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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
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(#1363374) Verfasst am: 20.09.2009, 01:23 Titel: |
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neinguar hat folgendes geschrieben: | Was sagen Hirnforscher, die eine andere Begründung von Strafe fordern, z.B. zu diesen Punkten? |
Naja, zum Teil kann das beantwortet werden mit einem Zitat aus eben diesem Link:
Straftheoretische Anmerkungen zur Debatte um Hirnforschung und Verantwortung hat folgendes geschrieben: | Auch nach Roth bedeutet der Abschied vom Begriff der persönlichen Schuld im Sinne eines „Andershandelnkönnens“ keineswegs den zwangsläufigen Verzicht auf Bestrafung einer Tat als Verletzung gesellschaftlicher Normen; die Gesellschaft müsse sehr wohl in der Lage sein, „durch geeignete Erziehungsmaßnahmen ihren Mitgliedern das Gefühl der Verantwortung für das eigene Tun einzupflanzen, und zwar nicht aufgrund freier Willensentscheidung, sondern aus der durch Versuch und Irrtum herbeigeführten Einsicht heraus, dass ohne ein solches Gefühl der Verantwortung das gesellschaftliche Zusammenleben nachhaltig gestört ist.“ Menschen seien zwar nicht für ihr Tun im moralischen Sinne verantwortlich, könnten aber zur Verantwortung erzogen werden, indem Eltern, Schule oder Gesellschaft sie bei der Ausbildung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale unterstützten, die sie zu einem abwägenden Entscheidungsverhalten befähigten. Die Begriffe „Willensfreiheit“ und „Schuld“ seien hierbei zu vermeiden und die Praxis des Umgangs mit abweichendem Verhalten stattdessen stärker als bisher an „Erziehung, Umerziehung und Besserung“ auszurichten, weshalb es ein unverzichtbares Forschungsprogramm sei, herauszufinden, wie und in welchem Ausmaß dies möglich sei und wann nur die Entfernung aus der Gesellschaft („Wegsperren“) als Ausweg bleibe. |
Mit anderen Worten: man soll die Leute dennoch zur Verantwortung erziehen, ihnen wider besseres Wissen suggerieren, sie seien für ihre Handlungen verantwortlich. Man soll es nur nicht so nennen. Aber wie man es sonst nennen soll, bleibt erst mal offen. "Strafen" kann man wohl auch, aber soll es vielleicht auch nicht mehr "Strafe" nennen.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
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(#1363539) Verfasst am: 20.09.2009, 13:27 Titel: |
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Anbei ein paar kritische Anmerkungen:
- strafrechtliche Schuld setze (im Gegensatz zum alltags-moralischen Schuldbegriff) keine übergeordnete Entscheidungsinstanz voraus, sondern nur eine Verstoß gegen das Gesetz. Im Folgenden vermeidet die Autorin sogar mehrfach den Begriff "Schuld", als sei er im modernen Strafrecht peinlich, und ersetzt ihn durch "Zurechnungsfähigkeit" o.ä.. Es wird tatsächlich sogar eine negative Umschreibung gewählt, ein bißchen so als wäre jeder (wie bei der Erbsünde) schuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist:
Zitat: | Klaus Günter (Kritische Justiz 2/2006, S. 116 – 133) zeigt, dass in keinem Strafgesetzbuch ein Satz zu finden sei, wonach die Schuld eines Täters positiv festzustellen sei. Es werde nur negativ umschrieben, wann man sie verneinen könne. |
- Daß "modernes Strafrecht [] nicht indeterministisch konstruiert" sei, möchte ich bezweifeln, denn, wie auch Burkhardt im Ursprungsbeitrag dieses threads zeigt, war ein großer Teil der Strafrechtler, bis vor wenigen Jahrzehnten wohl sogar die Mehrheit, da anderer Meinung. Die kompatibilistischen Rettungsversuche stammen zumeist aus jüngster Zeit. Selbst beim Bundesgerichtshof ist der Determinimsus erst seit 2001 erlaubt:
Burkhardt hat folgendes geschrieben: | In dem für die Strafrechtspraxis wohl bedeutendsten Kommentar zum Strafgesetzbuch war bis zur 50. Auflage (2001) noch zu lesen, das geltende Strafrecht könne nur indeterministisch verstanden werden. |
- Der Vorwurf "schlechter Philosophie" an die Naturwissenschaftler wird wieder mal mit dem Spiegel-Interview und Markowitsch begründet - nicht sehr überzeugend. Umgekehrt wird nicht erwähnt, daß Strafrechtlern i.a. in keiner Weise an wissenschaftlicher Fundierung gelegen ist.
- Frommel leugnet den vergeltenden Aspekt des Strafrechts und behauptet, es gäbe seit ca. 100 Jahren nur einen generalpräventiven und einen spezialpräventiven Strafzweck, aus meiner Sicht steht das im Widerspruch zu vielen wesentlichen Publikationen, zu Urteilssprüchen, zu staatsanwaltlichen Forderungen, zur öffentlichen Meinung. Das Folgende spielt die Rolle des Schuldprinzips mE fälschlich herunter:
Zitat: | Die Systemkategorie Schuld war bis 1945 eher bedeutungslos. Sie wurde dann kurzfristig in den 1950er Jahren wertphilosophisch aufgeladen und damit erheblich überschätzt und spielt mittlerweile lediglich die Rolle eines Korrektivs gegen eine zu stromlinienförmige Ausrichtung des Strafrechts an präventiven Zwecken. |
Abgesehen davon, daß das mE nicht mit der Realität übereinstimmt: Dieses kleine "Korrektiv" kann Jahrzehnte Haft ausmachen!
- Es werden 2 Zweige der Strafe genant: 1. Bestrafung und 2. Maßnahmen:
Zitat: | Wer in einer psychiatrischen Klinik des Maßregelvollzugs weder stationär noch ambulant behandelt werden kann, wird nicht deshalb freigesprochen
werden, weil er „nicht anders handeln konnte“, sondern wird präventiv wegen seiner Gefährlichkeit sanktioniert (untergebracht bzw. ambulant kontrolliert). |
Das begründet jedoch wieder nur die evtl. Unterbringung gefährlicher Straftäter (auch wenn sie jetzt je nach mangelnder Unzurechnungsfähigkeit und Therapierbarkeit 1. oder 2. zugeordnet wird), nicht jedoch die drakonische Bestrafung nicht besonders wiederholungsgefährdeter Täter.
- Es ist trivial richtig, daß die Hirnforschung kein Argument gegen eine Bestrafung liefert, deren zugrundeliegendes Schuldprinzip kompatibilistisch entkernt wurde. Allerdings ist ein solches Argument dann auch gar nicht mehr notwendig, da ein solches Schuldkonzept eine Bestrafung gar nicht nehr begründen kann.
- Etwas unverschämt finde ich den (nicht nur hier vertretenen) Vorwurf, der Gedanke, Schuld sei eine Kategorie der Vergangenheit, führe zur Ausgrenzung von risikobehafteten oder „gefährlichen Tätern“ und zur Verschärfung der Präventionsmaßnahmen. Zumal gerade zuvor betont wird, daß ein gefährlicher Straftäter, der nicht resozialisierbar ist, eben stattdessen "zur STrafe" eingesperrt wird. Das ist Heuchelei!
- Man kann auch nicht den Hirnforscher allgemein vorwerfen, ihre Erkenntnisse führten zur "Dramatisierung von Einzelfällen", zu härteren Strafen und mehr Sicherheitsverwahrung zusätzlich zu langen Haftstrafen. Wenn überhaupt, ist das den Medien, den Stammtischen, den Staatsanwälten, den Politikern und ihren Wählern vorzuwerfen.
- Der letzte Satz gibt noch eine dezenten Hinweis auf die eingentliche Motivation:
Zitat: | Wer bürgerliche Werte auch in einer post-bürgerlichen Gesellschaft erhalten will, sollte vorsichtig sein mit allzu naiven Attacken und mit deskriptiven Bemerkungen zu askriptiven Sätzen. |
Alles in allem scheint mir die Warnung vor zuviel "Wegsperren" berechtigt, aber leider enthält das Pöädoyer wieder keine Begründung für das Schuldprinzip bzw. die Bestrafung. Dieses wird einfach geleugnet, damit sich der gesamte 2.Teil des Plädoyers mit den Maßnahmen - und natürlich der Nazikeule - beschäftigen kann. Das ist, im Sinne meines Eingangspostings, Thema verfehlt.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
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(#1363541) Verfasst am: 20.09.2009, 13:32 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | neinguar hat folgendes geschrieben: | Was sagen Hirnforscher, die eine andere Begründung von Strafe fordern, z.B. zu diesen Punkten? |
Naja, zum Teil kann das beantwortet werden mit einem Zitat aus eben diesem Link:
Straftheoretische Anmerkungen zur Debatte um Hirnforschung und Verantwortung hat folgendes geschrieben: | Auch nach Roth bedeutet der Abschied vom Begriff der persönlichen Schuld im Sinne eines „Andershandelnkönnens“ keineswegs den zwangsläufigen Verzicht auf Bestrafung einer Tat als Verletzung gesellschaftlicher Normen; die Gesellschaft müsse sehr wohl in der Lage sein, „durch geeignete Erziehungsmaßnahmen ihren Mitgliedern das Gefühl der Verantwortung für das eigene Tun einzupflanzen, und zwar nicht aufgrund freier Willensentscheidung, sondern aus der durch Versuch und Irrtum herbeigeführten Einsicht heraus, dass ohne ein solches Gefühl der Verantwortung das gesellschaftliche Zusammenleben nachhaltig gestört ist.“ Menschen seien zwar nicht für ihr Tun im moralischen Sinne verantwortlich, könnten aber zur Verantwortung erzogen werden, indem Eltern, Schule oder Gesellschaft sie bei der Ausbildung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale unterstützten, die sie zu einem abwägenden Entscheidungsverhalten befähigten. Die Begriffe „Willensfreiheit“ und „Schuld“ seien hierbei zu vermeiden und die Praxis des Umgangs mit abweichendem Verhalten stattdessen stärker als bisher an „Erziehung, Umerziehung und Besserung“ auszurichten, weshalb es ein unverzichtbares Forschungsprogramm sei, herauszufinden, wie und in welchem Ausmaß dies möglich sei und wann nur die Entfernung aus der Gesellschaft („Wegsperren“) als Ausweg bleibe. |
Mit anderen Worten: man soll die Leute dennoch zur Verantwortung erziehen, ihnen wider besseres Wissen suggerieren, sie seien für ihre Handlungen verantwortlich. Man soll es nur nicht so nennen. Aber wie man es sonst nennen soll, bleibt erst mal offen. "Strafen" kann man wohl auch, aber soll es vielleicht auch nicht mehr "Strafe" nennen. |
Deine Umschreibung "ihnen wider besseres Wissen suggerieren, sie seien für ihre Handlungen verantwortlich" ist grob falsch. Die genannte Erziehung kann (und sollte) offen beinhalten, daß es sich um eine (z.B. mit dem Allgemeinwohl begründete) Prägung handelt, und daß Verantwortlichkeit die Erwartung konformen Verhaltens infolge dieser Prägung bedeutet.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
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(#1363546) Verfasst am: 20.09.2009, 13:52 Titel: |
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Alles in allem ein Plädoyer für den Kompatibilismus und gegen neurologisch basierte Prävention, ohne jegliche ethische Begründung für Bestrafung.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Und was ich auch nicht verstehe an dieser Diskussion, ist, dass nicht gesehen und nicht berücksichtigt wird, dass der Umbau von einem Schuldstrafrecht in ein Sicherheits- / Polizeirecht längst begonnen hat. |
Doch, es wird gesehen, daß das Schuldstrafrecht langsam abgebaut wird, siehe mein Kommentar zu Burkhardt und Frommel. Es wäre ja schonmal etwas erreicht, wenn dieser Aspekt weiter vorangetrieben würde und wir uns da einig wären.
Was Du mit "Umbau" genau meinst, weiß ich nicht. Es wird mW nicht gefordert, z.B. vergeltende Gefängnisstrafen durch Wegsperren zu ersetzen, sondern das Hauptstoßrichtung ist eine Verfeinerung der Präventivmaßnahmen. Wie auch aus Deinem Roth-Zitat hervorgeht, geht es da nur im Extremfall ums Wegsperren, viel effizienter ist aber der Einsatz pädagogischer und evtl. eines Tages auch neurologischer Maßnahmen.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Auch getragen von den (mE falschen, nicht hinreichend begründbaren, leider dennoch wirkungsmächtigen) Thesen der Hirnforscher. "Wir wollen Sicherheit". Präventive Überwachung, präventive Aufweichung des Datenschutzes, präventive Festsetzung von potentiellen Gefährdern, schrittweise Ausweitung der Sicherungsverwahrung - all dies passiert doch gerade. Ich sehe aber keinen Fortschritt darin, das ist lediglich ein immer weiter fortschreitender Abbau des Rechtsstaates, ein Prämissenwechsel von Freiheit zur Sicherheit. Was aber, wie gesagt, mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen rein gar nichts zu tun hat, damit nicht begründet werden kann. Was aber dennoch als Legitimation all dessen dient. |
Willst Du im Ernst Leute wie Roth oder Singer verantwortlich machen für die Überwachungsphantasien von Schäuble & Co, oder für die durchgeknallten Medien und Stammtische?
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Man sollte aufpassen, dass man sich da nicht vor den falschen Karren spannen lässt. Bei allem Verständnis für die Ablehnung von Religion und Metaphysik: aber diese Entwicklung bereitet mir große Sorge. Die Welt ist nicht binär; ich bin auch Atheist, ich habe mit Religion nichts am Hut, aber es ist mE überhaupt nichts gewonnen, sondern alles verloren, wenn unsere Gesellschaft wegen angeblicher wissenschaftlicher Erkenntnisse auf Freiheit verzichtet und in eine präventive Überwachungsgesellschaft umgewandelt wird. Ganz egal, wie säkular die dann wäre. |
Da stimme ich natürlich zu. Und in meinem Modell würde die Freiheit ja sogar zunehmen, da es z.B. keine langen Gefängnisstrafen mehr gäbe. Präventive Maßnahmen unterlägen ebenfalls der Verhältnismäßigkeit und dem Minimalgebot (Zuwendung in der Jugend statt Wegsperren der Erwachsenen).
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Skeptiker "I can't breathe!"
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(#1363576) Verfasst am: 20.09.2009, 14:42 Titel: Minority Report - Der Film zum thread |
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Deterministische Wahnvorstellungen werden auch im Film "Minority Report" thematisiert:
Zitat: | „Der Film ist vieles in einem und keines ganz: deterministische Gesellschaftsvision, individuelles Schuld-und-Sühne-Drama und effektvolle Fluchtgeschichte. Technisch brillant und fesselnd im Konzept, wenn auch sicher nicht für jeden Zuschauer überzeugend.“
Auszeichnungen
Richard Hymns und Gary Rydstrom wurden im Jahr 2003 für den Tonschnitt für den Filmpreis Oscar nominiert.
Der Film gewann 2003 den Saturn Award in vier Kategorien: Beste Regie (Steven Spielberg), Bester Science-Fiction-Film, Beste weibliche Nebenrolle (Samantha Morton) und Bestes Drehbuch (Scott Frank und Jon Cohen). Er erhielt außerdem sieben Nominierungen für den Saturn Award, darunter die Nominierungen für Tom Cruise und Max von Sydow.
Realitätsbezug
Die britische Homicide Prevention Unit (HPU), eine 2004 (also nach der Entstehung des Films) gegründete Abteilung des Metropolitan Police Service, versucht mithilfe von Persönlichkeitsprofilen potentielle Gewalttäter zu finden. Seit 2006 wird geplant, so als potentielle Gewalttäter eingestufte Personen auch unter Umständen präventiv zu verhaften. Bei Nachrichtenmeldungen zu diesem Thema wurde wiederholt auf diesen Film verwiesen.
http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Minority_Report&printable=yes
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Skeptiker
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K.I.Z - Frieden
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(#1363586) Verfasst am: 20.09.2009, 14:55 Titel: Re: Minority Report - Der Film zum thread |
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Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Deterministische Wahnvorstellungen werden auch im Film "Minority Report" thematisiert ... |
Abgesehen davon, daß auch Du schon wieder das Thema verfehlst (es geht hier nicht um Prävention, sondern um die Begründung von Strafe):
Wie wird eigentlich begründet, daß die voraussichtlichen Verbrecher eingeschläfert werden dürfen? Ist das nicht zum einen eine völlig überzogene Maßnahme, und andererseits ein Widerspruch in sich, denn wie könnten die "Precogs" (so ein Schwachsinn überhaupt) eine Tat voraussehen, die verhindert wird?
Ich finde, ein unlogischer Scifi ist - unter aufgeklärten Leuten - kein gutes Argument zur Hetze gegen Deterministen.
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Skeptiker "I can't breathe!"
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(#1363609) Verfasst am: 20.09.2009, 15:27 Titel: Re: Minority Report - Der Film zum thread |
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step hat folgendes geschrieben: | Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Deterministische Wahnvorstellungen werden auch im Film "Minority Report" thematisiert ... |
Abgesehen davon, daß auch Du schon wieder das Thema verfehlst (es geht hier nicht um Prävention, sondern um die Begründung von Strafe):
Wie wird eigentlich begründet, daß die voraussichtlichen Verbrecher eingeschläfert werden dürfen? Ist das nicht zum einen eine völlig überzogene Maßnahme, und andererseits ein Widerspruch in sich, denn wie könnten die "Precogs" (so ein Schwachsinn überhaupt) eine Tat voraussehen, die verhindert wird?
Ich finde, ein unlogischer Scifi ist - unter aufgeklärten Leuten - kein gutes Argument zur Hetze gegen Deterministen. |
Ich schreibe deshalb so, weil ich die von AgentProvocateur auch gut benannten Tendenzen als gefährlich einstufe. Deshalb geht es nicht gegen Dich als Person, aber schon gegen sehr sehr gewagte und voreilige Schlussfolgerungen für eine "Erneuerung" der Justiz.
Vorsichtig! Das ist alles noch lange nicht ausgereift oder auch nur ausdiskutiert.
SciFi-Filme sind oft unlogisch und unplausibel, sogar Star Trek. Aber der Film sensibilisiert für das Thema - nicht nur aufgeklärte Leute - sondern auch die breite Masse. Und warum soll die nicht mitdiskutieren?
Mir wird das Schwergewicht bei der sogenannten Verbrechensbekämpfung zu sehr auf die reine Verhaltens- und zu wenig auf die Verhältnis-Prävention gelegt. Damit wird Kriminalität aus dem Kontext einer Gesellschaft gerissen, die für viele Verbrechen erst den Nährboden legt - übrigens auch für Verbrechen in den oberen Etagen dieser Society.
Herrschende Kreise haben die Absicht, immer mehr zu kontrollieren. Die Piratenpartei ist nicht ohne Grund entstanden und hat dies zum zentralen Thema. Es steht zu befürchten, dass Schäuble und co. sich diese Hirnforscher als Hofschranzen-Philosophen ins Haus holen und als "wissenschaftliches" Alibi für eine verstärkte Vor-Kontrolle verdächtiger Individuen benutzen. Da ist die Zukunft leider auch in dieser Richtung viel zu offen ...-
Skeptiker
edit: Ein Beispiel für den Kontrollwahn:
Hirnforscher scannen politische Gesinnung
Dass man auch andere Dinge wird zu scannen versuchen, etwa sexuelle Vorlieben etc., das kann man sich ausmalen.
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K.I.Z - Frieden
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step registriert
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(#1363649) Verfasst am: 20.09.2009, 17:18 Titel: Re: Minority Report - Der Film zum thread |
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Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Mir wird das Schwergewicht bei der sogenannten Verbrechensbekämpfung zu sehr auf die reine Verhaltens- und zu wenig auf die Verhältnis-Prävention gelegt. |
Das liegt daran, daß es in solchen Diskussionen ja um die Bestrafung von Individuen geht, und die verhalten sich nunmal. "Den Kapitalismus" oder "die Gier des Menschen" kannst Du ja nicht in den Knast stecken.
Gerade ich als Determinist bin aber EXTREM vorsichtig damit, Personen aktuell die Schuld zuzuweisen, das sollte hinreichend klargeworden sein. Und auch bei der Prävention habe ich schon mehrfach angemerkt, daß ich Maßnahmen in der frühen Erziehung, sowie auch Maßnahmen am gesellschaftlichen Umfeld, für wesentlich effizienter halte (auch im Sinne der Minimierung der Leidzufügung), als irgendwelche Aktionen, wenn jemand schon ein wiederholungsgefährdeter Straftäter ist.
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step registriert
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(#1363650) Verfasst am: 20.09.2009, 17:20 Titel: Re: Minority Report - Der Film zum thread |
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- na, da würdest Du sicher als sehr konservativ entlarvt, im Gegensatz zu mir ...
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Skeptiker "I can't breathe!"
Anmeldungsdatum: 14.01.2005 Beiträge: 16834
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(#1363669) Verfasst am: 20.09.2009, 18:28 Titel: Re: Minority Report - Der Film zum thread |
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step hat folgendes geschrieben: | Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Mir wird das Schwergewicht bei der sogenannten Verbrechensbekämpfung zu sehr auf die reine Verhaltens- und zu wenig auf die Verhältnis-Prävention gelegt. |
Das liegt daran, daß es in solchen Diskussionen ja um die Bestrafung von Individuen geht, und die verhalten sich nunmal. "Den Kapitalismus" oder "die Gier des Menschen" kannst Du ja nicht in den Knast stecken.
Gerade ich als Determinist bin aber EXTREM vorsichtig damit, Personen aktuell die Schuld zuzuweisen, das sollte hinreichend klargeworden sein. Und auch bei der Prävention habe ich schon mehrfach angemerkt, daß ich Maßnahmen in der frühen Erziehung, sowie auch Maßnahmen am gesellschaftlichen Umfeld, für wesentlich effizienter halte (auch im Sinne der Minimierung der Leidzufügung), als irgendwelche Aktionen, wenn jemand schon ein wiederholungsgefährdeter Straftäter ist. |
Maßnahmen am gesellschaftlichen Umfeld können vieles bedeuten. Mehr Wachtmeister in Ghettos? Oder umfassende soziale Reformen, die dann über das "Umfeld" hinaus gehen würden.
Die Überschrift dieses threads lautet: "Modernes Strafrecht".
Dieses soll auf Basis fragwürdiger Interpretationen (!) von Hirnforschungen dadurch gekennzeichnet sein, dass Schuld und Strafe abgeschafft werden. An deren Stelle sollen "Sicherheitsverwahrung" und Prävention treten. Verkauft wird das Ganze als anti-autoritär, was wie ein kleines süßes Bonbon wirken soll, um die bittere Pille zu schlucken, die dahinter stecken könnte.
Worin besteht diese?
Znächst einmal geht es hier um eine nicht mehr hinterfragte Anpassungsleistung an eine ebenso unhinterfragte Gesellschaft. Kritik? Widerstand? Rebellion? Gibt's nicht, höchstens in Gedanken, wenn überhaupt. Konformität ist oberste Leitlinie und Abweichung ist schon unzulässig, und das im Zeitalter des angeblichen Individualismus.
Es wird also damit geworben, dass die normabweichenden Individuen *milder* behandelt werden. Dafür gibt es eine umfassendere Kontrolle.
Basis dieser Kontrolle ist etwas, was gar nicht "modern" ist; nämlich die Annahme, das nonkonforme Individuum könne gar nicht anders.
Das hat man eigentlich schon zu früheren, voraufklärerischen Zeiten auch schon bestimmten Individuen und Gruppen in die Schuhe geschoben. Da gab es die vom "Bösen" Besessenen. Da gab es die geborenen Verbrecher. Da gab es die "fremdrassigen", die "anderen", usw. Ich brauche die Gruppen wohl nicht explizit zu benennen. Jeder kennt sie.
Nun hat man das selbe nur auf vermeintlich wissenschaftlicher Basis, in Wirklichkeit nach wie vor auf Basis von Philosophie.
Und selbst wenn auf dieser Grundlage zunächst einmal die Behandlung der Delinquenten human und milde ist. Es ist eine erneute Bresche in jene verhängnisvolle, misstrauische Sicht von Normbrechern. Und übrigens dieser Normbruch hat mit Moral und Menschenrechten nicht unbedingt sehr viel zu tun. Es kann sich auch um Normbrüche einer faschistischen Gesellschaft handeln.
Irgendwann kann sich dann die "freundliche" Behandlung der Abweichler ändern. Denn hat man erst einmal wieder die Menschen zu willenlosen Automaten degradiert - so wie einst - dann ergeben sich sehr schnell wieder Rechtfertigungen, gegen diese "Unverbesserlichen" härtere Maßnahmen zu ergreifen. Nehmen wir mal an, jemand schlägt eine neuartige "Schocktherapie" oder dergleichen vor. Selbstverständlich auf Grundlage neuester "Forschungen".
Das ist so wie mit den umfangreichen Datensammlungen der Bundesregierung. Erst mal ist der Datenschützer davor und verhindert Missbrauch. Dann heisst es plötzlich, ja, man brauche Zugriff auf die Daten, weil der Krieg gegen Terror dies erfordere. Oder so.
Deshalb sage ich: Das Ganze ist sowieso pseudowissenschaftlich und man sollte hier bereits den Anfängen wehren! (oder auch: Der Rückkehr in eine unselige Vergangenheit!)
Skeptiker
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Zuletzt bearbeitet von Skeptiker am 20.09.2009, 18:33, insgesamt einmal bearbeitet |
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Skeptiker "I can't breathe!"
Anmeldungsdatum: 14.01.2005 Beiträge: 16834
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
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(#1363763) Verfasst am: 20.09.2009, 21:10 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Straftheoretische Anmerkungen zur Debatte um Hirnforschung und Verantwortung hat folgendes geschrieben: | Auch nach Roth bedeutet der Abschied vom Begriff der persönlichen Schuld im Sinne eines „Andershandelnkönnens“ keineswegs den zwangsläufigen Verzicht auf Bestrafung einer Tat als Verletzung gesellschaftlicher Normen; die Gesellschaft müsse sehr wohl in der Lage sein, „durch geeignete Erziehungsmaßnahmen ihren Mitgliedern das Gefühl der Verantwortung für das eigene Tun einzupflanzen, und zwar nicht aufgrund freier Willensentscheidung, sondern aus der durch Versuch und Irrtum herbeigeführten Einsicht heraus, dass ohne ein solches Gefühl der Verantwortung das gesellschaftliche Zusammenleben nachhaltig gestört ist.“ Menschen seien zwar nicht für ihr Tun im moralischen Sinne verantwortlich, könnten aber zur Verantwortung erzogen werden, indem Eltern, Schule oder Gesellschaft sie bei der Ausbildung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale unterstützten, die sie zu einem abwägenden Entscheidungsverhalten befähigten. Die Begriffe „Willensfreiheit“ und „Schuld“ seien hierbei zu vermeiden und die Praxis des Umgangs mit abweichendem Verhalten stattdessen stärker als bisher an „Erziehung, Umerziehung und Besserung“ auszurichten, weshalb es ein unverzichtbares Forschungsprogramm sei, herauszufinden, wie und in welchem Ausmaß dies möglich sei und wann nur die Entfernung aus der Gesellschaft („Wegsperren“) als Ausweg bleibe. |
Mit anderen Worten: man soll die Leute dennoch zur Verantwortung erziehen, ihnen wider besseres Wissen suggerieren, sie seien für ihre Handlungen verantwortlich. Man soll es nur nicht so nennen. Aber wie man es sonst nennen soll, bleibt erst mal offen. "Strafen" kann man wohl auch, aber soll es vielleicht auch nicht mehr "Strafe" nennen. |
Deine Umschreibung "ihnen wider besseres Wissen suggerieren, sie seien für ihre Handlungen verantwortlich" ist grob falsch. Die genannte Erziehung kann (und sollte) offen beinhalten, daß es sich um eine (z.B. mit dem Allgemeinwohl begründete) Prägung handelt, und daß Verantwortlichkeit die Erwartung konformen Verhaltens infolge dieser Prägung bedeutet. |
Nein. Entweder ist jemand moralisch verantwortlich für sein Handeln oder er ist es nicht. Wenn er seine Handlungen nicht kontrollieren kann, weil die komplett auf Umwelteinflüsse zurückführbar / reduzierbar wären (-> TNR = Transfer of Non Responsibility), dann kann man nicht mehr von Verantwortung sprechen. "Wir prägen Dich jetzt und hoffen daraufhin, dass Du das machst, was wir erwarten" -> ja, klar, das kann man noch sagen. Aber das ist keine Verantwortung mehr. Entweder tut er es dann oder nicht. Wenn nicht - Pech gehabt, kann niemand was für, waren dann halt die Umstände, die dagegen sprachen.
Sobald sich jemand seine Handlungen nicht selber zuschreibt, wird er sich auch nicht verantwortlich fühlen. Wenn die künftige Lehre sein soll, dass Personen nur Homunkuli seien, nur Beobachter ihrer selbst, dann ist Verantwortung damit gegessen.
Wenn Du etwas von mir erwartest und gleichzeitig sagst, ich könne nicht für meine Handlungen, die seien mir gar nicht zuzuordnen, sondern dem Weltgeist oder wem oder was auch immer, wie sollte ich mich da verantwortlich fühlen können?
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AgentProvocateur registrierter User
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(#1363766) Verfasst am: 20.09.2009, 21:17 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: |
Alles in allem ein Plädoyer für den Kompatibilismus und gegen neurologisch basierte Prävention, ohne jegliche ethische Begründung für Bestrafung. |
Nein, das ist nicht nur ein Plädoyer, da sind meine Argumente nochmal zusammenfasst. In Kurzform:
- Die Behauptungen gewisser Hirnforscher / deren Apologeten (z.B.: WOLFGANG PRINZ: Wir «tun (…) nicht, was wir wollen (…), sondern wir wollen, was wir tun». Oder, ein bisschen subtiler: «Entscheidungen kommen zustande, ohne dass da jemand wäre, der sie trifft») sind performativ selbstwidersprüchlich, denn sie müssen sie selbstverständlich auch auf sich selber anwenden (= Irgendjemand / Irgendwas ist da, was Entscheidungen und Aussagen trifft, Behauptungen aufstellt und eben das ist die Person - nichts anderes, kein "Ich", "Selbst" oder "Selbstmodell")
- Der Verzicht auf das Schuld- / das Verantwortungsprinzip (d.h. Handlungen der Person zuzuordnen) ist mE weniger human als die heutige Vorgehensweise, denn sie spricht allen per se ihre Kontrollfähigkeit und somit ihre Persönlichkeit ab; dann werden Personen als Objekte Behandlungen unterworfen, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen
- Eine (evtl. präventive) Einteilung in "gesunde" und "kranke" Mitglieder der Gesellschaft wird eine sehr viel größere Stigmatisierung bedeuten als die heutige Anwendung des Schuldprinzipes, das nämlich auf eine Tat bezogen wird und nicht auf den Menschen als Ganzes
- Gleichzeitig wird unserem Gesellschaftsmodell die Grundlage entzogen. Kein Recht, keine Pflicht, keine Verteidigung, keine Rechtfertigung, keine Legitimation, keine Verträge mehr
- Ein Sicherheitsrecht, das unvorhersehbar (und nicht nachvollziehbar) nach Einzelfall entscheidet, wird der Willkür Tür und Tor öffnen
- Für diese Forderungen nach einem Umbau der Gesellschaft gibt es keineswegs (natur-)wissenschaftliche Grundlagen, wie dennoch implizit ständig behauptet
- Der Umbau von einem Strafrecht in ein Sicherheitsrecht hat begonnen und kann sich auf die (aber mE unbegründeten) Behauptungen der (einiger exponierter) Hirnforscher stützen
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Und was ich auch nicht verstehe an dieser Diskussion, ist, dass nicht gesehen und nicht berücksichtigt wird, dass der Umbau von einem Schuldstrafrecht in ein Sicherheits- / Polizeirecht längst begonnen hat. |
[...] Was Du mit "Umbau" genau meinst, weiß ich nicht. Es wird mW nicht gefordert, z.B. vergeltende Gefängnisstrafen durch Wegsperren zu ersetzen, sondern das Hauptstoßrichtung ist eine Verfeinerung der Präventivmaßnahmen. Wie auch aus Deinem Roth-Zitat hervorgeht, geht es da nur im Extremfall ums Wegsperren, viel effizienter ist aber der Einsatz pädagogischer und evtl. eines Tages auch neurologischer Maßnahmen. |
Mit "Umbau" meine ich die Veränderung des Schuldstrafrechtes in ein Präventivrecht, ein Sicherheitsrecht. Und, sorry, aber ich halte es für furchtbar naiv, anzunehmen, man könnte mal hier und da 'ne Therapie durchführen und dann wäre alles prima. Das funktioniert jedoch nicht, nicht heute und nicht hier. Menschen sind keine Maschinen, die man mal schnell (oder langsam) reparieren könnte. In den 70er Jahren glaubte man das auch, aber inzwischen ist da einige Ernüchterung eingekehrt. Bleibt also letztlich nur das Wegsperren. Und "neurologische Maßnahmen", naja. Auch ganz schöne Zukunftsmusik. Da können wir uns drüber unterhalten, wenn es da Fortschritte gibt. Was heute möglich ist, ist Ruhigstellung mit Medikamenten. Das wird ja auch gemacht, aber davon bin ich nicht so besonders begeistert, um es mal vorsichtig auszudrücken.
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Auch getragen von den (mE falschen, nicht hinreichend begründbaren, leider dennoch wirkungsmächtigen) Thesen der Hirnforscher. "Wir wollen Sicherheit". Präventive Überwachung, präventive Aufweichung des Datenschutzes, präventive Festsetzung von potentiellen Gefährdern, schrittweise Ausweitung der Sicherungsverwahrung - all dies passiert doch gerade. Ich sehe aber keinen Fortschritt darin, das ist lediglich ein immer weiter fortschreitender Abbau des Rechtsstaates, ein Prämissenwechsel von Freiheit zur Sicherheit. Was aber, wie gesagt, mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen rein gar nichts zu tun hat, damit nicht begründet werden kann. Was aber dennoch als Legitimation all dessen dient. |
Willst Du im Ernst Leute wie Roth oder Singer verantwortlich machen für die Überwachungsphantasien von Schäuble & Co, oder für die durchgeknallten Medien und Stammtische? |
Du hast Markowitsch vergessen. Und, naja, böse Absicht möchte ich ihnen nicht unterstellen. Wahrscheinlich ist es eher der gute Wille, die Überzeugung der Wahrheit der eigenen Thesen, der Böses schafft. Fakt ist mE aber, dass all diese Maßnahmen sich auf eben diese Ansicht der Kontrollunfähigkeit, der grundsätzlichen Unfreiheit der Person berufen können. Der "geborene Terrorist" usw., der zwar nichts dafür kann, dass er so ist, wie er ist, der aber schlicht aus dem Verkehr gezogen werden muss, weil, "wir müssen uns ja schützen". Ohne persönlichen Vorwurf. Aber das nutzt einem Verdächtigen ja gar nichts, im Gegenteil, er kann sich noch nicht einmal mehr verteidigen.
Edit: Merkels Hirn
step hat folgendes geschrieben: | Und in meinem Modell würde die Freiheit ja sogar zunehmen, da es z.B. keine langen Gefängnisstrafen mehr gäbe. Präventive Maßnahmen unterlägen ebenfalls der Verhältnismäßigkeit und dem Minimalgebot (Zuwendung in der Jugend statt Wegsperren der Erwachsenen). |
Ja, mag zwar sein, denke ich aber nicht, denn ich halte schon präventive Untersuchungen auf potentielle Gefährdungen (und darauf bei negativer Prognose evtl. folgende Maßnahmen erst recht) für unzulässige Freiheitseinschränkungen. Aber es kümmert sich eh keiner um Dein Modell, es ist nur eine Möglichkeit, aber so wird es nicht kommen. Die Prämissen werden statt dessen jedoch herangezogen, um Freiheitseinschränkungen zu begründen. Das ist der Punkt.
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Nochmal kurz zu dem obigen Link von Frommel:
- Sie schwingt keineswegs die Nazikeule
- Sie leugnet nicht den vergeltenden Aspekt des Strafrechtes
- Es ist richtig, dass die Auffassungen darüber, ob das Schuldprinzip eine indeterministische Willensfreiheit erforderten, auseinandergehen. Ich kann Dir 100 Links geben, in denen das abgestritten wird, ich kann ebenso 100 Links geben, in denen das behauptet wird, keine Ahnung, was "richtig" ist. Aber es ist letztlich irrelevant, was jemand behauptet, es kommt nur auf die zugehörigen Argumente an. Wert lege ich allerdings darauf, dass die Behauptung nicht richtig ist, dass die einhellige Meinung dazu die sei, indeterministische Willensfreiheit sei unverzichtbar für das heutige Strafrecht.
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step registriert
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(#1364047) Verfasst am: 21.09.2009, 13:43 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | ... dann kann man nicht mehr von Verantwortung sprechen. |
Doch, das kann man sehrwohl. Das ist analog dazu, daß ich meine, ohne die Möglichkeit, in derselben Situation auch anders gehandelt haben zu können, könne man nicht mehr von "Freiem Willen" sprechen. Du akzeptierst das nicht und bezeichnest mit "Freiem Willen" die Tatsache, daß keine direkten Zwänge bekannt sind und daß andere Individuen in ähnlichen Situationen anders handeln. Und ich bezeichne eben Verantwortung als die Erwartung an das Individuum, konform zu handeln. Aber das ist hier eigentlich OT, und zudem Definitionssache. Mir geht es ja hier um die ethische Legitimität vergeltender Strafrechtsaspekte.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | "Wir prägen Dich jetzt und hoffen daraufhin, dass Du das machst, was wir erwarten" -> ja, klar, das kann man noch sagen. Aber das ist keine Verantwortung mehr. Entweder tut er es dann oder nicht. Wenn nicht - Pech gehabt, kann niemand was für, waren dann halt die Umstände, die dagegen sprachen. |
Wenn es die Umstände waren, muß man die Umstände ändern. Wenn es die Präferenzen waren, muß man die Präferenzen ändern. Kann man nichts ändern, sollte man die Verantwortung nicht mehr zuweisen. Ich sehe das Problem nicht, außer daß man eben keine Schuld, sondern nur noch Änderungsbedrf ableiten kann.
Irgendwie habe ich das Gefühl, Du meinst, eine solche Zuweisung von Verantwortung führe beim Handelnden nicht zu einem hinreichend starken Schuld- oder Verbindlichkeitsgefühl, sondern zu Fatalismus. Das erscheint mir aber unlogisch, denn wieso sollten die Erwartungen der Anderen nicht ein starker Treiber sein?
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | ... Wenn Du etwas von mir erwartest und gleichzeitig sagst, ich könne nicht für meine Handlungen, die seien mir gar nicht zuzuordnen, sondern dem Weltgeist oder wem oder was auch immer, wie sollte ich mich da verantwortlich fühlen können? |
Das mit dem Weltgeist mußte nicht sein, oder?
Du ignorierst beharrlich, daß Dein Bewußtsein nicht NUR ein Beobachter Deiner Entscheidungen ist, sondern auch eine Inputschnittstelle für Appelle und ein Teil eines Regelkreises, der auf die Präferenzen Einfluß hat. Etwa wenn Du eine Handlung unterläßt, weil ich Dir einen Nachteil bewußt mache.
Wenn ich also etwas von Dir möchte, aber nicht erwarte, dann weise ich Dir entweder nicht die Verantwortung zu (sondern mache es selbst oder nehme die Folgen inkauf oder ...), oder ich appelliere an Dich, daß ich das von Dir möchte, weil (Vorteile, Gemeinnutzen, ...). Im letzteren Fall hätte ich die Hoffnung, daß sich daraufhin Deine Präferenzen entsprechend ändern. Ich sehe nicht, wieso das schlechter funktionieren sollte, wenn alle Beteiligten wissen, daß es sich bei dieser Prägung, diesem Appell usw. umn einen deterministischen Vorgang handelt.
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step registriert
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(#1364088) Verfasst am: 21.09.2009, 14:37 Titel: |
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Ich nehme mal nur das heraus, was sich wenigstens irgndwie auf die Begründung des Schuldprinzips bezieht. Und auch die diversen Strohmänner à la "Menschen sind keine Maschinen, die man mal eben repariert" ignoriere ich besser.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | - Der Verzicht auf das Schuld- / das Verantwortungsprinzip (d.h. Handlungen der Person zuzuordnen) ist mE weniger human als die heutige Vorgehensweise, denn sie spricht allen per se ihre Kontrollfähigkeit und somit ihre Persönlichkeit ab; dann werden Personen als Objekte Behandlungen unterworfen, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen |
- wie bereits an anderer Stelle begründet, würde keineswegs die Persönlichkeit abgesprochen, denn diese besteht ja nach wie vor aus den Präferenzen, ihrer Bewußtwerdung, den Erinnerungen, den Körperwahrnehmungen usw.
- eine Änderung von Präferenzen, eine Erziehung oder Prägung also, und sei es nur in der Form eines moralischen Appelles, ist immer mit einer teilweisen Objektivierung verbunden. Dies ist sogar dann der Fall, wenn die Änderung aufgrund von aktuell internen Einflüssen geschieht. Das zu leugnen ist naiv.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Und in meinem Modell würde die Freiheit ja sogar zunehmen, da es z.B. keine langen Gefängnisstrafen mehr gäbe. Präventive Maßnahmen unterlägen ebenfalls der Verhältnismäßigkeit und dem Minimalgebot (Zuwendung in der Jugend statt Wegsperren der Erwachsenen). | Ja, mag zwar sein, denke ich aber nicht, denn ich halte schon präventive Untersuchungen auf potentielle Gefährdungen (und darauf bei negativer Prognose evtl. folgende Maßnahmen erst recht) für unzulässige Freiheitseinschränkungen. |
Schlag doch mal vor, wie man mit einem "überführten" Kindesmißbraucher in bezug auf Prävention umgehen sollte. Soll man darauf vertrauen, daß ein Psychologe vor Wiederholungsgefahr warnt? Ist diese Freiheitseinschränkung zulässig, und warum? Ist das nicht Willkür im Einzelfall?
Ich habe kein Problem damit, bei der Zulässigkeit präventiver Maßnahmen sehr defensiv vorzugehen, um Freiheitseinschränkungen und vor allem ihren Mißbrauch zu vermeiden. Die ganze Präventions-, Hirnscan- und Wegsperrgeschichte kommt übrigens NIE von mir, sondern wird immer von meinen Diskussionsgegnern aufgebracht. Das einzige, was ich von mir aus ursprünglich dazu gesagt habe - wenn ich mich nicht täusche - war, daß ich den Spezialpräventionsaspekt des Strafrechts (oder Maßnahmenrechts) ethisch immerhin prinzipiell nachvollziehen kann.
Aber nehmen wir mal an, wir könnten uns auf ein sehr defensives Präventionsmodell einigen, das sehr wenige Freiheiten einschränkt und im Zweifelsfall lieber Wiederholungstaten inkaufnimmt.
Bleibt immer noch mein Hauptanliegen, das aus meiner Sicht ethisch unbegründete Strafrecht / Strafmaß.
OK, ein Keulchen:
Frommel hat folgendes geschrieben: | Man kann also Kontinuitäten bilden von Franz von Liszt zur sog. Sonderbehandlung im KZ und den Sicherungsgedanken als besonders anfällig für inhumane Ausgrenzung identifizieren. Aber man kann auch die Diskontinuität betonen. [...] Aber ein Schatten fällt auf diese Tradition dennoch und umso interessanter ist es, dass die moderne Hirnforschung an solchen Paradigmen anknüpfen möchte, während die gegenwärtige Strafrechtswissenschaft den negativen Schuldbegriff stützt. |
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | - Sie leugnet nicht den vergeltenden Aspekt des Strafrechtes |
Naja, sie nennt erstens nur die anderen Aspekte, und spielt zweitens den Aspekt der Schuld generell herunter. Neben den bereits von mir zitierten Stellen hier noch eine weitere:
Frommel hat folgendes geschrieben: | Schuld ist eine von Laien überschätzte Systemkategorie des modernen Strafrechts. Wertphilosophische Konzepte gab es, aber sie prägen die Geschichte des Strafrechts nicht, sondern Präventionsmodelle. Schuldangemessenheit ist ein Korrektiv gegen ein allzu stromlinienförmiges Präventionsstrafrecht und als solches verfassungsrechtlich unverzichtbar. |
(Vergeltende) Strafe wird also immer nur als Begrenzung präventiver Maßnahmen angeführt (was man auch auf anderem Wege erreichen könnte), es wird aber nie begründet, warum sie überhaupt legitim ist. Denn wenn man etwa einen Mörder 25 Jahre oder einen Dealer 2 Jahre in den Knast steckt, welchen Nutzen hat das? Weder "korrigiert" es irgendwelche Präventivmaßnahmen nach unten, noch funktioniert es selbst als Präventivmaßnahme. Im Gegenteil, eine solche Strafe bedarf selbst eines Korrektivs, und zwar eines ethischen und eines Nutzenkorrektivs.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | - [...] Wert lege ich allerdings darauf, dass die Behauptung nicht richtig ist, dass die einhellige Meinung dazu die sei, indeterministische Willensfreiheit sei unverzichtbar für das heutige Strafrecht. |
Habe ich auch nicht behauptet. Übrigens sieht selbst Frommel den Kompatibilismus nur im (modernen) Strafrecht, nicht jedoch im alltagsmoralischen Schuldbegriff. Daher oben meine von Mario Hahna beantwortete Frage, ob denn der 08/15 Richter und Staatsanwalt vielleicht das Schuld- und Vergeltungsprinzip als wichtiger einschätze, als das Frommel behauptet, und mgle. auch eher dem alltagsmoralischen Schuldbegriff anhänge.
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Skeptiker "I can't breathe!"
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(#1364190) Verfasst am: 21.09.2009, 16:55 Titel: Verbrechensbekämpfung im Anstaltsstaat |
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step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | - Sie schwingt keineswegs die Nazikeule |
OK, ein Keulchen:
Frommel hat folgendes geschrieben: | Man kann also Kontinuitäten bilden von Franz von Liszt zur sog. Sonderbehandlung im KZ und den Sicherungsgedanken als besonders anfällig für inhumane Ausgrenzung identifizieren. Aber man kann auch die Diskontinuität betonen. [...] Aber ein Schatten fällt auf diese Tradition dennoch und umso interessanter ist es, dass die moderne Hirnforschung an solchen Paradigmen anknüpfen möchte, während die gegenwärtige Strafrechtswissenschaft den negativen Schuldbegriff stützt. |
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Frommel hat aber richtig erkannt, dass die Ansichten bestimmter Hirnforscher ein reaktionäres Zurück bedeuten, wie ich auch oben - auf dieser Seite - beschrieben habe.
Ganz gut finde ich auch den folgenden Text:
Zitat: | Die (kritische) bio-politische Perspektive verleitet dazu, die Geschichte der Kriminalitätsbekämpfung als stets zunehmende Pathologisierung und Biologisierung abweichenden Verhaltens zu verstehen, die darin mündet, im Verbrecher eine Rasse sui generis zu sehen, die letztlich den biologischen Bestand der Gesellschaft gefährdet. (...)
Die Hirnforschung arbeitet daran, die Täter(innen)kreise zu identifizieren, die mangels eines rationalen Kalküls von der Regierbarkeit durch Abschreckung (die in der ökonomischen Theorie des Strafens als Kosten-Nutzen-Abwägung unterstellt ist) ausgeschlossen sind. Ihr Wirkungsfeld wird die Hirnforschung also dort finden, wo nicht der falsch gebildete Wille, sondern der Zustand der Täter/innen die Grundlage für die staatliche Übelszufügung bildet, mithin in den schuldunabhängigen Maßnahmen der Sicherung und Besserung. Dies deckt sich mit dem zeitgemäßen kriminalpolitischen Bedürfnis, die Sicherungsverwahrung verstärkt anzuwenden.
http://www.bdwi.de/forum/archiv/archiv/2040433.html
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Hier kann man sich allerdings fragen, was es bedeutet, die Macht von den Gerichten auf die psychiatrischen Gutachter übergehen zu lassen. Gerade am Beispiel der "begutachteten" Frankfurter Steuerfahnder lässt sich mit nicht mit Fantasie mutmaßen, dass einer Ausweitung dieser Methode zwecks Kaltstellung solcher Gruppen stattfinden kann, deren mangelnder Konformismus dem Staat einfach nicht in den Kram passt.
Auf der anderen Seite kann man sich vorstellen, dass gesetzes- und normkonforme Verbrechen an den Menschenrechten, an der Menschheit damit belohnt werden, dass die entsprechenden Täter ohne Sanktionen davon kommen oder nur mit solchen, die auch Parksünder hinnehmen müssen, weil sie ja schließlich nur getan haben, was das Schicksal befohlen habe - neckisch als "Determinismus" verbrämt.
So gehen dann u.U. sämtliche Maßstäbe verloren.
Interessant finde ich ohnehin das oben zitierte Buch von Christian Müller. Hier eine passende Stelle zum Streit zwischen dem Vergeltungsstrafrecht und dem Paradigma des - deterministisch auffassbaren - "geborenen Verbrechers":
Verbrechensbekämpfung im Anstaltsstaat Von Christian Müller
Die Sichtweisen des hier beschriebenen Physikalismus sowie der genannten ultrakonservativen Hirnforscher laufen in der Tat auf so etwas ähnliches hinaus wie einen Anstaltsstaat. Der ist allerdings alles andere als "modern" ...-
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(#1364227) Verfasst am: 21.09.2009, 18:09 Titel: Re: Verbrechensbekämpfung im Anstaltsstaat |
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Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Ganz gut finde ich auch den folgenden Text:
Zitat: | ... Die Hirnforschung arbeitet daran, die Täter(innen)kreise zu identifizieren, die mangels eines rationalen Kalküls von der Regierbarkeit durch Abschreckung (die in der ökonomischen Theorie des Strafens als Kosten-Nutzen-Abwägung unterstellt ist) ausgeschlossen sind. |
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Glaubst Du wirklich, daß die Hirnforschung daran arbeitet? Ich dachte immer, denen geht es um die Erklärung des Gehirns und des Bewußtseins. Und wer sind diese ominösen "Kreise ohne rationales Kalkül"? Sind das die Revolutionäre?
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | ... Auf der anderen Seite kann man sich vorstellen, dass gesetzes- und normkonforme Verbrechen an den Menschenrechten, an der Menschheit damit belohnt werden, dass die entsprechenden Täter ohne Sanktionen davon kommen ... |
Moment mal, ist das nicht gerade ein feature des geltenden Strafrechts: nulla poena sine lege?
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Interessant finde ich ohnehin das oben zitierte Buch von Christian Müller. Hier eine passende Stelle ... |
Ein Blick genügt: auf der ersten Seite 3x "Lombroso", 3x "geborener Verbrecher", da brauch ich wg. Strohmann gar nicht weiterlesen.
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Skeptiker "I can't breathe!"
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(#1364375) Verfasst am: 21.09.2009, 20:27 Titel: Re: Verbrechensbekämpfung im Anstaltsstaat |
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step hat folgendes geschrieben: | Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Ganz gut finde ich auch den folgenden Text:
Zitat: | ... Die Hirnforschung arbeitet daran, die Täter(innen)kreise zu identifizieren, die mangels eines rationalen Kalküls von der Regierbarkeit durch Abschreckung (die in der ökonomischen Theorie des Strafens als Kosten-Nutzen-Abwägung unterstellt ist) ausgeschlossen sind. |
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Glaubst Du wirklich, daß die Hirnforschung daran arbeitet? Ich dachte immer, denen geht es um die Erklärung des Gehirns und des Bewußtseins. Und wer sind diese ominösen "Kreise ohne rationales Kalkül"? Sind das die Revolutionäre? |
Ich habe nur den o.a. Text zitiert. Dort steht, dass sich diejenigen Hirnforscher, die sich für Strafrecht interessieren (- und das scheint bemerkenswert oft der Fall zu sein! -), auf die zwei Gebiete der Impuls- sowie der Kalkülkriminalität zurückziehen müssen, um überhaupt im Bereich der Kriminologie noch Gehör zu finden.
Wenn Du meinst, dass Revolutionäre ohne Kalkül vorgehen können, dann weiß ich nicht, was für seltsame Revolutionäre das sein sollen. Aber das ist ja auch nicht das Thema.
step hat folgendes geschrieben: | Skeptiker hat folgendes geschrieben: | ... Auf der anderen Seite kann man sich vorstellen, dass gesetzes- und normkonforme Verbrechen an den Menschenrechten, an der Menschheit damit belohnt werden, dass die entsprechenden Täter ohne Sanktionen davon kommen ... |
Moment mal, ist das nicht gerade ein feature des geltenden Strafrechts: nulla poena sine lege? |
Dass (der Bruch der) Gesetze damit als notwendige, jedoch nicht als hinreichende Bedingung für eine Strafe bezeichnet werden, entspricht für bestimmte Milieus durchaus der Realität bürgerlicher Gesellschaften.
Aber etwas anderes ist viel entscheidender: Wie sehen die Gesetze selber aus? Wer macht sie, wer legt sie aus? Verbrechen gegen die Menschheit können leicht legalisiert werden; das ist oft genug geschehen und verfolgt werden dann anschließend keine Verbrechen mehr, sondern *Abweichungen* von just jenen Gesetzen.
Was das bedeutet ist klar: Die Schonung von Verbrechern und die Verfolgung von Abweichlern. Da hilft dann auch Deine schonende Behandlung nichts mehr. Die Gerechtigkeit hat dann verloren.
Dahin kann eine Justiz kommen, die keinen Begriff mehr von Verbrechen hat, sondern einen zunächst unmerklichen, jedoch drastisch wirksamen Pardigmenwechsel von der Kriminalitäts- zur Abweichungsbekämpfung vollzieht.
step hat folgendes geschrieben: | Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Interessant finde ich ohnehin das oben zitierte Buch von Christian Müller. Hier eine passende Stelle ... |
Ein Blick genügt: auf der ersten Seite 3x "Lombroso", 3x "geborener Verbrecher", da brauch ich wg. Strohmann gar nicht weiterlesen. |
Na, nun maul nicht wieder rum. Hier gibt's weiterführende Betrachtungen im selben Buch, die Dich vielleicht mehr interessieren:
Verbrechensbekämpfung im Anstaltsstaat, S. 137 ff.
Skeptiker
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(#1364437) Verfasst am: 21.09.2009, 21:07 Titel: |
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Skeptiker hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Skeptiker hat folgendes geschrieben: | ... Auf der anderen Seite kann man sich vorstellen, dass gesetzes- und normkonforme Verbrechen an den Menschenrechten, an der Menschheit damit belohnt werden, dass die entsprechenden Täter ohne Sanktionen davon kommen ... | Moment mal, ist das nicht gerade ein feature des geltenden Strafrechts: nulla poena sine lege? | Dass (der Bruch der) Gesetze damit als notwendige, jedoch nicht als hinreichende Bedingung für eine Strafe bezeichnet werden, entspricht für bestimmte Milieus durchaus der Realität bürgerlicher Gesellschaften. |
Das klingt, als würdest Du diesen Grundsatz gern abgeschafft sehen, passend zu Deinem absoluten Verständnis von Moral als etwas überkulturell Eindeutigem.
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Aber etwas anderes ist viel entscheidender: Wie sehen die Gesetze selber aus? Wer macht sie ... |
Da rutschst Du jetzt aber in die Legislative ab. Oder ist die Gewaltenteilung auch nur eine "Milieu-Realität bürgerlicher Gesellschaften"?
Skeptiker hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Skeptiker hat folgendes geschrieben: | Interessant finde ich ohnehin das oben zitierte Buch von Christian Müller. Hier eine passende Stelle ... | Ein Blick genügt: auf der ersten Seite 3x "Lombroso", 3x "geborener Verbrecher", da brauch ich wg. Strohmann gar nicht weiterlesen. | Na, nun maul nicht wieder rum. Hier gibt's weiterführende Betrachtungen im selben Buch, die Dich vielleicht mehr interessieren: Verbrechensbekämpfung im Anstaltsstaat, S. 137 ff. |
Naja, ein geschichtlicher Abriß des Schulenstreits ... aber ich habe tatsählich auch ein paar interessante Einschätzungen gefunden, etwa die, daß die zweisäulige Basierung des Rechts auf vergeltender Strafe und Sicherungsmaßnahmen gar nicht korrigierend wirkt/wirkte, sondern im Gegenteil enthemmend, und zwar in beide Richtungen, jedenfalls in Kaiserreich und Weimarer Republik: So dürfe eine Sicherungsmaßnahme den vergeltenden Strafrahmen überschreiten, ebenso aber überschreite eine vergeltende Strafe oft das präventiv sinnvolle Maß.
Aber eine Begründung für (nichtpräventive) Strafe habe ich wieder nicht gefunden.
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AgentProvocateur registrierter User
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(#1364652) Verfasst am: 22.09.2009, 01:58 Titel: |
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@step
Mit dem "Nazikeulchen" hast Du recht. Das hätte sie sich wirklich sparen können.
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | step hat folgendes geschrieben: | Und in meinem Modell würde die Freiheit ja sogar zunehmen, da es z.B. keine langen Gefängnisstrafen mehr gäbe. Präventive Maßnahmen unterlägen ebenfalls der Verhältnismäßigkeit und dem Minimalgebot (Zuwendung in der Jugend statt Wegsperren der Erwachsenen). | Ja, mag zwar sein, denke ich aber nicht, denn ich halte schon präventive Untersuchungen auf potentielle Gefährdungen (und darauf bei negativer Prognose evtl. folgende Maßnahmen erst recht) für unzulässige Freiheitseinschränkungen. |
Schlag doch mal vor, wie man mit einem "überführten" Kindesmißbraucher in bezug auf Prävention umgehen sollte. Soll man darauf vertrauen, daß ein Psychologe vor Wiederholungsgefahr warnt? Ist diese Freiheitseinschränkung zulässig, und warum? Ist das nicht Willkür im Einzelfall?
Ich habe kein Problem damit, bei der Zulässigkeit präventiver Maßnahmen sehr defensiv vorzugehen, um Freiheitseinschränkungen und vor allem ihren Mißbrauch zu vermeiden. Die ganze Präventions-, Hirnscan- und Wegsperrgeschichte kommt übrigens NIE von mir, sondern wird immer von meinen Diskussionsgegnern aufgebracht. Das einzige, was ich von mir aus ursprünglich dazu gesagt habe - wenn ich mich nicht täusche - war, daß ich den Spezialpräventionsaspekt des Strafrechts (oder Maßnahmenrechts) ethisch immerhin prinzipiell nachvollziehen kann.
Aber nehmen wir mal an, wir könnten uns auf ein sehr defensives Präventionsmodell einigen, das sehr wenige Freiheiten einschränkt und im Zweifelsfall lieber Wiederholungstaten inkaufnimmt.
Bleibt immer noch mein Hauptanliegen, das aus meiner Sicht ethisch unbegründete Strafrecht / Strafmaß. |
Ja, also, den "überführten" Kindesmißbraucher aufgrund eines psychologischen Gutachtens festzusetzen, (jenseits seiner im Gesetz festgelegten Strafe für eine nachgewiesene Tat), finde ich sehr problematisch. Die zusätzliche Freiheitseinschränkung ist mE nicht zulässig. Und, ja, das riecht nach Willkür.
Bei der Zulässigkeit der präventiven Maßnahmen sehr defensiv vorzugehen ist gut. Jedoch spukt einfach meinem Hinterkopfe dabei nicht nur das herum, was Du dazu meinst, welches Model Du hast, sondern auch das, was gewissen Hirnforschern dazu vorschwebt. Einen ausführlichen Link dazu habe ich noch, Das Ich und sein Gehirn, (Seite 53 oben eingeben, bis Seite 60 - das ganze Buch ist aber auch sonst nicht uninteressant). Wenn Du zumindest diesen Ausschnitt mal liest, kannst Du vielleicht meine Sorgen und Bedenken besser verstehen.
Aber, nun gut, lassen wir das erst mal beiseite, kommen wir also zu Deinem Anliegen, eine Legitimation für ein vergeltendes Strafrecht zu bekommen.
Ich werde das mal versuchen, obgleich meine Versuche dazu erst mal sehr fragmentarisch bleiben müssen. Ich werde das stichpunktartig machen (und muss noch hinzufügen, dass alles auf meiner westlich sozialisierten Sichtweise beruht, die individualistisch ist).
- Menschen sind autonome, freie "Systeme", weil sie sich eine Welt selber konstruieren (müssen), die ohne sie gar nicht existieren würde
- Menschen sind gleichzeitig Teil eines sozialen Systemes, einer Gesellschaft, ohne das / ohne die sie gar nicht, bzw. auf völlig andere Art existieren würden
- Es muss jedoch eine Motivation für ein Individuum dazu geben, sich in Gesellschaften zusammenzuschließen, bzw. die Gesellschaft zu akzeptieren
- Die Motivation ist mE nur dann gegeben, wenn die Gesellschaft den Einzelnen als gleichberechtigtes, freies Subjekt akzeptiert
- Es gibt gewisse Grundrechte, die dazu von den anderen / der Gesellschaft notwendigerweise akzeptiert / zugestanden werden müssen, das sind z.B. das Recht auf Leben, das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das Recht auf Befriedigung wichtiger Grundbedürfnisse (Dach über dem Kopf, Nahrung, Teilnahme am sozialen Leben)
- Diese Rechte müssen von der Gesellschaft insofern garantiert werden, als dass sie einklagbar sind und auch durchgesetzt werden
- Neben diesen Grundrechten gibt es zusätzlich andere Rechte, die ebenfalls auf der Annahme des autonomen Menschen beruhen, zum Beispiel die Vertragsfreiheit
- Die Kehrseite dieser Rechte ist notwendigerweise, dass man sich im Gegenzuge verpflichten muss, die spiegelbildlichen Rechte der Anderen ebenfalls zu respektieren
- Alle Rechte werden durch die Gesellschaft garantiert, dazu gibt man sein Recht auf Selbstjustiz ab (Gewaltmonopol des Staates)
- Dies alles kann nur dann funktionieren, wenn man sich selber (und die anderen) als selbstbestimmt handelnde Akteure sieht (das ist gewissermaßen die Prämisse des ganzen Gedankengebäudes) und also Handlungen einem Subjekt zuschreibt
- Und das bedeutet nun mE, dass sich die Subjekte für ihre Handlungen rechtfertigen müssen, d.h. die (moralische) Verantwortung für ihre Handlungen übernehmen müssen
- Ein Recht, das nicht durchgesetzt wird, das sozusagen nur eine Empfehlung ist, ist nutzlos, nicht verlässlich, dadurch letztlich überflüssig
- Ein Recht, das willkürlich (d.h. nicht allgemein nachvollziehbar) nur nach Gusto durchgesetzt wird, ist ebenso unakzeptabel, da unberechenbar
- Manche Menschen akzeptieren diese Prämisse nicht (ich meine hier die Prämisse, dass es nicht akzeptabel ist, Rechte für sich zu beanspruchen und gleichzeitig die gleichen Rechte Anderer missachten zu dürfen)
- Sofern sie daraufhin gegen die Rechtsordnung verstoßen, werden Sanktionen vorgesehen, um ihre Entscheidung hinsichtlich der Normeinhaltung zu beeinflussen
- Da sie auch (im Rahmen des Prämissengebäudes) als ebenso freie Menschen angesehen werden wie alle anderen auch, wird ihnen ihr Normverstoß persönlich zugerechnet
- Um die Rechtsordnung zu erhalten, müssen die angedrohten Sanktionen auch duchgeführt werden, denn ansonsten wäre die Rechtsordnung sinnlos
- An dieser Stelle ist die Vergeltung für eine begangene Tat zu finden
- Sanktionen sollten nach der Bewertung der Ablehnungswürdigkeit, dem Stellenwert der Wichtigkeit des verletzten Rechtes abgestuft sein
- Eine Sanktion nur um der Vergeltung willen, um des reines Prinzipes willen, ist jedoch mE sinnlos und nicht zulässig
- Es muss also immer zusätzliche Aspekte geben, um eine Bestrafung zu rechtfertigen, das sind die üblichen (negative / postive Spezialprävention, negative / positive Generalprävention)
- Sollte jemand aus diesem Raster des hier angenommenen autonomen selbstbestimmten Menschen herausfallen, indem er ungenügende Kontrollfähigkeit über seine Handlungen hatte (§20 StGB), d.h. ihm die Tat nicht zugerechnet werden kann, dann kann er nicht unter die obigen Argumente fallen
- Sollte es Maßnahmen geben, die den Erhalt der Rechtsordnung auf weniger übelzufügende Weise ermöglichen können, dann sind diese unbedingt durchzuführen (speziell primäre / sekundäre Prävention)
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Das ist erst mal ziemlich abstrakt, es gibt nun sicher einige Fragen, die offen bleiben, (auch unabhägig davon, ob man dem nun zustimmt oder nicht), wenn man das aktuelle System der Strafverfolgung betrachtet, z.B.:
- Warum drängt sich immer wieder der Verdacht auf, dass nur die Armen, Dummen und Kleinen im Knast sitzen und die Reichen und Mächtigen im Vergleich dazu ziemlich ungeschoren davonkommen und nicht zur Verantwortung gezogen werden?
- Wie kann es sein, dass die Zustände in Gefängnissen teilweise derart sind, dass dort Folterungen und Morde vorkommen können (z.B. der Fall im Jugendgefängnis in Hessen, wenn ich mich recht erinnere)?
Diese Fragen sind mehr als berechtigt, sie beschreiben in meiner Sicht eine große Gerechtigkeitslücke. Aber ich meine dennoch, sie könnten innerhalb des bestehenden Systemes gelöst werden, ohne dass man auf ein reines Präventiv- / Sicherheitsrecht umsteigen müsste, das mAn zu viele strukturelle Nachteile hat. Vor allem natürlich den, dass es meine (für mich jedenfalls unverzichtbare) Grundprämisse negiert.
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arcalexx The Shah of Bla
Anmeldungsdatum: 26.06.2008 Beiträge: 231
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PataPata Agnostiker und Pataphysiker
Anmeldungsdatum: 05.11.2007 Beiträge: 2977
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(#1369700) Verfasst am: 30.09.2009, 12:08 Titel: |
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Ist ein .php - file und auf meinem iMac nicht lesbar...
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arcalexx The Shah of Bla
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(#1369941) Verfasst am: 30.09.2009, 17:40 Titel: |
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@ Patapata: Sorry, hab's durch Googeln ("Strafrecht willensfreiheit Stuckenberg") gefunden - vielleicht findest Du eine Mac-kompatible Version...
In dem Vortrag ist schön herausgearbeitet, welcher Unsinn herauskommt, wenn man trotz deterministischer Auffassung von der Welt und dem menschlichen Geist trotzdem an der Willensfreiheit festhält: Der Mensch ist dann nicht mehr letzter Urheber seiner Tat, sondern nur ein Glied in einer Äonen zurückreichenden Ursachenkette. Genausogut wie ihn hätte man auch seiner Großmutter vorwerfen können, warum sie seine Mutter geboren hat, oder etwa dem Dinosaurier, der durch seinen Furz (Dinos haben meistens Grünzeug gefuttert) ein paar prähistorische Wüstenmäuse von Kopulieren abhielt und dadurch letztlich Jahrmillionen später die Geburt ebenjener Großmutter verursacht hat.
Man kann die Schuld als Strafgrundlage ja andererseits auch nicht einfach so abtun mit der Begründung "Es gibt ja noch andere Strafzwecke (Prävention etc.)". Denn persönliche Schuld ist nicht nur irgendein, sondern ein zentraler Strafzweck und auch die Hauptgrundlage der Strafzumessung (s. § 46 StGB). Sollte man sich vom Schuldstrafrecht verabschieden, wird man also ein völlig anderes System staatlicher Reaktionen auf begangenes Unrecht herausarbeiten müssen, und nicht nur das gegenwärtige System "etwas abwandeln". Bin selbst im Strafrecht tätig und kann Euch sagen, dass dies aber in der Praxis im Gerichtssaal noch nie irgendjemand auch nur annähernd interessiert hat.
Nimmt man den Determinismus ernst, kann man das Schuldstrafrecht mE nur auf eine einzige Art und Weise begründen (der anfangs zitierte Vorschlag von Burkhardt überzeugt mich nicht): Man kann - und das macht der Autor des von mir verlinkten Beitrags - auf den Zusammenhang zwischen Schuld und "objektiv gesehen abwesender" Willensfreiheit verzichten. Will heißen: Da wir die Willensfreiheit subjektiv erleben, müssen wir uns auch das deswegen gesellschaftlich akzeptierte Konstrukt einer Verantwortlichkeit wegen Anders-Handeln-Könnens gefallen lassen. Eine (staatstragende) Fiktion, ein Spiel, das wir alle spielen, und das für unser Zusammenleben grundlegend ist.
Diese Begründung hat deshalb was für sich, da aus dem Sein (Abwesenheit von Willensfreiheit) noch nicht automatisch das Sollende (Abwesenheit von persönlicher, normativ gesehener Verantwortung) folgt. Da wir im täglichen Leben nun mal Personen als Urheber ihrer Handlungen ansehen, und nicht furzende Dinos, könnte man das Schuldstrafrecht als Konzept aufrechterhalten, und mag es eine Willensfreiheit "objektiv" nicht geben.
Letztlich überzeugt bin ich aber auch noch nicht - freue mich auf Eure Beiträge!
_________________ "Science is interesting and if you don't agree you can fuck off." (Richard Dawkins)
http://arcalexx.blogspot.com
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arcalexx The Shah of Bla
Anmeldungsdatum: 26.06.2008 Beiträge: 231
Wohnort: Berlin
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(#1369947) Verfasst am: 30.09.2009, 17:54 Titel: |
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Allerdings - und nicht ganz ernst gemeint - müsste man bei Fehlen der persönlichen Verantwortlichkeit ja auch auf jegliches Lob verzichten: Man will ja nicht Kausalprozesse preisen, sondern die Entscheidung eines anderen, einer alten Dame über die Straße zu helfen, als seine persönliche Errungenschaft hervorheben. Ein wenig würde die Welt dann, scheint mir, von ihrer Abwechslung verlieren
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PataPata Agnostiker und Pataphysiker
Anmeldungsdatum: 05.11.2007 Beiträge: 2977
Wohnort: Toscana
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(#1370101) Verfasst am: 30.09.2009, 20:48 Titel: |
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arcalexx hat folgendes geschrieben: | @ Patapata: Sorry, hab's durch Googeln ("Strafrecht willensfreiheit Stuckenberg") gefunden - vielleicht findest Du eine Mac-kompatible Version... |
Ja, per Google erscheint es, wenn man auf "Anzeigen" klickt - danke !
Edit: Es ist doch : Carl-Friedrich Stuckenberg, Willensfreiheit und strafrechtliche Schuld
_________________ Alles denkbare ist real
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1370139) Verfasst am: 30.09.2009, 21:30 Titel: |
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AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Ja, also, den "überführten" Kindesmißbraucher aufgrund eines psychologischen Gutachtens festzusetzen, (jenseits seiner im Gesetz festgelegten Strafe für eine nachgewiesene Tat), finde ich sehr problematisch. Die zusätzliche Freiheitseinschränkung ist mE nicht zulässig. Und, ja, das riecht nach Willkür. |
Gut. Und mit demselben Argument müßtest Du im Prinzip auch mildere Präventionsmaßnahmen ablehnen, z.B. überwachter Freigang oder das Verbot, sich an Kinderspielplätzen aufzuhalten, oder?
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | ... kommen wir also zu Deinem Anliegen, eine Legitimation für ein vergeltendes Strafrecht zu bekommen. |
Ich habe ne Menge Kleinigkeiten auszusetzen, aber ich reiße mich zusammen und antworte nur dort, wo ich zentrale Meinungsverschiedenheiten vermute.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | [...] - Es gibt gewisse Grundrechte, die dazu von den anderen / der Gesellschaft notwendigerweise akzeptiert / zugestanden werden müssen, ... Diese Rechte müssen von der Gesellschaft insofern garantiert werden, als dass sie einklagbar sind und auch durchgesetzt werden
... |
Zustimmung.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | - Alle Rechte werden durch die Gesellschaft garantiert, dazu gibt man sein Recht auf Selbstjustiz ab (Gewaltmonopol des Staates) |
Moment mal, die Justiz (oder Selbstjustiz) garantiert diese Rechte ja ohne weiteres gar nicht, sondern die Gesetze bzw. das verläßliche Verhalten der Anderen tun das primär.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | [...] - Ein Recht, das nicht durchgesetzt wird, das sozusagen nur eine Empfehlung ist, ist nutzlos, nicht verlässlich, dadurch letztlich überflüssig |
Eine vergeltende Bestrafung ist aber keine Durchsetzung eines Rechtes im obigen Sinne. Deine Argumentation gilt nur für die echte Durchsetzung von Rechten, z.B. wenn ein Gericht einem Schüler Recht gibt (und dieses auch durchsetzt), daß er in der Pause beten darf.
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | [...] - Um die Rechtsordnung zu erhalten, müssen die angedrohten Sanktionen auch duchgeführt werden, denn ansonsten wäre die Rechtsordnung sinnlos. [...] |
Nicht die Rechtsordnung, sondern nur die Androhung von Sanktionen wäre sonst sinnlos. Eine Rechtsordung, deren Ziel das Schützen von Rechten durch Prävention wäre, bliebe immer noch sinnvoll.
AgentProvocateur, weiter oben hat folgendes geschrieben: | - Sofern sie daraufhin gegen die Rechtsordnung verstoßen, werden Sanktionen vorgesehen, um ihre Entscheidung hinsichtlich der Normeinhaltung zu beeinflussen |
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | - Eine Sanktion nur um der Vergeltung willen, um des reines Prinzipes willen, ist jedoch mE sinnlos und nicht zulässig |
Genaugenommen hast Du die Strafe ja jetzt überhaupt nicht mehr mit Vergeltung begründet, sondern nur damit, daß die Abschreckung sonst nicht funktionieren würde.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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PataPata Agnostiker und Pataphysiker
Anmeldungsdatum: 05.11.2007 Beiträge: 2977
Wohnort: Toscana
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(#1370147) Verfasst am: 30.09.2009, 21:35 Titel: |
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arcalexx hat folgendes geschrieben: | In dem Vortrag ist schön herausgearbeitet, welcher Unsinn herauskommt, wenn man trotz deterministischer Auffassung von der Welt und dem menschlichen Geist trotzdem an der Willensfreiheit festhält: Der Mensch ist dann nicht mehr letzter Urheber seiner Tat, sondern nur ein Glied in einer Äonen zurückreichenden Ursachenkette. Genausogut wie ihn hätte man auch seiner Großmutter vorwerfen können, warum sie seine Mutter geboren hat, oder etwa dem Dinosaurier, der durch seinen Furz (Dinos haben meistens Grünzeug gefuttert) ein paar prähistorische Wüstenmäuse von Kopulieren abhielt und dadurch letztlich Jahrmillionen später die Geburt ebenjener Großmutter verursacht hat. | Ich habe den Vortrag nur angelesen, werde ihn mir aber noch genemigen. Zu Deiner Zusammenfassung : Der Furz des Dinos ist das Pendant zum Schmetterling, der einen Orkan auslöst. Man kann ihm auch nicht anlasten, dass er Städte verwüstet hat. Die Menschheit ist chaotisch in ihrer Entwicklung und als Gesellschaft - und jeder Mensch ist ein Chaot. Wenn ein Dino-Furz einen Mord auslöst oder einen Weltkrieg, dann ist das inhärent im sonst recht ruhigen Wetter-(Menschheits-)System. Totaler Unsinn ist das mitnichten...
arcalexx hat folgendes geschrieben: | Man kann die Schuld als Strafgrundlage ja andererseits auch nicht einfach so abtun mit der Begründung "Es gibt ja noch andere Strafzwecke (Prävention etc.)". Denn persönliche Schuld ist nicht nur irgendein, sondern ein zentraler Strafzweck und auch die Hauptgrundlage der Strafzumessung (s. § 46 StGB). Sollte man sich vom Schuldstrafrecht verabschieden, wird man also ein völlig anderes System staatlicher Reaktionen auf begangenes Unrecht herausarbeiten müssen, und nicht nur das gegenwärtige System "etwas abwandeln". Bin selbst im Strafrecht tätig und kann Euch sagen, dass dies aber in der Praxis im Gerichtssaal noch nie irgendjemand auch nur annähernd interessiert hat. | Meinst Du, dass ein Verbrecher den Staat einklagen kann, weil keine Prävention gegen das von ihm begangene Verbrechen unternommen worden ist ?
arcalexx hat folgendes geschrieben: | Nimmt man den Determinismus ernst, kann man das Schuldstrafrecht mE nur auf eine einzige Art und Weise begründen (der anfangs zitierte Vorschlag von Burkhardt überzeugt mich nicht): Man kann - und das macht der Autor des von mir verlinkten Beitrags - auf den Zusammenhang zwischen Schuld und "objektiv gesehen abwesender" Willensfreiheit verzichten. Will heißen: Da wir die Willensfreiheit subjektiv erleben, müssen wir uns auch das deswegen gesellschaftlich akzeptierte Konstrukt einer Verantwortlichkeit wegen Anders-Handeln-Könnens gefallen lassen. Eine (staatstragende) Fiktion, ein Spiel, das wir alle spielen, und das für unser Zusammenleben grundlegend ist.
Diese Begründung hat deshalb was für sich, da aus dem Sein (Abwesenheit von Willensfreiheit) noch nicht automatisch das Sollende (Abwesenheit von persönlicher, normativ gesehener Verantwortung) folgt. Da wir im täglichen Leben nun mal Personen als Urheber ihrer Handlungen ansehen, und nicht furzende Dinos, könnte man das Schuldstrafrecht als Konzept aufrechterhalten, und mag es eine Willensfreiheit "objektiv" nicht geben. | Sehr guter Gedanke - besonders da zudem die Unmöglichkeit der Willensfreiheit in meinen Augen noch lange nicht nachgewiesen ist...
Anderseits bin ich persönlich dafür, dass das Schuld- und Straf-Prinzip aus der Rechtssprechung entfernt wird und nur noch die Verantwortung für die Folgen einer Handlung weiter besteht. Dies unabhängig davon, ob eine Willensfreiheit möglich ist oder nicht.
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AgentProvocateur registrierter User
Anmeldungsdatum: 09.01.2005 Beiträge: 7851
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(#1370192) Verfasst am: 30.09.2009, 22:56 Titel: |
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step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | Ja, also, den "überführten" Kindesmißbraucher aufgrund eines psychologischen Gutachtens festzusetzen, (jenseits seiner im Gesetz festgelegten Strafe für eine nachgewiesene Tat), finde ich sehr problematisch. Die zusätzliche Freiheitseinschränkung ist mE nicht zulässig. Und, ja, das riecht nach Willkür. |
Gut. Und mit demselben Argument müßtest Du im Prinzip auch mildere Präventionsmaßnahmen ablehnen, z.B. überwachter Freigang oder das Verbot, sich an Kinderspielplätzen aufzuhalten, oder? |
Ja, natürlich, falls Du Dich hier immer noch auf den "überführten" Kindesmissbraucher beziehst, der seine Strafe verbüßt hat.
Aber, sieh mal, es mag ja eventuell Gründe geben, in bestimmten Einzelfällen einzelnen Leuten ihre (normalerweise notwendigerweise angenommene) Autonomie abzusprechen und sie somit außerhalb der Gesellschaft / der moralischen Gemeinschaft zu setzen, (genau das bedeutet das mE), sie (in bestimmten Umständen) für nicht steuerungsfähig zu erklären. Und ihnen daraufhin Rechte zu entziehen, die man normalerweise nicht entziehen würde, solche, die man normalerweise genau deswegen allen gewährt, weil man diese Steuerungsfähigkeit annimmt.
Aber das wären dann immer noch Einzelfälle und die sind nun keineswegs geeignet, das auf alle gleichermaßen anwenden zu können. Das kann man gar nicht, das ist nämlich ein logischer Widerspruch in sich, denn Normen müssen nun mal von autonomen Wesen mit guten Begründungen vereinbart werden, müssen nachvollziehbar sein und dann kann man nun mal nicht gleichzeitig annehmen, dass Handlungen prinzipiell nicht gesteuert werden könnten, dass alles nur Ereignisse seien, die komplett von der Vergangenheit gesteuert würden, auf die man keinen Einfluss hätte, also Personen in Wirklichkeit nur Beobachter ihrer selbst seien. Dass Gründe bedeutungslos wären, nicht real, Epiphänomene, in Wirklichkeit seien nur Kausalketten real. Oder so. Eine solche Argumentation kann prinzipiell nicht funktionieren, weil sie nämlich mit den Gründen auch Argumente gänzlich ausschließt, keine Geltung mehr beanspruchen kann. Wenn man nur noch Kausalketten als das "einzig Reale" gelten lassen will, dann gäbe es nur noch Beschreibungen, aber keine Erklärungen mehr. Und auch keine Normen mehr.
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | - Alle Rechte werden durch die Gesellschaft garantiert, dazu gibt man sein Recht auf Selbstjustiz ab (Gewaltmonopol des Staates) |
Moment mal, die Justiz (oder Selbstjustiz) garantiert diese Rechte ja ohne weiteres gar nicht, sondern die Gesetze bzw. das verläßliche Verhalten der Anderen tun das primär. |
Hm, ich sehe jetzt erst mal keinen Widerspruch.
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | [...] - Ein Recht, das nicht durchgesetzt wird, das sozusagen nur eine Empfehlung ist, ist nutzlos, nicht verlässlich, dadurch letztlich überflüssig |
Eine vergeltende Bestrafung ist aber keine Durchsetzung eines Rechtes im obigen Sinne. Deine Argumentation gilt nur für die echte Durchsetzung von Rechten, z.B. wenn ein Gericht einem Schüler Recht gibt (und dieses auch durchsetzt), daß er in der Pause beten darf. |
Naja, ich meine das vielleicht etwas anders, als wie Du es verstanden hast. Eine Durchsetzung von Rechten verlangt mE nicht nur, dass jemand in allen Fällen ein bisschen gerüffelt wird, ("das wollen wir aber zukünftig nicht mehr tun, nicht wahr?"), sondern es verlangt meiner Auffassung nach in gravierenderen Fällen eine explizitere Missachtensbekundung. Als Signal für andere, dass dies eine gesellschaftlich nicht akzeptierte Normverletzung ist, als Bestätigung für das / die Opfer, dass diesem / diesen Unrecht geschehen ist und als Bekräftigung, dass es nicht akzeptiert wird, die gemeinsame Rechtsordnung nach Belieben zu ändern / zu missachten.
Wenn unsere Welt so beschaffen wäre, dass ein leichter Tadel schon ausreichte, dass jemand zukünftig davon absieht, Rechte anderer zu verletzen, dann wäre das eine andere Sache. Aber so ist unsere Welt nun mal nicht beschaffen.
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | [...] - Um die Rechtsordnung zu erhalten, müssen die angedrohten Sanktionen auch duchgeführt werden, denn ansonsten wäre die Rechtsordnung sinnlos. [...] |
Nicht die Rechtsordnung, sondern nur die Androhung von Sanktionen wäre sonst sinnlos. Eine Rechtsordung, deren Ziel das Schützen von Rechten durch Prävention wäre, bliebe immer noch sinnvoll. |
Naja, wenn es eine Rechtsordnung gäbe, die Rechtsverletzungen durch Prävention erfolgreich vermeiden könnte, dann bräuchten die Sanktionen ja auch niemals angewendet werden. Dann könnte man diese Rechtsordung ja einfach einführen und bräuchte gar nicht auf die Androhung von Sanktionen zu verzichten. Jedoch solange es Rechtsverletzungen gibt, braucht es mE auch Sanktionen. Und die müssen dann auch angewendet werden, sonst ist die Androhung sinnlos.
step hat folgendes geschrieben: | AgentProvocateur, weiter oben hat folgendes geschrieben: | - Sofern sie daraufhin gegen die Rechtsordnung verstoßen, werden Sanktionen vorgesehen, um ihre Entscheidung hinsichtlich der Normeinhaltung zu beeinflussen |
AgentProvocateur hat folgendes geschrieben: | - Eine Sanktion nur um der Vergeltung willen, um des reines Prinzipes willen, ist jedoch mE sinnlos und nicht zulässig |
Genaugenommen hast Du die Strafe ja jetzt überhaupt nicht mehr mit Vergeltung begründet, sondern nur damit, daß die Abschreckung sonst nicht funktionieren würde. |
Es ist eine Kombination. Kein Entweder-Oder. Sanktionen sind mE nur dann berechtigt, wenn jemand schuldhaft gehandelt hat (oder evtl. auch dann, wenn man jemandem mit hinreichenden Gründen - und die sind heutzutage mE oft leider nicht hinreichend, trotzdem "Maßnahmen" ergriffen werden, auf einen mE oft unzureichenden Verdacht hin - seine Autonomie / seine Fähigkeit, nach Vernunftgründen zu handeln absprechen kann und ihn nicht mehr als eigenmächtig / vernünftig handelnde Person, sondern als Gefahrenquelle ansieht - aber, wie gesagt, das auf alle übertragen zu wollen, halte ich für selbstwidersprüchlich, prinzipiell nicht begründbar).
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1476315) Verfasst am: 25.05.2010, 19:10 Titel: |
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Im SdW 10/06 zwei Aufsätze
- Edgar Dahl zu einer Moral ohne Willensfreiheit und Vergeltung
- Michael Pauens Entgegnung darauf
http://www.spektrum.de/artikel/1030087
Für die, welche die bisherige Diskussion verfolgt haben: Man kann sagen, daß ich Dahl recht nahestehe, und AP Pauen.
_________________ Was ist der Sinn des Lebens? - Keiner, aber Leere ist Fülle für den, der sie sieht.
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step registriert
Anmeldungsdatum: 17.07.2003 Beiträge: 22782
Wohnort: Germering
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(#1476317) Verfasst am: 25.05.2010, 19:12 Titel: |
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Und hier ein kurzer Leserbrief meinerseits als Entgegnung auf Pauen:
Zitat: | Zukunft statt Vergeltung
Bei den Themen Verantwortung, Schuld und Strafe baut Michael Pauen mehrere falsche Dichotomien auf und übersieht allgemein die Möglichkeiten, die sich aus einer rationaleren, rein zukunftsgerichteten Handlungsbewertung ergeben, obwohl diese von Dahl bereits angedeutet werden.
So ist es nicht einzusehen, wieso es mit dem Verlust der Willensfreiheit auch keine Verantwortung mehr geben sollte. Man könnte etwa die Zuweisung von Verantwortung verstehen als die Erwartung, daß eine Person sich zukünftig konform verhält. Wird diese Erwartung enttäuscht, sollte man dieser Person je nach Situation weniger Verantwortung zuweisen.
Auch bei der Reaktion der Gemeinschaft auf nichtkonforme Handlungen gibt es außer Schuldzuweisung und "allenfalls bedauern" eine dritte Möglichkeit: die Ableitung zielführender Maßnahmen. Nur diese, auch unter dem Begriff der Prävention bekannt, sind ethisch begründbar. Rein vergeltende Strafrechtsaspekte dagegen bedienen vor allem ein archaisches Rachebedürfnis und sind ethisch schwer zu rechtfertigen, ob man nun Kompatibilist ist oder nicht.
Zum Freiheitsbegriff: Die von Pauen geforderte Ersetzung des intuitiv-falschen Willensfreiheitsbegriffs existiert bereits, es ist die ganz unstrittige Handlungsfreiheit: also zuweilen gemäß seiner Präferenzen zu handeln. Und wenn wir ehrlich sind, wünschen wir uns ja gerade das für die Menschen: daß sie verlässlich (also moralisch determiniert) handeln, dabei aber möglichst nicht das Gefühl haben, dies unter Zwang zu tun.
Pauens Ansatz, Freiheit als die rationale Kontrolliertheit einer Entscheidung anzusehen, halte ich für fragwürdig, wie man an seinem Beispiel des Bankers sieht: Wenn dieser in vollem Wissen über die Konsequenzen ein verbotenes Geschäft macht, so ist zwar sein Entscheidungsprozess komplex, jedoch spricht sein Verhalten weniger für Kontrolle und Freiheit, als vielmehr für eine stärkere Beeinflussung durch Gier oder Druck. |
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