelten nicht. nee Laßt die Leute zu Wort kommen, laßt sie reden. Je mehr sie reden, desto mehr Material habe ich, ihre Reden vorzuführen. Mr. Green

Ich würde mir sehr parteiisch vorkommen, wenn ich bei Coyne sage: cancel culture! und bei Fraser nicht.

#651:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 16.05.2024, 00:38
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Apropos Massaker, davon ist gleich am Anfang des Briefes die Rede—aber nicht vom Hamas-Massaker, sondern vom "massacre being committed in Gaza by Israel". Damit wird der israelischen Regierung & Armee unterstellt, sie wären selbst Terroristen mit der massenmörderischen Absicht, so viele palästinensische Zivilisten wie möglich zu töten.

Nur interessehalber: Welchen Begriff würdest du für eine Operation vorschlagen, bei der erwartungsgemäß eine große Anzahl von Zivilisten ums Leben kommt, ohne dass deren Tötung der Zweck oder die Absicht der Operation wäre?

(Darin, dass die Nichterwähnung des Hamas-Massakers in diesem Kontext ein sträfliches Versäumnis ist und Biykottaufrufe gar nicht gehen, stimmen wir übrigens überein.)

#652:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 16.05.2024, 12:24
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Apropos Massaker, davon ist gleich am Anfang des Briefes die Rede—aber nicht vom Hamas-Massaker, sondern vom "massacre being committed in Gaza by Israel". Damit wird der israelischen Regierung & Armee unterstellt, sie wären selbst Terroristen mit der massenmörderischen Absicht, so viele palästinensische Zivilisten wie möglich zu töten.

Nur interessehalber: Welchen Begriff würdest du für eine Operation vorschlagen, bei der erwartungsgemäß eine große Anzahl von Zivilisten ums Leben kommt, ohne dass deren Tötung der Zweck oder die Absicht der Operation wäre?


Israel führt einen gerechtfertigten Vergeltungskrieg gegen die Hamas in einem sehr kleinen, dicht besiedelten Kampfgebiet. (Der ganze Gazastreifen hat über 2 Mio. Einwohner bei einer Fläche, die kleiner ist als das Stadtgebiet von Köln.) Da sich die Hamas-Kämpfer inmitten der Zivilbevölkerung aufhalten und diese auch gezielt als Schutzschild missbrauchen, ist ein moralisch optimaler Schutz der Zivilisten leider unmöglich.

Es stellt sich natürlich die moralische Frage der Verhältnismäßigkeit: Wie viele Tote oder Verletzte unter den Zivilisten dürfen bei der Verfolgung des legitimen Kriegszieles (= die Vernichtung von Hamas) entschuldbarerweise in Kauf genommen werden?

Ich habe die einzelnen Kriegsaktionen der israelischen Armee nicht analysiert, sodass ich nicht beurteilen kann, ob sie unter den örtlich äußerst ungünstigen Umständen unverhältnismäßig gehandelt hat und in unentschuldbarer Weise für den Tod vieler palästinensischer Zivilisten verantwortlich ist.

Der Völkermord-Vorwurf ist jedenfalls völlig haltlos.

#653:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 16.05.2024, 13:16
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Mag sein, aber es gab einen nachvollziehbaren Interessenkonflikt aufseiten der Kölner Uni:

So 30% nachvollziehbar.

Ich glaube nicht, daß die Petition, die Fraser unterschrieben hat, auch nur bei einem Dutzend Menschen dazu geführt hat, daß sie jetzt anders denken. Die Petition hat keine Konsequenzen. Hätte sie welche, wäre es vielleicht eine gute Tat, sich dagegen zu stellen. Aber so? Eine distanzierende Stellungnahme der Uni hätte gereicht. (Die Uni Köln kann ihre Ehrenwürden natürlich vergeben oder entziehen, wie sie will.)


Fraser ist nicht irgendwer, sondern eine prominente linke Philosophin; und mit ihrer Unterschrift hat sie als international bekannte und anerkannte Intellektuelle dem offenen Brief (mit seinem Apartheid- & Genozid-Vorwurf sowie Boykottaufruf) ein besonderes Gewicht verliehen, das dieser nicht hätte, wenn er nur von irgendwelchen Niemanden unterzeichnet worden wäre.

Es ist übrigens befremdlich, dass sie als Jüdin die antisemitische BDS-Bewegung unterstützt.

#654:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 16.05.2024, 13:37
    —
Myron hat folgendes geschrieben:

Es ist übrigens befremdlich, dass sie als Jüdin die antisemitische BDS-Bewegung unterstützt.


Ein Artikel von Michael Wolffsohn:

Zitat:
"…Nicht nur Nichtjuden, Muslime und Araber- oder Islamfreunde demonstrieren gegen Zionismus und Israel, sondern auch eine jüdische Minderheit. Deren Vertreter demonstrieren letztlich gegen sich selbst, weil sie, wie Juden seit eh und je, von aussen meistens in die jüdische «Schublade» gesteckt werden.

Wie die «zivilisierten Westjuden», die sich gegenüber den Nazi-Barbaren zu lange sicher wähnten. Sie meinten (und hofften), der NS-Judenhass richte sich «nur» gegen die orthodoxen, vormodernen Ostjuden. Diese wiederum verliessen sich auf «Gottes Hilfe». Spätestens in Auschwitz erkannten beide: Für Judenhasser sind alle Juden gleich. Der angepasste ebenso wie der widerspenstige Jude, der moralische «Judenrat» ebenso wie der unmoralische und auch der Kapo im KZ.

Die jüdischen Mit- und Vorläufer der antijüdischen Demonstrationen von heute erliegen dem gleichen, vom Prinzip Hoffnung abgeleiteten Denkfehler wie die Kulturjuden im 19. Jahrhundert. Selbst grosse Geister wie Ludwig Börne und Heinrich Heine mussten ihn leidvoll erkennen: Sie hatten gedacht, die Taufe sei das Eintrittsbillett für die europäische Kultur. Irrtum.

Ebenso heute: Jüdischer Juden- und Israelhass à la Judith Butler, Deborah Feldman oder Susan Neiman scheint wie, ist aber eben nicht die Eintrittskarte für den westlichen Wissens- und Kulturbetrieb. Sollten sie mit ihren Mitstreitern obsiegen, wird man sich ihrer entledigen. Denn dann hat der Jud seine für die Nichtjuden segensreiche Arbeit vollbracht. Der Jud kann gehn. «Jud bleibt Jud», heisst es in Max Frischs Stück «Andorra». «Tut nichts, der Jude wird verbrannt!», sagt der Patriarch von Jerusalem in Lessings «Nathan der Weise». Feldman und ihresgleichen wissen nicht, was sie tun.

Unbestreitbar zählen, besonders in den USA, doch auch in Westeuropa, Juden zu den gegen Israel demonstrierenden Massen. Folglich, so das willkommene Alibi der nichtjüdischen Juden- und Israelhasser, könne ihr Anliegen nicht antisemitisch sein. Korrekt? Man schaue beidseits. Jenen Nichtjuden sind ihre jüdischen Mitstreiter, zumindest zeitweise, ein nützliches und daher willkommenes Alibi. Sie wären dumm, darauf zu verzichten.…"

Quelle: https://www.nzz.ch/feuilleton/gebildete-barbaren-wie-sich-westliche-wissenschaft-und-kultur-abschaffen-ld.1830150

#655:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 16.05.2024, 16:02
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Mag sein, aber es gab einen nachvollziehbaren Interessenkonflikt aufseiten der Kölner Uni:

So 30% nachvollziehbar.

Ich glaube nicht, daß die Petition, die Fraser unterschrieben hat, auch nur bei einem Dutzend Menschen dazu geführt hat, daß sie jetzt anders denken. Die Petition hat keine Konsequenzen. Hätte sie welche, wäre es vielleicht eine gute Tat, sich dagegen zu stellen. Aber so? Eine distanzierende Stellungnahme der Uni hätte gereicht. (Die Uni Köln kann ihre Ehrenwürden natürlich vergeben oder entziehen, wie sie will.)

Wenn ich den Argumenten der Uni folge, müßte man an anderen Stellen nicht ebenso Konsequenzen ziehen? Judith Butler wird auf Seiten der Bundeszentrale für Politische Bildung zitiert. Muß das jetzt weg, weil Butler ebenfalls unterschrieben hat?

Nein, das soll weg, wenn man sich einig wird, daß Butler Blödsinn schreibt. Kritik an sonstigen themenfremden Haltungen Butlers spielt keine Rolle beim Versuch, den vermeintlichen Blödsinn zu entlarven.


Myron hat folgendes geschrieben:
Hier ist ein guter Kommentar in der TAZ: https://taz.de/Debatte-um-Nancy-Fraser/!6003850/

Daraus:

TAZ hat folgendes geschrieben:
Weshalb – die Kriterien der Identität der Uni Köln mal endlich ernst genommen – sollte eine Intellektuelle einen Preis zuerkannt bekommen, dem sie mit ihren Statements hohnspricht?

Gab es eine Laudatio anläßlich der Verleihung des Lehrstuhls? Dann wäre die der Maßstab, ob ihr der Preis zusteht oder entzogen werden muß.

Die Albertus-Magnus-Professur ist nun mal keine normale Professur (auch kein Lehrstuhl), bei der die Person primär in ihrem Fach im normalen Studienbetrieb lehren würde. Das stimmt inhaltlich nicht, sondern es geht um Vorträge von allgemeinem Interesse; und dafür wären es auch viel zu wenige Veranstaltungen. Es sind auch keine einfachen Gastvorträge, zu denen man bestimmte Wissenschaftler:innen für ihr Fach einlädt.

Es ist primär eine Ehrung, die sich ganz klar nicht nur auf die Fachwissenschaft, sondern auch auf das öffentliche Wirken der Person bezieht. Deswegen ist es für mich völlig selbstverständlich, dass man öffentliche Äußerungen zu allgemeinen Themen auch einbezieht, wenn man überlegt, ob jemand diese Ehrung verdient hat.

#656:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 16.05.2024, 16:13
    —
smallie hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Siehe: Antisemitismus in der BDS-Kampagne

Das sollte man der woken Seite - hier finde ich den Begriff angebracht - immer wieder mal süffisant unter die Nase reiben, daß die US-woken eher anti-israelisch eingestellt sind.

Du beschreibst die Tatsache, dass es innerhalb dessen, was i.d.R. diffamierend als "woke" angegriffen wird, völlig unterschiedliche Ansichten zum Konflikt in Israel/Palästina gibt.

Daraus könnte man jetzt den Schluss ziehen, dass das eben gar keine klar abgrenzbare Gruppe ist, sondern ganz viele verschiedene Gruppen, Grüppchen und Personen sind, die sich mit einer Vielzahl verschiedener Themen beschäftigen und zu diesen Themen denn auch oft unterschiedliche Meinungen haben.
Aber das wäre ja sachlich.

Macht viel mehr Spaß, unverdrossen gegen diese Evidenz weiter so zu tun, als wäre es eben doch eine solche zusammengehörige Gruppe, bei der man einen Teil der angeblichen Gruppe damit ärgern könnte, was ein anderer tut. Wer will sich ein Feindbild schon gern durch die Realität kaputt machen lassen?

#657:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 16.05.2024, 17:05
    —
@tillich (epigonal):

Die Israelfeinde bei den Wachen Linken sind alles andere als eine kleine Randgruppe. Der Postkolonialismus ist ein wesentlicher Teil ihrer Ideologie, und darin wurzelt ihr Hass gegen Israel.

#658:  Autor: tillich (epigonal) BeitragVerfasst am: 16.05.2024, 17:27
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
@tillich (epigonal):

Die Israelfeinde bei den Wachen Linken sind alles andere als eine kleine Randgruppe. Der Postkolonialismus ist ein wesentlicher Teil ihrer Ideologie, und darin wurzelt ihr Hass gegen Israel.

Thema verfehlt. Mir geht es nicht darum, ob linke Israelfeinde eine kleine oder große Gruppe wären (international sind sie offenbar leider eine große Gruppe), sondern darum, dass diese angeblichen "Woken" / "Wachen Linken" / "neuer Modename kommt nächste Woche" eben keine sinnvoll abgrenzbare Gruppe sind, was man u.a. an den völlig unterschiedlichen Positionen zu diesem Thema sehen kann.

Oder bin ich jetzt auf einmal kein "woker Linker" mehr, weil ich ein klarer Gegner des israelbezogenen Antisemitismus bin?

#659:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 16.05.2024, 19:52
    —
Myron hat folgendes geschrieben:
Israel führt einen gerechtfertigten Vergeltungskrieg

Ich hoffe doch sehr, du hast dich da nur aus Versehen vertippt und wolltest eigentlich was anderes schreiben. Ansonsten darfst du mir gerne erklären, in welchem rechtlichen oder ethischen Zusammenhang heuzutage Vergeltung als legitimer Kriegsgrund geführt wird.

Myron hat folgendes geschrieben:
Es stellt sich natürlich die moralische Frage der Verhältnismäßigkeit: Wie viele Tote oder Verletzte unter den Zivilisten dürfen bei der Verfolgung des legitimen Kriegszieles (= die Vernichtung von Hamas) entschuldbarerweise in Kauf genommen werden?

Zunächst stellt sich die Frage, ob das Ziel der Vernichtung der Hamas mit diesen Mitteln überhaupt erreichbar ist. Selbst einige hochrangige israelische Militärexperten widersprechen dieser Annahme. Du darfst dir die "Vernichtung" einer solchen Organisation nämlich nicht so vorstellen, dass man einfach nur jeden erschießen müsste, der jetzt gerade zur Hamas gehört, und dann sei die Sache gegessen.

Welche Rechte Zivilisten (und zwar alle Zivilisten und nicht nur "so viele von ihnen, wie es gerade bequem ist") im Krieg haben, kann man übrigens dem humanitären Völkerrecht und insbesondere der vierten Genfer Konvention entnehmen.


Zuletzt bearbeitet von Tarvoc am 16.05.2024, 20:31, insgesamt 2-mal bearbeitet

#660:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 16.05.2024, 20:24
    —
Ich muß wohl mal die Instrumente herzeigen. Mr. Green

Zum Glück bin nicht die Inquisition - ihr dürft aufatmen. Ich denke nicht an Daumenschrauben, sondern an andere Instrumente.

Myron hat folgendes geschrieben:
Fraser ist nicht irgendwer, sondern eine prominente linke Philosophin; und mit ihrer Unterschrift hat sie als international bekannte und anerkannte Intellektuelle dem offenen Brief (mit seinem Apartheid- & Genozid-Vorwurf sowie Boykottaufruf) ein besonderes Gewicht verliehen, das dieser nicht hätte, wenn er nur von irgendwelchen Niemanden unterzeichnet worden wäre.


kolja - Leitfaden für Missionare hat folgendes geschrieben:
Argumentum ad verecundiam (Berufung auf Autoritäten): Berufe Dich nicht auf Autoritäten!



Myron hat folgendes geschrieben:
Es ist übrigens befremdlich, dass sie als Jüdin die antisemitische BDS-Bewegung unterstützt.

Is wohl keine wahre Jüdin. Bitte nicht!


Zuletzt bearbeitet von smallie am 16.05.2024, 22:25, insgesamt einmal bearbeitet

#661:  Autor: Tarvoc BeitragVerfasst am: 16.05.2024, 21:39
    —
Tarvoc hat folgendes geschrieben:
Myron hat folgendes geschrieben:
Israel führt einen gerechtfertigten Vergeltungskrieg

Ich hoffe doch sehr, du hast dich da nur aus Versehen vertippt und wolltest eigentlich was anderes schreiben. Ansonsten darfst du mir gerne erklären, in welchem rechtlichen oder ethischen Zusammenhang heuzutage Vergeltung als legitimer Kriegsgrund geführt wird.

Addendum: Übrigens kann natürlich auch eine Kriegspartei, deren Kriegsziele als solche gerechtfertigt sind, bei der Verfolgung dieser Ziele Kriegsverbrechen begehen, die als Massaker bezeichnet werden. Bei Bedarf suche ich gerne historische Beispiele heraus.
(Allerdings ist natürlich zu beachten, dass "Massaker" weder ein Rechtsbegriff noch scharf definiert ist.)

[edit] Noch ein Nachtrag, um das vielleicht etwas abzukürzen:

Myron hat folgendes geschrieben:
Der Völkermord-Vorwurf ist jedenfalls völlig haltlos.

Einverstanden, aber um den Begriff des Völkermords ging es weder in deiner Kritik an dem von Fraser unterzeichneten offenen Brief noch in meiner Nachfrage.

#662:  Autor: Myron BeitragVerfasst am: 17.05.2024, 16:23
    —
Interview mit dem neuen GWUP-Vorsitzenden André Sebastiani

#663:  Autor: smallie BeitragVerfasst am: 17.05.2024, 19:11
    —
tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
smallie hat folgendes geschrieben:
Das sollte man der woken Seite - hier finde ich den Begriff angebracht - immer wieder mal süffisant unter die Nase reiben, daß die US-woken eher anti-israelisch eingestellt sind.

Du beschreibst die Tatsache, dass es innerhalb dessen, was i.d.R. diffamierend als "woke" angegriffen wird, völlig unterschiedliche Ansichten zum Konflikt in Israel/Palästina gibt.

Daraus könnte man jetzt den Schluss ziehen, dass das eben gar keine klar abgrenzbare Gruppe ist, sondern ganz viele verschiedene Gruppen, Grüppchen und Personen sind, die sich mit einer Vielzahl verschiedener Themen beschäftigen und zu diesen Themen denn auch oft unterschiedliche Meinungen haben.

Ja, dein Schluß ist zur Hälfte richtig. Leider habe ich versäumt, Roß und Reiter klar zu nennen. Sorry.

Es sind nicht viele Gruppen, sondern nur zwei. Auf der einen Seite die speziell deutsche Sicht auf das Thema Israel, auf der anderen Seite der Rest der Welt, vielleicht mit Ausnahme der USA.


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Aber das wäre ja sachlich.

Unsachlich wäre: "Das und das ist falsch, weil es woke ist." Falls ich jemals derartiges schreibe, ruft bitte den Arzt.

Süffisanz, Spott und Häme möchte ich mir aber nicht verkneifen, wenn ich denke sie sei angebracht. Ich habe unten im Text eine überraschende Konstellation untergebracht - möglicherweise wirst du Schmunzeln. Dann wäre meine Süffisanz bei dir angekommen. zwinkern


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Macht viel mehr Spaß, unverdrossen gegen diese Evidenz weiter so zu tun, als wäre es eben doch eine solche zusammengehörige Gruppe, bei der man einen Teil der angeblichen Gruppe damit ärgern könnte, was ein anderer tut.

Ich kann schon sagen, warum beide Gruppen zusammengehören. Beide Gruppen tun dasselbe. Beide verhindern öffentliche Debatten.

    - In Amsterdam wird Jerry Coyne ausgelanden, bei uns Nancy Fraser. In Deutschland wurde "From the River to the Sea" verboten, auf US-Campusen im Chor gesungen.

    - Dies ohne Wertung, weil ich die Details nicht verfolgt habe: Varoufakis wurde mit Einreiseverbot belegt, es bestand angeblich Gefahr, daß er sich antisemitisch äußert.


Du sagst, wir hätten es "nicht mit klar abgegrenzten Gruppen" zu tun. Beispielhaft einen Einzelaspekt herausgegriffen, der als allgemeines Kriterium dienen kann. Es gab: "LGBTQ for Palestine". Wenn es nennenswerte Anteile von "LGBTQ for Israel" gibt, ziehe ich Teile meiner Behauptungen zurück.

Man kann sich darüber streiten wer recht hat und wer nicht. Ich finde es spannender, über Kriterien zu streiten. Unter welchen Voraussetzung habe ich recht, unter welchen liege ich falsch. Das zwingt mich dazu, über die Grenzen meiner Behauptungen nachzudenken.

Wo siehst du die Grenzen deiner Behauptung? Was müßte eintreten, damit du sagst: "Ich habe mich in Sachen woke geirrt."


tillich (epigonal) hat folgendes geschrieben:
Wer will sich ein Feindbild schon gern durch die Realität kaputt machen lassen?

Du übersiehst, daß die internationale Stimmung stark anti-israelisch ist. Wenn du sagst, die hätten ein Feindbild, werden die Leute entgegnen, du hättest ein philosemitisches Freundbild.

Wie weit liegen Myron, du, ich im Fall Israel/Hamas auseinander? Nicht all zu sehr, denke ich, besonders im internationalen Vergleich. Wären wir drei an einer US-Uni, uns würde strammer Gegenwind entgegenpfeifen. Schon blöd, daß du ausgerechnet mit uns beiden in eine Feindbildschublade gesteckt wirst.


Soviel dazu. Schmunzelst du jetzt oder ärgerst du dich?

Der Parallelfall Jerry Coyne/Nancy Fraser wäre eine gute Gelegenheit, sich Kriterien zu erarbeiten, wann Absagen, Streichungen, Ausladungen gerechtfertigt sind und wann nicht. Sonst müssen wir beim nächsten Mal wieder von vorne im Klein-klein anfangen. Moment, halt, da war doch was! Solche Kriterien gibt es schon längst, siehe Aufklärung und John Stuart Mill, On Liberty. Schon wieder ein Fall von Geschichtsvergessenheit? Ach, die Leute sind einfach nicht woke genug.

Ich schlage ein neues, gemeinsames Feindbild vor. Mr. Green Bisher war ich gegen cancel culture. Möglicherweise war das ein Fehler?! Wäre doch besser pro cancel culture zu sein und die cancler zu canceln.

Unverschämtheit



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